Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant - Teil 1
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigsten Capitel. Die Entscheidung.

Herr Rechtsanwalt Alvens befand sich in einer schrecklichen Gemüthsverfassung. Durch die unerhörte Saumseligkeit seines Geheimsecretairs war er veranlaßt worden, sich zur ungewöhnlich frühen Stunde in sein Arbeitscabinet zu verfügen, wo er nach einigem oberflächlichen Umherforschen nicht nur das Fehlen des Geldes in seiner Kasse entdeckte, sondern auch den Brief, in welchem Beltram, sein willenloser Sklave, ihm sogar zu drohen wagte.

Sein erster Gedanke war die Polizei; er besann sich indessen schnell eines Anderen und entschloß sich, bevor er weitere Schritte einleitete, genau auszukundschaften, wie weit das von Beltram angestiftete Unheil reiche. Er überzeugte sich sehr bald, daß ihm die wichtigsten, auf seine amerikanischen Verbindung bezüglichen und ihn schwer compromittirenden Briefschaften fehlten und es daher wohl am gerathensten sein dürfte, den hinterlistigen Dieb mit seinem Raube ungehindert davongehen zu lassen. Er grübelte noch darüber nach, auf welche Weise er vor Beltrams Collegen dessen plötzliches Verschwinden am glaubwürdigsten erkläre, als ihn, wie ein Donnerschlag, die ihm von Frau von Birk brieflich übermittelte Nachricht traf, daß auch deren Pflegebefohlene es möglich zu machen gewußt habe, sich heimlich ihrer Obhut zu entziehen.

Er, der sonst gewohnt war, mit scharfem Verstande schnell die Mittel zu entdecken, einem drohenden Unheil mit Nachdruck zu begegnen; der so schlau die gegen ihn selbst, wie gegen seine Clienten gekehrten Waffen zu seinen eignen zu machen wußte, starrte jetzt rathlos auf den Brief nieder, der ihm die erschütternde Kunde von Anna's Flucht brachte. An Beltram dachte er nicht mehr; dagegen erschien es ihm unzweifelhaft, daß Anna durch den Kärrner beeinflußt gewesen sei, er sie dort also auch zunächst zu suchen haben würde. Bevor er indessen seinen Entschluß gefaßt hatte, trat ein Gerichtsbote bei ihm ein, der seine Gegenwart bei einem tobsüchtigen und beim Brande eines Hauses verunglückten jungen Manne wünschte.

Von schwarzen Ahnungen bedrückt trat er den Weg nach dem Armenhause an. Obwohl er es als eine Gnade des Himmels pries, Beltram in einem Gemüthszustande zu finden, welcher seinen Worten und Aussagen jeglichen Werth raubte, stockte ihm doch das Blut in den Adern, als er sich plötzlich in der Lage sah, mit äußerlich ruhiger Haltung und scheinbarem Bedauern das hinnehmen und anhören zu müssen, was aus dem Munde eines seiner Vernunft nicht beraubten Menschen zur furchtbarsten Anklage gegen ihn geworden wäre.

»Mein armer Beltram,« redete er diesen an, der sich in der Zwangsjacke unter den schrecklichsten Qualen wand, »Sie haben nach mir verlangt; womit kann ich Ihnen helfen? Sagen Sie mir es vertrauensvoll, mir, Ihrem nächsten und besten Freunde.«

Beltram betrachtete seinen Peiniger mit einem Ausdruck, so vernünftig und überlegend, daß es Alvens eiskalt überlief.

»Bringen Sie mir das Mädchen?« fragte er endlich geheimnißvoll flüsternd, »oder wollen Sie Alles für sich selbst behalten, das Mädchen und die Millionen?«

»Bedauernswerther Mensch,« sprach Alvens wie in Gedanken, und sich den ihn begleitenden Beamten zuwendend, fragte er mitleidig: »Hat man denn gar keine Ahnung, was ihn in diese entsetzliche Lage gebracht hat?«

»Wir hofften, von Ihnen Aufschluß zu erhalten, indem er fort und fort nach Ihnen rief und schrie,« hieß es zurück.

»Fand man Briefschaften bei ihm?«

»Nichts, als eine Summe von ungefähr achtzig Thalern in klingender Münze, die auf der Unglücksstätte ringsum verstreut waren. Besaß er außerdem Briefschaften, so hat er sie verbrannt, denn auf dem Feuerherd zwischen einzelnen Geldstücken entdeckte man Flocken verkohlten Papiers und einzelne verschont gebliebene Schnitzel, von welchen zwei Ihren Namen trugen.

Alvens seufzte und blickte nachdenklich vor sich nieder.

»Ich glaube das Unglück erklären zu können, doch möchte ich nicht zum Ankläger werden,« bemerkte er nach einer Weile mit gedämpfter Stimme, »ich bitte daher, meine Aussagen lediglich als vertraute Mittheilungen hinzunehmen. Der bedauernswerthe junge Mann, der, wie Sie sehen, mich unausgesetzt mit sichtbarer Angst betrachtet, hat sich im Laufe der verflossenen Nacht einer erheblichen Veruntreuung an meiner Kasse schuldig gemacht. Die näheren Umstände verschweige ich absichtlich. Zu seiner Ehre muß ich einräumen, daß Unredlichkeit eigentlich nicht in seinem Charakter lag, um so räthselhafter erscheint mir dafür seine ganze Handlungsweise. Doch die That ist nun einmal geschehen, wie das bei ihm gefundene Geld zur Genüge beweist, und ich möchte fast behaupten, daß er unter dem Eindruck des Entsetzens leidet, welches nach Ausübung der schmachvollen That seinen Geist umnachtete. Beobachten Sie nur seine angstvollen Blicke, es ist unverkennbar, er meint in mir seinen Verfolger und Ankläger zu sehen.«

»Man fand in seiner Behausung eine Reisetasche, mit mehreren zu einer Frauengarderobe gehörenden Bekleidungsgegenständen; außerdem einen Damenmantel nebst Hut. Leider haben die Sachen durch das Feuer sehr gelitten, daher erwecken die vorhandenen schwachen Spuren, zusammen mit den wirren Aeußerungen des Kranken die Vermuthung, daß Alles von einem Mädchen, Namens Anna, herrührt.«

Alvens bedeckte seine Augen mit der Hand.

»Also auch darin bin ich von ihm hintergangen worden,« sprach er nach kurzem Sinnen. »Meine Herren,« hob er darauf mit ruhiger Entschiedenheit an, »ich bezweifle kaum noch, daß ich die erwähnten Gegenstände als das Eigenthum eines jungen Mädchens recognosciren werden, zu welchem ich in dem Verhältniß eines Vormundes stehe. Diese Anna ist nämlich eine sehr schöne Erscheinung, und da ich den unglücklichen Menschen mehrfach mit Dienstleistungen für dieselbe beauftragte, so ist nicht undenkbar, daß deren Anblick verwirrend auf sein krankhaftes Gemüth einwirkte und ihn zu Handlungen verleitete, für welche er unter den obwaltenden Umständen kaum verantwortlich gemacht werden dürfte.«

So weit war Alvens mit seinen Erläuterungen gekommen, die bei allen Anwesenden den unbedingtesten Glauben fanden, als Beltram, der die mit halblauter Stimme berathenden Männer so lange stier beobachtet hatte, plötzlich geheimnißvoll ausrief:

»Herr Rechtsanwalt, warum haben Sie die Pferde vergiftet?«

Der Angeredete bebte.

»Es steht wieder ein heftiger Ausbruch bevor,« bemerkte der Arzt, »die jetzt noch mit scheinbarer Ruhe hervorgebrachten, sinnlosen Aeußerungen deuten unfehlbar darauf hin.«

Alvens überlegte eine Weile, und mit der unbestimmten Absicht, den angekündigten Ausbruch zu beschleunigen, trat er dicht neben den Unglücklichen hin.

»Mein lieber Beltram,« fragte er mitleidig, »wenn Sie in Noth waren, warum wendeten Sie sich nicht vertrauensvoll an mich? Sie mußten doch wissen, daß ich Ihnen mit Freuden etwas Geld –«

»Geld!« rief Beltram schrill aus, so bald er das verhängnißvolle Wort vernahm, »ich habe es nicht, es ist verbrannt! Aber ich werde es Ihnen ersetzen, denn Millionen fallen mir zu, und mit Gold will ich Sie überschütten, damit Sie nicht ganz leer ausgehen! Ja, meine Sklavenkette ist gebrochen – ich schreibe nicht mehr – die Federn sind glühend und haben meine Finger versengt!«

Er lachte gellend. Alvens versuchte zwar, durch die Blicke, mit welchen er ihn so oft eingeschüchtert hatte, seine Wuth in bestimmte Grenzen zu bannen, allein vergeblich. Toller und wilder lachte der Elende, die Ausbrüche seiner wahnsinnigen Heiterkeit über den Besitz unermeßlicher Reichthümer mit den furchtbarsten Schmähungen und Anklagen begleitend.

»Er scheint sich außer dem Bereiche menschlicher Hülfe zu befinden?« fragte Alvens den Arzt leise.

Dieser zuckte die Achseln.

»Ich fürchte es, denn er leidet am Größenwahnsinn,« antwortete er darauf im Geschäftston, und zwei Wärter bei dem Tobenden zurücklassend, entfernte er sich mit den Uebrigen schweigend. –

Alvens traf eine halbe Stunde später in seiner Wohnung ein. Trotzdem der Arzt meinte, daß Beltram schwerlich jemals wieder in den Besitz seiner Vernunft gelangen würde, fühlte er sich doch nur wenig beruhigt. Die unvermuthete Frage nach der Vergiftung der Pferde hatte ihn mit wahrer Todesangst erfüllt; sie erschien ihm als eine furchtbare Mahnung, daß außer Beltram auch noch Andere, und vielleicht gar der Kärrner selbst, in sein Geheimniß eingedrungen seien. An diejenige, die im vollsten Sinne des Wortes die Stufe bilden sollte, auf welcher zu fürstlichem Reichthum zu gelangen, er in jüngster Zeit kaum noch bezweifelt hatte, dachte er in dieser verhängsnißvollen Stunde nur beiläufig. Er begriff, daß mit seiner vormundschaftlichen Gewalt nichts mehr auszurichten sei, und er sogar vor einer Vereinigung der einander entfremdeten Brüder nicht zurückschrecken dürfe, wenn es dazu diente, das auf allen Seiten wankend gewordene Vertrauen wieder zu befestigen.

Aber auch diese letzten Pläne und Hoffnungen erhielten einen erschütternden Stoß, als der Professor angemeldet wurde.

»Auch der,« murmelte er zähneknirschend, sobald der Diener sich entfernt hatte, um den Professor in's Empfangszimmer zu führen. »Auch der noch,« wiederholte er nachdenklich, denn eine innere Stimme sagte ihm, daß nur Anna, deren Spiel der alte Herr so sehr vermißt hatte, Veranlassung zu dem unerwarteten Besuche gegeben haben könne. Als er indessen einige Minuten später bei dem Professor eintrat, zeigte er in Haltung und Miene das verbindliche Wesen eines Mannes, der es an Reinheit des Gewissens, mindestens mit einem Kirchenheiligen aufgenommen hätte.

»Diese außerordentliche Ehre!« rief er freudestrahlend aus, indem er dem Professor beide Hände entgegenreichte, »ich bin außerordentlich überrascht – aber bitte, mein bester Herr Professor, nehmen Sie Platz und betrachten Sie mein Haus als das Ihrige.«

Der Professor, ein sarkastisches Lächeln auf den geistreichen Zügen, leistete der Aufforderung mit einem gewisse Behagen Folge, und nachdem er flüchtig einen forschenden Blick auf das freundlich erregte Gesicht des Rechtsanwalts geworfen, antwortete er ebenso verbindlich:

»Es ist eine etwas ungewöhnliche Stunde, in welcher ich mir die Ehre gegeben habe, doch Ihre Nachsicht läßt mich hoffen, daß bei meinem Abschiede von hier mich ebenso wohlwollende Gefühle begleiten, wie mir solche beim Empfange so offenkundig entgegen getragen werden.«

Alvens entfärbte sich leicht; er kämpfte indessen seine Verwirrung gewandt nieder und fragte mit trefflich erheuchelter Ungezwungenheit, womit er dem Herrn Professor dienen könne.

Dieser hatte sich auf seinem Stuhle so herumgedreht, daß Alvens eine volle Ansicht des Höckers gewann, der bei jeder Bewegung seines Eigenthümers, wie ein antiker Mauerbrecher, hin und her schwankte und nicht übel Lust zu haben schien, dem nur ganz beiläufig mit seinen langen Nägeln liebäugelnden Rechtsanwalt den Kopf einzurennen.

»Nun, mein bester Herr Alvens,« und der schadenfrohe Blick seiner klugen Augen verwandelte sich in ein boshaftes Leuchten, »ich komme wegen einer gewissen Anna Werth, über deren Zukunft einzelne Bestimmungen getroffen werden sollen, und zu welchen ich Sie, als den Vormund der jungen Waise, um Ihre gütige Genehmigung ersuchen möchte.«

»Ah, die kleine Anna Werth meinen Sie,« versetzte Alvens ausweichend, um Zeit zu gewinnen, »ja, ja, sie ist ein durchaus liebenswürdiges Geschöpf, und dabei so wohlerzogen, so schön ausgebildet – ah, Sie kennen sie ja persönlich – und vermissen sie vielleicht gar? Ich bedauere, daß ich, die fernere Ausbildung des Kindes berücksichtigend, gezwungen war, es von dem Kärrner Braun fortzunehmen und dafür der Obhut einer sehr achtbaren, hochgebildeten Dame anzuvertrauen.«

»Der Verlust der Musik in meiner Wohnung schmerzt mich allerdings,« erwiderte der Professor, und wie ein leichter Spott trat es auf seine Lippen, während beim Rückwärtsbiegen des Oberkörpers der Höcker zu einem gewaltigen Stoße ausholte, »wenn es indessen der Wohlfahrt Ihrer schönen und verständigen Schutzbefohlenen gilt, schweigen alle anderen Rücksichten. Daß Sie dieselbe von den Brauns fortnahmen, erlaube ich mir nicht, einer besonderen Kritik zu unterziehen, dagegen kann ich nicht umhin, meine Zweifel darüber auszusprechen, daß Sie genau im Sinne des in Amerika lebenden Bruders des Kärrners handelten, der doch das nächste und erste Recht besitzt, über die Zukunft der jungen Dame zu entscheiden.«

Alvens entfärbte sich wieder. Zu verdächtig erschien ihm, daß der Professor um die zwischen Anna und dem Bruder des Kärrners bestehenden Beziehungen wußte. Er dachte an die entwendeten Briefschaften, von welchen man vermuthete, daß sie verbrannt seien; um sich daher nicht in Widersprüche zu verwickeln, antwortete er vorsichtig!

»Wenn Ihnen sehr daran gelegen wäre, könnte man vielleicht solche Einrichtungen treffen, daß mein junger Schützling wieder bei Ihnen spielte – etwa einen Tag um den andern – natürlich ohne Honorar – denn es gereicht mir zur besonderen Befriedigung, bis in's Kleinste hinein für alle Bedürfnisse des lieben Kindes Sorge tragen zu dürfen.«

»Herrn Braun in Amerika gewiß nicht minder und wahrscheinlich mit größerem Recht,« bemerkte der Professor zu Alvens Verdruß mit einer Anwandlung von Ungeduld, »doch übergehen wir meine Person und meine Wünsche gänzlich und kommen wir zu einem Beschluß über Fräulein Werth's Zukunft, die mich, ich räume es offen ein, ganz außerordentlich interessirt. Was meinen Sie zum Beispiel, wenn wir das junge Mädchen ohne Zeitverlust dahin schickten, wo wir es am sichersten aufgehoben wüßten, ich meine nach Amerika zu dem Bruder unseres gemeinschaftlichen Freundes Braun?«

Bei dieser Frage fuhr Alvens erschrocken zurück; es unterlag kaum noch einem Zweifel, daß seine heiligsten Geheimnisse eine weitere Verbreitung gefunden hatten. Doch dem Ausdruck seiner unangenehmen Ueberraschung gewandt einen anderen Grund unterschiebend, antwortete er vorwurfsvoll:

»Ein so junges, unerfahrenes Mädchen allein eine Weltreise antreten lassen? Nein, nimmermehr! Es kann Ihr Ernst nicht sein, Herr Professor!«

»Mein voller Ernst; wir brauchen ihr ja nur wie Herr Braun selbst schrieb – einen zuverlässigen Begleiter beizugeben, und wir erreichen den doppelten Zweck, erstens, die junge Dame möglichst bald unter den Schutz ihres natürlichen Freundes zu stellen, dann aber beugen wir der Möglichkeit vor, daß die mit den Ränken der Welt völlig unbekannte junge Waise ihr Herz an irgend einen galanten alten Junggesellen hängt, der durch eine Heirath mit ihr in den Besitz eines recht ansehnlichen Vermögens eintreten möchte.«

Alvens machte eine Bewegung als habe er des Professors Worte nicht recht begriffen; allein trotz seiner Geistesgegenwart gelang es ihm nicht, den unerbittlichen Gegner über sein heimliches Entsetzen zu täuschen.

»Ich verstehe Sie nicht,« brachte er endlich mit mühsam erheuchelter Fassung hervor, es klingt Alles so seltsam und – verzeihen Sie mir – so verworren – Sie können unmöglich mit dem Herrn Braun correspondirt haben – erfuhr ich selbst doch erst vor Kurzem, daß Anna Werths Eltern in Beziehungen zu dem Bruder des Kärrners gestanden, welche diesen dazu bestimmten, sich des einzigen überlebenden Kindes väterlich anzunehmen. Selbstverständlich erachtete ich es gleich nach dieser Entdeckung als meine heiligste Pflicht, ihm die edle Aufgabe zu erleichtern.«

Jedenfalls sehr großmüthig von Ihnen,« entgegnete der Professor, und ein Lächeln der bittersten Verachtung trat auf das geistreiche Antlitz, »Ihr eigenes Vorhaben aber wurde dadurch wieder gefördert, daß Herr Braun Ihnen die weitreichendsten Mittel zur Verfügung stellte. Ungroßmüthig finde ich es dagegen, daß Sie die zwischen beiden Brüdern bestehende Kluft, anstatt sie auszufüllen, erweiterten und –«

»Kennen Sie den Wortlaut der bei mir hinterlegten, ausdrücklichen Bestimmungen und Bedingungen des Herrn Braun?« fragte Alvens plötzlich scharf dazwischen.

»Von derartigen Dingen weiß ich nichts,« versetzte der Professor gleichmüthig, »ich kümmere mich auch nicht im Entferntesten um anderer Leute Verfügungen, so lange sie mich in meiner Abgeschiedenheit nicht stören. Doch wir schweifen zu weit von dem eigentlichen Zwecke meines Besuches ab; Ihre Zeit ist kostbar, und die meinige nicht minder; ich erlaube mir daher, bei unseren weiteren Verhandlungen ein verkürztes Verfahren anzurathen.«

Alvens erklärte sich durch eine steife Verbeugung damit einverstanden, und der Professor fuhr fort:

»Ich bitte Sie also, mir gütigst zu gestatten, mein Anliegen, betreffs der heute auf ihrer Flucht aus dem Hause der Frau von Birk bei mir eingekehrten Anna Werth in einen einzigen Vorschlag zusammen zu fassen. Sie werden um so leichter auf denselben eingehen, weil er im vollkommensten Einklange mit den Wünschen des amerikanischen Herrn Braun steht, wie solche in diesen, von Ihrem Schreiber Beltram sorgfältig copirten Briefen ausgesprochen sind.«

Bei diesen Worten zog er mehrere zusammengefaltete Papiere aus der Tasche, dieselben nachlässig vor sich auf den Tisch legend. Einen flüchtigen Blick bohrte er gleichsam in die vor Schreck und Erstaunen fast starren Augen des Rechtsanwalts, dann nahm er seine Rede wieder auf:

»Diese Copien wurden Anna Werth von Ihrem vortrefflichen Secretair eingehändigt, nachdem er sie auf die hinterlistigste Weise aus dem Hause der Frau von Birk zu entführen und in seine dumpfige Kellerwohnung zu locken verstanden hatte.«

»Der Schurke!« rief Alvens emporspringend aus, gleich darauf sank er, scheinbar gelassen auf seinen Sitz zurück. Es war ersichtlich, er gab sein Spiel verloren und hoffte nur noch seinen Ruf und seine Stellung zu retten. Selbst die Rachegedanken, welche ihn bei der Erwähnung Beltrams bestürmten, wichen, als vor seine Seele eine elende, von den furchtbarsten Dämonen des Wahnsinns heimgesuchte Gestalt auftauchte und ihm, mit einem Fluche auf den Lippen, drohend die Faust entgegenstreckte.

Was in Alven's Seele vorging, mochte der Professor ahnen, denn das boshafte Lächeln, welches so lange auf seinem Gesicht geruht hatte, trat hinter dem Ausdruck eines tiefen Ernstes zurück. Statt der Menschenfeindlichkeit aber, deren der gute, alte Herr sich so gern bei allen Gelegenheiten rühmte, schlich sich Mitleid in sein Herz ein, wodurch es ihm unmöglich wurde, so aufzutreten, wie er in seiner ersten Entrüstung beschlossen hatte.

»Diese Briefe stehen zu Ihrer Verfügung,« begann er nach einigen vergeblichen Versuchen, eine kriegerische Miene zu erheucheln, in versöhnlichem Tone, und er vermied, den Blicken zu begegnen, aus welchen die Bangigkeit und Verzweiflung eines überführten Sünders sprachen, »dagegen bitte ich Sie dringend, den elenden Betrüger, der Sie sowohl, wie das junge Mädchen so schmachvoll hinterging, die Strafe für seine verbrecherischen Handlungen einzig und allein in seinem eigenen Gewissen finden zu lassen.«

»Er ist gerichtet,« antwortete Alvens fast tonlos, als habe er unbewußt gesprochen.

»Gerichtet,« fuhr der Professor erschreckt empor.

»Er ist dem Wahnsinn verfallen,« erklärte Alvens noch leiser, denn der versöhnliche Ton des weichherzigen Professors hatte ihn tiefer erschüttert, als wenn derselbe ihm zugleich als Ankläger und verurtheilender Richter gegenüber getreten wäre.

»Dem Wahnsinn verfallen,« wiederholte der Professor feierlich; dann nahm er sein Gespräch mit Alvens wieder auf: »Es ist eine harte Strafe, welche ihm von einem rächenden Geschick zuerkannt wurde; wenden wir uns daher weniger schrecklichen Verhältnissen zu, welche zu lenken und zum Guten zu führen glücklicher Weise noch in unserer Macht liegt. Nehmen Sie zuerst diese Briefe an sich; nachdem ich deren Inhalt kennen lernte, hat das Papier selbst seine Wichtigkeit für mich, wie für alle Betheiligten verloren. Nur in meiner Unterhaltung mit Ihnen kommt die Kenntniß der betreffenden Angelegenheiten noch in Betracht. Vielleicht haben Sie die Güte, mir noch über einzelne, mir zweifelhafte Punkte genauere Auskunft zu ertheilen. Zuerst erlaube ich mir die Frage: Sind Sie im Besitz von ausreichenden Mitteln, unsere junge Schutzbefohlene mit allen Bequemlichkeiten zu einer größeren Reise auszurüsten?«

Alvens zögerte; er schwankte, dem Professor mit demselben rückhaltlosen Vertrauen zu antworten, mit welchem jener ihn gefragt hatte. Trotz seiner inneren Zerknirschtheit bedurfte es der Erinnerung an die jüngsten Ereignisse, ihn in besserem Sinne zu bestimmen.

»Es stehen mir allerdings Mittel zu Gebote, welche zu dem gedachten Zwecke zu verwenden ich bevollmächtigt bin,« erwiderte er endlich, »ob indessen eine Verwendung in der von Ihnen angedeuteten Weise –«

»Ich errathe Ihre Zweifel,« unterbrach ihn der Professor mit der wohlwollenden Absicht, jeder ferneren peinlichen Erörterung vorzubeugen, »und freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß alle Parteien einig sind und durch mich die Bitte an Sie richten, unserem Verfahren nicht hindernd entgegen zu treten. Wie unser gemeinschaftlicher, amerikanischer Freund darüber denkt, wissen Sie selbst am besten. Es bliebe daher nur noch zu verabreden, eine wie hohe Summe wir der jungen Dame zur Verfügung stellen.«

»Ihr Vorschlag kommt mir so plötzlich, so unerwartet,« entgegnete Alvens, der wieder Zeit zu gewinnen suchte, »daß ich die Verantwortlichkeit nicht übernehmen kann.« »Erwägen Sie, wir setzen das junge Mädchen allen Fährnissen eines blutigen Bürgerkrieges aus, und dann der Begleiter – wo wollen Sie einen Mann finden, welcher einer so schwierigen und zugleich so zarten Aufgabe gewachsen wäre?«

»Der Begleiter ist gefunden,« antwortete der Professor heiter, »und zwar ein so treuer und gewissenhafter junger Mann, wie schwerlich ein zweiter aufgetrieben werden möchte. Hierzu aber gesellt sich, daß für diesen ihre Beihülfe nicht in Anspruch genommen wird. Derselbe reist nämlich auf die Kosten eines Mannes – warum sollte ich es verheimlichen? Er reist auf meine Kosten, um drüben eine höchst wichtige Angelegenheit für mich zu ordnen. Die Aufträge, welche ich ihm ertheile, hindern ihn indessen nicht, über unsere Schutzbefohlene bis unter das Dach ihres Adoptivvaters zu wachen und für sie zu sorgen. Ferner erwähnen Sie des Bürgerkrieges und der aus diesem hervorgehenden Gefahren,« fuhr der Professor eindringlicher fort, als er noch immer Zweifel auf Alvens Zügen gewahrte, »halten Sie etwa die Gefahren, welchen ein junges Mädchen unter dem Schutze eines rechtschaffenen Mannes drüben ausgesetzt ist, für größer, als diejenigen, welche Fräulein Anna Werth hier bedrohten und auch fernerhin bedrohen würden? Erwägen Sie dies, Herr Alvens, und vergessen Sie nicht, in welche sehr unangenehme Lage ich geriethe, wäre ich gezwungen, mich mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln, Ihren unglücklichen Secretair nicht ausgenommen, zu des Mädchens Vertreter aufzuwerfen.«

Wenn Alvens überhaupt noch in seinem Entschlusse geschwankt hatte, so führte die in den letzten Worten des Professors versteckte Drohung schnell eine endgültige Entscheidung herbei; denn der Professor hatte kaum ausgesprochen, da erhob jener sich von seinem Sitz, dadurch gewissermaßen den Wunsch ausdrückend, die Zusammenkunft aufzuheben.

»Die Angelegenheiten der jungen Waise befinden sich bei Ihnen in so guten Händen,« bemerkte er höflich, jedoch ohne den Professor anzublicken, »daß ich Sie bitte, denselben auch fernerhin Ihre gütige Aufmerksamkeit und Theilnahme nicht zu versagen. Weiterer persönlicher Verhandlungen bedarf es zwischen uns Beiden nicht mehr; ordnen Sie Alles nach Ihrem besten Ermessen; die erforderlichen Mittel stehen zu Ihrer Verfügung und werden auf Ihre Anweisung dem betreffenden Boten eingehändigt werden. Ich bitte nur noch, mich von dem Termin der Abreise in Kenntniß zu setzen, damit ich Ihnen bis dahin die durch Anna Werth oder deren Begleiter an Braun zu übermittelnden Rechnungen und Abschlüsse zustelle. Schließlich, Herr Professor, spreche ich noch meinen Dank aus, daß Sie mich einer so großen Arbeit und Sorge überhoben; ich bin Ihnen in um so höherem Grade verpflichtet, als ich durch meinen unglücklichen Secretair in ein solches Chaos von Verdrießlichkeiten und Mühewaltungen gestürzt worden bin, daß ich in nächster Zeit selbst für freundschaftliche Besuche nicht viel Muße übrig haben dürfte.«

Der Professor wollte sich empfehlen, als Alvens ihn noch einmal zurückhielt.

»Sie werden vielleicht bald den Kärrner sehen?« fragte er nachdenklich.

»Wahrscheinlich heute noch.«

»Darf ich Sie um eine kurze Bestellung an ihn ersuchen?«

»Ich stehe zu Ihren Diensten.«

»Dann haben Sie die Güte, ihm zu sagen, daß die Kündigung der auf seinem Grundstücke lastenden Hypotheken zurückgenommen sei und er den schriftlichen Ausfertigungen darüber in den nächsten Tagen entgegen sehen könne.«

Hier trennten sich die beiden Herren von einander.

»Ich hätte kaum geglaubt, daß Alles so glatt ablaufen würde,« sprach der Professor in Gedanken, als er auf die Straße hinaustrat. »Er steht entweder im Begriff, ein Frommer zu werden, oder er ist ein niederträchtiger Schurke, der mich zu täuschen sucht. Ei! ei! ei! Ich soll frei verfügen über die ihm zur Disposition gestellten Gelder; zieht seine Kündigung zurück – 's ist fast zu viel auf einmal, daher fort mit dem Mädchen, je schneller, um so besser.«

Er unterbrach seinen Ideengang dadurch, daß er flüchtig nach der Uhr sah. Mittag war vorüber; wie im Fluge war ihm die Zeit bei dem Rechtsanwalt verstrichen. Er erschrak bei dieser Entdeckung.

»Das wird einen harten Kampf setzen mit meinem alten Haustyrannen,« murmelte er ängstlich vor sich hin; »Mittagbrod kalt geworden; eine Stunde über die Zeit ausgeblieben, und sonst immer pünktlich! O mein Gott! Der alte unbarmherzige Bursche wird furchtbare Gesichter schneiden – aber das sind die Folgen, wenn man sich mit anderer Leute Angelegenheiten befaßt, um die man sich von Rechts wegen gar nicht kümmern sollte.«

»Da geht der bucklige Professor,« sprach dicht neben ihm ein mit dem Schurzfell bekleideter, hemdärmeliger Böttcherlehrling zu einem mit blauer Leinwandschürze geschmückten Schuhmachercollegen.

Der Professor vernahm die Worte und trug seinen Höcker so stolz, als sei er das Schweifrad eines Pfau gewesen.

»Hol' Euch der Teufel, Ihr Hallunken!« sprach er laut genug, um von den Lehrburschen verstanden zu werden, und dann fügte er in Gedanken hinzu: »Das Instrument werfe ich hinaus, sobald das Kind in Sicherheit ist, und dann mag's kommen, wie's will, in unseren Studien lassen wir uns nicht wieder stören.«

Weiter schritten seine Füße aus, heftiger wiegte sich der Höcker, und nur die Erinnerung an seine Kiste hinderte ihn, in Schmähreden über alle Menschen, Frau Kathrin an der Spitze, auszubrechen, durch welche Letztere er mit Gewalt aus seinem gewohnten Geleise getrieben worden war.

Alvens befand sich um diese Zeit wieder in seinem Arbeitscabinet. Er saß auf seinem Drehstuhl, die Augen starr auf die Blumen seines Teppichs gerichtet.

Seine Lippen bewegten sich leise; allmälig begannen seine Gedanken sich als Worte denselben zu entwinden:

»Wer hätte das gedacht? Nur dem Beltram habe ich Alles zu verdanken, dem elenden Sklaven, den ich so fest in meinen Händen zu halten glaubte. Und dann die Pferde – es bleibt mir kaum ein anderes Mittel, als mich auf die entgegengesetzte Seite zu schlagen.«

In sich gekehrt begab er sich zum Mittagsessen. Wohl zehn Minuten hatte er bis dahin zu gehen, wo er zu speisen und die ersten Nachmittagsstunden zu verbringen pflegte.

Im Kreise von Freunden und Bekannten thaute er indessen bald wieder auf, so daß selbst der schärfste Beobachter aus seinem heiteren Wesen keine Schlüsse auf seine letzten Erlebnisse und die ihm widerfahrenen Täuschungen zu ziehen vermocht hätte.


 << zurück weiter >>