Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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IV.

Wieder strich Tag um Tag dahin, ohne daß Maria da Caza Graf Stassingk sah. Sie ritt im Tiergarten und traf ihn nicht, dann, als das Wetter schlecht ward und die Wege durchweicht, im Tattersall, wo er ein Pferd stehen hatte – er war nicht da. Wenn sie ausfuhr, spähte sie vergebens nach ihm, im Theater erblickte sie ihn nicht. Er fehlte im Zirkus, zeigte sich nicht in den Ausstellungen und war nicht in der Gesellschaft, wenn die da Caza ausgebeten waren. Ein Wohltätigkeitsbazar fand im alten Reichstagsgebäude statt – er fehlte.

Dennoch mußte es nur Zufall sein, daß sie ihn nicht sah, denn sie hörte immer hier und da von ihm erzählen. Frau von Lindstedt sagte geradezu:

– Warum waren Sie nur nicht im Bazar, gnädige Frau? Es war zu nett!

– Ich war da.

– Wann denn?

– Nachmittags.

Der Regierungsrat meinte schmunzelnd:

– Ja so! Sie hätten früh kommen sollen. Der 68

Stassingk war wieder mal losgelassen. An allen Tischen hat er herumgestanden, allen Damen was Nettes gesagt, unseren jungen Mädchen die Köpfe verdreht und nicht für – fünfzig Pfennige gekauft. Und beim Bazar ist das doch eigentlich den Damen das Liebste, damit sie recht viel abliefern können. Aber alles schwärmte nachher von ihm. 's ist wirklich ein Hauptkerl.

Dann kam Herr da Caza einmal in ihr weißes Boudoir:

–Maria, wir haben verschiedene Verpflichtungen. Paßt es dir, wenn wir zu Sonnabend einlüden? Da ist nichts los, soviel ich weiß. Ich dachte an ein Diner von zwanzig bis vierundzwanzig Personen. Vor allem müssen wir Graf Stassingk bitten.

Sie richtete sich von der Chaiselongue auf, legte ihr Buch beiseite und gähnte. Dann sagte sie:

– Ich bin einverstanden!

– Neulich forderte ich ihn auf im Klub – aber er fuhr den Abend fort. Er ist bis Freitag abend verreist, sagte er. Eben deshalb dachte ich an Sonnabend!

Maria da Caza beunruhigte es, daß er fort war. Wohin? wollte sie wissen, und doch wieder war es ihr ein Trost, nun bis zum Sonnabend Gewißheit zu haben, daß sie ihn nicht sehen könnte. So war er wenigstens bestimmt nicht bei der Prinzessin. Aber dann fiel ihr wieder ein, daß Stassingk sie doch eigentlich gar nichts anging. Sie lachte sich aus, als sie im nächsten Augenblick wieder an ihn dachte, doch sie gestand sich ein, daß etwas sie zu ihm zog, das ihr bisher fern gewesen.

Neben ihrem Manne lebte sie nahezu fremd, seit Jahren schon, doch sie empfand es nicht sehr. Es genügte ihr, zu glänzen, Erfolge zu haben, bewundert und umschwärmt zu werden. Die Stellung, die sie sich durch ihre Schönheit, ihren Liebreiz geschaffen, war ihr ganzer Ehrgeiz gewesen, und das sich zu erhalten, vielleicht noch zu verbessern, ihr einziges Sinnen.

Nun war Ruhe eingekehrt. Sie ging ihrem gewöhnlichen Lebenslaufe nach: sie schlief bis zehn Uhr, dann kleidete sie sich nach dem Bade an und fuhr in den Tattersall, um dort eine Stunde zu reiten. Ein Begleiter fand sich immer. Nachmittags, nach dem Lunch machte sie Besuche, fuhr spazieren und nach dem Diner ging es ins Theater oder sie waren ausgebeten. Ein ruhiger Tag kam fast nie, und wenn Herr da Caza den Klub aufsuchte, so sagte sie sich irgendwo an oder traf eine Verabredung.

Aber diesen Lebenslauf kannte sie nun aus dem Grunde, und wenn sie es sich recht überlegte, so war er doch eigentlich trostlos, denn am Montag schon wußte sie, was nun die ganze Woche hindurch kommen würde, als ob es ein vorgezeichnetes Programm wäre, das man erfüllen mußte, ob man wollte oder nicht. Einen Zweck hatte es nicht, ein Ziel fehlte.

Nun gab es plötzlich ein Ziel. Die Herren ihrer Bekanntschaft huldigten ihr alle, es klang immer lauter oder leiser aus ihren Worten, wie schön sie sei. Daß die Leute, wenn sie ritt, fuhr, ging, wenn sie in Gesellschaft war, im Theater, wo sie sich zeigte, nach ihr fragten, nach ihr sahen – das war ihr schon gewohnt und gleichgültig geworden. Nun aber trat in ihren Kreis Stassingk, der allen Frauen zu gefallen schien, und dem, wie sie sich mit flüchtigem Unbehagen sagte, auch alle Frauen gefielen. Dieser Stassingk, der noch dazu mit der Prinzessin Löwengaard geradezu zusammengenannt wurde. Das war ihr Ziel.

Sie wollte diese Prinzessin schlagen und verdrängen, diese dickliche Prinzessin, die es nicht der Mühe wert hielt, sich ihr zu nähern, die doch schon Frau gewesen, als jene den ersten Mädchenschritt in die Gesellschaft getan, die in den Kreisen eingeschlossen schien, die sich um die Cazas nicht kümmerten. Sie wollte die anderen Damen schlagen, die alle ihrer Schönheit doch nicht das Wasser reichten.

Graf Stassingk sollte bei ihnen verkehren wie die anderen, die sich einfach ansagten, wenn es ihnen paßte, wie Rittmeister Hendrich und sie alle, die sich in ihre Loge setzten, mit ihr ritten, die sie begleiteten und umgaben, die einen Platz auf der Cazaschen Coach vorzogen vor einem solchen auf dem Viererzuge des Herzogs von Ortenburg. Graf Stassingk sollte in ihr Lager übergehen.

Zu dem Diner gab sich Maria da Caza besondere Mühe. Sie, die sonst dem Haushofmeister das meiste überließ, ordnete diesmal alles selbst an. Sie wog mit dem Koch genau das Menü ab, daß es etwas Außerordentliches wäre an Auswahl und Zubereitung, und doch bis zu einem gewissen Grade einfach. Das Diner sollte besser sein, als man es irgendwo bekam, nur nicht zu viel, damit es nicht eine protzige Art gewönne und man sagen könne, es sei keine Kunst, denn mit Geld wäre eben alles zu machen.

Im Zimmer ihres Mannes fand sie auf einem Seitentischchen, das, bei Lampenbeleuchtung zumal, ziemlich im Schatten stand, eine türkische Decke, die ihr nicht gefiel. Sie dachte daran, daß Graf Stassingk, der doch eben erst aus dem Orient zurückgekehrt, verwöhnt sein würde in seinem Geschmack, und sie ging in die Orientbazare, um dort eine Stickerei zu suchen, wie sie einzig wäre in ihrer Art. Dann erstand sie eine kleine, von Künstlerhand entworfene Decke, die ihr Peter Stöckl aus dem Atelier eines Freundes vermittelt hatte, um eine bedeutende Summe.

Herr da Caza war ganz erstaunt über die Veränderung, da seine Frau sich sonst kaum in sein Zimmer verirrte, in dem in prachtvoller Ausstattung von persischen Diwans, Teppichen, orientalischen Waffen und Pferdebildern der verschiedensten Art als einzig Gedrucktes die Sportzeitungen zu finden waren und die letzten Jahrgänge des englischen wie des deutschen Rennkalenders.

Maria da Caza suchte eigens eine Toilette aus, die ihrer Schönheit besonders stand: sie verwarf die reichen, prachtvollen Kleider, die sie besaß, und zog ein glattes, weiches, ausgeschnittenes Gewand an aus vieil-or-Seide mit rubinroten Aermeln. Nicht ein Schmuckstück legte sie an.

Um acht Uhr war das Diner. Eine Viertelstunde vorher saß sie im Salon in ihrer schmucklosen, stolzen, einfachen Schönheit. Herr da Caza im Frack und weißer Weste, mit einem roten Ordensbändchen im Knopfloch, ging unruhig auf und ab. Ehe die Gesellschaft kam, war er immer so.

Zuerst erschien Rittmeister Hendrich, der als Hausfreund sofort nach dem Toilettenzimmer des Hausherrn wieder verschwand, um sich die Hände zu waschen. Er hatte sie sich beim Aussteigen aus der Droschke beschmutzt. Dann kamen Selbottens, und der Graf fragte unter großer Fröhlichkeit seine Frau:

– Sollen wir helfen Lichter anstecken?

Die nächsten, aber erst nach fünf Minuten, waren Lindstedts, mit ihnen zugleich erschienen Mister Easby, Leutnant von Remer und Rittmeister von Vandelow, ein kleiner Husar mit mächtigem Schnurrbart, doch stark gelichtetem Haar, endlich der österreichische Attaché Ritter Boljèn von Boljena.

Der Regierungsrat hatte sofort Maria da Caza bewundert. Er schlug die Hände zusammen, musterte sie noch einmal und rief entzückt:

– Nein, nein, nein, nein, meine verehrteste gnädigste Frau, wie Sie wieder einmal aussehen! Nein, nein und diese Einfachheit! Nein, nein, nein.

Maria da Caza lachte ihn aus wegen seiner Ueberschwänglichkeit, und er fing eben eine neue Begeisterungshymne an, als die Charriers eintraten. Die Eltern nebst zwei Töchtern, blonde Mädchen, von denen die ältere eine auffallend prächtige Figur besaß, aber unregelmäßige, wenn auch angenehme Züge, die jüngere dagegen klein und unansehnlich war wie ihre Mutter. Dafür hatte sie einen edlen, fast klassischen Kopf, dem sie durch die antike Haartracht noch den richtigen Stil verlieh.

Professor Charrier von der Akademie, ein schlanker Mann mit grauem Patriarchenbart, der das Kunststück fertig gebracht, noch in reiferem Alter zu der Malweise der Jungen überzugehen, hatte eben Maria da Caza die Hand geküßt, als die übrigen Gäste: Baron und Baronin Aspern, Bankier Horn mit Frau, Peter Stöckl, Herr von Nyvenström und Graf Stassingk zugleich eintraten.

In dem allgemeinen Begrüßen und Vorstellen hatte die Frau des Hauses nicht Zeit bei einem einzelnen länger zu verweilen. Sie konnte Graf Stassingk nur die Worte sagen:

– Es freut mich, daß Sie gekommen sind. Wir haben bisher Unglück mit Ihnen gehabt!

Er neigte sich auf ihre schlanke, schöne Hand:

– Das tut mir aufrichtig leid, gnädige Frau. An mir soll es nicht fehlen. Ich werde kommen, wo und wann Sie befehlen!

Seine hellen, blauen Augen lachten sie freundlich an, die Antwort hatte allgemein verbindlich geklungen, wie er gegen jede Dame zu sein pflegte, und doch war es ihr, als ob etwas Besonderes darin gelegen, das über die allgemeine Höflichkeit hinausging.

Der Hausmeister meldete das Diner, und Herr da Caza reichte der alten Baronin Aspern den Arm, dann folgten Professor Charrier mit Gräfin Selbotten, Herr Horn mit Fräulein Charrier der Zweiten, Herr von Nyvenström mit Frau von Lindstedt, Graf Selbotten mit Frau Charrier, Graf Stassingk mit Frau Horn, der Regierungsrat mit Fräulein Charrier der Ersten, und am Schluß, vom alten Baron Aspern geführt: Maria da Caza.

Die übrigen Herren folgten einzeln.

Es ging durch mehrere Zimmer, durch eine Galerie mit Glasdach, wo Gemälde hingen und exotische Pflanzen standen, in den hohen bis zur Decke hinauf in Eiche geschnitzten Speisesaal, der in elektrischem Licht strahlte. in bunten Blumen von den Wanden leuchtend. Die Tafel war mit Orchideen übersät. Eine Schar von Dienern in rotseidenen Escarpins und schwarzen Fräcken mit silbernen Achselschnüren rückten die Stühle.

Maria da Eaza hatte Stassingk so gesetzt, daß sie ihn bei Tisch schräg gegenüber sehen konnte, zwischen Frau Horn, einer jungen, hübschen Frau, die beim Lachen gern ihre schönen Zähne zeigte, und Rittmeister Hendrich. Als sie sich niederließen, trafen sich ihre Blicke. Sie schien zu fragen: Habe ich recht getan? Deine Nachbarin ist dir doch hübsch genug!

Bald entspann sich ein lebhaftes Gespräch. Auf der einen Seite führte wie gewöhnlich der Regierungsrat das Wort. Er lachte, kolportierte seinen Tageswitz, kniff die Augen zu, schielte in den kleinen Ausschnitt der schönen Figur des Fräulein Charrier der Ersten und leerte häufig sein Glas. Auf der anderen Seite des Tisches sprach man durcheinander.

Graf Stassingk erzählte mit gedämpfter Stimme etwas der Frau Horn, die noch öfters die Zähne von den Lippen entblößte als sonst, so daß Maria da Caza sich sagte, es müsse amüsant sein, was er redete. Sie freute sich darüber. Er sollte sich unterhalten das erste Mal, da er sich in ihrem Hause befand, und eine Regung von Eifersucht konnte ihr fern bleiben, denn Herr Horn war so eifersüchtig, daß ein ernstliches Hofmachen bei seiner Frau wenig Aussicht auf Dauer bot.

Während Stassingk sprach, ließ er immer einen Blick zur Frau des Hauses hinübcrgleiten. Sie saß jetzt ruhig da, weil ihre beiden Nachbarn sich gerade nach der andern Seite zu unterhielten: der alte Baron Aspern mit Frau von Lindstedt und Professor Charrier mit Gräfin Selbotten.

Maria da Caza suchte etwas zu verstehen, aber sie konnte nur ab und zu ein Wort auffangen, das Frau Horn sprach, wahrend Graf Stassingk zu leise redete. Sie glaubte aus den Brocken, die sie hörte, zu entnehmen, daß von der Riviera die Rede sei, und deshalb warf sie über den Tisch etwas hin wie eine Frage, ob Horns diesen Winter nach dem Süden gingen.

– Nein, wir können leider nicht, aber Graf Stassingk will gern nach Bordighera, – antwortete die Bankiersfrau. Graf Stassingk fügte hinzu:

– Wenn ich Urlaub kriege!

Da fühlte Maria da Caza, wie sie erschrak. Er wollte fort? Dann wäre sie allein gewesen? Und sie fragte gedehnt:

– Sie wollen nach Bordighera?

– Ich möchte schon.

– Gefällt es Ihnen denn nicht in Berlin?

– Gewiß, gnädige Frau, mir gefällt es eigentlich überall. Wenigstens hat mir's bisher, wo ich immer war, gefallen!

Frau Horn warf mit leichter Anspielung ein, weil auch sie von Graf Stassingks plötzlicher Ablösung in Konstantinopel gehört, indem sie die Zähne zeigte und fragend den Kopf hinten überfallen ließ:

– Tut es Ihnen denn aber nie leid fortzugehen? Man hat doch im Laufe der Zeit Freunde gewonnen, von denen einem der Abschied sauer wird?

Er entgegnete ausweichend: Dazu muß man eben länger an einem Orte sein, nicht wahr?

– Allerdings ...

Doch Maria da Caza stimmte nicht bei, sondern antwortete, indem sie den Worten einen Klang gab, als fordere sie endlich Bestimmtheit:

– Es würde Ihnen jetzt nicht ungelegen kommen, fort zu müssen?

Er zögerte. Da die Bankiersfrau eben von Graf Selbotten angeredet worden war und die ganze Nachbarschaft sich in angeregter Unterhaltung befand, richtete sich Maria da Caza noch mehr auf, beugte ihre schönen Schultern eine Spur über den Tisch, ließ die Augen auf dem jungen Diplomaten ruhen, als dürfe er einer Antwort nicht ausweichen, und fragte:

– Wenn Sie heute abend zum Beispiel, wenn Sie nach Hause kommen, eine Order vorfänden, die Sie auf einen neuen Posten schickt, irgendwo weit fort, weit ... ganz weit ... würde Ihnen das ungelegen kommen?

Immer noch zögerte er, dann blickte er sich am Tische schnell um. Alles schien in die eigene Unterhaltung vertieft:

– Ich weiß noch nicht! ...

Eine plötzliche Gesprächspause trat ein, dann wandte sich Professor Charrier zu Maria da Caza:

– Gnädige Frau, werden Sie denn diesen Winter nicht ein milderes Klima aussuchen?

Von der anderen Seite fing der alte Baron an, indem er den weißen Kopf fragend schief hielt:

– Wie steht es denn mit Reiseplänen diesmal?

Sie hatten mit halbem Ohr vorhin etwas von Bordighera gehört und freuten sich, der Mühe enthoben zu sein, für das Gespräch ein eigenes Thema zu suchen.

Der Regierungsrat drüben hatte das nicht nötig. Er war unerschöpflich in Einfällen, da nun schon gegen Ende der Tafel der Champagner ihm die Zunge gelöst hatte. Die alte Baronin links überließ er ihrem Schicksal. Er unterhielt sich nur mit Fräulein Charrier, deren anderer Nachbar, der Ritter Boljen von Boljena in englischer Sprache mit Mister Easby über Rennenreiten sprach.

– Wissen Sie, mein gnädigstes Fräulein, Sie als Sohn Ihres Vaters, Pardon Tochter Ihrer Frau Mutter, die so wunderbar Klavier spielt, sollten doch wenigstens singen oder so was? Singe, wem Gesang gegeben, und Sie, man braucht Sie bloß anzuhören, sind doch sozusagen vorherbestimmt zum Singen!

Fräulein Charrier lachte, daß sie ganz rot ward:

– Warum denn, Herr von Lindstedt?

– Wegen Ihres Organs. Sie reden wie die reine Glocke von Schiller. Können Sie nicht was deklamieren? Wissen Sie was, mein gnädigstes Fräulein, nach Tische müssen Sie uns was deklamieren!

– Ich kann ja aber nichts. Ich kann überhaupt nicht deklamieren und habe es nie getan.

– Ganz einerlei. Desto besser, dann klingt's nicht nach Schule. Die Tochter eines Künstlers muß doch alles können, was ins Fach schlägt. Sehen Sie mal den Graf Stassingk an, der kann alles, was in sein Fach schlägt: Tanzen, Fechten, Reiten, Schießen, Diner essen, afternoon- teas trinken, in die Gesellschaften laufen, den Damen die Cour schneiden, unterhalten ...

– Ja, das kann er allerdings! Vorzüglich! – antwortete sie und mit einer gewissen Sicherheit des jungen Mädchens einem verheirateten Manne gegenüber, der ihr außer dem Spiel zu sein scheint, mit dem sie also schon einen Scherz machen darf, fügte sie hinzu:

– Das kann er noch besser als Sie, Herr von Lindstedt!

– Nanu, als ich? Cour machen?

– Nein, ich meine natürlich bloß unterhalten.

– So, was hat er Ihnen denn vorhin vor Tisch gesagt?

– Er freue sich, unsere Bekanntschaft zu machen, sagte er zu mir und meiner Schwester.

– Weiter nichts?

– Und er hoffte, uns noch öfters zu treffen!

– Wo?

– Nun, hier bei Cazas!

– Und das war alles?

– Nein, dann sagte er noch zu uns, er hätte Papas Bild: »Die Schwestern« bei Schulte gesehen – das sind wir nämlich – und wäre entzückt gewesen!

In das Stuhlrücken des Aufstehens mischten sich des Regierungsrats Worte:

– Na, das ist doch nichts Besonderes, das hätte ich Ihnen auch sagen können, mein gnädigstes Fräulein!

Während sie seinen Arm nahm, entgegnete sie schnippisch:

– Aber Sie haben's nicht getan!

– Dafür haben Sie sich nicht über mich geärgert.

– Ich habe mich gar nicht geärgert. Durchaus nicht!

– Sieh mal einer an! 's ist doch einer, der Stassingk. Dafür bin ich auch nur ein alter Ehemann!

Er schnalzte halb bedauernd, halb erstaunt mit der Zunge, während Graf Stassingk, als sie im Salon angekommen waren, im Gedränge des Gesegnete-Mahlzeit- Wünschens Fräulein Charrier der Ersten eine leichte Verbeugung machte. Er stand ihr einen Augenblick gegenüber. Mit den Augen suchte er Maria da Caza, aber er wollte nicht stumm bleiben und irgend etwas sprechen. So sprach er mit verbindlichem Lächeln, doch im Grunde zerstreut:

– Ich habe, wie ich Sie bei Tisch von weitem sah, immer an das Bild gedacht!

Dann war er davon, um den anderen ein paar Worte zu sagen. Das junge Mädchen aber strahlte über das ganze Gesicht und war glücklich.

Sobald die Gesellschaft in den Salon zurückgekehrt war, wurden Kaffee, Likör, Zigarren und Zigaretten herumgereicht, und die Herren zogen sich langsam in Herrn da Cazas Zimmer zurück, um dort auf den Diwans Platz zu nehmen. Der österreichische Attaché begrüßte Peter Stöckl als Landsmann. Leutnant von Remer, Mister Easby, Rittmeister Vandelow und Graf Selbotten bildeten eine Sportecke, wahrend Bankier Horn, der mehr wie ein Offizier in Zivil ausschaute, sich mit dem alten Baron in ein Gespräch über die Sicherheit russischer Werte vertiefte.

Professor Charrier, Herr von Nyvenström und Graf Stassingk waren im Salon bei den Damen geblieben. Herr da Caza ging hin und her, um voll peinlichster Genauigkeit mit jedem seiner Gäste eine bestimmte Zeit zu sprechen. Dabei nahm er von allen Anwesenden nur seine Frau aus, weil er es für korrekter hielt, wenn das gastgebende Ehepaar den Abend hindurch überhaupt nicht tat, als kannte es einander.

Die Damen hatten sich im Anfang zusammengesetzt, erst allmählich begannen sie sich zu verteilen. Die alte Baronin Aspern stand an einem Fenster mit dem schwedischen Gesandtschaftssekretär, dessen Schwester einen entfernten Verwandten von ihr – Kavallerieoffizier in Thorn – geheiratet hatte. Das gab Berührungspunkte. Der Professor saß mit Graf Selbotten und Maria da Caza am Kamin und erzählte eine Geschichte, wie er die regierende Fürstin von Osterode hätte malen sollen oder nicht, und dann wieder doch, und endlich doch nicht ... so weitschweifig, daß seine Zuhörerinnen nicht zur Klarheit gelangen konnten, ob er sie nun eigentlich gemalt hatte oder nicht.

Ihnen gegenüber stand Graf Stassingk im Kreise der übrigen Damen und plauderte von den Schönheiten Stambuls. Halb träumerisch, wie von einem verlorenen Paradiese, halb scherzhaft von allen möglichen und unmöglichen Zuständen. Maria da Caza forderte die Damen auf, sich zu setzen, und nun ward am Kamin ein Kreis gebildet, in dessen Mitte er Platz nahm.

Frau Horn schob sich ihren Stuhl näher:

– Erzählen Sie weiter! Erzählen Sie weiter!

Nun kam auch die alte Baronin Aspern herüber, um zuzuhören. Herr von Nyvenström schlich sich fort zu den anderen Herren. Der Professor sagte zu Maria da Caza:

– Gnädige Frau, ich komme nachher noch mal einen Sprung zu den Damen, aber Ihr Herr Gemahl hat so wundervolle Zigarren, daß es wirklich eine Sünde wäre, ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!

Nun waren die Damen mit Graf Stassingk allein.

– Wollen Sie denn nicht rauchen? – fragte ihn Maria da Caza. Er entgegnete, mit leisem Lächeln den Kreis betrachtend um ihn herum:

– Ich bleibe lieber bei den Damen! Hier ist es viel netter, und den Tabakrauch kann ich nicht vertragen. Ich fühle mich immer am angenehmsten bei den Damen.

Dabei blickte er der Reihe nach alle die Damen an und richtete eindringlich mit Stimme und Auge an jede einen Teil seiner Rede, so daß jede im stillen mehr oder weniger das Gefühl hatte, als gälte das alles eigentlich ihr allein.

Graf Stassingk hatte, ohne daß er eine gegen die andere verstimmte, wieder alle für sich gewonnen.

Nur Maria da Caza nahm nicht teil wie die übrigen. Sie lehnte sich in ihren kleinen, mit schwerer Seide überzogenen »Fauteuil Marquise« und ließ lässig die schlanken und doch vollen Arme auf den beiden Lehnen ausgestreckt ruhen. Aber sie betrachtete unausgesetzt den Erzähler. Es war ihr weh, daß er sich so der Allgemeinheit gab, sie hätte ihn für sich haben mögen, in einem der Nebenzimmer, oder ganz drüben am Ende der Zimmerreihe in ihrem weißen Boudoir.

– Sind Sie auch in Spanien gewesen, Herr Graf? Mein Mann hat prachtvolle Skizzen mitgebracht von dort. Er war auf einer Studienreise als junger Mann in Sevilla, Granada ... – begann Frau Charrier zu fragen. Graf Stassingk antwortete höflich:

– Jawohl, gnädige Frau, ich bin im Lande der Stiergefechte bei der Botschaft gewesen ... und ...

Mit angehaltenem Atem hatten die Schwestern gelauscht, nun forderten sie fast zu gleicher Zeit:

– O, erzählen Sie uns von den Stiergefechten ...

Frau Horn rückte ihren Stuhl noch näher:

– Ja, von den Stiergefechten, das muß doch schaurig sein ...

Die alte Baronin aber hob abwehrend die beiden mageren Hände:

– Um Gotteswillen, diese Stiergefechte sind eine Roheit, eine empörende Roheit. Meine Tante – ein Galbenow, hatte eine Freundin, die alte Gräfin Tresich, dieselbe, der Friedrich Wilhelm der Vierte sagte... wie war's doch, ich bring's nicht zusammen ... also die hatte einen Sohn, Karl Friedrich, er heiratete später eine Tochter vom Wildenburger Trebbin, die sagte mir, ihr Sohn hätte mal ein wirkliches Stiergefecht gesehen, und erzählt, wie fürchterlich das ist, und die alte Tresich hielt sehr scharf auf die Wahrheit ...

Man ließ die alte Dame ruhig reden. Graf Stassingk gab ihr vollkommen recht, schilderte jedoch die Stiergefechte, als wären es die unschuldigsten, kleinsten Sonntagsvergnügen der Welt.

Während er sprach, erhob sich Maria da Caza. Die kleine Selbotten blickte sie fragend an, doch sie machte ihr ein Zeichen, daß sie ruhig sitzen bleiben sollte, und die anderen nahmen an, Haussorgen führten sie einen Augenblick fort. Sie aber schritt langsam in das Nebenzimmer, einen kleinen Salon, in dem ein prachtvoller, alter, venetianischer Kronleuchter hing. An einer mächtigen Spiegelwand brauste in Kaskaden ein Wasserfall im kleinen herab, um in ein Becken zu fallen, auf dessen Grunde elektrisch leuchtende Wasserrosen und Lilien glühten, sich emporrankend an einem Felsen, aus dem ein dünner Springbrunnen in von unten farbig erhellter Säule stieg.

Dort blieb sie stehen und rang nach Atem. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Sie konnte es nicht mit ansehen, daß er mit allen sprach, daß er sich allen gleichmäßig widmete. Sie wollte nicht mit den übrigen Damen in Wettbewerb sein um seine Unterhaltung. Sie trat vor den großen Spiegel, sich darin zu betrachten. Sie freute sich ihrer Schönheit, sie streckte sich stolz und wendete sich, daß das Licht von der Seite auf ihre Gestalt fiel. Schöner war sie doch, wie die da drinnen. Schöner wie alle zusammen.

Eine jähe Angst überfiel sie, der Abend möchte verstreichen – denn es war schon spät geworden – ohne daß sie mit ihm allein gesprochen. Und doch wußte sie wiederum nicht recht, wozu? Was würde sie ihn fragen, das sie ihn nicht vor den anderen Damen fragen könnte?

Nur reden mußte sie mit ihm, nur reden! Er sollte mit ihr allein sprechen, daß die anderen sähen, wie er sich um sie bekümmerte. Sie hatte bemerkt, welchen Eindruck er auf die Damen alle gemacht, durch nichts Besonderes, durch nichts und doch durch alles. Es gab schönere Männer als er, geistreichere und klügere, aber sie waren nicht so wie er. Er hatte nichts Besonderes gesprochen, was ein anderer nicht auch hätte sagen können – aber wie er es sagte ....

Da hörte sie ihres Mannes Stimme im großen Salon. Ein paar Damen standen auf, und dann klang das Lachen des Professors, die nasale Aussprache des österreichischen Attachés: die Herren waren erschienen.

Maria da Caza zögerte einen Augenblick, ob sie zurückgehen sollte, als sie den Regierungsrat sagen hörte, laut, wie er immer sprach:

– Sie haben ja wieder mal eine ganze Jemeinde von Damen um sich versammelt, mein lieber Stassingk, wie ein Pariser Fastenprediger ...

Das war ihr wie ein Stich, der ihr versetzt wurde, und sie ging durch das anstoßende Erkerzimmer, in dem längs der Wände auf kleinen und großen Konsolen die Renngewinne ihres Mannes standen, eine wahre Schatzkammer an Edelmetall: Bildsäulen, Bowlen, Humpen, Pokale, Becher, Tabletts. Dann floh sie durch die Bibliothek, als ob sie verfolgt würde, und huschte in ihr Weißes Boudoir. Dort erst blieb sie stehen, um zu lauschen. Kein Laut mehr drang zu ihr. Aengstlich horchte sie noch einmal, und ihr Herz klopfte.

Es war ihr wieder wie Ersticken. Sie verstand sich nicht. Sie, die sonst so unbewegt, fast kalt durchs Leben ging? Sie warf sich auf das fellbedeckte Lager, sprang wieder auf und ging ans Fenster, in fieberhafter Unruhe. Dort schlug sie den Spitzenshawl zur Seite und blickte hinaus über den Vorgarten nach der Tiergartenstraße, die dort hell erleuchtet menschenleer lag. Wie sie sah, daß da keine Seele ging, dachte sie an die Zeit: es mußte also spät sein, wenn sie auch keine Ahnung hatte, wieviel Uhr. Und nun bemerkte sie auf dem Wege zur Ausfahrt der Villa Lichtschein, der sonst nicht dort war: eine Equipage wartete. Da dachte sie an ihre Gäste, die sich vielleicht schon über ihre Abwesenheit gewundert.

Zugleich kehrten ihre Gedanken zu Stassingk zurück, und Bitterkeit und Wut überfiel sie, daß sie fast den Tränen nahe war. Wenn er sich den ganzen Abend noch nicht um sie bekümmert, so war es nun überhaupt zu spät. Jetzt war sie zu stolz, um etwas zu bitten: mochte er nur bei den anderen Damen bleiben. Sie würde nicht mehr mit ihm reden heute abend.

Hastig wandte sie sich um, in den großen Salon zurückzueilen – und Graf Stassingk stand vor ihr. Sie hatte sein Nahen auf den dicken Fellen am Boden nicht gehört.

Maria da Caza prallte zurück, doch sie faßte sich sofort wieder:

– Ah, Graf Stassingk, Sie wollen wohl gehen?

– Nein, gnädige Frau, ich wollte Sie suchen.

– Jetzt noch?

Er blickte ihr gerade in die Augen:

– Warum verdiene ich diesen Vorwurf?

– Weil Sie den ganzen Abend nicht mit mir gesprochen haben!

– Ich wollte nicht!

– Sie wollten nicht?

– Nein, ich wollte nicht!

– Warum?

Er ließ seinen Blick über die schöne Frau vor sich gleiten, als müsse er ihre Gestalt einsaugen und verzehren:

– Ich hatte Angst ...

Maria da Caza ahnte irgend etwas Unbestimmtes, doch sie verstand ihn nicht. Sie wiederholte von neuem seine Worte, unsicher, fragend:

– Sie hatten Angst? ... Wovor?

– Vor Ihnen.

Beide schwiegen. Maria da Caza sah ihn seltsam bewegt, wie er tiefer atmete, wie sein Auge glänzte und er mit sich zu kämpfen schien, ob er weitersprechen sollte. Da klangen Stimmen durch alle die geöffneten Türen, und sie lauschten plötzlich beide ängstlich, als ob sie schlechtes Gewissen hatten. Er machte eine Gebärde:

– Es ist im Zimmer, wo die Rennpreise stehen. Die jungen Mädchen hatten sie noch nicht gesehen und wollten sie sich zeigen lassen, da bin ich vorhin mitgegangen. Ich bin ja zum erstenmale hier ... Ich ging dann weiter ...

Maria da Caza hörte kaum mehr darauf. Sie fragte schnell:

– Warum hatten Sie Angst vor mir?

Er betrachtete sie wieder in Bewunderung, und sein Geständnis klang ehrlich, wie er es meinte:

– Sie sind zu schön!

Er schlug die Augen nieder. Er erzählte leise, weich, eindringlich, schlicht, als müsse er ihr das sagen, alles, wie er es fühle:

– Sie sind die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Als ich Sie den ersten Abend sah auf dem Balle, da wußte ich es schon. Wie mit einem Schlage wußte ich es. Aber ich durfte es doch nicht sagen und durfte es nicht zeigen. Da schon hatte ich nicht den Mut, Ihnen zu nahen. Das ist der wahre Grund. Ich dachte mir, wenn du einmal ihr zu nahe kommst, dann ... ich konnte nicht, ich wollte nicht, ich hatte den Mut nicht dazu! Immer, wenn ich mit allen den andern sprach, dachte ich: Was seid ihr gegen diese eine. Aber allein, wirklich allein mit Ihnen zu sprechen ... nein ... nein, dazu hätte mir der Mut gefehlt. Denn sobald ich Sie wirklich allein gesehen hätte, hätte ich es Ihnen auch sagen müssen, wie schön Sie sind ...

Mariia da Caza atmete tief, und er verzehrte sie mit den Blicken. Sie fragte:

– Warum kümmerten Sie sich nicht heute um mich?

– Ich hatte Angst, mit Ihnen allein zu sprechen, und vor den anderen wollte ich nicht die banalen Redensarten gegen Sie gebrauchen, die man so in der Unterhaltung anwendet. Denn ich habe mich nur immer mit den Frauen unterhalten – wo es war – als guter Gesellschafter, aber bei Ihnen ... bei Ihnen ... nein, bei Ihnen nicht ...

Sie wollte es noch einmal hören, es klang ihr in den Ohren wie süße, unwiderstehliche, berauschende Musik und sie fragte wieder:

– Warum bei mir nicht?

– Weil ... weil ... Sie anders sind ... Sie sind zu schön ...

Zögernd kam es von ihren Lippen:

– Und andere?

– Sie sind nicht wie andere, wie keine andere, keine auf der ganzen Welt. Das wollte ich Ihnen sagen und darf es doch nicht. Fand nicht den Mut. Nun habe ich's getan!

Befreit, erleichtert trat er einen Schritt zurück mit lachenden Augen, und, wie Maria da Caza dünkte, trotz allem treu und ehrlich. Auch sie fühlte sich, als sei ihr eine Last von der Seele gefallen. Nun wußte sie es, daß er sie schön fand, daß die anderen ihm nichts galten. Aber bloß eine Sekunde war sie stolz darauf, dann durchschauerte es sie. Sie streckte verlangend die Hand nach ihm aus, und er küßte ihre Hand.

Da klangen die Stimmen deutlicher näher, nun schon in der Bibliothek daneben.

Maria da Caza hielt noch seine Rechte. Gedämpft sagte sie:

– Wissen Sie nun, ob Sie in Berlin bleiben möchten?

Er drückte einen glühenden Kuß auf ihren schönen, vollen Unterarm dicht über dem schlanken Gelenk.

Als Rittmeister Hendrich mit den Schwestern Charrier eintrat, hatte sie ihre ganze Sicherheit wieder: die Ruhe nach dem Siege.


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