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Sie machte so schnelle Fortschritte, daß er nicht aus dem Staunen herauskam. Sie bewältigte alles spielend leicht. – Es gab für sie keine Schwierigkeiten! Ihr Körper, elastisch wie eine Stahlfeder, war von der höchsten Harmonie der Formen, der größten Ausgeglichenheit der Glieder und einer fabelhaften Leichtigkeit der Bewegung. Der Tanz auf den Fußspitzen machte ihr gar keine Schwierigkeiten. In Sprüngen hatte sie nicht ihresgleichen. Sie hatte Rasse, Temperament und einen sprudelnden Humor, der sie für die burlesken Tänze ebenso geeignet machte wie für die seriösen. Aber bei allem Tempo und allem Übermut war über dem Ganzen doch eine Keuschheit und eine Unberührtheit, als tanze sie im Traum.

Es wurde bald Zeit, sie ins wache Leben zu führen, ihr die Schleier von den Augen zu reißen. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, jeden Morgen vor Beginn der Probe in den Dom zu gehen. Es zog sie immer wieder hin. Es war ihr, als hole sie sich von dort die rechte Weihe und die Sicherheit, der sie bedurfte, um, ohne nach rechts und links zu sehen, vorwärts zum Ziel ihres Ehrgeizes zu kommen.

»Dir zu Ehren – nur dir zu Ehren«, seufzte sie reuig, als ihr der Ehrgeiz zusetzte, und beugte ihr Köpfchen im Gebet. Und sie zwang sich mit Gewalt, an gar nichts als an ihre Pflicht zu denken! Keine Wünsche durften aufkommen, wie sehr das Leben ihren jungen Sinn auch lockte! Alles rang sie heldenmütig nieder, treu ihres Eides eingedenk!

Fossano sah es. Aber er sah auch, daß es nicht mehr lange so gehen durfte! Denn sonst wäre sie auch so für die Kunst verloren! – Sonst würde ihr eines Tages klar werden, daß ihre Kunst eben die Kunst der höchsten Sinnenlust und also verwerflich wäre! Und eine Heilige zu züchten, lag ihrem Lehrmeister ganz fern!

Eines Tages holte er sie aus dem Dom zur Tanzstunde ab. Er fand sie unter der Kuppel wie das erstemal, verzückt in den offenen Himmel Correggios schauend.

»Weißt du noch, Baberina, wie du mir das erstemal, als wir uns hier trafen, davonliefst?«

Sie nickte.

»Hinauf zu wollen und hier unten bleiben zu müssen – – das ist der Tanz! So sagte ich dir damals – und versprach, dich durch die Kunst damit zu versöhnen! Ich wollte dir die Welt in ihrer ganzen Schönheit zeigen und sie dir erringen helfen! Weißt du noch?«

Sie nickte wieder, ohne ihren Blick von ihm zu wenden.

»Jetzt ist's Zeit für mich, mein Versprechen zu halten! Jetzt ist dein Wille hinauf stark genug, um nicht im Rausch des Lebens verlorenzugehen! – Jetzt wirst du dich mit der Welt aussöhnen, in der du doch leben mußt – sie in Besitz nehmen und über sie gebieten!«

»Ich versteh nicht!«

»Du bist eben noch blind! Ich will dich sehend machen! Was siehst du da oben? – Die Befreiung – nicht wahr?«

»Ja.«

»Aber auch die Gefangenschaft ist da! Und die siehst du nicht.«

»Nein.«

»Sie ist aber da. Und du siehst sie nicht, weil du immer noch Psyche bist, von deiner unbewußten Sehnsucht gehoben – ebenso gefangen wie sie, aber ohne es zu wissen. Werde wissend – werde Maria! Tauche unter ins Leid! Nimm das Märtyrertum des Weibes auf dich! Steig hinab in die Welt der Sinne, aber ohne dich selbst zu verlieren! Tauche unter in Lust, aber ohne die Reinheit einzubüßen! Töte das Fleisch ab, indem du es befriedigst! Blicke nur nach oben, aber lebe hier unten, solange du lebst! Sieh, da oben, wie hat er – Meister Correggio – da das Fleisch in seiner ganzen göttlichen Majestät zu schildern gewußt, von Sehnsucht nach Liebe verklärt! – Sieh all die schönen Körper, wie sie sich umschlingen – wie sie drängen – wie sie sich gegenseitig heben – und hinabziehen im ewigen Kampf, im ewigen Spiel der höchsten Lust! Es ist ein Ringen, ein Drängen, ein gemeinsames Aufgehen der Körper in Wolken, ein Auflösen der Wolken in Licht! Der Kampf mit der Erdenschwere wird da ausgefochten! Ohne den gibt's keine Bewegung! Ohne Bewegung keine Freiheit, und deshalb zeigt jene Gestalt, die in der Mitte als Wegweiser schwebt, wohl den Weg nach oben, drängt aber nach unten! – Denn nur der Geist kann hinauf! Der Leib darf nicht mit! – Er muß erst im Sturme der Leidenschaft vergehen – im Tanze der Lebenslust sich befreien – im Fegefeuer der Passionen geläutert werden – –«

»Hör auf«, rief sie und hielt sich die Ohren zu, »fälsche mir nicht das Heiligste, was ich habe! – Laß es mir so, wie ich's immer gesehen habe –Ich will nicht – will nicht mit deinen Augen sehen!«

»Mit deinen, aber nach meiner Art«, antwortete er. »Denn die ist die wahre, weil ich die Erfahrung habe und das Leben kenne – das Leben, das auch du zu leben hast!«

»Ich will nicht – ich will nicht«, schrie sie und wollte ihm wieder entlaufen.

Er hatte es aber erwartet und hielt sie fest.

»Jetzt läufst du mir nicht davon«, lachte er, »jetzt halte ich dich. Komm, gehen wir an die Arbeit! Heute wirst du wieder die Psyche studieren – den zweiten Teil ihrer Sage wollen wir jetzt inszenieren – wo sie allmählich sehend und wissend wird!«

Und er zog sie mit aus der Kirche und führte sie am Arm nach dem Theater hin.

Unterwegs erzählte er ihr die Geschichte Psyches, wie er sie weiter zu gestalten dachte – wie sie, allmählich durch Leiden zur Einkehr gebracht, sich ihres eigenen Wesens bewußt wird und so Tatkraft gewinnt – wie sie durch Beharrlichkeit und vertrauensvolle Demut das Unmögliche möglich macht, jede, auch die schwerste Prüfung besteht, vergebens an das Mitleid der göttlichen Mächte sich wendet, sich selbst überlassen, ihr Leid auf sich nimmt und mit ihrem Schicksal ringt, wie sie endlich geläutert und verklärt in den Kreis der ewigen Götter aufgenommen wird und an deren heiterem Leben teilnehmen darf. Und schließlich, wie sie selbst Göttin und Mutter wird, nachdem sie würdig befunden wurde, dem Gott der Liebe Gattin zu sein!

»Die Sehnsucht – der ewig unbefriedigte Trieb über sich selbst hinaus – Psyche, die so die Liebe beseelt und belebt, gebiert dann – die Wollust, die höchste Blume des Lebens! Denn Wollust nannten die Götter ihr Kind, das sie dem Amor gebar! Die Wollust ist nichts Irdisches! – Die Wollust ist etwas, was nur in der Phantasie lebt! – Der höchste Rausch des Geistes, das letzte Mysterium der Berufenen! Nur die Frau, die sich jenem holden Wahn ganz hinzugeben versteht und in der Hingabe ganz aufgeht, nur die ist wert, als segenspendende Priesterin hier im Leben zu walten, über dem Leben zu stehen und vor allen anderen geehrt zu werden.

Bloß geben, ohne an den Empfänger zu denken – so gibst du allen, weil du dich keinem weihst. Und entweihst die Gabe nicht durch selbstsüchtigen Vorbehalt. Opfern in tiefster vollster Bedeutung der Tat – ganz und ohne Nebengedanken im Opfern aufgehen, das ist die Gottheit Psyches!«

So drang er Schritt für Schritt in die Unberührtheit ihrer Seele ein und wühlte sie auf. Fliegenden Atems hörte sie zu. Die Augen halb geschlossen, ging sie an seiner Seite und sog Wort für Wort ein, ohne den Sinn noch ganz zu fassen, aber ihm mit ihrer Ahnung entgegenschwellend, bis die Spannung ganz unleidlich wurde und alles in ihr nach Erlösung drängte.

Da zur rechten Zeit hörte er auf und fing an, nachdem er die Grundstimmung gegeben hatte, Szene für Szene den Leidensweg der Psyche zu schildern, und wie er ihn darstellen wollte – wie sie zu Pan kommt – wie sie in den Tempel der Ceres, der Göttin der Fruchtbarkeit, flüchtet und, von dort vertrieben, in den Tempel Heras, der Göttin der Ehe – wie sie, von dort vertrieben, in die Hände der rachsüchtigen Göttin Venus fällt, von ihr und ihren Helfershelferinnen: »Angst und Verlassenheit« durch den Schmutz geschleift, geschlagen und geschunden wird, und wie sie doch ihre Liebe zu Amor rein im Herzen behält und, aller Erniedrigung zum Trotz, ihrem hehren Ideal treu bleibt und endlich als Lohn ihrer Treue gegen sich selbst unter die ewigen Götter aufgenommen wird.

So wurde bei seiner Erzählung das Wort zum greifbaren Bild – die Empfindung zum wirklichen Geschehnis – immer näher brachte er sie dem Kern der Sache, immer klarer begann sie zu sehen, und doch war da ein Letztes, das ihr verschlossen blieb. Da konnte ihr nur noch ein Erlebnis helfen, da nützte keine noch so geschickte Erklärung.

Und das Erlebnis kam.

»Die letzte Szene wollen wir heute einstudieren, die Szene, wo Psyche, in den Kreis der Götter hineingeführt, ihnen den Tanz der Schleier tanzt, den letzten verhüllenden Erdenrest abstreift, um im Glanz ihrer Schönheit und Anmut zu siegen und sich die Gottheit zu erobern. Denn darauf kommt es an. Kannst du das bewältigen, dann wirst du mir helfen, die Sage der Psyche zu gestalten, und dann wird dein Triumph tausendmal größer werden als beim ersten Teil.«

Im Probesaal des Theaters angelangt, fing er gleich an mit ihr zu arbeiten, und er brauchte sich nicht viel Mühe zu geben.

Wie sie da, tief in Schleier gehüllt, die Arme über der Brust gekreuzt, den Kopf leicht geneigt und ehrerbietig grüßend, in den Kreis hineinschreitet, stehenbleibt und, zaghaft beschämt, kaum ihr liebliches Gesichtchen zu entschleiern wagt – wie sie, erstarrt über den Glanz, stehenbleibt – wie von der Musik gestreichelt die Starrheit sich löst – die Glieder sich recken, dem ganzen Leib so allmählich Bewegung einflößend – das zaghafte Schreiten – das scheue Zurückweichen, das allmählich in rhythmisch bewegte Biegungen und Drehungen übergeht – und dann ein Vorwärtsstürmen, daß der, die ganze Gestalt bis jetzt verhüllende, erste Schleier sich löst – davonflattert und liegenbleibt – das Zusammenraffen des zweiten Schleiers, das allmählich einsetzende neckische Spiel damit, bis er auch halb zufällig, halb absichtlich fällt und noch mehr enthüllt – – die mit der allmählichen Befreiung immer schneller werdenden Rhythmen, das Umherwirbeln im aufjauchzenden Gefühl, das jähe Abwerfen des einen Schleiers nach dem andern – bis der letzte fiel – das kam alles heraus mit einer ungezwungenen Natürlichkeit, mit einer Naivität, die ihn entzückte – bis eben der letzte Schleier fiel. Dann war's aus – dann war sie wieder die kleine Baberina, die in ihrem kurzen Tanzrock vor ihm stand und ihn fragend anblickte. Und er ließ sie nicht auf Antwort warten.

»Was fühltest du, als der letzte Schleier fiel?« rief er aufgeregt.

»Ich weiß nicht!«

»Fühltest du nicht, daß du nackt warst?«

»Nein«, sagte sie kopfschüttelnd und blickte ihn fragend an. Wie kam er nur darauf?

»Das mußt du aber – darauf zielt der ganze Tanz – – das hast du auch ausgezeichnet angedeutet und vorbereitet. Du mußt dich nackt fühlen!«

»Aber ich bin's ja nicht!«

Er lachte auf.

»Das ist es eben. Du mußt dann jenen Tanz – nackt vor mir tanzen!«

Sie wich zurück und erhob die Hände zur Abwehr.

»Was sträubst du dich? Was ist denn dabei? Brauchst du dich denn zu schämen, dich so zu zeigen, wie die Natur dich geschaffen hat? Du am allerwenigsten! Jetzt darfst du es – jetzt mußt du es. Du bist jetzt in deiner Kunst so weit, daß du den letzten Schleier fallen lassen kannst! – Wenn du weiter willst, wenn du nicht stehenbleiben willst, mußt du es! – Tu's, Baberina, entschleiere dich mir – mir allein sollst du jenen Tanz so tanzen, wie er wirklich ist – den anderen nicht – auf der Bühne nicht! Willst du ihn aber auf der Bühne richtig und mit voller Wirkung geben, dann mußt du erst jenes Gefühl: nackt – entblößt – dazustehen, wirklich erlebt haben! Dann erst hast du es erfaßt und kannst es geben, auch ohne die letzte Hülle fallen zu lassen und dich vor den Augen der schaulustigen Menge zur Schau zu stellen! Nur so will ich es – nur das will ich von dir!«

Sie stand in höchster Aufregung da, die Hände vor den Augen, und atmete heftig.

»Ich kann's nicht! Ich will nicht! Nie und nimmer!«

»Du mußt!«

»Nein, nein!«

»Du hast es geschworen!«

»Das habe ich nicht!«

»Alles, was die heilige Kunst von dir verlangt, das zu tun, hast du geschworen! – Sie verlangt es jetzt von dir durch mich, durch deinen Lehrer!«

Sie starrte ihn entsetzt an.

»Was starrst du mich so an? Bin ich dir so fremd? Sind wir nicht gute Freunde geworden? Bin ich dir nicht schon mehr als ein Freund?«

»Mein Vater sind Sie«, flüsterte sie und wollte seine Hand küssen.

»Nicht so, Baberina, nicht Vater bin ich dir, auch nicht mehr Lehrer – nicht so!« Er verwehrte ihr den Handkuß und zog sie an seine Brust, küßte ihr die Stirn und die zitternden Lippen. »Ich liebe dich – ich liebe dich mehr als mein Leben! – Werde mein, und ich werde dich zu der glücklichsten – zu der größten Künstlerin machen, die je da war – nur so kann ich es!«

Er wollte sie glücklich machen! Warum bat er sie nicht, ihn zu dem Glücklichsten zu machen? Im höchsten Sturm der Erregung horchte sie bei dem Gedanken auf, es überlief sie kalt, sie riß sich los und stand auf einmal hochaufgerichtet vor ihm. Unheimlich leuchtete es aus ihren Augen, als sie fanatisch rief:

»Ich habe geschworen, ja, so zu bleiben, wie's die heilige Kunst von mir verlangt! Und ich halte meinen Eid, auch wenn du selbst mich in Versuchung bringst! Wenn das die Kunst von mir verlangt, so bin ich unwürdig, ihre Dienerin zu sein! Sie verlangt's aber nicht! Und du auch nicht! Du willst mich nur prüfen

Da packte er sie wieder und bedeckte ihr Gesicht mit den leidenschaftlichsten Küssen.

»Zum Teufel mit der Kunst«, rief er, »was ist mir die Kunst?! Das Leben will ich, dich will ich, weiter nichts! Und du mußt – du willst es ja – du liebst mich! Tausendmal hab' ich's dir aus den Augen gelesen! Komm, sei mein – – gib dich mir – Baberina!«

Da wußte sie, daß das keine Prüfung war, ob sie ihrem Eid treu bleiben wolle oder nicht! Sie fühlte, daß er sie betrogen hatte – daß er sie der Welt gegenüber bewahrt hatte, bloß um sich selbst ihres Besitzes zu erfreuen! Mit verbundenen Augen hatte sie sich von ihm bis dicht an den Rand eines Abgrundes führen lassen, und jetzt war ihr auf einmal die Binde von den Augen gerissen! Sie sah, wo sie war! Sie wußte nicht mehr, wohin – wußte nur, daß sie schnell zurück mußte, um ihr Leben zu retten! Und mit Aufbietung ihrer letzten Kraft riß sie sich los, stieß ihn von sich und floh, so schnell, daß er sie nicht mehr zu hindern vermochte! Sie kam in höchster Aufregung nach Hause und teilte ihrer Mutter mit, sie hätte das Tanzen aufgegeben, sie hätte es jetzt satt und wollte nunmehr den Schleier nehmen und den Rest ihrer Tage im Kloster verbringen!

Fossano stand allein und stampfte vor Wut. Er war ärgerlich über sich selbst! – Er war zu schnell vorgegangen! Trotz aller Behutsamkeit war die Enthüllung zu jäh gekommen, und er hatte das Wild verscheucht!

Jetzt würde das Einfangen doppelt schwer werden!

Er würde aber nicht von ihr lassen! Was hieß das auch, so vor ihm davonzulaufen? War er nicht Fossano, dem alle Weiber nachstellen – der nur die Hand auszustrecken und zu winken brauchte, damit sie ihm an den Hals flogen?! Und jetzt diese Sprödheit, dies dumme Getue, als wäre sie Gott weiß was! Die blöde Person! Er hatte die Gnade haben wollen, sie zu sich emporzuheben – und die Gnade sollte ihr zuteil werden, ob sie wollte oder nicht! Er würde ihr schon zeigen, wer er war!


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