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Steuererklärung

Ich habe eine Steuererklärung für das Reichsnotopfer abzugeben. Du hast eine Steuererklärung für Vermögenszuwachs abzugeben. Er hat eine Steuererklärung für Kapitaleinkommen abzugeben. Sie hat – man hat – wir haben – ihr habt – sie haben … Das Reich ist überschwemmt mit Steuererklärungsbogen. In allen Stuben und Kontoren raschelt's, schwitzt's und flucht's.

Flucht's? Tun wir wirklich fluchend, was wir selbst im Parlament beschlossen haben? Gönnen wir der siechen Mutter nicht, was sie noch retten könnte? Ist da einer, der nicht wüßte: Hilf dem Reich, so hilfst du dir?

Seien wir ehrlich: Steuern waren niemals süß. Aber Pflicht ist Pflicht, und vor uns durchs schauerliche Tal der Sorgen schreitet das Reich mit dem ehernen Schilde der bitteren Notwendigkeit – ist da einer, der dem Reich den letzten Schild aus seinen Händen schlüge? Nein, zahlen wollen wir.

Was wir nicht wollen, ist dies: Alle Nasenlang einen neuen Steuererklärungsbogen auf das Pult gelegt zu kriegen. Alle Nasenlang dieselben dreiundsiebzig hochnotpeinlichen Erforschungsfragen beantworten zu müssen, die wir eine Nasenlänge vorher schon beantwortet haben. Alle Nasenlang einem verklausulierten Satzungeheuer zum Fräße vorgeworfen zu werden: »Für Grundstücke, die nach dem 31. Dezember 1913 von Todes wegen im Sinne der Paragraphen 1 bis 4 des Erbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906 –«

»Hm, Hm.«

»– im Wege der Erbteilung, von Eltern, Großeltern oder entfernteren Voreltern, sowie auf Grund einer ohne entsprechende Gegenleistung erfolgten Zuwendung unter Lebenden erworben sind –«

»Einen Augenblick, bitte, meine Krawatte hat sich verschoben.«

»– gilt, soweit die Grundstücke dauernd land- und forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Zwecken oder soweit bebaute Grundstücke Wohn- oder gewerblichen Zwecken zu dienen bestimmt sind, und ihre Bebauung und Benutzung der ortsüblichen Bebauung und Benutzung entspricht –«

»Uff!«

»der Ertragswert, sonst der gemeine Wert zur Zeit des Erwerbes als Entstehungskosten beim Gewerbe –«

»Gnade, Gnade!«

»– so daß diesem Betrage die seit dem Erwerbe gemachten Aufwendungen hinzuzurechnen und von ihm die seit dem Erwerbe durch Verschlechterung etwa entstandenen Wertminderungen abzuziehen sind – verstanden?«

Keine Antwort.

»Ver-stan-den??«

Keine Antwort. Die Totenstarre hat den Steuererklärungspflichtigen befallen.

Gott sei Dank, nur Scheintod. Denn als der Fiskus wieder anhebt: »Für Grundstücke, die nach dem 31. Dezember 1913 von Todes wegen im Sinne der Paragraphen 1 bis 1 des Erbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906, im Wege der Erbteilung, sowie auf Grund einer ohne –«, schnellt es den Toten in die Höhe, und verzweifelt stopft er, dem Fiskus bis zur Schulter in den verschachtelten Paragraphenrachen fahrend, die Satzgeschwulst in den Schlund zurück: »Krepier!« – Womit er die Geschwulst meint, nicht den Fiskus.

Im Ernste, lieber Fiskus, stell dir den schlichten Bauer Jochen vor – einen der sieben Millionen Jochen, auf die es heute ankommt, ob wir durch den Engpaß kommen oder drin ersticken. Stell ihn dir voran seinem Tannenschreibtisch in der guten Stube, indessen draußen angeschirrte Pferde auf das Pflügen warten. Stell dir weiter vor, dein Steuerbogen liege vor dem Jochen, indessen auf der Tenne drüben seine Dreschmaschine rattert. Stell dir vor, derweil die Kuh im Stall nach Futter muht, springt ihn, den Jochen, jetzt dein Bandwurm an: »Für Grundstücke, die nach dem 31. Dezember 1913 von Todes wegen im Sinne der Paragraphen 1 bis 4 des Erbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906 –«

»Jhaha!« und Scharren draußen bei den Pferden.

»Gleich, gleich!« der Jochen.

»… sowie auf Grund einer ohne entsprechende Gegenleistung erfolgten Zuwendung unter Lebenden erworben sind, gilt, soweit die Grundstücke dauernd –«

»Krr, krr,« die Dreschmaschinenzapfenlager, die nach Oelung kreischen.

»Gleich, gleich!« der Jochen.

»… und ihre Bebauung und Benutzung der ortsüblichen Benutzung und Bebauung entspricht, der Ertragswert, sonst der gemeine Wert zur Zeit des Erwerbs als Gestehungskosten beim Erwerbe so, daß –«

»Muh, muß!« im Stall die Kuh.

»Gleich, gleich!« der Jochen.

»… hinzuzurechnen … abzuziehen sind – verstanden?« der Fiskus.

»Nein,« sagt der Jochen ehrlich und beginnt von vorne. Es raucht der Kopf, es ächzt die Dreschmaschine … Zum dritten Male beginnt der Jochen: »Für Grundstücke, die …« Es brüllt die Kuh. Sehnt sich das pflügbereite Feld vergeblich nach der Wendung aller Dinge.

»Hol's der Deibel!« schmeißt der Jochen die Feder hin. – Den Fiskus meint er diesmal, nicht das Satzgefüge.

Und wenn vom Jochen bei der nächsten Sendung etwas weniger Getreide und eine Milchkanne nur halbvoll in die Stadt kommt, die den Bandwurm ausgebrütet hat, so wundern sich und murren unsere Städter gerade so, wie sich des Jochen Kuh gewundert, Jochens Pferd gescharrt hat – wer von den dreien, dünkt euch, mit größerem Recht: die Kuh, das Pferd, die Städter?

Halt, ich vergaß den vierten: den Verfasser unserer Steuerbogen. Wundert sich der auch?

Wir über ihn schon lange nicht mehr, mit Verlaub. Die Herren haben nichts gelernt und nichts vergessen. Staatliche Umwälzung, technische Umwälzung, geistige Umwälzung: durch alle Revolutionen kriechen ihre Satzgewürme, breit und gründlich, schmatzend, glotzend, mit Polypenarmen dreiundzwanzig Nebensätze an sich saugend, hinaussaugend, alle schlichte Bereitwilligkeit derer, die da eines guten Willens sind, erdrückend.

Guter Wille, ja, er ist auch heute da – noch da wie lange noch? Aber redet Deutsch mit unserem guten Willen, nicht Chinesisch. Deutsch zu reden ist ja fast das einzige Gut, das sie uns gelassen haben.

Klebt meinetwegen euern roten Zettel auf die Steuerbogen zur Warnung jener, die da eines schleckten Willens sind. Schreibt drauf: »Wer seine Steuer fälscht, ist ein Lump und wird bestraft.« Das wirkt, das wird verstanden, auch von einem Jochen, der da hinterziehen will. Verwässert aber nicht den Ernst der Zeit mit dünnen Seifensätzen »Derjenige, der unrichtige oder unvollständige Angaben in der Absicht, die Kriegsabgabe zu hinterziehen, erstattet, kann unter den im Paragraph 28 des Gesetzes über eine Kriegsabgabe vom Vermögenszuwachs ersichtlichen Voraussetzungen …«

Und den freundlichen Jochen muntert auf mit einem guten Vorspruch, worin die Not des Vaterlandes flammt, statt mit einem dürren Paragraphen. Fangt euern ersten Satz nicht an mit: »1. Grundvermögen. A) Grundstücke, ausgenommen Grundstücke …« Da lacht ja Jochens Kuh. Macht keine siebzehn Anmerksternchen untenhin. Verweist nicht innerhalb der Sternchen auf 1A, 2B und auf ein †-Zeichen. Solche Zeichen setzt man auf die Gräber. Wir aber wollen auferstehen.

Das Wort Steuererklärung enthält die Wurzel »klar«. Hand aufs Herz, sind die Steuererklärungen, durch welche wir uns heute quälen müssen, klar? Klar vor allem in der Sprache?

Setzt einen Meister unserer Sprache an den Steuertisch. Laßt ihn statt eurer Mausefalle ein schlichtes Kunstwerk bau'n, das der letzte Mann im letzten Dorf versteht. Keulenschläge müssen seine Sätze sein, Keulenschläge für das Gewissen, keine juristischen Eiertänze. Die Not des Volkes muß darin widerhallen. Und seine Rede sei Ja und Nein, nicht einesteils und andernteils. Stumpft die Erklärung nicht durch Wiederholung ab zu einer leeren Formel. Eine einzige Erklärung sei für lange Zeit genügend. Heilig wird sie so. Steuern heiße über sich Gerichtstag halten: Ich steure, was ich kann; denn was ich bin und was ich habe, dank' ich dir, mein Vaterland.


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