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Hagebutten

Mein Freund aus Norddeutschland schrieb mir nach Bayern: »… und wenn du kannst, so schick' uns zehn Pfund Hagebuttenmus mit, das essen wir fürs Leben gern …«

Ich ging also aus den Markt und verlangte Hagebuttenmus. »Was hab'n S' g'sagt?« fragte die Händlerin. – »Hagebuttenmus.« – »Was is denn dös?« – »Ja, wenn Sie es nicht wissen, werden Sie es auch nicht haben – aber nein, da in dem roten Kübel ist es ja.« – »Ah so, Sie meinen Hätschebätsch, warum reden S' denn net glei' deutsch!« – Fünf Minuten darauf zog ich mit einem sauber eingepackten Postkübelchen Hagebuttenmus von dannen. Direkt zum Postamt, schreibe dort am Pult die gelbe Postpaketadresse: »Anbei ein Kübel Hagebuttenmus.«

Schaut mir jemand über die Schulter. Ist es ein alter Schulkamerad: »Aber Mensch,« begrüßt er mich, »das willst nach Preußen schicken? – Hast du denn die Ausfuhrerlaubnis?« Nein, die hatte ich nicht. »Aber dann kannst du ja fürchterlich hereinsegeln. Wenn ich dir einen Rat geben darf, geh' sofort zum Magistrat.«

Ich ging also zum Magistrat. »Abteilung?« fragte mich am Toreingang mit scharfer Stimme der goldbelitzte Türhüter. – »Abteilung Hagebutten,« sagte ich verdutzt. Er schwankte einen Augenblick. Aber sein Ruf, alles zu wissen, stand auf dem Spiel. Also sagte er rasch und diktatorisch: »Zweiter Stock, Zimmer 147!«

Im Zimmer 147 war ein Gitter. Fünfzehn Meter hinterm Gitter saß ein Beamter. »Sie wünschen!« überbrückte er brüllend die Entfernung.

»Ich möchte Hagebutten nach Norddeutschland –«

»Lebensmittelamt, dritter Stock, Zimmer 93!«

Ich fing zu wandern an – das Lebensmittelamt ist natürlich aus Gleichgewichtsgründen am anderen Stadtende. Und ebenso war das Zimmer 93 nicht im dritten Stock, sondern ebenerdig. Anscheinend aus Gleichgewichtsgründen der Geduld, die bei dem vergeblichen Treppensteigen gut erprobt wird. Auch stimmlich. Denn Zimmer 93 brüllte auf meine Hagebuttenfrage: »Is ja ganz unglaublich, was uns die da drob'n noch alles wegzieh'n – warum verlangen S' denn net glei' einen Schein zur Ausfuhr einer ganzen Alm?« Worauf ich mit beschleunigter Geschwindigkeit in die Ausfuhrausgleichstelle verschickt wurde, die sich natürlich wieder am anderen Stadtende angesiedelt hatte. Aber im Schuß war ich einmal, und mit zehn Pfund Hagebuttenmus läuft man noch einmal so leicht.

Auf der Ausfuhrausgleichstelle ging es so: »Hagebutten? Hagebutten? Das ist doch Obst, nicht wahr?« »Nein, Hagebutten sind kein Obst.«

»Aha, dann sind es Beeren?«

»Es sind auch keine Beeren.«

»Der Teufel auch, irgend etwas müssen sie doch sein – ah, jetzt hab' ich's: Marmelade?«

»Dazu müßte das Hagebuttenmus gezuckert sein, was nicht der Fall ist.«

Der Beamte blätterte wütend in einem Sachregister, ohne zu lesen. Plötzlich schrie er kurzerhand: »Ausfuhr nicht erlaubt!«

»Dann haben Sie wohl die Güte, mir die Verordnung und den Paragraphen näher zu bezeichnen, aus Grund deren –«

»Nein, diese Güte hab' ich nicht!«

»Gut, dann bitte ich, mir den Weg zu Ihrem Vorgesetzten –«

Er wurde plötzlich liebenswürdig: »Was sagten Sie, Hagebuttenmarmelade? Na, vielleicht. Um wieviel Zentner handelt es sich ungefähr?«

»Um nicht ganz zehn Pfund – hier sind sie.« Er löste vorsichtig den Eimerdeckel, sah hinein und rief gemütlich: »Aber das ist ja Hätschebätsch – warum sagen S' das nicht gleich? Eine Hätschebätsch-Verordnung haben wir bis heute nicht – es wäre mir unbedingt erinnerlich – schon allein durch den Klang – ich bitte Sie: Hätschebätsch, das vergißt man nicht.«

»Und ich darf es also schicken?«

»Das Hätschebätsch? Aber natürlich dürfen S's, das Hätschebätsch – ich bitt' Sie: was liegt uns an Hätschebätsch? – und überhaupt: Hätschebätsch …«

Er war ganz verliebt in das Wort. Ich glaube, er hat, ohne meinen Abgang zu bemerken, noch den Rest des Nachmittags verhätschebätscht, während ich es auf der Post aufgab, das Hätschebätsch, und es schon ein gutes Stück Weg Preußen zugerollt war, das Hätschebätsch, wo es meine Freunde inzwischen wohl längst vertilgt haben werden, das Hätschebätsch – ätschebätsch! ätschebätsch!


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