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»Kerls, habt ihr auch gekniet?«

In meinem Gebirgsdorf lebt ein alter General. Der hat eine laute Stimme. Die paßt gut herein, denn das ganze Völkchen hierzuland ist rührig und von Flüstereien sind sie keine Freunde. »Das ist einmal ein lebendiges Dorf,« sagen die Fremden.

Gleich dabei ist noch ein anderes Dorf. Das ist um so stiller. Trotzdem es mehr Bewohner hat. Aber diese liegen unterm Rasen. Sie können nicht mal flüstern. Sie sind stumm. Nur einmal reden sie im Jahre. Dann freilich so, daß das ganze Dorf herauskommt, ihnen zuzuhören. Zu Allerseelen ist das, wenn die Kränze auf den Gräbern rascheln müssen, weil sie bewegt sind von den Reden, die zu ihnen aus der Tiefe steigen.

Jener General war auch auf dem Friedhof, letztes Allerseelen. So gut wie ich und alle anderen. Nur hat er in den Händen keinen Kranz gehabt. Den er bringen wollte, hat der Krieg verdorren lasten. Und welke Kränze liebt er nicht. Sie pappeln zuviel, meint er. Pappeln heißt bei ihm soviel wie schwätzen. Gepappelt werde grad genug in diesen harten Tagen, meint er.

Dieser General ist auf mich zugekommen und hat mir ins Ohr gewispert, daß es der ganze Kirchhof hören mußte: »Wem gehört das Grab da drüben, eure Augen können besser lesen –«.

»Brauche nicht zu lesen,« sag' ich, »'s ist der alte Obermüller.«

»Und der dran kniet, nicht wahr, ein Hiesiger ist das nicht?«

»Es ist ein Russe. Ich sah ihn öfter in der Obermühle. Da fährt er Bäume. Sie heißen ihn den B'hüt-di-Gott.«

»Warum das?«

»Weil es das erste deutsche Wort ist, das er auf der Obermühl' gelernt hat. Es hat ihn so gefreut, daß er's immer wiederholte, zu den Pferden, zu den Kühen, zu der Kreissäg': »B'hüt-di-Gott – haha, b'hüt-di-Gott – hehe, b'hüt-di-Gott – hihi.« Na, da hießen sie ihn auch so.«

»Weiß er denn, was es bedeutet?« flüsterte der General, daß es alle Toten hörten.

»Er fühlt es, denk' ich. Ich weiß nicht, ob er außer B'hüt-di-Gott noch deutsch gelernt hat –«

»Schade, hätt' ihn gerne was gefragt.«

»Sagt's mir, ich kann ein wenig russisch.«,

»Der Kerl – hrrem hrrem – der weint ja – und da möcht' ich wissen – hrrem hrrem –«

Hat der Russe langsam sein Gesicht gedreht. »Bruder,« frag' ich ihn auf russisch, »warum weinst –?«

»Is sich gewesen guterr Mann dadrrunten –«

»Ihr sprecht deutsch?«

»Ein bissel – Mann dadrrunten hat gelerrnt mirr, wenn Feierabend – o is sich gewesen guterr Mann – serr guterr Mann – o o o –«

»Mensch!« hat sich der alte General da nicht mehr halten können, »warum weint Ihr nicht da drüben, wo ein paar von euren Russenkameraden liegen, he!«

»Kommt späterr – warr sich auch ein Kamerad dadrrunten – oh, guterr Kamerrad – hat mich von Lagerr herrgeholt – bin ich schlechter Mensch gewesen – hab' ihm gestohlen Mehl – hab' ihm gestohlen Eierr – einmal, zweimal, drreimal – haben mich die anderren geschickt zurrück in Lagerr – hat err mich wiederr herrgeholt – o b'hüt-di-Gott, o o –«

»Warum geht Ihr nicht zurück nach Rußland?«

»O – Rußland – b'hüt-di-Gott – schlagen einen tot dorrt – lieberr Oberrmühle bleiben …«

Wie gesagt, das war zu Allerseelen. Zu Allerseelen neunzehnhundertneunzehn. Inzwischen ist ein Trüppchen deutscher Gefangenen in unser Dorf zurückgetropft.

Das ganze Dorf war am Bahnhof. Geküßt sind sie worden, umarmt sind sie worden, angehocht sind sie worden, die Seele hat man ihnen aus dem Leib gefragt. Und um den alten General in der Bahnhofsecke hat sich keine Katz gekümmert.

Bis es auf einmal einen in dem Trüpplein, einen alten Soldaten, zusammengerissen hat. »Du,« hat er einem zugeraunt, »kennst den da drüben nicht?« – »Weiß der Deixel, das ist ja der Oberst von unserem alten Regiment.«

Und sie sind beide stramm gestanden, Augen in die Ecke.

»Aber meine Herren,« hat der Alte rauh gewinkt, »das gibt's jetzt nicht mehr – Strammstehen ist vorüber, meine Herren – oder – oder – darf ich nochmals Kerls sagen – meine Kerls?«

»Kerls, zu Befehl, Herr Oberst.«

»Nja – nja – was ich habe fragen wollen – hrrem, hrrem – lange Gefangenschaft, was?«

»Vier Jahre, Herr Oberst.«

»Hrrem hrrem – und was ich auch noch fragen wollte – habt ihr auch gestohlen drüben? – Eier, mein' ich, Mehl und –«

»Herr Oberst!«

»Hrrem, hrrem – schon gut – und was ich weiter fragen wollte – habt ihr auch gekniet dadrüben?«

»Zu Befehl, Herr Oberst, in vier Jahren lernt man beten, daß man wieder heim –«

»Dummes Zeug – an Gräbern, mein' ich – habt ihr da gekniet?«

»Zu Befehl, Herr Oberst, wo sie die gestorbenen Kameraden verscharrten –«

»Dummes Zeug – an den Gräbern eurer Dienstherrn'n, mein ich – hattet ihr da Ursach', hinzuknien – auch ihr?«

Sie sahen weg. Sie gaben keine Antwort. In ihren Augen brannte düsteres Feuer.

»Kerrls, habt ihr,« flüsterte der General, daß es der ganze Bahnhof und das weite Land im Kreise hören konnte, »habt ihr Söhne?!«

»Zu Befehl, Herr Oberst.«

»Na, dann ist's ja gut – dann wird ja alles gut – guten Morgen, Kameraden …«

Fröhlich, wenn auch auf den Stock gestützt, ging der Alte aus dem Bahnhof in der Richtung nach dem Friedhof, wo der Obermüller liegt.


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