Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XVII.

Endlich am anderen Morgen erkannte sie seine Handschrift, und schon, ehe sie noch eine Zeile gelesen, verflog ihr Groll, ihr Kummer, ihre Trauer. Stassingks Brief war warm und herzlich. Er entschuldigte sein Säumen mit tausenderlei Verpflichtungen, mit dienstlicher Inanspruchnahme durch seinen Chef im Auswärtigen Amt, mit ein paar Abendgesellschaften, die er hätte besuchen müssen, weil sonst sein Fehlen gerade jetzt aufgefallen wäre. Das klang alles lieb, gut, natürlich, wie er sprach. An seiner Schreibweise war nichts Gezwungenes, er gab sich ganz wie seine Art, wie man ihn kannte, leichtsinnig, fröhlich, immer heiter, naiv.

Er erkundigte sich nach den Verhältnissen in München, ob sie mit ihrer Wohnung zufrieden wäre, ob sie fleißig ins Theater ginge, die Museen besuchte, die Ausstellung im Glaspalast, die der Sezession, kurzum, wie sie sich die Zeit vertriebe. Dann wollte er wissen, ob sie irgend jemand kennen gelernt oder alte Bekannte wiedergefunden. Zuletzt dankte er für ihre Briefe, sprach von dem, was er selbst vorgehabt, und erzählte, wie ihn Graf Selbotten aufgesucht, um ihn an seine Säumigkeit zu erinnern. Er schloß:

– Als Selbotten mich fragte, hatte ich ein scheußlich schlechtes Gewissen, aber ich dachte, Maria weiß, wie lieb ich sie habe, da kann sie mir nicht böse sein. Außerdem hatte ich ja diesen Brief längst fertig und bildete mir ein, er wäre schon unterwegs zu Dir. Du kannst Dir also meinen fürchterlichen Schrecken ausmalen, als ich eben diese meiner Idee nach schon bald in Deinen Händen befindlichen Zeilen in meiner Schreibmappe finde. Es ist wahrhaftig unglaublich. Aber so bin ich mal. Mir ist das schon so und so oft passiert. Da siehst Du also, was Du an mir hast.

Nun aber endlich Schluß. Ich umarme Dich, meine geliebte Maria, und küsse Dich tausendmal. Wenn wir doch nicht getrennt wären, aber es muß sein. Ich habe Dich von Herzen lieb. Noch einen Kuß. In Eile.

Ich sehne mich so nach Dir!

Dein treuer

Ernst.

Maria konnte nicht lassen von den Blättern, die mit Stassingks etwas geziert nach links liegender Schrift bedeckt waren. Eine ganz andere Stimmung war bei ihr eingekehrt. Sofort setzte sie sich an den Schreibtisch und antwortete in einem langen Brief.

Es fiel ihr nicht auf, daß er seine angefangenen Zeilen an sie achtlos in der Schreibmappe hatte liegen lassen, wo sie wahrscheinlich vor dem Auge des Dieners nicht sicher waren. Sie beachtete das Wort »in Eile« nicht, mit dem er den ersten Brief an sie schloß, die seinetwegen ihren Mann verlassen, um seine Frau zu werden. Sie war so glückselig, daß sie nichts sah, als daß er ihr doch geschrieben und daß die Worte der Liebe noch aus seinem Briefe klangen.

Nun konnte sie es im Hause nicht mehr aushalten, sie mußte ins Freie, nur fort, hinaus in die Luft. Sie nahm Agnes mit sich und mietete einen Wagen, um nach Nymphenburg hinauszufahren, dort wollte sie sich im Parke ergehen. Bescheiden setzte sich das Mädchen auf den Vordersitz, doch Maria hieß sie an ihrer Seite Platz nehmen. Daß gab der Kleinen Mut, daß sie sagte:

– Gnädige Frau lachen ja wieder!

– Haben Sie das gern, Agnes?

– Ich mag es nicht sehen, wenn die gnädige Frau weint!

– Warum?

– Weil es schadet.

– Was soll's denn schaden, Agnes?

– Der Schönheit schaden die Tränen, gnädige Frau!

Maria mußte lachen:

– Ach, was tut das!

Doch das Mädchen meinte ernsthaft in fast andächtiger Bewunderung:

– Gnädige Frau sind so schön!

Maria schwieg, im Gedenken an Stassingks Briefe.

– Wenn gnädige Frau nur glücklich werden! sagte Agnes innig. Eine Sekunde stutzte Maria, darauf gab sie aber bestimmt zurück:

– Ich werde schon glücklich werden!

Es war zwischen ihnen nicht weiter davon die Rede. Maria überließ sich ihren Träumen. Auch, als sie im Park spazieren ging, sprach sie nur wenige Worte, denn ihre Gedanken weilten bei Stassingk. Sie freute sich, keine Gesellschafterin genommen zu haben, woran sie zuerst gedacht, denn die würde vielleicht eine Unterhaltung versucht haben, und gerade diese vollkommene Ruhe tat ihr wohl.

Nun, da es dieses Mal so gut gegangen, nahm sie Agnes immer mit. Wenn sie wollte, konnte sie ein paar Worte mit ihr wechseln, wenn es ihr nicht angenehm war, schwieg sie. So verging ein Tag nach dem anderen: fast jeden Tag kam jetzt irgend ein Lebenszeichen von Stassingk, zuerst noch ein paar Briefe, dann auch einmal eine in der Eile hingeworfene Postkarte, die so gehalten war, daß ein Fremder aus dem Inhalte nichts entnehmen konnte. Zuletzt begann er zu telegraphieren. Ein Korso, hatte er geschrieben, wurde geplant, und ihm waren auf Wunsch einer höher gestellten Persönlichkeit diese und jene Anordnungen zugefallen. Er hätte aber nicht ablehnen können, weil der Hof voraussichtlich erscheinen würde.

Maria bangte nur davor, ganz ohne Nachricht zu bleiben, so nahm sie auch die dürftigen Telegramme gern hin, die doch wenigstens ein Zeichen waren, daß er sie nicht vergaß. Sie entschuldigte alles, er hatte viel zu tun, das sah sie ein, denn sie wußte selbst nur zu genau, wieviel Arbeit die Vorbereitung derartiger Veranstaltungen verursachte.

Da blieb plötzlich auch das nun fast gewohnte Telegramm aus. Maria ward unruhig darüber, aber sie fand hundert Entschuldigungen: die Geschäfte hatten sich zu sehr gehäuft, oder er hatte nun wiederum einen Brief geschrieben, der unterwegs war. Doch auch am nächsten Tage fehlte jede Nachricht. Da ergriff Maria die Sorge. Sie schrieb ihm einen liebeglühenden, am Schlusse traurigen Brief, aus dem leiser Vorwurf klang. Der dritte Tag brach an – keine Nachricht. Er verging ohne ein Lebenszeichen.

Marias Unruhe wuchs. Endlich sagte sie zu ihrem Mädchen tonlos und traurig:

– Kein Brief, Agnes!

– Er wird schon kommen, gnädige Frau! – antwortete ihre Jungfer mit einem teilnehmenden Blick, doch sicher und bestimmt, als wisse sie es ganz genau. Aber auch den folgenden Tag wurde er nicht gebracht. Maria rechnete aus, daß der Korso, der Stassingk so sehr beschäftigt, am Tage vorher gewesen war: nun gab es also keine Entschuldigung mehr, jetzt mußte er Zeit gefunden haben, zu schreiben. Und sie ließ es Abend werden, ohne daß sie – zum erstenmal, seitdem sie in München war – die Feder in die Hand genommen, um ihm eine Zeile zu schicken. Wenn er sie vergaß über seine Unterhaltungen, dann brauchte er ihre Briefe nicht zu lesen. Vielleicht fragte er auch nicht einmal danach.

Diesen Abend überfiel sie eine Bitterkeit ohnegleichen. Stassingks Bild trübte sich in ihrer Erinnerung. Sie verstand nicht, was geschehen sein konnte, sie begriff nicht, was ihn eigentlich abhielt, ihr wenigstens zu telegraphieren.

Sie hatte das Bedürfnis, sich jemandem mitzuteilen, und da sie niemanden fand als ihr Mädchen, so sagte sie zu Agnes mit trauriger Stimme:

– Es kommt kein Brief, Agnes! ' Wiederum entgegnete die Jungfer:

– Gnädige Frau, er wird kommen!

Aber dieses Mal klang ihre Antwort nicht so gewiß, und sie schien ihre Herrin mitleidig zu betrachten. Als jedoch am folgenden Tage nur ein Schreiben des Justizrates Zenker erschien und eine Karte von Gräfin Selbotten, da war Maria wie vernichtet. Sie schämte sich vor dem stummen, fragenden, traurigen Blick des Mädchens. Eine grenzenlose Wut und Empörung überfiel sie darüber, wie er an ihr handelte. Sie schalt ihn ehrlos und niedrig, sie zu vergessen, sie malte sich aus, was er wohl trieb, was ihm die Zeit nähme, an sie zu denken. Der Gedanke setzte sich in ihr fest, er müsse ihr untreu sein, er wäre von einer anderen gefangen. Sie glaubte, er könne zur Prinzessin Löwengaard zurückgekehrt sein, der er jetzt den Hof mache. In ohnmächtiger Wut kleidete sie sich an und stürzte fort. Sie mußte hinaus, an die Luft. Sie nahm eine Droschke und befahl, sie in den Englischen Garten zu fahren.

Immer aber, ohne Unterbrechung, fortwährend dachte sie an Stassingk. Sie konnte ja nicht anders, sie liebte ihn doch. Wenn er ihr nie wieder geschrieben hätte: sie liebte ihn einmal. Sie dachte an ihre Triumphe, wie ihr alles den Hof gemacht in Berlin, wie sie gefeiert worden von allen Seiten.

Alle, alle hatten ihr zu Füßen gelegen, alle sie verwöhnt, sie hatte nur ihren Willen gehabt, war verhätschelt, verzogen, bewundert, angebetet worden. Sie dachte an die Tees, Soireen, Bälle zurück, an die Diners bei ihren Bekannten Reih' um, an die Abende in der Villa, wenn die Herren drüben saßen bei Herrn da Caza und spielten, während Stassingk bei ihr blieb. Sie dachte an ihr weißes Boudoir, an den kleinen Salon, wo die Wasser sprangen, rauschten, plätscherten, murmelten, wo der Springbrunnen stieg, die elektrischen Rosen glühten, und es überschlich sie ein Gefühl unendlicher Verlassenheit.

Die Freunde und Bekannten, alle kamen ihr wieder in den Sinn, mit ihren Fehlern und Schwächen, aber die doch jeder Mensch besaß, wohin man auch kam, auf dem ganzen Erdball. Sie wußte, daß sie gemeinsame Interessen verknüpften, daß sie dasselbe dachten und sprachen im großen und ganzen, wie sie. Sie sehnte sich danach, mit einem ihrer Freunde ein Wort zu tauschen.

Schließlich kehrten ihre Gedanken wiederum zu Stassingk zurück. Sie meinte es einfach nicht mehr ertragen zu können, ohne ihn, ohne ein Lebenszeichen von ihm. Sie mußte wissen, was geschah: immer schwebte ihr das Bild der Prinzessin Löwengaard vor der Seele. Sie wollte an Selbottens telegraphieren, doch sie gab den Gedanken auf: sie schämte sich, ihr Leid zu zeigen, sie schämte sich für den Geliebten. Aber sie wußte, daß sie es in diesem Zustande nicht länger aushalten konnte. Sie fühlte, wie ihre Aufregung wuchs von Stunde zu Stunde. Je länger sie darüber sann, desto mehr Vermutungen stiegen in ihr auf, desto mehr Erklärungen suchte sie für sein Schweigen zu finden.

Vielleicht hatte er irgend etwas übel genommen in einem ihrer Briefe, einen ihrer leisen Vorwürfe, oder daß sie sich einsam fühle und verlassen in München! Er war möglicherweise doch krank! Irgend jemand hatte ihn verstimmt gegen sie, obwohl er vollkommen Herr seiner Handlungen war, da er, elternlos, niemandem Rechenschaft zu geben hatte über sein Tun und Lassen. Ihre letzte Vermutung war, ein Unberufener könnte etwa ihre postlagernden Briefe abgeholt haben und er so längere Zeit schon ohne Nachricht von ihr geblieben sein. Daran klammerte sie sich als Hoffnungsanker. Dadurch gewann sie ein wenig ihre Ruhe zurück. Ja, das würde es sein, irgend einen solchen Grund mußte es haben. Die Möglichkeit, ihn weniger schuldig zu denken, erschien ihr wie Balsam und Erlösung. Er mußte ja rein dastehen, er mußte sie noch lieben, denn ihr Opfer konnte doch nicht umsonst gebracht sein. So konnte, konnte er nicht sein.

Denn sie liebte ihn doch, wie er auch gegen sie gehandelt hatte, über alles in der Welt.

Da ging sie sofort zur Post und telegraphierte ihm, aber dieses Mal nicht postlagernd, sondern in seine Wohnung in der Linkstraße. Sie fragte an, ob er ihre Briefe richtig erhalten, ob er krank, ob er ihr zürne, er solle ihr nur irgend eine Nachricht geben, denn sie verginge vor Angst.

Als die Depesche abgegangen, fühlte sie sich erleichtert, als sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen. Sie wartete ganz ruhig ein paar Stunden, ohne Unruhe, denn sie sagte sich, daß einige Zeit vergehen müßte, bis sie eine Antwort erhalten könnte. Gegen Abend erzählte sie Agnes von dem Telegramm, nur teilte sie nicht mit, an wen es gerichtet, so daß das Mädchen annahm, Gräfin Selbotten hatte es erhalten, wie das erste.

Maria fragte:

»Müßte nicht jetzt Antwort da sein?«

Agnes bemerkte die Angst ihrer Herrin:

»Frau Gräfin hat das Telegramm vielleicht noch gar nicht bekommen! Frau Gräfin ist vielleicht verreist! Gnädige Frau müssen immer damit rechnen, daß möglicherweise Frau Gräfin noch nicht nach Hause gekommen ist vom Rennen oder so.

Aber daran wollte Maria nicht glauben:

– Nein, nein... nein...

Das Mädchen wußte noch einen Grund:

– Frau Gräfin wollen vielleicht nicht, daß das Telegramm in der Nacht ankommt, damit die gnädige Frau nicht erschrickt.

Maria redete sich ein, das sei möglich. Sie beschloß, den nächsten Morgen abzuwarten. Die Nacht verging ihr in banger Sorge, ob er antworten würde oder nicht. Sie fand keinen Schlaf. Die Lampe ließ sie brennen. Sie nahm ein Buch vor, aber sie wußte nicht, was sie las: ihre Augen irrten über die Zeilen hinweg. Sie wendete wie eine Maschine die Seiten um. Hielt inne von Zeit zu Zeit. Dann versank sie ganz in Brüten. Wenn er nun nicht antwortete, was wurde dann? Sollte sie warten? Sollte sie hierbleiben? Darauf lauern, daß endlich ein Lebenszeichen von ihm käme? Das konnte sie nicht, das hätte sie nicht ausgehalten.

Im Wachen der Nacht stieg unbezwingliche Sehnsucht in ihr auf, ihn wiederzusehen, seine Stimme zu vernehmen, wenn er eindringlich mit ihr sprach, als hätte er nur ihr etwas zu sagen. Sie wollte ihm nur eine Sekunde in seine lieben, blauen Augen blicken, nur einmal von ihm hören, daß er nicht böse sei, daß nichts zwischen sie getreten. In ihrer Herzensnot und Verzweiflung sagte sie sich, daß, wenn er es verlangt hätte, sie selbst in die Villa wieder zurückgekehrt wäre, um alles wieder herzustellen wie früher, nur damit sie ihn von Zeit zu Zeit erblickte und nicht getrennt war, ohne Nachricht von ihm.

Alles war sie bereit, für ihn zu tun, nur in der Ungewißheit wollte sie nicht schweben.

Als am nächsten Morgen kein Telegramm eintraf, sagte sie bestimmt mit unabänderlichem Entschluß zu Agnes, die zuerst wie eine Gebärde des Widerspruchs hatte machen wollen:

– Packen Sie so schnell als möglich. Wir fahren mit dem nächsten Zuge nach Berlin!


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