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11

Draußen in ihrem kleinen Kabinett hatte Mama Campanini soeben ihre Andacht beendigt, sie putzte die Flamme der ewigen Lampe, bekreuzigte sich vor dem Muttergottesbilde, setzte sich an ihren Sekretär, schlug ein kleines, rot gebundenes Büchlein auf und vertiefte sich in die langen Kolonnen von Zahlen, die da untereinandergereiht waren.

Das Geschäft blühte. Die goldene Jugend von Paris wetteiferte um den Vorzug, ihre Schätze Barberina zu Füßen zu legen. Und Mama nahm den Tribut gnädigst in Empfang, buchte ihn gewissenhaft, um ihn später nutzbringend anzulegen, vertröstete die jungen Leute je nach Rang und Vermögen mit Hoffnungen oder Versprechungen und ließ keinen ohne die bestimmte Zusage ihrer Fürsprache gehen.

So nahm sie die Sünden ihrer Tochter auf sich. Kein einziger von den jungen, galanten Herren durfte der schönen Babara nahen, ohne vorher von der Mama ins Gebet genommen zu werden. Sie war das Fegefeuer, Babara das Paradies. Im Fegefeuer wurden sie geläutert. Dort ließen sie den irdischen Tand. Im Paradiese genossen sie überirdische Wonnen.

Die Mama prüfte sie auf ihre Vermögensverhältnisse und ihre Opferwilligkeit und erledigte alles Geschäftliche.

Babara erledigte gelegentlich den Rest – frei von aller Schuld. Sie war eben nichts als die gehorsame Tochter.

Auch das Geschäftliche gegenüber dem Himmel erledigte die Mama. Täglich ging sie zur Beichte und ließ sich die Sünden des vorhergegangenen Tages vergeben. Empfing dann die Tochter abends in neugewonnener Unschuld in ihrem Gemach, so saß die gute Alte im Vorzimmer, lächelte beglückt beim fernen Klang der Gläser und betete ihren Rosenkranz. Sie schlief dann den Schlaf der Gerechten und träumte von ihren Schätzen, die sich, dank der gehorsamen Tochter, wacker vermehrten.

Auch sie war enttäuscht über den bloß halben Sieg Babaras am Hofe. Aber Könige sind nicht im Sturm zu nehmen! Alles muß seine Zeit haben! Und inzwischen gab's ja zu tun!

Fossano war für sie erledigt. Sie sah ihn nur im Theater, wo sie nicht mehr mit ihm sprach.

Daß er sich rächen würde, wußte sie. Sie sah es aus den haßerfüllten Blicken, mit denen er ihre Tochter verfolgte, und wußte, daß er ihr auflauerte und nach einer Gelegenheit spähte, sie in ganz eklatanter Weise bloßzustellen.

Sie ließ sich aber nicht stören. Sie lebte in den Tag hinein und besorgte ihre Geschäfte pünktlich und gewissenhaft.

An diesem schönen Morgen war sie aber nicht ganz zufrieden, als sie ihr Büchlein mit den vielsagenden Zahlenreihen zuklappte. – Sie hatte gestern eine stattliche Summe im voraus buchen können, mußte sie leider aber heute mit einem Fragezeichen versehen.

Mylord Arundel, der gestern sich und jene Summe zum Souper angesagt hatte, war schmählich enttäuscht wieder abgezogen. Der Befehl, bei Hofe zu tanzen, war so schnell und unerwartet gekommen, daß sie ihm nicht einmal hatte abschreiben können.

Sie hatte ihn auf ihren Knien um Entschuldigung bitten müssen und ihm mit Mühe und Not ein halbes Versprechen abgerungen, heute zum Lever Babaras zu erscheinen.

Kommt er? – Kommt er nicht? – Die Frage hatte ihr ihre Nachtruhe verdorben! Und jetzt ging sie schon seit Stunden in der Wohnung umher und wartete auf Babara, die sie nicht zu wecken wagte – die aber schlief, als stünde für sie gar nichts auf dem Spiel!

Immer wieder ging sie an die Tür des Schlafzimmers und lauschte. – Denn käme er, dann müßte Babara auch visibel sein! – Sonst wäre alles verloren und Seine Herrlichkeit würde den Strom seiner Schätze in ein anderes Bett leiten!

Sie gönnte dem guten Kinde ja die Ruhe! – Es mochte wohl müde sein nach der Vorstellung und der langen nächtlichen Fahrt! Kein Mensch konnte aber voraussehen, wie lange die Jugend und die Schönheit währen würden! – Für die Ruhe des Alters mußte gesorgt werden!

Nach langem Zögern entschloß die Mama sich endlich, an die Tür zu klopfen. Aber ehe sie noch ihre Absicht vollführt hatte, wurde sie durch einen entsetzten Schrei aufgeschreckt!

Es war drinnen im Schlafzimmer!

Noch einmal schrie es! Kein Zweifel, es war ihre Tochter! Dann wurden auch andere Stimmen laut – zornige Männerstimmen, die gegeneinander wetterten!

Sie eilte hinzu – sie rüttelte heftig an der verschlossenen Tür! – – Da gerade mußte man ihr den Besuch Arundels melden!

Sie durfte ihn nicht abweisen, sie mußte ihn sogar gleich empfangen! – – Und drinnen bei ihrer Tochter ging etwas vor! Sie wußte nicht was, begriff aber, daß es seiner Herrlichkeit verheimlicht werden müßte! – – Sie tat ihr Bestes!

Sie nötigte Mylord zum Sitzen, schwatzte drauflos von allem möglichen – vom gestrigen Hoffest – vom Erfolg Barberinas – von der Gnade des Königs – fragte den Lord nach dem letzten Rennen – nach den Jagden auf seinen englischen Gütern – überhörte seine Antworten, unterbrach ihn mitten in der Rede, um nach dem Wetten zu fragen und nach der Möglichkeit, im Spiel Glück zu haben – sie ließ ihn nicht zu Worte kommen und hütete sich wohl, sich nach seinen Empfindungen für Babara zu erkundigen.

Mylord ließ mit echt englischem Phlegma alles über sich ergehen; er glaubte zunächst, eine Irrsinnige vor sich zu haben, entschied sich dann für die Annahme, Mama Campanini hätte sich die schönen Weine, die gestern nicht getrunken waren, zu Kopfe steigen lassen, wurde endlich zornig, herrschte sie an, sie solle mit dem Geschwätz aufhören, und stand auf, um sich selbst bei ihrer Tochter anzumelden, da sie seine wiederholte Frage nach ihr nur noch stotternd beantwortete.

Da sprang die Tür des Schlafzimmers auf, und der Prinz von Carignan erschien auf der Schwelle. Aber in welcher Verfassung! – Keuchend vor Zorn, die Augen blutunterlaufen, den Hut schief auf der derangierten Frisur, die eine Spitzenmanschette zerrissen – mit der Hand krampfhaft den Stock umklammernd und sich darauf stützend, um das Zittern des ganzen erlauchten Körpers besser zu prononcieren!

Als er Arundel sah, erkämpfte er mühsam, aber mit vollendeter Eleganz, die Fassung und grüßte genau so reserviert, wie es die Situation erforderte.

»Ich bin entzückt. Eurer Lordschaft hier zu begegnen!« lispelte er.

»Ich bin auch charmiert!« antwortete Seine Herrlichkeit ebenso steif und nicht minder höflich.

»Ich räume Eurer Herrlichkeit mit Vergnügen das Feld«, setzte Carignan fort, »und wünsche, Sie mögen es einmal ebenso befriedigt verlassen wie jetzt ich!«

»Hoheit sind sehr gütig!« gab der Lord zurück.

»Deine saubere Tochter aber werde ich ins Dirnenhospital schicken! Und dich auch, alte Kupplerin!« schrie der Prinz der alten Campanini zu, drohte ihr mit dem Stock und ging, ohne sich weiter um Seine Herrlichkeit zu kümmern.

Arundel blieb stehen und sah die Mama verächtlich an.

Diese alte Frau hatte sich erlaubt, ihn zum besten zu halten – hatte ihn herbestellt, um ein Renkontre zu provozieren – um ihn mit Carignan zu brüskieren und ihn durch den publiken Skandal zu zwingen, offiziell das Protektorat des Hauses zu übernehmen! – Das war zu plump!

» Damn!« sagte er, »Sie haben den Prinzen von meinem Besuch unterrichtet! – Schweigen Sie – Sie führen mich nicht hinters Licht! Sie werden auch keine Freude an Ihrer Intrige haben! Ich gehe jetzt! Und ich weiß nicht, ob ich Ihr Haus noch besuchen werde!«

Da erschien Babara in der Tür – auch sie verwirrt und aufs äußerste aufgeregt, aber in ihrem Negligé so berückend schön, daß der Zorn Seiner Herrlichkeit sofort verrauchte.

Sie floh zwar in holder Verschämtheit, als sie Arundel sah. Aber ihre Decontenance hatte so viel Charme, daß Seine Lordschaft sofort den Kopf verlor! – Und jetzt wußte nicht nur er, sondern auch die Mama, daß er wiederkommen würde!

»Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen, Signora«, sagte er und gab ihr die Hand, die sie sofort devot küßte. »Aber Sie werden mich nie wieder in eine derartige Situation bringen! Mademoiselle, Ihre Tochter wird etwas Zeit nötig haben, um die Folgen der Aufregung zu überwinden, denke ich. Ich komme also heute abend wieder!«

»Eure Lordschaft machen mich überglücklich!«

»An Sie denke ich überhaupt nicht! Ich will gut bedient sein! Das Beste, was in Paris Küche und Keller vermögen! Merken Sie sich's, Signora! Meine Börse steht Ihnen zur Verfügung!«

Und ohne ihre Beteuerung zu beachten, er würde besser als der König selbst bedient werden, ging er, kaum noch grüßend.

Als die Signora sich von ihrer tiefen Abschiedsreverence aufrichtete, stand Fossano vor ihr.

Aus dem Nebenzimmer, in das er schnell geschlüpft war, hatte er die ganze Szene verfolgt und trat jetzt ein, um ihre Niederlage zu vervollständigen.

Sie schrie leicht auf, als sie ihn sah. – Sie erkannte ihn kaum wieder, so sehr hatte er sich verändert seit jenem denkwürdigen Abend in der Oper.

Der verwöhnte, siegesbewußte Liebling der Frauen – das Schoßkind des Glücks war aus seiner ganzen Erscheinung vertilgt. Nur noch ein Schatten von ehedem, stand er da, die Augen flackernd und vor ungestillter Rachsucht unheimlich aufleuchtend. Aber die Unsicherheit, die sonst aus den grämlich verzerrten Zügen sprach, war jetzt auf einmal verschwunden. Sonst schleichend wie ein Jäger, der einem schwer zu erlegenden Wild nachstellt – jetzt schadenfroh lächelnd, im frohen Vorgefühl, daß er dem gehetzten Wild den Fang wird geben können.

»Warum so ängstlich?« lachte er, als er ihre entsetzte Miene sah. »Ich tue Euch nichts an, und Eurer Tochter auch nicht! Ich komme nur, um Euch rein geschäftlich zu sprechen, und zwar in Eurem eigenen Interesse!«

»Wir brauchen Eure Hilfe nicht!«

»Mehr als Ihr denkt!« sagte er, schadenfroh lächelnd. »Und obwohl Ihr's nicht wünscht! Ihr seid wohl geschickt – Ihr versteht wohl die gute Gelegenheit auszunützen, die Ihr mir verdankt – aber wie Ihr den Erlös sichern – wie Ihr den Gefahren entgehen sollt, die Euch bedrohen, das wißt Ihr nicht! – Ebensowenig, wie Ihr wißt – wer jetzt drinnen bei Eurer Tochter weilt!«

»Bei ihr ist niemand!«

»Allerdings – in Eurem Sinne – ein Niemand, ein Tunichtgut! Aber in den Augen Babaras mehr wert als all die Schätze, die ihr die anderen zu Füßen legen! Und ein Prinz – ein vornehmer Herr, der Euch mit der größten Eleganz helfen wird, Eure Ersparnisse durchzubringen! Ich brauche nur den Namen Durfort zu nennen – –«

»Er hätte die Keckheit gehabt, trotz meines Verbotes –?«

»Er hatte die Güte, Eure Tochter von Fontainebleau hierher zu begleiten und ihr die lange Reise zu versüßen! Und, da hier alles schlief, mußte er ihr ja notgedrungen auch beim Zubettgehen behilflich sein! – Echauffiert Euch nur nicht deswegen! – Dergleichen kleine Launen werden bei Babara nie ganz zu vermeiden sein. – Das Herz muß dann und wann auch sein Recht haben. Wenn sie sonst nur gehorsam bleibt, so ist nichts verloren! – Der Mann, der heute abend hier soupieren wird – –«

»Ihr habt gelauscht!«

»Das hatte ich nicht nötig. Mylord sprach sehr laut. Und Ihr – – nun, Ihr scheint mir auch das rechte Wort gefunden zu haben! Haltet Euch den Engländer warm! Er wird Euch den Weg – drüben, in England – ebnen! Dort erst wird Babara zu Gold und Ehren kommen! Dort muß sie hin – hier hat sie verspielt! Bei Hofe wird sie nicht zu Geltung kommen. – Nach ihrem gestrigen Mißerfolge sicher nicht!«

»Von einem Mißerfolg kann bei ihr gar keine Rede sein! Ihr werdet wieder schlecht getanzt haben! Ihr werdet wieder versucht haben, sie aus der Stimmung zu bringen – von Eurer Niedertracht wäre es schon zu erwarten! Sie wird dann eben nochmals bei Hofe tanzen, aber ohne Euch! Ihr tanzt nie wieder mit ihr, dafür sorge ich!«

»Und wenn sie auch nochmals dort tanzen wird – die Augen des Königs werden nie wieder auf ihr ruhen, nachdem er sie einmal gesehen und unwürdig gefunden hat!«

»Das ist nicht wahr!«

»Ich war doch dabei! Ich habe ihre Niederlage mit eigenen Augen gesehen! Sie ist hier deklassiert! – Sie hat hier verspielt! Geht nur nach England – laßt sie durch Seine Lordschaft entführen! Aber raschen Entschluß! Schnelles Handeln, ehe der Zorn des Prinzen von Carignan verraucht! Folgt meinem Rat! – Mich werdet Ihr auch drüben finden! – Nicht am Theater! – Nein, ich habe etwas Besseres vor! Wenn mein Engagement hier aus ist, lege ich drüben in London eine Spielbank auf; Ihr könnt partizipieren, wenn Ihr wollt! Im Handumdrehen verdoppele ich Euer Vermögen und Ihr könnt Euch's noch auf Eure alten Tage leisten, Eurer Tochter zu gestatten, dem Lord Arundel die Treue zu bewahren!«

Hohnlachend ging er seines Weges und ließ die erbitterte Signora sitzen.

Eben wollte sie gehen, um ihrer ungehorsamen Tochter den Text zu lesen, da erlebte sie die letzte und schwerste Überraschung dieses verhängnisvollen Morgens.

Der Vertraute des Prinzen von Carignan in allen galanten Dingen, ein gewisser Herr de Thunet, der von Seiner Hoheit Gnade existierte und auf dessen Namen die Hotels der prinzlichen Mätressen stets gemietet waren, trat unangemeldet herein, ein Register in der Hand und von mehreren Helfershelfern begleitet. Ohne die Signora eines Blickes zu würdigen, klappte er sein Register auf, klemmte eine Hornbrille auf die Nase und fing an, die kostbaren Meubles zu bezeichnen, mit denen er im Auftrag Seiner Hoheit das Hotel ausgestattet hatte. Für jedes Stück machte er eine Aufzeichnung im Register, gab den Gehilfen einen Wink und, von festen Fäusten gepackt, wanderte das betreffende Möbel durch die Tür hinaus, trotz der entrüsteten Proteste der alten Dame.

»Seine Hoheit haben nur den Wunsch, den Platz zu räumen«, war alles, was er zur Antwort gab. »Denn die Mietsquittung haben Sie doch in Händen, und Sie bleiben doch hier?«

»Ich bleibe! Und die Möbel auch!«

»Seine Hoheit haben befohlen, für die Meubles Seiner Herrlichkeit des Mylord Arundel Platz zu machen«, antwortete der Vollstrecker des prinzlichen Zornes trocken und räumte in aller Gemütsruhe Zimmer nach Zimmer aus, bis nur noch das Boudoir und das Schlafzimmer übrig waren.

Da pflanzte sich die Signora mit ausgebreiteten Armen vor der Tür auf.

»Nur über meine Leiche kommt Ihr da hinein! – Keinen Stuhl, keinen Schemel, auch nicht das geringste Stück der Einrichtung nehmt Ihr von dort mit!«

»Seine Hoheit legen keinen Wert auf die Ausstattung des entweihten inneren Heiligtums«, antwortete der alte Registrator des galanten Inventars. »Alles, was geeignet wäre, peinliche Erinnerungen oder bittere Empfindungen zu erwecken, bleibt hier und mag auch ferner der Untreue dienen! Aber die kostbaren Spitzen aus Brabant, die alten Juwelen und sonstigen Schmucksachen, wie sie hier verzeichnet sind« – er klappte ein zweites, noch umfangreicheres Register auf –, »haben Hoheit mir befohlen, wieder in Empfang zu nehmen!«

»Er fordert seine Geschenke zurück!«

»Hoheit erachten sich für unwürdig, den schönen Leib Eurer Tochter zu schmücken, den sie fortan von anderen Anbetern verzieren lassen will! Dürfte ich bitten, die Sachen herbeischaffen zu wollen und so meine Aufgabe zu erleichtern?«

»Niemals!« schrie die alte Frau, entsetzt, eines so ansehnlichen Teiles ihres Gewinns beraubt zu werden. Aber sie hatte die Empfindungen ihrer Tochter außer Berechnung gelassen.

Babara, die sich allmählich von der Überraschung erholt hatte, war durch ihre Kammerjungfer von der Ausräumung ihres Hauses benachrichtigt worden und trat jetzt voller Zorn aus ihrem Boudoir heraus.

»Nichts – gar nichts will ich von ihm haben«, rief sie, streifte Armbänder und Ringe ab und warf sie dem Exekutor zu. »Da, nehmt nur! Und da!« Sie zeigte auf die Schatullen und Kästen, die ihre Zofe hinter ihr hertrug. – »Schaut nur genau nach, daß nichts fehlt! – Die Roben, schnell! – Die Spitzen – das brokatne Zeug – schnell, her damit! Fort aus meinen Augen mit allem, was an diesen alten Gecken erinnert!«

Sie unterbrach ihre Rede und eilte ans Fenster, durch das sie Peitschenknall und rollende Räder gehört hatte.

»Ich wüßte nicht, daß ich den Wagen befohlen hätte!« rief sie, schwieg aber plötzlich, als sie das höhnende Lächeln des Abgesandten ihres bisherigen Gebieters sah.

»Die Mühe haben Seine Hoheit Ihnen abzunehmen geruht!« sagte er spöttisch. »Mademoiselle werden es unzweifelhaft vorziehen, eine andere Equipage bei Dero Ausfahrten zu benutzen? Die Stallungen des Hotels sind klein. Das Palais Soissons bietet mehr Platz! Seine Herrlichkeit, Mylord Arundel, bevorzugen ja das Vollblut, und die Schimmel meines Gebieters würden schwerlich Gnade vor seinen Augen gefunden haben! – Auch den Goldfüchsen Seiner Herrlichkeit wünschen Hoheit Platz zu schaffen. Und so beehre ich mich, seine Entschließung mitzuteilen, daß er auf die Auszahlung der Mademoiselle zugesicherten Rente von tausend Louis von heute ab verzichtet!«

Womit der brave Thunet sein Register zuklappte und nach einer steifen Verbeugung das nunmehr leere Zimmer verließ, das der aus allen Himmeln gestürzten Signora Campanini nicht das geringste Möbel mehr darbot, auf das sie hätte in Ohnmacht sinken können!

»Wir sind blamiert! Wir sind vor aller Welt lächerlich gemacht!« seufzte sie.

»Wenn's nur aller Welt gefällt, mich in Ruhe zu lassen, mir soll's recht sein!«

»Womit willst du den Lord Arundel empfangen? Auf der Erde kannst du nicht mit ihm soupieren!«

»Lord Arundel wird eben nach Hause geschickt!« sagte Babara gelassen.

»Du bist eine Undankbare! – Du wirst mich noch ins Grab bringen! Ach, ich Unglückliche! Ach, ich Armselige! Hättest du nur nicht Fossano vor den Kopf gestoßen! Dem Elenden verdanken wir dies alles!«

»Ich werde es ihm auch zu danken wissen! Einen größeren Gefallen als heute hätte er mir nicht erweisen können!«

»Du redest wie eine Irrsinnige!«

»Ich rede wie eine, die bis jetzt im Traum gelebt hat und plötzlich erwacht! So ist's! Denn jetzt sehe ich klar, wo ich war und wo ich nicht mehr sein will! Und ich freue mich, endlich frei zu sein! Dies ganze abscheuliche Leben, zu dem ihr – du und er – mich gezwungen habt, widert mich an! Ekel ist alles, was ich dabei empfunden habe! – Ekel vor mir selbst – Ekel vor einer Welt, die ihre Gunst nur um den Preis der Selbstschändung verkauft! Das soll jetzt aber ein Ende haben! Das mache ich nicht mehr mit!«

»Was willst du denn tun? – Wovon gedenkst du zu leben?«

»Von meiner künstlerischen Leistung! Die soll man mir bezahlen – meine Person aber fortan in Ruhe lassen! Ich kann das verlangen!«

»Dann kennst du die Welt nicht!«

»Dafür weiß ich mit mir Bescheid. Und auch, daß ich niemals den Gipfel der Kunst erklimmen werde – niemals das Göttliche erreichen, was mir im Augenblick des künstlerischen Rausches vorschwebt, wenn ich noch an äußeren Erfolg und Schätzesammeln denke! Niemals werde ich das Gefühl der Erdenschwere los, das mich auch in den Augenblicken der höchsten Wonne herabzieht – wenn ich nicht mit aller Macht gegen das Lotterleben ankämpfe, in das du – und jener Elende mich hineingezogen habt!«

Sie kehrte der alten Frau den Rücken, setzte sich an den Schreibtisch, warf rasch ein paar Zeilen auf einen Briefbogen hin, faltete ihn zusammen, schrieb die Adresse, klingelte und reichte ihn der Zofe.

»An Mylord Arundel!« sagte sie. »Sofort durch Boten hinsenden! Und – daß du's dir merkst –, künftig bin ich für niemand zu Hause! Der Marquis von Thibouville, der Prinz von Gobriant, der Herzog von Durfort – alle ohne Ausnahme werden sie fortgeschickt! Und du auch, auf der Stelle, falls du dich unterstehst, auch nur einen einzigen zu melden, unter welchem Vorwand es auch sein mag! – Halt!« rief sie der Zofe zu, die sich eben entfernen wollte. – »Geh noch zur Oper, melde mich krank! – Sterbenskrank, verstehst du? – Ich tanze heute nicht und morgen auch nicht! Auch kannst du ein Wort fallen lassen, daß ich, sobald ich meine Kräfte wiedergewonnen habe, Paris verlasse und nach London gehe!«

Die Zofe ging.

Die Mama fand endlich Worte.

»Du denkst in allem Ernst daran, nicht mehr aufzutreten?«

»Ich betrete die Oper nicht mehr! Ich werde auch bei Hofe nicht mehr tanzen!«

»Aber der Befehl des Königs?«

»Gilt nur für seinen Generalinspekteur der Oper! Mag er sehen, wie er den Befehl befolgen kann! Mich kümmert's nicht!«

»Er hat die Macht, dich zu zwingen!«

»Nichts kann mich zwingen, wenn ich nicht will! Das wird der Prinz zu wissen bekommen! Ich tanze nicht, und wenn er mich kniefällig um Verzeihung bittet! Ich werde ihn schon klein kriegen!«

Und dann setzte sie sich endlich hin, um ihre Schokolade zu trinken, und trällerte vergnügt wie ein aus dem Bauer entschlüpfter Vogel!


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