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Brennesseln

Meine Frau hatte den Brennesselspinat aufs Küchenschild erhoben. Ich wurde mit den Kindern fortgeschickt, um den Import zu pflegen. Importland war die Wiese hinterm Haus. Der Import selbst erfolgte nach dem Urverfahren der Besitzergreifung vermittels Blätterabstreifens.

»Autsch,« sagte Lies, »die Dinger stechen!«

»Natürlich,« sagte Hans, »wenn du dabei schnaufst!«

Die Lies schnuckelte an den Fingern: »Vom Stechen red' ich, nicht vom Schnaufen, Depp!« schnullte sie voll Aerger.

»Aber Hans,« vermittelte ich väterlich, »als ob das Stechen mit dem Schnaufen irgend was zu tun –«

»Oh, sehr viel,« sagte Hans, »wenn man den Atem anhält, können sie nicht stechen, Vater.«

»Unsinn!« sagte ich.

»Hau ihm eine runter, Vater,« sagte schnullend Lies, »er will uns nur verulken.«

Aber ich bezwang mich. Mit »einer runterhauen« überzeugt man selten. Dazu bedarfs der Logik.

»Hans«, sagte ich mit Würde, »das Atmen als ein Prozeß des mechanischen Einsaugens eines Gemenges von Stickstoff und Sauerstoff in die Lungen ist eine Sache für sich, und das Stechen der Brennesseln als ein Eindringen säurehaltiger Nesselhärchen in die Fingerporen ist eine andere Sache, die mit der ersten Sache rein gar nichts –«

»Aber wenn's der Dippelmaier doch gesagt hat!«

»Mein Sohn, kein Dippelmaier dieser Welt vermag gegen die Gesetze der Logik –«

»Aber wenn der Dippelmaier –«

»Vater, jetzt haust ihm aber eine runter!« beharrte schnullend Lies.

»Hurra, da kommt der Dippelmaier selber!« rief Hans in der Richtung nach einem schlurksigen Jungen, der pfeifend, die Hände in den Taschen, über die Wiese trottete, »he, Dippelmaier, mein Vater glaubt nicht, daß –«

»Kost't ein Fünfer!,« sagte der Schlurksige, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen.

»Was kostet ein Fünfer!?«

»Das Vormachen. Meinen S' denn, ich zeig's den ganzen Tag umsonst, bloß damit die Leut' an Unterhaltung hab'n,« sagte der Schlurksige, »heut' hab' ich's mindestens an zwanzigmal schon vorg'macht –«

»Gibt eine Mark,« sagte Hans bewundernd, »Vater, gib ihm doch das Fünf –«

»Hau ihm lieber eine runter, Vater,« schnullte Lies, »es ist doch nur Schwindel.«

Hans war empört. Der Schlurksige zuckte mit den Schultern und schlurkste weiter.

»Halt, hier ist das Fünferl,« sagte ich.

»Er nahm es mit der Linken, hielt den Atem an, und streifte mit der Rechten gleichmäßig durch die Blätter einer Brennnessel.

»Autsch!« schrie für ihn die Lies.

»Sticht kein bisserl,« sagte der Schlurksige überlegen.

Hans platzte fast vor Stolz auf seinen Freund.

»Hau ihm eine runter, Vater,« sagte Lies, »denn er verkneift sich nur das Stechen für ein Fünferl.«

»Unverschämt!« schrie Hans, »da schaut her!« Hochrot hielt er den Atem an und fuhr mit der Hand durch die Nesseln. »Keine Spur von einem Stich!« triumphierte er.

»Vater, hau ihm eine –«

Aber ich hielt selbst den Atem an und strich durch die Nesseln. Wirklich, gar nicht stachen sie.

Der Lies trieb's fast die Augen raus. Dann versuchte sie es auch. Mit gleichem Erfolg. »Wahrhaftig,« sagte sie, »wahrhaftig –«

»Vater,« schrie Hans, »jetzt hau ihr eine runter!« aber ich war zu sehr mit Atemanhalten beschäftigt. Alle bekamen wir vom Nichtschnaufen rote Köpfe und wühlten in den Nesseln voller Lust.

Leute gingen vorüber, schüttelten die Köpfe, wurden angesteckt, hielten den Atem an und wühlten in den Nesseln. Es wurden immer mehr Leute. Es wurde eine gewaltige Wühlerei und Nichtschnauferei.

Die Feldpolizei kam in Sicht, schnaufte, hielt den Atem an und wühlte auch.

Am Abend kamen wir atemlos und geschwellt von der Entdeckung heim. »Mutter,« riefen wir von weitem, »weißt du schon, daß, wenn man keinen Schnaufer tut, können die Brennesseln nicht stechen und –«

»Ist ein alter Schnee,« sagte die Mutter, »und wo habt ihr nun die Nesseln?«

Ei, verflixt nochmal und zugenäht! Die hatten wir vergessen.

»Hau ihm eine runter!« lag es in der Luft.


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