Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XV.

Das Wetter ließ sich zum ersten Renntage des Jahres prachtvoll an. Es war dieses Mal niemand zum Lunch eingeladen worden, denn Herr da Caza hatte seine Abreise so eingerichtet, daß er, nachdem er morgens nach Karlshorst gefahren, nicht wieder zur Villa zurückkehrte.

Als Maria da Caza zum ersten Frühstück erschien, meldete ihr der Haushofmeister, »der gnädige Herr ließe ihr sagen, er habe nicht Abschied genommen, um sie nicht wecken zu müssen, da er zeitig fort sei. Er hoffe ihr auf dem Rennen noch Lebewohl sagen zu können.« Sie trank ihren Tee allein in dem großen Eßsaal und dachte immer nur an die Zukunft. Mit stiller Wehmut ließ sie die Blicke umherschweifen, über die Einrichtung, von der sie einst jedes Stück einzeln ausgesucht. Dann ging sie hinüber. Im Salon blickte sie sich um, wo die Bühne aufgebaut gewesen, auf der sie mit Stassingk gestanden, daneben im kleinen Salon setzte sie sich einen Augenblick an den Wasserfall und ließ ihn spielen.

Sie lauschte dem leisen Plätschern mit verzückten Sinnen, als ob er neben ihr säße, dessen Unterhaltung das rauschende Wasser immer jedem fremden Ohre verhüllt. Ihr war zu Sinn, als wäre das alles, was sie hier in diesen Räumen erlebt, die Jahre, die sie hier zugebracht, nur ein kurzer, wirrer, irrer Traum gewesen. Dann ging sie in ihr weißes Boudoir, setzte sich in eine Ecke und überließ sich ihren Gedanken.

Maria da Caza dachte an den Tag, an dem sie als junge Frau nach Berlin gekommen, ohne eine Seele zu kennen, und wie sie Ersatz gefunden für die Menschen, die ihr fehlten, in ihrem Mann. Sie sah ihre Anfänge wieder vor sich, wie sie gestrebt, Bekanntschaften zu machen. Wie sie sich die Villa gekauft und dann ans Umbauen gegangen waren. Wie die ersten Herren: Rittmeister Hendiich und ein paar andere Rennleute zum Frühstück gekommen waren, um schließlich regelmäßig zu erscheinen. Wie sich endlich einzelne Damen dazugefunden und der Bekanntenkreis sich gemehrt.

Wie sie mit den wachsenden Verbindungen, durch gesellschaftliche Verpflichtungen, durch die jährlich steigenden Anforderungen des sich vergrößernden Rennstalles ihren Mann verloren.

Immer fremder waren sie einander geworden, immer weiter hatten sie sich voneinander entfernt. Bis sie eines Tages bemerkt, was er allein von ihr wollte: daß sie sein Haus schmücken sollte. Da war es plötzlich aus. Mit einem Schlage war er ihr gleichgültig wie ein Fremder.

Sie verstand nicht, wie das gekommen. Ein Verdacht stieg in ihr auf, er möchte mit fremden Frauen verkehren. Aber sie gewann die Sicherheit, daß sie sich irrte. Er war eben kalt und gleichgültig, egoistisch, nur um seinen Ehrgeiz, sein Emporkommen besorgt.

Wenn sie jetzt ging, so wußte sie, daß sie ihn schwer traf, denn es störte all seine Pläne. Sie wußte, daß er darauf sann, die Ortenburgs in sein Haus zu bringen, daß er davon träumte, immer höhere Kreise in seinen Verkehr zu ziehen. Sie wußte, daß ihm nichts schlimmer sein konnte als ein Skandal in seinem Hause, eine Trennung von seiner Frau, deretwegen die Leute doch nur kämm, während er selbst als korrekter Hausherr sich damit begnügte, nichts zu verderben.

Aber Maria da Caza fühlte kein Mitleid. Sie hatte nicht das Bewußtsein, etwas Unrechtes zu tun, wenn sie ihn verließ, der sie nicht liebte, und sich ohne zu zucken an dem Tage von ihr getrennt hätte, an dem sie ihm etwa hinderlich geworden wäre.

Sie stand auf und ging an den Schreibtisch. Das Abschiedswort wollte sie ihm schreiben. Ein paar Bogen Papier nahm sie vor und bedeckte sie, ohne zu zögern, in wenigen Minuten mit ihrer großen, englischen Handschrift, die sie sich erst als Frau angewöhnt, weil Herr da Caza ihre mädchenhaft kalligraphischen Schriftzüge nicht chic gefunden. .

Ohne eine Anrede begann sie:

Du wirst Dich wundern, einen Brief von mir zu bekommen, aber ich muß Dir mitteilen, daß, wenn Du diese Zeilen erhalten haben wirst, ich Berlin und damit Dein Haus verlassen habe. Versuche nicht, mich zurückzurufen, es würde umsonst sein, denn ich werde nie wieder zu Dir zurückkehren. In den letzten Jahren hast Du Dich so wenig um mich gekümmert, daß ich annehmen muß, meine Trennung von Dir werde Dir gleichgültig sein. Aber da ich noch Deinen Namen trage, muß ich Dir erklären, wie ich dazu komme, diesen Schritt zu tun. Ich bin außer stande, weiter an Deiner Seite zu leben. Seit Jahren sind wir einander entfremdet. Zuerst bemerkte ich es kaum. Endlich, als ich es bemerkte, war mein Herz so leer und gleichgültig geworden, daß ich Genüge fand an den Dingen, die mir unser Leben bot. Ich begnügte mich, gefeiert zu werden, in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen, bei den Premieren und Rennen, bei Bällen und Festen, in den Bädern, die wir besuchten, zu glänzen. Ich täuschte mir selber vor, daß dieses Dasein ein Leben ausfüllen könnte. Heute weiß ich es besser. Eine große Umwandlung, die mit mir vorgegangen, hat mich, zur Erkenntnis geführt, daß es nur ein Mittel für mich gibt, um mein Glück wieder zu gewinnen: es ist die Trennung von Dir. Diese Umwandlung, von der ich spreche, will ich Dir nicht verbergen, sondern sie offen und ehrlich bekennen: es ist die Liebe zu einem anderen Manne, die mir verbietet, länger Deine Frau zu bleiben.

Ich habe noch eine Bitte an Dich, nicht nachzuforschen, wo ich mich befinde. Es würde vergeblich sein. Wenn Du mir etwas zu sagen hast, so tue dies, bitte, unter der Adresse meines Rechtsbeistandes Justizrat Zenker. Lützowplatz 109.

Für die Zeit des Glücks in unserer Ehe sage ich Dir Dank, und wenn ich Dir etwas gewesen bin, so vergilt es mir dadurch, daß Du uns in Frieden voneinander gehen läßt.

Möge Dein ferneres Leben glücklich sein. Das wünscht

Maria.

Sie nahm den Brief noch einmal vor, las ihn wieder durch und steckte ihn, ohne ein Wort zu ändern, in einen Umschlag, auf den sie die Pariser Adresse ihres Mannes schrieb. Dann blieb sie noch eine Weile am Schreibtisch sitzen und blickte in Gedanken zum Fenster hinaus auf die Bäume des Tiergartens, die man in ihrem ersten Grün sich leise, windbewegt, wiegen sah. Trotz ihres Glückes stieg langsam, ganz langsam, in ihrem Herzen die Trauer auf, daß sie die Stätten verlassen mußte, die ihr lieb waren und an denen sie doch auch trotz allem glücklich gewesen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hielt sie nicht auf.

Dann rückte sie den Stuhl etwas von der Tischplatte ab und legte ihre Stirn auf die gefalteten Hände. Sie fühlte sich müde. Nur einen Augenblick wollte sie ruhen, doch die Erregung und äußerste Anspannung der Nerven überwältigte sie: sie schlief ein. Es war ein bleierner Schlaf, in den sie verfiel, ohne Träume. Nur in der letzten Sekunde, schon im Erwachen, meinte sie, Stassingk vor sich zu erblicken. Als sie seine Hand nehmen wollte, sah sie, daß es nicht der Geliebte war, der neben ihr stand, sondern Gräfin Selbotten, die fragte:

– Maria, bist Du müde?

– Ich habe wohl geschlafen?

– Ja, und es ist schon spät! Ich wollte Dich zum Rennen abholen!

– So, ist's schon so spät?

Maria da Caza raffte sich auf. So hatte sie noch nie der Schlummer überrascht.

In aller Eile kleidete sie sich zum Rennen an, wahrend ihr die kleine Freundin Gesellschaft leistete. Beim Anziehen gab sie dem Mädchen Befehl, zu packen:

– Halten Sie sich bereit, für heute abend mitzufahren. Ich verreise auf längere Zeit. Alles Nötige muß mitgenommen werden. Ich will nicht, daß es erforderlich wird, Sachen nachzuschicken!

Als sie im Wagen saßen und dem Rennplätze zurollten, fragte Gräfin Selbotten:

– Wann willst Du denn abreisen, Maria?

– Heute abend.

– Und wohin?

– Nach ... nach ... ich weiß wirklich nicht ... es ist ganz gleich.

Ihr ward erst icht klar, daß sie darüber noch gar nicht nachgedacht hatte. Doch nach kurzem Schwanken entschied sie sich für München. Das liebte sie von ihrer Kindheit her, da sie mit ihren Eltern manchmal dort gewesen, und sie wußte, daß es Herr da Caza nicht leiden mochte. Er hatte immer behauptet, mit einer Art von Verachtung:

– Diese Bier- und Kunststadt taugt nicht für den Sport.

– Und willst Du dort bleiben? – fragte die Gräfin.

– Warum nicht?

– Ganz allein?

– Mit meinem Mädchen! Ja! Wer sollte denn mit mir gehen? – erwiderte traurig Maria da Caza, denn ihr ward es klar, wie einsam sie sich fühlen würde ganz allein, die lange Zeit. Da sah sie, wie die kleine Freundin schelmisch lachte:

– Wenn ich nun mitkäme?

Maria wollte es zuerst nicht glauben, dann dankte, sie tausendmal. Das hatte sie nicht erwartet, nicht für möglich gehalten. Sie war sehr beglückt, denn so blieb sie doch wenigstens nicht allein. Nun erklärte Gräfin Selbotten, sie wolle die Freundin nicht sofort begleiten, damit es nicht aussähe wie ein Komplott Selbottens gegen Herrn da Caza. Ihr Mann hätte ihr selbst vorgeschlagen, Maria diesen Freundschaftsdienst zu leisten, und bereits einen Plan entworfen. Seine Frau sollte mit der kleinen Tochter, während er seine mehrmonatliche, von der Kriegsakademie vorgeschriebene Dienstleistung bei einer fremden Waffe – dieses Jahr Infanterie – machte, zu ihrer Stärkung und Erholung auf Wunsch des Arztes in die Berge gehen. Da kam es ihr sehr gelegen, wenn Maria sich ihnen anschloß.

– Wo soll es hingehen? – meinte Maria da Caza glückstrahlend.

– Vielleicht nach Berchtesgaden, das bleibt doch das Schönste!

Stassingk war der erste, den sie am Eingang, als der Wagen hielt, in der drängenden Menschenmenge erblickten. Er schloß sich sofort den beiden Damen an und begleitete sie zur Cazaschen Loge.

Die Glocke klang zum Aufsitzen zum ersten Rennen, und nun füllten sich die Tribünen und der Raum vor ihnen bis zum Geläuf konnte kaum mehr die Menge fassen.

Der erste Start mißlang, und während nun, da Mister Easbys Fuchshengst jedesmal durch Fortbrechen den ruhigen Ablauf störte, alles mit gespannter Aufmerksamkeit hinüber zur Bahn blickte, beugte sich Maria da Caza etwas vor, so daß sie Stassingks Ohr, der vor der Loge stand, nahe kam:

– Ich reise heute ab!

– Wirklich heute? – entgegnete er, als wolle er es nicht glauben. Sie fügte hinzu:

– Nach dem zweiten Rennen gehe ich, und wir wollen uns Lebewohl sagen. Einen Augenblick möchte ich Dich noch sprechen.

– Ich komme zu Dir! – flüsterte er.

– Nein, auf keinen Fall, Ernst! – sagte sie bestimmt. Doch sie fürchtete, es könne jemand ihr Gespräch belauschen, brach hastig ab und sprach nur noch leise:

– Nach dem Rennen!

Die Glocke klang: der Ablauf war gelungen. Das Publikum verfolgte mit gespannter Aufmerksamkeit die Pferde. Stassingk hob sein Glas vors Auge, aber er sah nicht hinüber. Maria da Eazas Worte gingen ihm im Kopf herum. Er konnte noch immer nicht recht daran glauben. Es erschien ihm noch immer wie ein Rätsel, daß alles jetzt der Entscheidung entgegeneilte.

Auch Maria da Caza tat, als spähe sie nach öer Rennbahn hinüber, doch ihr Auge ruhte nur auf dem, Geliebten, der gerade vor ihr stand. Sie mußte Abschied von ihm nehmen, hier draußen. Er mußte auf dem Rennen bleiben, während sie fortfuhr. Er durfte die Villa nicht betreten, solange Herr da Caza nicht anwesend war, ja, sie mcht einmal auf den Bahnhof begleiten, wenn sie abreiste. Es mußte so scheinen, als ahne er nicht einmal etwas davon, daß und wann sie Berlin verließ. Nicht das geringste durfte man ihnen nachreden können.

Ehe sie gewußt hatte, wie sich ihr Schicksal gestalten würde, war sie leichtsinnig gewesen. Aber nun, wo sie seine Frau werden sollte, durfte ihr kein Gerücht oder Zweifel folgen.

– O! O, weh! Aber! – ging, plötzlich durch die Menge.

Eine Staubwolle, die sich hinter dem reiterlos galoppierenden Cazaschen Fuchshengst erhob, verbarg, was mit Mister Easby geschehen war.

– Eeasby scheint herunter gefallen zu sein! – flüsterte der Regierungsrat Maria da Caza zu, als müsse er ihr schon die Mitteilung machen. Er war im höchsten Grade erstaunt, als sie lächelnd nickte.

– Er hat die Stange umritten, dabei hat's ihn heruntergestreift! – erklärte eine Stimme hinter ihnen.

Dann sah Maria da Caza ihren Mann von der Klubtribüne herüberkommen, die Menge durchteilen und mit Rittmeister Hendrich eiligst über das Geläuf gehen, um nach dem Gestürzten zu fragen. Sie kehrten nach einer Weile, als das Rennen schon durch einen interesselosen Sieg des Favoriten beendigt war, mit dem Engländer zurück, bald von einer dichten Menge Neugieriger umgeben. Er sah blaß aus und hielt sich mit der rechten Hand den linken Arm am Ellenbogen. Die drei Herren steuerten dem Krankenzimmer zu.

Stassingk wandte sich zur Loge und erklärte den Damen, woran kaum ein Rennkundiger, nachdem man Mister Easby gesehen, zweifeln konnte:

– Er hat das linke Schlüsselbein gebrochen!

Dabei streifte sein fragender Blick Maria da Caza, als wollte er wissen, was sie dazu meinte, und ob sie wohl glaubte, daß es Herrn da Caza an der Abreise hindern könnte. Er bemerkte nur ihr angsterfülltes Auge, doch als sie die Loge verlassen hatten und in der drängenden Menge auf- und niederschritten, erschien Rittmeister Hendrich:

– Gnädige Frau, Ihr Gatte läßt Ihnen sagen, es wäre ihm nicht möglich, noch einmal in die Loge zu kommen, denn er würde nun nicht mehr auf dem Platze bleiben, sondern sobald der Verband angelegt ist, mit Easby nach Berlin zurückfahren, um ihn in seine Wohnung zu bringen und dann sofort auf die Bahn zu gehen. Er will allein reisen.

Maria da Caza atmete auf. Eine Last war ihr von der Seele gefallen. Sie fragte nur teilnehmend:

– Was ist Mister Easby geschehen?

– Schlüsselbeinbruch links. Sonst geht's ihm ausgezeichnet. Er raucht schon wieder ganz lustig seine Zigarette.

Nun wollte sie mit Stassingk reden, doch sie kam nicht dazu, denn unausgesetzt erschienen Bekannte, um sich bei ihr als der vermeintlich sichersten Quelle nach dem Befinden Mister Easbys zu erkundigen.

Endlich fand sie die Möglichkeit, einen Augenblick seitab von dem Hauptgedränge mit Stassingk zu sprechen. Sie standen hinter der Tribüne, und die Musik der Dragonerkapelle tönte so laut herüber, daß sie von anderen nicht gehört werden konnten:

– Ich muß Dir hier Lebewohl sagen, Ernst. Du darfst nicht mitkommen, darfst nicht zu mir und nicht auf den Bahnhof. Wir müssen vorsichtig sein, denn Du sollst Dich später nicht meiner schämen. Also lebe wohl...

Er wußte nicht, was er sagen sollte, immer noch vermochte er sich nicht hineinzufinden, und er trotzte:

– Auf den Bahnhof komme ich auf jeden Fall.

– Nein!

– Wer soll mich denn sehen?

– Man kann's nie wissen!

– Ich muß Dir aber doch adieu sagen, Maria!

– Das hast Du gestern getan. Heute mußt Du's hier tun!

Stassingk, dem das Herz schwoll, blickte sie verzehrend an.

– Zum Abschied darf ich Dich nicht küssen?

Sie schüttelte traurig den Kopf:

– Mein Liebling, es geht nicht! Es geht nicht! Wir müssen warten!

– Wann werde ich Dich wiedersehen?

Sie wußte selbst keine Antwort. Er fragte wieder dringender:

– Aber wann sehe ich Dich wieder?

– Wenn ich Deine Frau werden kann! – entgegnete sie endlich. Er blickte sie starr an:

– Da können also Monate vergehen!

Ihr blutete das Herz. Sie wußte nicht, wie sie diese Prüfungszeit überstehen sollte, und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Aber sie überwand sich, sie wenigstens mußte stark sein. Mit gepreßter Stimme sprach sie:

– Wir können uns schreiben!

– Schreiben! Was ist das! – rief er verächtlich. Aber er sah, wie traurig sie war, und so sagte er:

– Gut, wir schreiben uns.

Sie machten miteinander aus, daß er ihr direkt schreiben sollte, während ihre Briefe postlagernd geschickt würden. Sie fragte:

– Wirst Du mir denn immer schreiben?

– Jeden Tag, Maria!

Dann mußten sie abbrechen, denn der Regierungsrat rief:

– Gnädigste Frau, gnädigste Frau, es ist aber höchste Zeit! Das Rennen geht los!

Zur kleinen Gräfin, die zwischen dem Ehepaar schritt, sagte er mit dem heftigsten Zwinkern, das ihm zu Gebote stand:

– Der Stassingk ist heute aber wieder einmal auf dem Posten. Was der Süßholz raspelt, das ist wirklich nicht zu glauben. Ich glaube gar, er hat unsere einzige, liebe, schöne Frau Maria da Caza ganz traurig gemacht. Denn es gibt nämlich auch eine Art zu flirten – man kann ja ruhig darüber reden, ich bin der erste, der Frau da Gaza verteidigt – eine Art zu flirten meine ich, wo die Flirts sich gegenseitig immer trauriger machen. Auch, die Traurigkeit ist 'ne Art Huldigung. Ich werde wohl nächstens als Ausdruck des höchsten Triumphes über Männerherzen, wie ich früher die Parole ausgegeben habe: »Maria da Caza tanzt«, nun sagen müssen: »Maria da Caza weint«.

Er lachte, meckerte, hustete und freute sich königlich über den eigenen Witz, während die kleine Gräfin vor Aerger über seine Art zu schwatzen ganz dunkelrot geworden war.

Das ewige Spiel des Rennens wiederholte sich: Da kam der kleine Remer an im Reitanzug. Er strahlte über das ganze Gesicht, bewillkommnete sofort gegen seine sonstige stille zurückgezogene Art Maria da Caza und sagte in schnellstem Redefluß:

– Gnädige Frau, Ihr Herr Gemahl hat mir eben für seine Abwesenheit sämtliche Ritte in den Herrenreiten, die der Stall genannt hat, angeboten, und ich reite nun fast jedes Rennen. Sowie dieses Jockeirennen vorbei ist, geht's los! Daß der Easby gefallen ist, das ist doch zu famos. Ich kann's ja sagen, denn er hat sich ja nichts getan, nur daß er eben eine Zeitlang nicht reiten kann. Er ist auch schon fort. Sie sind eben abgefahren!

– Dann müssen wir gleich folgen! – sagte Maria mit plötzlichem Entschluß zur Gräfin Selbotten, so daß es klingen konnte, als hätte sie mit ihrem Manne ausgemacht, daß sie sich noch vor der Abreise Herrn da Cazas treffen wollten. So verstanden es auch die anderen. Frau von Lindstedt sprach fast zum erstenmal heute, indem sie sagte:

– Ich werde für Ihre Pferde, während sie fort sind, den Daumen halten!

Flüchtig gaben sie Maria da Caza die Hand, denn sie meinten, sie ja vielleicht schon morgen wiederzusehen, und der Regierungsrat schied mit einem letzten Scherze:

– Ich übernehme jetzt Ihre Loge, meine gnädigste Frau, so zu sagen als Statthalter oder Reichsverweser, bis die Königin wiederkehrt!

Dann eilte er mit seiner Frau davon, um ja nichts zu versäumen. Maria da Caza meinte halb traurig, halb stolz und glücklich, indem sie Stassingk, der noch bei ihnen geblieben war, die Hand reichte:

– Die Königin kehrt aber nie wieder!

Stassingk zog ihre Finger an die Lippen. Sie ließ sie ihm länger als sonst, das war das einzige, was sie noch tun konnte. Dann flüsterte sie ihm noch zu:

– Schreibe mir. Lebe Wohl! Liebe mich immer!

Es war das erste Mal, daß Gräfin Selbotten das »Du« hörte.

Maria da Caza wandte sich schnell ab. Unter ihrem Schleier perlte eine große Träne herab. Sie ging mit der Freundin dem Ausgangstore zu, wo bereits der Diener wartete, der sich vom zweiten Rennen ab hatte bereit halten sollen, um die Damen zum Wagen zu begleiten. Die Musik spielte einen Walzer, und vom Publikum summte es leise herüber.

Hinter Maria lagen nun alle die Bekannten un8 Freunde, die eben vielleicht ihre Gläser und Augen nach der Cazaschen Loge richteten, um sie zu suchen, die nie wieder hierher zurückkehrte. Als sie dem Ausgang zuschritten, war es ihr, als hätte sie sich von allem getrennt, was hinter ihr geblieben war.

Im Augenblick, als sie hinaustraten, wandte sie sich noch einmal um, und ein Tropfen Wermut trübte ihre Freude, als sie Stassingk an der Ecke der Tribüne stehen zu sehen meinte, statt ihr nachblickend im Gespräche mit zwei Damen: mit den Charriers, die sie deutlich erkannte.

Ihm war trübe zu Sinn gewesen, in ehrlicher Trauer, als er sich von Maria da Caza getrennt. Er hatte hinter der Tribüne noch ein paar Augenblicke für sich bleiben wollen, um seinen Schmerz zu überwinden. Da waren plötzlich die Charriers gekommen. Er hätte sich für unartig gehalten, wenn er die Damen hätte vorübergehen lassen, ohne sie anzureden.

Als er auf der Tribüne stand und die jockeisteeplechase wiederum für das Cazasche Pferd verloren ging, indem die Stute fiel, die die schwarzen Farben trug, da war in ihm ein Gefühl, als sei das Glück von dem Cazaschen Stalle gewichen, nun da Maria gegangen. Er blickte nach der Cazaschen Loge hinüber, als müsse er sie suchen. Ueberall meinte er ihre schöne Gestalt finden zu müssen, ihre Augen auf sich gerichtet. Als er sie nun nirgends mehr entdeckte, da beschlich ihn eine große Melancholie, wie er sie noch nie gekannt.

Er irrte hin und her. Ein Kollege aus dem Auswärtigen Amt fragte ihn:

– Ist denn Maria da Caza heute nicht da?

Der kleine Leutnant von Remer trug ihm auf:

– Sagen Sie an Maria da Caza, sie solle den Daumen für mich halten, damit das Pech nicht so weiter geht. Ich will in diesem Rennen die schwarze Jacke wieder herausreißen!

Aber der arme, kleine, passionierte Reiter mußte seine Stute fünfhundert Meter vorm Ziel lahm anhalten und nach Hause reiten.

Nun formte der Regierungsrat ein neues Schlagwort:

– Wenn Maria da Caza nicht dabei ist, haben die Cazaschen Farben kein Glück!

Stassingk empfand eine solche Leere und Oede, daß er am liebsten den Rennplatz verlassen hätte, aber er fürchtete sich davor, denn anderwärts wäre es nicht besser geworden. Da fragte ihn der Herzog von Ortenburg, der – jedoch ohne Damen – nach dem zweiten Rennen gekommen:

– Sind Sie zum Diner heute frei?

– Jawohl, Durchlaucht! – antwortete er, ohne zu überlegen, und erst zu spät fiel ihm ein, daß er lieber mit seinen Gedanken allein geblieben wäre. Der Herzog fragte:

– Wollen Sie nach dem Rennen mit mir zurückfahren? Ich bin allein da. Auf dem Tandem ist gerade Platz. Meine Damen werden sich sehr freuen, wenn ich Sie mitbringe, sie sind bloß nicht mitgekommen, weil meine Frau erkältet ist. Sie finden niemand, außer den Löwengaards, wie immer an Renntagen. Vielleicht kommt noch mein Vetter Christian Ortenburg aus Potsdam ... Na ... also ja?

– Sehr gern! – sagte Stassingk, der nun nicht mehr ausweichen konnte.


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