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Das neue Trinkgeld

Es war einmal Neujahr. Ich saß, vom alten Jahre müd, am Fenster und dachte nach und vor und zurück. Da klingelte es.

»Ich wünsche Ihnen Glück zum neuen Jahr«, sagte der Postbote, »und möge es Ihnen …«

»Möge«, dachte ich zwangshaft, »möge ist ein Hilfszeitwort. Hilfszeitwörter leiten über. Wozu leiten sie über? Zum eigentlichen Zeitwort. Was ist das eigentliche Wort der Zeit am 1. Januar? Das Trinkgeld. Aber darf ich diesem Mann ein Trinkgeld geben? Diesem Mann, der heute x-mal mehr verdient als ich –«

»… und ich weiß natürlich,« schloß der Mann der Briefe freundlich seine Rede, »daß sich euer einer heute schwer tut – hab' auch nicht vergessen, daß Sie früher nicht gerad' ein Knicker –, na, nehmen Sie – so nehmen Sie doch nur –«

Der Briefträger war draußen, fünf Mark waren herinnen, dazwischen war ich.

Dann kam die Zeitungsfrau. Sie kommt seit fünfzehn Jahren. Zu Neujahr immer mit einem gedruckten Gedicht. In dem Gedicht kommt immer vor: »… treppauf, treppab, das ganze Jahr.« Und ich war natürlich unterrichtet, daß sich auf »Jahr« »bar« reimt. Ich war, denn heute –

»Na, Herr Schriftsteller,« sagte die Zeitungsfrau wohlwollend, »geben Sie das Ding mal her –«

»Welches Ding?«

»Na. Ihr Gratulationsgedicht – aha, verlegt? – macht nichts, 's geht auch so – hier, nehmen Sie –«

»Aber liebe Frau –«

»Aber, lieber Herr – nur keine falsche Scham – euer einer ist nicht organisiert – wir sind's –, ich und meine fünf Töchter halten auf Tarif – und da wir Leute vom Schrifttum nun doch mal zusammenhalten müssen – so, und nu' machen Sie keine Geschichten –«

Die Zeitungsfrau war draußen, weitere fünf Mark waren drinnen, dazwischen war ich.

Dann kam eine Abordnung der Laternenanzünder – sowohl derjenigen, die die Laternen anzünden, als derjenigen, die die Laternen auslöschen – und steckte mir ein Licht auf, was sich für die neue Zeit gehöre. Und der dritte Fünfer knisterte auf dem Tisch.

Es ist nicht wahr, daß aller guten Dinge drei sind. Denn als Vierter kam der Klempner. Er hatte im letzten Jahr in den tropfenden Leitungshahn ein neues Gummischeibchen gelegt.

»Kostet eegentlich«, sagte er, eine Rechnung entfaltend, »kostet eegentlich. Zu- und Abfahrt injeschlossen un mit Rücksicht uff die neuen Jummijrundpreisuffschläge –«

Ich zog die Brieftasche.

»Na, lassen Se man,« sagte er, »umjekehrt wird heute 'n Schuh draus.« Er zerriß die Rechnung und sah sich um.

»Sie suchen den Fuggerschen Kamin, in dessen Zimtfeuer –«

»Jott, lassen Se den Zimt und nehmen Se –«

»Aber –«

»Nicht aber – is allens injekalkuliert in de letzte Tariferhöhung for Reprä – nee, Räpre – nee, nee, Räpra –«

»Sie meinen Repräsentationsunkosten.«

»Natierlich – 'n blödsinnig langes Wort – man verseimt 'ne Zeit damit, 'ne Zeit! – na, wir werden's in die nächste Lohnerhöhung inbeziehen missen – und nu klauen Se mal endlich diesen Schein, Mann –« Zu den Fünfern legte sich ein Einer. »– und jenehmigen Se uff mein Wohl 'n Liter.«

»Der kostet eine Mark und fünfzig.«

Er war unangenehm berührt. »So sind se«, brummte er, »wenn man zu det Volk herabsteigt«.

»Sie brauchen nicht herabzusteigen, das Volk steht gleich auf gleich.«

»Jleich uff jleich, dat ich nich lache!« rief er und setzte die Fetzen seiner Rechnung wieder zusammen, »und nu berappen Se man jefälligst!« Er schlug so heftig auf den Tisch, daß ich –

– erwachte. Vor mir stand der Schornsteinfeger und hielt mir seinen gedruckten Neujahrsvers vors Gesicht:

»… der euch den Ruß hat ausgefegt,
'nen Glückwunsch auch im Busen hegt …«

»Schön«, sagte ich, »ich danke Ihnen«.

»Ist das alles. Sie Geizkragen!« stand auf seinem Gesicht.

»Hrrem«, stieg's silbenzählend auf in mir,
»der schreibend sich das Jahr geplagt,
euch gleichfalls seinen Glückwunsch sagt,«

deklamierte ich.

»Ist das alles. Sie Schundnickel! Sie – kapitalistischer Hund!« stand auf seinem Gesicht.

Da übergab ich ihm mein letztes Honorar.

»Ein glückseliges neues Jahr!« sagte er, und drückte mir die Hand mit seiner Pranke.

Und es war alles wieder, wie es früher war.


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