Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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V.

Nun hatte Maria da Cazas Leben endlich einen Inhalt gewonnen. Sie fragte nicht mehr danach, ob »man« hier und dort gewesen sein mußte, ob es auffiel, wenn sie nicht erschien, ob es wünschenswert wäre, daß sie sich zeigte. Der Schwarm ihrer Bewunderer war ihr höchst gleichgültig geworden.

Marlia da Caza fragte nur nach dem einen, wo sich Graf Stassingk befand, wann und wo sie sich sehen würden. Sie dachte nur an ihn und gab sich auch gar keine Mühe, es zu verbergen. Ihr Gatte, der sich nun seit Jahren nicht anders als rein äußerlich um sie zu kümmern schien, war ihr einerlei. Sie hatte nicht das Gefühl, ihn zu verletzen, in seine Rechte einzugreifen.

Jetzt wußte sie: was nur dumpf in ihr gelebt, war ihr mit der Szene im weißen Boudoir klargeworden in einem Augenblick. Sie hatte Stassingk nicht an ihren Triumphwagen spannen wollen, um vor den übrigen Damen etwas voraus zu haben, sie wußte, daß sie ihn liebte, daß sie ihn liebte sinnlos, rasend. Es schien ihr, als müsse es immer gewesen sein, vom Augenblick an, wo er damals auf dem Lindstedtschen Balle in den Saal getreten und Rittmeister Hendrich ihn ihr gezeigt mit den Worten:

– Da ist er.

Er war da. Er war plötzlich in ihrem Leben erschienen.

Wenn sie darüber sann, so schien es ihr immer mehr, als hätte es so werden müssen, als sei sie für ihn bestimmt gewesen, als habe sie diese Jahre hindurch auf ihn gewartet, bis er aus dem Orient wiederkäme. Als sie eines Nachmittags im Tattersall zusammen ritten, und die Bahn fast leer war, nur ein Bereiter in der einen Ecke sein Pferd abbog, da fragte sie ihn:

– Haben Sie denn wirklich, wie Sie nach Berlin kamen, gleich an mich gedacht?

Er neigte sich von seiner Stute leicht zu ihr herüber und flüsterte:

– Nur an Sie, nur an Sie habe ich gedacht.

Ein andermal, als sie sich wie zufällig bei Schulte trafen und die kleine Selbotten, mit der sie gekommen, etwas zur Seite vor einem Bilde geblieben war, fragte er:

– Gnädige Frau, sind Sie morgen nachmittag zu Hause? Ich muß Ihnen etwas sagen!

– Ich habe leider ein paar Damen zum Tee.

– Das ist schade!

Er blickte sie traurig an, so daß sie sofort vorschlug:

– Ich sage ihnen ab.

– Nein, das dürfen Sie nicht, meinetwegen nicht ...

Schnell flüsterte sie noch:

– Kommen Sie gegen halb sieben. Dann sind die Damen fort. Sie gehen immer pünktlich ein Viertel ... Dann kam die kleine Gräfin heran:

– Maria, hast Du das Bild dort gesehen?

Sie zog die Freundin zurück, um eine etwas philiströse, brav gemalte Leinwand zu betrachten, die ihrem einfachen, wenig gebildeten Geschmack entsprach.

Stassingk blieb stehen. Er schaute der königlichen Gestalt Maria da Cazas nach, wie sie über den Teppich nach der anderen Seite schritt. Stundenlang hätte er sie betrachten mögen: solch eine Frau gab es nicht wieder auf der ganzen Erde. Dieser Caza hatte Glück gehabt! Dabei schien er es gar nicht einmal zu würdigen, dieser korrekte, tadellose Rennmann, den eine warme Sehne im Stall mehr bekümmerte als alles, was die schönste Frau anging, die je einen Rennplatz betreten.

Graf Stassingk empfand etwas wie eine Gegnerschaft gegen diesen Mann, als seien sie beide nun einmal einander in der Zukunft als Feinde gegenübergestellt und bestimmt. Denn Maria da Caza hieß sein Schicksal. Wie ein leichtes Grauen, mehr ein Staunen fast überfiel es ihn, wenn er dachte, daß diesmal mit dieser Frau sein Herz Anteil zu nehmen schien und es ernst für ihn ward. Fast jeder Winter, fast jeder Ort führte ihn mit Frauen zusammen, an die er sein Herz verlor. Doch bisher noch immer war er unter dem lächelnden Mund und schönen Auge einer anderen wieder von seinen Wunden genesen.

Diesmal schien es ihm, als müßten alle vor ihr verblassen, als wäre, was er in den Jahren erlebt, nur ein Spiel gewesen. Er kam sich reifer vor, altgeworden, bequem, vernünftig und dem Ende alles Flirtens nah, wo die Flirtation im Jugendland zurückblieb und ernste, echte, tiefe Liebe das Herz des Mannes füllte.

Wie ein Schatten nur zogen ihm die Erinnerungen vorüber. Er war entschlossen, nun Ernst zu machen. Schwer ward es ihm nicht, denn er fühlte, daß er nicht los konnte von ihr, nicht los wollte, daß er nur sie begehrte. Er dachte nicht mehr daran, so ein kleines Schäferspiel nebenbei zu haben, und wenn es auch ohne Arg gewesen wäre, nur aus Gewohnheit. Das Flirten fühlte er begraben und sein Interesse erstorben für jede Frau, die nicht hieß: Maria da Caza!

Zu der von ihr genannten Zeit stand er vor der Villa.

– Nimmt gnädige Frau Besuch an?

– Gnädige Frau läßt bitten!

Er wurde in den kleinen Salon geführt, wo der Wasserfall von der Spiegelwand niederrauschte, und fand sich allein. Doch nur ein paar Sekunden, dann trat Maria da Caza ein:

– Sie sind eben fortgegangen. Gott sei Dank!

Stassingk drückte ihre Hand an seine Lippen. Sie fand nicht den fröhlichen Ausdruck, leicht und leichtsinnig in seinen Augen, den sie ein wenig fürchtete, sondern ruhigen, ernsten Glanz. Darüber freute sie sich. Sie zog ihn auf ein kleines Sofa neben sich und fragte:

– Was wollen Sie mir sagen?

– Gar nichts!

– Aber Sie sprachen mir doch davon!

– Das habe ich bloß gesagt, weil ich bei Ihnen sein wollte.

Gedehnt meinte sie:

– Sind Sie denn zufrieden mit mir, daß ich Ihnen die Zeit angab?

– Ich danke Ihnen, gnädige Frau, tausendmal danke ich Ihnen!

– Wofür wollen Sie mir danken?

– Daß Sie mir erlauben, mit Ihnen zu sprechen, hier allein. Denn beim Reiten und in der Welt da ist es doch ganz anders, da fühlt man sich so beengt, daß man doch nicht spricht, was man sprechen möchte. Und ich habe Ihnen doch so unendlich viel zu sagen. Ich muß so vieles erklären, wie mir zu Sinn ist ...

Er sprach zu ihr in leise schmeichelndem Ton. Er erzählte, wie er sich verändert. Er legte ihr eine Beichte ab, wie er früher gewesen. Von seinem Wesen redete er, von seiner Art mit den Frauen, daß er von allen Blumen genascht und flatterhaft von einer zur anderen gegaukelt. Daß es ihn unterhalten, mit jeder zu sprechen, jeder etwas Artiges zu sagen, daß er überall sich angezogen gefühlt von ihnen, in den Banden einzelner gelegen und doch über der nächsten die vorige vergessen. Er sagte ihr, ernsthaft habe er nie an eine Frau gedacht, nur auf Tage, auf Wochen höchstens. Aber bei allen sei es nur ein Spiel gewesen, das er sich angewöhnt wie eine Schablone. Er müsse zuvorkommend und artig sein, das läge nun einmal so in seinem Blute, in seiner Natur.

Er schloß:

– Gnädige Frau, ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, leichtsinnig bin ich immer darüber hinweggegangen. Ernst habe ich's nie gemeint. Diesmal ... ich verstehe mich ja selbst nicht mehr, ich weiß gar nicht, wie mir zu Mute ist, ich bin wie krank. Krank, ja krank. Ueberall glaube ich, muß ich Sie sehen, in Gedanken ist mir immer Ihre Gestalt vor den Augen. Wo ich auf der Straße gehe, lauere ich bloß, Ihnen zu begegnen. Ich träume von Ihnen, ich sehne mich immer nach Ihnen. Nach Ihrer Stimme, nach Ihrem Bilde. Mit niemand will ich mehr sprechen, nirgends mehr hingehen, wo Sie nicht sind. Ach, gnädige Frau, ich bin krank. Krank durch Sie ...

Maria da Caza hörte ihn an mit bebendem Herzen, ihre Mundwinkel zuckten, sie spielte nervös mit einem Kissen unter ihrem Arm. Seligkeit durchströmte sie bei seinen Worten, und sie hing an seinen Lippen. Sie wollte ihm noch weiter lauschen ... stundenlang hätte sie zuhören können. Ihr war so frei, so lebensfreudig zu Mute. Seine Stimme, seine Worte klangen ihr wie weiche, süße Musik, so daß sie auffuhr, als er schwieg.

Aber wie der Ton endigte, empfand sie plötzlich ein Unlustgefühl, etwas wie einen Zweifel, der schnell banger Besorgnis wich, und als die Stille noch dauerte, zur Angst wuchs. Sie sagte ganz unvermittelt, mit erschrockenen Augen, groß, dunkel, über denen ein Schleier der Besorgnis zu liegen schien:

– Wenn Sie sich irren?

– Nein!

– Und wenn doch?

– Nein, nein, nein.

– Sie glauben es vielleicht nicht. Aber haben Sie nicht oft schon geglaubt, Sie ... Sie liebten ...?

Da griff er nach ihrer Hand und zog sie an die Lippen, sie mit Küssen bedeckend:

– Nein, so war es nie, nie, nie. Denn jetzt ist alles für mich vergessen. Alles, alles andere. Das ist nun schon, seit ich Sie den ersten Abend gesehen habe, als ich eben von der Reise kam. Seit Wochen nun... Es steigt und steigt... Ich vergesse alles darüber. Gnädige Frau, ich liebe Sie, wie ich's nicht sagen kann. Ich scheue, ich schäme mich fast vor den banalen Worten, weil Sie's nicht fassen können, was ich fühle.

Er legte sich, indem er sich ganz niederbeugte, ihre Finger auf die Stirn, wie um den heißen Kopf mit dieser kühlen, schlanken Frauenhand zu kühlen.

Maria da Caza war ihrer Sinne nicht mehr mächtig. Mit der anderen Hand strich sie sein kurzes, blondes Haar, und plötzlich neigte sie sich zu ihm herab und berührte seine Stirn mit den Lippen. Er wollte den Arm um sie schlingen, doch sie sprang erschrocken auf. Das Plätschern des Wasserfalls an der Spiegelwand übertönte andere Geräusche. Ihr war es, als habe sie im großen Salon Schritte gehört. Schnell trat sie in die Tür und spähte hinüber, doch der Raum war leer: die Phantasie mochte ihr Ohr getäuscht haben.

Als sie sich zurückwandte, sah sie flüchtig im Spiegel ihr Bild und gewahrte ihre geröteten Wangen. Nun wagte sie nicht mehr, sich zu setzen, und sagte nur kurz zu Stassingk:

– Es ist bald Zeit zu unserem Diner. Verlassen Sie uns heute, aber kommen Sie, kommen Sie immer zu uns. Dann können Sie in mein kleines Zimmer gehen, und ich sehe Sie doch. Ich muß wissen, was Sie tun, wo Sie bleiben. Bitte, bitte, kommen Sie, immer, immer, ja? Ich muß mit Ihnen sein. Muß, muß, hören Sie, muß! Dann können wir stets alles verabreden, daß Sie wissen, was wir vorhaben.

– Ich werde kommen.

– Wann?

– Morgen?

– Am Tage sehen wir uns nicht?

– Im Tattersall!

– Gut, ich reite um drei.

Die Worte erstarben. Er suchte noch einmal ihre Hand, da fiel eine Tür ins Schloß und sie ließen sich los. Es näherte sich jemand, und Herr da Caza trat ein:

– Ah, sieh da! Graf Stassingk! Das ist aber nett! Sehen Sie, so ist mir's lieb, uns lieb. Immer kommen Sie nur zum Diner. Dies ewige förmliche Einladen ist gräßlich. Hendrich wird gleich da sein, und Lindstedts habe ich's sagen lassen ...

Mt einem Blick des Einverständnisses zu Maria da Caza entschuldigte sich Graf Stassingk für heute, und versprach, statt dessen am nächsten Tage zu erscheinen.

Als er gegangen war, sank unendliche Traurigkeit über Marias Seele. Ihr war, als sei es plötzlich ganz öde in den prachtvollen Räumen geworden, und als Herr da Caza so nebenbei, nur, um irgendetwas zu sagen, bis die Gaste kämen, fragte:

– Ist's nicht ein charmanter Kerl, der Stassingk? – da antwortete sie nicht, sondern drehte ihm den Rücken.

Er dachte seiner Unternehmungen und merkte es nicht.


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