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8

Es war die Zeit der ersten Mätressenschau im Leben des fünfzehnten Ludwig.

Das königliche Glücksschiff hatte, nach anfänglichem Zögern, den Hafen der ehelichen Treue verlassen und trieb noch etwas unsicher und ohne Führung auf dem Meere Kytheres umher.

Bange Ungewißheit hatte den Sinn der getreuen Untertanen ergriffen. Würde es, nach glücklicher Lustfahrt, mit Ehren und Ruhm reich beladen, in den schützenden Hafen zurückkehren oder, von ungeschickter Hand gelenkt, kläglich scheitern?

Jeder fühlte sich berufen, hier die Führerschaft an sich zu reißen! Ehrgeiz und Eigennutz waren am Werke; Neid und Verleumdung ebenso. Ein erbitterter Kampf im dunkeln wurde zwischen den verschiedenen Parteien geführt – Kabalen wurden gesponnen – Intrigen entlarvt. Denn die Frucht des Sieges war auch der Mühe wert. Wer es vermochte, die Lenkstange an sich zu reißen, dessen Wille beherrschte die Fahrt. Ein unmerklicher Druck der Hand war imstande, das Ziel zu verrücken und das allgemeine Interesse in die Bahn des Einzelvorteils zu steuern.

Das Schlafzimmer des Königs war die Brutstätte der allerhöchsten Entschließungen, denen Frankreich – und, wenn's gelang, die ganze Welt – zu gehorchen hatte. Wer da der Trägheit des Königs die Mühe des Entschlusses möglichst schmerzlos – das heißt: möglichst unmerklich – abzunehmen verstand, hatte gewonnenes Spiel.

Es galt also, die geeignete Person vorzuschieben, ohne den Argwohn des Königs zu wecken, und sie nachher, ohne Eklat, zu beeinflussen.

Der hohe Adel, dessen ausschließliches Prärogativ es gewesen war, das heiß umstrittene Amt einer königlichen Mätresse zu besetzen, hatte schon ausgespielt. Zu mächtig und einflußreich durch seine allumfassenden Familienverbindungen, hatte der Adel wohl nicht die nötige Vorsicht walten lassen und längst das Mißtrauen des Königs geweckt.

Durch Verschwendung und Vergnügungssucht geschwächt, hatte der Adel schon angefangen, einen Teil seiner Macht den der reich gewordenen Bürgerschaft entstammenden Generalpächtern, Armeelieferanten und anderen Finanzgrößen abzutreten, deren Töchter – durch vollendete Erziehung den Damen der Gesellschaft gleich, durch adlige Heiraten hoffähig – nun auch den Wunsch bemerkbar werden ließen, an dem Wettrennen um die königliche Gunst teilzunehmen.

Der Wunsch des Königs, sich dem Ränkespiel der Höflinge zu entziehen, und wohl auch eine gewisse Übersättigung und ein Drang nach Abwechselung kamen ihnen da entgegen.

Mit Schrecken nahm es der Hochadel wahr!

Die Erinnerung an die Zeit des vierzehnten Ludwig, wo die Witwe Scarron das Land zum Besten der Jesuiten geschröpft hatte, war noch in frischer Erinnerung!

Man war also sehr auf der Hut gegen Überraschungen und schöpfte beim geringsten Anlaß Verdacht.

Noch herrschte wohl die Hofgesellschaft durch die Gräfin von Toulouse und Mademoiselle du Charolais, die die Galanterie des Königs in ihre Interessensphäre hineinzudirigieren verstanden. Sie hatten die Liaison des Königs mit der Gräfin du Mailly herbeigeführt und begünstigt und ihr durch die klug bereit gehaltene Reserve ihrer beiden Schwestern eine gewisse Stetigkeit zu geben versucht.

Aber man war in maßlose Aufregung geraten durch die anscheinend nicht ganz erfolglosen Attacken der unternehmungslustigen »kleinen Poisson«, wie man immer noch Madame d'Etioles nannte.

Und der Eifer und der Aplomb, mit denen der Prinz von Carignan seinen neuentdeckten Schützling zu inszenieren verstand, brachte alles in Verwirrung.

Seit einer Woche redete ganz Paris nur von der Barberini.

d'Argenson machte sich ein Vergnügen daraus, die Hofgesellschaft zu mystifizieren. Der Umstand, daß Rameau selbst extra für sie Tanzeinlagen komponieren mußte und, was noch mehr besagte, daß dieser eigenwillige Meister es mit Begeisterung tat, brachte die Künstler, die mit Madame d'Etioles intime Beziehungen unterhielten, in hellen Aufruhr, und der wurde durch den Neid der anderen Tänzerinnen und ihrer Parteigänger noch mehr geschürt.

Als der Tag ihres ersten Auftretens kam, war auch der Saal der Oper gedrängt voll von allem, was Namen oder Geltung hatte.

Die Logen boten einen glänzenden Anblick dar.

Das vergoldete Schnitzwerk, das vom Boden bis zur Decke die Logen umrankte, hatte selten so viel Pracht und Schönheit auf einmal eingefaßt. Überall gepuderte Lockenköpfe, Perlen, Geschmeide und funkelndes Edelgestein, nackte Schultern, schwellende Busen und kokette Blicke hinter spielenden Fächern – das vordere abgesperrte Parkett voll von eleganten Kavalieren des Hofes und der Aristokratie – hohen Beamten und tapferen Kriegern, die mit den Insassinnen der Logen liebäugelten und verstohlene Zeichen austauschten. Auf der Bühne, rechts und links im Proszenium auf den bevorzugten » bancs du théâtre«, die Habitués aus allen Gesellschaftskreisen! Und hinten, im Parkett, die reiche Bürgerschaft, die Künstler und die ganze goldene Jugend des Seinebabels, hin und her gehend, plaudernd, kritisierend und kokettierend.

»Mademoiselle«, wie der offizielle Titel der Madame de Charolais lautete, hatte ausnahmsweise auch Zeit gefunden. Ihre Anwesenheit hier war heute wichtiger als die gewohnte Unterhaltung mit dem König, dem sie nachher, beim Souper, mit dem Verlauf des großen Ereignisses zu unterhalten gedachte.

Spöttisch blickte sie zur Loge der Madame d'Etioles hinüber, die, strahlend schön und ebenso reich wie geschmackvoll geschmückt, sich von den Künstlern und Finanzleuten den Hof machen ließ.

Das war ein Kommen und Gehen bei ihr. Bald tauchte das spitze Fuchsgesicht Voltaires im Hintergrund der Loge auf, bald die würdige Dichtermajestät Crébillons. Der Präsident Henault verschmähte es nicht, ihr die neuesten Bonmots aufzutischen, auch ein Prinz von Geblüt, der stolze Herzog de la Ballière, küßte ihr die Hand, während ihre Beschützer und Manager, die reichen Armeelieferanten Paris-Duvernois und der Generalpächter Le Normand-Tournehem, dem sie die Ehe mit seinem Neffen und dessen neugebackenen adligen Namen verdankte – sich damit begnügten, sie aus der Ferne zu grüßen. Sie waren nicht wenig stolz auf ihre Schöpfung und träumten von ihrer zukünftigen Macht und Größe, auf den vielumstrittenen Platz an der Seite des Königs.

Aus einer Loge der zweiten Galerie blickte beglückt Mama Poisson zu ihrer unternehmungslustigen Tochter hinunter und tauschte Grüße mit den Herren von Paris aus, mit deren Geld sie Frankreich ihrer Tochter erobern wollte.

Der ehrgeizige junge Prinz von Croy – die Mätressensprößlinge des vierzehnten Ludwig: die Herzöge von Chartres und von Nivernois – der erste Kammerherr Herzog de Chesvres, und der berühmteste Herzensbrecher seiner Zeit, der elegante Herzog von Richelieu – alle waren sie da – vom Theater alles, was frei war – die Minister d'Argenson und Maurepas – der alte Literat Fontenelle, der junge Textdichter Rameaus, Louis de Cahussac, und alle die jungen Reimschmiede der Tagesereignisse! – Alle waren sie herbeigeeilt – die Damen der Aristokratie, um die mutmaßliche Konkurrentin um die allerhöchste Gunst mit eigenen Augen zu sehen und Konterminen zu legen – die Dichter, um sich an ihrer Schönheit zu gut bezahlten Gedichten zu inspirieren, und die Kavaliere, um neuen Nervenkitzel zu suchen.

Aus seiner Loge musterte der Prinz von Carignan sein Publikum und schwelgte im Vorgefühl der Sensation, die er ihm heute bieten konnte. Er lächelte befriedigt, als er im Parkett eine ernste, würdige, einfach gekleidete Gestalt wahrnahm, deren Gegenwart sehr beachtet wurde, die sich aber um niemand kümmerte. Es war der erste Kammerdiener Ludwigs, Bachelier, den Carignan eigens gebeten hatte, sich heute einzufinden. Durch dessen Beihilfe hoffte er seine ehrgeizigen Pläne zu fördern und den anderen Aspiranten auf das Bett Frankreichs ein Schnippchen zu schlagen.

Im Orchester stimmten die Geiger ihre Instrumente und rückten die Pulte zurecht; die Holzbläser bliesen, um ihre Flöten und Klarinetten zu erwärmen; die Hornisten prusteten diskret, wie sich's gebührte, und leerten das Wasser aus den Hörnern; die Rampe wurde angezündet; hinter dem Vorhang klopften und hämmerten die Theaterarbeiter, aber das Dirigentenpult war noch leer.

Endlich kam er, der gefeierte Liebling der Musen, Rameau! Langsam schlängelte sich seine lange, biegsame Gestalt mit dem feingeschnittenen Kopf, leicht vorgeneigt, zwischen den Pulten hindurch. Er blieb hier und dort stehen, blätterte in den Noten und erteilte einige letzte Instruktionen an seine Leute. Zerstreut streiften seine Blicke durch die glänzende Versammlung, ohne zu sehen – ganz erfüllt von den Bildern seiner Phantasie! – Er lächelte in sich hinein und versank in Träumereien, aus denen er dann und wann erwachte, um dem Publikum einen spöttischen Blick zuzuwerfen.

Er hatte noch nie eine solche Genugtuung empfunden wie heute. Von der Natur mit einem unbändigen Schaffenstrieb begabt – mit einer nie versiegenden Ader genialer Einfälle begnadet, hatte er sein Leben lang um ein einfaches Menschenrecht, sich nach seiner Veranlagung zu betätigen, kämpfen müssen. – Erst mit der lieben Familie, die ihm das langsame und sichere Klettern nach dem täglichen Brote auf der gesellschaftlichen Himmelsleiter beibringen wollte, ihn ins Jesuitenkolleg steckte und ihm die Robe des Richters als Gipfel der Entwickelungsmöglichkeiten anwies. Und dann, nach erfolgter Empörung und persönlicher Befreiung – nach dem geistigen Wachstum im Zigeunerleben der freien Kunst, als herumstreichender Musikant und Geiger bei den ambulierenden Theatergesellschaften – das nochmalige Einkapseln als ruhiges, gesetztes Mitglied der göttlichen Weltordnung! Aber jetzt als beamteter musikalischer Maître de plaisir und Modekomponist der verschrobenen Gefühle jener tausendköpfigen Bestie Publikum, die da in Samt und Seide, von Gold und Geschmeiden strotzend, gepudert, geschminkt und mit Schmuck behangen, auch modisch empfinden und konventionell seufzen wollte! – Eine noch schlimmere geistige Knechtung und Gefangenschaft der Persönlichkeit als die, in die die Familie ihn eingekerkert hatte! Und jetzt wie damals ums tägliche Brot! Aber jetzt nicht mehr aus Unkenntnis der eigenen Kräfte, sondern mit vollem Bewußtsein und aus beginnender Schwäche!

Er hatte sich gefügt – seine menschlichen Empfindungen modisch ausgeputzt und verschnörkelte Allegorien statt den einfachen Ausdruck natürlichen Gefühls gegeben! Statt als Bringer und Spender höchster Lebensfreude an die Herzen zu pochen und ihnen den Himmel des reinsten Glückes zu öffnen, hatte er sich dazu hergegeben, als Oberpriester ihres faden Götzendienstes ihre Genußsucht und ihre hohle Leichtfertigkeit zu beweihräuchern.

Die Götter des Olymps, längst aus dem realen Leben verbannt, herrschten noch unbeschränkt auf den Brettern der Oper und harrten noch des musikalischen Molière, der ihnen zum Cancan aufspielen und sie in tollem Veitstanz nach dem Hades hinfegen sollte.

Nur in ihrem Namen und mit ihrer Hilfe durfte er zu den Menschen sprechen! Das brachte einen Mißton in seine Musik, aber auch eine unsagbare Sehnsucht, die einen jeden, auch den Oberflächlichsten, aufhorchen machte. – Da war ein fremder Ton, ein einfacher Naturlaut, ein Widerhall längst verschwundener Einfachheit unter der modischen Verschnörkelung – ein Hauch des in der Materie gefangenen ewigen Lebens, das dumpf nach Befreiung seufzte und kaum noch zu hoffen wagte. Und das sollte heute endlich Luft bekommen!

Wie ein jäher Lichtstrahl die Nebel durchdringt und das wonnetrunkene Auge die Höhe des Himmels und die Unendlichkeit des blauen Weltraumes schauen läßt, die einen da alle umgebende Kleinlichkeit vergessen macht, so durchschauerte es ihn, als er zum ersten Male Barberina gegenüberstand. Ihre Jugendfrische, ihre seelische Unberührtheit trotz aller Verdorbenheit, ihre Geisteshoheit, die Musik ihrer Bewegungen und ihres Mienenspiels berauschten ihn und machten sofort den Unwillen verstummen, den er, der gefeierte Meister, anfangs über die Zumutung empfand, jener unbekannten Namenlosen die zu ihren Pirouetten gehörige Musik zu komponieren!

Sein Herz tat sich weit auf, seine Seele flog ihr entgegen mit der herrlichsten Inspiration! – Er lebte, die Götzen verblaßten – das Göttliche selbst war ins Leben getreten, hatte sich erniedrigt, um wieder im beschwingten Flug den Weg nach oben zu zeigen und in alles aufwühlender Begeisterung die in süßer Selbstbeweihräucherung hindämmernden Sinne zu erlösen!

Und ihm war's gegeben, dazu aufzuspielen! Das war die Befreiung! – Das war die Rache für unwürdige Knechtschaft!

Mit Feuereifer warf er sich auf die Aufgabe. Sein Genius war ihm hold, im Wonnegefühl des Schaffens berauschte er sich an dem seltenen Glück, in Barberina die leibliche Verkörperung seiner kühnsten Träume von Grazie und beseelter Rhythmik gefunden zu haben. – Und die sollte er heute vor aller Welt ins Leben rufen dürfen! Sein Taktstock, der sonst dem verhaßten Göttergesindel zum Paradetanz aufklopfen mußte, war zum Zauberstab geworden, auf dessen Geheiß die Nebel weichen müßten, um die Krone der Schöpfung – den Menschen in seiner ganzen gottbegnadeten Majestät – in Erscheinung treten zu lassen.

Ob sie's auch begreifen würden, jene entmenschten Modepuppen, die da höchstens den Kitzel ihrer Trägheit oder Förderung ihres Ehrgeizes suchten?

Gleichviel, er würde das Glück – das große, unermeßliche Glück des Gebens haben und der voll empfangenen Gegengabe, einer gleichwertigen Genialität, einer ursprünglichen, weil im vollen Menschentum wurzelnden Künstlerpersönlichkeit!

Hinter dem Vorhang erschollen die üblichen drei Keulenschläge, den Beginn der Vorstellung verkündend.

Noch einmal überflog sein Blick die glänzende Versammlung, noch lächelte er spöttisch über seine Naivität, dort offene Herzen finden zu wollen, dann klopfte er auf das Pult, das Spiel begann, und er war in einer andern Welt.

Der Vorhang hob sich. Die Bühne stellte eine freundliche Gegend am Fuße des Olymps dar.

Hebe, die Göttergeborene, schwebte herein, von Momus, dem Gotte des Spottes und des Lachens, des Erdgeborenen, verfolgt – schmollend ob des Befehls ihres Vaters Zeus, die himmlischen Gefilde zu verlassen, um den Menschen göttliche Freuden zu spenden. – Sie wehrt sich – der lachende Gott versucht ihr den Himmel auf Erden finden zu helfen, ruft die Grazien herbei, die hold lächelnd einhertanzen, Amors Köcher und Bogen bringen und das Nahen des ungezogenen Göttersprößlings verkünden.

Amor stellt sich ein, denn – wie Momus, des Lachens Gott, sagt – Schönheit, Jugend und Liebe gehören zusammen. Hebe versöhnt sich mit dem Erdendasein, und, ihrer Göttersendung eingedenk, ruft sie die thessalische Jugend herbei, um die Weihen der Liebe zu empfangen und das Reich Amors auf Erden zu errichten, wo sie, Hebe, als Königin herrschen will.

Amor ruft Zephir herbei, um sie, ihn und die Grazien nach einem glücklicheren Klima zu bringen.

» Volons – volons sur les bords de la Seine«, ruft sie als Parole aus, und Jugend, Schönheit, die Grazien, Amor, Polyhymnia, Terpsichore und sämtliche benannten und unbenannten lyrischen Talente schweben hin zu den glücklichen Gestaden der Seine, um » la gloire« und » la victoire« zu beweihräuchern. – Hebe ladet zum Feste ein – » sur les bords de la Seine« –, und die lyrischen Talente haben sich zu produzieren!

Erst die Dichtung –(» la Poésie«)!

Das erste Bild, nach dem olympischen Prolog, stellt dann ein nach der am Seinestrand gerade herrschenden hortikulturellen Mode schön zugestutztes Boskett in der » maison« der durch ihre Verse und ihr Liebesschmachten rühmlichst bekannten Dichterin Sappho dar.

Denn » la Poésie« ist feminin – wenn auch nicht immer von lesbischer Extraktion.

»Thélème« liebt Sappho – Sappho liebt »Alcée«, und jener verfolgt diesen mit schwarzer Eifersucht, schleicht sich auf der Jagd von dem Gefolge seines Gebieters, Hymas, fort, um die liebesschmachtende Sappho in ihrem »Boskett« zu überraschen und rasch die Stelle des abwesenden Alcée einzunehmen. – Vergebens wehrt sie seine Werbung ab – schließlich greift sie zur List und verspricht, ihm zu gehören, wenn er den König herbeiruft, um einem Spiel ihres Talents zu lauschen. – Er geht, den Auftrag auszuführen.

Alcée stellt sich ein und empfängt die Kunde des schwarzen Verrats seines Freundes sowie ihrer Hoffnung, durch ihre Kunst ihn zu entlarven und den Segen des Hymas für ihre Liebe zu erringen.

Sie ruft den Gott der Verse und der Poesie herbei. Der König Hymas naht mit seinem Jagdgefolge, und Sapphos Sklaven führen dann eine Allegorie auf, wo eine Flußnymphe vergebens den geliebten Bach herbeiruft, aber ihn schließlich, kraft ihrer Sehnsucht und dem sich gegen diese Verwässerung wehrenden Flußgotte zum Trotz, dem Felsen entlockt.

»Je vous revois,
je vous revois;
tout cède a la doucour extrème
de retrouver l'objet qu'on aime!
J'ai vu troubler mez eaux des pleurs, des pleurs que j'ai versée!
Perdons les souvenirs de nos tourments passés«

singen sie – der König wird erschüttert – gerührt – exaltiert – »Mariniers« und »Marinières« tanzen Menuette, Bourrées, Rigaudons und Passepieds. – Sappho darf sich eine Gnade für ihre schöne Allegorie erbitten und erbittet sich Alcée. Treue Liebe hat gesiegt mit Hilfe der allbezwingenden Poesie – der Chor singt: » chantez Sappho, chantez sa gloire« – das Volk tanzt – Najaden, Flußgötter, das ganze mythologische Weltall jubiliert – Amor regiert mit Hilfe der Dichtkunst.

Im zweiten Bild tut er's mit Hilfe der Musik!

Held Tyrteus, Befehlshaber der Lazedämonier, der die Kunst erfand, mit Hilfe der Musik den Mut der Krieger anzufeuern und sie im unwiderstehlichen Furor zu entflammen, wird von Iphis geliebt. Der König Lykurgos jedoch bestimmt, daß dieser Sprößling seines Hauses nur dem Besieger der Messenier angehören kann. Also muß der gute Tyrteus erst die Messenier, die selbstverständlich bereits vor den Mauern Spartas darauf warten, besiegen – Iphis muß nach allen Regeln der Kunst hold um ihn bangen und seufzen – und Apollon um einen Orakelspruch bitten, der ihr auch prompt zuteil wird, aber so vorsichtig gehalten ist, daß eine Allegorie nötig wird, wo Amor erst Apoll hereinschleppt, dann beide vereint den Mars, dann mit ihm zusammen eine Siegesgöttin und zuletzt Hymen selbst – um, ihr zu Trost und Erbauung, ein » pas de cinq« miteinander zu tanzen! – Währenddessen siegt Tyrteus, von ihren Gebeten und seiner musikalischen Schwarzkunst wacker unterstützt – die siegenden Krieger tanzen eine triumphale Polonäse – die Liebenden haben sich, alles löst sich in Wohlgefallen auf, Rigaudons, Menuette, Passepieds, Tamburine lösen sich ab – Amor triumphiert, und ad majorem gloriam suam sollte der Vorhang fallen, um sich für das von Terpsichore allein beherrschte Schlußbild des Balletts wieder zu heben – da setzte die große Überraschung ein, die Rameau für sein Publikum bereit hielt!

Statt der traditionellen Göttin des Tanzes trat der Tanz selbst, das Mysterium der alle Materie besiegenden Bewegung, in Erscheinung – die Natur selbst erhob ihre Stimme – die nachgeschaffenen Götter des Olymps schwiegen und schlichen beschämt davon!

Die Bühne verdunkelte sich – wallende Nebelschleier verdeckten alles – aus dem Orchester wogten sie herauf, von leisen Arpeggien der Harfe getragen, und betäubten alle Sinne!

Da – ein Lichtstrahl – ein paar Töne der Flöte hüpften hervor – andere hinterher – sie haschten sich, formten sich zum Tanz, zur Melodie – von den wogenden Wellen der Harfenklänge getragen, trieben sie suchend hin und her und lockten – da – ein schwacher Schein, der sich langsam erhellte, um allmählich eine Gestalt aus dem Schatten herauszumodellieren – Barberina stand da, in der ganzen Majestät ihrer jungen Schönheit!

Der Inbegriff aller Talente – der Mensch war da! Licht und Töne hatten ihn aus dem Chaos geschaffen – in schmeichelnden Rhythmen aus den formlosen Nebeln heraus gestaltet!

Halb verschleiert stand sie da, feierlich, unbewegt, in der ersten Lebensdämmerung, leicht vornübergebeugt, den sanften Tönen der Flöte lauschend, die aus ihrem Innern den Widerhall der ersten unbewußten Sehnsucht wachriefen, aus der heraus die Starrheit sich allmählich in Bewegung auflöste und in suchendes, tastendes Schreiten umsetzte, das, noch ohne Ziel, nur der inneren Mahnung gehorchend, den wogenden Rhythmen nachgab und sich von ihnen treiben ließ.

Dann ein leises erstes Aufatmen – die geheimnisvoll klagenden Klänge verstummten, die Tonwellen sanken in sich zusammen und glätteten sich aus in einer endlosen Fermate in zart schillerndem Dur, Hornklänge aus der Ferne schwollen mächtig an, rötlich glühte der Morgen hervor, über die Geigen ein leises, schnelles Huschen wie ein jäh erwachter Frühlingswind, der durch das Schilf streicht und die Fläche kräuselt. Der endlose Passagenfluß gliedert sich in Rhythmen – immer schneller jagen die Tonwellen dahin, immer sonniger leuchtet das Licht – der Tag ist da – sie erwacht, blickt geblendet die neugeschaffene Welt an, sieht mit sehnenden Blicken, begehrt nach deren Besitz, öffnet die Arme, um das Leben zu umschlingen – gleitet zaghaft hin und her – bald neugierig suchend – bald furchtsam zusammenschauernd – bald freudig sich an den Farben und Düften des Frühlings berauschend, dann im jähen Schrecken erstarrend, als aus dem nächsten Gebüsch mit kühnem Sprung ein fremdes Wesen auf sie einstürmt und in lüsternem Kreisen um sie herumschleicht, nach ihr greift, aber nicht wagt zuzupacken.

Der Mann ist in ihr Leben getreten! Liebegirrend umschmeichelt er sie und sucht ihr die Schreckensstarre abzuschmeicheln! Halb neugierig, halb scheu lächelt sie ihn an. – Er wird dreister – erhascht ihre Hand, küßt sie, läßt wieder los und fährt zurück! Denn die Berührung seiner Lippen hat die Starre gelöst – sie weicht aus, er folgt – das Spiel macht ihr Vergnügen – sie lacht laut auf – neckt ihn – lockt ihn heran und stößt ihn ab, sooft er sie zu ergreifen sucht. – Immer dreister wird er – immer zudringlicher sein Werben – immer stürmischer sein Angriff – immer verlockender ihre Abwehr – bis plötzlich die Angst sie packt und sie in jäher Flucht pfeilschnell davonwirbelt! – Hin und her geht die Jagd, von eilenden Rhythmen vorwärts gepeitscht, bis er sie endlich im allen Widerstand niederwerfenden Ansturm packt, sie hoch über sich erhebt und die verzweifelt sich Wehrende in den Wald trägt.

Hohnlachend setzt der Chor der Waldgeister ein – unsichtbar und überall anwesend erleben sie den Liebeskampf mit und begleiten mit kurzen, gellenden Schreien die Orgie, die jetzt im Orchester einsetzt, als die beiden, bekränzt, halb nackt, mit flatternden Locken und wehenden Gewändern hereinstürmen im tollsten Bacchanal – ganz Werben und Gewähren, ineinander Aufgehen und Verschmelzen – in einem Sturm der Bewegung, der ihn schließlich erschöpft hinwirft, während sie sich, im Vollrausch der Lebenslust, aufreckt, triumphierend die Hände gegen den Urquell alles Seins emporstreckt und dem niedergerungenen Faun, dem sie erlag und den sie erliegend besiegte, den Fuß auf den Nacken setzt.

Fossano – denn er war's –, Fossano war besiegt, sein Schicksal besiegelt! – Und nie wieder sollte er den Kopf über sie erheben, nimmermehr sie als Schülerin meistern! – Sie war ihm Meisterin geworden, sie war jetzt Herrin – war alles – er nichts!

Er empfand es, wie er dalag und aus den Beifallsrufen draußen im Zuschauerraum nur den Namen: »Barberini!« heraushören konnte. Zähneknirschend sprang er auf, als der Vorhang fiel. Sie verstand das nicht gleich. Freudestrahlend schleppte sie ihn immer und immer wieder mit hervor! – Und erst als auch sie immer nur ihren eigenen Namen von draußen rufen hörte und er sich losriß und in Wut von ihr wegstürzte, da verstand sie, daß sie jetzt oben war – sie allein, und er besiegt, abgetan – ihr Partner nur, den sie zum Gegentanz benötigte, aber auch, wenn's ihr gefiele, verabschieden und durch einen anderen ersetzen konnte!

Triumphierend blickte sie zu ihm hinüber. Es kam ein unheimliches Leuchten in ihre Augen, die Lippen kniffen sich dünn zusammen, etwas in ihr empörte sich jäh gegen ihn – es war ihr nicht klar warum, aber sie hatte die bestimmte Empfindung, noch ein großes Unrecht an ihm rächen zu müssen!

Im Augenblick schwand die Aufwallung, kaum gekommen. Denn jetzt drängte sich alles um sie. Die elegantesten Kavaliere der Hofgesellschaft eilten auf die Bühne, bestürmten sie mit Komplimenten, mit den überschwenglichsten Lobeshymnen – die ganze griechische Mythologie, kaum in die Flucht geschlagen, schwirrte aus allen Ecken und Enden herbei, um die galanten Herren mit den geziemenden Ausdrücken der Begeisterung zu bedienen! – Kythera, Amor, Hebe, Diana und sämtliche Grazien waren nichts gegen sie, deren Anmut und Schönheit und unvergleichliche Tanzkunst man hoch über den höchsten Olymp hob, um sie in liebegirrenden Interjektionen zu beweihräuchern, so der Adoration günstig zu stimmen und in das Garn der allerirdischsten Wünsche zu verstricken!

Sie empfing die verlockendsten Anerbietungen von rechts und von links – lächelnd stand sie da und hörte allen zu, aber erhörte niemand – sobald es irgend ging, stellte sie sie einen nach dem anderen der Mama vor. Und die Mama war ganz Ohr und floß über vor Wonne und freundlichstem Entgegenkommen! So umschwärmt von Kavalieren war sie in ihrem Leben noch nie gewesen! – Sie war lauter Aufmerksamkeit, prägte sich all die fremden Namen und Gesichter ein, sagte zu allem ja und amen und versprach auf ihre Ehre jedem einzelnen, ihm bei der nächsten Vorstellung Zutritt in die Garderobe ihrer Tochter zu verschaffen.

Heute ginge es nicht an! – Denn der Neid der Kolleginnen hätte dem Neuling die schlechteste Garderobe eingeräumt, wo man kaum Platz hätte, sich umzudrehen, noch weniger, Besuche zu empfangen! Das würde aber bis übermorgen anders werden, und dafür wollte Mama Campanini sorgen!

»Ganz Paris liegt Ihnen zu Füßen, Signorina«, lispelte der Prinz von Carignan, der sich zu guter Letzt den Komplimenten des Publikums entzogen hatte, um sich auf die Bühne zu begeben und Unheil zu verhüten. – »Ganz Paris wird morgen von nichts als von Ihnen reden! Sie werden bei Hofe tanzen! Auf Ehre, ich setze es durch! Aber wir müssen für Sie sorgen! In allem Ernst, Sie müssen Ihrer neuerrungenen Position gemäß auftreten können! Sie müssen imstande sein, die Hofgesellschaft zu empfangen – müssen kleine Gesellschaften – kleine intime Soupers geben – müssen ausfahren können! – Nun, das lassen Sie meine Sorge sein! – Überlassen Sie sich nur meiner Führung – vertrauen Sie sich nur mir an – nur mir – ganz mir! Seien Sie meine Freundin – allein meine Freundin – und ermöglichen Sie es mir, so für Ihre Karriere zu wirken, indem Sie mir das Vorrecht geben, ganz für Ihr Leben zu sorgen! – Nicht wahr, süße Barberina?« lispelte er und führte ihre Hand an seine Lippen. – »Nicht wahr, Sie wollen mir vertrauensvoll Ihr Herz öffnen?«

»Hoheit gestatten?« sagte Barberina und zerrte ihre Mutter vor. – »Hoheit gestatten – – meine Mama!«

Und Mama machte ihr tiefstes Kompliment – Hoheit hatte die Gnade, es zu bemerken – er hatte auch die Gnade, ihr einige Fragen zu stellen, die so prompt und befriedigend beantwortet wurden, daß er sie bald abseits winkte und sich herbeiließ, ihr sehr diskrete Instruktionen zu geben, die sie, beglückt lächelnd, unter vielen Verneigungen empfing und gehorsamst zu befolgen versprach.

» Adieu, carissima!« lispelte er dann nochmals im allergnädigsten Ton Babara zu. »Ich sehe, wir werden schon einig! Finden Sie sich morgen bei meinem Lever ein mit Ihrer Frau Mama! Wir werden dann Ihre Gagen- und anderen Verhältnisse besprechen und zum allerbesten ordnen! Noch einmal mein Kompliment! Sie haben famos getanzt! Ihr Debüt war entzückend! Ein Triumph sondergleichen!«

Er ging ein paar Schritte und wandte sich dann um.

»Apropos!« sagte er und winkte sie näher. »Fast hätte ich's vergessen: – Bachelier war da – der erste Kammerdiener des Königs! Er war sehr befriedigt – wirklich sehr entzückt! Sie können was darauf geben! Er ist ein Connaisseur! Stellen Sie sich gut mit ihm, falls Sie die Gelegenheit haben sollten! Seine Protektion ist nicht zu verachten! Ich habe schon verschiedene Eventualitäten mit ihm besprochen! – Er wird dem König ein Wort sagen – er wird hoffentlich bald von sich hören lassen! – Ich denke – nach der Übersiedelung des Hofes nach Fontainebleau, bei einem der großen Gartenfeste, werden Sie Gelegenheit haben, den König mit Ihren Pirouetten zu bezaubern! Nun, warten wir es ab! Erst bringen wir all das andere in Ordnung – dann wollen wir sehen! Au revoir

Und gnädig winkend, entließ er die beiden Campanini, die jetzt endlich Zeit fanden, sich in die Garderobe zurückzuziehen.

Da gab's gleich mütterliche Ermahnungen und Gefühlsausbrüche durcheinander.

» Mia cara figlia! – Alles ist von dir begeistert! – Man rast vor Entzücken! – Die stolzesten Namen Frankreichs haben sich bei uns eingeschrieben! Die elegantesten Kavaliere von Paris! – Entzückende, graziöse Leute sind das! Die Edelknaben Parmas sind die reinen Bauerntölpel gegen sie! – Was uns da alles an Anerbietungen gemacht wurde! – Da gilt's aber aufzupassen und vorsichtig zu sein! – Ich werde schon meine Augen gebrauchen! Ich werde mich nach den Messieurs erkundigen! Verlaß dich darauf! – – Hast du dir auch die Namen gemerkt?«

»Keinen einzigen!«

»Keinen einzigen! – Entzückend! – Keinen einzigen hat sich das Kind gemerkt! – Und dabei sind das Namen, die die ganze Welt kennt! – Höre nur zu!«

Sie ließ eine ganze Flut von Namen hervorwirbeln. Grafen, Herzoge, Prinzen von Geblüt schwirrten der Tochter nur so um die Ohren! – Schweigend saß sie da und ordnete selbst ihre Frisur. Denn eine Zofe hatte sie noch nicht.

»Morgen – morgen wird alles in bester Ordnung sein! Nichts brauchst du dir abgehen zu lassen, wenn du nur auf mich hörst!« sagte die Mama, bedeutungsvoll lächelnd. – »Daß du mir aber keinem von all den Herren auch nur das geringste versprichst!«

»Sei nur ruhig!«

»Keinem von all den Messieurs, wie verlockend sie dir auch kommen! Sei freundlich zu ihnen allen! Ohne Ausnahme freundlich! Sag keinem ein Ja, aber auch kein Nein! – Laß sie glauben, was sie wollen – höre liebenswürdig zu und stoße sie nicht vor den Kopf! Werden sie aber zudringlich – wollen sie Antwort auf der Stelle, dann schicke sie nur zu mir – schicke sie überhaupt alle, ohne Ausnahme, zu mir!«

»Mit Wonne!«

»Es ist schon besser so! – Ich weiß sie richtiger zu behandeln – ich sehe gleich, was an ihnen ist – ich lenke schon alles zum besten! – Zunächst kapern wir den Prinzen von Carignan! Der zappelt schon im Netze – den hast du schon bezaubert! – – Kind – wenn du wüßtest, wie du mich heute glücklich gemacht hast!«

Und sie floß über vor Rührung.

»Ja, Signore Fossano«, fuhr sie den jetzt eintretenden bisherigen Beschützer an und nahm die Nase hoch, »Ihr seid jetzt distanziert! – Jetzt sollt Ihr's nur versuchen, dem armen Kinde die Siegesfreude zu dämpfen wie damals nach ihrem ersten großen Siege als Psyche! – Wie hat sie sich dann ducken müssen! Ins Herz hat's mir geschnitten, sie so grausam um die erste große Freude ihres Lebens gebracht zu sehen! – Jetzt lassen wir uns aber nicht mehr düpieren, Signore – jetzt seid Ihr der Düpierte! Ihr habt heute ausgespielt!«

»Meint Ihr?« lächelte Fossano ironisch.

»Nun, wer fragt wohl nach Euch? – Hat jemand auch nur ein einziges Wort an Euch gerichtet? – Hat man draußen ein einziges Mal ›Fossano‹ gerufen? – Wo blieb Eure große Beliebtheit beim Publikum, mit der Ihr Staat machtet? – Wo blieb auf einmal die Berühmtheit? – Nein, uns imponiert Ihr nicht mehr!«

»Ich sehe es«, sagte Fossano. »Ich erwarte auch gar nichts von Euch, Signora! Babara aber wird nicht vergessen, wer es war, der ihr den Weg zum heutigen Triumph geebnet hat! – Sie wird sich nicht der Dankespflicht entziehen, mir für die Mühe und die Arbeit, die ich mir mit ihr gegeben habe, erkenntlich zu sein! – Sie wird ihres Versprechens eingedenk bleiben, mir zu gehorchen und sich meiner Führung ganz anzuvertrauen!«

»Wir brauchen keine Führung! Wir wissen uns jetzt selbst zu helfen«, sagte die Domina brüsk. »Gewiß, wir sind Euch Dank schuldig, Signore – wir vergessen's nicht – wir sind nicht undankbar! Wir werden auch alles für Euch tun, was wir nur tun können! Unserer Protektion könnt Ihr jederzeit gewärtig sein!«

Es machte ihr eine grausame Freude, ihm das alles zu sagen. Sie hatte sich so lange vor ihm ducken müssen, daß sie lieber ihr Leben gelassen, als die Gelegenheit versäumt hätte, sich gegen ihn aufzulehnen. Und auch Babara war es aus dem Herzen gesprochen. Jedes Wort richtete sie innerlich auf – für jeden Hieb, den die Mutter ihm versetzte, fiel eine von den tausend Fesseln, die sie an ihn ketteten. Bis auf die letzte! Und die löste er selbst!

»Nicht wahr, Babara«, sagte er und verbiß seine Wut über die Ungezogenheit der alten Frau, »nicht wahr, du hast noch etwas übrig für mich? – Du bleibst mir treu? – Du hast noch ein wenig Dank für meine große Liebe zu dir?«

Er trat an sie heran und legte die Hand um ihre Schulter.

Da fuhr sie auf, wie von einer Schlange gebissen, und schlug ihn mit dem Handtuch, mit dem sie sich die Schminke abgewischt hatte, ins Gesicht.

»Ich hasse dich!« rief sie mit zornbebenden Lippen. »Ich hasse dich und werde nie damit aufhören! Für jeden Schritt, den ich noch machen muß auf dem Wege, auf den du mich geführt hast, werde ich dich verfluchen und verabscheuen! Was ich habe, habe ich nicht von dir! Hast du mir aber geholfen, mich da zurechtzufinden – hast du mir das Höchste, das Heiligste im Leben gezeigt und mich es schätzen gelehrt, so hast du's getan, nur um es mir beschmutzen zu können! Jetzt bin ich drin – jetzt bin ich da, wo du mich haben wolltest! Laß mich jetzt zurechtfinden, so gut ich kann! Deiner bedarf ich nicht dazu! Komm mir jetzt nicht zu nahe! Geh! Hinaus – hinaus!«

Und sie trieb ihn, der sie mit weit offenen Augen anstaunte, rückwärts gegen den Ausgang und aus der Garderobe.

In der Tür stieß er mit Rameau zusammen, der kam, um sie zu beglückwünschen, und so den ganzen Auftritt mit angehört hatte.

Fossano drängte sich an ihm vorbei und ging schnell, hinter einem höhnischen Lachen seine Verlegenheit verbergend.

»Armes Kind«, sagte der alte Meister und streichelte ihre Hand, »wie schmerzt es mich, auch bei dir diese Erfahrung machen zu müssen! Nicht nur der Triumph – auch die entwürdigendste Erniedrigung ist dir geworden! Das ist die Kehrseite der Künstlerschaft, deren Herbheit keinem erspart zu bleiben scheint! Du wärest eines besseren Schicksals wert!«

Sie machte ihre Hand los, um ihre Tränen abzutrocknen. Ihre Lippen bebten noch vor Aufregung.

»Recht so!« setzte er fort, »nur dagegen ankämpfen – aus allen Kräften dagegen ankämpfen! – Mußt du auch um die Gunst Fortunas buhlen – mußt du, wie die meisten Künstler, den Preis zahlen, um das Recht, dich zu geben, zu erringen, so versuch wenigstens, dein Ureigenstes, deine Psyche rein und unbeschmutzt zu erhalten! Halte wenigstens den Trieb, dich in deiner Kunst zu geben, rein und unberührt von den Verlockungen der Welt! Sonst ist's um dich geschehen!«

»Nur ruhig, Herr Musikmeister«, sagte die Domina, »sie wird schon ihren Weg machen! Da habt bloß keine Angst!«

»Sehr – sehr viel Angst habe ich um sie! Denkt Ihr, ich kümmere mich um die erste beste? Hier steht aber etwas ganz Seltenes – etwas in der Kunst noch nicht Dagewesenes auf dem Spiel! Das darf nicht gemißbraucht und durch den Schmutz geschleift werden! Da ist's heilige Pflicht zu reden! Und Ihr könnt Euch auf mich verlassen! Ich habe die bittere Erfahrung, die Ihr auch haben werdet, reichlich auskosten müssen! Um Gelegenheit zu haben, ein einziges schönes Lied zu singen und, ohne Rücksicht auf den Geschmack anderer Leute, mich voll und ganz in meiner Kunst zu geben, habe ich auch die Fratzen machen müssen, die die Welt sehen will!«

»Nun, dafür wurdet Ihr bezahlt!«

»Gewiß, Signora! Aber – ist man echt, kann man sich auch dann nicht ganz verleugnen! Kunst wird eben alles, woran der echte Künstler rührt! Und es lebt, tant mieux, auch wenn die unsauberen Wünsche der Welt daran kleben! Die Gefahr ist, dabei der Welt zu unterliegen, zu versumpfen, zu veröden und seelisch abzusterben! – Da heißt's kämpfen – mit aller Macht, auch im Versinken, zur Höhe wollen! – Denn schließlich kommt doch der Moment der Befreiung, wo man auf einmal die Fessel abwirft und gegen die Sonne fliegen kann, wenn der Trieb hinauf noch lebendig blieb! Das ist das Wesentliche! Alles andere ist nur Nebensache! Und daran wollte ich eben mahnen, gerade jetzt, mitten im Triumph, wo die Versuchungen von allen Seiten auf Euch einstürmen! Nehmt den Wunsch für Euer Wohlergehen von einem alten Künstler an, der in Eurer Kunst eine der schönsten Offenbarungen seines Lebens gesehen hat!«

Er küßte ihr die Hand und ging bewegt. – –

Die Signora brummte:

»Sie sind sich alle gleich! Neidisch, mißgünstig, der eine wie der andere! Immer kommen sie und suchen die Siegesfreude zu dämpfen! Nichts gönnen sie dir!«

Aber Babara hörte nicht zu. Sie stand da, in Gedanken versunken. – Sie war wieder im Dome zu Parma. Goldig strömte das Licht aus der Kuppel auf sie herab, und sie blickte wieder voll Sehnsucht hinauf zu den Glücklicheren, die befreit gegen das Licht hinaufschwebten, und wollte mit in ihren Reigen – fort von allem, was sie hier unten fesselte!

Die von Herzen kommenden Worte des alten Musikmeisters waren ihr ins Herz gedrungen und hatten da eine Saite vibrieren gemacht, die fortan den Grundton ihres ganzen Wesens angeben sollte. Sie fühlte sich wieder sicher – sie wußte, wohin! Und alles andere, wie es auch kommen mochte, wurde ihr gleichgültig.

Sie dachte nicht einmal daran.

Um so mehr tat es aber die Mama!


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