Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Nach einer unruhigen Nacht, mehr ermüdet als gestärkt durch den Halbschlummer voll unruhiger Träume, der ihn kaum einen Augenblick die Sorge und Pein seiner Lage hatte vergessen lassen, erhob sich der Kaiser Napoleon von seinem Lager, auf dem er halb angekleidet geruht hatte.

Bald nach sechs Uhr morgens war der General Reille mit der Meldung in sein Zimmer getreten, daß das französische Korps bei Bazeilles im Feuer sei.

Fast eine Stunde lang hatte sich dann der Kaiser in den Händen des Doktor Conneau und seines Leibchirurgen befunden. Er schien einige Erleichterung seiner Schmerzen zu empfinden, seine Blicke belebten sich ein wenig, seine eingefallenen Züge wurden etwas frischer und heiterer, – er ließ sich ankleiden und bereitete auf der kleinen silbernen Maschine mit Sorgfalt seinen Tee, während der Kammerdiener ihm den blauen Interimsrock der Generalsuniform reichte.

Der Kaiser zog mit einer gewissen mühsamen Schwerfälligkeit die Uniform an, auf deren Brust sich der große silberne Stern der Ehrenlegion und die Medaille für den italienischen Feldzug befand.

»Das Schwert des schwedischen Schwertordens«, befahl er dem Kammerdiener, während er eine kleine Zigarette an der auf dem Tisch brennenden Kerze anzündete und die leichten Wölkchen mit ebensoviel Behagen und Genuß emporblies, als ob er sich in seinem Kabinett in den Tuilerien oder in St. Cloud befände.

Es schien, als ob dieses orientalische Genußmittel seinem Geist die fatalistische Gemütsruhe der Völker des Orients wiedergäbe, welche während seines ganzen Lebens einen hervorstechenden Zug seines Charakters gebildet und ihn auch in den schwersten und entscheidendsten Momenten seiner so wunderbar bewegten Laufbahn nicht verlassen hatte.

Der Kammerdiener trat mit dem Schwertzeichen des schwedischen Ordens wieder ein und befestigte dasselbe 532 auf der Uniform des Kaisers unter dem Stern der Ehrenlegion.

Sinnend blickte der Kaiser auf seine Brust herab.

»Ich habe dieses militärische Ehrenzeichen der kriegerischen Nation Gustav Adolphs und Karls XII. für die Schlacht von Solferino erhalten, welche mich auf die Höhe der Macht und des Einflusses führte. Wie kurz ist die Zeit seit jenem Tage, und doch, welch ein Abgrund liegt zwischen damals und jetzt,« sagte er, tief seufzend, »möchte das Schwert, das damals dem Glück und dem Siege folgte, mir heute das Glück und den Sieg zurückbringen!«

Er ließ sich langsam und vorsichtig in seinen Lehnstuhl niedersinken und trank eine Tasse des frischbereiteten Tees, dessen duftiges Aroma das Zimmer erfüllte.

Die Generaladjutanten Prinz von der Moskowa, Reille und Vaubert traten in das Zimmer.

»Sind Meldungen des Marschalls gekommen?« fragte der Kaiser.

»Der Kampf hat begonnen«, erwiderte General Reille, »bei Bazeilles, wo ein bayerisches Korps gegen unsere Stellungen vordringt, und die Schlacht beginnt sich jetzt auf der ganzen Linie zu entwickeln. Der Marschall ist voll Hoffnung, und unsere Truppen halten sich vortrefflich.«

Wie zur Erläuterung der Worte des Generals begann der Kanonendonner von verschiedenen Seiten herüberzudringen.

Der Kaiser zuckte bei diesem Ton leicht zusammen wie in einer unwillkürlich nervösen Erschütterung, während ein Zug festen, entschlossenen Willens, als wolle er seiner körperlichen Schwäche Herr werden, sich um seine Lippen legte.

Einige Augenblicke saß er schweigend da. Dann fragte er in so ruhigem Ton, als handle es sich um eine ihn kaum berührende Sache:

»Glauben Sie, daß der Feind stark genug ist, um die uns umringenden Linien vollständig zu schließen?«

»Wir sind in der letzten Zeit«, erwiderte General Reille, »an so unglaubliche Märsche der deutschen Armeen gewöhnt, daß wir auch dies glauben können, obgleich es wunderbar 533 genug wäre, wenn man so bedeutende Kräfte hierher hätte konzentrieren können. Aber«, fuhr er fort, »wir müssen zu der alten, auch in diesen Unglückstagen neu bewährten Tapferkeit unserer Truppen das Vertrauen haben, daß sie dessenungeachtet die Linien durchbrechen und den Weg nach Metz hin öffnen werden.«

Abermals saß der Kaiser still und in sich versunken längere Zeit da, während die Generale, dem immer lauter und ununterbrochener herüberschallenden Kanonendonner lauschend, in leisem Gespräch sich unterhielten.

Plötzlich stand der Kaiser auf.

»Ich will hinaus,« sagte er, »der Platz des Kaisers an einem Entscheidungstage wie der heutige, ist in der Mitte der Truppen. Versuchen wir,« fügte er mit mattem Lächeln hinzu, »ob der Stern meines Hauses noch über meinem Haupte schwebt und ob sein leuchtender Strahl meinen Adlern den Sieg verleihen wird. Lassen Sie die Pferde vorführen.«

Die Generale gingen hinaus, augenscheinlich erfreut über den Entschluß des Kaisers, der es auch den Offizieren seiner Umgebung möglich machte, an diesem Tage des heißen Kampfes in die freie Luft und unter den freien Himmel hinauszugehen.

Napoleon legte den Degen an, setzte das rote, goldgestickte Käppi auf, warf schmerzlich seufzend noch einen Blick in das Zimmer zurück, in welchem die bangen Stunden dieser schweren Nacht über sein Haupt dahingezogen waren, legte dann seinen Arm in den des Prinzen von der Moskowa und stieg langsam mit seinem in den Hüften wiegenden Gang die Treppe hinab.

Der Platz vor der Mairie war leer. Vor dem Tor des Hauses warteten die Generale Castelnau und Vaubert sowie die übrigen Ordonnanzoffiziere des Kaisers.

Napoleon grüßte dieselben leicht mit der Hand, trat dann zu seinem Pferde und untersuchte sorgfältig den Sattel, welcher mit einer besonderen Vorrichtung versehen war, um den Druck desselben zu vermindern und das längere Sitzen zu Pferde zu erleichtern. Dann setzte er den Fuß in den Bügel, schwang sich mit einer gewissen Anstrengung, 534 aber doch immer noch mit einer an seine früheren Tage erinnernden Leichtigkeit auf sein Pferd und ritt im Schritt, gefolgt von den Offizieren seiner Begleitung und einer Abteilung der Hundertgarden, durch die Straßen der Stadt, in welchen nur wenige Menschengruppen in ängstlicher Unterhaltung sich befanden, während an den Fenstern der Häuser erschreckte Gesichter erschienen, mit verstörten Mienen dem Kanonendonner und dem Getöse der immer mehr sich entwickelnden Schlacht lauschend.

Der Kaiser, über den Kopf seines Pferdes zur Erde blickend, ritt aus der Porte Balan hinaus.

Bald öffnete sich der Blick auf das Schlachtfeld hin über die Ebene hinter der Maas, links nach den Höhen von Pierremont, la Garenne und Fond de Givonne und rechts über die Maas und ihre Niederung hin.

Immer näher ertönte der Kanonendonner. Man sah die Granaten durch die Luft fliegen und hörte ihr eigentümliches Schwirren, man sah die Rauchsäulen emporsteigen, man hörte lauter und lauter jenes furchtbare, tausendstimmige Gebrüll der immer wilder ringsum tobenden Schlacht.

Die Stellungen der Truppen waren noch fern, und fast einsam ritt der Imperator des kriegerischen Frankreichs, der den Namen des Siegers von Austerlitz und Marengo trug, dessen Fahnen siegreich auf den Mauern von Sebastopol geweht und dessen Waffen Österreichs Macht in Italien gebrochen hatten, auf der Straße dahin, nur zuweilen einem Zug flüchtiger Landleute begegnend, welche sich nach der Festung retten wollten und scheu und ängstlich, oft auch mit einer leisen Verwünschung auf den Lippen, an ihm vorbeizogen.

Da erschien plötzlich an einer Biegung des Weges, die durch ein kleines, vorspringendes Gebüsch verdeckt wurde, eine Abteilung Kürassiere, langsamen Schrittes in der Richtung nach Sedan dem Kaiser entgegenreitend.

Der Kaiser hielt sein Pferd an und erwartete erstaunt und befremdet vorwärts blickend diese kleine Truppe, welche hier inmitten des ringsum tobenden Kampfes so ruhig wie im tiefsten Frieden auf der einsamen Straße hinritt.

535 Die Mienen dieser prachtvollen, hochgewachsenen Reiter in den blitzenden Helmen auf den starken, dunkeln Pferden waren traurig und finster, – als sie den Kaiser bemerkten, der mitten auf der Straße haltend ihre Annäherung erwartete, öffnete sich das vordere Glied und man sah in der Mitte des kleinen Zuges, von Soldaten getragen, eine hölzerne Bahre, auf welcher ein Mann mit goldgesticktem, rotem Käppi, mit einem Mantel bedeckt, ausgestreckt dalag, den Oberkörper halb erhoben und auf den Arm gestützt.

»Mein Gott,« rief der Prinz von der Moskowa im Tone des höchsten Schreckens, – »es ist der Marschall Mac Mahon, – er ist verwundet, – welches Unglück!«

Auch der Kaiser hatte den Marschall erkannt, sein Auge richtete sich mit einem Blick schmerzlichen Vorwurfs zum Himmel empor, – er berührte die Flanke seines Pferdes mit den Sporen, und mit zwei Sätzen des edlen Tieres war er neben der Bahre.

»Welch ein schwerer Schlag,« rief er, sich zu dem Verwundeten herabbeugend, den der Oberst Marquis von Abzac, des Marschalls Adjutant, den Arm um seine Schultern legend, unterstützte, – »welch ein schwerer Schlag, mein teurer Herzog, – hoffentlich hat es keine Gefahr!«

Das stets fast durchsichtig weiße Gesicht des Marschalls war bleich wie Marmor, – ein Zug bitteren Schmerzes lag um seine Lippen und seine hellen, vergißmeinnichtblauen Augen glühten in so düsterem Feuer, daß sie fast dunkel erschienen.

»Gefahr, Sire?« sagte er mit dumpfer Stimme, – »was kümmert mich Gefahr, – wie gern würde ich mein Leben hingeben und meine Kraft für den Sieg unserer Waffen einsetzen, wenn ich diesen Tag über hätte zu Pferde bleiben können – ein Granatsplitter hat mich an der Hüfte getroffen und mich niedergeworfen, – mag die Wunde gefährlich sein oder nicht, – jedenfalls macht sie mich unfähig, das Kommando zu führen und zwingt mich, die Schlacht zu verlassen und auf meinem Lager untätig die Entscheidung abzuwarten! – Oh, Sire, – das ist hart!« rief er, indem sein Kopf auf den Arm des Obersten Abzac niedersank.

536 »Härter noch für Frankreich als für Sie, mein lieber Marschall,« sagte der Kaiser, »für Frankreich, das Ihrer so sehr bedarf –«.

»Für Frankreich bin ich gestorben,« fiel der Marschall ein, »bis ich geheilt sein kann, wird sein Schicksal entschieden sein, – o daß diese Kugel mit einem Male ein Ende gemacht hätte!«

»So etwas dürfen Sie nicht denken,« sprach der Kaiser, indem auf seinem starren Gesicht ein Schimmer herzlicher Freundlichkeit erschien, – »Sie müssen alles tun, um sich wiederherzustellen, – Frankreich«, sagte er wieder ernst und finster, »wird Ihrer noch bedürfen, – die Zukunft ist trübe, – und die festen und tapferen Männer werden unserem schwer getroffenen Lande mehr und mehr not tun.«

»Ich habe das Kommando dem General Ducrot übertragen, Sire,« sprach der Marschall, indem er sich, von dem Obersten Abzac unterstützt, wieder erhob, – »er ist in alle meine Ideen eingeweiht und würde die Schlacht genau so fortgeführt haben, wie ich sie begonnen, – aber –«

»Aber?« fragte der Kaiser betroffen.

»Aber, Sire,« fuhr der Marschall fort, »der General Wimpffen nahm als älterer General das Kommando in Anspruch –«

»In einem solchen Augenblick sollten persönliche Rangstreitigkeiten zurücktreten«, sagte der Kaiser.

»Ich achte die Erfahrung und den Charakter des Generals Wimpffen hoch,« sprach der Marschall weiter, – »allein er ist vor so kurzer Zeit erst bei der Armee angekommen und ich hatte deshalb gewünscht, daß Ducrot mich ersetzen möchte, – doch der General Wimpffen hatte eine Order des Kriegsministers, nach welcher er im Falle meiner Behinderung an meiner Stelle den Oberbefehl übernehmen sollte, – und«, fuhr er mit einem leichten Seufzer fort, – »da Eure Majestät alle Ihre Autorität der Regentschaft übertragen haben und es verweigern, dieselbe zurückzunehmen, – so muß wohl das Kommando an Wimpffen überlassen werden.«

Der Kaiser blickte vornübergeneigt finster vor sich nieder, – aber er antwortete nichts auf die Worte des Marschalls.

537 Lautes Kampfgetöse drang von der Richtung von Balan her.

»Wer steht dort?« fragte Napoleon, mit der Hand nach jener Gegend hindeutend.

»Es ist das zwölfte Korps unter dem General Lebrun, Sire,« erwiderte Marquis von Abzac für den Marschall, der wie erschöpft die Augen geschlossen hatte, – »es ist ein harter Kampf mit den Bayern und er hat den Befehl, um jeden Preis die Positionen zu halten.«

»Die Bayern,« flüsterte Napoleon, – »sie sind die ersten, die uns angegriffen, – die uns geschlagen haben, – und doch ließ man mich hoffen – –«

»Ich will dorthin reiten,« rief er, – »leben Sie wohl, Herr Marschall, – erhalten Sie sich Frankreich und mir, – Oberst von Abzac, ich empfehle Ihnen die sorgfältigste Pflege des Marschalls.«

Er beugte sich vom Pferde herab und reichte dem Herzog von Magenta, der sich mühsam emporrichtete, die Hand.

Einen Augenblick hielt er diese Hand in der seinigen und ein wunderbarer Ausdruck weichen, innigen Gefühls leuchtete aus seinen Augen.

»Leben Sie wohl, Sire,« sagte der Marschall mit matter Stimme, – »leben Sie wohl, – Gott schütze Frankreich, – Gott schütze Eure Majestät.«

Das helle, klare Auge dieses eisernen Soldaten, der so oft dem Tode in das drohende Antlitz geschaut hatte, ohne daß eine Faser seines festen Nervengefüges zitterte, – dies Auge füllte sich mit einer schimmernden Träne bei dem Anblick dieses gebrochenen Kaisers, aus dessen Händen er den Marschallstab und den Herzogshut empfangen hatte, und der jetzt gebeugt an Seele und Körper hinritt zu seinen Truppen, die mit der letzten verzweifelten Anstrengung gegen das entsetzliche Verhängnis ankämpften, welches diese schwache, unsichere Hand heraufbeschworen hatte.

Dann sank er wieder auf seine Bahre zurück, der Kaiser wendete sein Pferd und ritt nach Balan hin, während die Eskorte mit dem verwundeten Marschall, der so lange der Stolz der französischen Armee gewesen war, sich langsam wie ein Leichenzug nach der Festung hin bewegte.

538 Näher und näher kam Napoleon den kämpfenden Truppen. Man war fast bei dem Dorfe Balan angelangt. Da kamen aus den letzten Häusern dieses Orts flüchtige französische Truppen, – Entsetzen in den Mienen, meist ohne Waffen, mit blutüberströmten Gesichtern, dahergestürmt.

Der Kaiser hielt sein Pferd an und sah mit groß geöffneten, starren Augen auf diese flüchtigen Soldaten, die ersten Boten einer neuen Niederlage der französischen Waffen.

Der Prinz von der Moskowa sprengte vor und parierte sein Pferd mit heftigem Ruck vor einer Gruppe der Flüchtigen, so daß diese gezwungen waren, vor den Hufen des sich aufbäumenden Tieres anzuhalten.

»Woher kommt ihr? – Was ist geschehen?« rief der General.

»Alles ist verloren!« erwiderten die Soldaten, wild durcheinander sprechend und rufend, »Bazeilles ist genommen, – unser Korps ist geschlagen, – der Feind wird bald hier sein, – sie haben zuviel Artillerie, – man kann ihren Kanonen nicht widerstehen, – sie reißen ganze Glieder von uns auf einmal nieder.«

Der Kaiser blickte starr und schweigend vorwärts.

Immer näher drang jenseits des Ortes Balan das Tosen des Kampfes, das Knattern des Gewehrfeuers und die Schläge des schweren Geschützes heran.

»Halt!« rief der Prinz von der Moskowa, mitten in die Flüchtigen hineinreitend, – »sollen französische Soldaten in eiliger, feiger Flucht den Sieg preisgeben, weil der Feind einen Augenblick vorgedrungen ist? – haltet, erwartet euer Korps, es gilt, dieses Dorf zu verteidigen!«

Aber vergebens waren seine Worte. An seinem Pferde vorbei, durch die Gruppe der Generale, durch die Hundertgarden drängten die Flüchtigen auf dem Wege nach Sedan weiter mit dem Rufe:

»Rette sich, wer kann! – Alles ist verloren! – Alles ist aus! – Nieder mit dem Kaiser, – nieder mit den Generalen, die uns verraten haben! – Fort, – fort!«

Die Hundertgarden ritten heran, die Generale umgaben den Kaiser, der gebeugt auf seinem Pferde saß, die Hand 539 leicht auf den Sattelknopf gestützt und ausdruckslos auf diese Flüchtigen hinstarrend, welche ihm ihre Verwünschungen entgegenriefen.

Laute Hufschläge ertönten auf dem Wege von Sedan her. Von einem zahlreichen Stabe umgeben sprengte der General von Wimpffen heran, eine kräftige, etwas gedrungene Gestalt von fester militärischer Haltung; sein starker Kopf mit dem kurzgeschnittenen grauen Haar saß gerade emporgerichtet auf dem etwas kurzen Halse. Seine strengen militärischen Züge mit dem gestutzten Schnurrbart waren finster und ernst zusammengezogen und seine hellen, klar blickenden Augen schienen den weiten Horizont mit seinen aufwirbelnden Dampfwolken umfassen zu wollen.

Er ritt in scharfem Trabe an den Kaiser heran, der bei seinem Erscheinen aus seiner Apathie zu erwachen schien, und sprach, indem er das goldgestickte Käppi erhob:

»Eure Majestät werden die traurige Meldung erhalten haben, daß der Marschall Mac Mahon schwer verwundet und aus der Schlacht fortgetragen ist. Ich bin der älteste General nach ihm und vom Kriegsminister zur Stellvertretung des Marschalls bestimmt, deshalb habe ich das Kommando in Anspruch nehmen müssen, – es war eine Forderung der Ehre für mich, – aber auch eine schwere – schwere Aufgabe, da ich vor achtundvierzig Stunden angekommen bin und kaum Zeit gehabt habe, mich über die Armee und ihre militärische Lage zu orientieren.«

»Ich bin Mac Mahon begegnet,« erwiderte der Kaiser finster, – »es ist ein harter Schlag, daß er gerade in diesem entscheidenden Augenblick niedergeworfen wurde, – – er war die Erinnerung an Italien und Sebastopol,« – und seufzend blickte er auf das Zeichen des Schwertordens herab, das er am Morgen an seine Brust hatte befestigen lassen.

Dann richtete er sich wieder empor, und indem das liebenswürdige, verbindliche Lächeln seiner früheren Tage auf seinem Gesicht erschien, sagte er:

»So kurz die Zeit seit Ihrer Ankunft auch sein mag, mein lieber General, so genügt sie für einen Mann von Ihrem militärischen Scharfblick und Ihrer Erfahrung, um 540 sich vollständig orientiert zu haben, und das Kommando meiner Armee könnte in diesem wichtigen Moment keinen würdigeren Händen anvertraut werden.«

Und indem er nach dem Dorfe Balan hindeutete, aus welchem neue Gruppen von Flüchtigen heraneilten, sprach er, eine Antwort des Generals abschneidend:

»Sehen Sie dort, mein General, Bazeilles ist genommen, unsere Truppen sind auf dem Rückzug hierher.«

»Ich habe es gehört, Sire,« erwiderte der General, »und deshalb bin ich hier, denn es kommt alles darauf an, daß das Dorf Balan gehalten wird. Wenn dies geschieht, will ich einen starken Vorstoß gegen Illy hin machen, um auf jener Seite eine Bahn zu brechen und zu verhindern, daß die feindlichen Korps sich dort vereinigen. Da ich nun das Kommando übernommen habe, Sire,« fuhr er fort, »so werde ich auf der ganzen Linie die Offensive befehlen. Unsere Truppen sind nicht gemacht zur Verteidigung oder zum passiven Ertragen dieses furchtbaren Artilleriefeuers, und unsere Kavallerie soll voran, um den Weg zu öffnen. Ich bitte Eure Majestät um Erlaubnis, mich zu entfernen, um die offensive Bewegung einzuleiten.«

Er sandte einen Offizier seines Stabes den heranrückenden, im Gefecht befindlichen Truppenteilen mit dem Befehl entgegen, das Dorf Balan um jeden Preis zu halten, grüßte dann den Kaiser, wandte sein Pferd kurz herum und sprengte davon.

»Eure Majestät sollten nicht hier bleiben«, sagte der General Reille, an den Kaiser herantretend und sein Käppi lüpfend. »Der Kampf wird sich dieser Stelle sofort nähern und den Aufenthalt hier höchst gefährlich machen.«

Der Kaiser blickte den General wie aus einem Traum erwachend an.

»Gefahr,« sagte er achselzuckend, »sollte ich die Gefahr scheuen, welche ich mein ganzes Leben über verachtet habe, in dem Augenblick, in welchem ich erwarte, daß jeder französische Soldat sein Leben einsetzt?«

Er ritt eine kurze Strecke nach dem Dorfe Balan vor, in welchem bereits Wolken von Pulverdampf aufstiegen und aus welchem immer näher das Getöse des Kampfes 541 herandrang. Eine kurze Zeit hielt der Kaiser und seine Umgebung an dieser Stelle. Napoleon blickte schweigend, in anscheinend stumpfer Gleichgültigkeit vor sich hin. Die Offiziere seines Stabes folgten mit gespannter Aufmerksamkeit dem durch das Dorf Balan sich heranziehenden Kampf.

Einzelne Granaten begannen bereits nahe der Stelle, an welcher der Kaiser hielt, niederzufallen. Sie kamen aus den Batterien des zweiten bayerischen Korps, welche auf den Befehl des Generals von der Tann in ihre Angriffspositionen gegen die Kehle der Festung Sedan gerückt waren.

Zahlreicher wurden die Flüchtigen, welche auf dem Wege von Balan her nach Sedan hineilten, gegen den Kaiser und seine Umgebung andrängend, immer dichter wurden die Haufen dieser Flüchtlinge.

Da endlich rückte noch in geschlossenen Gliedern, jeden Fußbreit Bodens verteidigend, aber hart gedrängt von heranstürmenden bayerischen Truppen, ein geordnetes französisches Regiment aus den Gehöften des Dorfes gegen den Kaiser heran.

Zu gleicher Zeit stiegen von La Moncelle, von La Ramarie und La Fonderie her die Höhen herab französische Truppen, von den Deutschen gedrängt und von der Artillerie scharf beschossen, heran.

Alle diese Korps lösten fast unmittelbar vor der Stelle, an welcher der Kaiser mit seiner Umgebung hielt, ihre Glieder auf, und in einem Augenblick befand sich Napoleon in einem wilden Gewühl ungeordneter Truppen, während von den Höhen herab und aus dem Dorfe Balan her die deutschen Kolonnen mit lautem Hurrah heranstürmten.

Der Prinz von der Moskowa ritt nun an den Kaiser heran, um ihn aus seinem dumpfen Hinbrüten zu erwecken und auf die große Gefahr der Lage aufmerksam zu machen.

Die Hundertgarden schlossen sich enger um ihren Herrn, denn in bedenklicher Nähe erschienen bereits die Spitzen der feindlichen Kolonnen und der wilde Strom der flüchtigen Franzosen drohte den Kaiser mit sich fortzureißen.

Aber bevor noch der Prinz von der Moskowa, der leicht den Arm seines Souveräns berührte, ein Wort zu 542 ihm gesprochen hatte, richtete sich Napoleon im Sattel empor, ein Blick seines weit und groß sich öffnenden Auges flog über das so schmerzliche Bild dieser neuen Niederlage der französischen Waffen, er biß die Lippen aufeinander mit dem Ausdruck tiefen Körper- und Seelenschmerzes, aber zugleich schien ein mächtiger Aufschwung des Willens alle seine Muskeln zu spannen. Er sprengte mit einigen Sätzen seines Pferdes einem zurückweichenden Bataillon entgegen und rief mit heller und klarer Stimme, den betäubenden Lärm des Kampfes übertönend:

»Halt, Soldaten! Halt, im Namen Frankreichs! Denkt an die Vergangenheit! Denkt an den Ruhm unserer Geschichte! Denkt an das Vaterland, das auf euch blickt und dem euer Leben gehört!«

Das Bataillon stand einen Augenblick betroffen vor dem Wort des Kaisers, ein Hagel von feindlichen Kugeln fiel auf dasselbe nieder, und mit dem wilden Geschrei: »Rette sich, wer kann!« stürmte ein Teil der Soldaten rückwärts nach Sedan zu, – ein anderer Teil derselben schloß sich fest an den Kaiser an und gab eine Salve ab, welche die herandringenden feindlichen Kolonnen zum Stehen brachte.

Ein französischer Stabsoffizier bahnte sich einen Weg durch die Menge der Flüchtigen, dieselben durch die Huftritte seines Pferdes rechts und links zur Seite drängend. Er hielt beim Anblick des Kaisers ein wenig erstaunt an und sagte:

»Ich bringe den dringenden Befehl des Generals Wimpffen, Balan um jeden Preis zu halten. Er hofft, bei Illy durchzudringen und so die feindlichen Linien zu durchbrechen.«

»Ihr hört es,« rief der Kaiser, indem er seinen Degen zog, – »ihr hört es! Der Sieg wendet sich zu uns, und an euch ist es, ihn festzuhalten! Vorwärts! vorwärts! – jenes Dorf muß wieder genommen werden!«

Die Truppen, welche den Kaiser umringten, schwenkten ihre Käppis in der Luft und noch einmal erhob sich der schon lange nicht mehr gehörte Ruf:

»Es lebe der Kaiser!«

Einzelne der Fliehenden blieben stehen. Andere Gruppen, welche von La Ramarie her gedrängt wurden, schlossen 543 sich ihnen an. Die Generale Vaubert, Castelnau, Reille und der Prinz von Moskowa vereinigten sich mit den Offizieren der zurückgeschlagenen Truppen und formierten aus den Trümmern der zurückgedrängten Bataillone eine Sturmkolonne.

»Vorwärts für Frankreich und für die Ehre der Armee!« rief der Kaiser, und mit gefälltem Bajonett drang diese Kolonne gegen Balan vor.

Ein mörderisches Feuer der bayerischen Truppen empfing sie und riß mächtige Lücken in ihre Reihen.

Aber unaufhaltsam stürmten die Franzosen vorwärts, an deren Seite der Kaiser, den Degen in der Hand, vorritt.

Die Bewegung der Fliehenden stockte und viele derselben wandten sich um, der kleinen Schar folgend, welche die Spitzen ihrer Waffen unerschrocken den Feinden wieder entgegenstreckten.

Ein heißer Kampf entspann sich. Die deutschen Truppen, welche in rascher Verfolgung der zurückweichenden Franzosen noch nicht in genügender Zahl vorgedrungen waren, um die gewonnenen Positionen vollständig zu besetzen, zogen sich langsam zurück. Nach einiger Zeit waren die Kolonnen, welche sich aus den verschiedenen Truppenteilen um den Kaiser gebildet hatten, wieder in dem Besitz des Dorfes Balan. Einen Augenblick schwieg das Gewehrfeuer. Die stark gelichtete Schar der Franzosen hielt an, die Soldaten stützten sich auf ihre Gewehre, von der erschöpfenden Anstrengung ausruhend, und die Generale ritten an den Kaiser heran, um ihm Glück zu wünschen zu diesem ersten Schritt auf der Bahn des Sieges, die er unter seiner persönlichen Führung wieder geöffnet habe.

Die Erregung, welche während des Kampfes das Gesicht Napoleons bewegt hatte, verschwand wieder. Seine Augenlider senkten sich herab, ein trübes Lächeln spielte um seine Lippen und wie in heftigem körperlichen Schmerz zuckte er zusammen.

»Der Sieg!« sagte er mit mattem Ton, – »ich glaube nicht mehr daran, – was es noch zu retten gilt, das ist die Ehre der französischen Waffen und,« fügte er leise, den Kopf auf die Brust senkend, hinzu, »vielleicht ein würdiger Tod, der mich von allen diesen Leiden befreit.«

544 »Was haben Sie?« sagte er wieder aufblickend zu dem Prinzen von der Moskowa, der sich herabbeugte und seinen Fuß, den er eben aus dem Bügel gezogen, betastete.

»Es ist nichts, Sire,« erwiderte der General, »ein leichter Streifschuß hat meinen Fuß getroffen, – es ist keine ernste Verletzung.«

»Und für mich ist keine Kugel vorhanden!« sagte der Kaiser mit dumpfem Ton.

Dann versank er wieder in sein schweigendes Brüten, und die Hand mit dem Degen sank schlaff an seiner Seite herab.

Die Spitzen der bayerischen Kolonnen, welche sich hinter das Dorf Balan zurückgezogen hatten, rückten inzwischen langsam wieder heran. Dichte Truppenmassen folgten ihnen und ein scharfes, ununterbrochenes Gewehrfeuer richtete sich auf die vom heißen Kampf erschöpften Franzosen.

Aber sie schlossen abermals ihre Glieder und rückten mutig gegen die herandringenden Feinde vor, während der Kaiser unbeweglich an seinem Platz hielt.

Noch einmal entspann sich ein heißer Kampf, immer verheerender schlugen die feindlichen Kugeln in die französischen Linien und langsam begannen diese wieder zurückzuweichen.

Da rasselte von Sedan mit seinen dröhnenden Hufschlägen die Erde erschütternd, ein Kürassierregiment heran. Die französischen Reihen öffneten sich, um ihm den Weg freizumachen, und an dem Kaiser vorbei stürmten die Reiter vor gegen die herandringenden Bayern. Ein furchtbares Feuer empfing sie. Ein Augenblick unbeschreiblich wilden Getümmels trat ein.

In gespannter, ängstlicher Erwartung blickten die Generale vorwärts. Aber der furchtbare Stoß der Reiterschar brach sich wie die brandenden Wellen des Meeres an den Felsen des Ufers, – rückwärts sprengten die Kürassiere, um sich von neuem zu formieren.

Noch einmal versuchten die französischen Infanteristen, diese Trümmer der gesprengten Regimenter, gegen die Bayern vorzugehen, – aber immer neue Massen rückten heran. Immer schneller rollten die Salven, immer dichter 545 drang der Kugelregen ihnen entgegen. Zu gleicher Zeit begann ein furchtbares Artilleriefeuer von den Höhen über der Maas und an der Seite des Weges, – und reihenweise brachen die französischen Soldaten zusammen.

Da wendeten auch diese Truppen, welche das Äußerste für den Ruhm und die Ehre ihrer Waffen getan hatten, sich zum Rückzug, und schneller und schneller, mehr und mehr sich auflösend, drangen sie unter dem entsetzlichen Artilleriefeuer, das sich auf sie konzentrierte, auf dem Wege von Balan nach Sedan vorwärts.

Noch immer hielt der Kaiser den starren Blick auf die immer näher heranrückenden Bayern gerichtet.

Der General Reille ritt an ihn heran.

»Sire,« sagte er, »es ist unmöglich, hier noch etwas zu tun. Die Gefahr ist dringend und unmittelbar. Retten Sie sich.«

»Retten,« sagte er mit einem Lächeln voll bitterer Verzweiflung, das seinen Zügen einen schauerlichen Ausdruck gab, – »retten, wohin? – Das wäre meine Rettung, – die beste, die sicherste«, und er deutete mit der Spitze seines Degens auf einen Kürassier, der in Todeszuckungen, von Blut überströmt, sich unter seinem über ihn gestürzten Pferde am Boden wand.

Eine Granate fiel ganz in der Nähe nieder, sie zersprang, eine Staub- und Dampfwolke umhüllte einen Augenblick den Kaiser.

»Eure Majestät dürfen hier nicht bleiben,« rief der General Reille, »es ist nichts mehr zu tun und die Position ist verloren.«

Er ergriff das Pferd des Kaisers am Zügel und wandte dasselbe rückwärts.

Napoleon ließ es willenlos geschehen und folgte in langsamem Schritt den sich immer mehr auflösenden und immer schneller auf der Straße nach Sedan dahineilenden Kolonnen, während unter lautem Hurra die Bayern vorrückten und nach kurzer Zeit das Dorf Balan zum zweitenmal besetzten.

Als der Kaiser nach der Festung hinritt, ließ er seinen Blick über den weiten Umkreis des Schlachtfeldes streifen, 546 und was er sah, zeigte ihm, daß alles verloren sei und daß das plötzlich in so raschen Schlägen über ihn hereingebrochene Schicksal sich hier erfüllen sollte.

Enger und enger ward die Linie der französischen Aufstellung zusammengedrängt und rund um Sedan rollte der Donner der Geschütze. Die Flammen der brennenden Dörfer schlugen zum Himmel auf. Das wilde Tosen des Kampfes rückte näher und näher. Von allen Seiten wälzten sich die wilden Scharen der flüchtigen Truppen heran, ohne Ordnung, in wildem Durcheinander, verfolgt von den jubelnden Siegesrufen der deutschen Heere und auf ihrer Flucht zerschmettert von den Granaten, welche Tod und Verderben in ihre Reihen trugen.

Immer dichter wurde das Gewühl, je mehr man sich den Toren von Sedan näherte, und unmittelbar vor dem Tor war der Weg fast versperrt von der Menge der Soldaten aller Waffen, welche Schutz hinter den Mauern der Festung suchten.

Die Offiziere von der Umgebung des Kaisers ritten voran, die Hundertgarden versuchten einen Weg zu öffnen; aber lange waren ihre Bemühungen vergebens. Alle Bande der Disziplin waren gelöst. Es war keine Armee, es waren keine Soldaten mehr, was sich hier zusammendrängte. Es war ein wilder Knäuel verzweifelnder, halb rasender Menschen, welche Rettung suchten vor der Vernichtung, die von allen Seiten auf sie hereindrang.

Eine Zeitlang hielt der Kaiser vor dem Tor, umdrängt und langsam fortgeschoben von der flüchtigen Menge.

Finster und drohend ruhten auf ihm die Blicke dieser Soldaten, welche noch vor kurzem mit jubelndem Enthusiasmus seinem Wink gefolgt waren, – da erscholl ein Ruf aus der Menge:

»Nieder mit dem Kaiser! Nieder mit den Verrätern, die uns schlachten lassen!«

Ein schnelles Echo fand dieser Ruf rings umher und alle diese Soldaten mit den von Wut und Verzweiflung verzerrten Gesichtern riefen, die Hände emporstreckend und mit drohenden Gebärden herantretend:

»Nieder mit dem Kaiser! Nieder mit den Verrätern!«

547 Napoleon schien diese Rufe nicht zu hören. Er saß vorgebeugt auf seinem Pferde, schmerzlich zuckte sein Gesicht und seine bleichen Lippen preßten sich fest aufeinander.

Die Hundertgarden und die Generale der Umgebung schlossen sich enger um den Kaiser, und in die drängende Menge hineinsprengend, öffneten sie einen Weg durch das Festungstor, aber noch weithin schallten dem Kaiser die Drohungen und Verwünschungen dieser von allen Banden der Disziplin gelösten Soldaten nach.

Die Straßen von Sedan waren verändert. Überall sah man Haufen von flüchtigen Soldaten, vermischt mit den Einwohnern, welche angstvoll aus den Häusern hervorstürzten, durch deren Dächer die Granaten einschlugen, und welche noch lieber die feindlichen Geschosse unter freiem Himmel erwarten wollten, als in den Häusern, in denen die zerstörende Wirkung nur um so furchtbarer war. Verwundete und Sterbende lagen überall. Es war ein Bild der Zerstörung, des Grauens, des Entsetzens. Auch hier tönten aus den Gruppen der Soldaten und der Umherirrenden Rufe des Hasses und der Verwünschung dem Kaiser entgegen, aber in schnellem Trabe, von seiner Umgebung umringt, ritt er durch die Straßen weiter hin zum Platz vor der Mairie, auf welchem noch eine Abteilung in militärischer Ordnung aufgestellt war.

Der Kaiser hielt sein Pferd gerade unter der Statue Turennes an, und hier, zu den Füßen des großen Feldherrn, der die Heere Frankreichs so oft zu Siegen über Deutschland geführt hatte, der so viel deutsches Blut vergossen, so viel deutsche Erde verwüstet hatte, hielt der Kaiser fast eine halbe Stunde unbeweglich, starr und stumm, nur in körperlichen Schmerzen erbebend und zuckend, während die Geschosse der deutschen Batterien rings um ihn her einschlugen, während immer neue Flüchtlinge an die Festung herandrängten und während immer näher heran der jubelnde Hurraruf der deutschen Heere ertönte.

Da bahnte sich auf ermüdetem Pferde ein Adjutant des General Wimpffen, mit Staub bedeckt, das Gesicht von Pulverdampf geschwärzt, einen Weg bis zum Kaiser.

548 »Kapitän de St. Houenne mit einer dringenden Botschaft vom General Wimpffen, Sire,« sagte er, das Käppi erhebend.

Er zog einen kleinen, mit Bleistift beschriebenen Zettel aus seiner Uniform und überreichte denselben dem Kaiser.

Napoleon ergriff das Papier, wie aus einem Traum erwachend, erhob er dasselbe und las, während die ihn umgebenden Generale sich erwartungsvoll näherten:

»Sire, ich erteile dem General Lebrun den Befehl, einen Durchbruch in der Richtung nach Carrignan zu versuchen und lasse alle disponiblen Truppen folgen. Ich befehle dem General Ducrot, diese Bewegung zu unterstützen, und dem General Douai, den Rückzug zu decken. Gefällt es Eurer Majestät, sich in die Mitte dieser Truppen zu begeben, – sie werden eine Ehre darin suchen, Ihnen einen Ausgang zu öffnen.«

Der Kaiser faltete das Papier zusammen und blickte mechanisch, schweigend auf dasselbe nieder.

»Brechen wir auf, Sire,« sagte der General Reille, »das ist der letzte Weg zur Rettung.«

»Der General Wimpffen,« sprach der Adjutant, »läßt Eure Majestät dringend bitten, seinen Vorschlag anzunehmen. Er glaubt des Erfolges gewiß zu sein und Eure Majestät werden in einigen Stunden in Sicherheit sein.«

Der Kaiser sah mit einem matten Blick die ihn umgebenden Generale an, dann richtete er sich ein wenig im Sattel empor und sprach mit einer vor Erschöpfung leicht zitternden Stimme:

»Der Vorschlag des Generals kann Frankreich und die Armee nicht retten. Wegen meiner Person will ich so viele Menschenleben nicht opfern. Sagen Sie dem General, daß er weiter keine Rücksichten auf mich nehmen soll.«

»Sire,« rief der Adjutant, »ich bitte Eure Majestät –«

»Bringen Sie dem General meine Antwort,« sagte Napoleon mit festem Ton, »sie ist unabänderlich, – es ist aus, – ich will absteigen«, sprach er leise.

Dann wandte er sein Pferd und ritt vor das Eingangstor der Mairie. Mühsam stieg er ab, während einer der Hundertgarden den Bügel hielt. Dann nahm er den Arm 549 des Generals Reille und stieg ganz schwankend und zitternd vor Ermüdung die Treppe hinauf.

»So kehre ich also doch noch in diese Räume zurück,« sagte er, in sein Zimmer eintretend, »und keine feindliche Kugel hat den Weg zu diesem Herzen gefunden, das so müde – so müde ist und so gern zu schlagen aufhören möchte.«

Er sank gebrochen in einen Lehnstuhl zusammen und sagte mit einem Ton, der röchelnd aus seiner Brust hervordrang:

»Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Meine Kraft ist zu Ende! Ich muß Ruhe haben um jeden Preis. Lassen Sie mich einen Augenblick allein, damit meine erschöpfte Natur sich wieder sammeln kann und ich die Fähigkeit des Denkens wiedergewinne.«

General Reille ging hinaus und der Kaiser blieb einsam in seinem Zimmer, während rings um ihn her immer lauter, immer gewaltiger, immer erschütternder der Kampf tobte und näher und näher an die Mauern von Sedan heranrückte.

Nach einer Stunde meldete der General Castelnau dem Kaiser, daß die Kommandanten der verschiedenen Korps, welche unmittelbar an die Mauern von Sedan herangedrückt und in die Gräben der Festung geworfen waren, den Kaiser zu sprechen verlangten.

Napoleon erhob sich, ein wenig gestärkt und erfrischt durch die kurze Zeit der einsamen Ruhe und trat ernst und kalt den Generalen entgegen, welche mit düsteren Mienen, in bestäubten und zerrissenen Uniformen vor ihm erschienen und ihm die Unmöglichkeit, den Kampf länger fortzuführen, auseinandersetzten.

Man versuchte, einen Offizier zum General von Wimpffen zu senden, welcher, wie gemeldet war, mit einigen tausend Mann den verzweifelten Versuch eines Durchbruchs nach Carrignan hin erfolglos unternommen hatte.

Aber nach kurzer Zeit schon kehrte der Offizier mit der Meldung zurück, daß es ihm unmöglich sei, bei der allgemeinen Verwirrung, die in und um Sedan herrsche, zu dem General durchzudringen.

Da befahl Napoleon dem General Lauriston, die weiße Fahne auf der Zitadelle aufzuziehen.

550 Ernst und traurig entfernte sich der General. Und kurze Zeit darauf schwieg plötzlich wie durch einen Zauberschlag ringsumher der betäubende Lärm des Kanonendonners.

Der Kaiser atmete auf, wie von einer schweren Last befreit. Die Korpskommandanten zogen sich zurück, um die Trümmer ihrer Truppen so gut als möglich zu ordnen.

Napoleon trat an seinen Schreibtisch, und nachdem er längere Zeit, den Kopf in die Hand gestützt, sinnend dagesessen, schrieb er einige Zeilen auf einen Bogen Papier. Mehrere Male überlas er das Geschriebene, dann setzte er seinen Namen darunter, faltete das Papier zusammen, tat es in eine Enveloppe und setzte mit raschen Zügen die Adresse darauf:

»A Sa majesté le roi de Prusse.«

Der General Reille trat ein.

»Ein preußischer Parlamentär, Sire«, meldete er.

Napoleon winkte mit der Hand, und im nächsten Augenblick führte der General einen Offizier in der Oberstleutnantsuniform des großen preußischen Generalstabs in das Zimmer des Kaisers.

Der Offizier blickte erstaunt und befremdet auf die gebrochene Gestalt des Kaisers, der sich mit der Hand auf den Sessel vor seinem Schreibtisch stützte. Dann trat er in dienstlicher Haltung zu dem Kaiser heran und sagte in französischer Sprache:

»Sire, Seine Majestät der König, mein allergnädigster Herr, sendet mich hierher mit dem Auftrage, die Festung und die Armee zur sofortigen Kapitulation aufzufordern.«

Der Kaiser neigte mit ruhiger Höflichkeit den Kopf und erwiderte:

»Ich führe nicht das Kommando über die Armee und werde den General von Wimpffen beauftragen, über die Kapitulation, welche notwendig geworden ist, zu verhandeln. Melden Sie dies Seiner Majestät dem Könige von Preußen und sagen Sie demselben, daß ich sogleich einen meiner Offiziere mit einem Brief an Seine Majestät senden werde, der das Nähere enthalten wird. Ich hätte gewünscht, mein Herr,« fügte er verbindlich hinzu, »bei einer weniger ernsten und verhängnisvollen Gelegenheit Ihre Bekanntschaft zu machen. Ihr Name, wenn ich bitten darf?«

551 »Bronsart von Schellendorf,« erwiderte der preußische Offizier im Ton dienstlicher Meldung, »Oberstleutnant vom großen Generalstab Seiner Majestät des Königs von Preußen.«

Der Kaiser dankte mit einer höflichen Neigung des Kopfes.

Der Oberstleutnant grüßte militärisch und verließ, vom General Reille begleitet, das Zimmer.

Der Kaiser ging einige Male sinnend auf und nieder, dann öffnete er selbst die Tür zum Vorzimmer und rief den General Reille zurück.

»Ich habe Ihnen eine traurige Botschaft zu erteilen, mein lieber General«, sagte er. »Hier ist ein Brief an den König von Preußen, den Sie sogleich überbringen sollen. Sie sind Seiner Majestät persönlich bekannt und der König hat Ihnen bei seinem Besuch in Paris sein besonderes Wohlwollen geschenkt. Sie werden einer freundlichen Aufnahme gewiß sein.«

Er reichte dem General den Brief, den er vorher geschrieben. Dieser empfing das Papier mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer und schritt schweigend hinaus.

Unmittelbar darauf wurde die Tür des Vorzimmers schnell geöffnet und der General von Wimpffen, die Tür hinter sich offen lassend, trat in heftiger, zitternder Erregung ein. Die Adjutanten des Kaisers folgten.

»Sire,« rief der General, »Eure Majestät haben die weiße Fahne aufziehen lassen? Eure Majestät wollen kapitulieren?«

Der Kaiser trat zum General hin, blickte ihn ruhig und freundlich an und ergriff seine Hand.

»Das Glück ist gegen uns gewesen, mein lieber General,« sagte er, »die aufopfernde Tapferkeit der Armee war vergebens. Ein weiteres Fortsetzen des Kampfes wäre ein Verbrechen, ein unnützes Opfer so vieler Menschenleben, ein Opfer, das wir nicht verantworten können.«

»Aber, Sire,« rief der General, »die Ehre der französischen Waffen, meine militärische Ehre, die ich während meiner langen Dienstzeit unverletzt und rein erhalten habe –«

»Die Ehre der französischen Waffen«, fiel der Kaiser ein, »ist ruhmvoll aus diesem Kampf hervorgegangen. Ich bin überzeugt, daß unsere Gegner die ersten sein werden, 552 welche die Tapferkeit und den Mut unserer Truppen anerkennen, und Sie, mein lieber General, haben bis zum letzten Augenblick mit Selbstverleugnung und Hingebung Ihre Pflicht getan. Ihr Unglück wird überall achtungsvolle Teilnahme, aber keine Verurteilung finden.«

»Oh, Sire, Sire!« rief der General, indem er zusammenbrechend auf einen Stuhl niedersank und sein Gesicht mit den Händen bedeckte, »bedenken Sie den Schmerz, welcher mein altes Soldatenherz zerreißen muß, daß ich nach so langer, ehrenvoller Laufbahn gerade hierher habe kommen müssen, um die Schmach dieses Tages unauslöschlich an meinen Namen zu heften.«

Der Kaiser trat zu ihm und legte sanft die Hand auf seine Schulter.

»Seien Sie ruhig, mein lieber General, der König von Preußen wird Ihnen und der Armee seine Anerkennung nicht versagen und Ihre Ehre wird durch diese Kapitulation nicht gekränkt werden. Ich habe den General Reille abgesandt, um mich persönlich gefangen zu geben, ich hoffe, daß durch dieses Opfer meiner Person die möglichst günstigsten Bedingungen werden erreicht werden.«

»Sire,« sagte der General aufstehend, »wenn die Kapitulation notwendig ist, so bitte ich Eure Majestät um die einzige Gnade, meinen Namen unter dieselbe nicht setzen zu dürfen. Ich bitte Sie, Sire, wenn ich mir je einen Anspruch auf Ihre Anerkennung erworben habe, geben Sie mir meine Entlassung. Lassen Sie mich das unglückselige Kommando niederlegen, welches ein unglückliches Verhängnis in meine Hände gelegt hat.«

»Aber bedenken Sie, mein lieber General –« sagte der Kaiser.

»Ich kann nichts bedenken, Sire«, rief der General Wimpffen mit bebender Stimme. »Ich kann nur den überwältigenden, zerschmetternden Schmerz empfinden, ein solches Ende meiner militärischen Karriere vor mir zu sehen. Ich bitte Eure Majestät, geben Sie mir meine Entlassung.«

Und ehe der Kaiser antworten konnte, hatte der General schwankenden Schrittes, die Hand an seine Stirn drückend, das Zimmer verlassen.

553 »Der arme, brave Mann,« sagte der Kaiser, ihm mit tiefer Bewegung nachblickend; »ist es nicht genug an meinen eigenen Leiden? Muß ich auch noch den Schmerz der treuen Diener sehen, welche ich in mein verhängnisvolles Schicksal mit fortgerissen habe?«

Dann trat er zu seinem Schreibtisch und warf schnell einige Zeilen auf ein Papier.

»Bringen Sie dies dem General«, sagte er zu dem General Castelnau. »Er wird ruhiger werden und die französische Nation und Geschichte wird ihm dieselbe Anerkennung gewähren, die ich ihm auszusprechen schuldig bin.«

In tiefer Bewegung ging der General Castelnau fort, um den General Wimpffen aufzusuchen und ihm das Billet des Kaisers zu bringen.

Der Kaiser entließ seine Adjutanten und befahl seinem Kammerdiener, den Doktor Conneau zu rufen.

»Der Vorhang sinkt nieder,« sagte er, starr vor sich hinblickend, – »ein Akt dieses großen Dramas ist aus, – wird der Vorhang sich wieder erheben? Wird ein zweiter Akt folgen? – – ›Plaudite!‹ riefen die alten Tragöden dem versammelten Volk zu. – – Was soll ich sagen?«

Lange stand er schweigend da, die Arme herabgesunken, den Kopf auf die Brust gebeugt.

»Doch eins werde ich noch haben,« rief er dann, tief aufatmend, »Ruhe und Stille. Und das ist jetzt die einzige Sehnsucht, welche meine Seele in der armen, zerbrochenen Hülle dieses Körpers noch empfinden kann.«

Ein fast glücklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht und freundlich sagte er zu dem eintretenden Arzt:

»Kommen Sie, Doktor, und helfen Sie dem armen Kranken, – der Kaiser wird Ihre Kur nicht mehr stören.«

 


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