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Untergang?

Die Nachfrage nach Spengler: »Untergang des Abendlandes« ist kaum zu befriedigen. (Zeitungsnachricht.)

Am Krankenbette eines alten Gelehrten saß ich. In tiefen Höhlen lagen kriegsentsetzte Augen. Müde gab er mir die Hand: »Wir gehen unter, Freund! Spengler wird wohl recht bekommen …«

Den Leiter einer Industriegesellschaft traf ich auf der Bahn. Er las in einem dicken Buche. »Spengler« stand darauf. Den Leser sah ich nicken: »Schlimm, schlimm, doch unabwendbar, scheint es …«

Einem altverdienten Staatsmann stiegen sie in's ruhevolle Austragszimmer. »Ob man ihn als Kandidaten –?« Er winkte ab. »Keinen Zweck mehr!« sagte er und deutete aufs Bücherbrett: »Spengler …?«

Ich war zum Tee geladen. Auf halber Treppe kam der Hausherr mir entgegen: »Kennen Sie Spengler …?« sagte er.

Bei der zweiten Tasse schlug des Hauses Herrin ihre schönen Augen auf: »Wie, Sie kennen Spengler nicht …?«

Nach dem Abendessen ward es zwanglos. »Nischt machen!«, hörte ich's aus einer Gruppe krähen, »wir gehen unter, todsicher …«

»Gott!« kicherte ein Fräulein mit lockeren Augen, » wenn wir schon mal untergehen sollen, – tun wir's wenigstens vergnügt!«

»Denken Sie,« sagte im Kleiderzimmer ein bekümmerter Vater, »mein Junge bringt mir eine schlechte Note nach der andern. Und wie ich ihn zur Rede stelle, was glauben Sie, daß er erwidert? »Reg' Dich doch nicht auf, Papa, ob ich jetzt mit Vieren oder Einsen untergehe …«

Als ich heimkam, lag's broschiert auf meinem Schreibtisch: »Spengler …« »Zur Ansicht« stand auf der Rechnung.

Ich brachte es in den Buchhändlerladen zurück. »Aber mein Herr,« sagte der junge Mann, »Spengler muß man gelesen haben!«

»Haben Sie ihn gelesen?«

»Ich? Ich? Erlauben Sie, ich bin nur zum Verkaufen da. Ich verkaufe täglich hundertdreiundzwanzig Spengler. Die Leute reißen sich. Kein Wunder! Spengler überwältigt, Spengler weist den Untergang mit einer Schärfe nach, daß … Vor Spengler gibt es kein Entrinnen, mein Herr! Auch für Sie nicht! Gerade Sie sollten Spengler kaufen. Ich mein' es mit Ihnen gut. Schon der Kapitalsanlage wegen. Mit zehn Mark fing er an, dann stieg er auf zwanzig, heute steht er dreißig – hängen laß' ich mich, wenn Spengler nächsten Monat nicht auf vierzig oder fünfzig …«

Ich flüchtete ins Kaffeehaus. Neben meinem Tische etliche Studenten. Einer schlug mit der Rechten auf den Marmor: »Ich muß doch bitten, meine Meinung ist auch Spenglers Meinung und …«

Abends saß ich noch keine zwei Minuten vor dem Vorhang, als es um mich herum losging: »Spengler sagt … Spengler behauptet … Spengler beweist …«

In allen Zwischenakten spenglerte es. Zwei gelangweilte Statisten, die sich Hinterm Königsthrone heimlich unterhielten, hörte ich wispern: »I wo, schon Spengler hat bewiesen, daß …«

Als ich heimkam, hatte schon ein andrer Buchhändler ein Paket geschickt: »Spengler …«

Ich feuerte ihn in eine Ecke. »Fünfundvierzig Märker«, sagte meine Frau mit sanftem Augenaufschlag.

»Mir gleich!« schrie ich erbost.

»Du bist – ein Kamel«, sagte meine Frau sanft, »wenn Du Dir von den ersten Spenglern, – sagen wir mal, bloß zweihundert Stück zu zehn Mark zugelegt hättest, so ergäbe das heute einen Reingewinn von siebentausend Mark …«

Ich flüchtete aufs Land. Dorthin war auch mein Freund geflüchtet, mein bester Freund. Gram lag ihm auf der Stirne. Müde sah er auf aus feinem Buch.

»Was liest Du?« sagte ich.

»Spengler – laß' die Faxen, bitte – das ist ein tiefes Buch – das ist ein grauenvolles Buch – ich ringe mit ihm – komm, alter Freund, gib mir die Hand …«

Da gab ich ihm die Hand. Zusammen lasen wir das Buch. Blatt um Blatt. Und zwischen die Blätter schoben sich abendlange Gespräche. Der Menschheit Vergangenheiten stiegen auf. Ein tiefer Geist umfaßte sie und reihte sie an Fäden. Alle Fäden zielten auf ein Ende: Untergang, unerbittlich, unausweichbar …

Das Buch entsank den Händen. Wir starrten in die untergehende Sonne. In unser eigenes Leben starrten wir zurück, in unsere Sorgen, Kämpfe, Siege … Wozu, wozu …?

Verdüstert kam ich in die Stadt zurück. In mir war – Spengler …

Einen Bahnarbeiter sah ich auf den Schienen werkeln. Bald sprang er dahin und bald dorthin. Mit den Armen winkte er. Wagen schob er, daß die Schultern krachten, Säcke half er laden. Unermüdlich war er. Eine ganze Stunde sah ich zu. Dann hielt ich's nicht mehr aus. »Mensch«, sagte ich, »was Sie da tun, ist ja recht schön und gut, aber doch im Grunde zwecklos – kennen Sie Spengler?«

»'n Spengler?« sagte er, »da drüb'n in der zweiten Querstraß' links ist einer – geh'n S' auf d' Seit'n, Herr, sonst kommen S' unter d' Räder …«

Auf dem Weg nach Hause ging ich am Biologischen Institut vorbei. Zu ebner Erde arbeitete ein Assistent am offenen Fenster. Den kannte ich. Er drehte eifrig an den Schrauben eines Mikroskops. Als er mich erblickte, lächelte er. »Ich feiere heute meine dreitausendste Untersuchung eines Rädertierchens,« sagte er. Ich zuckte mit den Schultern: »Wenn Du Spengler läsest –« – »Spengler? biologisch unbekannt!« – »Oh, er ist ein Philosoph und Du solltest seinen »Untergang –« – Er hörte gar nicht zu. Auf sein Mikroskop starrte er: »Denke, wenn ich einmal ein Stück des Lebensgeheimnisses …«

Zuhause fand ich meinen Sohn beim Turnen. »Hör', Vater, ich bin im Hochsprung dritter!« – »Brav, mein Sohn, – da – ich habe hier ein Buch für Dich, Spengler heißt es, Untergang des –« – »Vater hat's nicht Zeit, bis ich im Hochsprung zweiter –?« – »Gut, aber dann –« – » Dann möchte ich noch erster werden, Vater!« – »Na ja, darnach aber studierst Du gefälligst Spengler, Untergang des –« – »Ach Vater, bin ich erst mal erster, kümmert mich kein Untergang mehr –«

Es läutete. Besuch. Eilig wurde der Kinderwagen aus dem schönen Zimmer in das meinige geschoben. Unser Kindermädchen ist da immer so kurz entschlossen! »Fanny,« lehnte ich mich auf, »aber das geht doch nicht, ich studiere jetzt gerade den Spengler, und wenn der Kleine schreit –« – »So hör'n Sie eben mit n' Studieren a bissel auf,« sagte sie resolut. – »Und wenn er sich die Decke 'runterstrampelt –« – »So legen Sie was drauf, – zum Beispiel gleich das dicke Buch da.«

Draußen war sie. Spenglers Untergang des Abendlandes lag auf dem Wagen, zu Füßen meines Jüngsten. Der begann jetzt sich zu regen, der krähte, der strampelte – »Bscht, der Spengler –« Jetzt fing er an zu brüllen. Die Last verdroß ihn. offenbar. Er schwitzte, strampelte stärker, stieß mit aller Macht – perdautz, lag der dicke, schwere Spengler am Boden. Wie ein Sieger jauchzte der Kleine und streckte seine Aermchen nach mir aus –

Hm, ja! – Untergang des Abendland es? Meinetwegen – auf ging jetzt mein Herz im Morgenlande unsrer Kinderzukunft! Und ich bin wieder froh geworden …


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