Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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IX.

Den warmen Tagen war über Nacht dichter Schneefall gefolgt und kurz darauf bittere Kälte. Eisig blies der Wind die Tiergartenstraße entlang und fegte den Schnee in Haufen zusammen.

Herr da Caza, der erst zur Eröffnung der Rennsaison in Berlin zu sein brauchte, schlug seiner Frau vor, bei diesem erneuten Ansturm des Winters die Flucht zu ergreifen und ein paar Wochen, wie sie es gewöhnlich taten, an der Riviera zuzubringen. Sonst war sie immer sehr gern mit nach Nizza gegangen, schon weil sie auf der Hin- oder Rückreise Paris zu berühren pflegten, wo Maria da Caza bei der Schneiderin zu tun hatte. Diesmal sagte sie nur gleichgültig und gelangweilt:

– Wozu? Es ist ja doch immer dasselbe. Das kenne ich ja alles schon auswendig!

Er blickte sie von der Seite an:

«- Gut. Warum sollten wir nicht etwas Neues machen! Gehen wir doch nach Florenz oder Rom!

– Um zu frieren.

– Nach Aegypten ist keine Zeit, denn zur Eröffnung der Saison muß ich zurück sein, womöglich will ich überhaupt noch ein paar Rennen in England sehen. Vielleicht kaufe ich noch was!

Maria da Caza zuckte die Achseln und er sagte sofort empfindlich, denn wenn er sonst auch seine Frau alles tun ließ, was sie wollte, sobald er sich in seiner Rennpassion auch nur im mindesten bedroht glaubte, wurde er unangenehm:

– Die Rennen sind mein Beruf, mein Ehrgeiz, mein Vergnügen. Die gehen vor, das weißt Du. Also willst Du reisen?

– Nein.

Da er sich in diesen Tagen in Berlin langweilte, so sprach er ärgerlich:

– Gut, so reise ich allein!

Herr da Caza zog sich in sein Zimmer zurück, um seine Sportblätter zu lesen. Maria blickte seiner schlanken, eleganten, immer tadellos gekleideten Gestalt nach und an seiner Stelle stieg ihr unwillkürlich Stassingks Bild auf. Von hinten sahen sie sich in der Figur ähnlich, nur die verschiedene Haarfarbe gab ihnen etwas, daß man sie sofort unterschied. Und ihr kam die Frage, warum der Geliebte nicht hier sein könnte, in diesen Räumen, statt des anderen, für den ihr Herz längst erstorben war. In diesem Augenblick dachte sie zum erstenmal daran, wie es sein würde, wenn er ihr Mann wäre und nicht jener.

Der kleinen Freundin hatte sie auf ihre ängstliche Frage, was nun werden solle, geantwortet, sie wisse es noch nicht. Schon diese Ueberlegung war ihr peinlich, als schöbe sich etwas zwischen Stassingk und sie, wenn sie daran dachte. Sie meinte, es sähe wie Selbstsucht aus, wenn sie danach drängte, eine Lösung zu wünschen. – Er mußte darauf kommen, er mußte es ihr vorschlagen. Niemals hätte sie es über die Lippen gebracht. Wie eine Unzartheit, beinahe wie eine Erniedrigung wäre es ihr vorgekommen, die Frage anzudeuten, was werden sollte zwischen ihnen beiden. – Maria da Caza dachte, es müsse ganz von selbst kommen, daß sie sich eines Tages von ihrem Manne trennte, um dem ganz anzugehören, den sie liebte und der sie liebte. ^- Wann – das war ja so gleichgültig. Es würde sich alles finden. Jetzt wollte sie nichts als glücklich sein.

Auch Stassongk war glücklich. Er meinte zu ihr ganz anders zu stehen, wie zu allen den anderen Frauen, für die einmal sein Herz geschlagen. Tiefe Wunden hatte er nie davongetragen, denn er war zu schnell und leicht entflammt, als daß seine Zuneigung hätte für die Dauer sein können, aber Maria da Caza liebte er.

Seit dem Herbst dachte er nur an sie. Die übrigen waren ihm gleichgültig: er wechselte wohl noch seine stehenden Redensarten mit ihnen, denn er konnte mit Damen nicht anders reden, als immer in halber Uebertreibung, in Liebenswürdigkeiten-sagen, in Artigkeitenausteilen, aber immer kehrten doch seine Gedanken zu ihr zurück. Und ein Irrtum seines Gefühles war es nicht, denn das hielt nun schon an seit Monaten, ohne daß es nachließ.

Den Abend nach Carmen war er zum ersten Male wieder zum Herzog von Ortenburg gegangen, wo er die Prinzessin Löwengaard fand. Sie war glückselig, denn er sprach wieder mit ihr, wie früher. Ganz von selbst war er in den Ton geraten, ohne zu glauben, ihr Entgegenkommen zu zeigen, oder gar an Maria da Caza ein Unrecht zu tun. Als ob es verabredet worden, wurde bei Ortenburgs mit keinem Worte der Begegnung nn Theater Erwähnung getan.

– Sie haben sich sehr selten gemacht, lieber Graf! – sagte die Herzogin beim Abschied und ihn beschlich eine leichte Verlegenheit, die er sonst nicht kannte, als er entgegnete:

– Ich werde versuchen es wieder gut zu machen, Durchlaucht!

Ein paar Tage darauf traf er unter den Linden Ortenburgs, doch ohne die Prinzessin Löwengaard. Sie hatten im Hotel Bristol dem nach Paris durchreisenden Großfürstenpaar Fedor Nicolajewitsch einen Besuch abgestattet und hielten ihn an, als sie eben in ihr Coupé einsteigen wollten, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln.

Gerade in diesem Augenblick kam Maria da Caza mit ihrem Manne vorüber. Sie, die fast nie mit ihm in die Stadt ging, ärgerte sich, daß sie sich gerade jetzt begegnen mußten.

Stassingks Gruß war wie immer lächelnd, fröhlich, herzlich, Maria grüßte, als sähe sie irgend einen Bekannten, und nur ein kurzer Blick schoß aus ihren dunklen Augen zu ihm hinüber. Sie fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, und schritt etwas schneller. Herr da Caza aber, der mit dem jungen Diplomaten noch intimer tat als früher, seitdem er gehört, daß seine Mutter »aus dem Hause der regierenden Herzöge und Grafen von Hof und Marienreuth« stammte, lüftete familiär seinen Hut und winkte dann noch eine Weile mit der Hand.

– Eine schöne Erscheinung, diese Frau da Caza! – sagte der Herzog, indem er der Gestalt Marias nachblickte. Seine Frau wollte ablenken, da sie fühlte, wie unangenehm Stassingk diese Erwähnung war:

– Er ist wohl weniger ...

Der junge Diplomat tat, als verstünde er nicht sofort:

– Herr da Caza, Durchlaucht?

– Jawohl.

– O nein ... ich wenigstens kann nur sagen, er ist sehr nett. Ein tadelloser Mann. Absolut Gentleman. Und das Cazasche Haus ist ganz vorzüglich gehalten. Es ist sehr comme il faut dort. Man trifft immer sehr angenehme Gesellschaft.

Der Herzog von Ortenburg hörte schweigend zu. Er schloß die Unterhaltung ab mit einem:

– Sie scheint es gut zu verstehen, alles einzurichten. Sehr chic ist diese Frau allerdings und eine Schönheit dazu ... ja ... ja ... nun leben Sie wohl, lieber Stassingk...

Damit stiegen sie ein und rollten davon.

Als sie die weitergeschrittenen Cazas überholten, sagte Maria da Caza unmutig:

– Ich kann diese Ortenburgs nicht leiden!

– Warum? – fragte ihr Mann halb erstaunt, halb gleichgültig, weil er das Gangwerk der herzoglichen Pferde musterte, das ihm wichtiger schien, als die Besitzer, da er zu seinem Kummer keine Möglichkeit sah, ihre Bekanntschaft zu machen. Mit einem Herzoge hätte er gern sein Haus geschmückt. Seine Frau konnte ihre Abneigung nicht begründen:

– Ich mag sie nicht!

– So, so ... das Sattelpferd scheint übrigens eine Idee größer zu sein ... aber es hat mehr Aufsatz, das könnte täuschen.... Ich muß sagen ... was ich so gehört habe ... der Herzog gilt für sehr artig ... und sie soll sehr bescheiden und nett sein ... Leider ist er in keiner Kommission, auch nicht im Repräsentantenausschuß, sonst würde ich mich ihm haben vorstellen lassen. Aber ich habe schon daran gedacht, ob uns Stassingk die Bekanntschaft nicht vermittelte, und wenn das nicht ist, vielleicht die Prinzessin Löwengaard ...

Er konnte den Satz nicht beenden. Maria da Caza sagte erregt:

– Nein, das will ich nicht!

– Warum denn nicht?

Sie erklärte ihm, daß beim Lindstedtschen Balle die Prinzessin, obwohl sie doch junges Mädchen sei, sich ihr nicht genähert habe. Herr da Caza, der sich der Prinzessin hatte vorstellen lassen und sie sehr liebenswürdig und unterhaltend gefunden, war der Ansicht, Maria habe den ersten Schritt tun müssen und ärgerte sich ein wenig über seine Frau.

– Ich kenne sie nicht, und ich werde sie nicht kennen lernen! – antwortete nur Maria da Caza kurz, doch ihr Mann war zerstreut. Immer dachte er daran, seine Kreise zu erweitern, seine gesellschaftliche Stellung noch zu verbessern. Der Ehrgeiz, der hinter seinem ruhigen, korrekten Wesen sich verbarg, arbeitete und wühlte in ihm und er sagte nachdenklich, fast im Selbstgespräch, so daß nun ihrerseits Maria tat, als habe er in die Luft gesprochen:

– Es würde mir lieb sein, wenn Du das nächste Mal, wo wir – etwa bei Lindstedts – mit Prinzessin Löwengaard zusammentreffen, das wieder gut machen wolltest.

Es traf sich wie gerufen, daß sie, als sie nach Hause kamen, noch auf der Treppe den Regierungsrat fanden:

– Nein, meine gnädigste Frau, wie mich das freut, ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben ...ich wollte Sie nämlich einladen. Die stille Zeit geht nun bald los. Da habe ich mir ausgedacht, meiner kleinen Frau doch wenigstens etwas diesen Winter noch zu bieten! Ja, was denn? hieß es nun. Die Herrschaften sind alle tanzmüde, Bälle ziehen nicht mehr, Diners sind nichts Besonderes, nebenbei sind wir ja alle so sachte karlsbadreif geworden, so daß nur wenige noch ein längeres, größeres, gutes Diner leisten ...also Schlittenpartie ...ist wenig beliebt wegen der Kälte jetzt, vielleicht Tauwetter morgen ... genug was? Nun raten Sie mal!

– Sie lassen Theater spielen! – sagte Herr da Caza.

– Nein, lieber Freund! Nein, nein! Liebeserklärungen dürfen bei mir nicht gemacht werden! – antwortete der Regierungsrat und zog ein ganz ernsthaftes Gesicht, wobei ihm jedoch aus alter Gewohnheit das eine Augenlid blinzelnd zufiel.

Maria da Caza war ungeduldig geworden. Sie riet auf Geratewohl, um nur der Sache bald ein Ende zu Machen:

– Lebende Bilder!

– Herr von Lindstedt schien erstaunt:

– Sie wissen, gnädige Frau?

– Es bleibt doch kaum etwas anderes übrig!

– Allerdings! Neu ist's ja nicht! Aber gibt's in unserer Welt überhaupt noch etwas Neues? Ich denke nein, meine gnädigste Frau! Es kommt auch nicht auf das was an! Nur auf das wie, meine verehrteste, gnädigste Frau! Zum Theater ist nicht mehr genug Zeit! Lebende Bilder nehmen nicht so viel Zeit in Anspruch. Na und nun kommt eine Hauptfrage: ich kann doch auf Sie rechnen, denn Sie sind zu mehreren der Hauptgestalten vorgesehen!

Maria da Caza zögerte noch einen Augenblick, doch als der Regierungsrat wie ganz nebenbei sagte, Graf Stassingk werde auch beteiligt sein und ebenso die Prinzessin Löwengaard-Espenburg, da war sie sofort entschlossen. Herr da Caza sagte gleichfalls zu:

– Ich wollte eigentlich an die Riviera, aber meine Frau mochte nicht mit. Da bleibe ich am Ende hier.

– Sie kriegen auch eine Rolle! Eine erster Klasse! – versicherte Herr von Lindstedt als Belohnung. Dann erzählte er noch, wen er auffordern würde, daß Professar Charrier und Peter Stöckl die Bilder stellen mußten und daß er beabsichtige, das Ganze als Charade einzurichten: man sollte aus den jedesmaligen Anfangsbuchstaben der einzelnen Bilder ein Wort raten, das zugleich das letzte Bild bezeichnete. Er habe sich »ganz Großartiges« ausgedacht. Um die Sache zu erschweren, würde mit dem letzten Buchstaben begonnen werden. Er schloß:

– Das ganze Wort sollen Sie dann darstellen, meine gnädigste Frau!

Nun war sie gespannt:

– Ich?

– Nur Sie können es, gnädigste Frau!

– Wie heißt das Wort?

Er tat zuerst noch ein wenig geheimnisvoll, dann liess er sich das feierliche Versprechen geben, gegen niemand eine Silbe davon zu erwähnen, als nur gegen die Mitwirkenden, und buchstabierte, von rückwärts beginnend, wie die Bilder gestellt werden sollten:

– N E M R A C gleich Carmen!

Wie im Blitz dachte sie an den Abend in der Oper und das Carmenlied erklang ihr in den Ohren. Die Carmen sollte sie sein! Ihre dunkle Schönheit war dazu wie geschaffen! In Gedanken überflog sie schon ihren Schmuck: sie besaß einen spanischen Kamm und sie dachte an das Kostüm, das sie sich machen lassen würde. Da hörte sie den Regierungsrat sagen:

– Wissen Sie, was das M bedeuten soll?

– Nun?

– Maria Stuart.

– Wer ist die Maria? – fragte Herr da Caza, der fürchtete, einer anderen möchte etwa eine glänzendere Rolle zugeteilt sein, als seiner Frau. Herr von Lindstedt verneigte sich wie anbetend vor Maria da Caza und predigte überschwänglich:

– Maria Stuart galt für die schönste Frau ihrer Zeit. Es gibt nur eine Maria Stuart in Berlin! Was sage ich, in Deutschland! In Europa! Auf der Welt! Im Sternenraum! Nur eine, die es wagen darf, die unglückliche, schönste Königin zu versinnbildlichen: Maria da Caza!

Darauf lachte er, meckerte, kicherte, verbeugte sich, zwinkerte mit den Äugen und fügte hinzu:

– Meine allergnädigste Frau, Sie dürfen nicht böse sein, wenn ich einfach so sans façon sage: Maria da Caza. Aber sagen Sie selbst, würden Sie sagen: Ihre Majestät die Königin Maria von Schottland? Nein, Sie sagen: Maria Stuart. Also – nun so sage ich: Maria da Caza!

Den ganzen Abend sann Maria da Caza nach über die lebenden Bilder. Sie erblickte sich als schottische Maria mit der Krone im Haar, im puffigen, faltigen Trauergewande der Zeit mit hohem Kragen, vor dem Gang zum Schafott und dann als Carmen, gebunden an beiden Händen und wieder bei Pastia di Seguedilla tanzend. Zuletzt vor der Arena.

Immer war sie schön, aber nur schön für einen. Immer kehrten ihre Gedanken zu der Frage zurück, wer ihr Partner sein würde bei den lebenden Bildern.

Es mußte Stassingk sein.


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