Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Meister Robinson
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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Achter Nachmittag

Johannes: Kannst du uns wohl sagen, Vater, wie lange sich Robinson jetzt schon allein auf der Insel befindet?

Vater: Es dürften achtzehn bis zwanzig Tage her sein, seit das Meer ihn ans Land gespült hat. Zwei Tage vergingen, bis er den Wohnungsbau begann, dieser selbst nahm etwas mehr als zwei Wochen in Anspruch.

Johannes: Wußte Robinson selbst das auch? Wie konnte er denn die Tage zählen? Er hatte doch keinen Abreißkalender.

Vater: Nein, den besaß er nicht. Aber man kann auch auf andere Weise eine sorgfältige Zeitrechnung führen. Robinson schuf sich an Stelle des Abreißkalenders einen Einkerbkalender. Mit Hilfe einer scharfen Muschel, ähnlich jener, die ihm als Obstmesser diente, hatte er an drei mächtigen Bäumen, die in der Nähe seiner Wohnung standen, die Rinden glatt geschabt. Er machte nun an jedem Abend, bevor die Sonne sank, eine Kerbe in einen der Bäume, so daß er an deren Zahl die vergangenen Tage abzählen konnte. Er nahm sich vor, immer, sobald dreißig oder einunddreißig solcher Striche beisammen wären, eine Kerbe in den zweiten Baum zu machen, die alsdann einen vergangenen Monat bedeuten sollte. Wenn zwölf Monatsstriche gekerbt wären, wollte er einen großen Jahresstrich am dritten Baum herstellen. Zwar hoffte er, daß es so weit gar nicht kommen werde, indem ein Schiff ihn schon vorher abholte, aber klugerweise bereitete er sich auch auf die Möglichkeit längeren Aufenthalts vor. Der Jahresbaum hat denn auch schließlich viele Einschnitte erhalten.

Dieser Kerbkalender nutzte Robinson auf zwei verschiedene Arten. Einmal vermochte er mit seiner Hilfe die 98 Aufenthaltszeit auf der Insel genau zu verfolgen, ferner aber konnte er auch jeden siebenten Tag, also den Sonntag, bestimmen, an dem er niemals arbeiten wollte. Diesen Tag brachte er vielmehr damit zu, innere Einkehr zu halten und Gott für seine wunderbare Rettung zu danken.

Dietrich: Du sagtest doch, Vater, daß Robinson, nachdem er ans Land geworfen worden, ohnmächtig dagelegen und nachher nicht gewußt hatte, wie viele Tage diese Ohnmacht wohl gedauert haben mochte. Da konnte er doch also den Sonntag nicht so genau bestimmen.

Vater: Das ist richtig. Tatsächlich hat er auch lange Zeit hindurch den Sonntag nicht an dem gleichen Tag gehalten wie wir in Europa. Aber das hat sicherlich die fromme Handlung nicht beeinträchtigt. Gott sah den guten Willen Robinsons, ihm durch den Andachtstag seinen Dank darzubringen, und sicherlich war es ihm gleichgültig, zu welchem Termin dies geschah.

Johannes: Wie hat Robinson denn aber die Zeitrechnung begonnen?

Vater: Er entsann sich noch des Datums an dem Tag, der den Schiffbruch brachte. Den Tag seines Erwachens zählte er als den nächsten. Es hat sich später herausgestellt, daß er hierbei zwei Tage überschlagen hatte. So lange mußte also seine Ohnmacht gedauert haben. Dennoch kam er schließlich wieder in gleichen Schritt mit der europäischen Kalenderrechnung, und zwar deshalb, weil er jedesmal bei ihrer Fälligkeit die Schalttage vergessen hatte.

Peter: Was ist das: Schalttage?

Vater: Das mag dir Dietrich erklären.

Dietrich: Ein Jahr ist die Zeit, in der die Erde sich einmal um die Sonne herumbewegt. Wir wissen ganz genau, wie lange das dauert, da die Sternkundigen oder Astronomen durch ihre Instrumente haarscharf feststellen können, wann die Erde sich wieder am gleichen Ort im Himmelsraum befindet. Wir rechnen nun einen Umgang der Erde um die Sonne, also ein Jahr, gewöhnlich zu dreihundertfünfundsechzig Tagen. Die Umlaufszeit dauert aber in Wirklichkeit etwas länger, nämlich dreihundertfünfundsechzig und einviertel Tage. Wenn wir nun immerzu nur dreihundertfünfundsechzig Tage rechneten, 99 so würden schließlich die Jahreszeiten sich auf andere Monate verschieben, als wir dies gewöhnt sind. Schon in dreihundert Jahren würde der Anfang des Frühlings, der ja immer im März stattfinden soll, im Juni liegen, da wir um fünfundsiebzig Tage in der Zeitrechnung zurückgeblieben wären. Das würde nun sehr störend sein, und deshalb schafft man einen Ausgleich. Man verlängert nämlich alle vier Jahre das Jahr um einen Tag, indem man dann, wenn die Jahreszahl durch vier teilbar ist, den Februar nicht wie gewöhnlich achtundzwanzig, sondern neunundzwanzig Tage lang sein läßt.

Peter: Ach ja, der 29. Februar! Das ist solch ein komischer Tag, der nur alle vier Jahre vorkommt. Und gerade an diesem Tag hat mein Freund Heinz Geburtstag. Das ist doch ganz etwas Merkwürdiges, nicht wahr, Vater?

Vater: Ein solches Geburtstagsdatum fällt uns auf, weil der 29. Februar als Schalttag von besonderer Art ist. Aber daß jemand an diesem Tag geboren ward, ist weder etwas Merkwürdiges noch etwas Seltenes. Er ist ja für das Geschehen in der Welt ein Tag wie jeder andere, nur wir Menschen zeichnen ihn in unserem Kalender aus. Es gibt selbstverständlich Tausende und Abertausende von Menschen allein in Deutschland, die am 29. Februar geboren sind. Sicherlich bekommen sie ihre Geschenke, wenn nicht gerade ein Schaltjahr ist, am 28. Februar oder am 1. März.

Ich wollte zu dem, was Dietrich euch so hübsch auseinandergesetzt hat, noch bemerken, daß die Hinzufügung eines ganzen Tags in jedem vierten Jahr doch etwas zu viel ist. Denn die Zeit, welche die Erde über die dreihundertfünfundsechzig Tage eines gewöhnlichen Jahrs hinaus braucht, um einmal um die Sonne herumzugehen, ist nicht genau ein viertel Tag oder sechs Stunden, sondern nur fünf Stunden achtundvierzig Minuten und vierzig Sekunden. Um auch diese Ungenauigkeit wieder gutzumachen, läßt man alle vollen hundert Jahre den Schalttag fort. 1900 war also kein Schaltjahr, obgleich die Zahl durch vier teilbar ist. Auf diese Weise bleiben wir hübsch im Schritt mit der Sonne, die ja unsere Allmutter ist.

Ursula: Ach, Vater, nun erzähle uns doch wieder von Robinson weiter!

100 Vater: Er erwachte in seiner neuen Wohnung frohen Gemüts nach einem äußerst erquickenden Schlaf. In dem hohlen Baum, der ihm zwei Wochen lang als Nachtquartier gedient hatte, war es doch recht unbequem und dumpfig gewesen. Lang ausgestreckt auf dem bequemen, weichen Heulager in der wohlig lauen Luft hatte er wundervoll geschlafen. Sein erster Gedanke war: was habe ich heute zu tun? Denn auch nach Einrichtung der Wohnung wollte er ununterbrochen weiterschaffen, da er die Arbeit bereits als das beste Heilmittel gegen die Qualen der Einsamkeit erkannt hatte. Und es war noch genug zu erledigen.

Bis jetzt hatte er das Wasser, welches ja notwendig war, um die Wurzeln seiner Heckenbäumchen zu begießen, mühsam und in unzähligen Gängen mit den hohlen Händen und in muldenförmigen Rindenstücken von der Quelle herbeigetragen. Das konnte so nicht weitergehen. Diese Arbeit war zu ermüdend und unfruchtbar. Er grübelte und grübelte, wie er sich wohl ein Gefäß verschaffen könnte. Ein einfacher Topf schien ihm jetzt ein hohes Gut. Aber wo sollte er den hernehmen?

Nachdem er aufgestanden und, wie täglich, ein Bad im Meer genommen hatte, wollte Robinson wieder einmal zu dem Vogelbrutplatz im Wald gehen, um sich einen frischen Eiervorrat zu holen. In Gedanken versunken, schlug er eine falsche Richtung ein und befand sich bald in einem Teil des Waldes, den er noch nicht betreten. Als er dessen gewahr wurde und sich umschaute, sah er eine Schar wundervoll hochragender Bäume vor sich stehen, Palmen offenbar, an denen Früchte hingen, jede so groß wie ein Kinderkopf. Robinson hätte kein Hamburger sein müssen, wenn er diese Früchte nicht sogleich als Kokosnüsse erkannt hätte, wie er sie oft genug von den Schiffen hatte ausladen gesehen. Werden doch alljährlich nach Deutschland für annähernd hundertfünfundzwanzig Millionen Mark Kokosnüsse eingeführt, von denen der größte Teil in Hamburg ankommt.

Peter: Wozu werden denn diese vielen Kokosnüsse verwendet?

Vater: Die Frucht der Kokospalme stellt ein Naturerzeugnis dar, das den Menschen in wunderbarster Weise, auf vielfältigste Art zu dienen vermag, wie wir gleich sehen werden. 101 Nachdem Robinson mit einem Stein eine der Nüsse heruntergeschlagen hatte und sie dann näher betrachtete, sah er, daß die umfangreiche Rundung zunächst mit einer dicken, aus Fasern bestehenden Schicht bedeckt war. Als er diese abgerissen hatte, stieß er auf eine steinharte Kapsel, die lange allen seinen Versuchen widerstand, sie zu sprengen. Endlich ging sie doch in Trümmer, und eine milchige Flüssigkeit lief heraus. Gleichzeitig kam der Kern zum Vorschein, der, wie Robinson schon bekannt war, einen prächtigen, haselnußartigen Geschmack hat. Ganz begeistert sprang Robinson auf und ging erregt hin und her. Hier hatte er viele nützliche Dinge zugleich gefunden. Wenn es ihm gelang, die äußeren Fasern richtig zusammenzudrehen, zu verspinnen, so konnte er sich haltbare Stricke daraus herstellen, wie es auch bei uns geschieht. Man macht ja aus solchen Stricken die bekannten Kokosmatten, die häufig vor den Türen zum Reinigen der Stiefelsohlen niedergelegt werden und besonders dauerhaft sind. Das Spinnen ist unserem Freund aber nie gelungen. Mit dem prächtig schmeckenden Fleisch des Kerns jedoch konnte Robinson seinen täglichen Speisenzettel weiter vervollständigen. Die Milch wollte er künftig sorgfältiger auffangen, um sie als angenehmes Getränk zu benutzen, dessen süßen Geschmacks er sich aus seiner Heimat erinnerte.

Als das Wichtigste erschien ihm aber in diesem Augenblick die harte, in der Mitte ausgehöhlte Schale. Wenn er sie in die Hälfte teilen konnte, ohne sie zu zerbrechen, so hatte er jedesmal zwei vortreffliche Gefäße, die Töpfe gut ersetzen konnten. Er entsann sich, daß an einer Stelle am Fuß des Bergs Steine lagen, die vielleicht genügende Härte und Schärfe haben mochten, daß man die Kokosschalen damit langsam zerlegen könnte. Geschwind lief er an diesen Platz und fand wirklich einen Stein, der an der einen Seite einen vorzüglichen Griff bot und an der anderen eine Art Schneide besaß. Er schlug mehrere weitere Nüsse ab, und nach einigen mißlungenen Versuchen brachte er es wirklich fertig, die Schalen zu spalten und so Hohlgefäße, wenn auch mit recht rauhen Rändern, zu gewinnen. Er bepackte sich mit einem halben Dutzend der Nüsse, ging damit zu seiner Wohnung und arbeitete wohl zwei Tage lang daran, um mehrere Töpfe zu gewinnen. Einige 102 davon füllte er mit der Kokosmilch an. Zwei nahm er, um darin Wasser zu holen und seine Pflanzung zu begießen.

Peter: Da hatte der Robinson aber wirklich etwas sehr Nützliches gefunden. Du sagtest aber, Vater, daß man auch bei uns die Kokosnüsse viel verwendet. Bis jetzt hast du aber nur die Benutzung der Faser erwähnt.

Vater: Trink- und Schöpfgefäße stellt man bei uns natürlich aus der harten Schale nicht her. Hierzu benutzen wir besser Ton, Glas oder Eisen. Aber die weniger kultivierten Völker, die in der heißen Zone wohnen, bedienen sich der harten Kokosschale heute noch in gleicher Weise wie Robinson, und sie trinken auch sehr gern die Milch. Bei uns fertigt man häufig Knöpfe und ähnliches aus der Schale. Als das Wichtigste aber betrachten wir den Kern, der nur äußerst selten gegessen, meist getrocknet wird und alsdann Kopra heißt. Durch Auspressen kann man aus ihm ein sehr wertvolles Öl herstellen. Es wird für die Fabrikation von Seifen und Kerzen verwendet, gibt aber nach einer reinigenden Behandlung auch brauchbare Speisefette und dient ferner vielfach als Grundlage für die Herstellung des bekannten Butterersatzes Margarine. Diese kommt ja häufig unter Namen wie Palmin, Palmona oder Palmfett in den Handel, der auf ihren Ursprung von der Kokospalme hinweist. Es gibt also kaum eine zweite Frucht, die sich so vielfältig nutzen läßt.

Als Robinson nunmehr seine Lage überdachte, fühlte er sein Herz froh bewegt. Es ging ihm doch eigentlich recht gut. Er hatte eine sichere Wohnung, eine angenehme Schlafstätte, und seine Tafel war durch die Früchte des Pisang, des Brotbaums, der Kokospalme sowie durch die Vogeleier recht gut bestellt. Wenn er nur noch wenigstens einen Kameraden gehabt hätte, würde er sich recht wohl gefühlt haben. Gesellschaft aber fehlte ihm gar sehr, und jedesmal stürzte er sich von neuem in die Arbeit, wenn das Gefühl der Einsamkeit gar zu lebhaft in ihm wurde.

Ferner hätte unser Freund auch sehr gern einmal etwas Warmes gegessen. Er hatte gehört, daß in den heißen Ländern Eier zum Kochen kämen, wenn man sie in Sand legt, der die auffallende Sonnenwärme gewissermaßen speichert. Er machte den Versuch, kam aber zu keinem Gelingen, da die 103 Insel denn doch zu weit vom Äquator, also der Gegend stärkster Sonnenglut, ablag. Und da empfand er doppelt den Mangel des Feuers.

Ursula: Hatte er denn gar kein Streichhölzchen?

Vater: Nein. In seinen Taschen fand sich nichts davon, und die Hölzchen wären wohl auch sicher unbrauchbar geworden, da Robinson ja so lange im Wasser gelegen hatte. Er entsann sich, in vielen Geschichtenbüchern gelesen zu haben, daß die wilden Völker Feuer durch Aneinanderreiben von Holzstücken herstellen. Das wollte er auch versuchen.

Ursula: Haben denn die Wilden auch keine Streichhölzchen?

Vater: O nein! Denn diese sind eine Errungenschaft hoher Kultur. Auch wir besitzen sie noch gar nicht lange. Sie wurden erst gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts erfunden, und in allgemeine Anwendung kamen sie noch viel später. Vorher hatten es die Menschen also nicht so bequem wie wir heutzutage, wenn sie Feuer entzünden wollten. Da war gar nicht daran zu denken, daß jeder Raucher sich eine neue Flamme erzeugte, um seine Pfeife anzubrennen. Es ging sehr viel umständlicher her.

Peter: Mußte man jedesmal, wenn man Feuer haben wollte, Hölzer aneinanderreiben?

Vater: Diese besonders schwerfällige Methode liegt für uns nun freilich schon allzu weit zurück. Zwischen ihr und dem Streichholz gibt es die verschiedensten Stufen, die ich euch erzählen will, nachdem wir erst wieder einmal einen Blick auf Robinsons Bemühungen geworfen haben. Er suchte sich unter den abgefallenen starken Zweigen der Bäume einen recht trockenen heraus, brach davon zwei handliche Stücke ab und rieb sie aneinander. Sein Wunsch, Feuer, eines der höchsten Besitztümer der Menschheit, auf seiner Insel zu haben, war sehr groß. Und so scheute er keine Anstrengung. Er rieb und rieb die Hölzer aneinander, aber jedesmal, wenn sie gerade anfingen, warm zu werden, erlahmte die Kraft seiner Arme. Einmal, als er besonders lange ausgeharrt hatte, brachte er es so weit, daß eine Stelle sich ein wenig dunkel zu färben begann, ein Zeichen, daß sie im Begriff war, sich zu entzünden. Aber es war ganz unmöglich, wirklich 104 einen Funken oder gar eine Flamme herauszubekommen. Entmutigt mußte Robinson von seinen Versuchen abstehen.

Die Ursache des Mißlingens war, daß er nicht die richtigen Hölzer genommen hatte. Wenn man nämlich zum Ziel kommen will, muß man, wie die Wilden, die das ganz genau wissen, hartes und weiches Holz aneinanderreiben und nicht zwei gleich harte Hölzer, wie Robinson es getan hatte. Das weiche Holz entflammt viel leichter. Die Wilden begnügen sich auch nicht mit einfachem Reiben, sondern sie wenden wohl stets das Feuerbohren an und gebrauchen auch den Zunder.

In ein weiches Holzstück, das man mit den Füßen auf dem Boden festhält, wird eine Kerbe gemacht und in diese ein Stab aus sehr hartem Holz senkrecht eingesetzt. Dreht man diesen sehr geschwind zwischen den flachen Händen, so entsteht, freilich auch nach vieler Mühe, zuerst Rauch und dann eine kleine Flamme. Sorgfältig sind vorher trockene Halme oder ein anderer loser, sehr leicht entflammbarer Stoff, also Zunder, rings um die Kerbe gelegt worden, und dieser fängt alsdann Feuer. In besonders hübscher Form wird das Feuerbohren bei den Eskimos ausgeführt. Diese drehen den Bohrerstab nicht mit den Händen, sondern schlingen die lose gespannte Sehne eines Bogens einmal herum. Wenn nun der Stab oben mit Hilfe eines eingekerbten Steins gehalten und angedrückt wird, so kann man ihn durch Hin- und Herziehen des Bogens in äußerst rasche Bewegung bringen, und bald schlägt die Flamme empor.

Aber auch auf diese Weise stellt das Anzünden des Feuers jedesmal eine bedeutende Arbeit dar, die man gern vermeidet. Bei den Naturvölkern ist es daher allgemein üblich, die Flamme zu bewahren. Jeder Ort, jede Siedelung hat eine Stelle, wo die Flamme unter Bewachung ständig brennt. Auf den Andamanen, einer Inselgruppe in der Nähe von Hinterindien, sollen die Bewohner noch heute nicht imstande sein, Feuer neu zu entzünden. Wenn also die Flamme, die sie von Urzeiten her hüten, erlöschen würde, wären sie in derselben mißlichen Lage wie unser Robinson.

In Europa hatte man die Reibfeuerzeuge schon lange in besonders bequeme Formen gebracht, die ein Entflammen durch 105 wenige, kurze Bewegungen gestatteten. Einen sehr großen Fortschritt brachte dann die im Mittelalter aufgekommene Anwendung der Schlagfeuerzeuge. Schlägt man gegen einen Stein, der wegen besonderer Eigenschaften schon von unseren Vorfahren in den ältesten Urzeiten benutzt worden ist, gegen den Flint, mit einem anderen Stein, der Eisen enthält, zum Beispiel mit Schwefelkies oder besser mit einem Stahlstück, so entstehen Funken. Diese werden in Zunder aufgefangen. Die Flamme entsteht hier, ohne daß man sich sehr anzustrengen braucht, aber eine gewisse Geschicklichkeit ist notwendig. Solche Flintsteine lagen auch in den ersten Gewehren, und der Hahn erzeugte, indem er beim Zuschlagen über sie streifte, den Funken, der das Pulver im Lauf zur Entzündung brachte. Diese Gewehre mit Steinschlagschlössern nannte man daher Flinten, ein Wort, das sich bis heute für unsere ganz anders gearteten Gewehre erhalten hat. Wegen seiner Eigenschaft, Funken zu geben, heißt der Flint auch Feuerstein. Schlagfeuerzeuge mit Stein und Stahl waren bis weit ins vorige Jahrhundert hinein allgemein üblich. Während heute fast jeder Mann ein Streichholzschächtelchen in der Tasche hat, trug man damals Stein und Stahl sowie ein Büchschen mit Zunder bei sich. Unsere Streichhölzchen nun benutzen zur Erzeugung der Flamme etwas ganz anderes, nämlich einen höchst seltsamen Stoff, den Phosphor. Seinen Namen, der, aus dem Griechischen übersetzt, Lichtträger bedeutet, hat der Stoff daher, daß er im Dunkeln leuchtet. Reiner Phosphor gerät in der Luft von selbst in Brand und ist sehr giftig. Es war eine große Kunst, ihn so zu verarbeiten, daß er zur bequemsten Erzeugung einer Flamme durch einfaches Reiben dient und doch keine Gefahr durch Selbstentzündung bringt. Die heutigen Sicherheitszündhölzer sind eine deutsche Erfindung, wenn wir sie auch meistens schwedische Streichhölzer nennen, weil sie in diesem Land zuerst in großen Mengen hergestellt worden sind. Eine einzige Fabrik in Jönköping verfertigt allein täglich etwa fünfzig Millionen der kleinen Feuerspender.

Johannes: Die Zündhölzchen sind also richtige kleine Kunstwerke.

Vater: Gewiß! Und Robinson erschienen sie sicherlich als solche, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, Feuer zu 106 machen. Wie herrlich wäre es für ihn gewesen, wenn er nur ein einziges der Streichhölzchen gehabt hätte, die er früher so achtlos schachtelweis verbraucht hatte. Er träumte nachts davon, daß ihm jemand ein Schächtelchen mit Zündhölzern brächte, und dies erschien ihm als das köstlichste Geschenk.

Ein paar Tage darauf, als Robinson von neuem mit dem Öffnen von Kokosnüssen beschäftigt in seiner Wohnung saß, mit dem Rücken an die Hecke gelehnt, da glaubte er, mit wachen Sinnen wiederum zu träumen. Er hatte bei der Beschäftigung mit den Nüssen, die nur seine Handfertigkeit in Anspruch nahm, besonders lebhaft an die Heimat gedacht, sich vorgestellt, wie es wohl jetzt seinen Eltern ginge, und dabei entrang sich seiner Brust der laute Seufzer: »Ach Gott, ach Gott!« Sogleich antwortete eine Stimme: »Gott!« Robinson fiel der Stein, mit dem er die Nuß bearbeitete, aus der Hand, aber sogleich besann er sich und nahm mit ergebenem Lächeln seine Arbeit wieder auf. Es war kein anderer Mensch, überhaupt kein lebendes Geschöpf, das ihm geantwortet hatte.

Peter: Es wird wohl ein Echo gewesen sein.

Vater: Ganz recht, ein Echo, wie es oftmals entsteht, wenn der Schall von einer Felswand oder einem hohen Gemäuer zurückgeworfen wird. Bei Robinson war es die steile Felswand seiner Wohnung, die jetzt gerade in einer Entfernung von etwa siebzig Schritt vor ihm aufragte. Unser Freund fand in diesem Widerhall nichts Wunderbares, da er schon als kleiner Junge einmal mit seinen Eltern im Riesengebirge gewesen war und sich von dorther weit stärkerer Echos entsann. Aber in seiner jetzigen Gewöhnung auf der Insel war ihm keine einzige Naturerscheinung ganz gleichgültig, und so begann er darüber nachzudenken, wie es denn eigentlich zugehe, daß eine Wand auf ein Geräusch Antwort gäbe.

Dietrich: Na, es war doch gerade nicht schwer, dafür eine Erklärung zu finden. Der Schall kommt eben bei der Bergwand an, wird dort zurückgeworfen und fliegt zum Ohr zurück; auf diese Art hört man eben alles zweimal.

Vater: Ganz recht, es ist so ähnlich, wie wenn eine Billardkugel gegen den Gummirand des Spieltischs, die Bande, anrennt, oder wenn ein Ball von der Stubenwand zurückprallt; 107 aber es scheint doch dabei noch ein Unterschied zu sein, denn eine Billardkugel, ein Gummiball, das sind doch sichtbare, greifbare Gegenstände, feste, schwere Körper, während der Schall doch nur als eine Lufterschütterung empfunden wird, und die Luft . . .

Johannes: Ist eben auch ein schwerer Körper!

Ursula: Aber Johannes, was fällt dir ein! Luft ist doch bloß Luft, Luft ist doch gar nichts.

Johannes: Und wenn du gegen starken Wind gehst, merkst du dann nicht, wie du dich anstrengen mußt, wie er dich zurücktreibt? Da spürst du doch die Festigkeit eines Körpers, denn der Wind ist ja nichts anderes als bewegte Luft. Und nun gar, wenn auf der Elbe der Wind, die Luft, sich in die Segel legt und ein schweres Schiff recht geschwind gegen die Wasserströmung dahinführt, ist dir das auch noch nicht Körperkraft genug?

Vater: Gewiß, die Luft ist zwar leichter als ein Ball oder Bleiklumpen, aber trotzdem etwas Körperliches; und sie besitzt auch die Fähigkeit, wie viele andere Körper, in Schwingungen zu geraten, so wie ihr eine Geigensaite erbeben seht, wenn ich mit dem Bogen über eine Violine fahre, oder wie ihr in eurer Kehle eine Bewegung fühlt, wenn ihr laut singt. Diese Bewegung, diese Schwingung teilt sich der Luft mit, die nun selbst wellenförmig zu schwingen anfängt; und wenn diese Schwingungen von einer entgegenstehenden Wand aufgefangen und zurückgeschleudert werden, so entsteht eben ein Echo. Wenn mehrere Gebirgswände in geeigneter Weise zusammenwirken, kann es sich sogar ereignen, daß in dem Hin und Her der Luftbewegung das Echo zweimal, dreimal und noch öfter erschallt.

Dietrich: Das haben wir ja schon einmal selbst gehört, als wir auf der Ferienreise in den Adersbacher Felsen waren. Als da unser Führer die Pistole abschoß, hörten wir doch den Knall siebenmal! Und der Mann sagte dabei, daß dies das stärkste Echo in der ganzen Welt wäre.

Vater: Das sagte er, um den Reisenden ein Vergnügen zu machen. Aber in der weiten Welt kommen doch noch ganz andere Echos vor. Da gibt es zum Beispiel bei Mailand in Italien ein Schloß mit zwei weit abstehenden Flügelgebäuden, und wenn man, dazwischenstehend, eine Schießwaffe abfeuert, so hört man den Knall sechsundfünfzigmal. Merkwürdig 108 genug geht es auch am Rhein zu, wo der schöne und vielbesungene Loreleifelsen ein laut gerufenes Wort siebzehnmal wiederholt. Aber das Erstaunlichste wird aus einer Landschaft bei Rom berichtet, wo ein in weiter Ebene stehendes, hochgemauertes Grabmal mit den zugerufenen Worten nimmermüde Fangball spielt. Man konnte dort einen Gedichtvers von fünfzehn Silben vollkommen aussprechen, und von dem Grabmal ertönte dann der ganze lange Vers achtmal hintereinander!

Dietrich: Na, wenn das bloß wahr ist! Hast du es denn selbst gehört, Vater?

Vater: Nein, weder ich noch sonst ein lebender Mensch. Wir müssen uns da auf Berichte aus dem Altertum verlassen und uns zugleich damit abfinden, daß manche Echos nachlassen oder verschwinden, wenn die Mauern, von denen sie herrühren, im Lauf der Zeit abbröckeln und verfallen. Übrigens brauchen wir gar nicht in ferne Länder zu reisen, um noch weit stärkere Echowirkungen wahrzunehmen.

Johannes: Ich weiß schon, Vater, was du meinst: den Donner, wenn es gewittert.

Peter: Was tausend! Ist denn der Donner überhaupt ein Echo?

Vater: Allerdings. Der allererste Anfang eines Donners ist freilich als der unmittelbare Knall zu betrachten, der den aufflammenden Blitz begleitet, wie das Knistern den Funken einer Elektrisiermaschine. Alles weitere ist Echo von den Wolkenwänden und von den Gestaltungen auf der Erde. Man hat mit der Uhr Donner gemessen, die in der Zeitlänge bis zu fünfzig Sekunden andauerten, woraus zu schließen ist, daß der Schall Hunderte von Malen hin und hergeworfen wird.

Peter: Ja, wenn's auch gleich so ungeheuer böllert wie ein Gewitter! Etwas Lauteres gibt's wohl überhaupt nicht?

Vater: Doch, Peter. An Stärke wird selbst der Donnerschall noch von dem Dröhnen des feuerspeienden Bergs übertroffen, wenn sich an solch einem Vulkan ein großer Ausbruch ereignet. Das Getöse eines Donnerkrachs reicht nämlich im höchsten Fall bis zu fünfundzwanzig Kilometer, das ist etwa so weit wie von Berlin bis Potsdam, und das ist eine Kleinigkeit gegen die Wirkung eines brüllenden Vulkans. Als im Jahre 109 1812 der Vulkan auf Sankt Vincent ausbrach, hörte man das auf eine Entfernung so weit wie von Hamburg nach Belgrad in Serbien; und als dreiundzwanzig Jahre später der Vulkan Coseguina in Mittelamerika seine Verwüstungen anrichtete, dröhnte es so entsetzlich, daß die Leute noch auf fünfzehnhundert Kilometern Abstand vermeinten, es müsse irgendwo eine Seeschlacht stattfinden. Ja, der Wolkendonner kann sich in der Reichweite des Schalls kaum mit dem Krachen unserer Feldgeschütze messen, und wir brauchen für diesen Vergleich nicht einmal an das Gebrüll der allerneuesten Erzeugnisse aus der Kruppschen Kanonenfabrik zu denken. Das Bombardement von Kopenhagen im Jahre 1807 wurde in Kolberg gehört und der Kanonendonner von Antwerpen 1832 bis ins Erzgebirge, das ist sechshundert Kilometer weit in der Luftlinie. Auch beim Geschützdonner spielen die Echowirkungen eine große Rolle, Wirkungen, die zudem selbst in unseren Tagen noch nicht vollständig durchforscht und aufgeklärt sind.

Darüber werdet ihr Genaueres erfahren, wenn ihr erst in der Naturkunde bis zur wirklichen Physik und in dieser bis zur Lehre vom Schall, der »Akustik«, vorgedrungen seid. Für jetzt mag es genügen, daß ihr ein Echo in der Natur als ein Spiegelbild des Schalls betrachtet. Das menschliche Ohr erlebt in dieser Hinsicht ganz ähnliches wie das menschliche Auge: wenn ihr euch in einem Glasspiegel betrachtet, so tritt euch gleichsam das Echo eures Antlitzes entgegen. Und wenn Robinson seinen Seufzer doppelt vernommen hatte, so war es das Spiegelbild seiner Worte, das ihm die Hügelwand zurückwarf. 110


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