Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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VII.

Im Opernhause wurde »Carmen« gegeben. Die kleine Gräfin Selbotten, die noch niemals diese Oper gesehen, bat Maria da Gaza, mitzugehen, da sie ihr Mann an dem Abend nicht begleiten konnte. Er mußte zum Vortrag der militärischen Gesellschaft in der Kriegsakademie. Stassingk erfuhr es den Tag vorher, wo sie sich bei Lindstedts trafen, und er versprach ihr leise, im Theater zu sein.

Als die Cazas das Opernhaus betraten, war es schon spät. Sie erreichten gerade noch ihre Loge, ehe die Ouvertüre begann. Marias erster Blick war in das Haus, um Stassingk zu suchen. Sie entdeckte ihn sofort gegenüber, wie er sie mit dem Opernglase musterte. Wie zufällig richtete sie ihr Glas hinüber, und sie lächelten beide.

– Wen siehst Du denn da, Maria? – fragte die kleine Gräfin leise.

– Graf Stassingk! – antwortete sie gleichgültig, aber es war ihr, als ob die Freundin sie plötzlich und schnell anblicke. Die Ouvertüre begann. Endlich hob sich der Vorhang. Die Soldatenszene spielte sich ab. Carmen trat auf und trällerte ihr Lied:

»Die Liebe vom Zigeuner stammet.
Fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht!
Liebst du mich nicht, bin ich entflammet
Und lieb' ich dich – nimm dich in acht!«

Wie das Carmenlied erklang, suchten und fanden sich wiederum Stassingks und Maria da Cazas Augen. Sie hatte die Oper schon ein dutzendmal gesehen, und immer war sie an dieser Stelle vorübergegangen, ohne so recht die Bedeutung der Worte zu fassen. Heute aber klang ihr plötzlich das La-la-lalla-la-la-lalla – in den Ohren, als sei ihr in dieser Minute das Verständnis aufgegangen. Bei den folgenden Szenen tönte ihr nur immer dieses – fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht – in den Ohren, als hätte es für sie besondere Geltung gewonnen.

Als der Vorhang niedergegangen war, sagte Herr da Caza, der hinter den beiden Damen saß:

– Es liegt doch eine riesige Leidenschaft in dieser Musik! Nicht wahr, Frau Gräfin? – Dabei gähnte er verstohlen. Die Tür der Loge öffnete sich, und Graf Stassingk erschien. Er wechselte einen kurzen Händedruck mit Herrn da Caza, der ihm seinen Platz überließ, um ins Foyer zu gehen. Die kleine Selbotten lachte ihm nach:

– Dein armer Mann langweilt sich so schrecklich!

– Er wollte eigentlich heute mit Hendrich in den »Vogelhändler« gehen, – erzählte Stassingk.

Maria da Caza, die davon nichts wußte, sagte fast wegwerfend: . – Warum ist er nicht gegangen? Graf Stassingk hätte uns ja begleiten können. Sie langweilen sich doch nicht bei guter Musik! Wenn das Verständnis aber erst beim Couplet oder Walzer anfängt! ...

Verächtlich zuckte sie mit den Schultern. Der junge Diplomat hatte schweigend Herrn da Cazas Platz eingenommen, während Maria noch einmal begann:

– Graf Stassingk hätte uns »chaperoniert«!

Da sprach Gräfin Selbotten, aber sie unterbrach sich gleich und ging auf etwas anderes über:

– Vielleicht ist es doch besser, wenn Dein Mann ... ach dort drüben sitzen ja Charriers ...

Zugleich grüßte Stassingk nach der linken Seite und Maria da Caza, die eben Charriers hatte suchen wollen, folgte hastig der Richtung, wohin er sich gewendet, und sah, zwei Logen von der ihren entfernt, Ortenburgs mit der Prinzessin und noch einem jungen Mädchen. Der Herzog, die Herzogin wie die Prinzessin hoben fast gleichzeitig ihr Opernglas ans Auge und Maria tat, als habe sie achtungslos über sie hinweg andere Leute betrachtet.

Als sie den Gruß Stassingks gesehen, hatte sie eine unangenehme Empfindung, obwohl seine Verneinung nur durchaus herkömmlich gewesen, und sein Lächeln, wie es eben seine Art war. Damit beschäftigte sie sich noch, als längst der zweite Akt begonnen und Stassingk wieder drüben ihr gegenüber auf seinem Platze saß. Dabei hörte sie überall in der ganzen Musik das Lied der Carmen hindurch, es klang ihr in den Ohren, es summte im Toreroliede mit, sie vernahm es beim Tanz, immer das: Fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht. Hinter sich wußte sie ihren Mann, dessen Atem sie bisweilen im Nacken fühlte, wenn er sich ein wenig vorbeugte, um besser zu sehen. Das mahnte sie an seine Gegenwart. In ihrem Glückstaumel würde sie ihn sonst vergessen haben. Da empfand sie die Worte des Carmenliedes als eine Art Entschuldigung ihrer Leidenschaft. Es mußte so kommen. Ein Auflehnen dagegen wäre zwecklos – unmöglich gewesen,. Es war einmal ihr Schicksal, und die Liebe erkannte keine Fessel an. Sicherheit gab ihr das und Festigkeit, und sie war davon überzeugt, daß nun alles langsam ohne Aufhalten seinen Gang gehen müsse – wie, wußte sie nicht, das würde sich finden.

Im nächsten Zwischenakt empfahl sich Herr da Caza, indem er sich bei der kleinen Gräfin entschuldigte. Seine Pflicht habe er ja erfüllt, die Damen zu geleiten, und da sie Bekannte gesehen, dürfe er wohl gehen. Er habe eine Verabredung.

Er geht in den »Vogelhändler«! dachte Gräfin Selbotten. Maria drängte hinaus ins Foyer. Wohin sich ihr Mann begab, war ihr gleichgültig, sie wollte nur Stassingk treffen. Die Leute schoben sich schon in dem engen Gang hinter den Logen. Das Haus war stark besucht. Herr von Nyvenström trat ihnen gerade entgegen und hielt sie einen Augenblick auf, der jedoch genügte, daß sich der Herzog von Ortenburg mit seinen Damen vor sie schob. Da erschien auch gerade Graf Stassingk von der anderen Seite. Nun konnte er an der Prinzessin nicht vorbei, ohne sie zu begrüßen.

Maria da Caza suchte möglichst so zu tun, als folge sie dem, was der Gesandtschaftssekretär erzählte, doch sie verlor die Gruppe drüben nicht einen Augenblick aus den Augen. Sie bemerkte, wie Stassingk einen Blick zu ihr warf, dann drehte er sich so, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Die Prinzessin, die heute abend weniger stark erschien, war leicht errötet wie immer. Er wandte sich ein paarmal an sie, dann an die jüngere Dame, die in Begleitung der Ortenburgs war, endlich an die Herzogin. Und jedesmal, wenn er mit einer sprach, hellten sich ihre Züge auf.

– Bringen Sie uns zum Foyer, Herr von Nyvenström! – bat Maria unmutig. Als sie an dem herzoglichen Paar vorüber mußten, nahm sie sich vor, auch nicht eine Linie breit Platz zu machen, und es war ihr Bedürfnis, wie sie ganz nahe waren, ziemlich laut gegen den Gesandtschaftssekretär von ihrer kleinen Freundin als »Gräfin« zu sprechen, als müsse sie den Rang ihrer Begleiterin zu hören geben. Sie hatte erwartet, Ortenburgs würden kaum aus dem Wege gehen, und sie empfand eine arge Beschämung, als der Herzog sehr artig, indem er sein Einglas fallen ließ, zur Seite trat und sogar seiner Frau etwas zurief, weil diese den Kommenden den Rücken drehte. Auch die Herzogin wich aus.

Während sie hindurchschritten, begrüßte Herr von Nyvenström, sich verneigend, das herzogliche Paar. Stassingk wechselte mit ihm einen Händedruck.

Am Foyereingang kamen ihnen schon Charriers entgegen: Der Professor, ungemein herzlich, Frau Charrier noch ganz hingerissen von der Musik, und die beiden Töchter einen Augenblick verlegen, weil sie nicht recht mehr wußten, ob sie eigentlich den Schweden kannten oder nicht.

Sie blieben stehen und Maria da Caza hatte volle Muße, indem sie zuzuhören schien, Stassingk zu beobachten, denn der Professor fing an, über die Kostüme in der »Carmen« zu sprechen. Das Thema war sein Steckenpferd, da er Kostümkunde vorzutragen hatte.

Während er predigte, obwohl ihn seine Frau inständigst bat, nicht so laut zu sprechen, hatte Maria da Caza gesehen, wie der Herzog Stassingk irgend etwas über sie gesagt zu haben schien, denn die ganze Gruppe drüben blickte zu ihnen herüber, und der junge Diplomat verabschiedete sich sofort.

Der Professor nahm ihn augenblicklich in Beschlag und wollte von ihm, der ja doch selbst die Spanier kenne, Verschiedenes wissen:

»Was gefällt Ihnen nicht an der Regie, Herr Graf?«

Graf Stassingk, noch beschäftigt, den Damen Charrier jeder einzeln ein Wort zu sagen, zögerte, bis er erwidern konnte:

»Daß die »Carmen« einen Trauring trägt!«

»Warum dürfte »Carmen« keinen Trauring tragen?« fragte nun die kleine Selbotten, und Stassingk blickte bei seiner Antwort flüchtig auf Maria da Caza:

»Weil sie dann gebunden wäre!«

Da sagte Maria da Caza schnell mit blitzendem Aufleuchten in den schwarzen Augen:

»Aber sie singt ja:

»Die Liebe vom Zigeuner stammet,
Fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht.«

»Gnädige Frau, Sie haben recht!«

Es war Maria da Caza, als träte die kleine Freundin einen Schritt zurück ...

Sie mußten sich trennen, der neue Akt begann. Nun hatte sie alle unangenehmen Eindrücke überwunden und jede Verstimmung schwand. Die Musik entzündete ihr Herz. Sie vergaß Ortenburgs und die Prinzessin, sie vergaß alles und gab sich nur ihren Gedanken hin, die bei ihm waren.

Als die letzten Töne verklungen und der Vorhang sich über der toten Carmen gesenkt, eilte alles der Garderobe zu. Stassingk brachte die beiden Damen bis an cm die Cazasche Equipage, die unten hielt. Am Wagenschlag nahm er Abschied. Maria wollte wissen, was er nun täte, und da sie nicht gerade fragen mochte, scherzte sie:

– Wir fahren nun hübsch nach Haus, und die Herren der Schöpfung bleiben noch auf, bis wer weiß wann!

– Ich nicht, gnädige Frau! – antwortete Stassingk, und wie er es eben sagte, erinnerte er sich, daß er doch vorhin nicht geglaubt, der Herzogin abschlagen zu können, nach dem Theater noch eine Tasse Tee bei ihr zu trinken. Aber er ließ es dabei, und Maria da Caza freute sich, daß er sofort nach Haus gehen würde. Bei der Heimfahrt sprach die kleine Gräfin nicht. Maria achtete nicht darauf, sie glaubte, sie wäre müde, und fühlte selbst das Bedürfnis, allein zu bleiben mit ihren Gedanken. Während sie die Linden entlang rollten, blickte sie zum Wagenfenster hinaus. Am liebsten wäre Maria da Caza ausgestiegen, um auch zu gehen. Sie fühlte sich so festtäglicher Laune, als ob dieser Abend noch nicht zu Ende wäre, als müsse er nun eigentlich erst beginnen. Eine unbestimmte Sehnsucht durchzitterte sie, und sie beneidete alle die einfachen Fußgänger dort drüben auf dem Bürgersteige, die noch in irgend ein Restaurant oder Café gehen konnten, um den Abend zu beschließen, wann sie wollten.

Als sie die Freundin an ihrem Hause abgesetzt hatte und allein nach der Villa fuhr, dachte sie, wie es wäre, wenn sie noch einmal fort könnte auf ein Fest, auf einen Ball. Eine jähe Leidenschaft zu tanzen befiel sie. Tanzen, ja tanzen! Sie hätte sich so recht ausrasen mögen in wilder Musik. Und sie dehnte und bog sich im Wagen, und stieß ungeduldig auf den Boden mit den Füßen.

– Ist der gnädige Herr zu Haus? – fragte sie, als sie aus dem Coupé stieg. Er war noch nicht zurückgekehrt, und sie empfand es wie eine Erleichterung.

In den Salons, in der Bibliothek, im Nennzimmer, im Boudoir, in der Galerie ließ sie das elektrische Licht erstrahlen. Dann irrte sie von einem Raum in den anderen. Da überfiel sie plötzlich, wie sie sich allein sah, eine tiefe Trauer, und sie warf sich in einen Stuhl, in den Fauteuil, den er immer einnahm, wenn er mit ihr plaudernd nach dem Diner, am Wasserfall im kleinen Salon saß. Sie öffnete den Hahn und ließ die Wasser spielen. Die Seerosen glühten am Boden des Bassins, der Springbrunnen stieg und die Flut stürzte sich plätschernd in Kaskaden herab.

Lange lauschte sie dem Rauschen, immer dachte sie an ihn. Nun war er daheim in seiner Jungesellentwohnung in der Linkstraße. Ein paar mal war sie schon vorübergefahren, um wenigstens von außen die Fenster zu sehen. Vielleicht schlief er schon. Oder er irrte noch umher, ruhelos wie sie, ohne den Schlummer zu finden. Er liebte sie ja, er liebte sie. Diese Seligkeit in den Worten, in dem einfachen, gleichgültigen Klang: Liebe.

Da kam ihre Feststimmung wieder über sie. Sie sprang auf und trat auf den Balkon, in bloßem Haar und Kleid, wie sie aus dem Theater gekommen. Die milde Luft umwehte sie weich. Lautlos, tot lag drüben die Straße, matt von den Laternen erleuchtet. Es war windstill und ruhig, nur von fern klang ein unbestimmtes Getön herüber vom nächtlichen Leben der Stadt. Die großen, dunklen Bäume drüben standen unbeweglich.

Maria da Caza ließ ihren Blick über die Kronen der Buchen schweifen: der Himmel war sternhell nud klar. Dieser Frieden mitten im bewegten Leben des gewaltigen Häusermeeres schien ihr Glück zu bedeuten. Sie mußte glücklich werden, sie würde glücklich werden. Die Musik, die sie eben gehört, kehrte ihr im Gedächtnis wieder, sie klang leise, das Carmenlied stieg auf und zitterte ihr im Ohr.

Da hob Maria da Caza unwillkürlich den Arm, als begleite sie mit einer Handbewegung die Worte, und während sie in das Zimmer zurücktrat, summte sie vor sich hin die Zelle, die ihr wie eine Berechtigung erschien ihrer Liebe:

– Fragt nach Rechten nicht, Gesetz noch Macht!


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