Johannes Richard zur Megede
Von zarter Hand
Johannes Richard zur Megede

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Drittes Kapitel.

Kanarienvögel ausgenommen, besitze ich eine liebenswürdige Schwäche für alles warmblütige Getier: wie's meiner Gräflichkeit zukommt, hauptsächlich für Pferde und Hunde.

Nun hatte mich eines Tages der Weltekel gefaßt, und ich bummelte über die ewig schwankende Weidendammer Brücke. Unser Berlin hört da auf, trotz Renz und der verräucherten Garde-Infanteriekaserne. Die Häuser sind hoch, und die Friedrichstraße ist noch breit – aber es sind im besten Falle Boxer in Zivil und Studenten ohne Couleur, die ihn wandeln.

Aber nach eleganter Welt gelüstet mich auch nicht. Ich will Trübsal blasen! Das kann ich ausgezeichnet zwischen diesen himmelhohen Mietskasernen, auf dem schmutzigen Asphalt mit den geschäftigen Menschen, die mich gar nicht interessieren. Nicht nach dem Revers der glänzenden Medaille Berlin zieht's mich, sondern nach der nivellierenden Alltäglichkeit der Häuser und Menschen. Hier bin ich wirklich allein. An der Auguststraße verschwindet das Monocle in der Westentasche – was ich sehen will, sehe ich jetzt besser ohne Einglas. Am Rosenthaler Thor geniert mich der Lackschuh – er paßt so wenig in diese häßlichen Straßen und zu dieser hastenden 56 Menschheit wie der nachlässige Flaneurschritt und mein Hut von Habig.

Ich gehe schneller. Doch das entspringt mehr wohlanständiger Feigheit. Denn seit fünf Minuten keucht hart neben mir auf dem übelriechenden Straßendamm ein magerer Ziehhund. Er zieht auf quietschendem Wagen die übliche Briquettladung; die Zunge hängt ihm aus dem Halse, und in den matten Augen liegt ein grausiger Stumpfsinn. Ich sehe, wie die eingefallenen Flanken schlagen und die Rippen sich schärfer unter dem dicken, zottigen Felle abzeichnen – ich sehe auch, wie der rußige Kerl an der Deichsel dem elenden Tiere mit dem plumpen Absatze in die Weichen tritt, weil's nicht schnell genug geht – ich höre, wie das Tier aufheult in der feigen Empörung des Sklaven. Es ist eine einsame, schmale Gasse, aber die wenigen Menschen, die uns begegnen, bleiben kopfschüttelnd stehen, ärgern sich. »Nimm dir in acht, du Hundeschinder!« – Und als Antwort lacht der halbbetrunkene Schuft gemein auf. »Ick kann doch mit meenen Hund anfangen, wat ick Lust habe. – Los du!« Und wieder hebt sich der gemeine breite Fuß, und der Hund keucht schärfer mit gebogenem Rücken und gesenktem Kopfe. Ich bin auch empört, und ich stelle mir mit wollüstiger Grausamkeit vor, wie ich den rohen Fuhrmann totpeitschen lassen würde, wenn's im vorigen Jahrhundert wäre und er mein Leibeigner. Aber ich thu' nichts! Ich sehe auch nur verstohlen nach der Seite, aus Angst, der Kerl könne an meinem Lackstiefel und an meinem Hut Anstoß nehmen. Die Witterung ist ganz richtig: der Flaneur ist hier wie in Feindesland. Endlich wird mir's zu ekelhaft. Ich bleibe an einem Laden stehen, einem häßlichen, verstaubten Laden, wo sich die Arbeiter ihre bunten Hemden und die Fleischergesellen ihre Sonntagsschlipse holen. Zehn Schritte 57 davon ist die große Verkehrsader. Und der Hund soll sich erst im Gedränge verloren haben, bis ich weitergehe. Ja, du bist ein ganzer Aristokrat, Graf Carén!

Ich stehe noch keine Minute, da höre ich Stimmen. An der Straßenecke ist ein Auflauf. Ich denke an meinen Lackschuh und will schleunigst wieder umkehren. Ich thu's nicht, ich springe ohne Besinnen auf den Knäuel los – ich habe eine Stimme gehört, eine Damenstimme: »Mein Herr, Sie verdienten getreten zu werden, wie Sie diesen Hund treten.« – Es ist tadelloses Deutsch, doch fremder Accent.

Aber im Augenblicke ist der Graf Carén geweckt; er weiß auf einmal, was er sich schuldig ist, thun muß. Er denkt nicht mehr an seinen Lackschuh, seinen Hut – nicht einmal an den Groll, den ihm die schmierige, gaffende Menschheit gönnt, während er sich rücksichtslos durch sie durchdrängt bis zu dem Hundegefährt. Da steht Asta Le Fort mit ihren tiefgrünen Augen, hoch aufgerichtet, vornehm – und keine Spur von Pose! Durch den Dunst von Fusel und Tabak und abgetragenen Röcken bin ich zu ihr durchgedrungen.

»Gnädiges Fräulein . . .«

»Herr Graf!«

Und da höre ich schon das höhnische Lachen, das drohende Knurren, das dem Lackschuh gilt und dem Edelmann. Die Menge drängt heran. Ich fühle instinktiv den Haß der Armut, der Arbeit, des gemeinen Müßigganges. Ein paar aschfahle, widerwärtige Nachtgesichter sehen mich frech an – ich wäre verloren, wenn mich diese Gentlemen um Mitternacht so anstarrten. Aber ich habe keine Spur von Furcht, nicht einmal für meine Zähne, die ich mir so ungern zertrümmern ließe.

»Wat will der denn? – 'n ehrlichen Arbeeter anjreifen? – Schlagt doch det Aas dot!«

58 Aber dagegen erheben sich beruhigende Stimmen, die wirklich mitleidigen Menschen, die man in Berlin überall findet. »Verhaut lieber den Fuhrmann – der hat det arme Luder von Hund janz jemeene kujeniert!«

Das rohe, beschmutzte Gesicht des Mannes verzieht sich zu einem gemeinen Lachen, der brutale Kiefer schiebt sich vor. »Kommt man 'ran – ick verhau' euch noch alle!« Dann packt er wieder die Deichsel: »Weg frei!« – pfeift dem Hund – das keuchende Tier legt sich wieder in die Sielen mit dem feigen Wedeln des Verprügelten. Sie weichen von dem schnapsduftenden Kerl zurück – ich auch. Asta Le Fort nicht.

»Mein Herr, Sie werden bleiben, bis ein Polizist gekommen ist!« Sie hat den hellseidenen Sonnenschirm fest gefaßt – eine komische Pose, die aber hier nicht komisch war. Sie hätte ganz gewiß zugeschlagen.

Da brüllt der rußige Kerl auf: »Wat wollen Sie, Sie olle . . .!« Er schleuderte der stolzen Asta das erniedrigendste Schimpfwort ins Gesicht. Sie verstand's wohl kaum, aber erriet vielleicht den Sinn und wurde totenblaß. Ein Pseudo-Elegant mit einem Cylinder und schmutzigen, verbrochenen Nägeln johlte Beifall. Aber Graf Carén hat plötzlich seine Diplomatie, seine feine Wäsche, die eigne elegante Kraftlosigkeit vergessen. – Ich habe den Führer blitzschnell gepackt an der Gurgel, mit einem Griffe mir unverständlicher Kraft, und schleudere ihn über seinen Hund hinweg auf den Straßendamm. Er erhebt sich torkelnd mit einem Fluch und greift nach seiner Kohlenschippe . . . Ich wäre hinüber gewesen . . . Für den Aristokraten regte sich hier keine Hand. Da stiebt die Menge auseinander. Eine Faust packt mich am Kragen, der ich mich zu entwinden suche.

59 Einmal war die heilige Hermandad zur rechten Zeit erschienen, wenn sie auch den Falschen gefaßt hatte. Anfangs hielt der Schutzmann mich für den Strolch. Es ist die alte Geschichte von dem winzigen äußerlichen Unterschiede zwischen Monde und Demimonde. Der Gentleman neben mir zum Beispiel war trotz des Cylinders und des falschen Diamanten in der roten Krawatte so ein verworfenes Subjekt und mir in der Leichenblässe noch über.

»Wer sind Sie?«

Darüber gab nun meine Visitenkarte sehr befriedigende Aufschlüsse. Die uniformierte Gerechtigkeit maß mich noch mit kurzem Inquisitorenblick, wechselte darauf die Taktik und versicherte sich des Fuhrmanns. Die Hunde-Angelegenheit wurde notiert, der gänzlich unbeschädigte Graf bedauert. Die Sache wäre eigentlich erledigt gewesen. Aber die eigentliche Heldin des Straßenkampfes war nicht zufrieden. Sie verlangte, daß dem Hundebesitzer die Disposition über das mißhandelte Tier entzogen würde. Darin ist aber der Staat andrer Meinung. Wer seinen Hund unter vier Augen langsam zu Tode quält oder ihn gemütvoll erschlägt, thut es direkt unter dem Schutze der Gesetze. Darauf verhandelte sie mit dem Briquettfuhrmann. Sie wollte das Tier kaufen, bot fünfzig, hundert, hundertundfünfzig Mark – schließlich, was er wollte. Aber der Kerl schielte nur heimtückisch aus einer blutunterlaufenen Augenecke und erwiderte nichts. Der Hund war keine zwanzig Mark wert, auch nicht dem Manne – aber der tückische, brutale Trotz hätte selbst einer großen Summe gegenüber standgehalten. Das Tier erst mal im Stalle haben und dann mit zugebundener Schnauze so lange zu hauen, bis es zusammenbricht – das war sein löblicher Vorsatz, woran wir ihn nicht hindern konnten. Der Schutzmann zuckte die Achseln 60 und salutierte dem Grafen. Der Hund keuchte mit seinem Wagen weiter. Asta Le Fort sah dem schmutzigen Gefährte nach, ernst, fast finster. Auch ich hatte meine Gedanken, als ich das hochbeinige Tier in der Menge verschwinden sah und sich der Führer noch einmal argwöhnisch umdrehte. »Armes Tier!« sagte sie leise. »Was hab' ich dir nun genutzt? – Ach, die Welt ist so albern.«

Ja, die Welt ist albern, schöne Asta! – Und albern ist auch Graf Carén, der in dieser Situation nicht mal den selbstverständlichen Gedanken denkt: wie schön wäre es doch, dein uraltes blaues Blut durch dies junge reine aufzufrischen und die zerrütteten Finanzen durch die guten neuen Millionen! Nein, Louis Carén denkt das nicht. Er ärgert sich über sich selbst, seine Schlappheit – und daß die schöne Asta wieder in Berlin ist. Das sind so Stimmungen, über die er sich nicht klar werden kann. Ich glaube: Graf Carén ist ein Simpel. Denn Asta Le Fort ist wirklich schön, zwar etwas zu herb, etwas zu sicher. Aber wie er jetzt mit ihr wieder in menschenwürdigen Straßen wandelt, empfindet er doch den Zauber dieser vornehmen Gestalt und dieses königlichen Nackens. Niemand würde bei Gräfin Asta Carén nach dem Stammbaum zu fragen wagen! – Aber er mag sie nicht, er denkt weder an eine Vernunft- noch eine Liebesheirat mit ihr; er hat vielleicht Angst vor dem königlichen Nacken, vor dem er sich doch unterthänig beugen würde – und die Millionen reizen ihn bei jeder Frau, bei Asta Le Fort nicht.

Die Herrschaften gehen schweigend. Graf Carén sehr elegant, sehr blasiert: wir sind ja ein kaum glaublich vornehmer Graf – und Asta träumt. Von einer Fürstenkrone? Von dem mißhandelten Hunde? Ich glaube, von dem Hunde, denn die Lippe ist so 61 herbe geschlossen. Endlich fühlt Graf Carén die Verpflichtung, etwas Geistreiches zu sagen. »Sind gnädiges Fräulein nur vorübergehend in Berlin?«

Gnädiges Fräulein erwachen. »O nein, Herr Graf. Wir werden vermutlich lange hier bleiben.«

Pause. »Und wie kommen gnädiges Fräulein gerade in diese Gegend?«

»Ich war bei meinem Onkel.« Sie kann auch lächeln, reizend lächeln, Asta Le Fort. Und auf einmal wird sie gesprächig. Es ist ein Bruder ihrer Mutter, nicht alt, nicht jung, aber kränklich, mitgenommen vom Tropenfieber und einer sehr ernst genommenen ärztlichen Thätigkeit in Englisch-Indien. »O, er hat niemals an sich gedacht, wie er auch heute noch nicht an sich denkt!« Sie sagte das so vornehm-einfach, als wenn sich das bei einem Arzte von selbst verstünde. Der Menschenfreund ist übrigens nicht verheiratet, besitzt eine reizende Villa an der Oberspree, und da bekanntlich auch Millionäre nie genug bekommen, ist er in der Familie als Erbonkel hoch angesehen. Neugierig auf den Onkel bin ich nicht, aber ich bin ihm gewissermaßen dankbar, weil er den einzigen Schlüssel zu dem Herzen und dem Lächeln Asta Le Forts zu besitzen scheint. – Die Le Forts sind schon seit vierzehn Tagen hier, bewohnen einen Palazzo hoch im Westen und sehen Berlin aus vornehmer Perspektive durch die goldene Brille ihrer Millionen und ihrer englischen Unfehlbarkeit an. Gleichzeitig erlebe ich an dem Zeughause, wo wir eben sind, ein Wunder: ich werde mit einer ganz leichten Neigung des königlichen Nackens zu einem Besuche aufgefordert – sogar heute, sofort. Fräulein Asta fügt mit halbem Lächeln hinzu, daß sie ihrer Mutter ihren Retter präsentieren möchte. Und im Augenblick bedauert sie auch alles wieder. Ich seh's an dem matt werdenden Grün der 62 rätselhaften Augen, einem hochmütigen Zucken um den Mund. Sie sind wirklich rätselhaft, diese grünen Augen. Einer Nixe gehören sie nicht – sie sind kühler, ernster – doch muß ich immer an die smaragdgrüne See denken. Was bergen diese Augen? Flaches Watt – oder bodenlose Meerestiefe? Ich weiß es nicht. Zurzeit reizen sie mich nur. Und gerade weil Asta Le Fort im Grunde ihres Herzens meinen Besuch nicht wünscht, gehe ich mit. Sonst hätte ich es sicher nicht gethan.

Natürlich bewohnen diese Ausländer einen ausgesuchten Modekäfig. Sie ist mir so neu, so elegant, so traditionslos, diese weiße Häuserfront der Händelstraße, und Le Forts Haus ist das traditionsloseste. Des Tiergartens junges Laub nickt ihm fast in die Fenster. Aber ist's Abneigung gegen diese Emporkömmlinge, blasser Neid gegenüber dem Reichtum – auch die rauschenden Wipfel haben für mich etwas Dressiertes, Gemachtes. Der freie Wald mit seinen verschwiegenen Laubgängen, seinen gelben Reitwegen, den ich schon als Student auf meiner kitzlichen Halbblutstute so poetisch fand, ist es nicht. Aber en avant, Graf Carén! Es ist ja die Welt der Vornehmheit, des Reichtums, die sich vor dir aufthut! Und allmählich beginne ich mich auch daran zu gewöhnen.

In dem gruftkühlen Vestibül mit dem harten Zementboden und der Renaissance-Laterne aus Schmiedeeisen hallt auch der leichte Lackschuh feierlich – dann auf dickem Läufer lautlos die breite Treppe in die Höhe, an dem bunten Riesenfenster vorüber, durch das gedämpftes Licht in breiter Woge das pompejanische Rot der Wand überflutet, aber kalt auf den blanken Messingknöpfen des Geländers glänzt. In der ersten Etage Halt. Das leise Schrillen der elektrischen Klingel – ein schwarzer Diener öffnet geräuschlos. In dem ewig dämmerigen Berliner 63 Entree das gelbe, flackernde Gaslicht, die schwere Luft eines fensterlosen Raumes. Im Hintergrund öffnet sich eine Flügelthür. Madame Le Fort, Fräulein Ethel sind zu Hause, nur das Nilpferd von Vater auswärts, Gott sei Dank.

Liebenswürdig überraschter Empfang im Salon, natürlich Rokoko, die spielend leichte Anmut einer längst versunkenen Epoche voll grenzenlosen Leichtsinns und geistreicher Tändelei – hier aber neu, in falschem Goldglanze schimmernd, eine Laune der Mode in dieser Mietsvilla mit schlechtem Stuck, imitiertem Marmorkamin. Und die Königin des Schlosses, Madame Le Fort, die Dame mit der charakterlosen, glatten Linie! – Wie lächerlich die Tradition des Versailler Schlosses, des ahnenstolzesten Königtums bei diesen Fremden, die keinen Namen, keine Geschichte haben und nur auf ihrem Geldsacke thronen, der auch keine Geschichte oder eine schmutzige hat. Aber Peau d'Espagne schwebt als weicher Dunst über den hellblauen Atlasbezügen. Dieses Parfüm beruhigt mein empörtes Standesgefühl etwas. Peau d'Espagne hat Vergangenheit, hat Geschichte . . .

Erst war's langweilig – ein vorsichtiges Ausfragen zwischen mir und Madame.

»Werden Sie wieder nach Ostende gehen, Herr Graf?«

»Nein, gnädige Frau, ich glaube kaum.« Ich werde mit etwas kühler Höflichkeit behandelt, ungefähr so wie Jaromir – natürlich mit der gewissen Reserve, die der Graf und der Attaché auch dieser Weltdame auferlegen. Die kleine Ethel ist herzlich, sie fragt sogar nach dem kleinen Lieutenant und erntet dafür einen blaßblauen Blick der Mutter.

»O Mama, er war so natürlich,« verteidigt sie ihn.

Asta sitzt auf dem Taburett am Fenster und 64 studiert das leicht bewegte Laub drüben, das seine neckischen Lichter bis auf unsern Stabeichenboden wirft. Von meiner Heldenthat erwähnt sie nichts; ich bin ihr dankbar dafür. Dagegen thut die Mutter den Kleinen mit einer unnachahmlichen Handbewegung ab: »Sehen Sie, Herr Graf, solche Leute muß man sich beizeiten abgewöhnen. Sie würden sonst zudringlich. Es bedarf doch keines besonderen Scharfblickes, um zu wissen, daß dieser junge Mensch nichts ist und wahrscheinlich auch nichts werden wird. Ich liebe so etwas selbst bei Badebekanntschaften nicht. Diese Leute sind dann wie die Kletten, und man thut gut, es ihnen klar zu machen. Es ist ja auch nur Anstandspflicht. Man erspart ihnen dadurch eine größere Enttäuschung – und ich glaube, dieser Herr von Jaromir hatte an sehr thörichten Gedanken keinen Mangel.« Dabei warf sie einen halben Blick auf die Kornblumenfee, die den Kopf zurückwarf und mit den Fußspitzen ärgerlich wippte.

»Er war doch nett! Und wenn ich ihn je wiedersehen sollte, spreche ich ihn ganz gewiß an, bloß um ihm zu zeigen, daß es mir ganz gleichgültig ist, ob einer reich ist oder nicht. Aber ich werde ihn wohl kaum je wieder treffen . . .« Tragisch erschien das dem reizenden Blondkopfe gar nicht.

Madame zuckte darauf leise die Achseln. Ich räusperte mich diskret. Ich hatte gar keine Lust, Jaromirs Hiersein zu erwähnen. Die Absage galt genau so gut auch dem Grafen Carén. Seine Liebe wird der kleine Mann schon verwinden, und je eher, je weniger er eine Ahnung von der Nähe der Geliebten hat. Im Augenblicke reizte mich aber diese kluge Weltdame doch etwas. Wir sind hier in Deutschland und nicht in den englischen Kolonien, wo nur die Millionen gelten – und ein Graf Carén ist noch jetzt unter Brüdern eine Thalermillion wert. 65 Ich brauche nur zu wollen, und ich habe irgend eine fabelhaft reiche Fabrikantentochter . . .

Dann belustigte mich die Geschichte wieder. Ich sprach sogar über meine eignen Verhältnisse mit der halben Offenheit, die Ernst ist, aber ebensogut Scherz sein kann. Die Gnädige lächelte dazu. Sie hat so ein hübsches, inhaltloses Lächeln, das einen sehr höflich ganz über Bord wirft. Nur die grünäuige Asta wurde aufmerksam und sah zu mir herüber. Sie lächelte auch – und so nett, wie ich's dem herben Munde gar nicht zugetraut, wenn sich's um meine Wenigkeit handelt. »Sie treiben Scherz mit uns, Herr Graf . . .«

»Und wenn es kein Scherz wäre, gnädiges Fräulein?«

»So würden Sie mir leid thun. Ohne Geld sind Sie verloren.« Es war keine Eloge, es war die bittere Wahrheit, die ich sehr gut verstand.

Ich verteidigte mich aber. »Gnädiges Fräulein, ich habe mein erstes juristisches Examen gemacht; ich spreche zwei fremde Sprachen perfekt. Wenn alle Stränge reißen, könnte ich noch Rechtsanwalt werden oder auswärtiger Korrespondent.«

»Als Graf Carén?« Sie sah mich ernst an . . . »In Amerika vielleicht – hier nicht.«

Sie hatte wieder recht, aber die Mutter blinkte ihr zu. Und als ich über den aufgefangenen Blick mit einem ganz leisen Stirnrunzeln quittierte, lächelte sie wieder weltgewandt. »Die Herrschaften werden sich noch kabbeln . . . Der Herr Graf wird nie in diese Verlegenheit kommen! . . . Asta mit ihren neunzehn Jahren weiß noch gar nichts von der Welt und thut immer so.«

Dabei kam mir der Kanarienvogel meiner Tante in den Sinn. Und da der Galgenhumor mein Freund ist, erzählte ich die ganze Erbschaftsangelegenheit, 66 mit einer grotesken Verzerrung natürlich. Madame sah mich eine Sekunde falkenscharf an: Aber das ist ja kurios, Herr Graf . . . Ein Kanarienvogel steht zwischen Ihnen und einer Millionenerbschaft?«

»Ganz gewiß – sogar zwischen mir und einem eventuellen Botschafterposten.«

Die Kornblumenfee lachte. »Herr Graf – ein Kanarienvogel!«

Mir macht es Spaß, dieses lächelnde Aufdecken meiner Karten – ein diplomatischer Trick wie jeder andre, denn die Wahrheit glaubt man uns zuletzt. Ob mich freilich Madame nicht durchschaute?

Sie blieb sich ganz gleich in ihrer kühlen Liebenswürdigkeit. Amüsant war ihr die seltsame Geschichte natürlich auch. »Wird der Kanarienvogel noch lange leben?« fragte sie leichthin. Sie sah dabei mit ihren blaßblauen Augen über mich hinweg.

»Wenn's nach mir geht: nein –«

»Aber . . .«

»Ja, man mißtraut mir aufs äußerste. Lola wird bewacht wie ein gekröntes Haupt – und wenn ich einen Gewaltstreich wage, werde ich einfach enterbt.«

Madame Le Fort schwieg lange. Darauf lachte sie plötzlich laut auf: »Es ist eine zu kuriose Geschichte! Sie mystifizieren uns gewiß, Herr Graf.«

»Ganz gewiß nicht.«

»Dann müssen Sie mich aber mit der alten Dame bekannt machen. Das ist ja ein Original! So was interessiert, und ich bilde mir ein, mich für Psychologie zu interessieren.«

Darauf konnte ich nur lachen. Meinte Tante, die sich in ihrer Villa freiwillig eingesargt hatte samt Betbruder und Kanarienvogel, mit dieser Ausländerin bekannt machen! Madame hat seltsame Begriffe von der Schildkröte. – Ich erklärte ihr die Unmöglichkeit.

Die Gnädige blieb liebenswürdig standhaft. »Dann 67 zeigen Sie sie uns wenigstens. Wie heißt sie? Wo wohnt sie?« So geschickt auch die Sache maskiert war, sie begann wirklich ein Interesse an meiner Tante und an ihrem Kanarienvogel zu empfinden. Warum – das wissen die Götter. Meinetwegen? – Ihr könnte es doch sehr gleichgültig sein, ob ich reich bin oder nicht. Es ist eben wieder mal die unausrottbare Neugierde des Weibes und dann der Zweifel an meiner Wahrhaftigkeit. Sie will wissen, ob Graf Carén aus Absicht lügt oder aus Beruf. Wenn ihr übrigens so nach der Wahrheit gelüstet, braucht sie bloß von elf bis zwölf Uhr vormittags in den Zoologischen Garten zu gehen. Da sitzt die Schildkröte in einem Art Krankenstuhl vor der Vogelabteilung. Warum sitzt sie eigentlich nicht am Löwenkäfig? Ich hätte da doch immer die stille Hoffnung, daß eines Tages ein König der Tiere ausbräche und sie zu meinen Gunsten verschlänge. – Madame habe ich lächelnd die Gelegenheit verraten. Aber wenn sie wirklich auf ihrem Scheine besteht, wird sie einen netten Echec erleben. Die Schildkröte wird entweder um Hilfe schreien oder sich wortlos hinter ihren Panzer verkriechen. Ich glaube nur, daß Madame überhaupt nicht an die Attacke denkt und alles nur liebenswürdige Phrase ist.

Nachdem die Vogelangelegenheit unter dem hellen Lachen der Kornblumenfee und eisigem Schweigen der grünäugigen Asta beendet war, empfand ich die gesellschaftliche Kühle des Le Fortschen Hauses wieder besonders unangenehm. Ich erhob mich auch zur rechten Zeit. Denn eben hörte ich das Nilpferd im Nebenzimmer stampfen.

Dankbar bin ich dem Schicksal für die Auffrischung dieser Beziehungen nicht. Wenn sie wenigstens einen großen Gesellschaftskreis hätten mit millionenreichen Gänschen . . . Ach, lieber Louis, du bist fade! 68 Du hast trotz unzähliger Liebeleien dein Herz noch nicht entdeckt, wirst es wahrscheinlich nie entdecken – und doch graut mir vor dem Gedanken, des Geldes wegen zu heiraten.

*

Ich erlebe jetzt fortgesetzt Wunder. Jaromir war bei mir mit den dreihundert Mark, obgleich vierzehn Tage seit der Sendung vergangen sind. Zuerst war ich etwas verdutzt – er ließ sich nicht mal melden – und trug noch immer das Kammgarnjackett mit dem Atom Glanz an den Ellbogen. Aber ein kleiner mutiger Kerl ist er doch – anständig auch, und wenn er noch hundert Ehrenscheine hätte verfallen lassen! – Hat mein Geld ganz zur rechten Zeit bekommen, den Geber sofort erraten und nasse Augen gekriegt, wie er mir ganz freimütig gestand. Eine Stellung irgendwelcher Art hatte er noch nicht, dagegen noch gerade fünfzehn Pfennig zu seinem Teller Suppe. – Er will das Geld nicht anbrauchen, aber er fühlt sich ganz unwiderstehlich mit den dreihundert Mark in seiner Brusttasche. Und er thut darum etwas ungeheuer Freches, geht geradeswegs zum ersten Direktor einer Lebensversicherungsbank, ohne Empfehlung, ohne Einführung:

»Von Jaromir. Haben Sie eine Stellung in Ihrem Hause frei, die ein Offizier a. D. ohne Vorkenntnisse ausfüllen könnte?«

Der etwas steifleinene, stark englische Herr sieht ihn darauf sehr kühl an. »Haben Sie Referenzen?«

»Nein.«

»Sind Sie früherer Offizier oder Offizier a. D.?«

Jaromir wird der Kopf heiß. Man behandelt ihn ja en canaille und hat ihm nicht einmal einen Stuhl angeboten. Aber er bezwingt sich und sagt mit markierter Gentlemanshaltung: »Selbstverständlich das letztere . . . Sie können meine Verabschiedung 69 im Armeeverordnungsblatt Nr. 7 nachlesen.« Der Direktor, der sich damit vergnügt hat, seine langen Nägel zu polieren, legt das elfenbeinerne Instrument hin, fixiert Jaromir scharf und macht eine ganz leicht einladende Bewegung nach einem Stuhle. Jaromir versteht das absolut nicht, wird noch dienstlicher in der Haltung.

Darauf sagt der anglisierte Herr beinahe gesellschaftlich: »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Lieutenant?« Sehr steife Verbeugung des Kleinen, leichtes Räuspern des Direktors. – »Ja, sehen Sie mal . . . eine Stellung hätte ich schon . . . Aber meine Erfahrungen mit früheren Offizieren sind sehr üble. Die Herren haben nur Ansprüche, leisten sehr wenig. Neulich ist mir einer mit dem Vorschusse, den ich ihm aus Gutmütigkeit gab, einfach durchgegangen. Zwei Tage später traf ich den Herrn in der Frühstücksstube von Borchardt . . . Kannte mich natürlich nicht. Ich hätte ihn vom Fleck arretieren lassen können – aber wegen der paar Thaler, das ist zu umständlich.«

Jaromir erträgt die herbe Wahrheit, auch den sehr geschäftlichen Ton und erwidert: »Ich verstehe vollkommen Ihr Mißtrauen. Aber wenn ein jeder so denken wollte wie Sie, könnte ein verabschiedeter Lieutenant überhaupt gleich Verbrecher oder Steinklopfer werden.«

Der Herr lächelt etwas ironisch. »Könnten Sie gegebenenfalls irgend eine kleine Kaution stellen?«

Jaromir zittert vor Freude, fragt aber ebenso geschäftsmäßig: »Und wie hoch sollte die sein?«

Der Direktor lächelt noch ironischer: »Hundert, zweihundert Mark . . . so etwa, was ungefähr einem Monatsgehalte meiner jüngsten Angestellten entspräche.«

»Ich kann Ihnen sogar eine von dreihundert 70 Mark stellen.« Und Jaromir zieht das Couvert mit meinen Scheinen aus der Tasche.

Ich erzähle das alles so wieder, wie's mir der Kleine sehr anschaulich mit Gesten und Ausfällen gegen die Haute finance erzählt hat.

Und der Direktor, der in dem Kleinen wohl den guten Fond erkannt hat, lächelt wieder – diesmal aber liebenswürdig. »Wir wollen uns keine Komödie vorspielen, Herr von Jaromir. Das mit der Kaution war bloß ein Trick, um Sie los zu werden. Jetzt aber bin ich bereit, Sie zu engagieren – probeweise natürlich – mit einem Gehalte von achtzig Mark. Das ist freilich sehr wenig. Auch an der Art des Arbeitens dürfen Sie sich nicht stoßen. Sie werden vorläufig mit sehr untergeordneten Schreibereien beschäftigt werden. Sind Sie einverstanden?«

Selbstverständlich ist Jaromir einverstanden. Achtzig Mark sind ihm zurzeit ein Vermögen, ein riesenhaft großes Kapital, und zum Schluß wagt er einen Hauptcoup. Er sagt: »Mit den dreihundert Mark, Herr Direktor, das ist auch Komödie! Ich würde sie Ihnen nie gegeben haben. Sie gehören nicht mir – ein sehr weitläufiger Bekannter hat sie mir aus Mitleid, und weil er selbst sehr reich ist, heute zugeschickt. Aber ich will kein Almosen.«

Und da sieht man wieder, wie absolute Ehrlichkeit doch immer ihren Lohn findet. Denn der Direktor steht auf, schüttelt Jaromir die Hand und sagt: »Das ist offen, das freut mich! Sie haben die Absicht, ehrlich zu arbeiten, und für solche Leute soll man thun, was man kann. Sie sind ja noch jung, können sich vielleicht brillant in die Verhältnisse hineinleben . . . und in jeder Branche kann man mit Glück und eisernem Fleiß auch heute noch ein Vermögen verdienen.«

Jaromir ist also engagiert, hat ganz ungebeten 71 einen Vorschuß von hundert Mark bekommen, und der Himmel hängt ihm voller Geigen. An die kleine Ethel denkt er nun erst recht. »Warum soll sie mir unerreichbar sein? Ich kann Generalagent, Direktor werden – ich kann so viel verdienen, daß sie nichts zu haben braucht und doch auf Gummirädern fahren kann, wenn sie Lust hat.«

Ich lächle ob der Phantasie – aber es ist ein wehmütiges Lächeln. Er wird nie Generalagent oder Direktor werden; er wird die nächsten zehn Jahre wahrscheinlich nicht so viel verdienen, wie seine Kornblumenfee für ihre langen Marseiller Handschuhe braucht. Soll ich nun heute sein Glück voll machen, indem ich ihm sage, daß die Geliebte hier ist, ihn wiedersehen möchte? Das wäre grausam. Die Kleine liebt ihn nicht, wird ihn gewiß nicht heiraten. Sie ist wahrscheinlich ein kleiner leerer Puppenkopf, der die Arbeit und die Armut gar nicht versteht. Ich verstehe ja auch weder das eine noch das andre. Ich sitze in Lackschuh und grünseidenen Strümpfen vor dem Kleinen auf meinem Fauteuil und lächle freundlich. Das Lächeln ist Lüge. Ich dürfte viel eher heulen. – Wem gehört nun von uns beiden die Zukunft? Dem kleinen Mann, der mutig in den Strom springt und zu dem andern Ufer sich durchkämpft – oder dem, der wie ich thatenlos am Ufer stehen bleibt, obgleich er genau weiß, daß auch ihn der Strom fassen, hinabziehen wird, langsam – langsam – aber bis auf den Grund? 72

 


 


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