Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XIX.

Herr da Caza hatte eine unruhige Nacht gehabt. Am Abend vorher war er mit dem ganzen Kreise bei Lindstedts gewesen. Nur Selbottens, die mit dem Regierungsrat nicht übereinstimmten, fehlten, wie sie sich überhaupt seit Marias Abreise fern hielten, da sie, wie man wußte, für sie Partei ergriffen. Der Regierungsrat hatte Herrn da Caza beiseite genommen und ihm gesagt:

– Hören Sie mal, lieber Caza, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Gattin wieder hier gewesen ist, vor einer Stunde hat meine Frau sie in der Linkstraße aus einem bestimmten Hause kommen sehen. Und was meine Frau – die ja natürlich weiter keinen Gebrauch davon macht – gesehen hat, na, das können ja tausend andere auch gesehen haben. Sie müssen nicht böse sein, lieber Caza: Sie wissen ja, wie sehr ich Ihre Gattin verehre, aber ... nicht wahr?

Darauf hatte Herr da Caza, der sich niemals ereiferte, nur kurz geantwortet:

– Gut. Danke. Ich werde meine Maßregeln treffen!

Nun war ihm die Sache die ganze Nacht im Kopf herumgegangen. Er verstand Maria nicht, er glaubte nicht an das, was ihm der Regierungsrat gesagt. Frau von Lindstedt mußte sich geirrt haben! Im ganzen würde er der Nachricht wenig Gewicht beigemessen haben, wenn sie nicht gerade von Lindstedts ausgegangen wäre. Denn nun wußte er genau, daß die Ereignisse in seiner Ehe in Gestalt eines Witzwortes bald das Tiergartenviertel erheitern würden. Zum Gespött wollte er sich jedoch nicht machen. Aus Rücksicht auf seine gesellschaftliche Stellung hatte er bisher die Sache vertuschen wollen, bis Maria zur Vernunft gekommen wäre. Jetzt aber galt es nicht mehr, einen Skandal vermeiden. Wenn er seine gesellschaftliche Stellung bewahren wollte, mußte er nun im Gegenteil Notiz von der Sache nehmen und sofort allen Weiterungen ein Ende machen. Gerade jetzt wäre ihm jeder Zweifel an seiner Person besonders unangenehm gewesen. Er arbeitete eben daran, das Ballspiel zu Pferde, Polo, das in dem Highlife der europäischen Großstädte eine Rolle zu spielen begann, auch in Berlin einzuführen. Einen Poloklub wollte er gründen, der ihm ein erneutes Relief verliehen hätte.

So war er entschlossen, gleichviel, ob das Gerücht auf Wahrheit beruhte oder nicht, augenblicklich Stassingk zu fordern.

Er telephonierte sofort nach Karlshorst, daß er heute nicht zur Morgenarbeit der Pferde erscheinen könne, und fuhr zu Rittmeister Hendrich, um ihn zu bitten, sein Sekundant zu sein. Als zweiten Sekundanten wollte er zuerst Mister Easby wählen, doch er besann sich, daß ein Offizier am Ende geeigneter wäre. Es schmeichelte ihm, sich durch zwei Offiziere vertreten zu sehen, und er bat Leutnant von Remer um die Gefälligkeit.

Beide Herren waren zu Hause, nahmen augenblicklich die Sache in die Hand und fanden sich schon vor halb neun Uhr in Stassingks Wohnung ein.

Der junge Diplomat hatte seine Schroffheit im Bristol bereut, und nun, wo May Gilderdale nicht mehr ihren neuen Zauber auf ihn übte, verblaßte allmählich ihr Bild, und er schämte sich über sein Benehmen gegen Selbotten und Maria. Ihre Schönheit stand wieder vor seinen Augen. Trotz allem und allem wurde sie ja seine Frau. Er beschloß, auf den Bahnhof zu gehen, um ihr ein paar Blumen zu bringen und ihr zu sagen, daß er sie doch noch liebe und sie ihm verzeihen möge. Er wußte ja, sie fuhr heute früh mit dem Schnellzuge nach München zurück.

Als er eben das Haus verlassen wollte, kamen die Sekundanten Herrn da Cazas. Nichtwissend, was sie zu ihm führte, wollte er ihnen freundlich Guten Morgen sagen, als er die ernste Miene bemerkte, mit der sie grüßten.

– Wir möchten Sie einen Augenblick sprechen! – sagte Rittmeister Hendrich. Nun ahnte Stassingk, was geschehen sollte. Er trat in den Hausflur zurück an seine Tür, die er mit dem Drücker öffnete:

– Bitte, sehr gern!

Als sie in seinem Zimmer standen, nahmen sie nicht Platz, sondern Rittmeister Hendrich erklärte sofort etwas zurückhaltend, aber sehr artig:

– Ich habe die Pflicht zu erledigen, Ihnen eine Forderung von Herrn da Caza zu überbringen, wegen einer Angelegenheit, die eine ihm nahestehende Dame betrifft. Der Name ist Ihnen beiden bekannt, soll jedoch auf seine Bitte, falls Sie damit einverstanden sind, nicht genannt werden.

Stassingks Züge nahmen einen ernsten Ausdruck an. Er machte eine stumme Verbeugung. Der Rittmeister fuhr fort:

– Darf ich um Ihre Antwort bitten?

– Ich werde Ihnen meine Sekundanten schicken, sobald ich weiß, welche Herren die Freundlichkeit haben wollen, mir zur Seite zu stehen. Ich hoffe, sie können bis zwölf Uhr in Ihrer Wohnung eintreffen.

Darauf machte Rittmeister Hendrich und Leutnant von Remer eine stumme Verbeugung, die Stassingk ebenso erwiderte.

Als sie verschwunden waren, atmete Stassingk tief auf und warf die Maria zugedachten Blumen auf den Schreibtisch, der dicht mit Photographien bestellt war, so daß zum Schreiben kaum Platz blieb. Es waren lauter Damenbilder; mit Unterschrift und Widmung die meisten. Vorn an stand ein kleines von Maria da Caza, das einzige, das er besaß. Daneben lag eine Photographie von May Gilderdale, die er erst gestern abend erhalten.

Er sann nach: jäh war der Ernst des Lebens an ihn herangetreten; mit dem losen Schmetterlingsdasein war es plötzlich vorbei, binnen achtundvierzig Stunden stand er vor der Mündung einer Pistole und die Entscheidung war da, vielleicht das Spiel aus für immer. Er erinnerte sich plötzlich, daß einmal bei Cazas, bei Tisch, von Kunstschützen gesprochen war und jemand behauptete, Herr da Caza, der sich trotz seines einen Auges oft in Monte Carlo und Spaa beim Taubenschiessen erste Preise geholt, habe eine so sichere Hand, daß er mit öer Pistole auf dreißig Schritt die Flamme einer brennenden Kerze ausschießen könne.

Da kam es Stassingk ganz eigen an, diese Erinnerung ärgerte ihn. Er dachte an Maria: sollte Herr da Caza sich plötzlich zu diesem Schritte entschlossen haben, weil er sie hier gesehen? Aber er ward nicht bitter gegen sie. An die Möglichkeit, daß dies einmal kommen könnte, hatte er doch immer gedacht. Nun mußte er seine Sache ausfechten.

Er stand auf und ging zur Kriegsakademie, um Graf Selbotten als seinen ältesten Freund zu bitten, sein Sekundant zu sein. Er traf ihn im Treppenhaus, wie er sich eben anschicken wollte, in den Hörsaal zu gehen:

– Ich muß Dich einen Augenblick sprechen!

– Sie ist eben fort! – antwortete Selbotten kalt, und Stassingk zog ihn in eine Ecke:

– Es tut mir sehr leid, was ich gestern getan habe, aber es ist nun mal geschehen, und nun ist etwas Neues eingetreten. Herr da Caza hat mich vor einer Viertelstunde gefordert, sonst wäre ich noch auf den Bahnhof gekommen!

– Caza?

– Ja. Und ich habe eine Bitte: Willst Du mein Sekundant sein?

Graf Selbotten zögerte einen Augenblick, aber er konnte es dem Freunde nicht abschlagen:

– Sehr gern.

– Ich danke Dir.

– Und wen wählst Du noch?

– Einen Kollegen aus dem Auswärtigen Amt, denke ich. Einen Herrn von Kreuth.

Sofort machte sich Graf Selbotten vom Dienste frei, dann fuhren die beiden zum zweiten Sekundanten, einem langen, hageren Mann mit kleinem Schnurrbärtchen und der rechten Backe voll Schmissen, der sich augenblicklich zu seinem Ehrenamte bereit erklärte. Darauf kehrten die drei in Stassingks Wohnung zurück. Unterwegs war nicht von der Forderung gesprochen worden.

Sie setzten sich, steckten sich eine Zigarette an, und Graf Selbotten bat um Instruktion für ihr Verhalten. Darauf erklärte Stassingk, äußerlich ruhig, doch mit starker Erregung:

– Also, meine Herren, ganz kurz: die Forderung geht von Herrn da Caza aus, dessen Sekundanten Rittmeister Hendrich und Leutnant von Remer sind. Herr da Caza ist der Beleidigte. Es handelt sich um eine Dame, deren Namen er nicht genannt zu hören wünscht, womit ich einverstanden bin. Der Grund ist Herrn da Caza wie mir bekannt, und wie ich Ihnen auf mein Wort versichern muß, derart, daß er einer Beleidigung stärkster Art, sagen wir einem Schlage gleich zu achten ist. Sie können also ruhig Ihr Amt übernehmen.

Er blies den Rauch seiner Zigarette heftig von sich. Herr von Kreuth klemmte sich auf die Nase einen Kneifer, den er in die oberste Westentasche eingehakt zu tragen pflegte. Dann fragte er:

– Sie geben also damit Herrn da Caza Wahl der Waffen, Art des Duells und Distanz preis?

Graf Selbotten sprach:

– Du wirst uns aber wohl erlauben, die Sache so günstig für Dich zu machen, als es möglich ist! Das ist unsere Pflicht. Bist Du damit einverstanden? Sonst kann ich wenigstens, und Herr von Kreuth wird wohl meiner Ansicht sein, die Verantwortung nicht übernehmen!

Herr von Kreuth pflichtete ihm bei. Stassingk erklärte sich nach kurzem Zögern einverstanden.

Ehe sich die beiden Sekundanten entfernten, um die Sekundanten des Gegners aufzusuchen, sagte Graf Selbotten noch, den Freund einen Augenblick beiseite nehmend:

– Sie ist es wert, sich um sie zu schlagen, das kannst Du mir glauben, aber Du weißt es vielleicht gar nicht einmal!

Stassingk nickte nur und blickte den Davonschreitenden nach. Der fröhliche Zug, der immer um seine Lippen schwebte, war verschwunden. Er sah sehr ernst aus. Beängstigung, Unruhe fühlte er nicht, er ging seinem Schicksal ruhig entgegen, aber es war ihm, als sei er reifer und älter geworden, als müsse er sich nun Rechenschaft geben über sein Leben. Er stand an einem Wendepunkt, vielleicht am Ende. Er dachte an Maria, wie das alles so ganz von selbst, fast ohne sein Zutun gekommen, als hätte es nicht anders geschehen können.

Dann dachte er an seinen Gegner. Er war ihm vollkommen gleichgültig. Beim besten Willen vermochte er es nicht, sich über ihn zu erzürnen, zu ärgern, ihn zu hassen. Er hatte ihm nichts getan, er war immer sehr liebenswürdig, korrekt, höflich gegen ihn gewesen. Er erinnerte sich des Gespräches mit ihm, als Herr da Caza lächelnd gemeint, Stassingk käme ja doch nur wegen seiner Frau, um mit ihr ein wenig zu flirten, aber das tue ja nichts und sei ihm gleichgültig. Nun hatte er das Gefühl, als wäre er eigentlich Herrn da Caza im Grunde genommen doch auch gleichgültig. Auch er würde sich wohl nicht über ihn ärgern, ihn nicht hassen.

Aber der Form wegen mußten sie sich schießen.

Durch diesen Gedankengang kam er darauf, daß Herrn da Caza eigentlich gar nichts daran gelegen sein konnte, ihn zu töten oder nur zu verletzen. Maria war ihm wahrscheinlich auch gleichgültig. Ihm war es nur um das Gerede der Leute zu tun. Wenn er sich schoß, so war der Form Genüge geschehen. Nur darauf kam es ihm an. Im Gegenteil konnte ihm an einem bösen Ausgang nichts gelegen sein, da ein solcher doch vielleicht seine Stellung in Berlin erschüttert hätte.

Nun ward Stassingk wieder etwas leichter zu Sinn, als er sich zurecht philosophiert, daß ihm ernstlich nichts widerfahren könnte. Er nahm seinen Hut und ging aufs Auswärtige Amt, um seine Bureaustunden abzusitzen. Er hinterließ, daß er sofort benachrichtigt werden sollte, sobald die beiden Herren zurückgekommen wären.

Doch als er gegen halb drei Uhr nach Hause kam, waren sie noch immer nicht dagewesen. Er wartete lange Zeit voller Ungeduld, dann aber knurrte ihm der Magen und er ging essen, aber absichtlich nicht dorthin, wo er Bekannte getroffen hätte, sondern in ein Restaurant, wo er niemand fand.

Als er wiederkam fand er die Herren in seiner Wohnung vor. Herr von Kreuth empfahl sich sofort, nachdem er nur mit Graf Selbotten kurz Stassingk erklärt, wie die Bedingungen lauten sollten:

– Zwanzig Schritt Barriere, dreimaliger Kugelwechsel. Stelldichein am nächsten Morgen früh fünf Uhr an einer näher bezeichneten, vereinbarten Stelle auf einer Waldblöße im Grunewald.

Stassingk reichte Herrn von Kreuth, der einen Arzt benachrichtigen sollte, die Hand mit den Worten:

– Ich danke Ihnen tausendmal, lieber Kreuth!

Dann blieb er mit Graf Selbotten allein. Eine Weile sprach keiner von ihnen ein Wort, bis endlich Stassingk mit einem leichten Seufzer und einem Zucken um die Mundwinkel sagte:

– Hättest Du das gedacht, Selbotten?

– Offen gestanden, nein. Ich weiß auch jetzt noch nicht, wie Herr da Caza plötzlich zu seinem Entschlusse gekommen ist! Hendrich wollte zuerst durchaus fünfzehn Schritte durchsetzen, bis wir ihn auf zwanzig brachten.

Stassingk zuckte die Achseln:

– Mir wären fünfzehn auch recht gewesen!

– Aber uns Sekundanten nicht! Wir müssen für Dich sorgen! – erwiderte schnell Graf Selbotten. Er wollte noch hinzufügen, weil Herr da Caza seiner Waffe sicher wäre, doch er verschluckte es lieber. Sie hatten den Vorschlag der Pistole annehmen müssen, denn abgesehen davon, daß Stassingk als Beleidiger jede Wahl des Beleidigten gut heißen mußte, kam noch der Umstand in Betracht, daß Herr da Caza nur ein Auge besaß und man ihm daher entgegenzukommen hatte.

Graf Selbotten fragte noch den Freund, ob er besondere Wünsche habe, die berücksichtigt werden könnten; als dieser verneinte, ob er lieber den Abend allein für sich bliebe, oder ob sie zusammen etwas unternähmen.

– Stassingk wußte nicht recht, wofür er sich entscheiden sollte. Allein sein wollte er nicht und er mußte doch Verschiedenes ordnen. Schließlich kamen sie überein, daß Stassingk gegen Abend zu Graf Selbotten kommen und dort übernachten sollte, da die Gräfin ja, wie er gehört, mit Maria abgereist war. Dadurch vermied er es, seinen Diener, einen neugierigen alten Hasenfuß, auf irgendwelche Vermutungen zu bringen. Es sollte heißen, er wäre abgereist. Am anderen Morgen würde dann Herr von Kreuth, in Begleitung des Arztes, mit einer Droschke nach dem Kampfplatze fahren, Stassingk aber und Graf Selbotten auf anderem Wege nach dem Grunewald reiten, so daß jedes Aufsehen vermieden ward.

So konnte es auch eingerichtet werden, daß Herr von Kreuth, ein lieber Kollege Stassingks, aber doch nicht mehr als ein guter Bekannter, den Abend nicht zwischen den beiden Freunden stand.

Nun war Stassingk wieder allein und wiederum überschlich ihn das Gefühl, als sei es noch gar nicht so weit, als könne das alles nicht unerbittlicher Ernst sein.

Er setzte sich in eine Ecke seines behaglich ausgestatteten Zimmers, das jedoch nicht ganz die gemietete Einrichtung verleugnete, und steckte sich eine Zigarette an. Langsam paffte er den Rauch vor sich hin, sich seinen Gedanken überlassend, dann stand er auf und begann in seinem Schreibtisch zu kramen. Eine Menge Erinnerungen aller Art, Briefe, Tanzkarten, Bilder fielen ihm in die Hand. Zum Teil Sachen, an die er nie wieder gedacht hatte. Er besah sie, belächelte einzelnes, anderes betrachtete er wehmütig und entschloß sich schließlich, alles zu verbrennen. Als jedoch das erste Zündholz in Brand gesteckt war, kam er auf andere Gedanken. Diese kleinen Erinnerungen waren ja ganz spaßhaft. Warum sollte er sie sich für später vernichten? Seine Verhältnisse waren schnell geordnet, das übrige würde er Selbotten übergeben für den Fall, daß ihm wirklich etwas zustoßen sollte, was ja aber für ziemlich unwahrscheinlich gelten konnte.

Einen Brief an Maria würde er heute abend schreiben. Jetzt sehnte er sich hinaus, in Menschenleben und Treiben. Es war ein heller, freundlicher Tag mit lachender Sonne. Draußen in Hoppegarten wurden Rennen gelaufen. Herr da Caza war sicherlich draußen, aber was tat das!

Es war zwar etwas spät, aber zwei Rennen würde er noch sehen können, und vor allem half es ihm über die Zeit bis zum Abend hinweg. Er freute sich über seinen Entschluß, ließ alles stehen und liegen, nahm eine Droschke und fuhr zum Bahnhof Friedrichstraße. Ein Zug ging gerade ab. Und seine Stimmung ward unter den Sonnenstrahlen und lachenden Fluren draußen immer rosiger, als ginge er gar nicht in etwa zwölf Stunden dem ernstesten Schritt seines Lebens entgegen.

Als er vom Hoppegartener Bahnhof aus dem Rennplatze zuschritt und von weitem die Glocke am Sattelplatze klingen hörte, dachte er nur noch daran, er könnte etwa das Rennen versäumen. Aber es war noch nicht so weit, die Pferde teilten eben das Publikum, um vom Sattelplatz zur Bahn geleitet zu werden.

Ein eigner Zufall wollte es, daß der erste Bekannte, den Stassingk erblickte, Herr da Caza war. Er stand ihm genau gegenüber und musterte, ohne eine Miene zu verziehen, mit seinem kalten, starren Auge die Pferde, die an ihm vorbeigingen. Einem Jockei in der Cazaschen schwarzen Jacke nickte er beim Vorüberreiten zu. Das hübsche, bräunliche Gesicht mit dem schwarzen, spitz geschnittenen Barte blieb unbeweglich. Als der letzte Gaul vorbei war, gewahrten Stassingk und Herr da Caza einander gleichzeitig. Beide zogen gemessen, höflich den Hut.

Das Rennen begann. Während die Pferde liefen, die ihm völlig einerlei waren, musterte der junge Diplomat die Logen nach bekannten Damen. Die Cazasche Luge war nicht leer, wie er erwartet, sondern Lindstedts, die kein Rennen – auch nicht in Hoppegarten – versäumten, und Charriers, die sich überall einfanden, wo es kein Geld kostete, saßen dort. Von sonstigen Bekannten erblickte er niemand. Nur Mister Easby, dessen Schlüsselbein wieder in Ordnung war, lehnte an der Barriere, hart am Geläuf, und verfolgte mit seinem mächtigen Krimstecher das Rennen.

Es war nur kurz: der Stall Caza gewann.

– Nun, mein lieber Stassingk, die schwarze Jacke hat wieder Dampf aufgesetzt! – sagte der Regierunsrat in der Pause zu Stassingk, dem es auffiel, daß die Charriers heute gegen ihn zurückhaltender waren als sonst, aber ihn mit neugierigen Augen betrachteten. Er machte ein gleichgültiges Gesicht:

– Ich gönne der schwarzen Jacke jeden Sieg!

Dann wandte er sich ab, um nach anderen Bekannten zu suchen. Lindstedts paßten ihm heute nicht, und in die Cazasche Loge konnte er ja nicht mitgehen. Deshalb war er sehr zufrieden, als das letzte Rennen schnell folgte, und ein wenig verstimmt verließ er den Rennplatz, um mit dem ersten am Bahnhof bereitstehenden Zuge zurückkehren zu können.

Sofort fuhr er zu Selbotten, als er in Berlin ankam. Sie aßen zusammen. Stassingk erzählte ihm, daß er in Hoppegarten gewesen und sich dort gelangweilt hätte. Sie sprachen von allgemeinen Dingen, von Politik, von einem Pferdekauf, von Reisen, von der Kriegsakademie. Erst als sie drüben in Graf Selbottens Zimmer allein saßen, ohne daß das Ohr des Dieners sie gestört hätte, kamen sie auf das zu sprechen, was ihnen bevorstand:

– Ich hoffe, Stassingk, wir haben nach Deiner Zustimmung gehandelt, indem wir darauf drangen, nicht eigne Waffen zu nehmen, sondern solche, die beiden Gegnern unbekannt sind und die wir Sekundanten mitbringen!

– Gewiß! Gewiß, Selbotten!

– Hm! Es wird ja nicht zu heiß werden. Hm.

– Besser, als zu kalt!

– Warum?

– Weil man frieren könnte, wenn es kalt ist, und zittern. Das sieht dann dumm aus.

– Es wird ja nichts passieren.

– Na, man kann's nie vorher wissen, Selbotten, nicht wahr?

– Ich glaube aber nicht dran!

– Ich auch nicht.

Es entstand eine längere Pause, dann fragte Stassingk plötzlich:

– Sage mal, Selbotten, wer hat den ersten Schuß?

– Eigentlich hätte ihn Caza gehabt, aber da die Distanz gering ist, sind wir überein gekommen, zu losen!

– So! – antwortete Stassingk äußerlich gleichgültig, doch man sah ihm an, daß er sich erleichtert fühlte. Eine gedrückte Stimmung drohte sie zu überfallen, als Graf Selbotten das Gespräch auf Maria brachte. Und mit dem Namen war es, als wiche ein Bann von ihnen. Selbotten machte dem Freunde Vorwürfe darüber, daß er gestern abend nicht gekommen Er schilderte Marias Zustand, ihren Kummer, ihre Besorgnis, ihre Liebe zu ihm:

– Ja, Stassingk, wie diese Frau Dich liebt, das weißt Du, glaube ich gar nicht so! Das verdienst Du gar nicht. Sie täte einfach alles für Dich. Ich glaube, Du könntest machen, was Du wolltest, sie würde Dich doch lieben. Denke Dir nur einmal: sie verläßt ihren Mann, ihre Kreise, ihre Freunde, Berlin, wo sie, man möchte fast sagen dazugehört, alles verläßt sie um Deinetwillen, ohne ein Wort zu verlieren, als wäre es ganz selbstverständlich, daß sie für Dich alles tun muß. Und Du dankst es ihr, indem Du ihr nicht schreibst, nicht einmal antwortest. Die angebetete Frau, für die so und so viele ich weiß nicht was geopfert hätten!

Stassingk schwieg beschämt. Er begriff selbst nicht, wie das alles so gekommen. Er verstand seinen Leichtsinn, seine Bummelei nicht, und wie er nun bei des Freundes Worten immer wieder an Maria dachte, da erschien sie ihm von neuem in aller ihrer Schönheit so begehrenswert, wie noch nie eine Frau in seinem Leben. Er freute sich, als ihr Ritter zu kämpfen, und er reichte Selbotten wie zu einem Versprechen die Hand:

– Mit morgen will ich beginnen, alles wieder gut zu machen

– Aber nun geh auf Dein Zimmer, Stassingk. Wir wollen uns trennen für heute abend. Du willst ja noch schreiben. Dann darfst Du nicht zu spät zu Bett gehen, denn morgen früh müssen wir zeitig heraus, und Du sollst frisch sein!

Sie drückten sich noch einmal herzlich die Hand, und verabredeten das Wecken am nächsten Morgen.

Stassingk blickte sich in seinem einfachen, kleinen Zimmer um, das Fremdenzimmer der Selbotten. Maria war die letzte gewesen, die es benutzt, und es ward ihm ganz wehmütig zu Sinn, wenn er daran dachte. So setzte er sich an den Tisch, um ihr zu schreiben, für den Fall, daß er etwa unter dem Feuer seines Gegners bleiben sollte. Er wollte nicht daran glauben, aber er mußte die Möglichkeit immerhin annehmen.

Dadurch geriet er in eine traurige, weiche Stimmung, und je länger er darüber zubrachte, die Feder weggelegt, träumend und sinnend, um zwischendurch wieder ein paar Sätze zu Papier zu bringen, desto stärker wurde seine Ueberzeugung, daß es wirklich sein letzter Abend wäre. Er ließ sein ganzes vergangenes Leben an sich vorübergleiten.

Alle die Frauen standen ihm wieder vor Augen, mit denen er süße Worte getauscht. Es war ihm, als könne er jetzt leidenschaftslos seine Vergangenheit betrachten.

Er dachte an seine Anfänge in Stockholm, an die großen, blonden Frauen, an Madrid mit seinen dunklen Schönheiten, deren eine ihm auch, fast ohne seine Schuld, seinen Posten gekostet. – Ein leises Lächeln flog über sein hübsches, offenes Gesicht. Dann erinnerte er sich der seligsten Zeit, wo der Flirt ihn mit hundert jungen Mädchen verbunden: Washington-Newport. – Und endlich fiel ihm die Frau wieder ein, die ihn aus Stambul verdrängt.

Die gute, kleine dickliche Prinzessin stand vor seiner Phantasie. Sie hatte ihn so unaussprechlich lieb, das wußte er, und das rührte ihn. Aber er mochte sie ja nicht! Arme kleine Prinzessin!

Dann war Maria gekommen, und doch auch ihr Bild war zu Zeiten verblaßt vor der blonden May Gilderdale. Aber May! Was war sie ihm heute? Maria gab es nur für ihn.

Und in seinen Brief flössen von all den Widersprüchen, die in ihm waren, von den Gedanken allen dieses Abends vor der Entscheidung, von seinen Zweifeln, von seiner Liebe, von seinem Wankelmut, seinem bangen Zagen vor dem Ausgang des Kampfes, von allem einzelne Worte.

Als er den Namen darunter setzte, war es schon spät geworden. Er legte sich für die paar Stunden, die ihm noch blieben, zu Bett, aber er konnte nicht schlafen, ihn fröstelte und er schauerte zusammen, weil er sich müde, übernächtigt, abgespannt fühlte. Immerfort sah er nach der Uhr, nachdem er Licht gemacht, weil er fürchtete, er möchte die Zeit verschlafen. Er überlegte sich, was er tun sollte, wenn ihm durch das Los der erste Schuß zufiele, ob er versuchen sollte, den Gegner zu treffen oder nicht. Dann stellte er sich die Frage, was das beste sei, stehen zu bleiben zum Abdrücken, oder vorzugehen bis an die Barriere. Was sollte er machen, wenn Herr da Caza zuerst schoß und fehlte?

Diese Vorstellungen erregten seine Phantasie immer mehr, so daß er keine Möglichkeit sah, einzuschlafen.

Da dachte er daran, daß in diesem selben Bett, in dem er jetzt lag, vor einer Nacht Maria geruht. Ihre Gestalt stand ihm wieder vor der Seele, in ihrer stolzen Haltung, in aller ihrer Schönheit, im Ballkleid, ihr Diadem im Haar wie eine Königin.

Diese Frau war der Preis, diese Frau liebte ihn. Der Gedanke verließ ihn nicht, und indem er so die hin und her irrenden Bilder an einem Punkt festhielt, fielen ihm schließlich die Augen zu und er schlief ein.


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