Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant - Teil 1
Balduin Möllhausen

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Achtes Capitel. Der Herr Professor.

Wie das Eis der Gletscher vor den Strahlen des wärmenden Tagesgestirns zerrinnt und in seinem Laufe niederwärts keimenden Gräsern und Kräutern frisches Leben zuträgt, so zerschmolz die starre Rinde, die sich im Laufe der Jahre um Frau Kathrins Herz gelegt hatte, vor dem Einfluß, welchen Anna unbewußt und ahnungslos auf alle Diejenigen ausübte, die in näheren Verkehr mit ihr traten. Indem aber die großen, ernsten blauen Augen zuweilen einzelne Funken der in sich aufgesogenen neuen Lebenswärme zurückstrahlten, indem die bleichen Lippen hin und wieder gleichsam unwillkürlich ein Wort innigen Gefühls und freundlicher Theilnahme spendeten, gleichviel, ob in derselben Minute die Brauen sich unzufrieden runzelten, die Lippen, wie bereuend, sich fester auf einander legten, fühlte auch Anna sich milde angeweht und immer mehr in freundlicher Zuneigung zu der hingezogen, die sie anfänglich mit heimlicher Scheu, wenn auch theilnahmvoll betrachtete.

Die sich vielfach wiederholende Erklärung: »Nur den Leuten zum Aerger und zum Trotz,« verlor ihre Bitterkeit für sie, wenn sie bemerkte, wie die hageren Hände behutsam glättend über die weichen Pfühle ihres Bettes hinstrichen oder ordnend ihr üppiges, kastanienbraunes Haar so sanft berührten, als habe es aus leicht zerstörbaren Spinngeweben bestanden. Selbst als den Leuten zum Trotz und zum Aerger ihre Garderobe eine gänzliche, kaum im Einklange mit ihrer zeitigen Umgebung stehende Umwandlung erfuhr, als ein volltönendes Klavier in der geräumigen Wohnstube aufgestellt wurde und die Andeutung, man erwarte von ihr, daß sie allmälig zu den Kosten ihres Unterhaltes beitrage, harsch ihre Seele traf, beruhigte sich das angstvoll klopfende Herz wieder, sobald ihre Finger sicher und gewandt dem Instrumente ihre Lieblingsmelodieen entlockten und ihre Blicke dabei schüchtern und verstohlen in dem ihr schräg gegenüberhängenden Spiegel auf Frau Kathrins ernster Gestalt hafteten. –

Frau Kathrin aber saß am Fenster auf ihrer alten Stelle; zwischen ihren Händen befand sich ein Strickzeug, jedoch kein Riesenstrumpf von grober blauer Wolle war es, der unter den rastlos kämpfenden Stricknadeln entstand, sondern ein Strumpf von feiner, weißer Baumwolle, der für einen kleinen und sehr schmalen Fuß berechnet war und welchen sie angefangen hatte, »nur der Veränderung wegen«, wie sie spöttisch betheuerte. Und als die ersten Accorde zu ihr herüberdrangen, da blickte sie schärfer auf ihre beweglichen Hände nieder und mit feindseligerem Ausdruck hetzte sie die dünnen Nadeln aufeinander, gerade als ob sie die Musik noch nicht gehört habe, oder dieselbe ihr auch unangenehm gewesen wäre.

Anna's ängstlich pochendes Herz zog sich wehevoll zusammen; schüchterner wurden ihre Bewegungen und leiser glitten die zierlichen Finger über die Tasten hin. Sie vergegenwärtigte sich ihre dahingeschiedenen Eltern, die sie schon im zartesten Jugendalter so häufig durch ihr vielversprechendes Spiel entzückte. »O, wie unendlich lange ist das her,« dachte sie schwermüthig.

»Lang', lang' ist's her, lang' ist es her,«

wiederholten die Saiten, wie zufällig eben so schwermüthig. Die alte, liebe Melodie, wie sie ihr so warm, so befreundet zum Herzen drang.

»Lang', lang' ist's her,«

ertönte es lieblich gedämpft zwischen weichen Accorden hindurch,

»Lang' ist es her,«

hallte es wie entschlummernd und halb im Träume nach. Dann aber folgte das ganze Lied, einfach und getragen, ähnlich dem Gesange eines klagenden, in schmerzliche Erinnerungen versenkten Gemüthes.

»Lang' ist es her,«

schloß die Melodie, umtändelt von lieblichen Variationen, die von Perlen und Thränen, von erquickenden Thautröpfchen und duftendem Blüthenregen zu erzählen schienen.

Anna's Blicke schweiften, bevor sie das Lied von Neuem begann, heimlich nach dem Spiegel hinüber, und kräftiger senkten sich ihre Finger auf die Tasten, gleichsam das besingend und schildernd, was sie dort entdeckte.

Zwischen den kampfbereiten Nadeln war Friede geschlossen worden; unthätig ruhten die hageren Hände mit dem weißen Strickzeug auf der sauber gefältelten Schürze. Die großen blauen Augen dagegen waren ihr unverwandt zugekehrt, und auf den eingefallenen Wangen schimmerten Thränen, die langsam den traurigen Augen entrollten und die rastende Arbeit benetzten.

»'s geschieht nur den Leuten zum Aerger und zum Trotz,« würde Frau Kathrin diesen unbewußten Ausbruch ihrer Gefühle unstreitig entschuldigt haben. Was Anna dagegen bei dieser Entdeckung empfand, was ihr Gemüth so tief bewegte, das verflocht sie absichtslos in die wunderbar ergreifenden, bald schwellenden, bald einschlummernden Variationen, die fort und fort umgaukelten das stets wiederkehrende:

»Lang', lang' ist's her,«

Sie spielte, wie die steigende Lerche ihr Lied in den sonnigen Aether hinaussingt. Nicht trachtend und haschend nach Formen und Effecten, offenbarte sie das, was ihre Brust bis zum Zerspringen erfüllte. Holdes, kindliches Träumen und unbewußtes, ahnungsvolles Sehnen süßer Jungfräulichkeit; tief empfundene Dankbarkeit und sich schnell erschließende und wachsende Zuneigung, Alles drängte sich in ein einziges Bild zusammen, welchem in Tönen verständlichen Ausdruck zu verleihen, ihr die Natur die hohe Begabung zuerkannt hatte.

Anna spielte fort und fort; Frau Kathrins Nadeln ruhten, die umflorten blauen Augen schienen sich noch mehr zu erweitern, als das verleugnete Herz, welches so warm hinter denselben schlug. Wie ein Heer freundlich versöhnender Geister zog es durch das Gemach; sogar der alte Ofen mit seinen schwarzen, geschnörkelten Kacheln, die schweren, eichenen Schränke mit ihren ausgekehlten Aufsätzen und der kurzathmige grüne Wetterprophet auf seinem Leiterchen riefen den Eindruck hervor, als hätten sie, der Wirkung der Töne unterthan, mit Aufmerksamkeit den lieblichen Melodien gelauscht.

Wenn aber leblose Gegenstände einen derartigen Eindruck erzeugten, um wie viel mehr mußte da ein Gemüth, wie das des alten Kärrners, durch die unter seinem Dache webende Musik hingerissen werden! Wirkte sie doch so bezaubernd auf ihn ein, daß er sich gar nicht innerhalb seiner eigenen vier Pfähle zu befinden meinte. Denn anstatt einzutreten, war er, vom Hofe kommend, auf der Hausflur stehen geblieben, und den Oberkörper der Thüre zugeneigt, lauschte er so gespannt, als sei von dem Verlust einer einzigen Note das Leben eines seiner Holsteiner abhängig gewesen.

Wie gewöhnlich bei ernsten Vorkommnissen hatte er das eine Auge geschlossen und den gegenüberliegenden Mundwinkel tief gesenkt; wie durch den Anblick eines Gorgonenhauptes versteinert, hielt die rechte Faust den rothen Borstenkragen lang ausgereckt, wodurch natürlich das ganze ehrliche Gesicht entsetzlich schief gezogen wurde.

Aehnlich einem Felsen ruhte der mächtige Körper auf den eisenbeschlagenen Füßen, die so gespreizt auf dem harten Lehmboden wurzelten, daß der arme Hechsel, unentschieden, welcher der beiden blaugestreiften Magnete die größere Anziehungskraft auf seine gußeiserne Doppelnase ausübe, sich gerade vor ihn hingesetzt hatte und, das dicke Haupt etwas zur Seite geneigt, verwunderungsvoll zu ihm emporschaute und vergeblich seine abhanden gekommenen Ohren zu spitzen suchte.

»Lang', lang' ist's her,«

tönte es wieder, begleitet von tadellosen Läufern, auf die Flur hinaus.

Braun wiegte billigend, wie ein echter Kunstkenner, das Haupt und faßte etwas tiefer in die feuerfarbige Bürste. Hechsel, der bei diesem Anblick seinem schwarzen Auge nicht recht traute, neigte den Kopf auf die andere Seite, wodurch das Glasauge nach oben zu stehen kam, worauf er sehr bedächtig mit beiden Nasenhälften schnupperte. Die Musik hatte indessen kaum von Neuem begonnen, als Hechsel plötzlich seine Rückenhaare sträubte und mißtrauisch um sich spähte.

Fast gleichzeitig wurde die Hausthür mit gellendem Klingeln nach innen gedrückt, welches sofort ein ärgerliches Knurren Hechsels hervorrief. Derselbe zeigte sich sogar nicht abgeneigt, den hastig Eintretenden über die Störung zur Rede zu stellen, denn sein Glasauge schielte grimmig nach ihm hin, während er das schwarze tragend auf seinen Herrn richtete, als dieser ihm noch zur rechten Zeit durch die vorgehaltene freie Faust und ein leises: »Successive!« sein weiteres Verhalten vorschrieb.

Wenn aber der Kärrner auf diese Weise vermittelnd auftrat, so schien er doch nichts weniger als friedfertige Gefühle gegen Denjenigen zu hegen, der ihn so unberufen in seinem Kunstgenuß unterbrach. Er ließ nämlich die rothe Bürste fahren, und die offene Hand hoch emporhebend, gebot er sowohl mit dieser, als auch mit allen Gesichtsmuskeln so eindringlich Ruhe, daß er nicht mißverstanden werden konnte.

Fürchterlich und drohend, wie er sich in solcher Stellung ausnahm, wurde der Fremde dadurch nicht im mindesten eingeschüchtert. Im Gegentheil, derselbe besaß sogar die Kühnheit, auf den Zehenspitzen dicht neben den Kärrner heranzuschleichen, dessen Hand zu ergreifen, freundschaftlich zu drücken und demnächst ebenfalls mit großer Aufmerksamkeit der Musik zu lauschen. Und dabei war er ein Mann, der mit seinem Kopfe dem Kärrner kaum bis an den Ellenbogen reichte, zum Ueberfluß aber auf dem Rücken einen ansehnlichen Höcker trug, welcher vorn auf der Brust, indem die Rippen unverhältnißmäßig weit heraustraten, eine Art Fortsetzung fand. Auch der Hals hatte das entsprechende Maß nicht erhalten, sondern war, von einem sehr wohlgebildeten Haupte gekrönt, zu tief zwischen die Schultern hineingesunken. Die übrigen Glieder dagegen erwiesen sich als vollkommen regelmäßig, standen aber nicht im Einklang mit dem Oberkörper, welcher im Wachsthum hinter den Armen und Beinen weit zurückgeblieben war.

Diese äußeren Mängel bereiteten indessen dem seltsamen Fremden augenscheinlich nicht mehr Sorge, als manchem tadellos gewachsenen Menschen die Entdeckung des ersten weißen Haares, und seinen Höcker hatte er volle sechsundfünfzig Jahre mit einer Leichtigkeit getragen, als wäre demselben kein größeres Gewicht, als das einer Fliege beschieden gewesen. Derartige Empfindungen prägten sich also deutlich in seinem zwar alternden, jedoch ungemein einnehmenden Gesicht aus, an welchem man höchstens zu viel Schärfe tadeln konnte, wogegen ein gewisser sarkastischer, fast boshafter Zug um den feingeschnittenen Mund durch ein Paar brauner, sehr kluger, bald menschenfreundlich leuchtender, bald schadenfroh blitzender Augen gemildert wurde.

Mit dem Kärrner stand der Fremde, der sich übrigens durch den feinen Stoff und die Sauberkeit seiner Bekleidung, wie durch eine schwere goldene Uhrkette als wohlhabenden Mann verrieth, offenbar auf sehr vertrautem Fuße, auf vertrauterem Fuße, wie es sonst bei so gänzlich verschiedenen Lebensstellungen gewöhnlich. Wenn Braun aber bei dem unerwarteten Auftreten des Besuchs die üblichen Höflichkeitsformen vernachlässigte, so darf dies lediglich auf Rechnung der Musik geschrieben werden, welche auf den Fremden denselben unwiderstehlichen Zauber ausübte, wie auf den alten Kärrner und seinen getreuen Hechsel.

Beinahe zehn Minuten waren verstrichen, ohne daß das seltsame Kleeblatt seine Stellung wesentlich verändert hätte, als die Musik plötzlich mit einem schwermüthig verhallenden Accord abschloß.

Der Kärrner schaute fragend auf den Fremden, der Fremde betrachtete sinnend die gußeiserne Doppelnase, während Hechsel sein alltägliches Auge nachdenklich auf den Fremden, das schönere, weißgeringelte dagegen auf seinen Herrn gerichtet hielt

»'s wird successive wieder losgehen,« bemerkte Braun endlich flüsternd, als hätte er die Worte mit seiner Faust sehr sorgfältig aus dem rothen Borstenkragen hervorgezupft.

Der Fremde nickte zustimmend, Hechsel neigte das Haupt auf die andere Seite, und dann lauschten alle Drei wieder ein Weilchen sehr geduldig.

Sie lauschten gerade so lange, wie Frau Kathrin Zeit gebrauchte, vor das Klavier neben Anna hinzutreten, mit einer Miene entsetzlicher Theilnahmlosigkeit deren Hand zu ergreifen und über den gekrümmten Zeigefinger derselben den entstehenden Füßling ihres Strickzeugs zu messen.

»Noch sechs Touren bis zum Abnehmen,« sprachen die schmalen Lippen leise und sich kaum bewegend; dann begab Frau Kathrin sich ebenso geräuschlos, wie sie gekommen war, an's Fenster zurück, im Vorbeigehen ihre Hand flüchtig und mit sanftem Druck auf das weiche, kastanienbraune Haar legend.

»'s ist vorbei,« sprach der Kärrner, sobald er das Rücken des Stuhls hörte, mit welchem Frau Kathrin ihren alten Platz einnahm, dann verbeugte er sich mit einem zutraulichen: »Verzeihen Sie, Herr Professor.«

»Verzeihen?« fragte der Professor, indem er seinen Hut leicht mit der Fingerspitze berührte und demnächst dieselben Fingerspitzen sehr herablassend dem Kärrner darreichte, »etwa das meisterhafte Klavierspiel, mein lieber Freund?« Aber ich bin überrascht, höchlichst überrascht; wie kommt diese Musik in Ihr Haus? Ganz ungewöhnlich, in der That sehr außergewöhnlich. Hoffe, die ehrenwerthe Frau Kathrin wohl zu finden?«

»Hm 's geht ja noch so successive,« antwortete der Kärrner, die Thür öffnend, »aber belieben der Herr Professor einzutreten und verzeihen Sie meine Unhöflichkeit.«

»Hat nichts auf sich, lieber Freund,« versetzte der Professor, worauf er die Schwelle überschritt und sich hastig auf Frau Kathrin zu bewegte, deren Stricknadeln bereits wieder wüthend unter einander kämpften.

»Ah, schönen guten Tag, meine liebe Madam Braun!« rief er heiter aus, sich weder um den Kärrner, noch um Hechsel, noch um Anna kümmernd, welche Letztere sich bei seinem Eintritt erhoben hatte, »ich freue mich unendlich, Sie wohl zu sehen, wirklich ganz unendlich, meine liebe Madam Braun, und immer fleißig, wie ich sehe,« und seinen Hut neben Frau Kathrin auf das Fensterbrett stellend, ergriff er deren Hand, die er kräftig schüttelte.

Frau Kathrin ließ Alles ruhig geschehen, und obgleich ihr Blick sich nicht um einen Grad erwärmte, verrieth sie doch eine große Freundschaft für den kleinen verwachsenen Professor dadurch, daß sie sich erhob, mit einer steifen Verbeugung für die gütige Nachfrage dankte und ihren Fleiß damit entschuldigte, daß sie nur arbeite, um nicht in tödliche Langeweile zu verfallen.

»Wenn ich aber auf Dank für meine Mühe rechnete,« fügte sie schließlich mit eisiger Kälte hinzu, »würde ich natürlich viel besser daran thun, die Hände müßig in den Schoß zu legen und fünf gerade sein zu lassen.«

»Richtig, ganz richtig, meine liebe Madam Braun,« versetzte der Professor, die dürre Hand zum zweiten Male ergreifend und mit Nachdruck schüttelnd, »Sie sind eine achtungswerthe Frau und haben Lebensanschauungen, welche manchem berühmten Philosophen zur Ehre gereichen würden. Auf Dank der Leute rechnen? Pah! Auch ich hatte einst solch' wunderliche Ideen, allein sie gingen zu Grabe, sobald ich entdeckte, daß ich trotz meiner gewissenhaften und menschenfreundlichen Bemühungen immer der bucklige Professor war und blieb. O, mein Gott, wie danke ich Dir für meinen Buckel und daß ich nicht auf die erbärmlichen Collegiengelder angewiesen bin! Ich lebe jetzt nur für mich und meine Liebhabereien, und im Grabe will ich noch triumphiren, wenn die Resultate meiner Forschungen in Form eines umfangreichen Manuscriptes mit mir zugleich vermodern, anstatt den Menschen zu dienen und ihnen vielleicht Gelegenheit zu spöttischen Randglossen über den todten buckligen Professor zu geben. Hahaha! Meine achtungswerthe Frau Kathrin, der bucklige Professor weiß ganz genau, was die Dankbarkeit seiner Mitmenschen werth ist! Aber ich erstaune, Sie haben sich ein Instrument angeschafft und obenein eine Klavierspielerin?«

»Nur damit die Nachbaren Grund haben, neue Gerüchte über mich in Umlauf zu setzen, Herr Professor,« antwortete Frau Kathrin beißend, »ich bin sonst gewiß keine Freundin von dergleichen Zeitvertreib und es paßt sich solcher wohl auch nicht für meinen Stand – aber gerade weil es sich nicht für meinen Stand paßt –«

»Vollkommen gerechtfertigt, meine gute Frau Kathrin,« fiel der Professor lebhaft ein, »bin ganz Ihrer Meinung, würde ich selbst doch, wenn ich Zeit und Mittel besäße, einen Thurm bis in die Wolken hinein bauen, um ihn alsbald wieder einreißen zu lassen, blos um die Leute zu zwingen, von mir zu glauben, ich sei verrückt.«

Während dieses Gespräches hatte Anna wie erstarrt dagestanden, eine tiefe Röthe der Beschämung hatte ihr Antlitz überzogen. Wohl fühlte sie noch die Stelle, welche Frau Kathrins Hand liebkosend berührt hatte, wohl suchten das bezeichnend zwinkernde Auge und der gesenkte Mundwinkel des Kärrners sie zu ermuthigen, allein die gelegentlich auf sie gerichteten Blicke des Professors, zusammen mit den herzlosen verletzenden Worten wirkten so niederschmetternd auf sie ein, daß sie, um ihre gänzliche Rathlosigkeit zu verbergen, leise hinausschlich und sich nach dem ihr eingeräumten Giebelzimmer begab.

Kaum aber hatte die Thür sich hinter ihr geschlossen, da erkundigte der Professor sich auch schon nach ihr, und mit sichtbarer Theilnahme erfuhr er die näheren Umstände, welchen Anna ihre Anwesenheit im Hause des Kärrners verdankte.

»Jedenfalls macht die junge Person einen sehr günstigen Eindruck,« bemerkte er mit einem billigenden Zucken der verwachsenen Schultern, sobald Braun seinen flüchtigen Bericht beendet hatte, »und abgesehen davon, daß gerade hinter den einnehmendsten Gesichtszügen oft die größte Schadenfreude wohnt, kann man ihr doch ein hervorragendes Talent in der Musik nicht absprechen. Was gedenken Sie mit ihr anzufangen? Solch' Mädchen zu erhalten, kostet Geld.«

»Sie muß verdienen helfen, sie muß arbeiten,« versetzte Frau Kathrin schnell, »und wenn sie erst eine Schülerin hat, wird sie deren allmälig mehr finden – und übrigens, Herr Professor, wenn Sie's nicht für ungut nehmen wollen, kommt's uns gar nicht darauf an, ob wir zu Zweien oder zu Dreien zu Tische sitzen, und dann – offen gestanden – solch' fremdes Wesen im Hause mag eine große Last sein, allein von Schadenfreude habe ich an dem Kinde bis jetzt noch nichts bemerkt; freilich, ich kümmere mich auch nicht viel um die junge Dame.«

»Gerade wenn man nichts bemerkt, meine liebe Frau Kathrin, darf man auf einen Charakter schließen, der seine tadelnswerthen Regungen listig zu verstecken weiß,« erwiderte der Professor boshaft, »und ich müßte mich sehr täuschen, wenn Ihre junge Dame nicht zur Zeit in irgend einem Theile Ihres Hauses verborgen säße und sich weidlich über mich und die sehr achtbare und schweigsame Madam Braun ergötzte.«

Frau Kathrin antwortete nicht, sondern blickte nachdenklich auf ihre Nadeln nieder, die mit dem Ausdruck von vergifteten Stiletklingen wüthend aufeinander einfuhren. Der Kärrner dagegen war nicht im Stande, länger an sich zu halten; sein breites Gesicht war braun angelaufen, wie der Kragen einer Tauchente sträubten sich die rothen Borsten um den schief gezogenen Mund, und indem er mit erzwungener Ruhe die Hände auf den Rücken legte, trat er gerade vor den Professor hin.

»Herr Professor,« hob er mit eigenthümlich gepreßter Stimme an, und das eine Auge schien rücklings in einen unermeßlichen Abgrund zu stürzen, »Herr Professor, Sie sind successive ein hochgelehrter Mann und ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich nicht zu gut halten, gelegentlich bei uns einfachen Bürgersleuten einzukehren, allein wenn Sie dem armen Kinde solch' böse Gedanken zutrauen, dann muß ich mir mit allem Respect successive erlauben, Ihnen das abzustreiten. Die Anna ist ein gutes Kind, die Anna ist ein braves Kind, und wenn Sie das bezweifeln, dann bezweifle ich, daß Sie so viel Menschenkenntniß besitzen, wie mein Hechsel, der dem Kinde vom ersten Augenblick an zugethan gewesen ist, und das ist meine Ansicht von der Sache und mein Name ist Christian Braun!«

Aemsiger, hastiger trafen sich die Stricknadeln, so daß es bei der plötzlich eingetretenen Stille vernehmbar knisterte. Das Knistern aber ertönte nicht mehr wie das Zusammenschlagen von spitzen und geschmeidigen Rappierklingen, sondern wie schadenfrohes Lachen.

Der Professor richtete seine klugen Augen eine Weile fest auf den zornigen Kärrner und nickte einige Male beipflichtend mit dem Haupte, worauf er die Hände ebenfalls auf dem Rücken, gleich unterhalb des Höckers, in einander legte und mit langen Schritten das Gemach zu durchwandern begann.

Plötzlich blieb er vor dem ihn mit Spannung betrachtenden Kärrner stehen, und die nachdenklich gesenkten Augen emporschlagend, fragte er kurz:

»Hat das junge Mädchen schon Gelegenheit zum Unterrichten gefunden?«

»Bis jetzt noch nicht; wir haben uns aber auch noch nicht darnach umgethan,« antwortet Braun wieder ruhiger.

Der Professor beendigte abermals einen kurzen Spaziergang, worauf er vor Frau Kathrin stehen blieb.

»Was die Leute wohl sagen würden, wenn ich mir ein Instrument anschaffte und mit einem jungen Mädchen das Uebereinkommen träfe, mir täglich eine Stunde etwas vorzuspielen?« fragte er spöttisch, während er Frau Kathrin's Züge mit einer gewissen Aengstlichkeit bewachte.

Diese blickte starr auf die weit sanfter arbeitenden Stricknadeln und erwiderte eintönig:

»Es würde wahrscheinlich Veranlassung zu recht viel giftigen Reden geben.«

»Sie würden behaupten, der bucklige Professor habe seinen Verstand verloren; sie würden sagen, der bucklige Professor verdiene, in's Tollhaus geschickt zu werden,« eiferte dieser und bei jedem Worte, welches er sprach, zuckte er grimmig mit seinem Höcker, wie um sich an das Vorhandensein desselben zu erinnern, »ja, das würden sie behaupten, und noch viel mehr! Aber um ihnen zu beweisen, daß ich mich den Henker um ihre Reden kümmere, sorge ich schon heute für ein Instrument und morgen kommt Ihr junges Mädchen, ich meine die Anna, um eine Stunde zu spielen, und so alle Tage. Für ihre Mühe bezahle ich sie natürlich, und zwar liberal, damit sie nicht hinterher behauptet, sie habe mir die Hälfte ihrer Zeit geschenkt. Hahaha! Köstlich! Wie die Leute sich wohl über den buckligen Professor die Köpfe zerbrechen werden!« Und im Uebermaß ihres Entzückens lief die kleine spinnenähnliche Gestalt einige Male eilfertig auf und ab.

Der Kärrner war unterdessen an das eine leere Fenster getreten und spähte zwischen den Zweigen eines Pomeranzenbäumchens hindurch auf die Straße hinaus. Sein Gesicht war wieder dunkel angelaufen, eine wunderliche Schattirung zu den gelben Augenbrauen und dem feuerfarbigen Staubfeger. Von Zorn dagegen keine Spur, im Gegentheil, es spielte sogar eine unverkennbare Heiterkeit in den dicken Falten um den breiten Mund, indem er sich die größte Mühe gab, sein inniges Wohlbehagen in die Schranken des Anstandes und der Klugheit zu bannen.

Der gute alte Kärrner! Er wußte ja so genau, wann es Zeit war, sich den zwischen dem Professor und der Frau Kathrin geführten Gesprächen fern zu halten. Kannte er doch den alten Sonderling von Professor fast eben so gut, wie seine nicht minder wunderliche Ehehälfte, und was die Beiden zusammen erdachten und ausgrübelten, das war ihm schon lange recht. Liefen aber ihre Ansichten auch oft genug schnurstracks in entgegengesetzte Richtungen, so daß ein Bruch des erprobten Freundschaftsbündnisses unvermeidlich erschien, so führte ihre mit vielem Geräusch zur Schau getragene Menschenfeindlichkeit doch schließlich immer wieder eine Einigung herbei, worauf sie dann eng verbunden mit eisernem Willen auf das gemeinschaftliche Ziel lossteuerten. So geschah es auch heute, als der Professor den Entschluß faßte, Anna als Mittel zu benutzen, den Nachbarn Grund zu den tollsten Muthmaßungen und Nachreden zu geben, Frau Kathrin dagegen sich aus denselben Gründen bereit erklärte, ihren Schützling alle Tage auf eine Stunde zu dem Professor zu schicken.

Und als dieses Uebereinkommen getroffen war, wie da der Professor die Hände so vergnügt in einander rieb und mit seinen langen Beinen so weit ausschritt, indem er, das Haupt nach vorn geneigt, seinen Höcker etwas in dem Zimmer spazieren trug; und wie Frau Kathrin so ernst und feindselig auf das weiße Strickzeug niederschaute und die klapperdünnen Nadeln so unfehlbar sicher ihren Weg durch die dünnen Maschen fanden! Sogar der Herr Professor, den doch unstreitig ganz andere Geschäfte in das Haus des Kärrners geführt hatten, wurde durch die lustigen Bewegungen der Stricknadeln angezogen, denn er blieb plötzlich mitten in der Stube stehen und lenkte seine Aufmerksamkeit, scheinbar ungetheilt, auf dieselben hin.

»Das Geklimpere wird mich freilich stören,« sprach er, wie in Gedanken, vor sich hin, »und obenein für jede Stunde Störung noch Geld hingeben, von dem man nicht einmal weiß, ob es gut angewendet wird –«

»Es wird dazu dienen, mich für meine Mühe und die baaren Auslagen zu entschädigen,« warf Frau Kathrin wenig freundlich ein, »denn auch wir sind nur einfache Bürgersleute, die nichts zum Verschwenden haben.«

»Ganz gut, meine ehrenwerthe Frau Kathrin, für die Verwendung wäre also gesorgt: ich zahle den üblichen Preis und händige Ihnen das Geld persönlich ein, man kann nämlich nicht wissen, – junge Mädchen sind oft sehr naschhaft und Naschhaftigkeit führt zu Unredlichkeiten – mögen Sie daher nach Gutdünken der jungen Person ein bestimmtes kleines Taschengeld bewilligen, und damit fertig.«

Als der Professor das Wort Unredlichkeit aussprach, fuhr die eine Stricknadel mit solcher Wuth auf die weiße Baumwolle ein, daß zwei Maschen auf einmal von dem glatten Stahl herunterglitten. Frau Kathrin aber richtete ihre großen blauen Augen vorwurfsvoll auf die kleine bewegliche Gestalt des Professors.

»Der Herr Professor mögen vollkommen Recht haben,« sprach sie fast tonlos, »auch ich traue dem Mädchen Alles zu, allein wenn der Herr Professor mir erlauben, meine Meinung zu sagen – ich bin freilich nur von niederem Stande und kein Gelehrter, – so wäre es doch wohl besser, die Ehrlichkeit des Kindes auf die Probe zu stellen und ihm täglich seinen Verdienst einzuhändigen.«

»Ha, und dieser Triumph, wenn wir erleben, daß hinter dem glatten Gesichtchen eine schwarze Seele wohnt!« rief der Professor boshaft aus, und er rieb die Hände wieder heftig in einander, daß sein Höcker wie eine läutende Kirchenglocke wackelte. »Ich werde also der jungen Person jedesmal das Geld einhändigen – wahrhaftig, meine liebe Frau Kathrin, Sie haben einen practischen Blick – oh! Und was werden die Leute im Hause sagen, wenn der bucklige Professor sich plötzlich alle Tage etwas vorspielen läßt! Ach, diese Gesichter, diese Muthmaßungen! Man wird glauben und endlich darauf schwören, daß der alte mißgestaltete Gelehrte verliebt sei und mit Heirathsgedanken umgehe!« Und indem er in ein helles, spöttisches Lachen ausbrach, läutete die Sturmglocke auf seinem Rücken, als wäre im Spirituskeller des benachbarten Kaufmanns Feuer ausgebrochen.

Plötzlich wurde er wieder ernst.

»Das Geklimpere wird mich sehr stören,« bemerkte er wiederum nachdenklich.

»Den Herrn Professor vielleicht noch weniger, als die neugierige Nachbarschaft,« las Frau Kathrin aus den grimmigen Bewegungen ihrer Stricknadeln heraus.

»Das wäre allerdings ein Umstand, der einigermaßen für das gebrachte Opfer entschädigte,« versetzte der Professor noch immer überlegend, »ich könnte mich in mein Arbeitszimmer zurückziehen und alle Thüren streng verschlossen halten – ja ja, machen wir's so – Sie sind eine grundgescheidte Frau, meine liebe Madam Braun, und mögen Sie mir schon gleich morgen das Mädchen schicken, das Instrument soll heute noch in meine Wohnung geschafft werden.«

Die Stricknadeln knisterten ein kaum vernehmbares: »Wie der Herr Professor befehlen,« worauf der Herr Professor sich gemüthlich auf den lederbezogenen Armstuhl warf und halb befehlend, halb bittend den noch immer scheinbar sehr andächtig auf die Straße hinausschauenden Kärrner zu sich beschied.

»Mein lieber Braun,« begann er, sein glattes Kinn wohlgefällig reibend, und aus seinen klugen Augen leuchtete ein verhaltener Enthusiasmus hervor, »die Kiste, welche Sie mir vor drei Wochen mitgebracht haben, ist geöffnet und deren Inhalt in erwünschtem Zustande gefunden worden. Ich komme daher zu Ihnen, um meinen Dank für die auf den Transport verwendete Sorgfalt abzustatten und Sie darauf vorzubereiten, daß in nächster Zeit wieder eine derartige Kiste Ihrer Fürsorge anvertraut werden dürfte.«

Braun nahm auf ein einladendes Zeichen des Professors diesem gegenüber Platz, zielte ein Weilchen mit dem einen offenen Auge auf die wunderlich zusammengekrümmte Gestalt, kämmte mit den Fingern seiner gewaltigen Hand einige Male den struppigen, rothen Staubfeger und hob dann etwas verlegen an:

»'s ist successive mein größter Ruhm, die mir anvertrauten Frachtgüter stets in gutem Zustande abgeliefert zu haben; möchte indessen doch gern wissen, was in der Kiste Zerbrechliches enthalten gewesen ist.«

Der Professor kniff beide Augen zu, wie um eine heimliche Freude zu verbergen, und antwortete dann mit überaus ehrlichem Ausdruck:

»Möchten Sie also wissen, lieber Freund? Ha, ja, und warum sollte ich es nicht offen sagen? Feines Porzellan war in der Kiste, feines, kostbares Porzellan; eine große gemalte Vase – ich bin nämlich Freund von derartigen Kunstsachen.«

»Wenn der Herr Professor so sagen, muß ich's natürlich glauben,« erwiderte der Kärrner zweifelnd, »habe die Kiste nur etwas zu leicht befunden, und dann klapperte deren Inhalt auch successive, als ob sie mit zerbrochenen nürnberger Spielwaaren angefüllt gewesen wäre.«

Der Professor fuhr, wie von einer Tarantel gestochen, empor.

»Es klapperte?« rief er entsetzt aus, »Mann, es klapperte? Das hätte ja ein entsetzliches Unglück werden können! Um Gotteswillen, Freund, wenn jemals wieder etwas für mich Bestimmtes schlecht verpackt sein sollte, dann handhaben Sie es so vorsichtig, als hätten Sie es mit Seifenblasen zu thun; kann mir doch jede Reibung unersetzlichen Schaden verursachen. Und vom Gewicht sprechen Sie? Bedenken Sie denn nicht, daß es Porzellanvasen giebt, die trotz ihrer Größe nur nach Lothen wiegen? Ei ei ei, das hätte ein schönes Unglück werden können.«

Der Kärrner lächelte ungläubig und blickte überlegend in das Porzellanauge Hechsels, der erwartungsvoll zu seinem Herrn emporschaute. Er schien in Gedanken einen Vergleich zwischen Porzellanaugen und Porzellanvasen anzustellen, als der Professor, offenbar froh, dem Gespräch eine andere Wendung geben zu können, ihn plötzlich fragte:

»Sagen Sie mir einmal, lieber Freund, haben Sie noch Verbindungen in Amerika?«

Der Kärrner spähte verstohlen zu seiner Frau hinüber und antwortete zögernd:

»Eigentlich nicht; aber uneigentlich könnte man es successive so nennen.«

»Nun, alter Freund, ich bin auch mit dem uneigentlich zufrieden; bevor ich indessen fortfahre, muß ich Ihnen den Zweck meiner Frage erklären. Wie Sie bereits wissen, schwärme ich für Kunstsachen, welche ich mir aus allen Winkeln der Erde zusammensuche. Zur Erlangung eines solchen Schatzes also, der nur in Amerika aufgetrieben werden konnte, wendete ich mich brieflich an einen Collegen in Philadelphia, der denn auch bereitwilligst auf meinen Vorschlag einging und besagten Schatz für mich anschaffte und verpackte.«

»Wieder eine Vase?« fragte der Kärrner, wobei die grauen Augen listig unter den buschigen Brauen hervorblitzten.

»Eine Vase vom feinsten chinesischen Porzellan,« bekräftigte der Professor, »ein höchst seltenes und fehlerfreies Exemplar; doch das ist Nebensache. Zuverlässig weiß ich leider nur über dieses Kunstwerk, daß es sich wohlverpackt in Washington, Philadelphia oder Baltimore befindet, und mein gefälliger College entweder gestorben oder durch die jetzigen Kriegswirren, wer weiß, wohin, verschlagen worden ist. Verloren oder gestohlen kann die Kiste nicht sein, indem deren Inhalt nur für den Liebhaber und Kenner von einigem Werthe ist. Einem zuverlässigen Menschen würde es daher leicht gelingen, sie aufzutreiben und hierher zu senden – natürlich gegen Erstattung der dadurch verursachten Kosten. An die Consulate könnte ich mich zwar wenden, allein eine Privatperson, die sich wenig um Kunst und Wissenschaften kümmert, scheint mir sicherer, als ein Mann, von welchem, vermöge seiner Bildung, das Schlimmste zu befürchten steht. Was meinen Sie nun, mein lieber Braun, wenn Sie mir drüben eine Person bezeichneten, an die ich mich sofort brieflich wenden könnte?«

Bei dieser Frage sank das eine Auge des Kärrners rückwärts in den Abgrund hinab, während das andere sich forschend auf das weiße Strickzeug heftete.

Die Nadeln arbeiteten in ihrer alten Weise ungestüm weiter, wogegen Frau Kathrin ungeduldig die Achseln zuckte, für Braun das Signal, sich dem Professor wieder zuzukehren.

»'s hat seine Richtigkeit,« begann er mit offenbarem Widerstreben, »'s besteht zwischen mir und Amerika so 'ne Art von aufgedrungener Beziehung, allein Ihnen eine bestimmte Adresse anzugeben, ist mir successive unmöglich; und wenn ich 's auch könnte, Herr Professor, nehmen Sie's nicht für ungut, so möcht' ich doch nicht gern, weil ich – nun – Familienverhältnisse, und stolz bin ich auch – und dann hat am Ende jeder Mensch 'ne wunde Stelle, an die er selbst am wenigsten rühren mag.«

»Ah so, mein alter Freund, ich verstehe,« entgegnete der Professor zwar theilnehmend, jedoch mit dem Ausdruck bitterer Enttäuschung, »alle Achtung vor Ihren Gründen; vielleicht können Sie mir aber trotzdem Jemand aus Ihrer hiesigen Bekanntschaft nachweisen, der im Stande wäre, mich in nähere Verbindung mit Ihrer amerikanischen Bekanntschaft zu bringen.«

Der Kärrner sann wieder nach und schielte zu seiner Frau hinüber; diese aber saß da, wie aus Erz gegossen, nur ihre Hände bewegten sich krampfhaft.

»Gut, Herr Professor,« entschied Braun endlich im Sinne der scheinbar theilnahmlosen Frau Kathrin, »wenn ich mich versichert halten dürfte, daß Sie meine Person gar nicht erwähnten –«

Ihr Name soll nicht über meine Lippen kommen,« fiel der Professor hastig ein.

»Sehr schön, fuhr der Kärrner schnell fort, wie um sich baldmöglichst einer unangenehmen Pflicht zu entledigen, »ich glaube Ihnen aufs Wort, und wenn Sie nur die Gefälligkeit haben wollten, sich zu dem Herrn Rechtsanwalt Alvens zu bemühen – möchten Sie von ihm das Nähere leicht erfahren.«

»Rechtsanwalt Alvens,« notierte der Professor in seine Brieftasche, »oh, ich kenne ihn dem Namen nach – hat großen Ruf – Rechtsanwalt Alvens – ganz gut.«

Dann sah er nach der Uhr.

»Vielleicht treffe ich ihn jetzt gerade zu Hause!« rief er aus, indem er emporsprang und nach seinem Hute griff, den er im Eifer ungehörig tief auf seine Ohren zog, »aber ich muß mich beeilen, adieu, Kinder und auf baldiges Wiedersehen!«

Die letzten Worte sprach er auf der Hausflur, und zwei Secunden später schoß er bei Frau Kathrin am Fenster vorüber.

»Ob er ihm wohl die Adresse verräth?« fragte der Kärrner, sobald sich die erste Ueberraschung über die schleunige Flucht des Professors etwas gelegt hatte.

»Laß ihn machen, was er will, uns soll's nichts verschlagen,« antwortete Frau Kathrin, einen Blick des Einverständnisses mit ihrem Gatten austauschend.

»Hm, uns soll's nichts verschlagen,« echote Braun trübselig, und dann fügte er munterer hinzu: »Mich soll's wundern, ob er mit dem Pianum Wort hält.«

»Er hält Wort,« entschied Frau Kathrin ernst; »um der Nachbarschaft seine gerechte Verachtung zu beweisen, würde er noch ganz andere Dinge thun; der Herr Professor kennt die Welt, es giebt nicht viele solch' einsichtsvolle, respectable Leute.«

»Und die Anna ist solch' vorzügliches Kind,« sprach der Kärrner, indem er langsam der Thüre zuschritt, »gleichviel, ob's der Professor den Leuten zum Aerger, oder der Anna zum Gefallen thut, wenn's nur successive dem Mädchen zu Gute kommt.«

Er trat hinaus, um sich zu seinen Holsteinern zu begeben.

Ein Weilchen noch fochten die Nadeln unter Frau Kathrins feindseligen Blicken wüthend um sich; dann hielten sie plötzlich inne und tiefer neigte sich das hagere Antlitz, während die großen blauen Augen sich allmälig umflorten.

Lange saß Frau Kathrin so da, ein Thautropfen sank nach dem andern auf den zierlichen, weißen Strumpf nieder.

»Und es soll ihr zu Gute kommen,« flüsterten die bleichen Lippen endlich leise, und langsam, ganz langsam und vorsichtig begannen die Stricknadeln wieder zu arbeiten. Aber es war kein Kämpfen mehr, es glich einem verbindlichen Beugen und Verneigen, mit welchem eine Nadel der andern die Maschen anvertraute, um sie nach einem lustigen Rundgange ebenso höflich wieder von ihr in Empfang zu nehmen. –

Der Kärrner war unterdessen durch die Küche auf den Hof hinausgegangen und vor das Fenster des Giebelzimmers hingetreten, in welches Anna sich zurückgezogen hatte. Das Fenster stand offen; Anna saß neben demselben, schwermüthig auf die in ihren Händen befindliche Arbeit niederbückend.

Als Brauns Schatten das Fenster verdunkelte, fuhr sie erschreckt empor; kaum aber sah sie in das breite, glühende Gesicht mit dem noch glühenderen Bartkragen, kaum sah sie in die freundlich zusammengekniffenen grauen Augen, da glitt es wie ein Schimmer heiterer Jugendseligkeit über das holde Antlitz.

»Guter Vater Braun, wie habe ich mich geängstigt,« sagte sie, sich gleichsam entschuldigend, indem sie mit kindlicher Zutraulichkeit die ihr dargereichte, schwielige Hand ergriff.

»Glaub's wohl, Schätzchen,« tröstete der Kärrner, und aus dem breiten, sonnverbrannten Gesicht leuchtete eine ganze Welt voll Herzensgüte hervor, »ja ja, glaub's sehr gern, ist aber Alles nicht so schlimm gemeint, wie sich's anläßt. Die Menschen haben so manchmal ihre Art, und Dir allein kommt's zu Gute. Darf Dir nur nicht Alles verrathen, damit 's Dich recht überrascht, wenn sie drinnen Dir sagt von Gelegenheit zu gutem Verdienst und vom Spielen beim Professor. Wirst successive dahinter kommen; auch hinter den Professor mit seinen Schrullen. Geh nur wieder hinüber, Schätzchen, und laß Dein Gesicht nicht ausplaudern, wie Dir um's Herz gewesen. Ich glaube, wenn Du Dich so stillschweigend ans Pianum setztest und vielleicht nur so mit einer Hand oder zwei Fingern 'n Bißchen drauf 'rumfuhrwerktest, das würde sie schon packen.«

»Ach, Vater Braun, wie besorgt Sie um mich sind,« versetzte Anna mit so wunderbar zärtlich klingender Stimme, daß das alte Kärrnergesicht zuckte und zuckte, als ob auf demselben heller Frühlingssonnenschein mit reich befruchtenden Regenwolken im Kampfe gelegen hätte, »Sie meinen es so gut mit mir, und auch Frau Braun, so daß es mir fast sündlich erscheint, wenn Sie mir mein Benehmen –«

»Stille, Schätzchen, ganz still,« entwand es sich heiser und doch unbeschreiblich wohlklingend der breiten Hünenbrust, während der Frühlingssonnenschein den Sieg über die mild drohenden Regenwolken errang, »so'n Bischen Betrug ist manchmal ganz gut, namentlich bei meiner Kathrin. Du hast successive wohl einen ungeheuren Stein bei ihr im Brett, allein dabei will sie doch auf ganz eigene Art genommen werden. Hast freilich schon von Natur die rechte Manier dazu, Schätzchen, aber vergiß nicht, so'n Bischen Schlauheit gehört mit zum Leben, wenn Alles sich glatt und gefällig abwickeln soll.«

Dann schloß sich die Riesenfaust noch einmal recht sanft und warm um die schlanke, weiße Hand, und dahin wiegte schwerfällig die wuchtige Gestalt der angelehnten Stallthüre zu, hinter welcher die drei Holsteiner ihn mit leisem, freudigem Wiehern willkommen hießen.

Anna blickte dem Davonschreitenden nach, so lange er ihr sichtbar.

»So'n Bißchen Schlauheit gehört mit zum Leben,« hatte er gesagt, bevor er sich entfernte.

O, Du guter, ehrlicher Braun, mit welcher Leichtigkeit sprachst Du von Betrug und Schlauheit! Wie fürchterlich aber waren die Pläne, die in Deinem Kinderherzen zum Zweck des Hintergehens und Täuschens Deiner eigenen, hoch achtbaren Frau Kathrin entstanden! Böser, böser Braun, schlug Dir das Gewissen denn gar nicht, als Du von Deinen drei biederen Holsteinern mit so viel unverkennbarer Verehrung begrüßt und angewiehert wurdest?

Anna blickte noch ein Weilchen auf die geöffnete Stallthüre; dann erhob sie sich.

Bald darauf ertönten aus Frau Kathrins Wohnzimmer gedämpfte Accorde, die allmälig in eine heitere Melodie übergingen.


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