Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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II.

Graf Stassingk und Rittmeister Hendrich hatten gemeinsam den Ball verlassen. Sie schritten eine Weile schweigend, nachdem sie aus der Hohenzollernstraße, wo das Haus des Regierungsrates von Lindstedt lag, in die Tiergartenstraße eingebogen waren, den nächtlich einsamen Weg.

– Wer sind eigentlich diese Cazas? – fragte nach einer Weile der junge Diplomat. Rittmeister Hendrich antwortete verwundert:

– Nun, er ist der bekannte Rennmann! Den kennen Sie doch!

– Ja, aus der »Sportwelt«, die ich mir immer nachschicken ließ. Aber ich meine so, was sind denn das für Leute eigentlich? Wer verkehrt denn da? Er forderte mich nämlich auf, seiner Frau einen Besuch zu machen. Ich möcht's nun gern wissen, denn wir sehen uns zum erstenmal im Leben, und da ... kurzum ... sie wollen wohl gern Verkehr haben?

– Nein! Deshalb sind Sie wohl kaum aufgefordert worden, denn Verkehr haben sie genug. Und den allerbesten. In der eigentlichen Hofgesellschaft sind sie zwar nicht drin, aber Hofgesellschaft verkehrt bei ihnen, und auch sonst gute Kreise: Sportleute, Offiziere, auch ein paar Künstler. Wissen Sie, Stassingk, die Cazas haben so 'ne eigne Stellung. Es ist keine alte Familie, aber so halb. Das »da« klingt doch so 'n bißchen wie »de«, wie Adel. Dann haben sie unglaublich viel Geld, und das ist heutzutage schließlich die Hauptsache. Sie besitzen ein großes Haus hier in der Tiergartenstraße. Wir kommen nachher vorbei, ich zeige es Ihnen. Sie geben Diners erster Klasse, allerlei Feste, haben auf der Coach – wenn's nach Karlshorst zum Rennen geht – immer Platz. Er besitzt den größten deutschen Hindernisstall. Es ist immer nett, unterhaltend bei ihnen, und man sieht interessante Leute da. Manchmal geht's sogar ganz geistreich zu. So wie's gerade nett ist, nicht zu tief, nicht flach, so angenehm anregend. Und dann sind die Leute sehr chik. Er sowohl wie sie. Nun, und schließlich sie ist wohl, ohne zu übertreiben, d!ie schönste Frau in Berlin.

Graf Stassingk ließ sich ruhig erzählen. Er war ein wenig nachdenklich geworden und sprach unwillkürlich vor sich hin:

– Maria da Caza!

Da es der Rittmeister gehört hatte, fügte er noch hinzu:

– Das klingt so famos. So ... stolz; »Maria da Caza«.

– Sie wird auch nie anders genannt. Passen Sie mal auf, es heißt nie, wenn jemand fragt, wer auf dem und jenem Rout gewesen oder Bazar, Ball, Rennen, Korso, afternoon-tea und so weiter ... der war da und dann Frau da Caza ... Nein, es hat sich ganz von selbst gemacht, daß nie anders gesagt wird als: Natürlich war da: »Maria da Caza!« Sowie die Zeitungen nicht sagen: wir erblickten auf dem Presseball »Fräulein Groß«, sondern »Jenny Groß«. Und wie man erzählt: »Der Reichskanzler« fuhr vor . . oder »Heyden-Linden« ist gestürzt.

Auch er ließ die Silben mit dem wiederkehrenden Vokal voll ausklingen:

– Maria da Caza!

Sie kamen, die Tiergartenstraße entlang schreitend, an einer in deutscher Renaissance gehaltenen Villa vorbei, die unter den zum Teil wenig geschmackvollen, auch älteren Häusern der Nachbarschaft sofort auffiel. Der Vorgarten war, wie man trotz des Herbstes erkennen konnte, sehr gut gehalten, das schmiedeeiserne Gitter machte einen künstlerischen Eindruck. Rittmeister Hendrich zeigte:

– Sehen Sie, die Villa da Caza!

Graf Stassingk musterte das Besitztum, das im hellen Mondenschein fast wie am Tage zu sehen war, und meinte bedächtig:

– Sehr herrschaftlich! Allerdings!

Die beiden blieben noch eine Weile am Gitter stehen, denn wenige Schritte davon trennte sich ihr Weg. Die Nacht war mild und schön, über ihnen flimmerte der sternbesäte Himmel und ihnen gegenüber rauschten, wenn ein Windhauch darüber strich, die Wipfelkronen des Tiergartens. Ab und zu klang von weitem ein Schritt auf dem Pflaster oder das Rollen eines Wagens. Stassingk hatte den Ueberzieher geöffnet, weil es ihm zu warm geworden, und schob den Hut in den Nacken. Er blickte zum Horizont auf und sagte träumerisch:

– Unser altes Vaterland ist am Ende auch nicht ohne!

Der Rittmeister erwiderte:

– Hat's Ihnen denn nicht leid getan, den Bosporus zu verlassen?

– Ja und nein! Es hat alles seine zwei Seiten. Uebrigens habe ich mich in Madrid und Washington auch sehr wohl befunden. In Stockholm nicht minder. Ich glaube, mir gefällt's überall. Ich könnte überall leben, ganz einerlei wo, denn nette Damen gibt's schließlich allerwärts, Bei uns hier sind die Menschen nur so entsetzlich schwerfällig und philiströs. Das ist in Amerika am schönsten, da kräht kein Hahn danach, ob man mit dieser oder jener fünf Minuten länger redet ...

Er versank in Gedanken und fragte plötzlich:

– Sagen Sie mal, Hendrich, hat man nicht, wie ich damals vor'n paar Jahren nach Stockholm geschickt wurde, noch dumme Bemerkungen gemacht wegen der kleinen Prinzessin? Ich hörte es mal!

– Allerdings, und zwar sehr.

– Mein Gott, ich habe ihr aber doch nie einen Antrag gemacht! Nie daran gedacht überhaupt nur! Nicht im Traum!

– Man glaubte eben allgemein ...

– Das ist doch zu albern. Dann hört doch einfach jeder Verkehr auf! Wenn man nicht mit einer Dame, mit der man sich gut unterhält, ein Wort reden kann, ohne daß einem von allen alten Tanten und Klatschbasen sofort Heiratspläne untergeschoben werden! Rittmeister Hendrich zuckte die Achseln. Sie hatten das Nahen eines Wagens bei ihrem Gespräche ganz überhört. Einen Augenblick lauschte der Rittmeister, dann zog er Stassingk ein Stück fort bis an die Ecke der Regentenstraße, in der seine Wohnung lag:

– Es sind Cazas. Ich höre es gleich am Gangwerk der Gäule, und wenn sie uns bei dem hellen Mondenschein an ihrem Gitter erblicken sollten, so sieht das doch zu töricht aus.

Sie warteten an der Ecke noch einen Augenblick, bis sie sahen, daß die Equipage vor der Cazaschen Villa in einem kleinen Bogen ausholte und einfuhr. Der Rittmeister hatte recht. Schnell drückten sie sich noch die Hand und trennten sich. Auf der Regentenstraße verhallte klingend Hendrichs Schritt. Stassingk strebte der inneren Stadt zu, doch als er ein Stück fort war, drehte er nochmals um und ging bis an die Villa da Caza zurück. Wie er sich einredete, um nach der Nummer zu sehen, in Wahrheit jedoch, weil es ihn reizte, zu beobachten, ob ein Fenster sich erhellt hätte. Vielleicht in Maria da Cazas Zimmer.

Maria da Caza! Ihr Bild stand einen Augenblick vor seinen Sinnen. Schön war sie. Wunderbar schön...

Aber das Haus blieb dunkel, und er wandte sich ab, indem er leise »La Paloma« vor sich hin pfiff, nachdem er seine Zigarette auf den Fahrdamm geschleudert.

Maria da Caza hatte die Räume nach der Straße zu gar nicht betreten. Während ihr Mann sofort das nach hinten gelegene Schlafzimmer aufsuchte, ließ sie sich von der Jungfer, die aufgeblieben war, in ihrem Ankleidezimmer entkleiden, dann schickte sie das Mädchen fort:

– Sie sind müde, Agnes, gehen Sie zu Bett. Ich mache mir das Haar selbst!

Während sie vor dem Rokokotoilettentischchen saß, das mit Point-de-Venise-Spitzen drapiert war, flocht sie sich mechanisch das prächtige lange Haar, langsam, ganz langsam, in Gedanken noch bei dem Balle weilend. Ein süßes Gefühl der Gelassenheit, halb der Gleichgültigkeit, halb der Befriedigung löste ihr die Glieder, daß sie sich streckte und dehnte. Sie war nicht müde wie sonst nach den Bällen, sie fühlte sich nicht abgespannt und gelangweilt wie meist, sondern satt, befriedigt, glücklich.

Dieser Graf Stassingk, der es nicht einmal für nötig befunden, von ihr Notiz zu nehmen, würde ihr seinen Besuch machen! Es tat ihrer Eitelkeit wohl, das erreicht zu haben. Und je weiter sie sich in ihren Gedanken gehen ließ, desto klarer wurde es ihr, daß ihr der junge Diplomat gefiel. Seine Art und Weise, zu sprechen mit dem Persönlichen, Einschmeichelnden im Ton, machte ihr Eindruck, und unwillkürlich sah sie die Prinzessin vor sich, wie sie verlegen geworden, als er ihr wieder begegnete. Sie malte sich ein Phantasiebild jener türkischen Frau, deretwegen der junge Diplomat Konstantinopel hatte verlassen müssen, sie dachte an Madrid, das sie auch kannte, wo ihm die glutäugigen Spanierinnen hold gewesen, an Washington, wie er wohl den Sommer in New York geflirtet, an Stockholm, wo er die blonden, kalten Nordländerinnen entflammt. Und ganz leise stieg in ihr der Vergleich auf mit anderen Frauen, und sie erinnerte sich dessen, was ihr in allen Tonarten, Wortwendungen und Idiomen von den Herren versichert worden war, daß sie doch die Schönste sei. Ein flüchtiger Blick glitt in den Spiegel.

Dann streckte und dehnte sie sich wieder und überließ sich weiter träumend ihren Gedanken.

Sie fühlte sich satt, befriedigt, glücklich.

Am anderen Morgen frühstückte Maria da Caza wie immer allein, denn Herr da Caza pflegte zeitig nach Karlshorst zur Morgenarbeit seiner Pferde hinauszufahren, dem einzigen im Leben, wofür er sich ernsthaft interessierte. Sie stöberte die angekommenen Postsachen durch, nur ihre Pariser Modenzeitung war für sie, das andere Briefe für ihren Mann, die sie nicht einmal auf die Handschrift hin ansah. Mit dem Blatt in der Hand ging sie in ihr Boudoir, das von oben bis unten mit weißer Seide bespannt war, zeltartig sich an der Decke in Falten zusammenfindend. Das kleine Gemach war ganz in weiß gehalten, die zierlichen Möbel, Schränkchen, Etagèren weiß, in matter Farbe, die Stühle mit weißer Seide überzogen. Weiße Angorafelle deckten den Boden, und alle Gegenstände des Gebrauchs: Schreibzeug, Nippes, Schalen Leuchter, alle die Dutzende kleiner Nichtse und Kunstwerke aus Elfenbein.

Maria da Caza dachte wieder an den Ball. Es war erst Herbst, die Saison hatte noch nicht begonnen und nur ein paar Leute hatten tanzen lassen, die es gar nicht abwarten konnten, oder die, wie der Regierungsrat von Lindstedt, nach Außergewöhnlichem, nach den Primeurs des Winters geizten. Dennoch hatte sie schon alle Feste und Bälle über, ehe sie recht ihren Anfang genommen. Es freute sie zwar, eine Rolle zu spielen, angestaunt, bewundert zu werden, die Schönste zu sein, immer gesucht, begehrt sich zu fühlen, aber das ging nun schon ein paar Jahre so und war immer und ewig dasselbe.

Ihr Mann hatte sie so erzogen. Er wollte nichts anderes von ihr und hatte kaum je anders gewollt, als daß sie glänzen sollte, ein Haus machen und durch ihre Schönheit ihn mit ihr in den Mittelpunkt der Gesellschaft bringen.

Wie sie nach Berlin gekommen und er sich allmählich vermöge seines Geldes einen Rennstall gegründet, zuerst weniger aus Interesse am Sport, als weil ihm die Stellung als Sportsman ein Relief verlieh und Bekanntschaften sich daran knüpften, da hatten sie noch keinen Verkehr gehabt. Erst allmählich fand sich einer zum anderen. Ein paar Rennleute fingen an, einige junge Offiziere, denen Herr da Caza gute Ritte angeboten, folgten. Und mit der Zeit wuchs ihre Zahl. Maria da Cazas Schönheit zog sie an, ihre Liebenswürdigkeit hielt sie fest. Aber zuerst kamen fast nur Herren: man ward es empfindlich gewahr, daß die Villa da Caza einem Junggesellenheim glich, in dem eine Dame den Vorsitz führte.

Maria da Caza erinnerte sich dieser Anfänge, wie dann ganz plötzlich durch den Regierungsrat, der als Junggeselle bei ihnen verkehrt und nach seiner Verheiratung ihr seine junge Frau zugeführt, der Kreis an Damen sich vergrößert hatte. Sie lächelte im Gedanken an diese ersten, gesellschaftlichen Nöte, an dieses mühsame Bekanntwerden, Eindringen, sich zur Geltung bringen. Sie lächelte, weil es ihr jetzt so fern, so überwunden erschien, wo sie nun schon übersättigt und gelangweilt war von allem, was sie doch damals heiß ersehnt und sich Zoll um Zoll gewonnen.

Und sie dachte wieder an Graf Stassingk, unwillkürlich wie durch eine Zwangsvorstellung, als ob er etwas Neues in ihr Leben brachte, eine frische Note, einen ungehörten Klang. Sie ward neugierig, ob er wohl heute den versprochenen Besuch machen würde. Wahrscheinlich noch nicht, es wäre zu schnell gewesen.

Gegen Mittag zog sie sich an und ging fort. Sie war unruhig und hielt es zu Hause nicht mehr aus. Herr da Caza hatte telephoniert, er hätte zu tun und würde vor dem Diner nicht zurück sein. Sie schlenderte langsam die Tiergartenstraße hinab, der Lennéstraße zu. Eigentlich hatte sie nachmittags reiten wollen, aber da ihr Mann sie nicht begleiten konnte, mußte sie es lassen. Und sie ärgerte sich darüber, denn das wäre doch wenigstens eine Zerstreuung gewesen. Außerdem meinte sie, das wenigstens von ihm verlangen zu können, da er sich sonst nicht um seine Frau kümmerte.

Das schöne Wetter hatte trotz des leichten Windes, der den Staub der Straße zusammenblies, die Leute ins Freie gelockt, und der Weg war voll Spaziergänger. Fast jeder blickte Maria da Caza an, wie sie mit ihrer königlichen Figur, einfach, aber nach letzter Mode gekleidet, dahinschritt.

Maria da Caza war das gewöhnt, sah es als einen Tribut an, der ihrer Schönheit galt, und empfand kaum mehr das Anstarren der Leute, so natürlich war es ihr geworden. Meistens benutzte sie ihre Victoria oder ihr Coupé, doch heute wollte sie sich Bewegung machen. Ein wenig Gehen und die frische Luft sollten ihr gut tun. Im Grunde hatte sie kein Ziel, und wo sich die Lenné- und Bellevuestraße gabelten, schwankte sie einen Augenblick, welchen Weg sie nehmen sollte. Endlich fiel ihr ein, daß sie zu Schulte, Unter den Linden, gehen konnte, um sich Bilder anzusehen. Vielleicht gab es ein paar neue Gemälde, die sie noch nicht kannte.

Doch sie fand nichts als ein Oelbild von Peter Stöckl, einem jungen Österreicher, der sich ab und zu bei ihnen zeigte, und dem Herr da Caza ein paar Gouaches abgekauft, weil er von ihm gelesen, daß er ein »Mann der Zukunft« sei, auf den man achten müsse. »Müde« hieß das Werk, das gleich im ersten Saale hing.

Maria da Caza betrachtete die Landschaft, eine weite Heidefläche, auf der brennende, sengende Sonne lag. Warum das gerade »Müde« heißen sollte, verstand sie nicht. Vergebens spähte sie nach einer Figur, etwa einem Knaben, der schlummernd im Kraut läge, von Hitze und weitem Marsch übermannt. Doch das Bild enthielt keine Figur, und da sich fast niemand in den Salons befand, ging sie kopfschüttelnd davon, die Straße zurück, die sie gekommen.

Als sie wiederum in die Lennéstraße einbog, kam ihr der Einfall, Gräfin Selbotten zu besuchen, in der nahen Viktoriastraße, eine junge Frau wie sie, deren Mann bis zu seiner Verheiratung Rennen geritten und dadurch mit den Cazas bekannt geworden war. Graf Selbotten war zur Kriegsakademie kommandiert, und wie Maria da Caza wußte, noch nicht vom Dienst zurück. Um diese Zeit pflegte die Gräfin zu Hause zu sein.

»Frau Gräfin laßt bitten!« sagte der Bursche und öffnete die Tür zum Salon.

Beim Eintreten konnte Maria da Caza im ersten Augenblick wegen der Blendung durch die Fenster nur ein paar dunkle Schatten erkennen. Die Gräfin, eine rundliche, kleine Frau, die zu viel und gern lachte, stand auf, und die beiden Damen umarmten sich.

– Das ist ja reizend, daß Du kommst, Maria! – sagte Gräfin Selbotten und gab der Eintretenden noch einmal einen Kuß auf beide Wangen.

– Ich wollte Dir vom Ball bei Lindstedts erzählen! – antwortete schnell Maria da Caza, obwohl ihr das eben erst eingefallen war. Die kleine, vergnügte Frau lachte fröhlich:

– Ich weiß schon alles!

Nun erst betrachtete Frau da Caza den Besuch, der sich erhoben hatte und zur Seite stand, die Hände leicht auf die Lehne seines Stuhles gestützt. Ihre Augen hatten Zeit gehabt, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, und sie erkannte Graf Stassingk. Doch sie wartete nicht ab, daß er sich ihr nun bekannt machen ließe, sondern achtete absichtlich nicht auf ihn, setzte sich so, daß sie ihm fast den Rücken drehte, und begann sofort ein eifriges Gespräch mit ihrer kleinen Freundin. Diese meinte, die beiden kennten sich, und hörte zuerst vor lauter Lachen, Schwatzen und Fröhlichkeit gar nicht auf die mehrmalige Bitte des jungen Diplomaten, Maria da Caza genannt zu werden. Endlich ward sie den Irrtum gewahr, freute sich über das Versehen und rief:

– Ach, die Herrschaften kennen sich nicht! Graf Stassingk – Frau da Caza ... Aber bester Graf, Sie müssen sich doch gestern auf dem Balle getroffen haben?

– So? – sagte Maria da Caza, als erinnere sie sich nicht, und Stassingk sprach:

– Natürlich, gnädigste Frau! Und Sie werden wohl sehr schlecht von mir denken, aber wirklich, wie es so manchmal geht, den gleichgültigsten Leuten läßt man sich vorstellen und darüber verpaßt man die anderen. Den ganzen Abend hindurch hatte ich die Absicht, aber ich wollte es nicht in einem beliebigen Augenblick tun, sondern wenn Sie einmal in einer Ecke irgendwo in Ruhe saßen. Dazu kam es aber gar nicht, denn Sie tanzten ja fortwährend. Von einem Herrn ging es zum anderen. Und die kannten Sie doch alle. Ich aber hatte nur flüchtig meine Verbeugung machen können, und nicht ein Wort hätten wir gewechselt. Das wollte ich nicht. Und ... und da getraute ich mich nicht heran ...

Dabei hatte er einen so demütigen, fast schüchternen Ton angenommen, daß Maria da Caza mit einem Schlage jedes Gefühl der Verstimmung verlor, das ihr aus seiner Nichtbeachtung erwachsen. Sie fragte freundlich mit durchzitterndem Erstaunen:

– Sie getrauten sich nicht heran?

– Sie waren so umworben!

– Ach, ... nun, ich tanzte viel!

– Jeder wollte mit Ihnen tanzen!

– Weil ich sehr viel Bekannte habe. Die wollen artig sein.

Graf Stassingk schüttelte den Kopf:

– Herr von Lindstedt traf das Richtige. Er machte die Herren darauf aufmerksam, nur mit vier Worten, aber die sagten alles.

– Vier Worte?

– Jawohl, gnädige Frau, nur vier Worte!

Sie fühlte sich ein wenig geschmeichelt, und die Neugier regte sich:

– Da bin ich doch gespannt!

– Maria da Caza tanzt! – antwortete der junge Diplomat mit einem gewissen stolzen und doch warmen Ton laut und anders, als er sonst sprach.

Die kleine Gräfin Selbotten saß ruhig lächelnd daneben und konnte in die Unterhaltung der beiden nicht eingreifen, weil sie nichts Allgemeines sprachen, sondern persönliche Dinge. Dabei wandten sie sich einander zu, so daß es fast schien, als wäre die Frau des Hauses nicht vorhanden.

– Wir vergessen Dich ganz! – sagte Maria da Caza. Die kleine Gräfin meinte, das käme daher, daß sie nicht auf dem Balle gewesen, und Stassingk wußte ihr sofort eine Artigkeit zu sagen: man habe nach ihr gefragt. Es klang so, als sei sie allgemein vermißt worden, doch nach näherer Erkundigung vermochte er nicht anzugeben, wer von ihr gesprochen. Aber Gräfin Selbotten fühlte sich dennoch angenehm berührt.

Maria da Caza wußte, daß, wenn Graf Selbotten aus der Kriegsakademie hungrig zurückkam, die jungen Eheleute sofort zu Tisch zu gehen pflegten. Deshalb erhob sie sich, als es klingelte und man im Entree das Klirren beim Ablegen des Säbels hörte. Schnell, ehe der Hausherr erschien, stand sie auch schon an der Tür.

– Mein Mann sieht bloß nach unserer Kleinen drüben, dann kommt er gleich! – erklärte die Gräfin, doch Maria da Caza ließ sich nicht halten:

– Ich weiß, Ihr wollt zu Tisch gehen! Grüß Deinen Gatten!

Damit war sie hinaus, und Graf Stassingk konnte unter diesen Umständen nicht anders als sich anschließen. Sie schritten nebeneinander, und sie fragte, woher er die Selbottens kenne, da er doch jahrelang abwesend gewesen.

– Sie kannte ich bisher noch nicht, gnädige Frau. Mit ihm bin ich auf der Schule zusammen gewesen und bin außerdem Reserveoffizier von seinem Regiment!

Einen Blick ließ sie unbemerkt über seine Figur gleiten, mit dem Gedanken, daß die Husarenuniform ihm gut stehen müsse, und sagte scheinbar ganz nebenher, um nur etwas zu erwidern:

– Die Uniform ist hübsch!

Er stimmte bei, und unwillkürlich bogen sie in die Tiergartenstraße nach links ein, wo die Villa lag. Es war, als sollte nun die Unterhaltung ersterben, da sagte er:

– Gnädige Frau, wissen Sie, weshalb ich mich so lange aufgehalten, ohne den Entschluß fassen zu können, mich Ihnen vorstellen zu lassen?

– Ach, das ist ja längst vergeben – reden wir doch nicht davon ...

– Mir liegt daran,

– Wieso?

– Ich fand eine Aehnlichkeit, eine wundersame Aehnlichkeit ... als ich eintrat in den Saal und Sie sah . .

Sie wußte nicht, wo das hinaus sollte, begriff nicht, was er wollte, nur der fast feierliche Ton fiel ihr auf und daß sein Gesicht ganz ernst geworden. Sie fragte:

– Eine Aehnlichkeit?

– Ja, gnädige Frau. In Madrid ist eine Dame der Gesellschaft, die schönste Spanierin, die ich während meiner Dienstleistung dort gesehen habe, und die Damen sind schön dort ... die sah ... genug, wie ich gestern auf den Ball kam, dachte ich, Sie müßten ihre Schwester sein. Nur einen helleren Teint besitzen Sie, gnädige Frau. Dann hörte ich den Namen, der doch eigentlich romanisch klingt!

Maria da Caza lächelte:

– Ich bin keine Spanierin, sondern meine Eltern waren Bayern. Der Name meines Mannes ist allerdings romanischen Ursprunges – aus Dalmatien, aber das ist schon lange her und er ist in Wien geboren.

Graf Stassingk blickte sie nicht an, sondern sah vor sich hin als vergegenwärtige er sich ein Bild:

– Sie war groß und schlank, von einer wundervollen ebenmäßigen Gestalt, einer königlichen Figur. Ihr blauschwarzes Haar, weich und dennoch mächtig, trug sie frei aus der Stirn gekämmt in griechischem Knoten. Das schmale Gesicht, oval, edel geformt, mit feiner, gerader Nase, erhielt seine größte Schönheit neben dem kleinen Mund, den wunderschönen Zähnen, durch die Augen. Dunkle, glühende und doch kalte, stolze Augen, die immer glänzten, wie halb umflort, immer glänzten ...

Maria da Caza fühlte, wie ihr langsam die Röte ins Gesicht stieg, als ihr Begleiter sie Linie um Linie selbst beschrieb. Sie wollte sich darüber ärgern, sie hatte ein verweisendes Wort auf den Lippen, aber sie sah, daß er sie nicht anblickte, und der Klang seiner Stimme war ganz ruhig, wie bei einem gleichgültigen Gespräch. Und sie meinte, daß, wenn sie etwa jetzt bäte, nicht so zu sprechen, er sie am Ende gar nicht verstehen möchte und erstaunt fragen, was sie denn eigentlich aus seinen Worten herausgehört, das er nie habe hineinlegen wollen. Das wäre ihr so peinlich gewesen, daß sie lieber schwieg. Dazu sprach er ganz anders als auf dem Balle, wo in seiner Art und Weise zwar bestrickende Liebenswürdigkeit gelegen, aber dennoch, wie sie jetzt fand, etwas Oberflächliches, Leichtes, während er in diesem Augenblick ernst redete und wie ganz bewegt von seinem Gegenstand.

Sie wußte nicht recht, galt es ihr oder einer Erinnerung.

Graf Stassingk sprach nicht weiter, er ging wie in Gedanken versunken neben der schönen Frau einher, und bei jedem Schritte vorwärts ward sie immer mehr der Ueberzeugung, daß ihn irgend ein Bild aus der Vergangenheit festhalte und die Worte, die er eben von ihr über ihre Schönheit gesprochen, nur auf dem Umwege ihr gegolten.

Da stieg wieder ein leises Gefühl der Verstimmung in ihr empor, weil er zu ihr, neben ihr, von einer anderen erzählt, der noch jetzt nach Jahren sein Gedenken gehörte.

Er fuhr plötzlich auf und setzte in ganz anderem Tone ein. Man merkte, daß er die Unschicklichkeit empfand, so lange zu schweigen:

– Haben Sie das Bild »Müde« bei Schulte gesehen, gnädige Frau?

Sie war erstaunt:

– Eben bin ich da gewesen!

– Ach, eben?

– Vor einer halben Stunde.

– Und ich heute früh, gnädige Frau!

– Da ist fast Ihr erster Gang in Berlin in die Bilderausstellung?

Das hatte sie ihm doch nicht zugetraut. Er schob sich mit dem Zeigefinger den kleinen, blonden Schnurrbart in die Höhe und sagte mit gewissem Nachdruck:

– Ich liebe die Kunst über alles!

Wieder hatte sie die Empfindung, als löse sich die kurze Verstimmung gänzlich auf, als wäre sie glücklich, die Entdeckung zu machen, daß er doch nicht ganz der oberflächliche Mensch war, den in ihm zu ahnen sie sich nicht hatte erwehren können. Graf Stassingk fuhr fort:

– Dieses »Müde« ist schön.Diese Symbolik, daß das »Müde« sich auf die Stimmung der ganzen Landschaft bezieht! Diese Heide, die in der glühenden Mittagssonne dämmert! Das scheint alles nach Kühle, nach Regen zu verlangen, um aufgescheucht zu werden, um aufzuwachen, und jetzt liegt noch bleierne Müdigkeit darüber.

– Ich suchte nach einer Figur auf dem Bilde! – gestand Maria da Caza.

– Die Landschaft spricht für sich allein, die Landschaft, diese Heide ist selbst müde!

Das Verständnis für das Bild ging ihr plötzlich auf und sie freute sich, ihm zu sagen, Peter Stöckl verkehre bei ihnen. Obwohl sie sonst nicht viel auf den etwas stillen, in sich gekehrten jungen Maler gegeben, erinnerte sie sich seiner mit dem angenehmen Bewußtsein, Stassingk bei dieser Gelegenheit zeigen zu können, daß in der Villa da Caza auch die Kunst eine Stätte finde, die Kunst, die er »über alles liebte«, wie er vorhin gesagt.

Sie standen vor dem Gartentor.

– Ich wollte eigentlich heute meine Aufwartung machen. Nun also ein ander Mal – werde ich mir gestatten.

In ihrer ruhigen, stolzen Art neigte sie den schönen Kopf, nachdem er die Tür geöffnet. Sie reichte ihm nicht die Hand. Er blickte ihr nach, wie sie mit vielleicht etwas eiligeren Schritten, als sonst ihre Gewohnheit war, dem Portal der Villa zustrebte.

Als er die Straße nach dem Inneren der Stadt zurückkehrte, lag ein frisches, selbstzufriedenes Lächeln auf seinen Lippen, seine hübschen, blauen Augen strahlten, sein Gang hatte wie im Ballsaal etwas Leichtes, Schwebendes, Fröhliches, als ob er nur immer gewohnt sei, den Weg geebnet zu finden.

Herr da Caza brachte ein paar Rennleute mit zum Diner um sieben Uhr: Rittmeister Hendrich, Leutnant von Remer, Mister Easby und einige Pferdebesitzer. Es wurde von nichts weiter gesprochen als vom Sport, wie immer an solchen Tagen, und Maria da Caza langweilte sich. Sie fragte die Herren nach Peter Stöckls Bild, für das sie sich nach Graf Stassingks Erklärung jetzt begeisterte. Keiner war bei Schulte gewesen, und obwohl sie den jungen Künstler aus dem Cazaschen Hause kannten, zeigte niemand Interesse für das Gemälde. Sofort wurden Rennaussichten, Trainingberichte, Gewinnchancen, Propositionen, Neuankäufe wieder das Thema der Unterhaltung.

Dadurch erschien ihr Graf Stassingk plötzlich als ein Mann aus einer anderen Welt, ein Mann, der doch auch Tiefe besaß, der für die Kunst ein Herz hatte, die Welt in beiden Hemisphären kannte, als ein Mann, mit dem man sich unterhalten konnte, während der Horizont dieser Flachköpfe mit ihrem Handwerk, ihrem Geschäft ein Ende fand.

Sobald die Gäste fort waren, ging Herr da Caza zur Ruhe.

– Ich muß morgen frühzeitig heraus. Maria! – sagte er gähnend und wollte ihr den Gutenachtkuß geben. Sie ärgerte sich so darüber, daß sie eine abwehrende Bewegung machte und ihm nur die Fingerspitzen überließ.

Eine Weile irrte sie noch durch die Räume, unschlüssig, was sie tun sollte. Hier und da nahm sie für einen Augenblick Platz, besah sich Ringe und Armbänder, schaute in den Spiegel, um sich jedoch sofort wieder abzuwenden. Immer kehrten ihre Gedanken zu Graf Stassingk zurück, an dem doch eigentlich nichts Besonderes war, wie sie bei seinem ersten Erscheinen gedacht. Aber sie sagte sich, daß er ihr gleichgültig sei, gleichgültig, wie ihr alle und alles in der Stimmung dieses Tages gleichgültig erschien.

Dann ging sie, um sich ein Buch zu holen, ins Bibliothekzimmer – das mehr eingerichtet worden, weil es der Baumeister vorgesehen, als aus innerer Notwendigkeit, denn Herr da Caza las nichts. Einzuschlafen war ihr doch unmöglich.

Maria da Caza suchte in den Schränken, auf den Regalen, aber sie konnte sich für nichts entscheiden. Sie meinte alles schon gelesen zu haben, alles zu kennen. Mitten im Zimmer kniete sie sich hin und wühlte und warf alles durcheinander. Ein Buch blieb ihr in der Hand, ein französischer Novellenband: Marcel Prevosts »nouvelles lettres de femmes«, das mußte man gelesen haben, wie ihr ein paar Herren auf dem Lindstedtschen Balle versichert. Damit ging sie, nachdem sie dem Diener das Auslöschen der Lichter befohlen, dem Schlafzimmer zu. Vorher nahm sie sich noch eine silberne Schale voll Süßigkeiten an ihr Bett.

Als sie in das gemeinsame Schlafgemach trat, suchte sie aus alter Gewohnheit möglichst wenig Lärm zu machen, aber wie sie ihren Gatten ruhig und tief atmen hörte, hatte sie ein Gefühl der Unlust und Empörung, daß er schlafen konnte und sie nicht. Unwillkürlich gab sie sich keine Mühe mehr, ihn nicht zu wecken, sondern entkleidete sich geräuschvoll. Dann schlug sie in ihrem Bett das Buch auf und begann zu lesen. Doch nur mit halber Aufmerksamkeit, denn ihre Gebanken entglitten ihr oft, und schließlich entsank ihr der Band und sie überließ sich ihren Träumen, während der Schläfer ihr das Gesicht zukehrte.

Maria da Caza betrachtete lange, gleichmütig das regelmäßige Antlitz ihres Mannes, das nur durch die eingesunkene Höhle des nachts entfernten Auges etwas Wildes erhielt. Ihr fiel ein, wie sie sich als Mädchen in diese Züge vergafft, die dem unerfahrenen Ding, das auf dem stillen bayerischen Waldgute nie vorher einen Mann der Gesellschaft gesehen, göttlich erschienen und wie die Bahre sie abgekühlt, so daß sie ihr nun gleichgültig waren, völlig, völlig gleichgültig.

Und sie dachte: So muß es im Leben immer kommen, da gibt es kein Sträuben, kein Auflehnen, es ist einmal Naturgesetz, auf den Höhepunkt folgt der Fall, auf den Sommer der Herbst.

Zufällig erhob sich draußen ein Windstoß und der Oktobersturm fegte die Blätter von den großen Bäumen des Tiergartens, jenseits der Straße.


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