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10

Seine Hoheit verbrachte eine schlaflose Nacht.

Das Fehlschlagen seines Planes mit Barberina war für ihn eine Katastrophe, die seine schönsten Hoffnungen vernichtete. Statt, wie er gehofft hatte, die Geschicke des Welttheaters zu lenken, war er mit einem Schlage in seine frühere Einflußlosigkeit zurückgeworfen und mußte sich auf die kleine Welt der königlichen Theater beschränken, wo niemand ihn respektierte – wo die kleinste Choristin ihn auslachen konnte.

In aller Frühe ließ er Fossano rufen, der nach langem Warten endlich erschien, müde, verschlafen und ebenso verärgert wie Hoheit selbst.

Er wurde mit den heftigsten Vorwürfen empfangen.

»Sie haben mich betrogen, Signore! Sie haben mich hintergangen! Sie haben die Barberina als eine makellose Künstlerin bei mir eingeführt! Sie haben ihre Gebrechen verheimlicht! – Diese scheußliche Verunstaltung, von der Sie wissen mußten, haben Sie verschwiegen! Sie haben mich blamiert, den ganzen Hof degoutiert – den Zorn des allerchristlichsten Königs gegen mich heraufbeschworen! Ist das der Dank für meine Protektion? – Schweigen Sie! – Reden Sie nicht! Machen Sie Ihre Verfehlung nicht durch Ausflüchte noch schlimmer! – Von jenem Leberfleck haben Sie gewußt! – Was sage ich, ›Fleck‹? Eine Landkarte war's! – Wer so etwas hat, zeigt sich nicht nackt – oder verdeckt sein Gebrechen mit Schminke! – Man renommiert doch nicht mit seiner Abstammung von Negern! Man kokettiert nicht mit einer Haut wie Ebenholz! Man tritt nicht vor den Augen Seiner Majestät auf, um seinen Schönheitssinn zu beleidigen und seine Geduld auf die Probe zu setzen! – Man erklärt sich unwürdig und bleibt dem Hofe fern! – – Und Sie selbst – wie haben Sie getanzt?! Miserabel – ganz miserabel!«

»Ich war wahnsinnig vor Eifersucht!«

» Mon Dieu, fangen Sie nicht auch an, mit solchen altmodischen Gefühlen zu prahlen! – Wären Sie wenigstens der alte geblieben! Hätten Sie's verstanden, alle Augen auf sich zu lenken wie früher! Da war Ihr Auftreten immer eine Sensation! Seine Majestät waren charmiert, haben mich stets komplimentiert! Und gestern kein Wort – keine Miene verzogen! Nicht einmal das übliche, befriedigte ›Ah‹ bei Ihrem Erscheinen! Ich weiß nicht, ob ich Sie noch auftreten lassen kann!«

»Hoheit müssen mich verstehen! Ich bin doch auch nur ein Mensch! Und sie quält mich! Bei jedem Auftreten bringt sie mich außer mir durch ihr verächtliches Benehmen! – So auch gestern! Ich verlor ganz den Kopf! Die kühle Ruhe, die zum überlegenen Tanzen nötig ist, war hin! Statt mich ganz in die Lösung der künstlerischen Aufgabe zu versenken, dachte ich nur an sie! – Diese einzige Schönheit, die ich wie ein Juwel gehütet hatte und die seit dem einen Male, wo sie sich mir unverhüllt offenbarte, allen anderen Augen unzugänglich war, sollte jetzt den lüsternen Blicken dieser Roués der Hofgesellschaft preisgegeben und als Dekoration eines höfischen Festes zur Schau gestellt werden! Das machte mich verrückt! Ich tanzte schlecht! Insofern verdiene ich die Vorwürfe Eurer Hoheit!«

»Sehen Sie!«

»Dann kam aber statt des Triumphs der eklatante Mißerfolg Barberinas! Das hat mich wieder aufgerichtet! Jetzt bin ich wieder Herr meiner selbst! Jetzt bin ich wieder der alte! Wenn Hoheit jetzt befehlen, lege ich mir wieder Paris zu Füßen!«

»Umsonst, mein Lieber! Sie werden nie wieder bei Hofe tanzen! Sie haben mich betrogen! Sie haben mich schwer getäuscht! Wenn Sie jene Dame so intim kannten, hätten Sie mich auf jenes Gebrechen aufmerksam machen müssen!«

»Wenn jenes Gebrechen wirklich existierte, hätte ich es getan!«

»Sie wagen zu leugnen, was alle Welt gesehen hat?!«

»Hoheit müssen es doch selbst am besten wissen! Hoheit haben ja die Gnade gehabt, ihr ein Hotel einzurichten! Hoheit gelten doch vor aller Welt als ihr bevorzugter Beschützer!

Mon Dieu! – Das ist eine Sache für sich! Die Intimität aber auch! Und – Sie wissen – ich war durch mein Amt am Hofe die letzte Zeit sehr in Anspruch genommen! Dienstlich verhindert sozusagen!«

»Dann wäre es wohl angebracht, wenn Hoheit sich jetzt herbeiließen, sich Höchstselbst vom Vorhandensein jenes ominösen Leberfleckens zu überzeugen – –?«

»Wozu? – Er ist vorhanden, nachdem unser allerchristlichster König geruht haben, es Allerhöchstselbst zu konstatieren!«

»Sollte es nicht möglich sein, daß jener Fleck auf einen Fehler im Glase der Allerhöchsten Lorgnette zurückzuführen wäre?«

»Sie geben mir eine Idee!«

»Nicht wahr – Hoheit haben selbst nichts gesehen?«

»Ich? Nein! Allerdings nicht!«

»Wollen denn Hoheit sich nicht nochmals durch Augenschein überzeugen?«

»Aber mit Vergnügen! – Nur möchte ich wissen wie?«

»Hoheit werden wohl als bevorzugter Beschützer jederzeit freien und unbehinderten Zutritt zu ihrem Räumen haben?«

»Das schon! Selbstverständlich habe ich das! Aber haben – – und Gebrauch davon machen! – Mein Lieber, man überrascht eine Dame doch nicht so –!«

»Wenn man sie liebt – –«

» Mon Dieu! – Kommen Sie mir wieder mit jenem – Gefühl? Man hat eine Laune – heute diese, morgen jene – aber lieben, sich fesseln lassen – sich in jener vorsintflutlichen Weise echauffieren! – Was denken Sie von mir?«

»Auf alle Fälle gilt es, hier einen Irrtum aufzuklären – und zwar einen, dessen Folgen sonst verhängnisvoll sein könnten! – Da nimmt man keine Rücksicht!«

»Sie haben recht! Wir wollen uns gewissermaßen als Gerichtskommission konstituieren! Denn Sie müssen dabei sein. Wir wollen uns zu ihr begeben!«

Carignan klingelte. Der Kammerdiener erschien.

»Den goldenen Schlüssel!«

»Welchen befehlen Hoheit?«

»Den letzten!«

»Also Rue Viviennes?«

»Rue Viviennes, Schafskopf! Und dann sofort ein Kupee ohne Livree!«

»Das Kupee steht, wie immer, bereit!« antwortete der Kammerdiener und verschwand, um gleich danach mit einem purpurnen Kissen zurückzukehren, auf dem ein goldener Schlüssel ruhte.

Der Herzog nahm ihn, winkte Fossano und ging. So schnell wie möglich ließ er sich nach dem kleinen Hotel in der Rue Viviennes fahren, wo Barberina residierte, fuhr aber nicht an der Treppe vor, sondern ließ an dem kleinen Gartentor an der hinteren Seite des Parks halten, das stets verschlossen war.

Er öffnete es mit dem goldenen Schlüssel, desgleichen die Tür einer geheimen Treppe, deren Vorhandensein Barberina unbekannt war, und die direkt zu ihrem Schlafzimmer führte – stieg hinauf, von Fossano gefolgt, und blieb lauschend an einer Tür stehen.

»Kein Laut!« flüsterte er nach langem Horchen. »Sie wird noch schlafen!«

»Sicher!« sagte Fossano. »Wenn sie keine Probe hat, schläft sie bis in den Nachmittag!«

»Gehen wir hinein!« flüsterte der Prinz, schob vorsichtig den sämtlichen Schlössern angepaßten Schlüssel ins Loch und drehte ihn um.

Sie standen im Allerheiligsten. Ein betäubender Duft von starkem Parfüm schlug ihnen entgegen. Anfangs konnten sie, vom Sonnenschein draußen geblendet, nichts sehen. Aber allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel. – Das Himmelbett mit seinen zugezogenen Vorhängen aus rosaseidenem Brokat – die nachlässig auf alle Möbel hingeworfenen Kleidungsstücke – die goldgestickten kleinen Pantoffeln am Bett – die Schmucksachen auf der von Kristallflakons funkelnden Toilette traten so allmählich nebelhaft in Erscheinung.

Auf den Fußspitzen schlichen sie an das Bett heran und lauschten den ruhigen Atemzügen der hinter den Vorhängen Schlafenden.

»Sie wacht nicht auf!« flüsterte Fossano beruhigend. »Hoheit können ruhig näher treten! Wenn sie so schläft, könnte höchstens ein Pistolenschuß sie wecken!«

»Schweigen Sie! Machen Sie hell!« kommandierte der Prinz. Und Fossano tastete sich an das Fenster heran, zog die dichten Vorhänge zur Seite und ließ die Sonne herein, kam dann auf den Wink des Prinzen wieder ans Bett heran und hob den Bettvorhang vorsichtig auf.

Hoheit trippelte auf leichten Füßen näher, hielt das Lorgnon an die Augen, beugte sich vor, faßte mit eleganter Handbewegung den Zipfel der Bettdecke, hob sie hoch – ließ sie aber mit einem Ausruf der zornigsten Überraschung fallen und wankte zurück.

»Was gibt's?« fragte Fossano.

» Mon Dieu! – Aber so sehen Sie doch! Sehen Sie selbst!«

Fossano schlich näher. Ein Blick genügte. Auf dem Kissen neben Barberina ruhte – der jugendliche Kopf des Herzogs von Durfort!

»Diese Infamie!« rief der Prinz mit halberstickter Stimme. »Diese unerhörte Treulosigkeit! Was mache ich nun mit dieser liederlichen Kreatur?«

»Hoheit sind hier der Herr und Gebieter!«

»Und Sie meinen, ich sollte hier den eifersüchtigen Betrogenen spielen?! Lächerlich!«

»Wenn's gilt, der Lächerlichkeit zu entgehen – ja!« sagte Fossano und verbeugte sich. »Hoheit werden aber gestatten, daß ich mich vorher entferne!«

»Sie lassen mich im Stich?!«

»Dergleichen wird gewöhnlich nur unter den direkt Beteiligten ausgemacht! Hoheit wollen doch keine Blamage!« versetzte Fossano, schadenfroh lächelnd, schlüpfte durch die Tür nach der Wohnung hinaus und überließ den Prinzen seinem Schicksal.

Die arme Hoheit stand da, blickte unsicher bald nach dem Bett, aus dem ihm das unbefangenste Schnarchduett entgegentönte – bald nach der Tür, durch die er gekommen war – konnte sich aber nicht entschließen.

Wäre er allein gekommen – sicherlich wäre er seines Weges gegangen – er hätte ihr den Laufpaß gegeben, und die Sache wäre ohne Aufregung abgelaufen!

Aber jetzt hatte er einen Zeugen gehabt! – Jetzt ging's nicht ohne weiteres! Seine Reputation verlangte eine Aktion – oder man würde über ihn lachen! – Entsetzlich! Ihn, den Prinzen von Carignan, sollte man wegen einer hergelaufenen Tänzerin lächerlich machen können!

Er machte entschlossen einen Schritt auf das Bett zu. Die Knie wankten ihm, er sank auf ein Taburett nieder und wischte sich mit dem Spitzentaschentuch den Angstschweiß aus dem Gesicht, der schon durch die dick aufgetragene Schminke hindurchsickerte.

»Mein Gott, was mache ich nur?« flüsterte er. Aber sein gequälter Seufzer fand bei dem ruhigen, zufriedenen Schnarchen der Schlafenden nur eine alles andere denn beruhigende Antwort!


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