Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XI.

Am Morgen noch des Tages, an dem die lebenden Bilder stattfinden sollten, mußte Regierungsrat von Lindstedt absagen. Die Frau seines Hauswirtes, seines direkten Vorgesetzten war hoffnungslos erkrankt, und man konnte aus Rücksicht für die Sterbende nicht im Stockwerk darüber ein geräuschvolles Fest abhalten. Verschoben durfte der Abend jedoch nicht werden wegen der vorgerückten Jahreszeit, Da nun sich aber alle Mitwirkenden kostspielige Kostüme angeschafft, die sie nicht verlieren wollten, so kam der Regierungsrat auf den Gedanken, Herrn da Caza vorzuschlagen, die Bilder bei sich stellen zu lassen. Er wußte, daß kein Haus dazu so geeignet war wie die Villa da Caza, wo mehr Raum zur Verfügung stand als bei ihm selbst, wo das Geld nicht die geringste Rolle spielte, und dank dem vorzüglichen Haushofmeister abends ein Paar hundert Personen empfangen und bewirtet werden konnten, wenn man es erst mittags erfuhr.

Dazu kannten Cazas fast alle, die bei Lindstedts verkehrten, so daß auch daraus keine Schwierigkeiten erwuchsen. Eine der wenigen, die nie einen Fuß in die Villa gesetzt, war die Prinzessin Löwengaard, der ein Engel in der E-Gruppe zugefallen war. Herr da Caza empfand es als stille Genugtuung, daß auf diese Weise eine Prinzessin sein Haus betrat, denn als nächsten Schritt träumte er davon, der Herzog und die Herzogin von Ortenburg würden auf Besuchsfuß mit ihnen kommen.

– Wenn die Prinzessin einmal heute dagewesen ist, dann wird sie Dir doch hinterher einen Besuch machen müssen! – sagte er zu seiner Frau. Maria da Caza erschien es trotz alledem nicht sicher:

– Und wenn sie nicht kommt? Sie könnte vielleicht bis heute abend unpäßlich werden!

– Stassingk muß zu ihren Eltern gehen und sich vergewissern. Der kennt sie doch gut.

– Das wird er nicht! – antwortete sie scharf.

Mit Aufbietung aller Kräfte wurde nun den ganzen Tag in der Villa gearbeitet, um für den Abend alles in Stand zu setzen. Tapeziere und Dekorateure, Gärtner und Maler waren in Tätigkeit. Peter Stöckl und Stassingk leiteten die Vorbereitungen.

– Bitte, lieber Graf, tun Sie, was Sie für nötig halten in meinem Haus. Es steht Ihnen alles zur Verfügung. Ich möchte, daß unser Fest etwas ganz Besonderes wird. Die Kosten spielen absolut keine Rolle, lieber Graf! – sagte Herr da Caza zu Stassingk in nachlässig gleichgültigem Tone, als wollte er schon dadurch andeuten, daß ihn das Geld nicht berühre. Im großen Salon ward an der Rückwand eine Art von Bühne aufgeschlagen, zu der man von hinten durch zwei Türen gelangen konnte. Um alles wie ein Bild erscheinen zu lassen, war die Oeffnung der Bühne zu den Zuschauern, wenn der Vorhang nach den Seiten zurückgefallen, mit lebenden Blumen rahmenartig umflochten. Die Möbel wurden in die übrigen Räume verteilt, nur Stühle und Sessel blieben stehen, zu denen aus anderen Räumen noch eine Anzahl getan ward. Ueberall wurde elektrisches Licht angebracht, rechts und links in den Kulissen hatte man Reflektoren aufgestellt.

Das ganze Haus war mit Blumen, Palmen, Ziergewächsen ausgeschmückt. Ein Zeltgang führte bis an die Tiergartenstraße, so daß die Wagen nicht in den zum Umwenden so vieler Gefährte etwas engen Hof zu fahren brauchten.

Maria da Caza beobachtete Stassingk den ganzen Tag hindurch, wie er seine Anordnungen traf. Wenn sie allein waren, ergriff er schnell ihre Hand, sie zu küssen, nur eine Sekunde, dann ging er wieder an die Arbeit. Sie fand Neues an ihm, denn sie hatte eigentlich gemeint, er würde sich nicht ernstlich um solche Dinge kümmern. Die Urteile hielt sie zusammen, die sie hier und dort über ihn gehört, daß er oberflächlich sei und leicht, abschweifend und nicht fähig, bei einer Sache zu bleiben. Sie lachte darüber. Nie hatte sie es geglaubt, schon damals, als sie Peter Stöckls Bild »Müde« nicht verstanden und er es ihr erklärt – schon damals wußte sie, daß er nicht so war, wie ihn die Menschen fanden. Es war ihr ein beseligendes Gefühl, ihn besser zu kennen als die anderen, die einzige zu sein, die tiefer schaute.

Eine Stunde, ehe die Gäste kamen, ging Maria da Caza noch einmal mit Stassingk durch das ganze Haus. Peter Stöckl blieb im großen Salon. Er sprach schon seit dem Nachmittag kein Wort mehr, sondern war, ohne aufzusehen, bei der Arbeit. Zum Drapieren hatte er Teppiche und Schals ausgesucht, Gobelins und Vorhänge jeder Art, Stickereien und Gewänder, mit denen er Wände und Bühne bekleidete. Immer wieder wechselte er noch einzelnes um, stimmte die Farben anders, ersann neuen Faltenfall und probte die elektrische Beleuchtung.

– Mit Peter Stöckl ist nicht zu reden, sobald er einmal arbeitet! – sagte Stassingk leise zu Maria, während sie das ernste, versonnene Gesicht des jungen Malers betrachteten, für den es nichts weiter gab als seine Arbeit. Stassingk dagegen lachte fröhlich, und seine blauen Augen schienen halb mitleidsvoll, halb voll Lebensfreude zu sagen: Wie kann man nur diesen Scherz, dieses kleine Vergnügen wie eine schwere Pflicht auffassen.

Maria da Caza zog ihn fort, durch das Springbrunnenzimmer, das Rennzimmer, die Bibliothek in ihr weißes Boudoir. Sie blickte sich um:

– Gott sei Dank – nichts verändert! Ich fürchtete schon, auch hier hätte alles anders werden sollen!

– Das wäre eine Sünde! Ich würde es nicht gewagt haben, hier etwas zu ändern, wo das Allerheiligste Marias ist, – antwortete er, indem er gleich ihr vermied, die zweite Person in der Anrede zu benutzen. Sie mochten sich nicht mehr Sie nennen und scheuten sich vor dem Du.

Nebeneinander durchschritten sie alle Räume. Zum erstenmal raubte ihm das Gefühl die Worte. Er, der sonst immer tausend Redewendungen bei der Hand hatte, die ihm so natürlich geworden Waren, daß es keine Verstellung oder Absicht war, wenn er sie anwandte, er schwieg.

Als sie in der Glasgalerie standen, die, weil der Eßsaal nicht ausreichte, mit Tischen für das Souper bestellt war, wurden die ersten Gäste gemeldet: Mitwirkende, die früher erschienen, um sich anzukleiden. Maria da Caza brachte die Damen zu den als Ankleideräume eingerichteten Hinterzimmern. Die Herren bewillkommnete Herr Caza, schon tadellos in Frack und weißer Weste, sowie dem kleinen Ordensbändchen im Knopfloch.

Der Regierungsrat war einer der ersten, die gekommen, weil er den Napoleon stellte im ersten Bilde. Er wandte sich sofort zu seinem Wirt:

– Denken Sie nur, Caza, was mir alles an diesem Unglückstage passieren muß. Meine Stiefel – die hohen –- kamen erst heute an, und – die Schäfte sind zu eng, ich kann es höchstens zehn Minuten drin aushalten.

– Das genügt ja! – antwortete trocken Herr da Caza, doch der Regierungsrat nahm ihn, während sie nach hinten gingen, vertraulich unter den Arm:

– Na, hören Sie mal, wenn man sich für die Zuschauer opfert, dann will man doch auch was davon haben. Ich wollte eigentlich ruhig den ganzen Abend im Kostüm bleiben ...

Allmählich erschienen immer mehr Mitwirkende, dann ward es still. Auch Maria da Caza hatte sich zurückgezogen, um Toilette zu machen. Stassingk warf sich schnell in den Frack, dann lief er noch einmal überall umher, um nachzusehen, daß auch alles fertig wäre, während Herr da Caza ruhig in seinem Zimmer saß und den »Rennkalender« studierte. Bis zum letzten Augenblick hämmerte, drapierte, stellte, beleuchtete Peter Stöckl. Erst, als schon die Wagen vorführen, war er fertig.

Maria da Caza brauchte immer nur kurze Zeit, um sich anzukleiden, und erschien nach wenigen Minuten sorgsamer frisiert und besser angezogen, als alle anderen. Sie trug ein ausgeschnittenes, weißes Seidenkleid mit weiten, gelben Sammetärmeln, ihr großes Diamantdiadem im schwarzen Haar. Die Herren sagten sich, wie es gewöhnlich zu gehen pflegte:

– So schön hat Maria da Caza noch nie ausgesehen.

Eine der ersten, die eintrat, war Prinzessin Löwengaard. Baronin Lennen begleitete sie. Maria ging ihr entgegen und sprach herzlich, denn jedes Gefühl der Eifersucht war ihr entschwunden:

– Es freut mich sehr, Durchlaucht, Sie bei mir zu sehen.

– Ich hatte keine Zeit mehr, Sie zu besuchen! – entgegnete die Prinzessin, und fügte, während Maria da Caza mit ihr ging, um sie schnell in ein Zimmer zum Ankleiden zu bringen, weil immer mehr Gäste kamen, warm hinzu:

– Aber ich werde es so bald als möglich nachholen.

– Schreiben Sie mir dann eine Zeile, damit ich da bin.

– Sehr gern, denn natürlich wird mich meine Mutter zu Ihnen bringen!

Sie schieden mit einem Händedruck.

Der große Salon war nun ganz voll Menschen. Die Damen in glänzenden, ausgeschnittenen Kleidern, mit Schmuck an Brust und Haar, die Herren im Gesellschaftsanzug, die Ordenskette im Knopfloch oder einem Chrysanthemum dort, wo sich keine Auszeichnung hatte einfinden wollen.

Frau Horn befand sich in fieberhafter Aufregung. Sie fragte Maria da Caza nun schon zum zweiten Male:

– Also Sie kommen als Maria Stuart und als Carmen?

Graf Stassingk hatte hinter Maria gestanden. Er tat ganz erstaunt:

– Ach, gnädige Frau, woher wissen Sie denn das?

Sofort wandte sie sich ihm zu und bestürmte ihn mit Fragen:

– Herr Graf, wer ist denn der Partner von unserer Freundin Maria da Caza? Ist es wahr, daß Herr von Lindstedt ganz allein in einem Bilde steht? Oder sind Sie es? Wie lange wird's denn dauern? Nein, es ist zu amüsant so was! Haben Sie denn ein schönes Kostüm?

Er wußte ihren Wünschen nicht zu entgehen und scherzte, sich förmlich verneigend, indem er sie mit großen Augen eine Weile ansah:

– Gnädige Frau, Sie sollten sich einmal im Spiegel sehen. Sie schauen wieder aus heute abend! Es ist nicht zu glauben. Sie werden die ganze Vorführung stören, denn alle Herren müssen nach Ihnen sehen!

Frau Horn zeigte lachend die schönen Zähne und hob kokett den Fächer vor das Gesicht. Sie wußte nicht recht, wofür sie die Schmeichelei nehmen sollte, aber sie glaubte doch einen Teil davon und antwortete neckisch:

– Herr Graf, das sollte mal mein Mann gehört haben! Nehmen Sie sich ja in acht!

Dann drohte sie mit dem Fächer. Als Maria da Caza mit Stassingk sofort darauf den Saal verließ und sich draußen von ihm trennte, ehe sie zum Ankleiden ging, sagte sie kurz:

– Warum das der Frau Horn?

– Es war ja nur ein Scherz! – entgegnete Stassingk ein wenig erstaunt, mit einem Lächeln auf den Lippen, das jedoch erstarb, als er ihr Antlitz sah, wie sie ihn bittend anblickte. Sie nahm schnell seine Hand:

– Auch nicht im Scherz so etwas.

– Aber Maria!

– Es tut mir weh!

Er küßte eilig ihre schlanke Rechte, indem er innig sprach, wie ein Kind, das gar nicht weiß, was es getan hat:

– Ich will es nicht wieder sagen!

Herr da Caza bot der alten Baronin Aspern den Ann und führte sie zu einem Fauteuil auf der Mitte der ersten Stuhlreihe vor der Bühne. Die anderen Damen folgten und nahmen Platz. Einzelne ältere Herren setzten sich dazwischen, die jüngeren blieben im Hintergrund stehen oder schoben sich seitwärts vor, längs der Wände, die Peter Stöckl mit Teppichen und Stickereien, Seidentüchern, Priestergewändern, chinesischen Kleidungsstücken, AItardecken, Gobelins und Vorhängen verkleidet hatte, zwischen denen sich Blumengewinde herabrankten und elektrische Rosen blühten.

Man blickte sich um, machte einige Bemerkungen über die Ausstattung des Salons und bewunderte den prachtvollen Blumenrahmen, den Peter Stöckl um die Bühne gezogen. Dann tönte die Glocke, und das Surren und Summen schwieg. Andächtig rückte man sich auf den Stühlen zurecht. Irgendeine Frauenstimme, die ihre Kenntnis verraten wollte, jedoch vergaß, daß man mit dem letzten Buchstaben begann, sagte halblaut, aber man hörte es überall in der plötzlichen Stille:

– Jetzt kommt das C.

Leises Kichern belohnte die Kluge. Herr da Caza lehnte ganz vorn an der Bühne, halb das Gesicht den Zuschauern zugewendet, um denen hinter dem Vorhang Winke geben zu können. Er klingelte zum zweiten Mal, und nun wuchs die allgemeine Spannung. Einige hoben sich ein wenig von den Sitzen. Ein Marsch ward von einem unsichtbaren Orchester gespielt: die Schumannsche Komposition der beiden Grenadiere von Heine erklang, und wie die Musik an die Stelle kam: »Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab«, verlöschten die Lichter, und der Vorhang fiel – statt sich zu teilen oder zu steigen – mit einem Schlage zu Boden, so daß plötzlich das Bild sichtbar ward.

In der Mitte der Bühne stand, finster sinnend, den Blick vor sich hin gerichtet, in der historischen Uniform mit hohen Stiefeln, grünem Rock und Dreimaster, in der rechten Hand das kurze Fernglas: Napoleon der Erste.

Ein Beifallssturm erscholl, der den Regierungsrat beinahe dazu verleitet hatte, sich als Napoleon zu verneigen. Rechtzeitig besann er sich noch und blieb stehen. Und nun, wo sich die Augen an den jähen Lichtwechsel gewöhnt hatten, erkannte man erst, daß die Bühne, matt beleuchtet, ein Schlachtfeld darstellte, mit brennenden Ortschaften, und ein paar Gefallenen. Ein Verwundeter, auf den einen Arm in liegender Haltung gestützt, erhob drohend den anderen gegen Napoleon.

Das Bild blieb eine Weile sichtbar, dann rauschte von den Seiten her ein Vorhang in Falten darüber zusammen. Schüchterner Beifall klang, der jedoch bald wuchs, so daß sich die Gruppe ein zweites Mal zeigte. Em paar leise Bemerkungen fielen unter den Zuschauern. Jemand deutete auf den Gefallenen mit dem drohend gereckten Arm: Das ist ja der Herr Boljèn von Boljena!

Rittmeister Hendrich neigte sich zu Frau Charrier:

– Wissen Sie, gnädige Frau, weshalb Regierungsrat Napoleon so finster vor sich hinblickt?

– Nun?

– Weil er noch immer keinen Witz gefunden hat, den er heute abend kolportieren könnte.

Der Vorhang hatte sich wieder geschlossen. Es begann das Erraten des ersten Buchstabens. Ein paar Damen sagten sehr stolz N, die Herren jedoch taten, als hätten sie keine Ahnung. Die kleine Gräfin Selbotten, die in keinem der Bilder stand, lachte laut auf über die verschiedenen Buchstaben, die ihr Rittmeister Hendrich mit ernster Miene vorschlug:

– Was meinen Sie zu B – Bonaparte, gnädigste Gräfin, oder zu S – Schlachtfeld – Schlachtenkaiser, oder zu D – Drohung wegen des Ritters Boljèn von Boljena?

Sie erwiderte ebenso ernst:

– N kann es wohl nicht sein. Napoleon wäre zu gesucht. Man muß immer das Nächstliegende wählen.

Wieder verlöschte das Licht im Saal, süße Geigenmusik tönte, eine Harfe klang, der Vorhang sank zu Boden. Eine rosige Himmelslandschaft erschien in blendender Helle. Im Vordergrunde rechts kniete ein Engel mit gefalteten Händen: die Prinzessin, und ringsum, terrassenförmig erhoben, lagerten Engel in weißen Gewändern mit großen Flügeln und langen Locken in süßem Schlaf.

Ein allgemeines Ah ging durch die Zuschauer, und langanhaltender Beifall ließ den Vorhang sich nochmals öffnen. Das Bild war so schön, daß man es immer wieder sehen wollte. Prinzessin Löwengaard schaute hübsch aus in ihrer langgelösten, blonden Haarflut, mit dem Blick nach oben. Rittmeister Hendrich konnte die Bemerkung nicht unterdrücken:

– Ein molliger Engel! – wofür ihn Frau Horn halb verschämt anblickte.

Herr da Caza stand noch immer vorn am Vorhang. Er klatschte mit besonderer Absicht Beifall, indem er ein paarmal sagte, so laut, daß es die Engel hören mußten:

– Prinzessin Löwengaard, bravo! Großartig, Durchlaucht! Wunderschön! Wunderschön!

Während draußen das Publikum wieder den Buchstaben zu raten vorgab, erhob sich Prinzessin Löwengaard aus ihrer knienden Stellung und ging seitwärts in die Kulisse. Mit den Blicken suchte sie Stassingk, um ein Wort des Beifalls von ihm zu erhaschen. Doch er war noch in seinem Garderobenzimmer, und sie schritt verstimmt davon. Herr da Caza kam nun auf die Bühne: das Bild, in dem seine Frau stand, versetzte ihn in einige Aufregung. Unruhig lief er auf der Bühne auf und ab, die eben vom Engelaufbau gesäubert ward.

– Nun, waren meine Engel nicht schön? – fragte schmunzelnd die Hände reibend Professor Charrier.

– Ihre beiden Fräulein Töchter und Prinzessin Löwengaard sahen sehr gut aus, Herr Professor.

Der Professor, der gern Schmeichelhaftes über seine Töchter hörte, lächelte erfreut, aber die weitere Unterhaltung ward durch Peter Stöckl abgeschnitten. Er beanspruchte die Bühne für sich, die Szenerie für die »Maria Stuart« herzurichten. Ein Teppich ward gelegt, und der Hintergrund durch einen einzigen, großen, prachtvollen Gobelin gebildet. Kein Möbel kam auf die Bühne. Durch die Einfachheit sollte der halb allegorische Vorgang Wirken.

Längst war alles hergerichtet, nur Maria Stuart und Leicester erschienen noch immer nicht. Schon begann Herr da Caza in seinem Lampenfieber etwas ungeduldig zu werden, als endlich Stassingk kam. Das helle Seidengewand der Zeit stand ihm vorzüglich, doch niemand achtete mehr auf ihn, denn kurz nach ihm trat Maria Stuart auf die Bühne, ganz in Schwarz mit der Stuartskrause, ein goldenes Kruzifix in der Hand, im Haar eine Perlenschnur, von der eine einzige, große, ovale, schwarze Perle auf die Stirn herabhing.

Ein paar junge Mädchen, Engel von vorhin, blieben stehen und schauten nach der wundervollen Erscheinung. Die ältere Charrier sagte nur ein paarmal kurz hintereinander:

– Aber, aber, aber ...

Peter Stöckl schlug die Hände zusammen und rief, indem er in seinen heimatlichen Dialekt fiel:

– Jesses noch amol! Is dös a Schönheit! Papier her und an Blei! Wo sind meine Farben!

Herr da Caza nickte schmunzelnd und verließ schnell die Bühne, um beim Beginn vorn zu sein und die Zuschauer beobachten zu können.

Maria da Caza bemerkte nichts von dem Eindruck, den sie machte, sie betrachtete nur Stassingk und er nur sie ...

Im Salon, vor dem Vorhang, war große Aufregung: der Regierungsrat hatte es nicht über sich gewinnen können, sich nicht doch in der Nähe zu zeigen, und war, obwohl er wegen der zu engen Schäfte seiner Stiefel kaum einen Schritt tun konnte, in den Zuschauerraum gegangen. Er wurde sofort von allen Seiten umringt, denn jede Dame wollte die Uniform Napoleons besehen und wie Herr von Lindstedt den Schnurrbart weggeschminkt.

Als die alte Baronin Aspern eben den Regierungsrat gefragt hatte, ob es nicht schwierig sei, so lang stillzustehen, weil sie beständig mit dem Knie zitterte, ertönte die Glocke, und eiligst nahmen die Damen Platz, denn es war allgemeines Geheimnis, daß die beiden Bilder, in denen Maria da Caza erschien, das Ereignis des Abends bilden würden. Die Musik spielte einen altenglischen Marsch, der Vorhang fiel und ließ die diesmal nur matt erleuchtete Bühne sehen. In der Mitte hoch aufgerichtet stand in königlicher Haltung Maria Stuart und blickte auf Leicester, der sich ein Stück von ihr in verlegener halber Verbeugung hielt, mit der einen Hand den Degengriff umklammernd, die andere geöffnet und gestrafften Armes zur Seite gestreckt, als wolle er sagen: »Ich kann nicht anders.« Die Königin aber hatte einen hoheitsvollen, mitleidigen Zug und streifte den schönen Schwächling an ihrer Seite mit einem Blick unendlicher Trauer.

– Bravo, bravo! Das ist ja großartig! – klang es von allen Seiten. Alles klatschte, ehe sich der Vorhang geschlossen. Als er nun zusammengefallen war und sich nicht sofort wieder öffnete, brach ein Sturm des Beifalls los. Die Zuschauer riefen, Damen wie Herren:

– Maria da Caza!

– Maria Stuart!

– Stassingk!

Die beiden oben auf der Bühne standen unbeweglich, nur etwas ließen sie sich gehen, solange der Vorhang geschlossen war. Peter Stöckl, der ihn selbst bediente, rief bloß ein kurzes »Achtung«, ehe er an der Schnur zog, ihn zu öffnen, und sie nahmen wieder ganz genau ihre Haltung ein.

Der Gobelin wirkte so, daß das Ganze den Eindruck machte, wie ein altes Gemälde. Das hatte der junge Maler auch beabsichtigt. Rittmeister Henrich rief seinen Namen, nachdem sich das Bild ein dutzendmal gezeigt, aber er erschien nicht, bis ihn Herr da Caza, der hinter die Kulissen geeilt, zwischen Maria Stuart und Leicester schob. Nun, da der Eindruck doch einmal gestört war, verneigten sie sich wie Schauspieler am Aktschluß.

Als sich der Sturm endlich gelegt hatte, riet man den Buchstaben, doch keiner sagte etwas von Maria Stuart, sondern als verstünde es sich ganz von selbst:

– M ist Maria da Caza!

Die beiden Darsteller stiegen von der Bühne herab, die sofort von dem auf den Erfolg eifersüchtig gewordenen Professor Charrier in Besitz genommen wurde.

Maria da Caza fühlte sich wie berauscht. Es war ihr, als sähe sie nichts um sich herum, mechanisch, fast gleichgültig nahm sie, ein Lächeln um die Lippen, die Hände derer, die Glück wünschten, indem sie allen mit den Worten dankte:

– Herrn Stöckls Verdienst ist es ganz allein, wenn das Bild gefiel!

Dann eilte sie, um sich den Leuten zu entziehen, in ihr Schlafzimmer, und dort warf sie sich, heftig atmend, in einen Stuhl. Sie erblickte Stassingk immer noch vor sich in seiner spanischen Tracht, die ihm so gut stand. Sie freute sich, wie die Augen der Zuschauer auf ihnen beiden geruht, die nun einmal zusammengehörten, wie sie zusammen, ganz allein, auf der Bühne gestanden. Ihre Phantasie ging weiter: sie sah sich mit ihm eins, für das Leben verbunden, und es schien ihr nun wie eine unmögliche Vergangenheit, daß sie einmal Frau da Caza gewesen.

Das Mädchen riß sie aus ihren Träumen:

– Gnädige Frau müssen aber nun ans Umkleiden denken! Es ist längst Zeit. Das nächste Bild steht schon!

Sie fuhr auf. Lässig ging sie daran, das schwarze Gewand abzulegen, immer noch verträumt, schmückte sie sich als Carmen.

Die beiden nächsten Bilder hatten nach der Maria Stuart schweren Stand. Ein Rennhintergrund, etwas dekorationsmäßig gemalt, und davor eine Gruppe Rennleute wirkte nicht überzeugend, und jede Stimmung wurde genommen, weil die ins Bild Gestellten, wie Herr da Caza, im cover coat und rundem Hut, den mächtigen Krimstecher im gelben Futteral am aufgerollten Riemen in der Hand, dann Graf Selbotten, Leutnant von Remer, Mister Easby im Dreß, Rittmeister Hendrich die Aufmerksamkeit des Publikums nur aus Neugierde auf sich zogen, indem man sich freute, sie »erkennen« zu können.

Peter Stöckl meinte spöttisch:

– Der gute Professor verwechselt wieder einmal Reporterinteresse mit Kunst.

Das A brachte eine Sennhütte mit Gebirgshintergrund, vorn ein Alpenfex und eine Sennerin. Die Musik spielte mit Zitherbegleitung: »Auf der Alm da gibt's ka Sünd!« und Peter Stöckl brummte:

– Jesses, hat sich der Fex die Knie' schön g'waschen! Holdrio! Alles wie lackiert! Holdrio!

Aber bei den Zuschauern fand das Bild großen Beifall. Eigentlich war dem Regierungsrat der Bergfex angetragen, doch er hatte sich nach seiner ernsten Rolle als Napoleon nicht komisch zeigen wollen. Er war immer von einer Anzahl von Damen umgeben, denen er von Zeit zu Zeit in irgendeiner Ecke auf besonderen Wunsch noch einmal seinen Napoleon stellte. Dabei machte er Propaganda für das letzte Bild, indem er, wenn sich Herr da Caza nicht gerade in der Nähe befand, fragte:

– Wer steht im letzten Bild?

– Maria da Caza! – entgegnete man, und er fragte weiter mit verschmitztem Zwinkern:

– Wer mit ihr? Wer kann überhaupt nur mit Maria da Caza zusammen stehen?

Einige lächelten verständnisinnig. Nur der alte Baron Aspern richtete sich straff auf und antwortete, so daß er nicht mißzuverstehen war:

– Herr Regierungsrat, ein für allemal: ich liebe solche Scherze nicht!

Dann sprach sich der alte Herr sehr scharf über Herrn von Lindstedt aus. Doch Geheimrat Ploetz, ein großer, hagerer, stark vornübergebeugter Mann, als suche er fortwährend etwas mit seinen kurzsichtigen Aeuglein, der den Regierungsrat aus amtlicher Tätigkeit kannte, sagte mit seinem versöhnenden Wesen:

– Es hat wohl jeder seine Schwäche! Die ist bei unserem braven Lindstedt die Zunge, aber Fähigkeiten hat der Mann: er ist ein ganz vorzüglicher Arbeiter und leistet hervorragende Dienste. Allerdings mag ihm seine Sucht, scharf zu sein und Witze zu machen, später noch einmal hinderlich werden oder das Genick brechen.

Das Carmenlied erklänge darauf das Lied der Micaela, und endlich »Auf in den Kampf, Torero«. Als dann die Musik wiederum in das Carmenlied überging, hatten die Zuschauer bereits Platz genommen.

Nun fiel der Vorhang: eine andere Szene zeigte sich, als geprobt war. Peter Stöckl war nicht zufrieden gewesen und hatte es gewagt, noch im letzten Augenblick etwas Neues zu versuchen. Ein mächtiger, türkischer Teppich, an dem Tambourine und spanische Spitzentücher hingen, bildete den Hintergrund. Carmen, im gelben Seidenkleid mit schwarzem Netzüberwurf und spanischer Jacke, saß auf einem Stuhl, die Füße übereiandergeschlagen, die Hände gebunden hinter der Lehne verborgen. Den schönen Kopf mit dem hochfrisierten, schwarzen Haar, in dem der Kamm steckte, hielt sie, wie sie es im Leben oft tat, leicht hintenüber geneigt. Im Mundwinkel hing ihr lässig eine Zigarette, und den Blick wandte sie gegen José, als trällere sie ihr Liedchen. Unschlüssig stand er daneben, wie es den Anschein hatte, ob er sie losschneiden sollte.

– Das ist ja ganz großartig! – sagte in der allgemeinen Stille laut der alte Baron Aspern. Ein allgemeiner Beifallssturm brach los. Was an Herren saß, stand auf, um zu klatschen und Bravo zu rufen. Schließlich erhoben sich auch die Damen.

– Bravo! Bravo! Bravo! Bravo! Bravo! – rief unausgesetzt Rittmeister Hendrich. Bankier Horn sagte einmal über das andere:

– Donnerwetter, das lasse ich mir gefallen!

Frau Charrier äußerte:

– Das ist die Krone des Abends! – zum großen Aerger und Schrecken des Professors, der sich möglichst laut vernehmen ließ:

– Ja, das ist keine Kunst, wenn man so ein Modell hat.

Alles geriet ganz außer sich vor Entzücken: die beiden Fräulein Charrier, die kleine Gräfin und ihr Mann, Leutnant von Remer, Ritter Boljèn von Boljena, Rittmeister von Vandelow, Frau Horn, Baronin Lennen, Regierungsrat von Lindstedt, Geheimrat Ploetz, Frau von Lindstedt, Prinzessin Löwengaard, Herr von Nyvenström riefen immer wieder »Dacapo,« so daß das Bild von neuem erschien. Sogar Mister Easby, sonst für alles vollkommen unempfänglich, was nicht zum Rennen gehörte, äußerte stürmisch seinen Beifall.

Zum Schluß ward wiederum Peter Stöckl gerufen, und dann trat der Regierungsrat zu Herrn da Caza:

– Sagen Sie mal, meinen Sie nicht, es wäre nun das Richtige, wenn dem Publikum offiziell von der Bühne herab die Lösung verkündigt würde? Die Herrschaften haben sich nun die ganze Zeit die Köpfe zerbrochen...

Herr da Caza zuckte die Achseln:

– Ich halte es zwar nicht für nötig, aber am Ende macht es sich ganz gut, wenn jemand ein paar Worte spricht. Nur von mir darf es nicht verlangt werden. Meine Frau hat sowieso ... Beifall gefunden ... da muß ich nicht auch noch ...

Sein einziges Auge leuchtete, indem er nach der Bühne sah, wo eben zum zehnten Male die Gruppe erschien. Der Regierungsrat tat, als übernähme er aus reiner Gefälligkeit ein schweres Amt, und fand sich bereit, die Erklärung zu machen. Während er hinter die Kulissen ging, wurden die Darsteller wiederum gerufen. Sie standen nicht mehr, sondern traten vor.

Maria da Caza hatte dankerfüllt eben hinter der Kulisse Peter Stöckl die Hand gegeben und wollte sie nun auch Stassingk reichen. Sie tat es, als sich der Vorhang schon geöffnet, indem sie ihn, ohne sich zu verstellen, mit einem glühenden Blick in die Augen sah. Die Zuschauer wurden Zeugen, wie er ihr die Hand küßte.

Keinem war Marias Blick entgangen.

Graf Selbotten nahm seine Frau beim Arm und flüsterte ihr zu:

– Was soll denn das? ... Was ist denn das?

– Ich habe es ihr gesagt! – erwiderte die kleine Gräfin erschrocken. Da erschien der Regierungsrat auf der Bühne, immer noch als Napoleon, und hielt seine Rede:

– Meine Damen und Herren, falls dieser und jener Buchstabe nicht klar geworden, so erlaube ich mir ein wenig nachzuhelfen. Mit dem letzten Buchstaben haben wir begonnen: das erste Bild bedeutete ...

– Napoleon, – rief jemand, und der Redner fuhr lächelnd fort:

– Allerdings, Napoleon, den ich zu verkörpern die Ehre gehabt habe ...

Rittmeister Hendrich sprach halblaut etwas boshaft:

– Und noch habe ...

– Sehr richtig – noch habe. Also N. Das zweite Bild, wer könnte daran zweifeln, der die rührenden, süßen Gestalten mit den holden Flügeln, den Lockenköpfchen gesehen und den unschuldsweißen Gewändern? Was alle unsere Damen sind, verkörpern sie: Engel ... E. Dann folgte die schönste Frau ihrer Zeit und die unglücklichste zugleich, Schottlands Königin, Maria Stuart – M. Ein Gemälde realistischer Art schloß sich daran, in dem man Professor Charriers Meisterhand wiedererkannte – er ist es uns noch schuldig zu malen – Rennen gleich R. Die Musik des nächsten wird Ihnen die Deutung leicht gemacht haben: »Auf der Alm ...« A. Endlich zeigte sich uns, zugleich das Ganze gebend, die Frau, die selbst ein »Carmen« ist, als »Carmen« die Frau des Hauses ...

Er verneigte sich lächelnd, während einzelne mehr scherzhafte Bravorufe der Herren laut wurden. Am Schlusse hatte er eigentlich ein gemeinsames Hoch auf Maria da Caza und Stassingk ausbringen wollen, doch Herr da Caza stand gerade vor ihm an der Bühne, und vielleicht zum ersten Male bemeisterte er sich und schwieg.

Maria da Caza war zum Umziehen in ihr Zimmer geeilt. In einer Viertelstunde sollte es zum Souper gehen, und sie mußte bis dahin ihr Gesellschaftskleid anhaben. Das Entkleiden ging ihr langsam von der Hand – sie tat es allein – das Mädchen hätte sie in diesem Augenblick nicht um sich haben können. Sie mußte für sich sein. Sie meinte zu ersticken und stieß ein Fenster auf. Die kühle Nachtluft strömte herein. Gierig sog sie den Strom kalter Luft ein. Sie fühlte sich an die Stirn, ihre Schläfen pochten, die Schlagader fieberte ihr am Hals, ihr Herz klopfte.

Zufällig blieb sie vor dem großen Spiegel stehen, der ihre ganze Figur zeigte, und blickte hinein: sie war blaß trotz der Erregung. Sie dachte daran, daß sie schön war: wenn es ihr fast gleichgültig geworden, jetzt empfand sie es als Genugtuung, als Notwendigkeit. Sie mußte schön sein für ihn. Sie wendete sich und drehte sich vor dem Glase, stemmte die Hände in die Taille, ließ einen Blick über ihre Schultern gleiten, über ihre schlanken, schöngeformten, vollen Arme und legte den Kopf zurück, daß sie ihr Antlitz sähe, wie sie als Carmen den Zuschauern und Stassingk erschienen.

Dann warf sie sich einen Augenblick auf den Diwan, streckte sich aus, schloß die Augen und dachte immer wieder an Stassingk. Es klopfte. Sie hörte es nicht. Noch einmal klopfte es, dann trat die kleine Gräfin ein.

– Wer ist da?

– Ich bin's, Maria! ^

– Wer... ach, Du...

Nun sah sie erst der Freundin sonst so fröhliches, jetzt ernstes Gesicht, und sie fragte besorgt:

– Ist Dir was geschehen? Was hast Du denn?

Die kleine Gräfin begann sofort ohne Einleitung:

– Maria, das geht nicht so! So darfst Du Dich nicht benehmen. Was hast Du mir versprochen?

– Nichts, was ich nicht gehalten hätte.

– Aber alles redet drüber, alle haben es bemerkt.

– Was, bemerkt?

– Du und Graf Stassingk.

– Daß ich mit ihm in zwei Bildern gestanden habe auf Wunsch Peter Stöckls und meines Mannes?

– Nein, das nicht allein.

– Was denn? Daß ich ihm die Hand gab, wie ich sie Peter Stöckl auch gab? Oder daß er sie, da ich sie ihm nun mal zufallig in dem Augenblicke gab, wo der Vorhang aufging. . daß er sie da küßte?

– Nein, nein, das auch nicht allein, Maria!

– Nun, ich kann doch nichts dafür, daß er sie küßte, wie es guterzogene Leute tun?

– Wie Du ihn angesehen hast dabei, Maria! Maria, ich glaube, das weißt Du alles gar nicht mehr ... Wirklich, so kann ich es mir nur erklären. Du weißt es nicht mehr!

– Darf ich ihn nicht mehr ansehen? – fragte Maria da Caza, und ihre Lippe zuckte. Aber sie schlug doch die Augen zu Boden vor Gräfin Selbottens geradem Blick. Mit der einen Hand stützte sie sich auf eine Stuhllehne, und ihr Arm bebte. Die kleine Freundin sah ihr ruhig ins Gesicht, trat nahe an sie heran, legte ihr dann leise und leicht den Arm um den Nacken und sprach sanft:

– Du bist erregt heute abend, Maria!

– Kann ich anders ... ich kann nicht anders ... Ihr macht mich ja alle so ... Ihr alle ...

Gräfin Selbotten fuhr ernst und bestimmt fort:

– Maria, das kann nicht so weitergehen. So oder so mußt Du eine Lösung herbeiführen. Sieh mal, Maria, wenn Du mir gleichgültig wärest, so würde ich Dir das gewiß nicht sagen. Aber ich kann nicht anders, ich muß Dich darauf aufmerksam machen. – – Lasse Dich scheiden, dann heiratest Du ihn, oder bleibe Frau da Caza, dann entferne Graf Stassingk von Dir ...

Maria da Caza ließ sie nicht weitersprechen, sondern antwortete triumphierend:

– Er hat mir gesagt, daß wir zusammenkommen wollen, er hat mir versprochen, alles zu tun, was ich verlangen würde ...

Die kleine Gräfin schöpfte Atem:

– Gott sei Dank!

Maria da Caza fragte lächelnd:

– Bist Du nun zufrieden?

Die Freundin nickte glückselig:

– Ja! Bist Du mir böse, Maria?

Sie küßten sich herzlich, dann zog sich Maria so schnell als möglich um, denn Herr da Caza hatte schon geschickt und sagen lassen, es warte alles auf das Souper.

Als Maria da Caza in den großen Salon zurückkehrte, ward sie von allen Seiten mit Glückwünschen bestürmt, und man bedauerte, daß sie nicht im Kostüm der Carmen geblieben wäre, das ihr fast noch besser gestanden hätte als das schwarze Gewand der Maria Stuart.

Sie blickte, während sie umlagert ward, nach Stassingk, und begann unruhig zu werden, denn er war nicht zu sehen. Die Herren gaben den Damen zum Souper den Arm, sie als Hausfrau wartete mit dem alten Baron Aspern bis zuletzt, und sie sah nun, wie Stassingk mit Frau Hörn vorüberschritt. Man konnte vernehmen, wie sie etwas geziert sprach:

– Herr Graf, Sie wissen doch jedem etwas Angenehmes zu sagen ...

Maria da Caza vermochte das Weitere nicht zu verstehen, aber es dämpfte ihre gute Stimmung, daß er wieder einer Dame Artigkeiten gesagt hatte. Beim Souper im Eßsaal war sie unruhig die ganze Zeit, denn er befand sich nicht da, sondern saß in der Galerie an einem der kleinen Tische.

Dort waren fast nur junge Mädchen außer Frau Horn und der Baronin Lennen, von den Herren bloß Junggesellen, bis auf den Regierungsrat, der sich mit an Stassingks Tisch eingefunden. Er trug noch immer sein Napoleonskostüm, angeblich weil er keine Zeit gefunden, um sich umzuziehen, in Wirklichkeit jedoch, weil ihm die Beine in den zu engen Schäften seiner Kanonenstiefel derartig angeschwollen waren, daß er sich vor dem Ausziehen fürchtete, obwohl er es vor Schmerzen kaum mehr aushalten konnte. Deshalb war er stiller als sonst.

Am Nebentisch hatte Prinzessin Löwengaard Platz genommen mit Leutnant von Remer, der sie fast gar nicht unterhielt, sondern von seinen Reitaussichten bei den demnächstigen ersten Rennen träumte. Sie achtete auch nicht auf die Gespräche der übrigen, sondern horchte nur nach dem Tisch hinüber, wo Stassingk eben eine Geschichte erzählte.

Stassingk fühlte sich diesen Abend so glücklich und gehoben, so gut gelaunt, wie es ihm nicht geschehen war, seit er Maria da Caza seine Liebe gestanden. Denn er wollte nicht ihre Schönheit allein in der Stille genießen, im Salon beim plätschernden Wasserspiele. Er liebte rauschende Feste, er liebte Treiben und Gehen, Menschen um sich herum, zwischen denen ihm, wie er fand, ihre Schönheit stolzer das Herz schlagen machte, als allein, wenn er ihr in die Augen sah. Er erblickte die jungen Mädchen um sich herum, und es machte ihm mehr Spaß denn je, sie mit seinen allgemeinen Huldigungen zu unterhalten, die allen galten, und die jede auf sich allein bezog.

Wenn er ihnen Artigkeiten sagte, so fühlte er kein Unrecht gegen Maria da Caza. Bedürfnis war es ihm, von dem er nicht lassen konnte, die da rundum saßen, in sich verliebt zu machen oder doch wenigstens leise ihr Interesse zu erregen, während er doch nichts Ernstliches von ihnen wollte, sondern sie nur als Folie dienen ließ für Maria da Caza.

Die Damen lauschten ihm, wie er eben von Palästina erzählte, das er von Konstantinopel aus besucht.

– Wie ist es denn da? Waren Sie auf dem Qelberge? – fragte Frau Hörn, und ließ den Mund offenstehen vor Begierde, etwas Sicheres zu hören von einem Augenzeugen über Jerusalem und die heiligen Stätten. Sofort erhob auch Baronin Lennen die Stimme, und Fräulein Charrier, die Erste, rief:

– Oh! Mein Vater hat Skizzen von dort überall.

Die jungen Mädchen am Tisch achteten nicht mehr auf ihre Herren, sondern hingen an Stassingks Lippen, der lächelnd auswich:

– Das ist alles zu ernst für heute abend, denn heute gilt nur die Fröhlichkeit, und ich würde es mir nie verzeihen können, wenn ich auch nur einen Augenblick ein heiteres Gesicht in ein trauriges verkehren müßte. Reden wir doch lieber vom ... – vom ...

Er sah sich um und gewahrte drüben die Prinzessin, die ihn anblickte. Statt ihrem Auge auszuweichen, konnte er nicht anders, als sie wieder anzuschauen, so daß sich ihre Blicke ein zweites Mal fanden und sie errötete. Dann fuhr er fort:

– Reden wir vom Tanzen. Lebende Bilder sind ja ganz schön, meine Damen, aber ich denke, ein bißchen Tanzen wäre noch viel besser ...

– Ja, ja, tanzen! – antworteten ein paar junge Mädchen freudestrahlend.

Als nun vom Saal drüben, wo die älteren Herrschaften saßen, Stuhlrücken klang, öffneten sich die Türen, und ganz von weitem, aus dem großen Salon, tönte der Walzer »Sweet, sweet heart«, der nun einmal die Saison bis zum Schluß beherrschte. Stassingk bot schnell Frau Horn den Arm und schwebte mit ihr über die spiegelnde Fläche.

Der Salon begann sich zu füllen. Von allen Seiten klang in das Gleiten, Schurren der Schuhe, Singen der Geigen:

– Hurra, man tanzt!

– Das ist aber eine reizende Ueberraschung!

– Und gar: »Sweet, sweet heart« ...

Der Bankier Horn holte sofort seine Frau, ihre Unterhaltung und nun ihr Tanz mit Stassingk dauerte ihm zu lange. Um seine Eifersucht zu verbergen, sagte er zu ihr, so, daß es ihr Tänzer hören sollte:

– Du mußt Graf Stassingk jetzt freigeben. Er soll ja als Vortänzer den Ball mit der Frau des Hauses eröffnen. Ich möchte nicht, daß sie Grund hätte, Dir böse zu sein!

Nun stand Stassingk allein. Er blickte sich um und gewahrte nicht sofort Maria da Caza, die mit dem alten Baron Aspern noch im kleinen Salon am Wasserspiele geblieben war, wo er ihr eine endlose Geschichte aus seiner Studentenzeit erzählte, ohne zum Schluß kommen zu können.

Als er sie nicht fand, bemerkte er die Prinzessin, die ein Paar Schritte von ihm stand. Es kam ihm plötzlich der Gedanke, schnell noch zu einem Rundtanz den Augewblick zu benutzen, bis Maria da Caza einträte. Eigentlich war ihm die dickliche Prinzessin jetzt ganz gleichgültig, doch er empfand etwas wie eine Verpflichtung gegen sie, eine Regung des Mitleids und ein Schmeicheln seiner Eitelkeit, weil er wußte, daß sie ihn liebte.

Als er eben den Arm um sie legte, die, ohne ihre Freude zu verbergen, ihm strahlend dankte, trat Maria da Caza ein. Sie biß die Lippen aufeinander. Als er sie dann um den nächsten Tanz bat, fragte sie in zitternder Erregung:

– Ich bekomme erst den zweiten?

– Sie waren nicht da!

– Ich war nicht schwer zu finden!

Es dauerte eine Minute, bis er die Entgegnung fand:

– Es war nicht bös gemeint!

Sie atmete heftig. An nichts anderes dachte sie als nur an ihn, und die anderen Menschen rundum waren ihr ganz gleichgültig. Unsäglich gleichgültig. Sie blickte ihn an, ohne Rücksicht auf die Zuschauer, als wolle sie ihn verzehren mit ihren Blicken, und dann schmiegte sie sich in seinen Arm und flog mit ihm über das Parkett. Während sie tanzten, schaute er sie an und sie ihn, und beide lächelten.

Stassingk drückte sie näher und näher an sich. Beim Souper hatte er ein paar Glas Champagner getrunken, die ihm ins Blut gegangen waren. Er fühlte die schöne Frau dicht an seiner Seite, und es reizte ihn, sie zu küssen, als er bei einem Ausweichen leicht ihr Haar berührte. Er mußte sich überwinden, es nicht zu tun. Während er die lange Seite des Salons mit ihr hinuntertanzte, sah er, wie die Augen der Leute ihnen folgten, sah er, wie man sie beide betrachtete, wie die Köpfe sich zueinander neigten, und man irgendeine Bemerkung über sie machte.

Als die Musik absetzen wollte, winkte Stassingk ihr weiterzuspielen. D)e übrigen hörten allmählich auf zu tanzen, nur hier und dort begann ein Paar von neuem, aber es zog sich bald zurück, als wollte man, wie auf gegenseitiges Uebereinkommen, das Parkett ganz allein dem schönsten Paare überlassen. Das Gefühl, daß man ihnen die Bahn öffnete, spornte Stassingk von neuem an. Er ließ noch immer die Musik nicht aufhören. Nun, wo einmal alles auf sie aufmerksam geworden war, mußte das Spiel auch durchgeführt werden, daß der Tanz der beiden wie ein Bravourstück fortging.

– Können Sie noch? – flüsterte er Maria da Caza zu. Sie nickte:

– Solange Sie wollen!

Herr da Caza stand in der Tür zu seinem Zimmer, neben der kleinen Gräfin. Er sah lächelnd zu, wie seine Frau tanzte. Als er bemerkte, daß Gräfin Selbotten, die ängstlich das Tun der Freundin verfolgt, ihr ein Zeichen machen wollte, aufzuhören, sagte er:

– Aber warum denn? Gönnen wir ihr doch das Vergnügen! Es ist ohnehin das letztemal in diesem Jahr, daß sie Gelegenheit hat, zu tanzen!

– Sie könnte sich aber Schaden tun, Herr da Gaza!

– Sie wird schon aufhören, wenn sie nicht mehr kann!

Immer noch tanzte das Paar weiter, und der Regierungsrat, der es in seinen Stiefeln nur noch dadurch auszuhalten vermochte, daß er beständig hin und hertrippelte, holte seine Uhr heraus, um die Dauer des Galopps festzustellen.

Maria da Caza legte sich stärker in Stassingks Arm und ließ sich führen und tragen durch ihn. Einmal war es ihr, als gewahrte sie der kleinen Selbotten sonst fröhliches Gesicht ernst und mißbilligend ihr nachstarren. Aber es war ihr jetzt alles gleich, und als sie beim nächsten Mal vorüberkommend, ihren Mann entdeckte, hatte sie ein Gefühl, als müsse sie ihn förmlich herausfordern, daß er nur schneller einsähe, wie zwischen ihnen ein Ende gemacht werden mußte, da sie sich fremd geworden waren im Laufe der Jahre.

Endlich hörte mit einem Geigenstrich die Musik auf. Stassingk blieb mit Marim mitten im Salon stehen, indem er erschöpft tat, als müsse er nach Luft schnappen. Da klang ein halblautes Bravo von allen Seiten. Er verbeugte sich ironisch. Maria da Caza nahm seinen Arm. Er führte sie zu dem einzig stehen gebliebenen Sofa an der Stirnseite, der Bühne gegenüber.

Dort setzte sie sich in ihrer königlichen Haltung, nicht ein bischen warm geworden vom Tanz, scheinbar gleichmütig, aufrecht, kalt, nur ihre Brust hob und senkte sich schneller als sonst. Als ihr Stassingk eine leichte Verbeugung machte zum Zeichen, daß er seine Dame abgegeben und der Tanz beendigt sei, da legte sie, nach ihrer Gewohnheit, den schönen Kopf ein wenig zurück und dankte ihm mit einem langen Blick.

Der Regierungsrat aber hatte mit einem Male sein Schlagwort für den Abend gefunden: er lief von einem zum anderen, so schnell es die schmerzenden Glieder erlaubten, mit der leisen Frage:

– Wissen Sie das Neuste?

– Nun? ,

– Stassingk muß wieder versetzt werden!


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