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Die Hand

Eine Schuldknechtsgeschichte.

Pünktlich wie immer lag Samstags die Lohntüte auf seinem Arbeitsplatz.

Arnold Werkmann.
17. Lohnwoche.
48 Arbeitsstunden zu …
12 Ueberstunden zu …

Er riß sie auf und griff hinein. Da war es ihm, als führe vor ihm über seine Schulter eine andere Hand in seinen Lohn, mit gekrallten Fingern – –

»Herr Kassierer, an meinem Lohne fehlen –«

»Ausgeschlossen, zweimal nachgesehen vor verschiedenen Zeugen – –«

Verdrossen ging er aus der Werkstatt, mit gesenktem Kopf. –

»Vater«, sagte eine Mädchenstimme.

»Was willst, Liese?«

»Hast du vergessen – den versprochenen Hut – du wolltest mitgehen, weil die Mutter krank ist – wie ich mich freue – du weißt ja, schon seit einem Jahre. –«

»Komm.«

Im Laden ging es schnell, – der Vater hatte Hunger.

»Einen Augenblick noch, Vater – schau, wie gut mir auf dem Hut das helle Band steht. –«

Von der Decke droben langte eine Hand, riß das frohe Band vom Hute und verschwand. Grämlicher Kalkstaub rieselte auf den nackten Hut. Höhnisch lag es in der Luft: »Es tuts auch so für den Verlobten.«

Sonntag Nachmittag. Liese saß daheim und weinte. Ihr Verlobter hatte sie verlacht: »Nee, mit einer, die sich so was aufsetzt, geh ich nicht spazieren.«

Es läutete. Liese öffnete und kam verwandelt wieder an das Bett der Mutter: »Freue dich, Mutter, eine Flasche Wein ist für dich abgegeben worden!«

Als sie einschenken wollte, klirrte das Fenster – gegen Westen ging es – plötzlich auf. Geisterhaft griff eine Hand herein, umkrallte die Flasche und verschwand: »Mir der Wein – Sparen, Darben euch, den Schuldnern!«

Zornig sprang sie auf. »Laß«, sagte die Mutter müde, »es wird uns so bestimmt sein – horch, da kommt schon Vater wieder mit den Kindern – seid ihr denn nicht mit dem Zug ins Grüne?«

Finster sagte Vater: »Unser Zug war eben aus der Halle, als ihn ein Ruck zum Stehen brachte. Der Maschinist hatte aufgerissene Augen. Ueber die Dächer der Stadt her, sagte er, habe auf einmal ein Arm herübergegriffen, eine Faust sich gegen der Maschine Stirnschild angestemmt: »Halt, her mit deinen Kohlen! – Vergnügen? Nichts da! schafft, legt Ueberstunden ein und zahlt! – ins Grüne? das hat Zeit, bis eure schwarze Schuld getilgt ist!« – »Der Maschinist ist verrückt geworden,« sagten die Leute, »der Zug soll weiterfahren.« Aber er konnte nicht – der Kohlentender war verschwunden – da, Kind, nimm deines Vaters Sonntagsrock und häng ihn in den Schrank – verflucht, was soll das!«

Aus dem Schranke langte eine Hand und zerrte den Sonntagsrock durchs offne Fenster gegen Westen. Flügelschlagend flatterten die Schöße: »Laß uns, wir sind alt.« – »Alt?« pfiff's im Winde, »für Lumpen taugt er noch, und aus den Lumpen machen wir Papier für neue Schuldverträge, die euch knechten sollen. –«

»Horch«, stöhnte die Kranke, »mir ist, als schrie der Kleine.«

Sie gingen hinüber und erstarrten. Aus dem Ofen, neben dem die Wiege stand, ragte ein Arm hervor, rang mit dem Kleinen um die Flasche und verschwand mit ihr.

Stumm und stumpf vor Schrecken sah der Vater nach. Zitternd schlief er diesen Abend ein.

Dennoch erwachte er des Morgens frisch und ging, wie alle Tage, ein Liedchen pfeifend, arbeitsfröhlich nach der Werkstatt.

Auf einmal sah er aus dem Morgendämmer wieder jene Hand herunterkommen. Linien unterschied er auf der Innenfläche. Die überkreuzten sich und formten ein Gesicht, ein hartes, in dem verkniffne Lippen auf und nieder gingen: »Denk an Den Vertrag und gib!«

»Was noch?«

»Alles, was du hast.«

»Ich habe nichts mehr.«

»Doch, das Lied, das du da pfeifst.«

Da gab er ihr das Lied. Die Hand wollte sich fortheben.

»Halt, Hand, ist es wirklich so geschrieben, daß ich alles –«

»Alles, alles.«

Da packte er die Hand mit Schraubstockraft am Gelenk: »Dann nimm auch das!«

»Was ist es?«

»Mein letztes – die Verzweiflung!«

Da wich das Blut aus den Adern der Hand. Sie begann zu schlottern: »Nimm wieder, nimm zurück!«

»Nein, auf mein letztes gibt dir der Vertrag nicht nur das Recht – nein, auch die Pflicht.«

»Gift, Gift! es bringt mich um!«

»Tobe nicht – es nützt nichts mehr – schon kreist es dir im Blut – die letzte Strecke wollen wir zusammen wandern, komm, mein Kamerad!«


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