Johannes Richard zur Megede
Von zarter Hand
Johannes Richard zur Megede

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Siebentes Kapitel.

Ich will nichts mit der Frau zu schaffen haben – auch nichts mit der Familie. Dennoch thue ich, was sie befiehlt. Ich gehe sogar mit nach der Händelstraße. Nicht etwa, weil der königliche Nacken den Sklaven doch immer wieder zur Empörung reizte! – Auch der kühle Wille in Madames blaßblauen Augen ist die Macht nicht. – Nein, sie nimmt mich einfach mit, wie man einen Schuljungen mitnimmt, zu dem man freundlich sagt: ›Du bist ein eigensinniger Junge – aber ein netter Junge – und so vernünftig! Nicht wahr, du thust der Tante den Gefallen, die es so gut mit dir meint?‹

Diese Dame mit der charakterlosen Linie und Peau d'Espagne überredet mich nie – überzeugt mich stets. Und es fehlte auch jetzt nur wenig, und ich sagte ihr ehrlich: »Ja, Gnädigste, ich bin ein dummer Junge. Nehmen Sie sich auch künftig meiner an . . .« – Aber, daß ich mich gerade gern vor dieser überlegenen Vernunft beugte? O nein. Ich gehe neben ihr wie ein langhaariger russischer Windhund, liebenswürdig, ergeben und immer auf dem Sprunge, heimtückisch nach der schmalen, weißen Hand zu schnappen, die mich gängelt.

143 An der Korridorthür müssen wir lange klingeln. Der tadellose Diener hat Gentlemansgepflogenheiten, ist niemals da, wenn man ihn braucht, und erscheint nur, um Trinkgelder in Empfang zu nehmen. Das Nilpferd ist sicher zu Hause, würde aber auch auf die Posaune des jüngsten Gerichts nicht reagieren, geschweige denn auf diese sanfte elektrische Mahnung. Endlich erscheint die Kornblumenfee etwas verlegen, behauptet, nichts gehört zu haben. Ich werfe Madame einen halben Blick zu, der sagen soll: ›Das ist also die Riesensehnsucht?‹

Die Gnädige versteht auch sofort. Ein gleichfalls halbes, etwas gekniffenes Lächeln. »Ethel wird Besuch haben. – Nicht war, Ethel?«

Serner denke ich; er ist ja jetzt enfant gâté. Madame, die den weichen Herrenhut auf dem Spiegeltisch keines Blickes gewürdigt hat, weiß das besser. »Es wird wahrscheinlich eine von den zweifelhaften Bekanntschaften meiner Tochter sein – ich fürchte, die zweifelhafteste.« Sie sagt es ruhig, fast liebenswürdig. Hier ist es nicht der Ton, der die Musik macht.

Der Kleinen ist das Blut in die Wangen geschossen. Sie zittert – nicht vor Furcht. Auch diese Unschuldsaugen können in kalter Feindschaft blitzen. Ob sich Mutter und Tochter so sehr lieben? – Aus der vibrierenden spröden Mädchenstimme höre ich ganz andre Gefühle heraus – vielleicht noch schlummernd, unbewußt . . . Blonde Ethel, wenn du mehr Rasse hättest als deine schöne Schwester! – »In meinem Zimmer empfange ich, wen ich will, Mama,« sagt sie kurz.

Das charakteristische leichte Achselzucken – der gewisse leere, liebenswürdige Blick – die Gnädige wünscht keine häuslichen Scenen. »Dann wirst du uns zu deinem Unbekannten führen, liebes Kind . . . 144 Vielleicht ein Freund von Ihnen, Herr Graf.« Wie falsch können Sie lächeln, Madame!

Ethel mit ihrer ungesuchten Grazie führt. Heute ist's das erste Mal, daß ich ihr Zimmer betrete – ausgenommen, als es zur Herrengarderobe degradiert war. Es giebt noch Allwissende, Madame gehört zu ihnen. Es ist thatsächlich Ethels zweifelhafteste Bekanntschaft. Herr von Jaromir. Etwas chokiert bin ich auch. Aber das ist ja der Segen des Monocles: jede Bewegung sieht dahinter gezwungen aus. – »Na, wie geht's, Herr von Jaromir? Famos, daß man Sie mal wieder sieht!« sage ich. Absichtlich lege ich mehr Herzlichkeit in diese Begrüßung, – wie ich fühle, der blonden Ethel zuliebe. Auch Madame soll merken, daß Graf Carén, der halbe Lasis-Taetz, der wahre Aristokrat ist. Wenn man jemand überhaupt auf dem Parkett begrüßt, so begrüßt man ihn als seinesgleichen, und je herzlicher, je tiefer er steht. Hat Madame diese Lehre nötig? – Es giebt Parketts, die so spiegelglatt sind, daß auch ich darauf ausrutschen könnte – für Madame giebt es diese Parketts nicht.

Sie reicht ihm die Hand genau so höflich, wie sie mir gereicht wird; sie lächelt sogar, zeigt eine liebenswürdige Ueberraschungsmaske. »Aber wer hätte gerade Sie vermutet, Herr von Jaromir! Meine Tochter hat so merkwürdige Anwandlungen, daß ich auf etwas Unglaubliches gefaßt war – den Kaiser von China oder den Scharfrichter von Berlin; beide Bekanntschaften würde Ethel mit demselben Hochgenuß kultivieren . . . Nicht wahr, Sie sind auch etwas unfreiwillig hier?«

»Aber, gnädige Frau!« Jaromir dienert verlegen.

Doch die Kornblumenfee springt sofort rechts in die Verlängerung. »O. sagen Sie es nur ruhig, Herr Lieutenant, wie es war! . . . Denken Sie, 145 Herr Graf, ich begegne ihm in der Leipzigerstraße ganz zufällig . . . er mußte sich lange besinnen, ehe er mich wieder erkannte. Und da mußte er mir einige Schaufenster zeigen. Dann war er so liebenswürdig, mich bis zu unsrer Wohnung zu begleiten. Mit herauf wollte er allerdings nicht! Und das wollte ich nun wieder . . . Nicht wahr, Herr von Jaromir?«

Der gute Junge verneigt sich bei jedem Worte aus diesem Rosenmunde, ihm ist's Wahrheit, selbst wenn es die tollste Lüge wäre, weil er sich an dem Klang schon so berauscht, daß er den Sinn gar nicht mehr versteht. Die Kornblumenfee übertreibt ein weniges nach unten. Wie ich sie kenne, hat sie ihn in der Leipzigerstraße von irgend einem Omnibusverdeck gebieterisch heruntergewinkt. Daß er nicht sofort im Kopfsprung auf dem Asphalt ankam, ist mir unerklärlich. Und darauf hat sie wahrscheinlich den leichtsinnigen Wunsch geäußert, auch mal so hoch oben durch Berlin zu rattern und von da die Hüte der Menschheit verächtlich zu kontrollieren. Aber leider ist er ohnmächtig gegen die Verkehrsordnung. Verzweifelt genug mag der kleine Kerl ausgesehen haben, als er den sündigen Wunsch ihres Herzens nicht befriedigen konnte. Das that ihr wiederum leid, darum ist sie mit ihm durch Berlin gebummelt, hat ihm allerlei unberechtigte Freundlichkeiten gesagt und ihn damit wieder so verliebt gemacht, daß er sich bis hierher in die Höhle des Löwen traute. Er hatte einen eisigeren Empfang erwartet, ist angenehm enttäuscht. Frau Ethel von Jaromir scheint ihm keine sehr ferne Möglichkeit.

Wenn du vorhin mit mir im Korridor gestanden hättest, mein Lieber, würde dir die Möglichkeit etwas vager vorkommen. Du würdest dann auch vielleicht erkennen, daß Madame Le Fort, die mit so hinreißend falschem Lächeln sagt: »Meine Herren, entschuldigen 146 Sie mich einen Augenblick, ich muß noch einmal ans Telephon. Sie bleiben doch selbstverständlich zu Abend?« – nur die Einladung auf mich gemünzt hat und im Grunde über die mißratene Tochter stöhnt, weil ihretwegen der kleine Mann mit dem Atom Glanz an den Ellbogen das Haus mit seiner unerwünschten Gegenwart beehrt.

Warum dem Kleinen die Illusion rauben? – Ist's wieder nur die liebenswürdige Schwäche, die meine Lippen zu einem herzlichen Lächeln kräuselt? Oder ist's diesmal mehr – die wirkliche Güte einer nicht gewöhnlichen Natur, die auch nicht durch mein Lotterleben zu Grunde gerichtet werden kann? – Ich bin keine zwei Jahre älter als Jaromir (er wird wohl auch seine Kommißerfahrungen in puncto feminae hinter sich haben); aber ich komme mir so alt, so verbraucht diesen beiden gegenüber vor. Ich habe Onkelgefühle für sie, auch etwas Neid ist dabei. Warum zerstörte bei all meinen Liebeleien die häßliche Absicht immer den schönen Traum? Warum strecke ich nicht noch in der zwölften Stunde die Hand nach dieser Perle hier aus? Für mich wär's ein Griff. Und der Versicherungsagent? . . . Ihm dünkt die Perle so nahe, sie glänzt ihm so hell! – Du täuschest dich, mein Lieber, sie liegt in bodenloser Meerestiefe; so verwegen du auch danach tauchtest, du könntest nur bei dem Tauchen untergehen. Das ist ja das Seltsame, das unsagbar Dumme in fast jedem Schicksal, daß die Perle, die jeder sucht, jedem auf bodenloser Meerestiefe glänzt. Sieh mal, Agent, die Blonde ist so entzückend! Und doch nutzt diese Erkenntnis weder dir noch mir etwas.

Es ist ein Kleinod von einem Jungfernzimmer, in das uns die Kleine geführt hat, hellblau, alles weich, die Fauteuils niedrig, bequem, einladend zu 147 reizendem Traum. Auf dem Puppensofa liegt noch zerknautscht, süß verdrückt der Terracottapuff, in den sich das Goldhaar einzuwühlen liebt. Und eine so köstliche Unordnung herrscht in dem Raum, eine bizarre Laune, die den englischen Schreibtisch mit Legionen von Meißener Figürchen bevölkert und dann, die galanten Schäfer, die schmachtenden Schäferinnen zu zerstreuen, ein Elfenbeinfalzbein zwischen diese Rokokospielereien geschleudert hat. Die dicken Troddeln der Brokatdecke des Mitteltisches schleifen bis auf den Boden – Ethel hat sich gemüßigt gefühlt, sie stundenlang zu maltraitieren. daß man ganz deutlich die Spuren des reizenden Fußes auf dem abgescheuerten Stoffe gewahrt. Sie hat einen Vergißmeinnichtstrauß achtlos über dem Smyrnateppich zerblättert, und hinter der Gardine schaut ein Saffianpantoffel sehnsüchtig nach seinem andern Kameraden aus – dem Nipptisch; Ethel hat mit ihm einen schiefen Bildernagel noch schiefer geklopft.

Pedanten würden aus dem allem eine vernichtende Kritik über den Charakter der jungen Dame fällen. Hier bin ich der schärfere Beobachter und thue nicht desgleichen. Die Kornblumenfee hat die Laune der Anmut und der überquellenden Jugend, sie verlacht die jüngferlich zimperliche Ordnung, die Eigenart sein soll und nur Nivellement ist. Sie ist weder unordentlich noch kokett noch flatterhaft – sie hat nur eine unüberwindliche Abneigung gegen die kalte Pose des Reichtums und der Korrektheit überhaupt.

Und das ist es, was dieses kleine Zimmer so pikant duftig und charakteristisch macht. Ich bin so gern in diesem Raum! . . . Thatsächlich bin ich aber gar nicht drin. Das Zimmer der Grünäugigen schwebt mir vor, das kalte Boudoir, wo der königliche Nacken seine Eigenart zu zeigen verschmäht. Eigentlich ist es ein häßliches Boudoir, und die 148 Gedanken, die ich darin gedacht, waren auch immer häßlich. – Ich liebe die Grünäugige nicht, ich hasse sie wohl auch nicht . . . dennoch sehe ich gerade jetzt auf dem silberglänzenden Eisbärenfell die schöne Gestalt ohne Hülle und wie feinen Nebel darüber flutend den Adel, die kalte Vornehmheit, die den grünen Augen entströmt und mir die Sinne kühlt. Der rote Rachen des Polartiers dräut, die riesigen Zähne fletschen: Rühre sie nicht an! . . .

So ein Mensch bin ich nun. Der Zauber keuscher Jugend, der die Kornblumenfee umgiebt, vermag mich nicht zu halten, ich bin weiter – ich will mehr – ich will etwas Schlechtes.

Der kleine Versicherungsagent, der die Gegenwart so voll genießt und das Boudoir wie den bizarren Rahmen eines kostbaren Bildes betrachtet, thäte besser, kühl zu sein wie ich, an die achtzig Mark Monatseinnahme zu denken und seine elende Chambregarnie. Die blonde Fee ist ja doch nicht für ihn da.

Das Schicksal beschert ihm auch die nötige Ernüchterung. Die elektrische Glocke schrillt. Eine längere Zwiesprache zwischen dem Tadellosen und einem Fremden scheint vor sich zu gehen, in die sich zuletzt mit süßen Tönen die Gnädige mischt: »Ah, Herr von Bomulunder . . . das ist ja reizend!«

»Der Schnapsbaron,« sage ich kühl. In dem Augenblick ist aber auch schon die kleine Ethel aufgesprungen.

»Meine Herren, wollen wir nicht lieber in den Salon gehen? . . . Es ist hier zu eng.«

Und schon ist sie weg. Jaromir ist etwas betreten; denn die Kornblumenfee ist stark rosig angehaucht. Wir folgen langsam, indem ich den Kleinen unter dem Arm nehme. »Keine Angst, Jaromir! Sie haben in der Affaire keinen besseren Pacemacher als den Schnapsbaron.«

149 Auch ich sehe Herrn Bomulunder zum erstenmal wieder, markiere völliges Unbekanntsein, bin fabelhaft erstaunt, daß er mich wiedererkennt. »Aber ich bitte Sie, Herr Graf . . . 6. Garde-Ulan . . .«

»Ah so! . . . 23. Husar . . . Herr Bomulunder, nicht wahr?«

Jaromir wurde bei der Vorstellung vergessen. Es war zufällig, ganz zufällig, wenigstens versichern das Madames blaßblaue Augen, als ich das Versehen nachhole und sage: »Herr Lieutenant von Jaromir . . .« Ich füge leichthin: »ein Freund von mir« hinzu.

Die Gnädige sah mich dabei von der Seite an, aber die Blonde rief mich kurz darauf in eine Ecke und sagte in ihrer reizenden Naivität: »Sie sind so feinfühlig, Herr Graf . . . Und mich konnten Sie so lange allein lassen?«

Was soll ich darauf sagen? Ich lüge von Berufs wegen oft – hier habe ich keine Lust dazu und verbeuge mich nur. Etwas übel nimmt es mir die Kleine doch, daß ihr Zauber so machtlos ist an mir. Und so ganz ohne Zauber vergeht mir der Abend.

Wir essen kalt, vorzüglich, die Delikatessen ohne Aufdringlichkeit, die Weine à discrétion, der Thee von Madame selbst zubereitet. Das gesellschaftliche Nie-zu-viel ist, was die Le Fort so famos heraus hat. Das Nilpferd läßt sich mit Arbeitsüberbürdung entschuldigen.

»Ach wie schade!« – »Ihr armer Herr Gemahl!« Wenn das ehrlich gemeint war, so giebt's überhaupt keine Lügner mehr.

Ich sitze neben der Gnädigen, Bomulunder neben Ethel. Wenn Jaromir sich unter den Tisch begeben würde, thäte er Madame Le Fort einen Gefallen. Aber er thut es nicht. Er bewegt sich ganz frei und 150 sicher. Bomulunder mit seiner Talmifeinheit kann dem früheren Aktiven natürlich nicht imponieren.

»Darf ich mir gestatten, Herr Graf!« . . . »Prosit, Herr Kamerad!« Dabei inspiziert der Schnapsbaron Jaromirs schwarzes Jackett wie ein Tuchreisender. Die Neigung zur Malice spielt aus seinem klugen, habsüchtigen Gesichte. Aber in Ethels Augen ist ein so eigentümliches feindliches Leuchten, und von mir ahnt er, daß auch nur die Andeutung einer solchen Taktlosigkeit ihm die Frage nach dem Schnaps seines Vaters eintragen würde. Ich würde es ganz sicher thun! – Ich habe nun einmal Achtung vor dem kleinen Kerl, dem Jaromir. Wie er es fertig brachte, in einer Gesellschaft von Gardekavalleristen, Diplomaten und Nichtsthuern von der ehrlichen Arbeit selbst bei der Straßenreinigung als etwas Gentlemanlikem zu sprechen, ohne herausgewimmelt zu werden, ja ohne ein Atom von Achtung einzubüßen – so spricht der Mensch hier ganz ungeniert von seiner Carriere, von seiner Wohnung, von seinem Gehalt von achtzig Mark. »Es ist blutwenig . . . immerhin . . . ich komme damit doch aus. Und das ist sehr dankenswert.«

»O, ganz gewiß, sehr dankenswert!« Madame sitzt auf Kohlen wegen dieser Bekanntschaft.

»Mehr ist jedenfalls besser,« erklärte mit vorsichtiger Ironie Bomulunder.

»Ehrliche Arbeit wird selten gut bezahlt.« Diese Reprimande sprechen Graf Carén aus. Gräfliche Gnaden haben ein durch Sachkenntnis ungetrübtes Urteil.

»Halten Sie es für anständiger, nur von seinen Renten zu leben?« Die blonde Ethel kann sehr maliziös sein! Noch eine Bemerkung derart vom Schnapsbaron, und sie interpelliert ihn statt meiner wegen der Verdienste seiner Vorfahren um die Volkswohlfahrt.

151 Madame kennt ihre Tochter und lenkt ein: »Sie arbeiten in einem großen Hause, Herr von Jaromir? – Feuerversicherung?«

»Nein, gnädige Frau, Leben. Wir sind eine Art Humanitätsinstitut, und wenn alle Menschen ewig lebten, hätten wir nichts dagegen . . . Ich spreche immer von mir, ich selbst bin vorläufig nur ein Stück Kopist, und auch das nur (Sie gestatten, daß ich auf Ihr Wohl trinke, Herr Graf), weil sich ein Freund meiner zur rechten Zeit erbarmte.«

»Kenne ich ihn?« fragt die Kornblumenfee.

»O ja,« erwidert Jaromir. Ein warmer Blick der warmen Mädchenaugen streift mich.

Auf eine Sekunde zuckt es auch in Madame Le Forts Augen auf – hell, scharf.

Ich verstehe dies Weib mal wieder nicht! – »Aber das ist ja sehr interessant, Herr von Jaromir . . . schon diese Sterblichkeitstabellen der Menschheit, auf die Sie sich stützen müssen . . .«

»Wie man's nimmt, gnädige Frau,« repliziert launig Jaromir.

»Sie haben natürlich große Ausfälle? Leute, die sich sehr hoch versichern, sehr bald sterben?«

»Ja, auch Selbstmörder, gnädige Frau.«

Madame hält sich die Augen zu. »Sprechen wir nicht davon! So ein zerschmetterter Schädel . . . in einem blutüberströmten Bett . . . Nein, nein! – Herr Graf, lächeln Sie, bitte, nicht! Männer, die noch dazu Offiziere sind, mögen das ja für komisch halten . . .«

Ich lächle weiter. Es ist mir auch ein angenehmer Reiz, die Nerven der Dame mit der charakterlosen Linie so vibrieren zu sehen. »Wenn's nur das Blut ist, das gnädige Frau chokiert . . . blutige Sachen sehen sich meist brutaler an, als sie sind. Meine Ansichten kennen gnädige Frau ja: ich ziehe das Gift vor.«

152 Madame hat sich langsam wieder erholt und sieht mich mit eigentümlich scharfem Blick an. »Ihnen macht's wohl Spaß, von Mord und Selbstmord zu sprechen? . . . Und nicht wahr, Herr von Jaromir, wenn sich einer vergiftet, das merken doch die Aerzte ebensogut?«

Der Kleine, an dessen Geschäftskenntnis appelliert wird, fühlt seine Stellung und übertreibt toll: »Gift ist natürlich der schlimmste Feind! Bei Selbstmord zahlen wir statutengemäß die Versicherungssumme nicht aus – aber bald war der Mann geistig gestört, bald liegt es im Interesse der Gesellschaft, von der riesengroßen Kulanz sprechen zu machen. Kurz und gut, wir zahlen auch dann oft. Bei dem Teil, wo Vergiftung vorliegen könnte oder vorliegt, müssen wir einfach. Wer's zum Beispiel mit Morphium geschickt anfängt, ist immer geborgen.«

»Also Morphium sei 's Panier!« näselt Bomulunder, der sonst ungern von seinem Studentenleben spricht, weil das Corps bei seinem Austritt ihm das Band zu geben vergaß.

Madame ist jetzt wieder völlig hergestellt. Und als sie wiederholt: »Also Morphin!« lächelt sie beinah maliziös. »Merken Sie sich's, Herr Graf, daß Sie dann fein heraus sind! – Stimmt's auch wirklich, Herr von Jaromir?«

»Unser Vertrauensarzt beschwört es.«

»Nun wollen wir endlich von etwas anderm sprechen,« schließt Madame.

Es ist wirklich sinnlos, daß ich die Unterhaltung wiederhole. Mich interessiert nur das seltsame Spiel der Natur. Bei Blut zittert die Gnädige wie ein Kind – bei Gift lächelt sie. Für meine Moral ist es sehr gleichgültig, auf welche Art einer ins Jenseits befördert wird.

Und ich hätte nun so schöne Zeit. über das seltene 153 Genre von bête humaine nachzudenken, das Madame nun einmal für mich repräsentiert. Da zirpt wieder die elektrische Glocke. Eine Minute später erscheint der Tadellose, um der Gnädigen mitzuteilen, daß Fräulein Asta soeben vom Reiten zurückgekehrt sei, jedoch nicht zu Tisch erscheinen werde. Sie sei zu müde.

Als ob mir an dem hochmütigen Ding etwas läge! Aber Madame sind darob im Augenblick schlechter Laune. Ein Versuch, mit Witzelei über den Refus hinwegzukommen, macht sie erst recht scharf. »Seien Sie froh, Herr Graf, daß Sie nicht verheiratet sind! Kinder sind undankbar.«

Das ist hart von der Gnädigen. Und ich beeile mich zu erwidern: »Aber, ich verstehe gnädige Frau nicht ganz, Fräulein Asta wird thatsächlich ermüdet sein.«

»Meinen Sie, Herr Graf? Meiner Ansicht nach ist man nie so müde, um sich durch den Diener entschuldigen zu lassen,« belehrt sie kühl.

Ich sollte jetzt auch Müdigkeit vorschützen, und die Grünäugige würde in fünf Minuten zur Disposition der Herrschaften sein. Aber einem Frauenzimmer das Feld räumen? Nun bleibe ich grade! Es ist wieder der eigensinnige Schuljunge, der zwangsweise auf der Gnädigen Befehl das Haus betreten hat – es jetzt aber durchaus nicht verlassen will.

Es ist Mitternacht, als wir nach einer toll-langweiligen Konversation gehen. Jaromir bleibt bei mir. Der Kleine ist natürlich glücklich, da die Blonde den Bomulunder en canaille behandelt hat. Und wie alle Glücklichen hat er den Wunsch, sich mitzuteilen, von der Zukunft zu phantasieren. »Wollen wir nicht noch irgendwo ein Glas Bier trinken, Herr Graf?«

»Ich bin etwas müde.«

»Ach, thun Sie mir doch den Gefallen! Sehen 154 Sie mal . . .« er spricht den Satz nicht weiter. Der Glückliche hatte es vollkommen vergessen, daß er Agent, arm, für einen Grafen Carén sehr wenig dekorativ ist. Dessen erinnert er sich im Augenblick. »Nein, ich bin auch etwas müde . . .«

Da thut er mir leid, der kleine Kerl, daß er mit seinem geträumten Glück allein in seiner Dachkammer hocken soll. »Ach was, Jaromir, so was muß überwunden werden. Zu einem Schoppen langt's noch. Ich habe bei den roten Sachsen lange mitgekneipt.«

»Nein, Herr Graf, es ist wirklich besser so. Ich nehme die Pferdebahn.«

Und er sträubt sich mit der Empfindlichkeit aller heruntergekommenen anständigen Menschen, bis ich endlich einen Taxameter heranwinke und ihn gewaltsam hineinspediere. »In Ihrer Gegend wird doch eine Kneipe sein. Sie brauchen sich nichts übermäßig am Schlaf abzusparen, ich komme auch zu meinem gemütlichen Topf. Zwei Fliegen mit einer Klappe! – Also, Kutscher, Oranienburger Thor!«

Die Droschke rattert ab. Jaromir spricht jetzt noch dagegen: »Da ist wirklich nichts für Sie, Herr Graf, und in die Nachtcafés mag ich heut nicht . . . Aber wenn Sie mir nun durchaus eine Freundlichkeit erweisen wollen . . .«

»Unsinn, Unsinn, Jaromir! Freundlichkeit ist's nicht, aber Egoismus.«

»So kommen Sie auf einen Grog zu mir in die Anguststraße!«

»Topp!« Dann haben wir noch am Bestimmungsort einen freundschaftlichen Streit, wer die Droschke bezahlen soll – ich aber schwenke den Thaler bereits in der Hand und siege.

Ein Chateau bewohnt der verflossene Jäger nicht. Es ist der typische Berliner Mietsstall im Norden. 155 Im Keller der Grünkramladen oder die blinden Kasemattenluken der Portierwohnung – darüber die endlos aufsteigenden Stockwerke, Fenster an Fenster. Ich kenne eigentlich diese Kasernen nur von außen. Einmal allerdings bin ich in das Heiligtum getreten, das war als Student im trunkenen Wagemut. Eine schemenhafte Erinnerung habe ich noch: Es war auch da so herum erste Etage – das Visavis eine Weißbierkneipe mit einer dicken Wirtin und zwei druselnden Droschkenkutschern. In diesen Destillen kann man den »Bomulunder« fast geschenkt bekommen. Damals chokierte mich auch nicht der fade Biergeruch und die Blume der Pfalz, die man schon beim Ansehen genoß. Aber am Morgen das Erwachen mit dem wüsten Schädel und dem Katzenjammer – äh! Drüben hantierten die Dicke und ein Hausknecht im Lokal; der Hausknecht wusch die Senftöpfe mit einem schmutzigen Schwamm ab. Seitdem esse ich keinen Senf mehr. Wenn mir doch derselbe Abscheu vor dem Pommery extradry beschieden gewesen wäre.

Jaromir schließt mit einem quiekenden Hausschlüssel die Pforte. Der Fünfminutenbrenner flammt auf. Nein, die Luft ist man denn doch nicht mehr gewöhnt! Sie ist schwül, dick, wie gesättigt von heißem Staub. Und diese Gerüche! Fade, süßlich – Scheuerlappen und Moschus half and half. Es ist wahrlich äußerst höflich von mir, daß ich hier bis zum dritten Stock die teppichlosen, schmierigen Stufen emporsteigen will. Auf dem ersten Absatz giebt's noch ein Messingschild: Cohen, Wollexport. Dann nur noch gedruckte Visitenkarten mit zweifelhaften Studentenzirkeln ... stud. chem.... med. dent.... vet.... Es muß unzählige Fakultäten auf den Berliner Hochschulen geben! Etage II ein abgegriffener rosa Karton: Fräulein Nini X. Ich 156 höre wispern, ein Drücker wird vorsichtig von innen ins Schlüsselloch gesteckt. – Die Luft in der Höhe ist infernalisch, ein heißes, lautloses Bazillengewimmel. Jetzt atmet Jaromir auf bei der letzten Etage: »Da wären wir, Herr Graf!« (Den Grafen könnte er sich hier oben schenken!)

Eine niedrige Korridorthür mit einem Guckloch . . . Dann tappen wir uns durch den Gang an der Küchenthür vorbei, die mit gelben Gardinen verhangen ist. Ein Mann schnarcht, daneben schwere, gesunde Atemzüge, wohl Kinder – von dem Hängeboden fragt eine heisere Frauenstimme: »Sind Sie's, Herr Jaromir?«

»Jawohl!«

»Soll ick Ihnen morjen früh wieder wecken?«

»Nein, ich danke schön, Frau Schröder.«

»Ooch jut! Mein Mann is ooch wiederjekommen. Wissen Sie et schon?«

»Nein, aber ich gratuliere.«

»Na, ick weeß noch nich. Er will ja ooch wieder arbeeten. Vorläufig hat er jleich heute wieder eenen Kleenen jenommen . . .«

»Gute Nacht, Frau Schröder!«

»Jute Nacht ooch!« Eine Bettstelle knarrt.

Ich bin glücklich, infolge meiner lautlosen Lackschuhe nicht bemerkt zu sein. Graf Carén in der Luft, in der Chambregarnie – nicht übel! – Das Wachsstreichholz ist im Erlöschen. Wir tasten uns bis zu Jaromirs Thür. Der Kleine zündet die Lampe an, auf der bestaubten Glocke sieht man die Finger. Er wischt sie mit dem weißen Taschentuch ärgerlich ab: »Schrecklich unordentlich! Aber was kann man für zehn Mark monatlich mehr verlangen? – Thun Sie dem Sofa die Ehre an, Herr Graf! Es ist besser, als es aussieht.« Er drückt mich auf das geblümte Ungetüm mit seiner scheußlichen 157 Fettstelle, wo der Kopf des jeweiligen Mieters zu ruhen pflegt. »Sehen Sie, so sieht's bei armen Leuten aus! Aber es giebt noch viel, viel Aermere, Herr Graf . . . Ueber mir wimmelt's von Schlafburschen. Wenn ich morgens früh um acht Uhr weggehe, kommen die beinah' schon wieder von der Arbeit heim. Schreckliche Menschen, nicht wahr?«

Ich antworte mit einem leichten Achselzucken. »Werden's uns schon gemütlich machen, Herr von Jaromir.«

Und der kleine Kerl wirtschaftet in der kleinen Bude herum, holt Gläser, dicke Ungetüme, die er in der Waschschüssel erst spülen muß. Eine alte Berzeliuslampe summt. Jaromir schüttelt eine bauchige Flasche freundlich lächelnd: »Jamaika, halbwegs echt, hier steht's! Sie dürfen jetzt doch nicht mehr so haarsträubend mogeln mit den Etiketten.« – Nun beginnen angenehme Rumdüfte durch das Zimmer zu wallen, der Kessel brodelt. Ich erinnere mich noch zur rechten Zeit einer »Bismarck« in meiner Tasche, um dem Inhalt der Zigarrenkiste zu entgehen, die der Wirt mir hinschiebt. »Sie nehmen doch nicht übel, Jaromir?«

»Ich nehme überhaupt nichts übel. Für mich thut's die Sumatra hier auch.«

Dann schäme ich mich wieder der protzenhaften Wallung, lasse mein Wappenetui stecken und greife zu dem süßlichen Zeug. Havannahauch paßt auch nicht hierher.

Zwei Stunden bleibe ich, drei Glas Grog trinke ich. Es ist nicht vergeudete Zeit. Eine Armut, die anständig getragen wird, ist keine Armut mehr, das hat mich der kleine Mann gelehrt. Und wenn's mir mal wieder ganz gut gehen sollte und ich zu derselben Höhe emporstiege, wo ich meine Millionen spielend, genußlos vergeudet habe – da wird mir 158 vielleicht die Erinnerung an diese Nacht wohl thun. – Es ist ein so kleines, elendes Zimmer mit schmutzigen, zerrissenen Tapeten, mit einem windschiefen bunten Rouleau, durch dessen verendenden Hirsch der Neumond scheint, als wenn's so sein müßte. Der Armeleutsgeruch liegt darüber, der Dunst von Kohl, Staub und mangelnder Reinlichkeit. Der Dunst gehört aber zu dem schmalen Bett, dem wackeligen Waschtisch mit der winzigen, zerstoßenen Steingutschale. Er steigt aus dem stöhnenden Kanapee des Althändlers, aus den abgeschabten gelben Rohrstühlen. Ueber den goldgerahmten Pfeilerspiegel zieht er – er hat ihn blind gemacht; aber dem armseligen Oeldruck hat er statt der aufdringlichen Leuchtkraft etwas wie Patina des Alters verliehen. Der Mann, der dieses Zimmer bewohnt, trägt es ruhig, obwohl er auch etwas viel Besseres gekannt hat. Er ist eben ein Mann, ein ganzer Mann, der Kleine! Den Leuten gehört wahrscheinlich die Zukunft – nicht uns, den Grafen Carén, die kaum zwei Stunden in dieser Luft zu dauern vermögen. Das hat achtzig Mark monatlich und ist tadellos gewaschen, tadellos frisiert, die Wäsche blitzblank – nur das Dinerjackett glänzt noch matter am Ellbogen. Er kann allerdings nicht alle Monat sich ein neues leisten, wie es meine Gräflichkeit gewohnt ist.

Aber wir sitzen doch auf dem alten Sofa bald zusammen wie zwei alte Freunde. Jaromir entschuldigt sich auch nicht übermäßig: »Ein Schelm thut mehr, als er kann! Und der Rum ist eigentlich schon weit über meine Verhältnisse. Leichtsinnig bin ich nämlich auch, Herr Graf. – Oder denken Sie etwa, daß ich nicht leichtsinnig bin? Wäre ich sonst mit der blonden Ethel gegangen?« Das kommt so unerwartet. Ethel ist eben der Gedanke, der ihn 159 Tag und Nacht verfolgt, die Hoffnung, die ihn aufrecht erhält.

Wenn ich ihm darauf antworte: »Aber warum eigentlich nicht, Herr von Jaromir? Fühlen Sie sich für das Mädchen zu schlecht?« – so ist das keine Phrase. Sie würde tausendmal besser mit dem Kleinen fahren als mit dem Schnapsbaron. Da ist doch noch Leben, Rasse, Zukunft! Und das ist's, worum ich den kleinen Kerl immer wieder beneide. Er kommt mir vor wie der Mann mit der Erbse, der, arm und elend, doch in dem Augenblick, wo er die kleine Hülsenfrucht findet, hoffnungsfreudig ausrechnet, wie schwerreich sie ihn machen muß, wenn sie gepflanzt und immer wieder gepflanzt wird. Aber etwas unterscheidet sich Jaromir doch von dem Mann der Fabel, er bleibt Mensch in seinem Wahn, steht mit beiden Füßen fest auf der Erde.

Was er mir mit glühenden Augen beim Grog erklärt, das könnte ich mir auch zu Gemüte führen. »Ich muß nämlich etwas haben, Herr Graf, woran ich glaube, wofür ich lebe und sterbe: Mein Fetisch ist die Blonde . . .! Ich bin ganz gewiß kein Heiliger. Im Bataillon hieß es immer: ›der Jaromir läßt keine Schürze zufrieden‹. Jetzt lasse ich alle Schürzen zufrieden. Wenn ich eine hübsche Konfektioneuse sehe (wir haben sehr muntere Dinger im Haus, die man nicht übermäßig zu bitten brauchte), so sage ich mir: Das darfst du ›ihr‹ und dir nicht anthun! – Kopfhänger bin ich darum noch lange nicht. Ich habe erst heute ein kleines Mädchen recht tüchtig in die Backen gekniffen. Aber weiter – nicht um die Welt! – Ob ich das Mädel nun kriege oder nicht (ich kriege sie ganz sicher nicht!), sie bleibt nun einmal meine Heilige, mein Talisman, das Feuer, an dem ich mich wärme. Für die hungere ich, für die spare ich. Ihretwegen 160 kommt meine Phantasie fast nie auf die Wahrheit, nämlich, daß man hier in einem Pfuhl wohnt. Sie glauben gar nicht, was es für ein Gefühl ist, sich jeden Abend mit dem Gedanken ins Bett zu legen: du bist mal wieder zwölf Stunden ein anständiger Mensch gewesen. Das macht alles die Kleine! Und die macht mich innerlich frei, mutig . . . Daß ich einem Phantom nachjage, daß ich höchst wahrscheinlich diesem Bomulunder bestenfalls seine Sache etwas erschwere, das weiß ich. Aber dennoch klammere ich mich an die Hoffnung, dennoch will ich mich selbst belügen. Ich will blind sein, will glauben! . . . Soll solchem Gesindel, wie dem Bomulunder, die Zukunft gehören? – Nein, uns gehört sie – uns! . . . Nehmen Sie an, daß der Schnapsbaron schon so weit wäre . . . glauben Sie, ich ertrüge es, zu sehen, daß er sie küßt? Ich schösse ihn auf der Stelle nieder! . . . Wissen Sie jetzt, daß ich ein ganz desperater Kerl bin?«

Ich tippe ihm lächelnd auf den glänzenden Ellbogen, weil der Jamaika bei ihm so komisch seine Wirkung zu thun beginnt. »Unsinn, Jaromir, Sie sind nur ein anständiger Kerl. Das will ich Ihnen schwarz auf weiß geben.«

»Thun Sie's lieber nicht, Herr Graf!« Er wird ganz rabbiat und läßt sich nicht auf seinem Sofa halten . . .

Ich erhebe mich auch: »Höchste Zeit, Herr von Jaromir!«

»Nein, nein, Herr Graf! . . . Ich will Ihnen nur etwas zeigen,« und dann vertieft er sich in seine ölig riechende Kommode. »Wissen Sie, was das hier ist?« Er hält mir ein gelbes Etui hin, um dessen Inhalt ich nicht Lust habe, mir den Kopf zu zerbrechen. »Sehen Sie . . .« aufgeklappt erweist es sich als Behältnis einer Luftpistole. Die lächerliche Spielerei!

161 »Schießen Sie sich in Ermangelung andern Wildes Ihre Spatzen zur Mittagsuppe höchstselbst?« frage ich.

»O nein! Das Ding habe ich mir vor sechs Wochen auf Abzahlung gekauft, ehe ich noch eine Ahnung von Bomulunder hatte.«

»Und?«

»Ja, da können Sie sehen, Herr Graf, was ich für ein fanatischer Muselmann bin! Ich schieße täglich nach einer Pappscheibe. Eins . . . zwei . . . drei – stramme Duellkommandos! Der Junge von meiner Wirtin ist Unparteiischer und wiehert vor Vergnügen, wenn ich ins Schwarze treffe. Er hält's für Spiel. Mir ist's eine verdammt ernsthafte Sache, die ausgesprochenste Mordabsicht, mit der ich mich im Schießen übe: den Kerl, der dir die Blonde wegschnappt, knallst du nieder! Sehen Sie, damals hatte ich von dem Bomulunder überhaupt keine Idee, ich wußte nicht einmal, ob das Mädel in Berlin, oder ob sie noch überhaupt irgendwo wäre. Morgen wollen wir das Vergnügen fortsetzen, ich bin sicher, immer Strichspiegel zu schießen, wenn ich mir als Zentrum das Herz des Schnapsbarons vorstelle.«

»Also doch Meuchelmörder!«

Da fängt Jaromir herzlich an zu lachen. »Wenn ich nun einer wäre!«

Wie ich Fritz von Jaromir kenne, schießt er im Ernstfall lieber die Kugel sich durch den Kopf, die er für den andern bestimmt hatte.

Und wie Verliebte, ob betrunken oder nicht, immer einen in der Krone haben, sagt er plötzlich: »Wissen Sie was? . . . Sie müssen mich auf fünf Minuten entschuldigen.«

»Wozu?« Ich ahne Unheil.

»Kein Meuchelmord, lieber Herr Graf! Ich will nur mal zu dem Budiker 'rüberspringen, der 162 hat noch auf, und sehen, ob nicht irgend eine Pulle Sekt wo aufzutreiben ist, die Sie mit mir auf Ethel Le Forts Wohl leeren müssen.«

»Aber ich kann nicht mehr, Jaromir, ist mir positiv unmöglich.«

»Natürlich, Euer Hochgeboren paßt das nicht. Sie haben ja auch recht . . .«

»Reden Sie nur, Jaromir! . . . Ein Glas Grog trinke ich noch gern, unter der Bedingung, daß Sie das Fenster aufmachen. Zu der Flasche bitte ich Sie feierlichst morgen um ein Uhr in den Kaiserhof.«

Aber als er das Fenster öffnet und ich mit hinuntersehe in diesen schmalen, tiefen, lichtlosen Spalt – diesen Berliner Hof, aus dem es emporsteigt, dick, heiß, der schwere Dunst der Tiefe! – Nein, ich kann den Grog nicht mehr ansehen. Ich muß weg! Müßte ich auf diesen Hof nur eine Stunde hinuntersehen, er zöge mich rettungslos in seinen schmutzigen Schlund . . . Es sind Nerven. Was kann ich dafür? – Noch während ich schreibe, empfinde ich die Angst vor dem Wesenlosen, Unfaßbaren, das gespenstisch diesem Hof entquillt. In dieser Luft atmen Menschen – was für Menschen!

Jaromir wird mir den kurzen Abschied wohl etwas krumm genommen haben, denn er erschien zu der verabredeten Flasche Pommery nicht. Mag er! Ihm schadet ja auch der Dunst, das Gift nicht, in dem und von dem er lebt – er hat seinen Talisman. Hätte ich doch auch einen Talisman! Grünäugige Asta, wie wär's? . . . Wer lacht da? 163

 


 


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