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Der Felsblock

Endlich war so viel beisammen, daß wir an ein eigenes Häuschen denken konnten. Bescheiden natürlich und mit Hypotheken. Aber immerhin, jeder dritte Ziegelstein würde uns gehören, unbelastet, und jedes Fensterkreuz war eine Geschichte, jede Tür ein Buch, womit ich sie erschrieben hatte. Aus den Gedichten freilich konnte man nur knapp die elektrischen Elemente für die Hausklingel anschaffen, für den Draht hat's nicht gelangt. Blieb noch das ungedeckte Dach, das mußte sich die Feder während des Bauens erschwingen. Wolfram von Eschenbach, beginne!

»Auf dem Hange muß es stehen.« Aber sie rieten uns ab. Das sei zu weit vom Dorf. Noch niemand habe da gebaut. »Einer muß beginnen« … Da sagten sie, es wäre viel zu steil.

»Gerade recht, wenn's uns zu gut geht, bleibt uns doch der Schweiß, der heilige.« Aber auf dem schiefen Abhang könne man nicht bauen.

»So bauen wir es in den Abhang, hinein in den Schoß von Mutter Erde.« Das sei keine Erde, das sei Fels.

»Desto bester, Fels ist sicher.« Sicher? Ob wir denn die hundertjährige Weissagung nicht kennten.

»Nein, aber es gibt tausendjährige Weissagungen, die sich nicht erfüllt haben.« Ich möchte nur spotten, die vom Berg erfülle sich. Ein Stück vom Berge sei dem See versprochen, wie die Braut dem Bräutigam. Einmal käme dieses Stück herunter. Der große Felsblock droben nicke jeden Frühling, wenn die Stürme gingen.

Da wurden wir besinnlich. Mit dem Baumeister stiegen wir hinauf. Der Riesenblock war unterhöhlt. Alte knorrige Wurzeln hielten ihn umklammert: »Hier geblieben! Deine Hochzeit mit dem See ist noch nicht fällig.«

Ein Windstoß kam. Der Felsblock schwankte. Wir sprangen zurück: »Er hat genickt.« »Nein, den Kopf geschüttelt hat er,« sagte der Baumeister und schüttelte den seinen.

Dann ging er und kam mit einem Architekten wieder. Der rechnete und maß, nivellierte, guckte durch ein Fernrohr: »Sie können ruhig sein, wenn er fällt, saust er zwanzig Meter links von ihrem Haus vorbei oder dreißig Meter rechts.«

»Sie müssen uns das schriftlich geben,« sagte meine Frau.

Dann ging das Bauen los. Tief in den Fels hinein huschelte sich der Unterbau. Dann kam eine Betondecke aus einem Stück darauf. »Die schlägt kein Felsblock durch,« schmunzelte der Baumeister.

»Geben Sie's uns schriftlich,« sagte meine Frau.

Jetzt kam der Oberbau. »Ziegel sind so nüchtern,« sagte ich, »wissen Sie nichts Besseres?«

»Ich will mir's bis morgen überlegen,« sagte er und wiegte den alten Dürerschädel, ich seh ihn heute noch, und noch heute wundere ich mich, wie kommt ein solcher Schädel an den Langensee, etwa mit den Langobarden damals? Und heute noch, wenn einer abends seine Rede schließt: »… und will es mir bis morgen überlegen,« fahre ich zusammen. »Bis morgen?« denke ich und meine, daß es draußen gießt. Mit Scheffeln gießt, wie damals, als Giuseppe Carmine grüßend in die Nacht hinausgestapft ist: »Allora domani, Signore, domani …«

Ach, domani strahlte zwar nach einer Sintflutnacht die alte Sonne, aber mit ihr drangen Rufe von der Straße in die Kammer: »II povero, il povero.«

Wir fuhren in die Kleider, stürzten den Hang hinauf, wo's »Alle Vigne« heißt – alles sauber, alle Wege frisch gewaschen …

»Dummes Zeug,« sage ich, »nicht eine Spur Zerstörung –«

Schweigend deutet meine Frau den Berg hinauf: »Der nickende Felsblock,« sagte sie.

»Ich sehe keinen,« sag ich.

»Das ist's ja,« sagte sie, biegt um die letzten Serpentine, starrt und umklammert meinen Arm.

Unsres Häuschens Unterbau war fort. An seiner Stelle lag der große Felsblock. Breit und massig lag er da. Er nickte nicht mehr. Nur, als ob er schmatzte, kam's mir vor. Das ganze betonierte Erdgeschoß hatte er gefressen und den Keller damit, in einer Nacht. Er war satt.

»Und dabei hatten sie's uns schriftlich gegeben, alle beide«, hörte ich es sagen. Vielleicht war es meine Frau, vielleicht nur mein Gehirn. Trocken würgte es die Kehle: »Ist dies die Summe deiner Arbeit – einen Felsblock hast du dir erschrieben.«

Ich hörte schluchzen. »Du weinst, Frau?«

»Ich nicht – noch nicht – Giuseppe weint.«

Da stand er vor dem Block, den zerknüllten Hut in der Hand. Auf gebrannten Kalkstein fiel es salzig, daß es dampfte. Zwangsweise überkam mich eine Schulerinnerung, eine chemische:

CaO plus H 2O = Ca (OH) 2

»Gelöschter Kalk,« sagte ich mir vor und dachte, daß es dämpfen sollte. Aber es half nur wenig.

Giuseppe weinte weiter. Giuseppe, du bist doch ein Langobarde. Italiener würden reden, schreien, Hände ballen, der Deutsche weint.

Aber daß er weinte, ohne unsrer irgendwie zu achten, das verdroß mich. Schließlich hatten doch wir das Geld aufzubringen.

»Il mio lavoro, meine Arbeit …«

Da verstand ich ihn, um seine Arbeit weint man, nicht ums Geld von einem anderen.

Ich klopfte ihm leise auf die Achsel: »Giuseppe, auch unsere Arbeit ist es …« Und wir erzählten ihm von unserem Leben.

Er hörte auf zu weinen. Seine beiden Hände reichte er uns.

So standen wir vor dem grauflimmrigen Felsblockschicksal. Auf einmal fing er an zu lachen: »Und gelungen ist's ihm doch nicht, dem Halunken!«

»Nun, ich dächte, gründlich genug hat er's gemacht, Giuseppe.«

»Denken Sie an die hundertjährige Weissagung. Er war dem See versprochen, wie die Braut dem Bräutigam – hehe, der Schnabel wird ihm sauber bleiben!«

Ich sah ihm ins Gesicht: Er war doch ein Italiener.

Unterdessen war meine Frau um den Riesenblock herumgegangen. Auch sie hatte die Fassung wiedergefunden. Aus der Erinnerung von gestern wiederholte sie humorvoll: »Ziegel sind so nüchtern, wissen Sie nichts Besseres –«

»Ja, ja,« nickte Giuseppe trübe, »nun können wir's noch eine ganze Weile überlegen …«

Und der Felsblock flimmerte und gleißte. Wie ein Blitz durchschoß es mich. Ein Stemmeisen hob ich auf. Mit dem Hammer tat ich einen Schlag. Glatt und sauber löste sich eine Platte ab.

Giuseppe nickte fröhlich: »Wir brauchen's uns nicht mehr zu überlegen – der Block da gibt ein wundervolles Material für das ganze Haus.«

Und so bauten wir unser Haus aus dem niedergesausten Unglück. Ohne Verputz. Silberflimmernd standen seine Wände, wie der See da unten, wenn der Wind ihn rauht.

*

Das war lange vor dem Kriege.

Heute, wo der zermalmende Block auf Deutschland niederging, trotzdem vorher genau vermessen und ausgerechnet war, er ginge zwanzig Meter links, vielleicht auch dreißig Meter rechts vorbei, muß ich immer wieder an den Block im Süden denken.

Nachdenklich seh ich unsere Tüchtigsten um den Felsblock, in dem es unbarmherzig gleißt und flimmert vom Granitgeäder unsres Grams. Wie, wenn eines Tages es blitzend sie durchschösse? Wenn sie die Stemmeisen höben. Wenn sie sie auf das dräuende Felsblockschicksal aufsetzten. Wenn sie mit dem Hammer schlügen. Wenn sie glatt und sauber eine Platte nach der andern lösten. Wenn unsere Reichsbaumeister wieder fröhlich nickten: »Der Block da gibt ein wundervolles Material für unser neues Haus …«


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