Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XX.

Aufstehen! Staffingk! Aufstehen! - rief Graf Selbotten, indem er an Staffingks Tür klopfte.

Staffingk fuhr in die Höhe. Er hatte wirr geträumt und wußte zuerst nicht, wo er sich befand. Erst allmählich erinnerte er sich alles dessen, was am Tage vorher geschehen. Schnell sprang er aus dem Bett, sich anzuziehen. Dann ging er hinüber ins Eßzimmer, wo Graf Selbotten schon mit dem Frühstück auf ihn wartete. In einer Wiener Kaffeemaschine bereitete er selbst den Kaffee, auf einem Brenner brodelte das Wasser, um Eier zu kochen.

Staffingk hatte ein paar Briefe mitgebracht: ein Schreiben an den einzigen näheren Verwandten, den er besaß, einen Stiefbruder, eines an seinen Chef im Auswärtigen Amt, eines an den Kommandanten von Selbottens Regiment, bei dem er Reserveoffizier war, und eines an seinen Sachwalter.

– Das besorgst Du wohl, falls es nötig sein sollte! – sagte er, indem er dem Freunde die Briefe gab und noch den an Maria dazulegte mit den Worten:

– Den vor allem! Er ist an Maria für den Fall, daß mir was passieren sollte!

Graf Selbotten zwang sich möglichst heiter zu sein:

– Gut, meinetwegen. Ich schließe sie ein und wenn wir zurückkommen, kriegst Du sie wieder!

Dann frühstückten sie, aber beide vermochten nur wenig zu genießen. Schweigend verlief das Mahl, während dessen Stassingk mehrmals nach der Uhr sah. Er beruhigte sich selbst:

– Es ist noch Zeit!

Doch Graf Selbotten sagte schließlich aufstehend:

– Vielleicht ist es doch besser, wir reiten ab. Wir können ja Schritt reiten. Müssen nur unbedingt zur rechten Zeit da sein. Lieber ein bißchen zu früh.

– Gut. Los!

Stassingk band sich noch unterhalb des Knies ein paar Riemen um, damit das lange Beinkleid, das er trug, beim Reiten nicht rutschen sollte. Auf dem Kampfplatze wollte er sie wieder abnehmen. Dann ging es hinunter in den Stall, wo die Pferde schon gesattelt standen.

Der Morgen war frisch, und Stassingk schlug die Hände ein paarmal auf den Schenkel, um sich zu wärmen. Als sie auf den Reitweg der Tiergartenstraße einbogen, gab Graf Selbotten seinem Burschen, der auf einem dritten Pferde folgte, einen Wink, größeren Abstand von ihnen zu halten.

Unter den Bäumen ging es durch die menschenleere Straße. Der Tiergarten rechts von ihnen schien noch zu schlafen, kein Hauch regte sich, leblos hingen die Blätter herab. Unter den Hufen der Pferde stiebte leicht der Sand. Der Himmel hatte sich matt gerötet, man spürte die aufgegangene Sonne, aber ihre Scheibe war nicht zu sehen. Drüben die Villen jenseits der Straße machten mit ihren geschlossenen Rolladen den Eindruck, als schlummerten sie. Nun mußten sie gleich an die Villa da Gaza kommen. Das große, schmiedeeiserne, prunkvolle Gitter erschien, der Garten mit ein paar starken Palmen, die immer für den Sommer eingepflanzt wurden. Dann schaute das Haus aus dem Grün.

Unwillkürlich blickten beide Reiter hinüber. Auch dort waren die Läden zu.

– Es scheint noch niemand auf zu sein! – scherzte Stassingk, doch er mußte sich Mühe geben, die Worte herauszubringen. Graf Selbotten antwortete nur:

– Die Schlafzimmer liegen nach hinten.

Nun hatte der junge Diplomat die unangenehme Empfindung, als könne jeden Augenblick der Cazasche Wagen aus dem Tore fahren. Eine Begegnung jetzt wäre ihm peinlich gewesen:

– Wenn wir trabten? Bloß ein Stück! – schlug er Selbotten vor.

– Gern!

Sie ritten schweigend nebeneinander, nur der Säbel Selbottens klirrte ab und zu an die Sporen und Stassingks Tier hustete einmal, so daß er ihm den Hals lang gab. Um etwas zu sagen, bemerkte er:

– Seit wann hustet die Stute?

– Ach, es ist nichts. Vielleicht ist's etwas Stroh, sie frißt leider öfters nachts ihre Streu!

Wieder trabten sie schweigend weiter und bogen in eine Seitenstraße ein, um den Kanal zu überschreiten. Dort war Pflaster, deshalb gingen sie wieder in Schritt über. Graf Selbotten blickte nach der Uhr:

– Es ist noch reichlich Zeit!

Am Kurfürstendamm begann der Reitweg von neuem und Stassingk, der ein wenig nervös geworden war, trieb zur Eile:

– Wir dürfen nicht eine Minute zu spät kommen, Selbotten!

– Aber nein, ich bin pünktlich.

– Es könnte doch mit den Pferden etwas vorkommen!

– Beiden wird doch nicht gleich etwas passieren. Wenn wirklich mit einem was wäre, so tauschst Du oder ich einfach mit dem Burschen!

Sie trabten wieder. Nun war er etwas beruhigter und sagte nichts mehr.

Als sie aber vor sich auf der Straße einen Wagen erblickten, gingen sie abermals in Schritt, da sie zuerst glaubten, es könne Herr da Caza mit seinen Sekundanten sein. Aber es war eine Droschke. Trotzdem blieben sie zurück, denn der Gegner konnte ja auch eine Droschke benutzen, vielleicht um nicht mit der bekannten Livree aufzufallen.

Sie kamen zu den ersten Villen der Kolonie Grunewald. Bei der Biegung des Weges sahen sie Herrn von Kreuths schmißgerötetes Gesicht in der Droschke. Ein fremder Herr – der Arzt – mit blondem Vollbart und Brille saß neben ihm. Eine Reisetasche lag auf dem Vordersitz.

Von der Chaussee, die sie noch eine Strecke weit verfolgt, bogen sie nun links ein, hielten die Pferde an, winkten den Burschen herbei, saßen ab und Graf Selbotten sagte ihm:

– Gehen Sie mit den Tieren ein Stück vom Wege ab hier hinein in das Gebüsch. Warten Sie auf uns, wir sind bald wieder zurück!

Stllssmgk klopfte der Stute noch den Hals, dann bückte er sich, um die Riemen von den Knieen zu lösen. Er gab sie dem Burschen zum Aufheben:

– Ich schnalle sie nachher wieder um.

– Zu Befehl, Herr Graf! – antwortete der kleine Husar, indem er die Absätze zusammenschlug.

Dann traten die beiden Freunde in den Wald, der sich schweigend vor ihnen auftat. Der Boden war, wo die Bäume lichter standen, mit jungem Grün bedeckt, hier oder dort lag ein Frühstückspapierfetzen. Schräg fiel die Sonne durch die dünnen Kiefernstämme den beiden auf den Rücken.

– Es wird wärmer! – sagte Stassnigk im Bedürfnis zu sprechen, Graf Selbotten antwortete:

– Wie schön ruhig es hier ist!

– Ja, ganz ruhig!

– Wir sind ja auch noch kaum einem Menschen begegnet.

Stassnigk fragte:

– Wo treffen wir denn Kreuth und den Doktor?

– Ich denke an Ort und Stelle. Wir wollen verschiedene Wege gehen.

– Kommen die anderen auch von hier?

– Nein, die kommen über Paulsborn!

Immer schritten sie weiter, die Sonne im Rücken, in das Dunkel der hier dichter werdenden, größeren Kiefernstämme hinein.

Stassnigk fragte noch einmal:

– Hier wird uns doch niemand stören?

Eine Sekunde hatte er das Gefühl, als könne sich noch irgend ein Zwischenfall ereignen, und der Gedanke war ihm nicht unangenehm, die Sache vielleicht verschoben zu sehen. Es würde ja wohl nichts dabei herauskommen, aber es blieb doch immer ein ernstes Ding. Dann schämte er sich aber sofort wieder seiner Schwäche, und als Selbotten antwortete:

– Nein, das glaube ich auf keinen Fall! fühlte er das Bedürfnis, sich zu entschuldigen:

– Ich meinte nur, weil es doch sehr unangenehm sein würde für uns alle, wenn die Geschichte womöglich in die Zeitungen käme oder gar die Polizei sich darum kümmerte. Dann muß ich auch sagen: wenn schon, denn schon. Nun ist einmal alles so weit vorbereitet, da wäre es doch zu umständlich, wenn wir wieder nach Hause gehen müßten!

Je näher sie dem Ziele kamen, desto mehr verschwand Stassingks leise Beklommenheit. Als sie einen Waldweg überschritten und einer jungen, hübschen Frau begegneten, schlank, aber mit vollen Gliedern, einen Korb auf dem Rücken, war seine alte Art und Weise doch so weit wiedergekehrt, daß er ihr unter den Hut sah. Er dachte sich nichts dabei, es war einmal so seine Gewohnheit, daß er es von selbst tat.

– Da ist doch jemand! sagte er zu Selbotten.

– Die wird wohl Butter bringen oder so was. Sonst kommt kein Mensch hierher.

Eine Weile schritten sie noch fort, dann standen sie plötzlich auf einer Lichtung. Graf Selbotten zog die Uhr:

– Hier ist es. Noch zehn Minuten Zeit!

Nun blickte sich Staffingk um. Kein Mensch war zu sehen. Die Sonne leuchtete rötlich strahlend schräg über den nur mäßig großen Platz, wo die Bäume wahrschemlich zu einem Bauplatz oder vielleicht einer neuen Wegeanlage gefällt waren und nur noch einzelne Stumpfe stehen geblieben. Wie sie so warteten, prägte sich dies Bild Stassingk ein. Er merkte auf die Landschaft, die ihm sonst hier draußen im Grunewald immer gleichmäßig langweilig erschienen war. Er sah die Spinnweben, leicht mit Reif überzogen, die sich wie kleine Segel hier und dort spannten, und an den Baumenden die Harztropfen goldglänzend wie Bernstein.

Ein Ruf Selbottens riß ihn aus seinen Träumen:

– Stassingk, Kreuth kommt.

Am Saum der Lichtimg trat der lange Herr von Kreuth mit dem viel kleineren Arzte aus dem Wald. Sie trugen vereint die Handtasche. Die Herren wurden miteinander bekannt gemacht:

– Herr Doktor Croener – Graf Stassingk – Graf Selbotten.

Dann schüttelten sie sich die Hand und Stassingk sagte mit voller Ruhe, liebenswürdig, verbindlich, lächelnd wie immer:

– Ich hoffe – das muß ich ja im eigenen Interesse – daß ich Ihnen keine Mühe machen werde, aber jedenfalls danke ich Ihnen herzlichst, Herr Doktor, daß Sie die Unbequemlichkeit auf sich genommen haben, so zeitig für mich hier in den Grunewald herauszukommen.

Ebenso artig erwiderte Doktor Croener, indem er an seiner goldenen Brille rückte:

– Aber bitte sehr. Herr Graf, bitte sehr!

Dann blieben die vier Herren zusammenstehen und Selbotten zog von neuem die Uhr:

– Noch zwei Minuten.

Aber fast im selben Augenblick kamen von der entgegengesetzten Seite die Gegner. Voran Rittmeister Hendrich mit einem Fremden, offenbar ihrem Arzt. Hinter ihnen Leutnant von Remer und Herr da Caza.

Die Parteien schritten auf einander zu, verlangsamten ihren Schritt, blieben dann halten und grüßten. Darauf machte man sich bekannt, soweit man sich noch nicht kannte. Als Doktor Kießling wurde der Unbekannte, ein jüngerer Herr mit blondem Schnurrbärtchen, der den Eindruck eines Offiziers in Zivil machte, vorgestellt. Die beiden Gegner hielten sich etwas zurück, während die Sekundanten näher zueinander traten.

Herr da Caza trug einen langschößigen, zweireihigen Rock und hohen Hut. Er verriet nicht eine Spur von Bewegung. Regungslos blieb er stehen, indem er sich mit der tadellos behandschuhten Rechten auf seinen Stock stützte. Stassingk warf einen Blick auf ihn, vollständig gleichgültig, als ob er einen Fremden betrachte, dann sah er, um seinem Auge nicht zufällig etwa doch zu begegnen, über die Fläche hinaus in den Wald. Er dachte daran, wie sie sich so stellen mußten, daß keinem von ihnen das Licht hinderlich wäre, und er drehte sich um, weil er sehen wollte, wie das gemacht werden sollte. Er fühlte sich ganz sicher. Die Sekundanten zogen das Los darum, wer Leiter des Duells würde. Rittmeister Hendrich riß dazu ein paar Grashalme vom Boden ab und versteckte sie in seiner geschlossenen Hand, so daß nur die Enden hervorschauten, indem er Graf Selbotten fragte:

– Wenn es Ihnen recht ist: wer das Lange zieht, leitet den Zweikampf. Also bitte, welches?

Selbotten wählte das Kürzere. So war also Rittmeister Hendrich der Leiter, während Graf Selbotten ihm beigegeben ward.

Nun gingen die Sekundanten daran, den Platz auszusuchen. Die Linie wurde in der Mitte der Lichtung so genommen, daß das Licht des jungen Tages nicht störte, sondern schräg einfiel. Dann prüften die vier Herren von beiden Seiten aus die Lichtverhältnisse und Herr von Kreuth sprach gedämpft:

– Meine Herren, derjenige, dessen Standplatz hier ist, dürfte nach meiner Ansicht benachteiligt sein, denn sein Gegner hebt sich vom Hintergrunde nicht ab, während er selbst als dunkler Punkt im Hellen steht. Wollen Sie sich überzeugen?

Man trat hin und her, beobachtete von beiden Seiten, dann stimmte man Herrn von Kreuth bei. Die Standlinie ward daher etwas verschoben, bis der Mangel beseitigt war.

Darauf bezeichnete Rittmeister Hendrich den einen Standpunkt, indem er dort seinen Stock in den Boden stich. Graf Selbotten ging von diesem Punkte vierzig Schritte ab und bohrte seinen Säbel ein. Auf dieser Linie wurden nun die beiden Barrieren durch auf die Erde gelegte Taschentücher bezeichnet. Die Luft war ganz still, so daß sie sich nicht vom Platze bewegen konnten. Auf diese Art hatte jeder von seinem Standpunkte aus zehn Schritte Raum zum Vorrücken bis an die Barriere, die er nicht überschreiten durfte.

Um die Standplätze ward von neuem gelost. Stassingk bekam den gegen die Stadt zu. Herr da Caza war während der ganzen Vorbereitungen immer noch unbeweglich stehen geblieben, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Er sah nicht einmal dem Abschreiten zu, sondern schien sich überhaupt nicht um das zu kümmern, was dort vorging.

Ein Stück abseits ordneten die Aerzte ihr Verbandszeug. Doktor Croener öffnete seine Reisetasche, legte sie ins Grün, schnallte die Nebenabteilung auf und zog den Pistolenkasten hervor, den Herr von Kreuth dort verpackt. Er gab ihn Leutnant von Remer. Die anderen Sekundanten prüften die Waffen gemeinschaftlich noch einmal. Dann begannen sie langsam zu laden, eine Partei um die andere, wahrend die beiden nicht beschäftigten Herren die Arbeit der gegnerischen Sekundanten überwachten.

Auch dieses schien Herr da Caza nicht zu bemerken, während Stassingk jede Bewegung verfolgte. Aber wenn auch sein Herz etwas eiliger pochte, so hatte er doch seine völlige Ruhe wiedergewonnen.

Nun, wo die Sekundanten fertig waren, wurde – wieder kurz oder lang – um den ersten Schuß das Los gezogen.

– Wollen Sie nicht mal die Grashalme nehmen? – schlug, Rittmeister Hendrich Graf Selbotten vor.

– Gut.

Und er hielt die Hand hin. Der Rittmeister zog – lang.

Herr da Caza hatte also den ersten Schuß.

Einm Augenblick überlief es Stassingk kalt, aber da näherten sich ihm Graf Selbotten und Herr von Kreuth, um ihm Brieftasche, Uhr und Schlüssel abzunehmen. In der Brieftasche lag Marias kleine Photographie, die er sich mitgenommen, deshalb richtete er es so ein, daß sie Selbotten erhielt.

– Hebe es gut auf! – flüsterte er ihm zu, und der Freund steckte sie sofort in die Brusttasche.

Herr da Caza hatte gleichfalls den Inhalt seiner Taschen entleert. Nun stand er, nachdem er auch seinen Stock abgegeben und die Handschuhe ausgezogen, gegen- über von Stassingk, der den Blick zu Boden schlug, um ihn nicht zu sehen.

Bisher war alles mit Bedacht geschehen. Jetzt fragte Rittmeister Hendrich, die Zähne in seinem Puppengesicht zeigend, in dem heute die Rasierlinie noch schärfer herauszutreten schien als sonst:

– Meine Herren, ist noch etwas übersehen? Herr Doktor Kießling, Herr Doktor Croener, sind Sie bereit?

– Jawohl! Jawohl! – klang es zurück. Der Leiter des Kampfes fuhr fort, zu Graf Selbotten gewendet:

– Bitte, Herr Graf, wollen Sie so gut sein, die vereinbarten Bedingungen des Kampfes zu verlesen!

Graf Selbotten zog ein Papier hervor und las, indem er dabei in militärischer Haltung die Absätze schloß:

Protokoll.

1. Die Endesunterschriebenen haben dieses Protokoll aufgenommen, um die zwischen Herrn Franz da Caza in Berlin und Herrn Ernst Graf Stassingk in Berlin entstandenen Streitigkeiten zu ordnen.

2. Die Beweggründe und Tatsachen der Streitigkeiten sind beiden Herren Gegnern bekannt, und dieselben haben erklärt, daß sie allein aus Gründen des Zartgefühles Näheres nicht angeben können.

3. Ein ehrenvoller Ausgleich auf friedlichem Wege konnte nicht erzielt werden, da die entstandenen Streitigkeiten nach Angabe der beiden Herren Gegner einem Schlage gleich zu achten sind.

4. Die Endesunterschriebenen haben infolgedessen den Austrag mit der Waffe am 9. Mai morgens fünf Uhr auf einer Waldblöße im Grunewald bei Berlin festgesetzt.

5. Die Bedingungen lauten:

a) Pistolenduell mit Vorrücken auf zwanzig Schritt Barriere.

b) Dreimaliger Kugelwechsel.

c) Beiden Gegnern unbekannte Waffen, gezogen, aber ohne Korn und Stecher.

d) Losen um den ersten Schuß.

e) Haltenbleiben zum Schluß, auf der Linie.

f) Es kann gezielt werden, ohne zu schießen, und dann weitergegangen.

g) Die Barriere darf nicht überschritten werden.

h) Wer geschossen, bleibt stehen und erwartet die Antwort des Gegners.

i) Vom Fallen des Schusses ab hat der zweite zur Antwort eine Minute.

k) Der Verwundete hat ebenfalls nur eine Minute zur Antwort, es sei denn, daß er gestürzt ist – dann zwei.

6. Es bestehen nur diese, sonst keinerlei Vereinbarungen

Berlin, den 6. Mai mittags ein Uhr.

Für Herrn Franz da Caza:

Hendrich, Rittmeister a. D. von Remer, Sekondeleutnant.

Für Herrn Ernst Graf Stassingk: Graf Selbotten, Pemierleutnant. von Kreuth.

Graf Selbotten steckte das Papier wieder zu sich, dann fragte Rittmeister Hendrich:

– Meine Herren, Sie haben die durch Ihre Sekundanten festgesetzten und von Ihnen gutgeheißenen Bedingungen des Kampfes gehört – geloben Sie, daß Sie diese ehrlich erfüllen werden?

Fast zu gleicher Zeit antworteten Graf Stassingk und Herr da Caza gedämpft, aber entschieden:

– Ja.

Der Rittmeister nahm seine Belehrung wieder auf:

– Meine Herren, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Ehre Sie verpflichtet, vor meinem Kommando »Vorwärts« nicht zu schießen.

Nun erfolgte alles Schlag auf Schlag. Herr von Kreuth und Leutnant von Remer führten Stassingk und Herrn da Caza auf ihre Plätze, gaben ihnen die Pistolen mit »Hahn in Ruh« in die Hand, traten schnell zurück und stellten sich mit den beiden älteren Sekundanten in eine Linie, ein Stück seitwärts parallel zur Schußlinie.

Dahinter hielten sich die Aerzte. Als Stassingk auf seinem Platze stand, mit der Waffe in der Hand, hatte er das vollkommene Gleichgewicht seiner Seele wiedergefunden. Es war ihm gar nicht mehr wie eine ernste Sache: er hatte das felsenfeste Vertrauen, daß ihm nichts geschehen könnte. Er war so ruhig, daß er noch an Maria zu denken vermochte. Für sie stand er ja hier, sie war der Kampfpreis. Jetzt waren alle Frauen, die je in seinem Herzen eine Statt gehabt, verschwunden. Wenn er jetzt davonkäme, so wollte er aus Dankbarkeit nie wieder auch nur eine andere ansehen. Schon deshalb konnte ihm ja nichts widerfahren, weil die Vorsehung doch nicht so grausam sein konnte, ihn jetzt fortzunehmen.

Wenn er fiel, dachte er einen Augenblick, so war es als Sühne, daß er Maria nicht treu gewesen.

Aber er wollte leben, denn er verlangte doch noch so viel vom Dasein, daß es jetzt nicht abgeschlossen werden durfte. Er freute sich auf den Augenblick, wo er ihr telegraphieren und schreiben würde, wie gut alles abgelaufen, denn von nun an schrieb er Maria jeden Tag!

»Vorwärts!« klang da in kurzem, grellem Kommandoton Rittmeister Hendrichs Stimme.

Stassingk war so in Gedanken gewesen, daß er fast erschrak. Er spannte schnell seine Pistole und hob die Mündung nach oben, dann ging er vor, in seinem gewöhnlichen, schwebenden Gang, als ob er nur immer gewohnt sei, den Weg geebnet zu finden, seinem Gegner entgegen.

Herr da Caza schritt gleichfalls auf die Barriere zu, die Pistole auf besondere Erlaubnis der Sekundanten in der linken Hand, weil ihm rechts das Auge fehlte. Auch er hatte sich die Frage vorgelegt, wie er schießen sollte. Ihm lag nichts daran, seinen Gegner ernstlich zu verletzen, nur war er Stassingks nicht sicher und da er den Vorteil des ersten Schusses nun einmal errungen, meinte er, es sei das beste, dem jungen Diplomaten einen Denkzettel zu geben. Er wollte ihn kampfunfähig machen, damit ihn bei Stassingks Antwort nicht selbst etwa dies Schicksal träfe. Auf zwanzig Schritte und mehr war er seiner Kugel sicher.

Deshalb blieb er kurz stehen, senkte die Pistole und zielte nach dem linken Oberarm des Gegners. Doch in dem Augenblick, als Herr da Caza abdrückte, machte Stassingk eine jähe Bewegung nach links.

Der Schuß dröhnte. Stassingk taumelte plötzlich und fiel, seine Pistole loslassend, vornüber zu Boden. Die noch rauchende Waffe in der Hand, sah ihn Herr da Caza stürzen.

– Der Arm! – sagte er unwillkürlich vor sich hin.

Die Sekundanten sprangen zu, Doktor Croener lief herbei. Stassingk lag auf dem Gesicht, ohne sich zu bewegen. Aengstlich betrachtete ihn Herr da Caza. Graf Selbotten, der Arzt und Herr von Kreuth suchten ihn aufzuheben. Es gelang nicht. Nur mit großer Mühe drehten sie ihn herum auf den Rücken. Sein Gesicht schien zu lächeln mit seinem fröhlichen, naiven Ausdruck wie immer. Doktor Croener faßte nach dem Arm.

– Stassingk! Stassingk! – rief ihn Selbotten an. Er antwortete nicht.

Nun öffneten sie ihm den Rock, während Herr von Kreuth die entfallene Pistole an sich nahm, um sie Stassingk für seinen zweiten Schuß zu geben. Der Arzt riß das Hemd auf und sah sofort an der linken Seite der Brust, wo das Herz lag, den Schutzkanal. Er hob den Kopf und schaute die Sekundanten starr durch die goldene Brille an:

– Meine Herren, Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen.

Auch Rittmeister Hendrich und Leutnant von Remer traten heran mit der besorgten Frage:

– Was ist, was ist denn?

– Es ist aus! klang die Antwort des Arztes zurück. Erschüttert blieben sie um den Toten stehen. Auch Herr da Caza, der seine Waffe fortgeworfen hatte, näherte sich und blickte mit finsterem Gesicht auf Stassingk nieder, indem er leise sprach:

– Das war, weiß Gott, nicht meine Absicht!

Und Graf Selbotten, der zu ihm aufblickte, sah – er wußte nicht, warum er darüber so erstaunt war – eine Träne über die braune Wange Herrn da Cazas in seinen Bart laufen.

Auch er glaubte nicht, daß der Schuß so gemeint war.

Rittmeister Hendrich zog den unglücklichen Schützen fort:

– Gehen Sie, Caza, gehen Sie! Sie haben hier nichts mehr zu tun.

Graf Selbotten dachte an Maria, an die beiden Frauen unten in den Bergen, und das Herz wurde ihm schwer.

Keiner rührte sich. Es war ganz still auf der Lichtung. Nicht ein Hauch strich durch den Wald. Man vernahm kein Geräusch, von weitem nur eintönig das Zirpen der Grille.


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