Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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III.

Gerade als Maria da Caza nicht zu Hause war, hatte Graf Stassingk seinen Besuch gemacht. Sie war ärgerlich darüber, während ihr Mann sich freute, die Karte des jungen Diplomaten vorzufinden. Die Cazas hatten es jetzt zwar nicht mehr nötig, jedes Mitglied der »Gesellschaft«, das bei ihnen Besuch machte, als einen Schritt nach vorwärts anzusehen, aber bei den Herren vom Auswärtigen Amt empfand Herr da Caza doch immer noch eine kleine Genugtuung.

Mit der »Korrektheit«, die er sich angeeignet und auf die er große Stücke hielt, suchte er sofort am nächsten Tage Graf Stassingk auf, ohne ihn jedoch zu treffen.

Maria da Caza wollte ihn möglichst bald eingeladen haben, aber ein wenig mußte gewartet werden, damit es nicht zu eilig aussähe, und dann folgten drei Tage, an denen sie etwas vorhatten: ein Diner beim Botschaftsrat von der Kerk, der Besuch des Zirkus Renz mit Selbottens, Rittmeister Hendrich und einem Vetter der kleinen Gräfin, und endlich Rennen in Karlshorst. Beim Diner war Stassingk nicht und auch nicht im Zirkus, obwohl Maria nach allen Seiten spähte, ob ihn nicht vielleicht ein Zufall gerade an dem Abend hingeführt. So blieb als eimzige Hoffnung der Renntag.

Herr da Caza hatte, wie zu jedem Rennen, eine Anzahl von Bekannten dazu aufgefordert, mit seiner Coach hinauszufahren. Vorher nahmen die Eingeladenen in der Villa das Frühstück ein. Ein Herr hatte abgesagt, noch am Morgen des Renntages:

– Wie wäre es, wenn wir es Graf Stassingk sagen ließen? – schlug sofort Maria da Caza vor. Ihr Mann sann einen Augenblick nach, dann meinte er aber, für eine erste Einladung sei es zu spät, denn Stassingk würde merken, daß er nur als Lückenbüßer gewünscht worden wäre:

– Dazu müßten wir ihn doch genauer kennen! Ich werde es dem Peter Stöckl sagen lassen, der wollte immer gern einmal ein Rennen sehen! Vielleicht kriegt er Lust, mal eins meiner Pferde zu malen!

Sie dachte an das Bild »Müde«, das ihr Stassingk mit so richtiger Empfindung erklärt, und es ärgerte sie, daß ihr Mann den Farbendichter dieses Werkes für gut genug hielt, eines seiner Rennpferde abzupinseln, und da noch eine Verstimmung dazu kam, daß er nicht darauf eingegangen war, den aufzufordern, den sie wünschte, sagte sie wegwerfend:

– Der wird sich hüten, deine Tiere zu malen!

Nicht im geringsten ereiferte er sich, sondern antwortete nur mit einem überlegenen Lächeln:

– Das sind Deine Ideale, Maria. So ist es aber gar nicht in der Welt. Der ernste Künstler, Symbolist und Stimmungsmaler wird schon auch meine Pferde malen. Es fragt sich bloß, was es kostet. Vielleicht würde es teuer sein, aber zu haben ist alles!

Das Frühstück langweilte Maria da Caza über die Maßen, denn sie konnte es nicht erwarten, bis sie auf dem Rennplatz wären. Erst als die Coach im Hof unter dem Glasdach der Tür vorgefahren war, ward sie etwas angeregter. Der Regierungsrat fragte sie auf der Treppe:

– Sind Sie nicht wohl, gnädige Frau?

– Ich habe etwas Migräne, die frische Luft wird mir gut tun!

Herr von Lindstedt betrachtete sie nach seiner Art mit listig blinzelnden Augen:

– Hehe, Sie sehen aber schöner aus denn je!

Sie antwortete nicht, sondern wandte sich der Coach zu. Die vier Füchse standen tadellos da auf allen vier Beinen an Strang und Zügel, Veilchensträuße an den Rosetten der Stirnbänder. Herr da Caza lenkte selbst, und nachdem Leutnant von Remer neben ihm Platz genommen und die übrigen Damen und Herren sich auf den Sitzen des Verdecks verteilt, die Diener sich hinten aufgeschwungen, Remers Bursche mit Rennsattel und Peitsche ins Innere gehuscht und die rotbemalte Tür zugeschlagen, ging es davon. Der Sand knirschte bis zum Tor, dann rollte der Viererzug auf dem Asphalt der Tiergartenstraße hinab über den Potsdamer Platz durch die Königgrätzerstraße nach Treptow.

– Es tut einem doch das Herz weh, so zum Rennen zu fahren und nicht mitreiten zu können! – meinte Graf Selbotten, ein großer, schlanker Husar, der ebensoviel lachte wie seine Frau. Frau von Lindstedt entgegnete bescheiden, indem sie ängstlich nach ihrem Mann blickte, als fürchte sie sich, eine Dummheit zu sagen:

– Sie haben doch früher so viel geritten, wie ich höre, warum reiten Sie denn nun nicht mehr?

Die kleine Gräfin ereiferte sich in komischer Aufwallung:

– Gnädige Frau, nun reden Sie ihm auch noch zu, und ein Verheirateter braucht doch wirklich nicht Rennen zu reiten, damit er Frau und Kind zu Witwe und Waise macht!

Alle lachten, und Peter Stöckl, ein schmächtiger, elegant gekleideter Mensch mit tiefliegenden, dunklen Augen, der äußerlich gar nicht nach einem Künstler aussah, fragte wie jemand, der keine Ahnung vom Gegenstande hat und sich unterrichten möchte:

– Ist denn das Rennen wirklich so gefährlich, Frau Gräfin?

– Nur für den Reiter, für den Besitzer weniger! Hm! Hm! – scherzte der Regierungsrat. Aber Rittmeister Hendrich erwiderte etwas scharf, weil auch er Pferde laufen ließ, ohne selbst in den Sattel zu steigen:

– Für Herrn von Lindstedt ist es noch weniger gefährlich, denn er reitet weder, noch hat er einen Stall, noch wettet er.

– Weil ich ein Gegner des Spieles bin in jeder Form! – antwortete Herr von Lindstedt, indem er sich in die Brust warf und zu seiner Frau hinüberschaute. Er hatte das reiche, junge Mädchen geheiratet, als er nach einem ziemlich wüsten Leben sein Vermögen verbraucht sah. Der Rittmeister, der das wußte und zugleich, daß der Regierungsrat liebte, seiner Frau gegenüber als Tugendspiegel zu erscheinen, antwortete ironisch:

– Seit wann denn, Herr Regierungsrat?

Maria da Caza hatte kaum den Gesprächen zugehört. Sie saß in ihrer englischen »robe tailleur«, die ihr durch ihre glatte Einfachheit so gut stand, schweigend da und dachte an das kommende Rennen, indem ihr immer wieder die Frage auftauchte, die sie vergeblich zu verscheuchen suchte, ob Graf Stassingk in Karlshorst sein würde.

Die Coach rollte durch den Treptower Park. Hier und da standen ein paar dürftige Leute am Wege, und blickten dem eleganten Viererzug stumpfsinnig nach. Am Eierhäuschen holte er eine Abteilung Fußwanderer ein, wie es schien, nach Karlshorst unterwegs – denn sie trugen Operngläser und einer las seinen Gefährten aus einer Zeitung Tips vor. Dann zeigten sich Staubwolken auf der sonst so einsamen Straße, und sie kamen an einigen Mietswagen und Droschken vorüber, die – man kannte es an den Insassen – dem Rennplatz zustrebten. Ein paar Offiziere begrüßte man, und Herr da Caza rief dem einen zu:

– Ich habe einen guten Ritt für Sie!

Der Offizier nickte. Sie fuhren über die Spree und in das Gehölz, in dem Karlshorst lag. Dort mehrten sich die Gefährte, Equipagen, Dogcarts, Victorias, ein paar Jagdwagen. Es folgten Droschken in langer Reihe, ein Break, wieder Droschken, und endlich holten sie eine Coach ein, hinter der sie bleiben mußten, und die ihnen nun das Tempo angab.

Maria da Caza saß mit dem Rücken nach vorn, wegen des herbstlich scharfen Luftzuges, der hier oben doppelt empfindlich ward. Als man von der Coach vor ihnen sprach, fragte sie:

– Wem gehört sie?

– Herzog von Ortenburg! – erklärte kurz Rittmeister Hendrich, weil er wußte, daß der Herzog die Cazas nie beachtet hatte. Sie fragte nicht weiter, doch der Regierungsrat lüftete plötzlich auffällig freundlich seinen Hut und winkte lebhaft mit der Hand, während er rief:

– Der Mordskerl steht wieder aus wie 'ne frische Rose. Der wird wohl wieder mal ein paar Dutzend Herzen auf die Strecke bringen.

Sie wußte sofort, wen er meinte, und fuhr wie der Blitz herum. Drüben, gerade vor ihr, nur ein paar Meter entfernt, saß Graf Stassingk auf dem Viererzuge des Herzogs. Als er ihr ins Gesicht blickte, grüßte er lebhaft, und sie neigte, ihre jähe Freude über seine Anwesenheit bemeisternd, gemessen das Haupt.

Die Wagenmenge wuchs von Minute zu Minute, rechts und links der Straße hielten einzelne leere Gefährte im Wald, die ihre Last schon abgeladen hatten, und als sich die Bäume öffneten, sah man die Tribünen und Baulichkeiten von Karlshorst liegen. Die Coach fuhr ein, und man half den Damen herab.

Es war einer der letzten Renntage des Jahres, und das schöne Herbstwetter hatte eine große Menschenzahl herausgelockt, so daß die große Tribüne fast gefüllt war und sich auf dem Sattelplatz eine ungeheure Menge schob.

Sie schritten durch das Heer von Bummlern, Wettern, Buchmachern, Neugierigen, von Offizieren, Rennleuten, Pferdebesitzern, Angestellten, von Damen der Halbwelt und Gesellschaft, Schauspielerinnen, Offiziersfrauen, Vertreterinnen der reichen Kaufleute, hohen Finanz, Diplomatie und Fremden. Herr da Caza hatte für das ganze Jahr eine Loge gemietet. Er selbst kam nur wenig dorthin, denn er blieb auf der Tribüne, wo die Rennleute saßen, um bei der Hand zu sein, wenn es galt, schnell noch Wetten abzuschließen, Dispositionen zu treffen und hier und da herumzuhorchen und zu sprechen.

Maria da Caza nahm immer Gäste mit in ihre Loge: diesen Herbst fast ausschließlich Selbottens und Lindstedts, dann blieb gerade noch ein Platz übrig für irgend einen einzelnen Herrn. Rittmeister Hendrich und Leutnant von Remer pflegten sich zu den Rennleuten zu halten. Sie waren wie Herr da Caza der Ansicht, daß auf dem Rennplatze die Damen erst in zweiter Reihe stünden. Graf Selbotten hatte aus seiner eigenen Rennzeit, obwohl er keine Pferde mehr besaß, doch noch so viel alte Bekannte zu begrüßen, so viel Freude an dem ganzen Betriebe, daß auch er sich wenig zeigte und jedenfalls sofort verschwand, sobald ein Rennen gelaufen war, um erst beim Beginn des nächsten in der Cazaschen Loge wieder zu erscheinen. Da paßte es ihm denn außerordentlich gut, seine Frau untergebracht zu wissen, die er sonst nicht hätte allein lassen können.

Die drei Damen hatten in der Loge Platz genommen, hinter ihnen der Regierungsrat und Peter Stöckl, für den dies ganze Treiben Neuland war und der sich aufmerksam nach allen Seiten umschaute.

Die Tribünen füllten sich mehr und mehr und die Menge flutete vom Sattelplatz, vom Totalisator, vom Restaurant und von der Wage aus nach vorn auf den Platz zwischen Tribünen und Geläuf. Einige Aufmerksamkeit machte sich bemerkbar, die Gespräche hörten auf und man wandte die Augen nach dem grünen Rasen, wo ein paar Pferde, von Jockeis geritten, erschienen waren.

Der Regierungsrat erklärte hinten dem Maler, daß nun der Aufgalopp an den Tribünen vorbei gemacht werden würde, um die Pferde dem Publikum im Gang zu zeigen, sie – für Reiter und Pferd gleich vorteilhaft – vorher noch einen Augenblick in Schwung zu setzen und dem Start zuzusteuern, von wo dann der Ablauf zum Rennen geschähe.

Maria da Caza studierte mit Gräfin Selbotten das Programm, aber sie war nur halb bei der Sache und ließ die Blicke ins Publikum schweifen, das unter ihnen stand oder sich hin und her schob. Die Nummern der Pferde, die im Eröffnungsrennen laufen sollten, waren längst aufgezogen, und darunter befand sich auch ein Gaul des Herrn da Caza.

– Ihre Farben sind ja vertreten, gnädige Frau! Schwarze Jacke, schwarze Kappe! – sagte Herr von Lindstedt, indem er auf einen Fuchs wies, der eben vorüberkanterte. Sie tat etwas erstaunt:

– So?

– Jawohl, gewiß! Dort, da geht er hin!

– Ja richtig! – antwortete sie zerstreut, denn in diesem Augenblick hatte sie Graf Stassingk gesehen. Er stand rechts von ihnen, ein halbes Dutzend Logen entfernt, hinter dem Stuhl einer Dame, mit der er eifrig sprach.

Maria da Caza verwandte kein Auge von ihm, aber es gelang ihr nicht, das Gesicht derjenigen zu erblicken, mit der er sich unterhielt, und der schwedische Gesandtschaftssekretär Herr von Nyvenström trat eben an die Cazasche Loge. Sein Schnurrbart hing noch mehr als gewöhnlich. Er lächelte freundlich, während er die Damen begrüßte. Er fragte nur, wie ihnen der Ball bekommen sei, dann schnitt ihm die Glocke das Wort ab, die den Ablauf anzeigte.

Das Lachen, Sprechen, Verhandeln, das Hinundherlaufen hörte auf einmal auf, und alles wandte seine Aufmerksamkeit dem Rennen zu. Es trat annähernde Stille ein, die nur durch Gemurmel unterbrochen ward, wenn das Bild der laufenden Pferde sich einmal verschob und dieser oder jener zurückfiel oder seinen Platz verbesserte. Das Rennen war kurz, ein Flachrennen, um den Anfang zu machen, und bald wuchs das Interesse der Zuschauer, als sich die Reiter dem Ziele näherten. Nur Maria da Caza kümmerte sich nicht um den Kampf, denn sie hatte entdeckt, daß Graf Stassingk sich mit der Prinzessin Löwengaard unterhielt.

Sie sagte sich in den Blitzgedankengängen einer Sekunde, daß ihr doch Stassingk eigentlich einerlei sein müsse und es ihr vollkommen gleichgültig sein könne, mit welcher Dame er sich unterhielt. Aber sie wußte, daß sie sich das nur einredete, denn mit ihr sollte er sprechen. Sie verlangte, er solle, nachdem er sie einmal gesehen, sofort zu ihr kommen, um ihr zu versichern, wie er bedauerte, sie bei seinem Besuche nicht angetroffen zu haben.

Der Lärm, der sich plötzlich erhob, ließ sie auf das Rennen achten. Der Jockei in den Cazaschen Farben brachte seinen Fuchs gerade vor den Tribünen noch mit einem mächtigen Anprall heran. Die Aufregung steigerte sich. Nur wenige Pferdelängen trennten ihn noch vom vermeintlichen Sieger, gegen den alle anderen Pferde zurückgefallen waren, nur wenige Längen beide, nun um den Sieg streitende Pferde, noch vom Ziel. Man rief den Jockeis ermunternde Worte zu, man feuerte an, man bedauerte, schimpfte, fluchte, lachte durcheinander und zwei Sekunden später waren die beiden Tiere Kopf an Kopf am Richterpfosten vorübergekommen.

– Wir müssen warten, bis die Nummern aufgezogen sind, von hier aus täuscht es so, daß man nichts sagen kann! – erklärte der Regierungsrat den Damen, indem er sich umblickte, um Zustimmung zu finden. Herr von Nyvenström nickte.

– Totes Rennen! – rief jemand, und ein anderer jenem vollkommen unbekannter Herr wurde wütend:

– Unsinn, Unsinn, der Fuchs hat's! Totes Rennen, so'n Unsinn!

Maria da Caza hatte sich nach den Streitenden umgeblickt, die sich hinter ihrer Loge anfuhren, als wäre die Behauptung »Totes Rennen« eine Beleidigung gewesen, als plötzlich vor ihr an der Brüstung eine Stimme tönte:

– Ich gratuliere, gnädige Frau!

Sie drehte sich herum. Graf Stassingk grüßte und erklärte, die Nummern wären eben in ihren Rahmen aufgestiegen und ihr Gatte habe das Rennen gewonnen. Sie war ganz leicht errötet und reichte ihm die Hand, die er an die Lippen zog.

– Wo sind Sie denn hergekommen? Sie standen doch vorhin noch dort drüben, glaube ich?

– Jawohl, bei der Prinzessin war ich eben. Sie hat Geburtstag heute. Da muß man doch Glück wünschen.

– Ist sie mit ihren Eltern hier? – fragte mühsam unbefangen Maria da Caza.

– Nein, mit Ortenburgs. Ihr Vater verurteilt die Rennen. Der ist so'n bissel streng. Die Löwengaards kommen vor lauter Bedenken zu gar keinem richtigen Lebensgenuß. Und schließlich lebt man doch bloß einmal und die Welt ist so schön, so wunderschön!

Seine Augen leuchteten und er blickte ihr gerade ins Gesicht, als solle sie die letzten Worte auf sich selbst beziehen.

Indessen hatten sich die Tribünen wieder geleert, und die Menge strömte von neuem nach hinten zu Restaurant, Wage, Sattelplatz und Totalisator. Ein paar Herren, die nur Frau da Caza kannten, jedoch nicht die beiden anderen Damen, waren an die Loge herangetreten, um ihr zum Siege Glück zu wünschen. Graf Stassingk blieb stehen.

Lindenstedts brachen auf und nahmen Gräfin Selbotten und den Maler mit sich, so daß Maria da Caza, nachdem die anderen Herren gegangen, sich mit dem jungen Diplomaten allein sah.

– Aber lassen Sie sich nicht stören, Graf Stassingk, wenn Sie wetten wollen oder zu tun haben. Bringen Sie mich bloß zu ein Paar Bekannten, – sagte sie.

– Ich will nicht wetten und ich habe nichts zu wn.

– Dann sind Sie eine Ausnahme, denn die meisten Herren wollen uns Damen zwar auf dem Rennen haben und sehen, aber sie kümmern sich nicht gern um uns.

– Gnädige Frau, gestehen Sie einmal, was wären denn die ganzen Rennen ohne die Damen? Man will doch hübsche Gesichter sehen, schöne Erscheinungen, Toiletten, man will ein bißchen schwatzen, Bekannte begrüßen, wiederschauen – Auge, Ohr, alles will genießen. Auf ein Rennen ohne Damen würde ich überhaupt nicht gehen.

Sie blickte ihn mißtrauisch an:

– Warum nicht?

– Das wäre langwellig. Wo keine Damen sind, langweile ich mich.

– Wetten Sie denn nicht?

– Niemals. Ich komme zum Rennen, um mich zu unterhalten, aber doch nicht, um Berechnungen zu machen und mir den Kopf zu zerbrechen, welcher Gaul denn wohl gewinnen könnte! Ohne das ist doch eine Wette Nonsens. Meine gnädigste Frau, unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit gestehe ich Ihnen, daß es mir eigentlich ganz egal ist, welcher Gaul gewinnt!

Ihr, die sie nie an den Rennunternehmungen ihres Mannes hatte teilnehmen dürfen, die auf den Rennen nur erschien, weil er es wünschte, weil es in der Gesellschaft Stil war, weil sie alle ihre Bekannten dort traf, ihr war dieses Geständnis aus der Seele gesprochen, und sie sagte freudig:

– Gott sei Dank! Mir auch!

– Ihnen auch? Ihnen, der Gattin eines Renn ... Er wollte Rennmannes sagen, doch er verbesserte sich noch:

– Rennstallbesitzers?

Wie er das zögernd und erstaunt aussprach, las er aus ihrer Gebärde, ohne daß sie ein Wort sagte, welche Kluft sie von ihrem Manne trennte. Sie fühlte, daß er es begriff, und es war ihr, als sei er plötzlich Mitwisser geworden des Innersten ihrer Seele. Er ließ den Blick lange auf ihr ruhen, als müsse er sie nun mit anderen Augen betrachten, als habe sie ihm etwas Neues geoffenbart, als sei eine Scheidewand zwischen ihnen gefallen. Dann blieb er an der Brüstung der Loge lehnen, indem er über den Raum vor ihnen und das Geläuf der Bahn hinweg in die Weite hinausstarrte.

– Aber meine gnädigste Frau, wo bleiben Sie denn nur? Wir haben Sie gesucht wie eine Stecknadel!

– Ich bin in der Loge geblieben, Herr von Lindstedt!

Der Regierungsrat machte ein erstauntes Gesicht, und Graf Stassingk erklärte, als müsse er Maria da Caza zu Hilfe kommen:

– Die Herren waren alle da, um zu gratulieren!

Sie dankte durch einen kurzen Blick. Die Glocke tönte – das neue Rennen hatte begonnen.

Ziemlich geschlossen kam das ganze Feld bunter Uniformen und Dreß, eine leichte Staubwolke hinter sich lassend, an den Tribünensprung heran. Die Tiere suchten den Absprung oder gallopierten einfach darüber hinweg. Beim Landen jenseits drohte ein kleiner, brauner Hengst mit breiter Laterne auf die Knie zu kommen. Sein Reiter aber brachte ihn wieder auf die Beine.

– Das ist ja Herr von Remer! – sagte unwillkürlich der Maler, und Graf Stassingk, der sich ihm kurz bekannt gemacht, als auch er nun in die Loge getreten, antwortete nach einem Blick ins Programm:

– Der Hengst gehört Herrn da Caza.

Da der Regierungsrat jedoch eben einen anderen Gaul, der in Front lag und von Mister Easby im schwarzen Dreß gesteuert wurde, als Cazasches Pferd bezeichnet hatte, so wurde Peter Stöckl irre, bis ihm Stassingk erklärte, der Cazasche Stall sei doppelt vertreten. Um einmal ein Wort mit Maria da Caza zu sprechen, beugte sich der Maler vor zu ihr:

– Welches Ihrer Pferde soll denn gewinnen, gnädige Frau?

Sie lächelte, indem sie mit dem Opernglase das Rennen verfolgte, und antwortete langsam Wort für Wort, mehr für Stassingk berechnet als für Peter Stöckl:

– Was weiß ich? Aber wohl Mister Easby, denn der arme, kleine Herr von Remer erhält immer das, was Mister Easby nicht reiten mag. Uebrigens – wirklich – woher soll ich etwas davon wissen? Mit meinem Mann spreche ich nicht über Geschäfte, Mister Easby versteht kein Deutsch, und ich, zu meiner Schande muß ichs sagen, kein Englisch, und Herr von Remer spricht so wenig und das Reden wird ihm so sauer, daß ich ihm nie die Anstrengung zumute ...

Sie verfolgte wieder den Gang der Steeple-chase, während der Regierungsrat sich dem jungen Diplomaten näherte und leise sagte:

– Da sehen Sie bloß mal an, das ist nun die Frau unseres größten Rennonkels. Und dabei kommen so und soviel Leute immer zu mir und fragen, welchen Tipp sie angegeben hätte, denn die müßte es doch wissen!

Graf Stassingk hörte ihm ruhig zu, ohne ungeduldig zu werden, wie es sonst immer die Leute taten, wenn man ihnen während des Rennens etwas erzählte. Herr von Lindstedt, dem im Grunde genommen die Ereignisse auf der Bahn nur ein Zerstreuungsinteresse abgewannen, benutzte die Gelegenheit, um weiterzusprechen:

– Was sagen Sie denn übrigens zu Maria da Caza? Schöne Person, was? Und Rasse liegt darin. Wenn die einen andern Mann hätte? Gescheit ist sie auch. Aber diese Rennonkels sind eben doch eigentlich höllisch oberflächliche Kerle. Die müßte wirklich einen Mann von Geist und von Welt haben. Die möchte ich mal in Paris sehen, da würden gleich unsere Beziehungen zu Frankreich andere. Fragen Sie mal 'rum. Was die für Eindruck macht. Beliebt ist sie überall. Wissen Sie, wie ich auf unserem Ball sagte: Maria da Caza tanzt! Alle finden das selbstverständlich! Da sollten Sie mal sehen, wenn man das von einer anderen sagen wollte, wie die Damen da loskeifen würden!

Graf Stassingk fragte mit gedämpfter Stimme:

– So ist Frau da Caza wirklich so beliebt?

– Ueberall. Aber wissen Sie, was das Geheimnis ihres Erfolges ist: sie ist zuvorkommend gegen jedermann und redet nicht bloß mit den Herren, wie so viele schöne Frauen, die dadurch bei ihrem eigenen Geschlecht unbeliebt werden. Sie spricht mit allen. Das ist aber auch kein Wunder ... eh ... eh ... eh ...

Er lächelte überlegen vor sich hin, blinzelte, kniff die Augen eins um das andere zu.

– Nun? – entgegenete mit erwachendem Interesse der junge Diplomat. Er wußte, daß der Regierungsrat nur die nötige Spannung für einen seiner Sätze hervorbringen wollte, den er wahrscheinlich, da er ihn eben gefunden, heute noch einem Dutzend Menschen so ganz beiläufig mitteilen würde. Herr von Lindstedt fuhr fort:

–Das kommt daher: sie ist im Grunde ihres Herzens – herzlos. Kalt wie eine Hundeschnauze – notabene wenn der Hund gesund ist – eh – eh – eh – Sie läßt sich wohl von den Leuten feiern, aber haben Sie je bemerkt, daß sie entgegenkommend wäre? Das tut sie nicht mal gegen ihren Mann! Gegen den vielleicht sogar am allerwenigsten ... Ja, ja, das ... das ... als Psychologe ... merkt man das. Und hören Sie ...

– O! – rief da ganz laut die Gräfin Selbotten und im selben Atem fast lief ein allgemeines »O« über das Publikum. Einzelne erhoben sich von den Stühlen. Unten auf dem Kies vor der Tribüne eilten ein paar Leute der Bahn zu.

Der Regierungsrat fürchtete, irgend einen schweren Sturz verpaßt zu haben, trippelte unruhig hin und her und fragte, indem er sich den kurzen, dicken Hals fast ausrenkte, um besser zu sehen:

– Donnerwetter, was ist denn los?

– Einer ist heruntergefallen! – meinte lachend Peter Stöckl, doch ein Rennbesucher hinter der Loge verbesserte, empört über die unfachmännische Ausdrucksweise des jungen Künstlers:

– Jestürzt! Jestürzt is er! Remer liegt!

Einen Augenblick später sah man einen ledigen Gaul dem Felde über die Hindernisse folgen.

– Er ist auf! Da ist ja Herr von Remer! – tröstete Gräfin Selbotten, die durch ihren Krimstecher den Offizier erblickte, wie er sich den Staub vom Waffenrock wischte und mißmutig zu Fuß den Heimweg zur Tribüne antrat.

Auf kurze Zeit blickte man nun allgemein in der Nachbarschaft nach der Cazachen Loge, unwillkürlich im Gefühl der Neugierde, zu sehen, was für ein Gesicht Maria da Caza mache, denn die größte Mehrzahl der ständigen Rennbesucher wußte, wer sie war. Doch auch nicht ein Zug ihres Antlitzes war zu entdecken, der so oder so hätte gedeutet werden können. Als ob gar nichts geschehen sei, verfolgte sie mit dem Glase die nun schon allmählich dem Ziele zustrebenden Pferde.

Das Feld hatte sich sehr auseinander gezogen, und als die Reiter in die Gewinnseite einbogen, leuchtete vorn ein roter Attila, aber schon nach dem letzten Sprung schob sich der schwarze Dreß des Mister Easby vor und entfernte sich immer weiter von den übrigen, die, mehr oder weniger ausgepumpt, vergebliche Anstrengungen machten, ihm den Sieg zu entreißen.

»Was ist das?« fragte einer und jemand las aus dem Programm ab:

»Nummer vier: Herrn da Cazas Fuchsstute Libelle von Bodocus aus der Lanzette.«

Wieder hatte sich das Publikum erhoben und machte seine Bemerkungen. Einzelne feuerten an, andere wurden unwillig, einer rief laut Bravo. Die verlierenden Wetter schimpften, machten lange Gesichter oder ertrugen ihren Verlust mit Gleichmut. Ein Dicker schrie, als verkündigte er eine Weisheit:

»Libelle macht's! Libelle macht's!« und irgend jemand aus der Menge heraus antwortete erstaunt laut:

»Ach nee!«

Mister Easby stemmte die Fauste zu Seiten des Widerrists auf und ließ seine Stute ruhig auskantern, ohne sich umzublicken. Die schwarze Seidenkappe, die er über die Ohren gezogen, verbarg fast seinen ganzen Kopf, der Dreß bauschte, die weißen Hosen standen steif ab, als wären sie mit Luft aufgeblasen. Unangefochten ging er durchs Ziel, der rote Husar folgte als zweiter in weitem Abstand, und da es zu keinem Endkampfe gekommen, ließ die allgemeine Spannung sofort nach, und die Tribüne entleerte sich.

Diesmal wünschte man Maria da Caza nicht Glück, weil das Gerücht sich sofort verbreitete, Mister Easby habe eine Flagge umgeritten und es werde Protest eingelegt werden. Graf Stassingk sagte zu Maria da Caza:

– Der schwarze Dreß ist riesig schick!

– Finden Sie?

– Ja, so einfach, unauffällig, vornehm!

Die Bemerkung freute sie:

– Ich habe ihn ausgesucht. Meine einzige Tätigkeit am ganzen Rennbetriebe meines Mannes.

Dann brach die Gesellschaft auf. Der Maler mit Frau van Lindstedt, der Regierungsrat mit Gräfin Selbotten. Maria da Caza und Graf Stassingk folgten. Sie blieben vorn an der Tribüne, bis sich die Menge am Totalisator etwas verlaufen hatte.

Befehlen Sie irgend eine Erfrischung, gnädige Frau? Wollen wir zum Restaurant gehen? – fragte der junge Diplomat, indem er neben ihr her schritt. Sie dankte und dabei fanden sich wieder ihre Augen, und es war ihr, als ob die seinen anders blickten denn sonst. Es war ihr, als ob sie nicht in leichtfertiger Fröhlichkeit glänzten, als läge ein tieferes Gefühl in ihnen, ein wärmeres, stetes Licht. Sie fragte ihn, einer Eingebung folgend:

– Wollen Sie nach dem Rennen bei uns essen, Graf Stafsingk?

Da verfiel er wieder in seinen liebenswürdigen, einschmeichelnden Ton, ganz anders als im Augenblick zuvor:

– Meine gnädigste Frau, das tut mir aber wirklich aufrichtig leid. Es wäre ja reizend gewesen und ich wäre so gern gekommen, wenn ich nicht unglücklicherweise schon versagt wäre. Hätte ich das doch eine halbe Stunde früher gewußt! Erst vorhin bin ich eingeladen worden, und ich kann nun unmöglich wieder absagen! Nein, wenn ich das doch bloß geahnt hätte! Es ist wirklich zu schade!

Der Ton der Gesellschaft, der oberflächlichen Redensart, der allgemeinen Liebenswürdigkeit berührte sie kalt. Sie sprang sofort ab, nahm eine gleichgültige Miene an und sagte:

– Aber bitte, mein Gott, so kommen Sie eben ein andermal. Es muß ja nicht heute sein. Es fiel mir bloß so ein.

– Ich bin aber unglücklich, gnädige Frau ...

– Ein andermal ...

Es kam ihr sehr gelegen, daß eben Rittmeister Hendrich erschien und geradewegs auf sie zusteuerte. Er drückte Stassingk flüchtig die Hand, da er Eile zu haben schien:

– Gnädige Frau. Ihr Gatte läßt Ihnen sagen, das letzte Rennen ...

– Ist das nächste? – fragte sie. Der Rittmeister meinte ganz entsetzt:

– Aber nein, es sind noch drei, dann kommt es erst. Also das letzte Rennen würde leider, soweit sich bis jetzt übersehen ließe, ein Walk-over – also ein Gaul geht allein für den Preis über die Bahn. Da fragt er an, ob es Ihnen recht wäre, wenn wir sofort nach dem vorletzten Rennen fortführen?

Sie lächelte und sagte hastig:

– Je eher desto lieber. Ich langweile mich so wie so. Wie ihr das Wort entschlüpft, war es ihr auch schon leid, denn es schien, als habe Graf Stassingk es auf sich bezogen. Die anderen: Gräfin Selbotten, Lindstedts und der Maler waren herangetreten, um von Rittmeister Hendrich zu erfahren, wie es mit dem Protest stünde. Ein paar Neugierige kamen hinzu, die gleichfalls die Nachricht mit Sicherheit haben wollten, da der Rittmeister eine bekannte Persönlichkeit auf dem grünen Rasen war. Man erfuhr, daß der Sieg des Mister Easby zwar hatte beanstandet werden sollen, jedoch in der Tat nicht beanstandet worden war. So hatten die da Cazaschen Farben die beiden ersten Rennen davongetragen.

Maria da Caza war von Graf Stassingk abgekommen und blickte sich absichtlich nicht nach ihm um. Als sie aber nun mit der übrigen Gesellschaft zum Beginn des dritten Rennens nach ihrer Loge schritt, war er verschwunden. Enttäuscht spähte sie nach ihm – er war gegangen, und sie vermochte ihn auch während des Aufgalopps der Jockeis nicht wiederzufinden. Das ganze Rennen ließ sie gleichgültig. Sie nahm wohl ihr Glas ans Auge, aber sie richtete es nicht einmal nach den Pferden, die in rasendem Tempo ihren Weg zurücklegten, sondern schaute gleichgültig nach dem zweiten Platz drüben, wo eine dichte Menschenmenge von der Seite aus den Vorgängen auf der Bahn folgte. Ab und zu schlugen die Laute ans Ohr, die sich immer zu wiederholen pflegten als Ausdruck von Spannung, Teilnahme, Aerger, Erstaunen, Mitleid, Erschrecken. Sie achtete nicht darauf und die Bemerkung ihrer Begleiter in der Loge beantwortete sie nur durch ein Nicken oder Schütteln mit dem Kopfe.

Als das Rennen zu Ende war, ging sie sofort mit den anderen am Totalisator vorbei nach dem Sattelplatz. Das große Herbstjagdrennen sollte als nächste Nummer gelaufen werden, und wieder waren die Cazaschen Farben vertreten. Graf Selbotten erzählte es, der gekommen war, um seiner Frau einmal das Treiben auf dem Sattelplatz zu zeigen.

Sie wandte sich durch das Gedränge am Totalisator, wo Geld ausgezahlt, Wetten abgeschlossen, Nachrichten eingezogen wurden, die Wettmaschinen jedoch sich noch nicht in Gang befanden, denn die Nummern der startenden Pferde waren noch nicht aufgezogen.

– Ich bin immer froh, wenn ich hier vorüber bin! – sagte die kleine Selbotten. Ihr Mann lächelte und antwortete halb zu seiner Frau, halb zu Maria da Caza gewandt:

– Auf dem Sattelplatz wird's besser! Nicht wahr, gnädige Frau?

Die Gräfin hing sich an seinen Arm. Maria da Caza hatte nicht darauf gehört. Zerstreut schritt sie nebenher. Sie war mit sich selbst unzufrieden, denn sie hatte durch ihre gereizte Bemerkung Stassingk verscheucht. Und ihre unangenehme Stimmung wuchs, als sie ihn auf dem Sattelplatz unter einer Gruppe von Herren und Damen stehen sah, die sie nicht kannte: einige Offiziere aus Potsdam mit ihren Damen. Ein paar Schwestern, schlanke. Mädchengestalten, überaus einfach, fast zu einfach gekleidet, eine junge Frau am Arme ihres Mannes, häßlich, ungünstig angezogen, von einer erschreckenden Magerkeit. Alle nichts weniger als elegant und doch besonders, doch vornehm auf den ersten Blick.

Graf Stassingk sprach mit dieser und jener und sie lachten und freuten sich. Sie aber nahm ein bitteres Gefühl so gefangen, daß sie ihre Begleiter fortdrängte. Sie wollte sich gar nicht in seiner Nähe zeigen, damit er nicht etwa auf den Gedanken käme, sie nähere sich ihm.

Während sie nun dem Satteln und Aufsitzen zusahen, fuhr ihr der Gedanke durch den Sinn, wie sie dazu käme, sich mit Graf Stassingk fortwährend zu beschäftigen. Sie redete sich ein, es läge ihr nur daran, ihn als angenehmen Gesellschafter zu haben, und sich ihn zu gewinnen, damit die anderen wie jene Prinzessin Löwengaard sähen, daß er sich gerade um sie am meisten bekümmere.

Da kam die Prinzessin mit dem Herzog und der Herzogin von Ortenburg. Ein paar Schritt von ihnen stellten sie sich auf, um die Pferde und Reiter, die bis zum Glockenzeichen auf dem Rasen an der Hand der Stallburschen einen Zirkel angelegt, an sich vorbeigehen zu lassen.

Der Regierungsrat grüßte die Prinzessin, die leicht dankte, während das herzogliche Paar nur herübersah. Sie kannten Lindenstedts nicht, und Maria da Caza nicht die Prinzessin Löwengaard. Auf dem Ball hatten sie sich gegenseitig einander nicht genähert. Frau da Caza meinte als Frau dem Mädchen gegenüber dazu keine Veranlassung zu haben. Die Prinzessin fand vielleicht, daß die Gattin des Rennstallbesitzers da Caza den ersten Schritt zu tun hätte.

Mister Easby und Leutnant vou Remer waren wieder für den Cazaschen Stall im Sattel. Als sich der kleine englische Herrenreiter näherte in seinem schwarzen Dreß, nachlässig auf dem geführten braunen Wallach hängend, rief er Maria da Caza schon von weitem auf Englisch etwas zu. Sie verstand nicht und winkte nur freundlich, was er als Antwort annahm.

Der Herzog von Ortenburg, ein norddeutscher, blonder Hüne, mit einem Glase an der Schnur, in langem, schwarzem Gehrock und hoher, dicker, verschlungener Krawatte nach der Mode von 1830, ein Mann, der den Eindruck machte, als sähe er über alles hinweg, was nicht mindestens einen Meter neunzig hoch sei, rief eben den kleinen Remer an:

»Herr von Remer, das ist?«

»Rhubarbe, Durchlaucht!«

Als der junge Offizier ein paar Schritte weiter, an Maria da Caza vorüberkam, raffte er sich einmal aus seiner Schweigsamkeit auf und entschuldigte sich:

»Ich bin noch nicht an die Loge gekommen, weil ich bis jetzt immer zu tun hatte, gnädige Frau.«

Bei den letzten Worten mußte er sich umwenden, denn seine braune Stute Rhubarbe war mit ihrem langausgreifenden, lässigen Vollblüterschritt bereits vorüber, und die Pferde wurden schon davongeführt, um auf das Geläuf gelassen zu werden. Als Leutnant von Remer sich an Maria da Caza gewendet, hatten sich die Blicke auf sie gerichtet. Sie fühlte, wie die Herzogin sie durch die Lorgnette betrachtete, und bemerkte, daß Graf Stassingk, der eben neben die große, trotz ihrer vierzig Jahre noch hübsche Dame trat, offenbar nach ihr zu fragen schien.

Maria da Caza nahm Gräfin Selbottens Arm:

»Es ist Zeit, sonst verpassen wir noch den Aufgalopp.«

»Der ist Dir ja ganz gleich, Maria!« antwortete heiter die kleine Freundin, und jene entgegnete, während sie eilig davongingen:

»Man muß doch auch einmal so tun, als interessiere man sich dafür!«

Das große Herbstjagdrennen war das Ereignis des Tages. Vor der Tribüne stand ein mächtiger Silberhumpen in getriebener Arbeit als Ehrenpreis für den siegenden Reiter, und die Menge drängte sich um das Schaustück. Die sieben startenden Pferde kanterten vorüber. Lauter Offiziere ritten: der rote Husar von vorhin, ein Kürassier, zwei Dragoner und ein sächsischer Ulan, dessen weiße Mütze neben der des Kürassiers leuchtete. Den Beschluß bildete der Cazasche Stall: Mister Easby auf dem braunen Wallach Flush und Leutnant von Remer auf der Rhubarbe. Ein falscher Start durch Fortbrechen des Cazaschen Wallachs verzögerte den Beginn. Endlich fiel die Flagge des Starters und die Glocke klang. Flush hatte sich sofort wieder an die Spitze gemacht und führte über die Tribünensprünge, obgleich Mister Easby nach Kräften zu bremsen versuchte. Es ging im Bogen herum und ohne Anfall über den »Karlshorster Sprung«. Dort fiel Flush zurück, sein Reiter schien ihn in die Hand bekommen zu halben.

Die Sonne, die sich eine Zeitlang versteckt gehalten, strahlte plötzlich hell aus den Wolken, so daß es ein farbenfrisches Bild gab. Man sah die beiden weißen Mützen leuchten und den roten Schimmer des Attila, die blauen Waffenröcke der Dragoner, nur nicht Mister Easby.

– Eisbein fehlt! – rief ein dicker Berliner vom Aussehen eines Fleischers. Ein paar lachten über die Uebersetzung des englischen Namens, doch der Regierungsrat sagte energisch:

– Da ist er ja!

Bei diesem Rennen war Rittmeister Hendrich in der Loge, und er verkündete erschrocken, weil er auf den Cazaschen Stall gewettet:

– Easby hält an. Donnerwetter nochmal. Hält an. Der Schinder schont ja. Da scheint wahrhaftig ... die ollen Pedale haben mal wieder nachgelassen!

Eine Dame in der Nebenloge, die im Tattersall ritt und zu jedem Rennen erschien, doch nicht zum Turf gehörte, erklärte in affektiertem Englisch:

Broken down

Flush war wirklich ausgeschieden. Mister Easby saß sogar ab und führte sein Pferd an der Hand.

Maria da Caza verzog keine Miene. So viel wußte sie, daß Flush einer der besten Steepler ihres Mannes war, doch er hatte ja so viele andere, der Schluß der Saison stand vor der Tür und er besaß so viel Geld! So unglaublich viel Geld! Was machte es! Nur um das Rennen tat es ihr einen Augenblick leid. Zum erstenmal fast wünschte sie glühend einen Sieg. Dann würde drüben bei Ortenburgs von ihnen gesprochen werden.

Inzwischen hatten sich die sechs anderen schon weit entfernt. Das Feld lag weit auseinander: Die Entfernung war bedeutend, denn das große Herbstjagdrennen ging über sechstausend Meter. Der kleine Remer hielt sich tapfer auf dem dritten Platz, aber die beiden weißen Mützen vor ihm schien er doch nicht mehr erreichen zu können, und es sah bis zur Einlaufhürde aus, als würden sie das Rennen allein unter sich ausmachen. Da flatterte der Fuchs des Kürassiers am letzten Hindernis, sprang schief und verlor dadurch einige Längen. Er hatte den Ulan im Sprunge gestört, der verhalten mußte, um ihn nicht anzureiten. Das kam Leutnant von Remer zugute: es gelang ihm, seine Gegner einzuholen und ihnen sogar ein paar Längen Vorsprung abzugewinnen. Dann entspann sich ein erbitterter Endkampf zwischen den dreien. Die weißen Mützen rückten von Sprung zu Sprung wieder näher, aber Rhubarbe hielt sich tapfer und streckte sich, der Aufforderung ihres Reiters folgend, soviel sie konnte.

Eine gewaltige Aufregung hatte das Publikum ergriffen. Alles war von den Plätzen aufgestanden, sogar die Damen hatten sich erhoben. Man rief, schrie, fluchte, lachte, höhnte, feuerte an, stärker denn je zuvor.

– Vorwärts, vorwärts, go on! go on! – schrie man dem zweiten und dritten zu. – Rhubarbe! Remer! Feste! Los! Remer! Druf! Hurra! Bravo! Nicht nachlassen! – dem jungen Offizier, der noch der erste war. Doch immer näher schoben sich die beiden weißen Mützen. Mit jedem Strecken ihrer Pferde gewannen sie etwas an Boden. Der kleine Remer blickte sich nicht nach ihnen um: er ritt auf Tod und Leben, und vier Pferdelängen vor dem Ziel setzte er noch einmal alle Kraft des treibenden Gesäßes ein und schoß mit einem Ruck als erster durchs Ziel, während die anderen im toten Rennen auf dem zweiten Platze endigten.

Ein endloser Jubel erscholl, lautes Bravorufen, Siegesgeheul der Gewinnenden und ärgerliches Schimpfen derer, denen ihre Wette mißglückt. Der Cazasche Stall hatte das dritte Rennen am Tage gelandet.

Maria da Caza stand aufrecht in ihrer Loge, umbraust von der Aufregung, von dem Rufen, Schreien, Toben. Diesmal war sie selbst mit erregt geworden, und von der Anspannung der Nerven war ihr eine leichte Blutwelle ins Gesicht geflutet. Jetzt freute sie sich über den Sieg, eine Regung von Stolz auf die Leistungen ihres Mannes im Sport ließ ihr das Herz pochen.

Diesmal blieb man auf der Tribüne, in den Logen, in der Nähe des großen, vorn auf einem Tisch ausgestellten Silberhumpens, um die Überreichung des Ehrenpreises an den jungen Sieger zu sehen. Erwartungsvoll harrte die Menge am Platz, bis der kleine Leutnant von Remer kam, wie er eben vom Pferde, von der Wage gestiegen, bestaubt und beschmutzt vom weiten Ritt, mit aufgeschlagenen Waffenrockschößen, ein Gummiband an der Mütze, die Reitpeitsche in der Hand. Als er den Preis in Empfang genommen, rief man dreimal Bravo! und der junge Offizier nahm seinen Humpen, den er kaum schleppen konnte, unter den Arm.

Von allen Seiten streckten sich ihm Glückwunschhände entgegen, und man wollte das Prunkstück besehen, das er gewonnen. Er ward so umdrängt, daß er sich in die Cazasche Loge flüchten mußte, wohin ihn Herr da Caza geleitete. Strahlend hielt er Maria da Caza seinen Humpen entgegen:

– Mein erster Sieg, gnädige Frau!

Sie wünschte ihm Glück, während immer noch das Publikum dichtgedrängt die Loge umstand, und er zog ihre Hand an seine Lippen.

Maria da Caza wandte unwillkürlich den Blick zur Loge des Herzogs von Ortenburg. Die Herzogin schaute durch ihre Lorgnette herüber, daneben stand die Gruppe der Potsdamer Offiziere und Damen und hinter ihnen Graf Stassingk, der mit seinen hübschen, blauen Augen die stolze Frau ansah, groß und verzehrend, als wollte er sagen:

– Schön bist Du, Maria da Caza!


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