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20

Das Opernhaus lag hell erleuchtet da, dicht umstanden von glänzenden Equipagen, Dienern mit lodernden Fackeln und Hunderten von Neugierigen, die der Winterkälte trotzten, um etwas von dem Glanz und der Pracht zu sehen.

Der König war nach sechsmonatigem Aufenthalt im Felde wieder nach Berlin zurückgekehrt und hatte einen Maskenball ansagen lassen. Und alle, die irgendwie berechtigt waren, zugelassen zu werden, drängten sich, ihn zu sehen und am Feste teilzunehmen.

Die Auffahrt des Hofes war beendigt, der Ball in vollem Gange. Da trat aus einer Tür der dem Schlosse zugewandten Seite des Hauses eine Gestalt heraus, den Hut tief in die Stirn gedrückt, den weiten Mantel dicht zusammengezogen, drängte sich schnell durch die Schar der Gaffer und entfernte sich nach dem Schlosse zu. Über die lange Brücke ging ihr Weg und dann am Ufer des Flusses entlang, an dessen anderer Seite die riesige Silhouette der Hohenzollernburg hoch zum Nachthimmel ragte.

Kein Licht war im ganzen Hause zu sehen, außer in der offenen Wasserpforte, durch die dunkle Schatten heraus und hinein huschten, schwere, verhüllte Gegenstände trugen und sie auf einen langen Spreekahn verluden.

Der Wanderer blieb an der Brüstung stehen und schaute neugierig dem geheimnisvollen Treiben zu, bis die Fackeln verloschen, das Tor verschlossen wurde und der Kahn sich langsam in der Richtung nach der Münze zu in Bewegung setzte. Dann ging der Wanderer weiter durch die dunklen Straßen, stieg die Treppen eines alten Patrizierhauses hinauf und trat in das geräumige Schlafzimmer im ersten Stock ein, das nur schwach erleuchtet war.

Er trat an das Bett, aus dem beim Öffnen der Tür ein schwacher Husten hörbar wurde.

»Du hast mich rufen lassen, Jordan! So geht es dir schlimmer?«

»Nicht schlimmer als sonst – aber doch schlimm genug! Ich konnte meiner Unruhe nicht Herr werden! Der Gedanke, daß ihr Feste feiert, wenn um uns herum alles in Trümmer zu fallen droht, peinigte mich. Um so mehr, da ich hier ohnmächtig liege und kein Wort der Warnung am rechten Ort und zur rechten Zeit laut werden lassen kann! Den König durfte ich nicht stören! Und so rief ich dich!«

Keyserlingk, denn er war es, schlug den Mantel zurück und setzte sich in den Sessel am Bett.

»Wie du siehst, bin ich deinem Rufe gleich gefolgt! Ich mußte mich aber beim König beurlauben und sagte ihm also von deinem Wunsch! Er läßt dich grüßen und will selbst nach dir sehen! Ihm wird es auch darum zu tun sein, des Freundes Stimme zu hören!«

»Wäre das der Fall, so würde er sich nicht mit Festen zu betäuben suchen!«

»Andere will er betäuben, nicht sich! Er will keine Beunruhigung aufkommen lassen, deshalb zeigt er sich der Menge froh und vergnügt! Du kennst den Fritz doch ebensogut wie ich!«

»Ich kannte ihn vielleicht besser als irgendeiner! Ich erkenne ihn aber nicht wieder, seitdem er die großen Enttäuschungen dieses so glorreich begonnenen Feldzuges erlebt hat! Kein Wort spricht er darüber, er, der mir sonst alles anvertraute!«

»Du bist krank, und er will dich nicht beunruhigen!«

»Dann müßte er mir eben reinen Wein einschenken! Er fürchtet aber meine Kritik! Voll Übermut zog er hinaus in den Krieg! Jetzt schämt er sich!«

»Du fieberst, sonst wärest du der letzte, solche Worte zu sprechen! Wann ging er je einem offenen Wort aus dem Wege?! Er bedarf deiner Kritik nicht! Er steht mitten in seiner Tat und kennt sie besser als irgendeiner! Alles, was du ihm sagen könntest, hat er sich selbst gesagt – und mehr noch dazu!«

»Mir ist es darum zu tun, zu helfen, nicht zu tadeln! Vier Augen sehen mehr als zwei! Und jetzt, wo alles von ihm abfällt, wo er nicht mehr weiß, auf wen er sich hier im eigenen Hause verlassen kann, täte es ihm not, daß auch andere die Augen für ihn offen halten!«

»Wennschon, so bedarf er vor allem, daß man ihn nicht verstimme. Dem geht er aus dem Wege, und da hat er recht!«

»Das tat er aber früher nicht!«

»Die sechs Monate haben ihn eben um Jahre der Erfahrung reicher gemacht. In der Not lernt man die Menschen kennen! Wer was taugt, entnimmt der Niederlage die Lehre für den Sieg! Anderer Lehren bedarf er dann nicht!«

Jordan schwieg. Ein heftiger Husten erschütterte die kleine, dürre Gestalt! Keyserlingk reichte ihm den auf dem Nachttisch bereit stehenden Labetrunk und setzte sich wieder.

Jordan betrachtete ihn lächelnd.

»Ewiger alter Sausewind, der du bist! Wenn man dich so aufgeräumt, heiter und lebenslustig dasitzen sieht, wäre man in Versuchung, zu glauben, daß uns nichts etwas anhaben könnte! Leider sind nicht alle so!«

»Das sind Schafsköpfe!« rief Keyserlingk übermütig. »Wo sie den Fritze haben und wissen, wie er gleich dem Blitz dreinfahren kann, wenn's gilt, müßten sie sich freuen, wenn sich recht schöne Gewitterwolken am Horizont zusammenballen! Was schadet es, daß der Kaiser jetzt plötzlich starb und die Süddeutschen abfallen und wieder die Kaiserkrone an Osterreich verschachern wollen! Preußen macht den Schacher nicht mit – und wir sind die Rücksicht auf die Verbündeten los! Die Rücksichtnahme hat uns den Feldzug gekostet! Fritze hat am eigenen Leibe gelernt, daß Bündnisse unter Menschen nur so weit reichen wie der eigene Vorteil, und daß offene Feindschaft besser ist als hinterhältige und säumige Verbündete! Wenn auch der Bund mit Frankreich noch hält – Fritze wird auf die Wünsche Frankreichs keine Rücksicht mehr nehmen! Er wird, wie er es selbst für gut findet, handeln! Hätte er das gleich getan, hätte er nicht Böhmen wieder aufgeben müssen! Dann stünde er jetzt vor Wien und hätte es nimmer nötig gehabt, noch mitten im Winter zu kämpfen, um die Österreicher aus Schlesien herauszuwerfen!«

»Allein kann aber auch er nicht gegen eine ganze Welt an! England, Holland, Sachsen, Österreich haben sich gegen ihn verbündet! Rußland ist unsicher! Die Armee ist von Krankheiten dezimiert und immer noch schwer heimgesucht. Die Magazine sind leer, das grobe Geschütz ist vor Prag gänzlich verlorengegangen! Wir sind arm! Wo nehmen wir das Geld her, um Soldaten, Munition, Ausrüstung und Proviant zu beschaffen?«

»Das – Federikus Jordan – laß nur ruhig meine Sorge sein!« sagte eine Stimme an der Tür.

Keyserlingk sprang aus dem Sessel auf. Jordan richtete sich im Bett empor.

»Sorge du nur dafür, daß mein lieber alter Jordan wieder gesund wird, damit mir die Sorge genommen wird. Dann ist alles andere auch gut!«

Der König trat an das Bett und nahm in dem Sessel Platz. Er ergriff die Hand Jordans.

»Ein wenig Arzenei bringe ich dir mit, alter Querkopf!« sagte er und ergriff seine Hand. »Über den Feldzug will ich nicht mit dir rechten! Da genügt's, wenn wir einsehen, daß wir Fehler gemacht haben, und sie bloß nicht wiederholen! Wenn's dich ansonsten beruhigen kann, so höre: England, das mit den andern gegen uns verbündet ist, fängt an, mit uns zu liebäugeln! Carteret, unser Feind, ist nicht mehr Minister! Die Pelhams sind am Ruder! Sie sind uns wohlgesinnt! Und wenn auch England noch an seine Traktate mit der Gegenpartei gebunden ist – das Doppelspiel verstanden die Krämer drüben immer gut! – – Aber setze dich, Keyserlingk! Du wirst heute noch das Tanzbein zu schwingen haben! Du bist wohl den Weg zu Fuß gegangen wie ich? Ich sah keinen Wagen vor dem Hause!«

Keyserlingk bejahte die Frage – und erwähnte dabei die geheimnisvollen Vorgänge am Schloß, die er unterwegs beobachtet hatte, in der Hoffnung, daß Friedrich seine Neugier befriedigen würde.

»Du hast wohl Gespenster gesehen!« sagte der König lächelnd. »Sonst pflegst du deine Augen nur zu benutzen, wenn schöne Weiber im Fahrwasser sind! Sollten wohl die Nixen eine Invasion gemacht haben?!«

»Das sah mehr nach Heiducken aus!« sagte Keyserlingk eifrig.

»Wenn's nur keine Russen waren, wie es Jordan geträumt hat!« lachte der König. »Sei ruhig, Jordan – nicht die Russen – ich selbst habe da ein bißchen geplündert! Nicht, weil ich's nötig hätte – nur damit du wahr träumst! Denn – auf die Plünderung kam's dir bei dem Traum wohl an!«

Und er erzählte den Freunden, wie er all die silbernen Tischplatten, Kandelaber und anderes Gerät, auch den großen silbernen Musikantenchor aus dem Rittersaal, den sein Großvater, der erste König von Preußen, hatte anfertigen lassen, nach der Münze schaffen ließ, um die Schätze in harte Taler umzuprägen.

»Nicht aus Zwang der Not«, sagte er nochmals eilig, als er die erschrockene Miene Jordans sah. »Wir haben Geld genug, den Krieg weiterzuführen. Sechs Millionen Taler haben wir dem Schatz entnommen, anderthalb Millionen haben die Stände hergegeben! Wir benutzen nur die Gelegenheit, den alten geschmacklosen Plunder im Schlosse loszuwerden und nutzbringend anzulegen. Wir verwandeln ihn in Soldaten, Pulver und Blei, die uns in den Stand setzen, Viktorien zu gewinnen! Nachher lassen wir ihn wieder auferstehen – aber in veredelter, künstlerisch wertvollerer Form! Die Künstler kriegen zu tun, und wir haben den Gewinn! Jordan aber, dessen Traum von der Plünderung des Schlosses uns auf den Gedanken brachte, hat die Verantwortung für den Schaden – wenn's ein Schaden sein sollte!«

Er lachte kurz.

»Ich werde mich in acht nehmen«, sagte Jordan, »Eurer Majestät nochmals meine Träume mitzuteilen! Reliquien sind Heiligtümer –«

»So viel Wert haben sie nimmermehr wie das Blut eines einzigen meiner Grenadiere, das auch für die Sache fließen muß! – – Sag einmal, Jordan, du Allerweltsbesserwisser – was hältst du von den Tanzmeisters?« fragte er dann, plötzlich auf ein anderes Gebiet überspringend.

»Eure Majestät wollen gnädigst den Grafen Keyserlingk darüber interpellieren! Er versteht sich auf das Ballett besser als ich!«

»Sicherlich!« lachte Friedrich. »Auch ich traue mir einiges Urteil auf dem Gebiet Terpsichores zu. Nun fragte ich aber nicht wegen des Tanzes! Ich möchte nur wissen, was du von denen Tanzmeisters – als Politikern hältst!«

»Eure Majestät belieben zu scherzen!«

»Auch im Scherz suchen wir den Ernst! Diplomaten sind oft gute Tänzer, aber zu weiter nichts zu gebrauchen! Warum sollte denn nicht ebensogut ein Tanzmeister Pirouetten in der Diplomatie machen können? – Da kam uns jedenfalls neulich einer herangehüpft mit einer guten Idee, die unserer Politik nützlich werden konnte! Wir griffen sie auf! Wir nahmen die Invitation zum Tanz an – wir streckten die Hand aus – da macht der Teufelskerl ein Salto mortale und läßt uns die Tour solo beendigen!«

»Wollen Eure Majestät die Gnade haben, zu erklären, um was der Tanz ging?«

»Wenn wir mittanzen, geht's immer um die Krone, Jordan!«

»Um die – –?«

»Um die Kaiserkrone, mon ami! Um eine andere wird hier im Lande nicht getanzt! Die will man jetzt wieder dem Hause Österreich zutanzen! Wir wollen es aber nicht! Wir sehen sie lieber auf dem Haupte des Kurfürsten von Sachsen – obwohl er, als König von Polen, eigentlich nicht in Frage käme! Rußland teilt unseren Wunsch und bietet dem Grafen Brühl ansehnliche Summen, um ihn dazu zu bewegen, die Kandidatur Augusts aufzustellen! Österreich, England e tutti quanti haben ihm aber schon erhebliche Summen für das Gegenteil bezahlt! Und Brühl hat also das Angebot Rußlands zu dem Versuch benutzt – England mehr Geld abzupressen!«

»Abscheulich!«

»Was willst du! Ohne Bestechung wird in der Politik nichts erreicht! Brühl hat noble Passionen – teure Passionen! Er verkauft aber auch seinen erlauchten Herrn nur zu den höchsten Preisen! Seine Briefe in dieser Sache an Carteret kannten wir dem Inhalt nach! Wir brauchten aber die Originale, um sie in Petersburg vorlegen zu lassen und so das Doppelspiel Brühls aufzudecken. Können wir das, dann wird sich Rußland ruhig verhalten, wenn wir nicht ganz so sanft mit Sachsen umspringen!«

»Und die Originale?« fragte Keyserlingk.

»Die wurden unserem braven Klinggräff von einem ehemaligen Tänzer, Chevalier Fossano, angeboten, dem sie – da er auch Spielbankhalter war – als Pfand für eine Spielschuld einer der Kreaturen Charterets in die Hand gegeben waren. Unser braver Klinggräff aber griff nicht gleich zu! Der Preis war hoch – er glaubte erst unsere Erlaubnis einholen zu müssen! Und inzwischen tanzte der Ballettmeister mit seinem interessanten Raub in die weite Welt hinaus! So wenig Wagemut haben unsere Diplomaten! Sie sind unfähig oder ängstlich, hüben wie drüben! Wir müssen alles selbst tun! Auch im Felde! Unsere besten Generale sind gefallen, oder sie kehren uns schmollend den Rücken!«

»Wollen Majestät den General Einsiedel nicht pardonieren?«

»Nimmermehr! Er hat uns durch seine miserablen Manövers schon eine halbe Armee gekostet!«

»Wenn aber dann der Feldmarschall Schwerin wiederkehrt?«

»So wird Schwerin nicht wieder angenommen! Wer seinem König Bedingungen macht, wenn Not am Mann ist, den kann der König nicht gebrauchen! Schwerin war unser bester Mann! Das mit dem Einsiedel hat er uns krumm genommen und ist gegangen, weil wir ihm seinen Willen nicht tun! Wir lassen uns aber nicht zwingen! Überdies ist ja Winterfeldt noch da! Und den Alten Dessauer haben wir wieder ins Kommando berufen!«

»Eine harte Nuß!« lachte Keyserlingk.

»Aber doch noch zu knacken!« meinte der König. »Er ist ein Querkopf wie Jordan – aber ein General wie wenige! Schlesien hat er uns bereits gesäubert! Er wird auch noch weiter gut funktionieren, wenn sein Eigensinn mit dem Feinde so viel zu tun bekommt, daß er uns damit ungeschoren lassen kann! Und dafür wollen wir sorgen! Wir sind aber nicht gekommen, um über unsere Generale mit dir zu räsonieren! Es gibt Leute, die uns weit schwierigere Probleme stellen!«

»Dürfte ich fragen, welche?«

»Wir sagten bereits – die Tanzmeisters! Und auch die Tänzerinnen!«

Jordan warf sich im Bette zurück und blickte den königlichen Freund lächelnd an.

»Nun«, sagte Friedrich, »du zeigst mit deinem Lächeln, daß du recht geraten hast! Wir meinten die Barberina! Die Dame hat Ehrgeiz! Sie schien mir nicht nur in der Kunst eine Rolle spielen zu wollen! Wir haben sie auf die Probe gestellt! Wir haben versucht, ob sie imstande wäre, auch nur in der Kunst – also auf ihrem eigenen Gebiet – unseren Intentionen Leben zu verleihen! Wir hofften das! Sie hat uns aber enttäuscht! Wir waren mit ihrer Galathee sehr übel zufrieden! Du hast sie doch auch gesehen?«

»Allerdings!«

»Wie gefiel sie dir?«

»Gut!«

»Wir fanden sie miserabel! Gekünstelt, gemacht, gewollt, berechnet! Keine Spur von der unmittelbaren Natürlichkeit, die wir wollten! Die Poesie des ersten, zum Bewußtsein erwachenden Lebens empfand sie nicht – sie verstand sie nur! Und deshalb gab sie nur Theater – gut gemachte Pantomime – aber keine wahre Kunst! Wir haben uns da in der Kunst auch eine Niederlage geholt, Jordan! Und keine kleine! Das Weib ist eben ein schwer zu behauptendes Schlachtfeld!«

» Das Schlachtfeld verlangt eben eine ganz besondere Strategie!« sagte Jordan lächelnd. »Wer vom Weib Empfindung haben will, muß sie zu erwecken verstehen!«

»Und das meinst du, könnten wir nicht?«

»Das könnten Eure Majestät wohl auch! Eure Majestät haben es aber vorgezogen, zu ihrem Verstand zu sprechen! Da kann sie sich doch nicht herausnehmen, mehr zu geben, als von ihr verlangt wird! Nur das, was man dem Weibe gibt, gibt es wieder heraus!«

»Sie ist aber nicht nur Frau, sondern auch eine große Künstlerin! Die Aufgabe selbst muß zu ihrer Empfindung sprechen – nicht der Auftraggeber!«

»Ein echter Künstler empfängt vom Leben allein seine Aufgaben! Ein königlicher Befehl löst keine Kunst aus, nur dienstliche Verrichtung!«

»Du kannst uns doch nicht zumuten, selbst bei ihr den Pygmalion zu agieren?!«

»Im gewissen Sinne – ja – wenn Eure Majestät mehr als den bloßen Dienst von ihr sehen wollen!«

»Die bloße künstlerische Anregung genügt da also nicht?«

»Vielleicht – wenn sie richtig gegeben wird! Sie ist vor allem ein Weib – da liegt der Schlüssel zu ihrer Kunst! Sie ist nicht mehr jung, sie hat das Leben schon ausgekostet! Sie ist vor allem als Künstlerin nicht mehr jung! Ihr Ehrgeiz hat alle gewünschte Befriedigung gehabt, alle Triumphe gefeiert! Die Kunst allein gibt ihm nicht mehr den nötigen Reiz, um ihre Seele in Schwung zu versetzen! Ihr Ehrgeiz richtet sich auf das Leben selbst, um da neue Nahrung zu finden! Und da das Leben sie auf eine so hohe Stufe gestellt hat – – –«

Friedrich begann zu verstehen. Er blickte Jordan scharf an.

»Du hörst: wir haben sie auf die Probe gestellt! Wir sind aber nicht Ludwig von Frankreich! Wir werden also dem Ehrgeiz der Damens, die auch nach unserer Macht schielen, nur wenig Befriedigung bescheren! Unser Tun ist unser Tun! Da teilen wir mit niemand. Uns kann sie nichts als das Amüsement bieten! Da aber verlangen wir alles und echtes – auch wenn es sich nur um eine künstlerische Leistung handelt! Sie hat das, was wir von ihr wollen! Und sie soll es hergeben – – wir zwingen sie noch! Auch die Schlacht gewinnen wir!«

»Wie wollen Eure Majestät das anstellen?«

»Frage mich, wie ich die Schlachten, die ich noch mit Österreich auszukämpfen habe, gewinnen werde! Ich weiß, daß ich sie gewinne! Wann, wo und wie, das ist Sache des Augenblicks! Ich lasse die Gelegenheit an mich herankommen und benutze sie! Enfin! Gute Nacht, Jordan! Ruhe dich aus! Morgen sehe ich noch nach dir!«

Er nahm Keyserlingk unter den Arm und ging mit ihm zu Fuß nach der Oper, von wo er, nachdem er sich gezeigt hatte, unbemerkt fortgegangen war, um seinen kranken Freund zu besuchen.

In seinem kleinen Salon hinter der Proszeniumsloge angekommen, legte er Domino und Maske an. Keyserlingk folgte dem Beispiel, und sie mischten sich unter die Schar der Tanzenden, die das Parkett und die Szene füllten.

Das Menuett hatte eben begonnen. In feierlich graziösem Reigen wogte die Menge hin und her.

Auf einer Erhöhung stand eine glänzende Gesellschaft und sah sich das Treiben an. Eine Menge von eleganten Masken umdrängte eine reich kostümierte, mit kostbaren Brillanten geschmückte Hirtin, in der unschwer die gefeierte Königin des Balles, die Barberina, zu erkennen war.

Friedrich, von Keyserlingk begleitet, näherte sich der Gruppe. Da trat aus der Menge eine in einen schwarzen Domino gehüllte Gestalt vor und richtete in reinstem Italienisch einige Worte an Barberina. Sie stutzte, blickte ihn scharf an, zögerte einen Augenblick, reichte ihm dann aber die Hand und trat zum Menuett mit ihm an. Die Menge machte Platz und hielt im Tanzen inne, um Barberina zuzusehen, denn ein jeder erkannte sie. Die kleine Halbmaske verbarg nur Stirn und Augen.

Noch niemals hatte Friedrich sie so tanzen sehen. Ein Feuer war auf einmal über sie gekommen, ein Schwung der Linien, eine Poesie des Ausdrucks! Der halboffene Mund atmete lauter Hingabe – sie schien von einem fremden Willen getrieben, von dem sie die Bewegung empfing! Nicht auf dem Maskenball in der Oper tanzte sie – fern, in einer anderen Welt, die ihre Phantasie erschlossen, schwebte sie – eine Elfe, ein Wesen aus Mondschein und Nebel, flatterte sie über feuchtgrüne Wiesen hin – leicht, luftig, kaum noch imstande, mit dem Druck ihres Fußes einen Grashalm zu biegen!

»So ist's recht, Psyche!« sagte die Maske plötzlich mitten im Tanze und lachte kurz auf. »Nun laß noch den letzten Schleier fallen!«

Mit einem Ruck blieb sie stehen und griff sich keuchend an die Brust. Dann, schnell wie der Blitz, streckte sie die Hand aus und versuchte ihrem Partner die Maske vom Gesicht zu reißen. Er aber war schneller als sie, er entrann dem Griff und verschwand schnell in der Menge, die sie jetzt aufgeregt umwogte.

Friedrich aber verlor ihn nicht aus den Augen.

»Wir wollen uns jenen Zauberer näher ansehen!« sagte er und zeigte ihn Keyserlingk. »Nimm du ihn fest, aber möglichst unbemerkt, und bring ihn in unsere Loge!«

Keyserlingk winkte einigen maskierten Dienern, die dem König in respektvoller Ferne folgten, drang, von ihnen begleitet, zu dem Unbekannten vor, der sich jetzt unbemerkt glaubte und an der Brüstung einer Loge lehnte. Sie nahmen ihn, wie zum Scherz, in ihre Mitte und drängten ihn nach der Tür der königlichen Loge, die aufging und sich dann sogleich hinter ihnen schloß.

Friedrich wollte zu Barberina – aber er kam nicht rasch genug durch die aufgeregte Menge. Ehe er bis zu ihr gelangte, sah er, wie sie den Arm einer Maske nahm, in der er unschwer Rothenburg erkannte, und, auf ihn gestützt, den Saal verließ, um sich nach ihrer Garderobe zu begeben.

Er wartete noch die Rückkehr Rothenburgs ab und ließ ihn dann zu sich befehlen.

»Nichts Schlimmes!« antwortete Rothenburg auf die Frage des Königs nach ihrem Befinden. »Sie wird bald wieder erscheinen!«

»Was hat sie denn so aufgeregt?«

»Wohl weiter nichts als einer der üblichen Maskenscherze! Eine Mystifikation, der sie zum Opfer fiel!«

»Erkläre dich näher!«

»Wir standen im heiteren Gespräch mit ihr und belustigten uns über die grotesken Krummsprünge der Masken. Da trat ein Domino an sie heran und bekomplimentierte sie im reinsten Italienisch für ihren schönen Schmuck! ›Wären Sie aber auch vom Scheitel bis zur Sohle mit Brillanten bedeckt, Mademoiselle – so könnten Sie meine Blicke doch nicht blenden, daß ich nicht imstande wäre, Ihren allerschönsten Schmuck zu sehen, den Sie darunter verbergen!‹ – ›Welchen Schmuck?‹ fragte sie. ›Den einzigen, den Sie – in Fontainebleau als Venus trugen!‹«

Friedrich lachte.

»Wir kennen die Geschichte jenes Leberfleckens! Unser braver Chambrier versäumt es niemals, uns von derartigen weltbewegenden Begebenheiten zu berichten!«

»Ein Schönheitspflästerchen war's nur! Parole d'honneur!« rief Rothenburg schnell!

»Du wirst es am Ende wissen!« antwortete Friedrich ruhig. »Und sie – wie nahm sie jene delikate Anspielung auf?«

»Sie blickte den Fremden stechend an. – ›Die Stimme kenne ich!‹ rief sie, ›wer sind Sie?‹ – ›Wenn Mademoiselle mir die Ehre eines Tanzes geben wollen, werden Sie's wissen!‹ lachte er. Kurz entschlossen nahm sie seine Hand. Das Weitere haben Eure Majestät gesehen!«

»Wir werden bald zur Demaskierung blasen lassen«, sagte der König. »Dann wird sich das Geheimnis aufklären. Geh zu ihr, sag ihr das von mir. Und auch, daß ich sie bitten lasse, nach dem Ball mit mir zu soupieren!«

Rothenburg ging, und der König begab sich nach seiner Loge.

Im kleinen Salon erwarteten ihn Keyserlingk und sein Gefangener, immer noch maskiert. Friedrich legte Maske und Domino ab und nahm in dem Sofa Platz.

»Wir haben Sie kommen lassen, um Sie zu bitten, uns aufzuklären«, sagte er, sich an die Maske wendend. »Wir bekomplimentieren Sie übrigens! Sie tanzen ganz ausgezeichnet! Und – noch mehr – Sie verstehen es exzellent, Ihre Partnerin in den Rausch der Rhythmen zu versetzen, ohne den der Tanz kein Tanz ist!«

»Eure Majestät überschätzen meine Wenigkeit! Die Signorina Barberini ist eine der ersten Künstlerinnen unserer Zeit!«

»Ohne Zweifel! Sie hat viel Charme, eine unnachahmliche Grazie, viel Kunstfertigkeit – das geben wir zu! Ihr Tanz hat aber etwas Kaltes, Kühles, Überlegenes – in jeder Beziehung vollendet, aber stets ihrem Willen Untertan! So eruptiv – so in Ekstase sahen wir sie – seit ihrem ersten Auftreten nicht!«

»Majestät – wenn's so ist, dann muß auch ich selbst annehmen, einigen Einfluß auf sie ausgeübt zu haben! Ich war selbst in Ekstase – war selbst von ihr berauscht!«

»Ich kenne wenige, die das nicht wären«, sagte der König langsam, »aber keinen einzigen, dem es gelungen wäre, sie aus ihrer Reserve herauszuholen! Wie haben Sie das bewirkt?«

»Die Erklärung ist nur bei ihr zu finden! Sie ist eine Frau im vollsten Sinne des Wortes! Und eine Frau – wenn sie wirklich eine ist – öffnet ihre Seele nur dem einen Auserwählten, der von der Natur für sie bestimmt ist!«

»Wenn sie eine Frau ist?«

»Ja. Ehe sie aber eine wird und vollbewußt als Frau empfindet – dann vielleicht öffnet sich die Knospe ihrer Seele dem ersten, der es versteht, sie mit der Wärme des Lebens anzuhauchen!«

Friedrich schwieg. Einen Augenblick hielt er die Hand vor die Augen.

»Pygmalion!« flüsterte er leise vor sich hin. »Am Ende habe ich da den Pygmalion gefunden, der imstande wäre, meiner steinernen Galathée Leben einzuhauchen!«

Er blickte rasch auf.

»Wir sind weit entfernt«, sagte er, »die Gesetze des Mummenschanzes aufheben zu wollen, obwohl wir uns in unserem eigenen Hause befinden. Noch ist die Demaskierung nicht geboten! Wenn es Ihnen gefällt, bitten wir Sie jedoch, die Maske abzunehmen!«

Der Fremde gehorchte, und Friedrich blickte in ein unbekanntes Gesicht. Er stand auf.

»Wer sind Sie? Ihr Name?«

»Fossano!«

Friedrich blieb vor ihm stehen und blickte ihn scharf an.

»Unser Gesandter in London hat uns den Namen genannt! Sind Sie jener Chevalier Fossano – jener Spielbankhalter – jener ehemalige Tänzer, der uns seine Dienste angeboten hat, nur um uns an der Nase herumzuführen?! Sie haben noch die Dreistigkeit, uns unter die Augen zu treten?!«

»Ich bitte Eure Majestät, Gnade walten zu lassen! Jener Brief schien mir zu kostbar, um ihn in eine dritte Hand zu geben! Ich bin gekommen, um ihn selbst Eurer Majestät zu Füßen zu legen!«

Er zog ein zusammengefaltenes Billett hervor.

»Geben Sie her!«

Fossano überreichte den Brief. Friedrich öffnete ihn und erkannte die Handschrift des Grafen Brühl.

» Très bien!« sagte er. »Es ist vielleicht besser so! Geben Sie Ihre Wohnung an! Mein Schatzmeister wird Ihnen eine angemessene Belohnung auszahlen!«

»Ich danke alleruntertänigst für die große Gnade! Ich muß es aber ablehnen, Geld anzunehmen für etwas, was ich aus Ergebenheit für Eure Majestät getan habe!«

Friedrich blickte ihn an.

» Eh bien!« sagte er kurz. »Wir lassen uns aber nichts schenken! Wenn Sie nicht Geld wollen – so bitten Sie sich eine andere Gnade aus!«

»So bitte ich alleruntertänigst darum, an der Oper in Berlin tanzen zu dürfen!«

Friedrich lachte kurz auf.

»Wir glauben schon«, sagte er, »daß Sie in unserem Corps de ballet Ihren Mann stellen würden! Wenn Sie aber auch die Gabe haben, die Tänzerinnen derartig in Aufregung zu versetzen, wie wir es heute gesehen haben, so sind wir nicht sicher, daß die Damen nicht plötzlich fahnenflüchtig werden! Und das wollen wir vermeiden! Nach Ihrer eigenen Erklärung des soeben Geschehenen müssen wir annehmen, daß Sie im Leben der Dame Barberina entweder die Rolle des ›Auserwählten‹, wie Sie sagen – oder die des ›Ersten‹ gespielt haben. Und auch, daß Ihre Rolle in diesem Sinne beendigt ist! Denn sonst – wenn es ihr angenehm wäre, wären Sie wohl längst hier?«

»Eure Majestät haben nicht so unrecht!«

»Wollen Sie uns also über jene Beziehungen näher aufklären?«

»Gern!«

Und Fossano erzählte, wie er sie gefunden und unterrichtet, wie er sie in die Welt eingeführt hatte – er erzählte von Psyche, Hebe, Venus und all den anderen Etappen ihrer Karriere. Und Friedrich, in die Ecke seines Sofas zurückgelehnt, lauschte gespannt, und lachte nur dann und wann kurz vor sich hin.

» Eh bien!« sagte er dann, als Fossano geendet hatte. »Sie sind das, was wir suchen! Wir wollen Sie engagieren – aber für die Oper in Dresden!«

Fossano blickte ihn erstaunt an.

»Gehen Sie nach Dresden, melden Sie sich beim schwedischen Gesandten am dortigen Hofe, Wulffenstjerna! Wir wollen ihn benachrichtigen. Er wird das Weitere veranlassen! Suchen Sie das Vertrauen Brühls zu gewinnen, schimpfen Sie auf uns! Wir pardonieren Sie im voraus – nehmen Sie nur kein Blatt vor den Mund! Wenn Sie sich als der verschmähte Geliebte Barberinas ausgeben, wird er Ihnen Glauben schenken! Spielen Sie Ihre Rolle gut. Bedienen Sie uns mit Fleiß. Wir wollen alles wissen. Halten Sie sich dann bereit, hier an unserer Oper zu tanzen, wenn wir Sie rufen lassen! Aber kein Wort davon im voraus! Ihr Auftreten hier behalten wir uns vor – als Surprise!«

Fossano verbeugte sich.

»Ich stehe Euer Majestät zu Diensten und werde mich bemühen, das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen!«

»Wir glauben es! Reisen Sie also morgen früh nach Dresden. Zeigen Sie sich heute nicht mehr auf dem Ball!« Er lachte kurz auf. »Apropos!« sagte er. »Da Sie doch nach Hause gehen, brauchen Sie Ihren Domino nicht mehr! Sie können ihn hier lassen!«

Fossano blickte Friedrich verständnisvoll lächelnd an, legte dann Domino und Maske auf das Sofa, küßte ehrerbietig die ihm gnädigst gereichte Hand des Königs, empfahl sich und ging.

Draußen im Saal wogte das Treiben der Masken hin und her. Der Trubel hatte seinen Höhepunkt erreicht.

Da auf einmal schmetterten die Trompeten eine Fanfare, die Masken drängten sich nach der königlichen Loge, vor der sie sich in einem Halbzirkel aufstellten.

Allen voran, am Arm des Grafen Rothenburg und von unzähligen Verehrern umschwärmt, die Barberina.

An der Brüstung der königlichen Loge erschien Friedrich, unmaskiert – an seiner Seite jener schwarze Domino, der mit Barberina getanzt hatte.

Auf einen Wink des Königs schmetterten die Trompeten noch einmal, und sämtliche Masken fielen – auch die des schwarzen Dominos an seiner Seite.

»Keyserlingk!« rief die Barberina enttäuscht und blickte zu dem pausbäckigen, lebenslustigen Grafen hinauf, dessen Augen ihr lustig entgegenlachten. » Er war's? – Nicht möglich!«

Und sie wollte sich nicht davon überzeugen lassen, so viel Mühe Rothenburg sich auch gab, als er sie langsam durch das Gedränge führte, um sie nach dem Speisesaal des Königs zu begleiten, wo das Souper sie erwartete.

Friedrich aber war sehr aufgeräumt und gab Keyserlingk den Auftrag, schon am nächsten Tage seinem Freund Jordan zu berichten, die schwerste Schlacht in dem zu eröffnenden Feldzuge wäre bereits halb gewonnen!


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