Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant - Teil 1
Balduin Möllhausen

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Zweiter Band.

Dreizehntes Capitel. Auf der Lauer.

Ein feuchter, nebeliger Herbstabend senkte sich auf die Hauptstadt, als Herr Alvens noch immer ernst beschäftigt auf dem gepolsterten Drehstuhl vor seinem Schreibtisch saß.

Vor ihm lagen mehrere Briefe, welche amerikanische Poststempel trugen, und die er, nachdem er sie aufmerksam durchgelesen und miteinander verglichen hatte, sehr sorgfältig wieder zusammenlegte. Neben den Briefen lagen zwei Documente, auf den Namen Braun lautende Schuldverschreibungen, Hypotheken, die auf dem Gehöft des Kärrners lasteten und die Alvens in seinen Besitz zu bringen gewußt hatte. Es waren vollkommen sichere Papiere, indem sie sich innerhalb des Feuerkassenwerthes des Grundstückes bewegten; Braun hatte dies außerdem hinlänglich dadurch bewiesen, daß er stets sehr pünktlich einige Tage vor dem Verfalltermine die Zinsen bis auf Heller und Pfennig entrichtete. Und dennoch hätte es dem biederen Kärrner Verlegenheit bereitet, wären ihm die Hypotheken plötzlich und unerwartet gekündigt worden. Dergleichen befürchtete er indessen nicht, hatte auch keinen Grund dazu, indem die Documente in den letzten zwanzig Jahren mehrfach ihren Besitzer gewechselt hatten, ohne daß ihm dadurch Unbequemlichkeiten verursacht worden wären. In den meisten Fällen hatte er sich sogar kaum um den Wechsel gekümmert, am wenigsten aber ahnte er, daß er, ohne sein Wissen und Wollen, in das Verhältniß eines Schuldners zu dem Rechtsanwalt Alvens getreten sei. –

Seit einer halben Stunde brannte die Lampe in dem wohldurchheizten Cabinet des Herrn Rechtsanwalt, als er endlich Briefe und Documente in ein Packet zusammenlegte und verschloß. Grübelnd wandelte er einige Male auf und ab, worauf er seinen Secretair rief.

Als Beltram eintrat, fand er seinen Gebieter auf dem Drehstuhl sitzend und sehr angelegentlich mit der Prüfung einer alten Rechnung beschäftigt. Ein Blick belehrte ihn, daß er heute keine Martern zu erdulden haben werde, was ihn zu dem bescheidenen: »der Herr Rechtsanwalt haben befohlen« veranlaßte.

»Nehmen Sie Platz, lieber Beltram,« erwiderte dieser nichts weniger als mißmuthig, indem er seinen Armstuhl so weit herumdrehte, daß er Beltram gerade vor sich sah.

»Sie waren bei dem Kärrner?« fragte er, als ob die Sache selbst von nur geringer Wichtigkeit für ihn gewesen wäre.

»Ich war dort,« antwortete Beltram, vor lauter Unterwürfigkeit die knochigen Schultern vor der engen Brust beinah zusammenstoßend und die gerötheten Augen durch heftiges Blinzeln fast bis zu Thränen rührend.

»Sie fanden Alle im besten Wohlsein?«

»Alle, bis auf Herrn Braun, der augenblicklich auf Reisen ist.«

»Ich weiß, er wird erst in einigen Tagen heimkehren – und Frau Braun?«

»Verdrossen und wenig mittheilsam, wie immer; Fräulein Werth dagegen ertrug die Unfreundlichkeiten ihrer Tyrannin mit musterhafter Geduld und Heiterkeit.«

»Sie benachrichtigten die Frau, daß ich ihren Mann betreffs der auf seinem Grundstück haftenden Schulden dringend zu sprechen wünschte?«

»Genau, wie der Herr Rechtsanwalt mir befahlen.«

»Gelang es Ihnen, sie zum Sprechen zu bringen?«

»Zum Sprechen, ja; allein es kostete sehr viel Mühe, etwas Anderes zu erfahren, als daß sie sich um die Hypotheken nicht kümmere und ich ein ander Mal, wenn ihr Mann zu Hause sei, wiederkommen möchte. »Und wenn sie oder der Alvens nicht so lange warten können, so steht es Ihnen frei, ihm entgegen zu gehen,« fügte sie boshaft hinzu, und die Unterredung schien ihr Ende erreicht zu haben, als ich, Ihres Rathes mich entsinnend, noch einmal fragte, wann ihr Mann eintreffe. Anfänglich bezeigte sie keine Lust, mir zu antworten, endlich aber, – ich glaube, die Hypothekenangelegenheit beunruhigte sie – begann sie an den Fingern zu zählen und verschiedene Ortschaften zu nennen, bis sie zu dem Schluß gelangte, daß ihr Mann am vierten Tage, von heute gerechnet, nur noch drei Meilen von hier Nachtquartier nehmen würde.«

»Also noch fünf Tage,« bemerkte Alvens nachdenklich, »nun, entgegen zu gehen brauchen wir ihm gerade nicht; denn auf ein paar Tage früher oder später kommt es nicht an – Sie müssen den wunderlichen Leuten gegenüber einen ziemlich schwierigen Stand haben, mein Freund, nehmen sie dafür eine kleine Entschädigung, hier das Theaterbillet, wenn es Ihnen Freude macht – sind die andern Leute schon fort?«

»Sie entfernten sich mit Dunkelwerden.«

»Gut, so gehen auch Sie und verschaffen sie sich einen angenehmen Abend – wie nannte die Kärrnerfrau den Ort, in welchem ihr ungehobelter Eheherr übernachten würde?«

Beltram nannte den Namen eines Dorfes.

»Merkwürdige Leute, diese Kärrner,« lachte Alvens sehr leutselig, »kann mir übrigens vorstellen, daß das Leben auf den Landstraßen seine besonderen Reize für sie hat – aber ich halte Sie auf, mein lieber Beltram, wenn Sie vorher noch einmal nach Hause gehen, wird es die höchste Zeit zum Theater sein. Schon Alles verschlossen?«

»Die Stange ist noch vorzulegen.«

»Besorgen sie das und machen Sie sich auf die Strümpfe,« befahl Alvens mit scherzhafter Strenge, »auch ich werde heute Abend nicht zu Hause sein, und so mögen wir zusammen hinausgehen.«

Beltram erhob sich und schlich so demüthig und geräuschlos davon, als ob er nicht schwerer, als ein recht geschmeidiger Schatten, gewesen wäre. Er befand sich indessen kaum außerhalb des Gesichtskreises seines Gebieters, als von dem unterwürfigen Geheimsecretair weiter nichts mehr zu erkennen war, als höchstens die glatt und blank gescheuerten Rockärmel, die Dintenflecken an den ungestalteten Fingern, und endlich die eingeengte Brust, welche von der Natur eigens für den Rand eines Schreibtisches geschaffen und zurecht gebogen zu sein schien. Sogar die Farbe des Hungers, an welcher im allgemeinen schlecht besoldete Schreiber kenntlich, war wie durch Zauberschlag verschwunden, indem ihm das Blut mit solcher Gewalt nach dem Kopfe stieg, als hätte es sich in den gerötheten Augenlidern oder in den weitabstehenden, unförmlichen Ohren einen Ausweg suchen wollen. Die grünlich leuchtenden Augen dagegen stierten über den von seiner Faust ungeschickt gehaltenen, brennenden Wachsstock fort, immer geradeaus, ähnlich wie bei einer hungrigen Hyäne, welche, in der Verfolgung ihrer Beute, diese aus dem Gesicht zu verlieren fürchtet.

Vor der letzten Thüre, neben welcher die eiserne Vorlegestange unthätig und träge niederhing, blieb er stehen. Er schien im Kampfe mit einzelnen in ihm aufsteigenden Zweifeln zu liegen; dieselben schwanden indessen, sobald seine Blicke das noch in seiner Hand befindliche Theaterbillet streiften. Ein giftiges Hohnlachen auf den durch die hohe Röthe doppelt häßlichen Zügen, bückte er sich, um die Barre quer vor die Thüre zu schieben. Das lose Ende derselben war mit einer Oeffnung versehen, welche genau auf eine durchbohrte und auf der entsprechenden Stelle in das Holz getriebene Krampe paßte. Durch ein Vorlegeschloß wurde die Stange gegen Herabgleiten geschützt; anstatt aber jenes in vorgeschriebener Weise einzuhängen, legte er es hinter die Stange, worauf er es so weit nach vorn herumschob, daß bei einem oberflächlichen Hinblick der Betrug nicht bemerkt werden konnte. Alles dies war das Werk einer Minute, und länger dauerte es nicht, bis er die Barre mittelst eines starken Bindfadens so an die Krampe befestigt hatte, daß sie, wenn einem Druck der Thüre nachgebend, wohl von der Haft herunterglitt, jedoch, anstatt polternd niederzuschlagen, in halber Höhe von dem Schwellenholz hängen blieb. –

»Alles in Ordnung?« fragte Alvens, sobald er das Klirren vernahm, mit welchem Beltram ein Bund Schlüssel neben der Thüre auf einen messingenen Haken hing.

»Ihnen zu dienen,« antwortete Beltram so ehrerbietig steif, als hätte er nicht mehr Leben besessen, wie der Drehstuhl, der mit musterhaftem Gehorsam jeder leisen Bewegung des Rechtsanwalts augenblicklich nachgab.

»Gut, so wollen wir gehen,« bemerkte Letzterer, indem er sich erhob.

Beltram wartete nicht, bis nach dem Diener geklingelt wurde, sondern die Lampe ergreifend, schritt er seinem Herrn voran. Bevor sie das Cabinet verließen, hielt Alvens ihn noch einmal zurück.

»Können sie morgen früh, ohne mich zu stören hinein?« fragte er, auf die Thüre zeigend, durch welche man zuerst in ein kleines Vorzimmer, und demnächst durch das Kämmerchen des Dieners auf die wohlversicherte Hausflur gelangte.

»Den Schlüssel zum Cabinet habe ich, und draußen öffnet mir der Diener; ich brauche daher die Wohnung des Herrn Rechtsanwalt nicht zu betreten,« antwortete Beltram bescheiden, und auf einen zustimmenden Wink seines Gebieters bewegte er sich langsam weiter.

Bald darauf empfahl er sich mit wiederholten Versicherungen seiner Dankbarkeit für die ihm zu Theil gewordene Güte, und auf einem Umwege erreichte er die Hausflur.

Die Treppe war hell erleuchtet; Beltram glaubte daher, Ursache zu haben, sein demüthiges, beinahe einfältiges Wesen noch beizubehalten. Indem er aber das Theaterbillet verstohlen betrachtete und zwischen seinen ungelenkigen Fingern drehte und wendete, verzog er seinen Mund zu einem widerwärtigen, geringschätzigen Lächeln.

»Ich soll ins Theater gehen,« schienen die aufgeworfenen, vielfach eingesprungenen Lippen zu sprechen, »ich und das Theater, wir passen herrlich für einander – aber die Zeit wird kommen, in welcher ich in meinem eigenen Wagen zum Theater fahre.«

Aus der eingeengten Brust erscholl es röchelnd, wie gewaltsam unterdrücktes, feindseliges Lachen. Er trat auf die Straße hinaus, wo er stehen blieb und unentschlossen um sich spähte.

Leute kamen, Leute gingen, nirgend entdeckte er Jemand, den er der Beachtung werth gehalten hätte.

»Aus dem getretenen Sklaven kann ein Gebieter werden,« reihten sich seine Gedanken an einander, »und was für ein Gebieter! O, wie er für mich arbeitet, wie er mir die Mittel in die Hände spielt, ihn endlich mit Donnerstimme aus seinen Träumen wachzurufen! Ihr aber kann die Wahl nicht schwer werden, zwischen demjenigen, der sie elend machen möchte, und einem Manne, der sie wahnsinnig liebt und nur ihr Glück will; zwischen ihm, der sie zu verderben trachtet, und mir, der ich sie vor Unheil bewahre; zwischen dem schurkischsten aller heimlichen Verbrecher, und –« seine Gedanken stockten; er war in Verlegenheit um eine weitere Eigenschaft für sich selbst. Langsam und gesenkten Hauptes verfolgte er seinen Weg bis zur nächsten Straßenecke; allen ihm Begegnenden wich er höflich aus, und jedes neue Ausweichen benutzte er dazu, einen Blick rückwärts zu senden auf das Haus, welches er eben verlassen hatte. Zwei Laternen beleuchteten dasselbe bis zur zweiten Etage hinauf; er konnte es also genau übersehen. Bis jetzt war noch Niemand eingetreten; Niemand hatte es verlassen.

»Er scheint keine Eile zu haben,« brütete Beltram weiter; dann schlich er hinter die ihm gegenüberliegende Straßenecke, wo er, um dieselbe herumlugend, stehen blieb. Ein Lichtschimmer, welcher in Alvens' Wohnung an allen Fenstern vorüberlief, belehrte ihn, daß sein Gebieter noch mit dem Aufbruch säume. Bald darauf entdeckte er den Diener, wie derselbe aus dem Portal trat und nach kurzem Sinnen dem Innern der Stadt zuwanderte.

»Ob auch er wohl ein Theaterbillet erhielt?« leuchtete es spöttisch aus den gerötheten Augen, während die Blicke den sich Entfernenden, so lange er ihnen erreichbar, mißtrauisch verfolgten.

Ein junger Handwerker trat zufällig neben ihn hin.

»Wollen sie ein Theaterbillet haben?« fragte er denselben wenig freundlich.

Der Handwerker betrachtete ihn von oben bis unten und zuckte die Achseln.

»Sie sehen mir gerade aus, wie Einer, der Theaterbillets zu verschenken hat,« rief er im Davonschreiten.

Beltram stöhnte vor Wuth.

»Wie würde ich es jetzt bereuen, hätte er es angenommen,« versenkte er sich wieder in seine Betrachtungen; »o, auch die Zeit wird kommen, in welcher ich noch mehr verschenken könnte, wenn ich wollte – aber ich will nicht – nein, wie ich getreten wurde, will ich Andere ebenfalls zurückstoßen. Ha, ich und das Theater! Wir passen prächtig zu einander!« und das Billet zerknitternd und zerreißend, warf er es neben sich in die Straßengosse.

Eine Viertelstunde hatte er auf seinem Posten ausgeharrt, als er einen Mann gewahrte, der einige Male vor der Wohnung des Rechtsanwalts auf und ab ging, bevor er sich, Einlaß begehrend, der Hausklingel näherte. Ehe er aber noch klingelte, befand Beltram sich ihm gegenüber auf der anderen Seite der Straße, und er erkannte zu seinem namenlosen Erstaunen einen früheren Polizeidiener, welchen mehrfach in Alvens' Bureau gesehen zu haben, er sich entsann. Er wußte sogar, daß derselbe später wegen grober Dienstvergehen aus seiner Stellung entlassen worden war. Hatte er selbst doch Akten in Händen gehabt, welche sich auf die von Alvens geführte Vertheidigung des Angeklagten bezogen.

Wie ein wilder Triumph leuchtete es bei dieser Entdeckung hinter den großen Brillengläsern hervor.

»Also deshalb wünschtest Du allein zu bleiben, und deshalb hattest Du solche Eile, mich ins Theater zu schicken?« sprach er in Gedanken und zugleich setzte er sich wieder langsam in Bewegung; plötzlich blieb er, wie vom Blitz getroffen, stehen.

»Er war Polizist und ist vertraut mit allen nur denkbaren Ränken,« stöhnte er in sich hinein.

Vor seine Phantasie traten Alvens und dessen geheimnißvoller Besuch, wie sie, behutsam um sich spähend, die an einander stoßenden Bureauräume durchwanderten und endlich vor der nur scheinbar verbarrten Thür eintrafen.

»Sie können mir nichts beweisen,« suchte er sich zu ermuthigen, »höchstens eine Unachtsamkeit – aber ich muß wissen, wie weit sie gehen, vielleicht daß ich dennoch –«

Hastig schritt er über die Straße hinüber, sich entschlossen der Thür des beobachteten Hauses nähernd.

Er wurde sogleich eingelassen, anstatt aber sich nach den Bureauräumen hinauf zu begeben, trat er in einen finstern Winkel des Hauses, wo eine Anzahl leerer Kalktonnen ihm ein sicheres Versteck gewährten.

In dem Cabinet des Rechtsanwalts brannte Licht; an dem Schein, welcher durch die Vorhänge ins Freie hinausfiel, erkannte er, daß die Lampe ihre gewöhnliche Stelle einnahm. Er fühlte sich beruhigter; hätte man die Absicht gehegt, die Bureauräume zu durchforschen, würde man in dem Cabinet schwerlich viel Zeit verloren haben. So suchte er sich zu ermuthigen, während er die ängstlichen Blicke unausgesetzt auf das erhellte Cabinet gerichtet hielt. –

Wie nun Beltram seine Bewegungen in undurchdringliches Geheimniß zu hüllen trachtete, so herrschte hinter den transparent durchschimmernden Vorhängen das nicht minder ängstliche Bestreben, keines der gewechselten Worte über die Grenzen des Cabinets hinausgelangen zu lassen.

Alvens saß wieder auf seinem Drehstuhl, den Rücken dem Schreibtisch zugekehrt; sein Gesicht befand sich im Schatten, während die Beleuchtung der Lampe voll die lauernde Physiognomie des vor ihm sitzenden ehemaligen Polizisten und jetzigen Holzaufsehers traf.

»Wir kenne uns schon ziemlich lange,« eröffnete Ersterer die Unterhaltung, sobald der Aufseher, seiner Einladung Folge leistend, Platz genommen hatte, »und ich glaube, Sie kennen mich von einer Seite, welche Ihnen einen gewissen Grad von Dankbarkeit gegen mich auferlegt.«

»Ich werde nie vergessen, was der Herr Rechtsanwalt für mich gethan haben,« erwiderte der Aufseher mit einer etwas mißlungenen höflichen Verbeugung.

»Es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß uns Männern vom Recht ein Fall um so höhere Freude gewährt, je schwieriger er ist, und Ihr Fall war in der That ein recht hindernißreicher; manchem Vertheidiger wäre es nicht geglückt, Ihre – Ihre – wie viel Jahre hatte man doch gleich beantragt?«

»Fünf Jahre, Herr Rechtsanwalt,« antwortete der Aufseher zögernd und sich auf seinem Stuhle verlegen hin und her windend.

»Richtig, fünf Jahre,« bekräftigte Alvens so kaltblütig, als hätte es sich um den Einkauf eines Dutzend Stahlfedern gehandelt; »mir gelang es, sie bis auf ein Jahr zu reduciren; bei Gott, es war ein kühnes Manöver; brauchte ich doch heute noch in den Acten nur ein wunderbares Versehen nachzuweisen, welches ich mir zu Nutze machte, um Ihnen, – doch lassen wir das, ich freue mich herzlich, daß es mir vergönnt war, in dem interessanten Criminalfall Sieger zu bleiben, schon allein Ihretwegen, da Sie Familienvater sind.«

Hier schwieg er eine Weile, und mit äußerster Sorgfalt die langen Nagelspitzen an seinen Fingern polirend, harrte er darauf, daß der Aufseher ihm eine Antwort ertheilen würde.

Dieser aber, ein gediegener Schurke, war auf seiner Hut; anstatt durch unvorsichtige Bemerkungen Alvens eine erhöhte Gewalt über sich einzuräumen, gab er sich die erdenklichste Mühe, seinen von Natur listigen und brutalen Gesichtszügen einen Ausdruck besorgnißvoller Spannung zu verleihen.

Als der Aufseher fortgesetzt schwieg, nahm Alvens endlich wieder das Wort.

»Sie errathen nicht, weßhalb ich Sie zu mir beschied?« fragte er, seine Augen und Lippen verziehend, als hätte die gleichmäßige Zuspitzung des beinahe zolllangen Nagels am kleinen Finger seiner linken Hand außerordentliche Aufmerksamkeit und Genauigkeit erfordert.

»Unmöglich kann ich das errathen, Herr Rechtsanwalt,« entschuldigte der Aufseher mit der Zerknirschtheit eines auf einem groben Fehler ertappten Schulknaben; »ich hoffe indessen zum lieben Gott, daß Sie meine Vergangenheit nicht in Anschlag bringen, sondern mir Gelegenheit bieten, meine Dankbarkeit zu beweisen.«

»Ei was, Dankbarkeit!« erwiderte Alvens halb ärgerlich, und die Schneide seines Federmessers schabte leise an dem tadellos gezogenen Fingernagel, »ich verlange weder von Ihnen, noch von sonst jemand Dankbarkeit; ich habe sie einfach zu mir beschieden, weil ich, trotz Ihrer Vergangenheit, sie in manchen Dingen für einen zuverlässigen und brauchbaren Menschen halte und sie daher eine nicht ganz kleine Summe Geldes verdienen lassen möchte. Was meinen Sie dazu?«

»Ich würde dankbar für jeden Verdienst sein, welchen der Herr Rechtsanwalt mir zuwendeten.«

»Gut, sehr gut; es ist indessen keine leichte Aufgabe, welche ich Ihnen zugedacht habe; sie ist sogar bis zu einem gewissen Grade gefährlich und erfordert die größte Vorsicht,« schien Alvens aus den ausgestreckten Fingern seiner linken Hand wohlgefällig herauszulesen.

»Der Herr Rechtsanwalt werden nichts Unmögliches von mir verlangen,« entgegnete der Aufseher, mit derselben Aufmerksamkeit in Alvens' Zügen lesend, mit welcher dieser seine Fingernägel zu Rathe zog.

»O, mein lieber Schweifer – Sachse wollte ich sagen, – Unmögliches verlange ich von Ihnen nicht,« schmunzelte Alvens, »allein Sie laufen Gefahr, von unberufenen Leuten mißverstanden, angeklagt und vor Gericht gestellt zu werden, was zur Folge hätte, daß man die alten Acten nachschlüge und dabei die vier künstlich beseitigten Jahre strengen Gewahrsams herausfände.«

»Liefen sie selbst dabei denn gar keine Gefahr?« wagte der Aufseher besorgnißvoll zu fragen.

»Ich und Gefahr laufen?« bequemten sich die zugespitzten Lippen des Rechtsanwaltes, seinem allerunerheblichsten Nebengedanken Ausdruck zu verleihen, »oh, ich sammle nur Stoff für einen sehr verwickelten Prozeß, durch welchen einem biederen alten Manne gegen seine Wünsche emporgeholfen werden soll, während bei Ihnen – doch wissen Sie etwa zufällig, wo Lanken liegt?« »Sehr wohl, Herr Rechtsanwalt, drei Meilen von hier, ein großes Kirchdorf.«

»Können Sie in Ihrem jetzigen Dienstverhältniß Urlaub auf zwei oder drei Tage erhalten?«

»'s wird schwer angehen, Herr Rechtsanwalt.«

»Auch nicht, wenn sich Ihnen die Aussicht eröffnete, dadurch zehn bis zwanzig Thaler zu verdienen?«

»Ein hübsches Stück Geld; es muß Ihnen doch recht viel an meiner Dienstleistung liegen,« bemerkte der Aufseher nachdenklich.

»Würde ich Sie überhaupt zu mir beschieden haben, wenn mir nicht sehr viel daran läge?«

»'s ist freilich wahr, Herr Rechtsanwalt,« versetzte der Aufseher mit seinem ehrlichsten und hingebendsten Grinsen; »Ich bin natürlich nicht gelehrt genug, Ihre Pläne zu beurtheilen, allein Ihnen zu Gefallen und mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache, möchte sich wohl ein Urlaub dadurch erwirken lassen, daß ich mich krank meldete und meine Frau auf einige Tage meine Stelle versähe, meine Frau kennt das Geschäft beinah' ebenso gut, wie ich selber.«

»Machen sie, wie Sie wollen, wenn ich nur darauf rechnen kann, daß sie mir von übermorgen früh ab zur Verfügung stehen.«

»Verlassen Sie sich auf mich, Herr Rechtsanwalt, und sagen Sie mir, wohin ich mich begeben und was ich thun soll.«

»Drei Meilen beträgt die Entfernung,« erklärte Alvens ernst; »Sie brechen daher so früh auf, daß Sie bald nach Sonnenuntergang in Lanken sind. Aber wohlverstanden, es liegt in Ihrem eigenen Interesse, im Dorfe nicht gesehen zu werden.«

»Nichts leichter, als das, der Wald stößt auf der Mittagsseite an die Gärten, und wer kümmert sich überhaupt um einen Menschen, der auf der Chaussee seinen Weg verfolgt?«

»Das ist Ihre Sache; aber Sie haben mich verstanden. Kennen Sie die Lage des Dorfkrugs?«

»So genau, wie die Lage meiner eigenen Wohnung; es wäre nicht das erste Mal, daß ich dort ankehrte.«

»Ankehren oder vielmehr einkehren sollen Sie nicht; es fragt sich vorläufig nur, ob Sie mit den zu dem Kruge gehörigen Stallräumen vertraut sind.«

»Nur mit dem großen Gebäude, welches zur Aufnahme der Pferde der dort übernachtenden Fuhrleute dient.«

»Das wäre hinreichend; doch urtheilen Sie selbst: Am dritten Tage, von heut gerechnet, wird ein Frachtfuhrmann, Namens Braun, spät Abends vor dem Kruge eintreffen, um daselbst zu übernachten. Er ist leicht kenntlich an seiner ungewöhnlich kraftvollen Figur, an einem doppelnasigen, braunen Hunde und an drei schweren Karrengäulen, von welchen der eine schwarz, die beiden anderen braun sind. Ihre Aufgabe soll es nun sein, den Kärrner zu verhindern, am anderen Tage seine Reise fortzusetzen. Wie Sie dies veranstalten, ist wiederum Ihre Sache; glauben Sie wohl, einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein?«

Der Aufseher antwortete nicht gleich; der Name Braun hatte ihm nicht nur eine vor beinahe sieben Jahren stattgefundene Begebenheit, sondern auch den vor Kurzem erst ihn besuchenden Fremden lebhaft ins Gedächtniß gerufen.

»Gewachsen wäre ich der Aufgabe wohl,« erwiderte er endlich mit dem Ausdruck des Zweifels, »allein ich dächte, Sie müßten schon etwas ausführlicher sein, wenn ich darauf eingehen soll.«

»Ausführlicher? Ist es nicht klar genug, wenn ich sage, er muß durch seine eigenen Pferde an der Weiterreise gehindert werden?«

»Hm, man müßte gerade eines derselben lahm oder krank machen,« bemerkte der Aufseher wie im Selbstgespräch.

»Sehr gut, allein ein krankes oder lahmes Pferd wird oft sehr schnell wieder gesund, und die Last, welche drei Pferden nicht schwer wird, ziehen auch zwei.«

»Drei Pferden zu 'ner gehörigen Krankheit zu verhelfen, ist allerdings kein größeres Wagestück, als einem,« versetzte der Aufseher lauernd, »es käme dabei vorzugsweise darauf an, wie krank sie werden sollen.«

»Weitere Erörterungen über diesen Gegenstand möchte ich vermeiden,« erwiderte Alvens mit gut erheuchelter Ungeduld. »Ob Sie den Kärrner Braun kennen, weiß ich nicht – ist übrigens auch nicht von Belang; genug, dieser Kärrner Braun hat die besten Aussichten, einen reichen Verwandten zu beerben, weigert sich aber standhaft, dessen Bedingung: das Leben eines Frachtfuhrmanns aufzugeben, zu erfüllen. Er will seinem Gewerbe so lange treu bleiben, wie seine drei Gäule aushalten, und da giebt es denn keinen anderen Ausweg, als unsere Zuflucht zur List zu nehmen. Persönlich kann ich in dieser Angelegenheit eine bestimmte Grenze nicht überschreiten, das werden Sie begreifen, ich muß daher zu meinem Beistande einen zuverlässigen Menschen haben. Fürchten Sie indessen, auf zu große Schwierigkeiten zu stoßen, so sprechen Sie frei und offen; Ihren Weg hierher haben sie trotzdem nicht umsonst gemacht.«

Bei diesen Worten reichte er dem Aufseher einen Thaler, welchen dieser ruhig hinnahm und in die Tasche schob.

»Ich will's wenigstens versuchen,« sprach er dabei nachdenklich, »aber zum Versuchen gehört Geld, und wenn Sie mir eine kleine Summe anvertrauen wollten, über welche ich später Rechnung ablegen würde –«

»An den nöthigen Geldmitteln soll es Ihnen nicht fehlen,« fiel ihm Alvens in's Wort, »dagegen verschonen Sie mich mit einer genaueren Schilderung Ihrer Pläne, ich will von denselben gar nichts wissen, nur so viel rathe ich Ihnen, bewegen sie sich stets innerhalb der Schranken des Gesetzes.«

»Ich hoffe, mir Ihre Zufriedenheit zu erwerben,« bemerkte der Aufseher höflich, »und obenein den Dank des alten Kärrners. Lanken ist doch der bezeichnete Ort?«

Alvens antwortete zustimmend.

»Und von heute gerechnet, am dritten Tage?«

»Am Donnerstag Abend.«

Alvens erhob sich, welchem Beispiel Sachse sogleich folgte. Bevor sie das Cabinet verließen, wendete Letzterer sich noch einmal mit knechtischer Höflichkeit an den Rechtsanwalt:

»Verzeihen Sie, der Name Braun klingt mir so bekannt; steht der Kärrner vielleicht in Beziehung zu dem jungen Menschen, welchen aufzusuchen ich vor einer Reihe von Jahren ausgeschickt wurde?«

Alvens erschrak sichtbar, doch schnell sich fassend, antwortete er ausweichend: »Ich weiß es nicht genau, unwahrscheinlich ist es indessen nicht – ja, ja, die guten Leute sind, wenn ich nicht irre, kinderlos, vielleicht war's ihr Sohn, ich werde mich darnach erkundigen; Ihre Jagd war ja wohl erfolglos?«

»Zu dienen, Herr Rechtsanwalt.«

»Auch die Anderen entdeckten keine Spur von dem Flüchtling?«

»So viel mir erinnerlich, nein. Wer weiß, wo der leichtsinnige junge Mann sein Ende genommen hat.«

»Er ist verschollen,« entsann sich Alvens plötzlich, noch immer unter den Empfindungen, welche durch die Erwähnung von Brauns Sohn in ihm wachgerufen worden waren; dann aber fügte er in sorgloserem Tone hinzu: »Bevor wir uns trennen, mache ich Ihnen zur Pflicht, jedes einzelne zwischen uns gewechselte Wort als ein unveräußerliches Geheimniß zu betrachten.«

»Bauen Sie auf mich und meine Dankbarkeit,« antwortete Sachse gleißnerisch.

»Sogar Ihr Besuch bei mir muß Geheimniß bleiben; ich habe die triftigsten Gründe, dies von Ihnen zu fordern.«

»Ich begreife Alles und werde Alles aufbieten, um Ihre Zufriedenheit zu erwerben,« betheuerte der Holzaufseher, indem er an den Tisch trat und das für ihn aufgezählte Geld in Empfang nahm. Dann folgte er Alvens durch dessen ganze Wohnung nach, bis dieser ihn auf dem anderen Ende derselben auf die Treppe hinausließ.

Niemand begegnete dem sich entfernenden, weder auf der Treppe, noch in der Hauseinfahrt. Sobald aber die schwere Flurthür hinter ihm zuschlug, entstand eine leichte Bewegung zwischen den leeren Kalktonnen, welche in einem von der Rückwand des Nachbarhauses und einem Stallgebäude gebildeten Winkel unordentlich aufgestapelt lagen, und aus dem schwarzen Schatten schlüpfte Beltram hervor. Seine Blicke hafteten noch immer an den auf den Hof öffnenden Fenstern des zweiten Stockwerks; sie waren und blieben dunkel, und dennoch hämmerte ihm das Herz in der Brust, daß er fürchtete, dadurch über den ganzen Hof hin verrathen zu werden. Erst als er die wohlbekannten Schritte seines Gebieters vernahm, der mit hastigen Bewegungen die Treppe hinunter eilte, seufzte er erleichtert auf und näher glitt er der Einfahrt.

Alvens hatte sich dem Portierfenster zugeneigt.

»Schließen sie nicht zu,« sprach er so laut, daß Beltram ihn deutlich verstand, »ich kehre erst spät zurück, und da ist es mir lieber, wenn ich nicht lange mit den Schlüsseln zu arbeiten brauche.«

Der Portier antwortete zustimmend und gleich darauf schritt Alvens auf die Straße hinaus.

»Er kehrt spät heim; der Drücker genügt, um in's unverschlossene Haus zu gelangen,« sprach Beltram in seiner heftigen Erregung leise vor sich hin; dann aber, als hätte er eine Unvorsichtigkeit begangen, spähte er ängstlich um sich. Nichts rührte sich auf dem dunkeln Hofe und auf den erleuchteten Fluren und Treppen; doch wohl zehn Minuten verstrichen, bevor er es wagte, sich ebenfalls zu entfernen. Er that es mit einer gewissen Geschäftigkeit, gerade als ob er an diesem Abend noch recht viel zu thun gehabt hätte. Er kannte den alten Portier zu genau und wußte, daß entweder die Klingel zu seinen Häupten gezogen oder Feuerlärm im Hause geschlagen werden mußte, bevor er sich dazu bequemte, von seinem verräucherten und zerlesenen Ritterroman aufzuschauen. –


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