Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant - Teil 1
Balduin Möllhausen

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Fünftes Capitel. Beim Rechtsanwalt.

»Alvens, Rechtsanwalt,« stand mit Fracturschrift auf einem großen porzellanenen Schilde geschrieben, welches auf der geräumigen Flur eines stattlichen Hauses gerade da angebracht worden war, wo eine breite und bequeme Treppe nach den oberen Stockwerken hinaufführte. Neben dem Schilde hing der weiße Porzellangriff einer fernen Klingel nieder, nach dessen Benutzung sich von unsichtbaren Händen die Glasthür öffnete, durch welche die Treppe verschlossen gehalten wurde.

Die Benutzung der Treppe stand indessen nur denjenigen zu, die Herrn Alvens persönlich zu sprechen wünschten. Alle Andern, die in Geschäftsangelegenheiten kamen, wurden durch eine unterhalb des Schildes auf die Mauer gemalte Hand und die vor deren ausgestrecktem Zeigefinger angeschriebenen Worte: »Nach dem Bureau!« auf den Hof hinausgewiesen.

Auf dem Hofe bezeichnete ein anderes Schild die Lage des Bureaus; man gelangte in dasselbe, wenn man im Hinterhause auf einer schmalen Treppe bis in die zweite Etage hinaufstieg, wo man nicht mehr irren konnte.

Die Geschäftsräume erstreckten sich durch drei Zimmer des Hinterhauses und endigten in einem vierten, zum Vorderhause gehörigen, welches, als Arbeitskabinet des Chefs, gewissermaßen die Verbindung zwischen dem Bureau und der großen, elegant eingerichteten Wohnung des Herrn Alvens herstellte.

Von der Treppe des Hinterhauses aus betrat man zuerst einen Raum, welcher ebensowohl den Namen Wartezimmer, wie Schreiberstube oder Actenmagazin verdiente. Außer einer Reihe von Stühlen, die gleich neben der Eingangsthüre zur Bequemlichkeit der harrenden Clienten hingestellt worden waren, befanden sich ein langer, einfacher Tisch und zwei Stehpulte in demselben, während hohe Brettergestelle mit regelmäßigen Fächern sich ringsum an den Wänden hinzogen.

Wie gewöhnlich bei Rechtsconsulenten, lugten aus diesen Fächern dickleibige und abgezehrte Actenbündel hervor, welche auf weißen und farbigen niederwärts hängenden Papierstreifen mit fetter Schrift Namen und Nummern zur Schau trugen, die eben nur demjenigen verständlich waren, der längere Zeit hindurch in dem Bureau beschäftigt gewesen.

An dem langen Tische saßen, umgeben von allen nur denkbaren Bureau-Utensilien, drei, an den Pulten je ein Schreiber, lauter bleiche, wenig kräftig aussehende Gestalten mit jungen und alten Gesichtern, je nachdem ein heruntergekommener Kaufmann oder ein zum schnellsten Broderwerb gewaltsam gedrängter Schüler hier eine kärglich dotirte Stelle als Kopist gefunden hatte. Im Allgemeinen wurde das Gemach charakterisirt durch geheimnißvolle Stille, durch geflüsterte Fragen und Antworten, durch das Kritzeln schnell einherlaufender Federn, und endlich durch zahllose Dintenflecke, blankgescheuerte Rockärmel, verstreuten Schnupftaback und gelegentliches schwindsüchtiges Hüsteln, nicht zu gedenken der bleichen Gesichtsfarbe und der militairisch gezogenen struppigen und anderer, erst mit wenig Erfolg zum Vorschein gerufener Barte.

Das nächste Gemach hatte nur zwei Schreiber aufzuweisen und nur ein mäßig großes Actengerüst. Dafür herrschte aber etwas mehr Comfort in demselben; namentlich lag eine Strohdecke auf dem Fußboden und stand ein lederbezogenes Sopha an der Rückwand, jedenfalls das Ansprechendste in dem ganzen Räume, indem die beiden alten Schreiberveteranen mit den verbissenen Physiognomieen und den einen höheren Schreiberwohlstand verrathenden grünbaumwollenen Ueberärmeln nur noch nothdürftig von einem Paar recht abgegriffener, reich mit Schnupftaback bestreuter Actenfascikel unterschieden werden konnten.

In dem letzten Zimmer, also in demjenigen, welches an das Kabinet des Chefs stieß, war nur ein einzelner Schreiber oder Protokollführer beschäftigt, dagegen hatte man auf die innere Einrichtung erhöhte Aufmerksamkeit verwendet. Actenträger erblickte man nirgends, nur auf dem umfangreichen Schreibtische lagen vereinzelte Foliohefte und in blaue Deckel geschlagene Documente, welche auf besonders bevorzugte Rechtsfälle hindeuteten, die in aller Stille und mit vielem Fleiß abgewickelt, aufgewickelt, künstlich verwirrt, entwirrt und dann wieder ganz von neuem aufgesponnen und abgesponnen wurden.

Die hier abgeschieden hausende Persönlichkeit vertrat offenbar mehr die Stelle eines Geheimschreibers, als daß ihr die Aufgabe gestellt gewesen wäre, mit in den Geschäftsgang wirksam einzugreifen. Zu Letzterem erschien sie außerdem zu jung und unerfahren, obgleich Alles dafür sprach, daß sie sich des Vertrauens des Chefs im höchsten Grade erfreute. Selbst die fast elegante Zimmereinrichtung war man geneigt, für eine Bevorzugung des noch jugendlichen Schreibers zu halten, wiewohl sie im Grunde nur zur größeren Bequemlichkeit des Herrn Prinzipals diente, der nicht selten Veranlassung fand, längere Zeit in diesem Gemach zu verweilen.

So war der junge Protokollführer auch der Einzige, der, nachdem das übrige Schreiberpersonal die schmale Treppe des Hinterhauses hinuntergestolpert, seinen Weg durch das Vorderhaus nehmen durfte. Die Ursache hierfür war indessen darin zu suchen, daß es ihm oblag, nach Schluß der Arbeit die Außenthüre nicht nur zu verriegeln, sondern auch von Innen mittelst einer sinnig angebrachten eisernen Stange doppelt und dreifach zu versichern.

Bei allem Vertrauen, welches sein Brodherr in ihn setzte, hätte schwerlich ein Anderer, als eben ein Rechtsanwalt, viel Vertrauen Erweckendes in dem Aeußeren des Geheimsecretairs entdeckt. Denn abgesehen davon, daß die lange, knochige Gestalt noch nicht vollständig ausgebildet zu sein schien, trug das sommersprossige Gesicht mit den weißen Brauen, den röthlich grauen Augen, der breiten Nase, den vorstehenden Backenknochen und den übermäßig aufgeworfenen Lippen einen so wunderbaren Ausdruck von Einfältigkeit, Hinterlist und Verschmitztheit, daß es einen unbetheiligten Beobachter überraschen mußte, wie ihm auch nur das Abschreiben eines Speisezettels, geschweige denn eines wichtigen Actenstückes übertragen werden konnte.

Das hellblonde, fast gelbe schlichte Haar, welches sich feucht und dicht an den unförmlichen Schädel anschmiegte, milderte das Unfreundliche in seinem Aeußeren ebenso wenig, wie die große Brille von Fensterglas, welche offenbar den hoffnungslosen Zweck hatte, der widerwärtigen Physiognomie eine gelehrten Anstrich zu verleihen.

Zum Uebrigen bot der Herr Geheimsecretair das Bild eines unsaubern, filzigen Gesellen mit einer unbezwinglichen Abneigung gegen weiße Wäsche wie gegen offen und frei auf ihn gerichtete Augen, Untugenden, von welchen man mit Recht behaupten durfte, daß er sie, nachdem er sich beinahe sechsundzwanzig Jahre mit denselben herumgetragen hatte, auch in seinem späteren Alter nicht mehr ablegen würde.

Doch wie schon angedeutet, Herr Alvens mußte von der Treue und Gewissenhaftigkeit seines Geheimsecretairs, des Herrn Beltram, aufs festeste überzeugt sein, indem er entgegengesetzten Falls schwerlich seine Beihülfe in den verwickeltsten und die strengste Discretion erheischenden Geschäftsangelegenheiten in Anspruch genommen hätte. –

Es war in den Nachmittagsstunden am Tage nach demjenigen, an welchem Alvens dem Hause des Kärrners seinen Besuch abstattete, als von der Treppe des Vorderhauses her ein Fremder angemeldet wurde, der den Herrn Rechtsanwalt sehr dringend zu sprechen wünschte.

Alvens war eben mit der Durchsicht einiger von Beltram copirten Briefe beschäftigt; da er nun vielfach erlebt hatte, daß Leute aus wohl berechneten Gründen ihren Namen vor dem Dienstpersonal geheim zu halten wünschten, so ließ er den Angemeldeten ohne Weiteres bei sich eintreten.

»Ich habe die Ehre, Herrn Rechtsanwalt Alvens zu begrüßen,« redete eine geschmeidige Stimme diesen an, sobald die Thür sich hinter dem verschwindenden Diener geschlossen hatte.

Alvens, sich stellend, als koste es ihn unendliche Mühe, seine Aufmerksamkeit von den vor ihm liegenden Schriften loszureißen, blickte zögernd empor, und ein unverkennbares Mißvergnügen spiegelte sich in seinen Zügen, als er in das lauernde, jedoch zuversichtlich lächelnde Gesicht eines Mannes schaute, dessen Aeußeres so wenig einer dringenden, keinen Zeitverlust gestattenden Angelegenheit entsprach.

»Mein Name ist Alvens,« sagte er daher mit ruhiger, zurückweisender Kälte.

Der Fremde lächelte geringschätzig zu dem kalten Empfange, zog einen Stuhl heran, und nachdem er sich auf denselben niedergelassen und mit dem Aermel seines Rockes bürstend über seinen Hut hingefahren war, bemerkte er, wie beiläufig:

»Sie haben einen Brief von Amerika erhalten?«

Alvens blickte schärfer auf den Fremden hin, und seine an Schrecken grenzende Ueberraschung gewandt hinter eine ernste Geschäftsmiene versteckend, antwortete er nachdenklich:

»Ich erhalte häufig Briefe von Amerika.«

»Hm, Herr Alvens,« versetzte der Fremde wiederum zuversichtlich lächelnd, und eine wohlgebildete Hand fuhr über das durch eine seltsam geformte Nase verunstaltete Gesicht und demnächst über den zu demselben gehörigen braunrothen Vollbart und das schwarze, nachlässig gebürstete Haar, »ich meine einen Brief so recht mitten aus den Vereinigten Staaten, in welchem Ihnen der Besuch eines Herrn angekündigt wird, der seinen Namen nicht schreiben kann.«

Alvens betrachtete den Fremden noch argwöhnischer, der seinerseits, trotz der erheuchelten Sorglosigkeit, seine Blicke nicht von ihm abwendete.

»Aber wie, in aller Welt, wollen Sie einem Document Gültigkeit verleihen, wenn Sie nicht im Stande sind, dasselbe durch Ihre Unterschrift zu vollziehen?« fragte er mit unverkennbarer Spannung.

»Nun, ich glaube, darauf nicht besser antworten zu können, als wenn ich sie ersuche, ein Blatt Papier, Feder und Dinte auf eine Minute zu meiner Verfügung zu stellen,« erwiderte der Fremde schnell.

Ueber Alvens' Gesicht flog ein Ausdruck des Erstaunens, während seine schwarzen, durchdringenden Augen noch immer einen hohen Grad von Ungläubigkeit verriethen. Die vernommenen Worte übten indessen eine unwiderstehliche Wirkung auf ihn aus, denn seinen Rollstuhl von dem Arbeitstisch zurückschiebend, wies er den Fremden durch eine bezeichnende Handbewegung an, von den vor ihm liegenden Schreibmaterialien freien Gebrauch zu machen.

Dieser ergriff sogleich eine Feder, bevor er dieselbe aber dem Papier näherte, wendete er sich noch einmal dem Rechtsanwalt zu.

»Die Kunst des Schreibens ist nicht immer nothwendig, einem Documente Gültigkeit zu verschaffen,« hob er mit einem Ernste an, der in seltsamem Widerspruch zu seinem früheren leichtfertigen Wesen stand, und seine merkwürdig bewegliche Nase zuckte sammt der Oberlippe von der einen Seite nach der andern hinüber, »Sie selbst wissen aus Erfahrung am besten, daß zuweilen drei Kreuze genügen. Sicherer, als drei Kreuze, bleibt natürlich immer der volle Name, und will man ihn nicht schreiben, braucht man nur die einzelnen Buchstaben zu malen.«

Alvens, der sich vergeblich bemühte, in der Seele des Fremden zu lesen, nickte beipflichtend, und dieser bog sich über das Papier hin, jedoch so, daß Alvens die unter der Feder entstehenden Zeichen im Auge behielt.

»Sie erkennen diesen Buchstaben?« fragte der Schreibende, sobald er, anscheinend mit vieler Mühe, ein römisches S auf das Papier gezeichnet hatte.

»Vollkommen,« antwortete Alvens mit erhöhter Theilnahme.

»Auch diesen?« fragte der Fremde in derselben Weise nach Anfertigung des zweiten Buchstabens.

»a,«, las der Rechtsanwalt laut.

»Und diese Silbe?« fuhr Ersterer fort

»kul, also Sakul,« hieß es zurück.

»Sakul,« bekräftigte der Fremde, Sakul ist mein Name; er klingt freilich etwas fremdländisch, ist aber ein echt deutscher Name, sobald Sie sich der Mühe unterziehen, ihn rückwärts zu lesen.«

»Lukas, ah, Lukas,« versetzte Alvens nachdenklich, »es ist wahr, ich erwarte einen Herrn aus den Vereinigten-Staaten, und ich werde mich sehr freuen, in Ihnen den Erwarteten zu begrüßen, allein ebenso gerechtfertigt werden Sie es finden, daß ich vorsichtig zu Werke gehe.«

Der Fremde verneigte sich verbindlich, doch wurde auf seinem Gesicht wieder das eigenthümliche Lächeln bemerkbar, welches der ihm überflüssig erscheinenden Vorsicht des Rechtsanwalts galt.

Dieser dagegen hatte ein Schubfach seines Schreibtisches aufgezogen und, nachdem er einen geöffneten Brief hervorgeholt, sich in den Inhalt desselben vertieft. Nach einer längeren Pause und nachdem er mit sich über das zunächst zu beobachtende Verfahren zu Rathe gegangen, las er laut: »Ich für meine Person halte das Unternehmen für so außerordentlich wichtig, daß ich nicht wage, die einzelnen Umstände brieflich näher zu erörtern – warum Andern Gelegenheit geben, uns zuvorzukommen? – Ich beabsichtige daher, eine zuverlässige Person an Sie abzusenden, die von mir beauftragt sein wird, Ihnen alle und jede gewünschte Auskunft zu ertheilen und weitere Verabredungen mit Ihnen zu treffen. Um aber vollständig sicher zu gehen, trauen Sie keinem Menschen, der sich nicht rückwärts bei Ihnen einführt und nicht, des Schreibens unkundig, als Maler auftritt.«

»Sakul, rückwärts eingeführt: Lukas,« fügte er, den gelesenen Brief vor sich niederlegend, hinzu, worauf er, wie zu einem endgültigen Entschluß gelangt, dem Fremden die Hand reichte: »Das Unternehmen muß in der That sehr wichtig sein,« fuhr er fort, »denn Kleinigkeiten halber würde unser gemeinschaftlicher Freund schwerlich ein so geheimnißvolles Verfahren eingeschlagen haben, Ihrer Reisekosten gar nicht zu gedenken.«

»Als ob Sie mit dem Unternehmen nicht längst vertraut wären?« spöttelte Lukas, seiner Nase einen heftigen Schwung nach rechts gebend, dann aber in einen ernsteren Ton verfallend, sprach er weiter: »Uebrigens begreife ich und erkenne ich an, daß Sie mich noch immer mit einem gewissen Argwohn betrachten, denn wo es sich um mindestens anderthalb Millionen handelt –«

»So viel?« fragte Alvens kalt, doch konnte er nicht verhindern, daß ein rother Schimmer, der sich flüchtig über sein Gesicht ausbreitete, die tiefe Erregung verrieth, welche sich bei der unerwarteten Kunde seiner bemächtigt hatte; »ich glaubte bis jetzt, er habe es höchstens bis zu dem sechsten Theil dieser Summe gebracht,« schloß er noch kälter, und sein Gesicht erschien wieder so ruhig, als wäre die Anberaumung eines Termins in einer Injurienklage Gegenstand des Gesprächs gewesen. Lukas zuckte geringschätzig die Achseln.

»Vor sieben oder acht Jahren mag er sich ungefähr so gestanden haben,« versetzte er darauf, »allein heute ist er, trotz der schweren, durch den Krieg bedingten Verluste, mindestens seine anderthalb Millionen werth. Bedenken Sie, wie das Glück ihn verfolgte: von ungefähr dreihundert Morgen Farmland, die er bald nach seiner Einwanderung käuflich erwarb, trug ihm zehn Jahre später jede einzelne Baustelle weit mehr ein, als er ursprünglich für das ganze Besitzthum zahlte; und dann der darauf folgende Treffer mit den Bleiminen, nicht zu gedenken der Erfolge, welche er in seinem großartigen Exportgeschäft erzielte.«

»Sklaven besitzt er nicht?« fragte Alvens, um Zeit zum Ueberlegen zu gewinnen.

»Vor dem Kriege besaß er deren mehrere Hundert. Er ist nämlich Eigenthümer einer umfangreichen Plantage im Staate Georgia, die zur Zeit allerdings keinen Ertrag liefert; auch soll er gleich nach Beginn des Krieges allen seinen Farbigen Freibriefe ausgestellt haben, wodurch er natürlich bei seinen besonneneren Nachbarn unmöglich wurde. Ich glaube, er mußte heimlich fliehen, und anstatt einen Theil des Jahres nach alter Gewohnheit im Süden zuzubringen, hat er seitdem fast ununterbrochen in St. Louis gelebt. Er ist ein eingefleischter Unionist, der im Norden ebenso viele Freunde zählt, wie im Süden unversöhnliche Feinde.«

»Sklaven sind heut zu Tage eine unsichere Waare.«

»Nicht unsicherer, als der Reichthum in seinen Händen!«

»In wie fern?«

»Weil es keinem Zweifel unterliegt, daß, wenn seine Hinterlassenschaft nicht in den Besitz eines durch das Gesetz bestätigten Erben übergeht, das ganze ungetheilte Vermögen dazu verwendet wird, einige Tausend Farbige, nachdem man sie reich ausstattete, nach Liberia zu senden.«

Alvens hatte sich zurückgelehnt und betrachtete liebäugelnd die wohlgepflegten langen Nägel seiner Finger; nicht eine Muskel seines Gesichtes deutete auf den Sturm, der in seinem Innern tobte.

»Woher wissen Sie Alles so genau?« fragte er endlich, seine Augen mit dem Ausdruck harmloser Neugierde auf Lukas richtend. »Redsteel ist mit der Ausfertigung seines Testamentes beauftragt, und mußte daher nothgedrungen in sein Vertrauen gezogen werden.«

»Kennen Sie das Testament, oder vielmehr den Plan, nach welchem es ausgearbeitet werde soll?«

»Nein, Redsteel scheut sich, mir jetzt schon ausführliche Mittheilungen zu machen.«

»Sehr vorsichtig von ihm, allein nach meiner Ansicht zwecklos. Doch bitte, wie äußerte Redsteel sich im allgemeinen über die Lage der Dinge?«

»Er ging von dem Grundsatze aus, daß es Wahnsinn wäre, das fürstliche Vermögen zum Besten eines Haufens farbiger Bestien zu vergeuden; es müßten daher Mittel gefunden werden, einem solchen Mißgriff vorzubeugen.«

Ueber die Mittel selbst hat er sich nicht genauer ausgesprochen?«

»Solche mit Ihnen zu berathen, wurde ich abgeschickt, und ich bin bereit, mich meiner Aufträge zu entledigen, sobald ich mich überzeugt halten darf, nicht länger mit Mißtrauen betrachtet zu werden.«

Alvens reichte Lukas wiederum die Hand. »Sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; ein Irrthum in der Person hätte von den nachtheiligsten Folgen begleitet sein können,« bemerkte er, sich entschuldigend.

Lukas nahm die dargebotene Hand, dieselbe freundschaftlich drückend. »Ich bedarf keiner anderen Beweise Ihres Vertrauens, als Ihr Wort,« entgegnete er, und wie bei einem auf die Oberfläche der Erde verirrten Maulwurf zuckte seine Nase; »es ist dies aber dringend nothwendig, wenn ein Einvernehmen zwischen uns erzielt werden soll. Um die drohende, gewissenlose Verschleuderung von Hunderttausenden zu Gunsten einer Anzahl unzurechnungsfähiger Geschöpfe zu verhindern, steht uns, nach meiner sowohl, als auch nach Redsteels Ansicht, nur der eine Weg offen: einen rechtmäßigen Erben zu entdecken, mit welchem wir uns – erforderlichen Falls sogar unter größeren Opfern – vorher einigen müssen. Obenan steht dabei die Frage: ist es rathsam, den Erben hier, oder drüben in den Vereinigten-Staaten auftreten zu lassen?«

»Weshalb nach einem Erben forschen oder gar einen neuen schaffen, wenn bereits ein solcher vorhanden ist?«

»Sie meinen den Kärrner?« fragte Lukas, den Rechtsanwalt scharf anschauend.

»Den Kärrner,« bekräftigte dieser, »seine Ansprüche dürften wenigstens, obgleich er selbst noch im Dunkeln darüber schwebt und keine Neigung verräth, sich darum zu kümmern, die gerechtfertigsten sein.«

»Eine darauf bezügliche Bestimmung befindet sich in Ihren Händen?«

Alvens verbarg geschickt seine unangenehme Ueberraschung über die plötzliche Frage.

»Etwas Derartiges, ja,« antwortete er dann, »es ist indessen eine wunderliche Bestimmung; durch dieselbe wird es gewissermaßen in meine Willkür gelegt, den Kärrner Braun zum Universalerben zu erheben, oder ihn als solchen, bis auf ein kleines Legat, zu streichen.«

»Aehnlich, wie die Anordnungen betreffs der zu befreienden Sklaven,« bemerkte Lukas spöttisch.

»Sie übertrifft sie unstreitig an Seltsamkeit,« versetzte Alvens, »denn fällt es dem alten Braun plötzlich einmal ein, aus seinen jetzigen bescheidenen Verhältnissen herauszutreten, wozu ihn, streng genommen, seine Aussichten berechtigen, so ist's mit der Erbschaft nichts; wogegen der Kärrner, der in seiner einfachen Weise fortlebt und fortarbeitet, dereinst zu ungewöhnlichem Reichthum gelangt.«

»Und Erben hat dieser nicht?«

Jetzt nicht mehr; er besaß einen Sohn, einen ungerathenen Burschen, der gern den großen Herrn spielte, allein der lief glücklicher Weise schon vor acht oder zehn Jahren davon; seitdem hörte man nie wieder von ihm. Wer weiß, wo er sein Ende genommen hat.«

Nach diesen gegenseitigen Eröffnungen schwiegen die beiden Männer längere Zeit; es erfüllten sie Gedanken, welche vor dem Andern zu offenbaren Jeder eine unüberwindliche heimliche Scheu empfand.

»Jedenfalls entscheide ich mich dafür, das Feld unserer Thätigkeit nach den Vereinigten-Staaten zu verlegen, das heißt, wenn wir uns Ihrer Zustimmung versichert halten dürfen,« nahm Lukas endlich wieder das Wort, »der Krieg kann drüben noch lange dauern, und gerade unter dem Schutze des Kriegszustandes ist es uns erleichtert, wesentliche Vortheile zu erringen. Mich beschäftigt eine dunkle Idee, mit der ich indessen vorläufig noch zurückhalten möchte. Dieselbe ist übrigens nicht neu, sie war schon drüben, bevor ich meine Aufträge in Empfang nahm, vielfach Gegenstand sehr ernster Erörterungen zwischen Redsteel und mir. Aber wie steht es mit dem Kärrner und welche Aussichten hat er auf die Erbschaft?«

»Gestern erst war ich in seinem Hause,« antwortete Alvens, dem Lukas, je länger er mit ihm sprach, um so räthselhafter erschien, »doch der nach Amerika bestimmte Bericht ist bereits abgefaßt, und Sie erhalten das genauste Bild, wenn ich Ihnen die betreffenden Stellen vorlese.«

Dann erhob er sich, und nach der mit einer schweren Portiere verhangenen und zu seinem Geheimsecretair führenden Thüre hinschreitend, öffnete er dieselbe etwa eine Spanne weit.

»Herr Beltram, ist der Bericht in Sachen des Kärrners Braun fertig?« fragte er mit gedämpfter Stimme in das Gemach hinein.

»Bis auf Unterschrift!« schallte es eintönig und ausdruckslos zurück.

Langsame, sehr vorsichtige Schritte folgten, eine Schieblade wurde aufgezogen und wieder zugeschoben, abermals die langsamen Schritte, und hinter dem Vorhange hervor erschien, gehalten von einer großen knochigen Hand, ein noch nicht gefalteter Brief, welchen Alvens sogleich in Empfang nahm.

Nachdem er die Thüre in's Schloß gezogen hatte, suchte er mit den Augen eine Weile in dem in seinen Händen befindlichen Schreiben, worauf er laut zu lesen anhob:

»Im Allgemeinen habe ich Beide unverändert gefunden: immer eigensinnig, immer störrisch. Nur tritt bei ihnen jetzt mehr, als sonst, die Neigung zu Tage, sich großbürgerlich einzurichten. Sie sprechen von Bauen und Aufgeben des Geschäftes, sie verrathen sogar große Vorliebe für glänzende Equipagen und kostbare Pferde; ich vermag indessen nicht, genau zu unterscheiden, ob diese Wandlung ihrer Gesinnungen darauf berechnet ist, mich zu täuschen, oder ob sie sich bereits im Besitzes so heiß ersehnten Reichthums wähnen. Letzteres wäre ihnen bei ihren einfachen Lebensanschauungen allerdings zu verzeihen. In meinem nächsten Bericht hoffe ich zuverlässigere Auskunft über Alles ertheilen zu können, denn irre ich nicht, so ist irgend etwas Besonderes und Unvorhergesehenes im Werke. Die Aufnahme, welche ich bei ihnen fand, läßt keinen Zweifel darüber zu, daß ihnen meine Besuche, mehr aber noch der diesen zu Grunde liegende Zweck sehr lästig wird; sie wollen offenbar etwas vor mir verheimlichen; doch ich kann mich täuschen. Ihrer Zustimmung gewiß, werde ich fortfahren, sie nach wie vor gewissenhaft zu beobachten; von den mir zur Verfügung gestellten Geldmitteln habe ich bis jetzt noch keinen Gebrauch gemacht, dagegen erscheint es mir mehr, als wahrscheinlich, daß ich in nächster Zeit, um die Probe zu vervollständigen, eine Summe flüssig machen –«

»Dies wäre der officielle Theil des Berichtes,« fuhr Alvens darauf sprechend fort; »Sie werden einräumen, daß er vorsichtig genug abgefaßt st, um nach allen Richtungen hin freie Hand zu behalten.«

»Sehr vorsichtig,« bekräftigte Lukas, das Haupt bedächtig wiegend, »Alles steht so, wie nur gewünscht werden kann; ändern wir daher nichts – zum Glück bin ich mit Vollmachten versehen, welche mir gestatten, mich Ihnen gegenüber so bestimmt auszusprechen.«

Er wollte noch etwas hinzufügen, als durch den eintretenden Diener der Kärrner Braun angemeldet wurde, welcher den Herrn Rechtsanwalt nothwendig zu sprechen habe.

»Er möge so gut sein und einige Minuten warten,« antwortete Alvens, und sobald der Diener sich entfernt hatte, wendete er sich mit allen Zeichen größter Ueberraschung seinem Gaste wieder zu, der nicht weniger befremdet, als er selbst, zu ihm herüberschaute.

»Was mag ihn hierher führen?« gab er seinem Erstaunen Ausdruck, »und warum kommt er geraden Wegs zu mir, anstatt sich im Bureau zu melden? Sehr wichtige Gründe müssen ihn veranlassen –«

»Gründe, die vielleicht auf unser vorhergegangenes Gespräch Bezug haben,« fiel Lukas ein, seine von den Lidern beschatteten Blicke mißtrauisch in die lauernden Augen des Rechtsanwalts senkend.

»Möglich, sehr möglich,« meinte Alvens, und indem er eine selbstbewußtere Haltung annahm, suchte er vergeblich, den unheimlichen Druck abzuschütteln, welchen der anfangs mit so viel Geringschätzung betrachtete unscheinbare Fremde auf ihn ausübte; möchten Sie ihn kennen lernen?« fragte er darauf, wie beiläufig.

»Nein, nein, heute nicht,« antwortete Lukas hastig, »wer weiß, ob ich nicht in die Lage gerathe, ihm später gegenübertreten zu müssen, und vielleicht wäre es mir dann unangenehm, von ihm als Bekannter begrüßt zu werden. Kann ich Ihre Wohnung verlassen, ohne ihm zu begegnen?«

»Gewiß, ich selbst werde Sie führen; doch wo finde ich Sie, wenn ich mich in Verkehr mit Ihnen zu setzen wünsche?«

Lukas sann eine Weile nach; dann zog er eine Karte hervor, auf die er einige Worte schrieb.

»Dies ist meine Adresse,« sagte er, Alvens die Karte darreichend, »treffen Sie mich dort nicht, so wird man Ihnen jedenfalls sagen, wo und wann ich zu finden bin.«

Die letzten Worte verhallten hinter der nach dem Innern der Wohnung führenden Thüre, und als Alvens einige Minuten später in sein Kabinet zurückkehrte, befand er sich in einer derartigen Aufregung, daß er sich scheute, den Kärrner sogleich vor sich zu lassen. Mit auf dem Rücken in einander gelegten Händen wandelte er langsam auf und ab; die Blicke starr auf den Teppich gerichtet, auf seinem glatten Gesicht ein ganzes Heer von Zweifeln, entwanden sich einzelne Gedanken in flüsterndem Tone seinen sinnlich aufgeworfenen Lippen.

»Eine und eine halbe Million,« stöhnte er in sich hinein; »wir wären im günstigsten Falle nur unserer zwei zu dem Schatz gewesen; statt dessen sendet er mir diesen listigen Gesellen auf den Hals, der sich schwerlich für seine geleisteten Dienste mit dem kleinsten Dritttheil begnügt. O, diese Unvorsichtigkeit! Nicht die geheimsten Gedanken scheint er ihm verschwiegen zu haben! Er will das Feld unserer Thätigkeit nach den Vereinigten-Staaten verlegen – o, ich durchschaue ihn – unter dem Schutze des Kriegszustandes hält er Alles für ausführbar; allein noch habe ich Mittel in Händen, noch lebt der Kärrner –«

Seine weißen Finger fuhren ordnend über das glänzend schwarze Haar, in seinen Augen leuchtete es hell auf, und die Thüre, durch welche er eben eingetreten war, wieder öffnend, rief er laut hinaus:

»Herr Braun!«


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