Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Neuntes Kapitel

Pietro Barghili und Barbarino gingen, nachdem sie das kleine Haus in der Villa del Moro verlassen hatten, langsamen Schrittes durch die kleine Villa della Longarita, überschritten den Ponte Rotto, den alten Pons Aemilius und wendeten sich dann an dem Circo Massimo vorbei nach der alten Via Appia, welche man jetzt Via di Porta San Sebastiano nennt.

Sie schritten schweigend nebeneinander her, solange einzelne Vorübergehende ihnen in den belebteren Straßen begegneten, Pietro Barghili ernst und feierlich in würdevoller Haltung, Barbarino leichten, sorglosen, elastischen Schrittes wie ein Arbeiter, der nach Erledigung seiner kleinen Geschäfte in Rom nach seiner Heimat in den umliegenden Ortschaften zurückkehrt. Als sie die belebteren Teile der Stadt verlassen hatten und nun auf der um diese Zeit fast einsamen Villa Appia einherschritten, verschwand der Ausdruck von Heiterkeit und Sorglosigkeit aus der Haltung und den Zügen Barbarinos, er faßte den Stock, in welchem der dreispitzige Dolch verborgen war, fest, und seine dunklen Augen funkelten in phosphoreszierendem Leuchten spähend durch die Dunkelheit, welche nur durch den Glanz der am nächtlichen Himmel heraufgestiegenen Sterne erhellt wurde.

182 Auch Pietro Barghili senkte seine Hand in die Tasche seines Wamses, in welche er vorher das große und breite Messer gesteckt hatte, und warf aufmerksame Blicke in das Dunkel, welches die Weinberge zur Seite der Straße einhüllte.

»Wohin führst du mich?« fragte Pietro Barghili seinen stummen Begleiter, »und was ist im Werk?«

»Du wirst es hören,« erwiderte Barbarino, »der Meister hat uns gerufen, wir gehen nach den Thermen des Caracalla. Näheres kann ich dir nicht sagen, es könnte uns jemand hören – auch ist mir mehr nicht erlaubt. Doch sieh', was ist dort?« rief er plötzlich, »es glänzt in der Dunkelheit wie Waffen. Sollten wir verraten sein?«

Mit leicht zögernden Schritten gingen beide in der Dunkelheit weiter. Einige Augenblicke später trat ihnen ein Gendarm entgegen im Dienstanzug und bewaffnet.

»Wohin geht ihr?« fragte er kurz und streng.

»Nach unserem Hause vor der Porta San Sebastiano«, erwiderte Barbarino mit demütigem Ton, indem er sich zugleich ganz nahe an Pietro Barghili stellte und unter dem Schatten seines Mantels den Dolch ein wenig aus seinem Stock herauszog.

»Euer Name?« fragte der Gendarm mit strengem, kurzem Ton.

»Barbarino Falcone«, erwiderte der junge Mann mit einer Stimme, aus welcher bereits eine leichte Ungeduld über die gestellten Fragen hervorklang. »Und warum fragt Ihr uns, Herr, da wir doch ruhig unseres Weges gehen und Eile haben, nach Hause zu kommen?«

»Ich frage,« erwiderte der Gendarm, »um den Weg freizuhalten von den Feinden der Gesellschaft der Rächer. Für Barbarino Falcone ist der Weg offen.«

Bei diesen Worten erhob er die Hand und machte mit derselben nahe vor den Augen Barbarinos ein Zeichen, indem er zwei Finger der Hand lang ausstreckte, dann wieder schnell in die innere Handfläche zurückzog.

Ganz erstaunt bog sich Barbarino ein wenig vor, um in das Gesicht des Gendarmen zu blicken.

»Mein Gott, Giuseppe,« rief er, »du hier in dieser Uniform, mit diesem Bart, der dich fast unkenntlich macht?«

183 »Still!« sagte der Gendarm, den Finger auf den Mund legend, »still, ich halte hier Wache, um alle Unberufenen fernzuhalten, in dieser Verkleidung wird mir das leicht. Noch drei andere sind weiter unterhalb stationiert. Es ist für niemand möglich, sich der Versammlung zu nähern.«

»Aber, mein Gott,« sagte Barbarino, noch immer ganz verwundert, »wenn nun ein wirklicher Gendarm kommt?«

»Der Meister hat uns die Losung gegeben,« erwiderte Giuseppe, »und wenn das nicht genügen sollte – nun, um so schlimmer für den, der uns in den Weg tritt – mein Karabiner ist scharf geladen. Ihr wißt den Weg?« fragte er dann.

»Ganz genau,« erwiderte Barbarino, »wir werden nicht fehlen.«

»Ihr müßt so weit wie möglich vor dem kleinen Tor abbiegen«, sagte er noch, während Barbarino und Pietro Barghili bereits rüstig weiter in der Dunkelheit hinausschritten.

Bald kamen sie an die Stelle, wo die Straße von der Marrana durchschnitten wird, diesem Gewässer, das von Albalonga her nach Rom hinfließt, und an dessen Ufer einst die Grotte der Egeria lag.

Nachdem sie noch einige Schritte getan, wandten sie sich vor der Villa Antonina, welche zu dem Eingang in die kolossalen Ruinen des Caracalla führt, rechts von der Straße ab, und schritten über die Äcker und Weinberge neben den gewaltigen Steinmassen der riesenhaften Ruinen nach deren hinteren Teilen zu; da, wo die alten Mauerüberreste des Servius Tullius sich gegen den Rundausbau der Caracallathermen hin erstreckten, wandte sich Barbarino zu einem großen Haufen mächtiger Blöcke und Steine, und voranschreitend begann er leicht und sicher über die unregelmäßig übereinandergestürzten Mauerreste zu steigen. Mit jugendlicher Gewandtheit und Geschicklichkeit folgte ihm Pietro Barghili. Nachdem sie einige Augenblicke über Geröll und große Steinblöcke geklettert waren, öffnete sich eine nicht zu große Höhle von ungefähr zwanzig Fuß Tiefe, welche in schwarzer Finsternis vor ihnen lag und aus deren Innerem ein dumpfes Gewirr von Stimmen herauftönte.

184 Ein steil abfallendes Mauerstück schien den Zugang zu dieser Höhlung unmöglich zu machen.

Barbarino beugte den Kopf über die dunkle Tiefe, hielt den Finger an seine Lippen und ließ in bestimmten Intervallen einen leisen, pfeifenden Ton hören, welchen man in der Stille der Nacht für den Schrei eines aus seinem Schlaf aufgeschreckten Vogels halten konnte.

Eine tiefe Stimme ertönte von unten herauf:

»Wer begehrt Zutritt zu der Gesellschaft der Rächer?«

»Barbarino Falcone«, erwiderte der junge Mann, indem er den Kopf über die Öffnung beugte und aus seinen beiden Händen eine Art Sprachrohr bildete, »und Pietro Barghili.«

»Wie heißt das Losungswort?« erwiderte die Stimme von unten.

»Tod den Priestern und Tyrannen!« erwiderte Barbarino in gleicher Weise wie vorher.

»Die Brüder erwarten euch«, antwortete es abermals von unten herauf.

»Folge mir,« sprach Barbarino zu Pietro Barghili, »ich will deinen Fuß führen.«

Und indem er sich mit dem Arm auf den Rand der Öffnung stützte, ließ er sich hinabgleiten und trat in die regelmäßig angebrachten Einschnitte der steilen Mauer. Pietro Barghili folgte ihm, und indem Barbarino sich mit der einen Hand in den Einschnitten festhielt, führte er mit der anderen den Fuß Pietros in dieselben Einschnitte ein. Auf diese Weise stiegen beide die gerade abfallende Mauer hinab und befanden sich bald in der Tiefe der Höhlung.

Im ersten Augenblicke erlaubte die Dunkelheit nicht, irgend etwas zu sehen. Bald aber erkannten Pietro und Barbarino eine Anzahl von Männern, welche ringsum teils in ihre Mäntel gehüllt auf der Erde lagen, teils auf abgefallenen Steinblöcken saßen und ihrem Äußern nach wie Barbarino sämtlich Arbeiter aus der Umgegend Roms zu sein schienen. In der tiefen Dunkelheit waren nur die Umrisse der Gestalten zu erkennen, von den Gesichtern sah man nichts und nur hier und da funkelte ein Blick, ähnlich dem eines Raubtiers, in grünem Glanz durch die Nacht.

185 Nachdem Barbarino und Pietro in die Höhle hinabgestiegen waren, richtete sich eine dunkle Gestalt an der einen Seite der Rundung empor und stieg auf einen hohen, viereckigen Steinblock.

»Sind alle versammelt,« sprach diese von der schwarzen Mauer sich kaum abhebende Gestalt, »welche berufen waren, an dieser Versammlung der auserwählten Führer der Gesellschaft der Rächer teilzunehmen?«

Eine kleine Blendlaterne, welche diese dunkle Gestalt unter ihrem Mantel hervorzog, öffnete sich urplötzlich und warf ihren grellen Schein über die in der Grotte befindlichen Gestalten, welche für einige Sekunden aus der schwarzen Dunkelheit hervortraten, um dann ebenso schnell wieder zu verschwinden.

Es mochten ungefähr fünfzehn Männer hier versammelt sein. Man sah unter ihnen wilde, bärtige, wettergebräunte Gesichter, man sah die weichen Züge schwärmerischer Jünglinge mit Augen, aus denen die Glut des Fanatismus leuchtete, man sah aber auch fein geschnittene, kalte, vornehme, ruhige Gesichter, die nicht zu der Tracht zu passen schienen, welche sie einhüllte, und welchen man eher in den Sälen der geistlichen und weltlichen Fürsten Roms begegnen zu sollen geglaubt hätte.

Bei dieser raschen Inspektion der Versammlung blieb das Gesicht desjenigen, welcher die kleine Blendlaterne in seiner Hand hielt, im Dunkeln, und man konnte nur unter einem großen schlaffen Hut von schwarzem Filz scharfe, stechende Augen und einen starken, ergrauenden Vollbart entdecken.

Das Licht der Blendlaterne, welches schnell im Kreise umherlief, haftete einige Augenblicke länger als sonst an einem Manne, welcher dem Leiter der Versammlung gegenüber auf einem niedrigen Steinblock zusammengekauert saß und ganz in einen dunklen Mantel gehüllt war, der auch den unteren Teil seines bleichen, bartlosen Gesichts verdeckte, während dessen Stirn von einem niedrigen, tief herabgezogenen Hut beschattet war. Als das Licht der Laterne auf ihm ruhte, machte dieser Mann eine Bewegung, als wolle er sich dem hellen Strahl entziehen, und senkte sein 186 Gesicht noch tiefer in die Falten des um den Hals hoch hinauf gezogenen Mantels. Als die Laterne mit ihrem Lichtkreis jeden Winkel der Höhlung und jede Gestalt in derselben beleuchtet hatte, verschloß sich dieselbe ebenso plötzlich als sie geöffnet worden war, und verschwand in den Falten des Mantels des Mannes auf dem erhöhten Stein.

»Meine Brüder,« sprach dann dieselbe tiefe, klare und volltönende Stimme, »ich habe euch hierher gerufen in einer hochernsten und wichtigen Sache, um eure Mitwirkung in Anspruch zu nehmen und euch einen Plan mitzuteilen, welcher unsere große, heilige Sache mit einem Schlage weit hinaus fördert.«

Eine tiefe Stille herrschte in der Grotte, man hätte das Geräusch eines fallenden Blattes hören können.

»Bevor ich euch aber diesen Plan mitteile,« fuhr die Stimme fort, »habe ich euch eine andere ernste und traurige Eröffnung zu machen. Es hat sich in unsere Gesellschaft, welche der Befreiung des Vaterlandes, der Befreiung der ganzen Menschheit von den Fesseln der Priester und der Tyrannen geweiht ist, ein Verräter eingeschlichen.«

Man hörte, wie in einem einzigen tiefen Atemzug, einen Hauch des Entsetzens, des Abscheus durch die ganze Versammlung ziehen.

»Es hat sich«, fuhr der Redner fort, »ein Mann in unseren Bund gedrängt, welcher durch schimpflichen und niedrigen Betrug, durch nichtswürdige Heuchelei und Verstellung sich unser Vertrauen zu erschleichen gewußt hat, und welcher dann sich nicht gescheut hat, hinzugehen und das, was er von uns, unseren Plänen und unseren Unternehmungen erfahren, den Dienern jenes unversöhnlichen Feindes der Freiheit zu verraten, welcher Priester und König zugleich ist und die Körper wie die Seelen der Menschen in Fesseln zu schlagen trachtet. Die Verräterei dieses Mannes ist nur deshalb zum Teil unschädlich geblieben, weil er die wahren Namen vieler unserer Brüder nicht weiß und weil diejenigen, deren Namen er kennt, den Schergen der Tyrannei nicht leicht zugänglich sind. Aber dieser Mann, meine Brüder, ist auch heute unter uns. Er hat es verstanden, 187 sich einen Platz unter den Vertrautesten und Eingeweihtesten zu erwerben. Er befindet sich hier in unserer Mitte, um von hieraus hinzugehen, unser Geheimnis der päpstlichen Polizei zu verraten und uns alle dem finsteren Kerker der Tyrannei zu überliefern.«

Ein Ruf tiefer Entrüstung ließ sich aus allen Teilen der Grotte vernehmen. Mehrere der dunklen Gestalten erhoben sich und traten näher zu dem Sprechenden heran.

Unter ihnen war Barbarino, der, dicht an den viereckigen Steinblock herantretend, mit einer vor Aufregung bebenden Stimme fragte:

»Und wer ist der Verräter? Ist sein Verbrechen erwiesen?«

»Wer ist der Verräter?« hörte man mit dumpfem Ton von mehreren Seiten her fragen, während zugleich das matte Leuchten entblößter Stahlklingen durch die Nacht schimmerte.

»Ihr fragt, ob das Verbrechen erwiesen ist, meine Brüder?« fuhr die dunkle Gestalt auf dem Steinblock fort, »es ist erwiesen, ich selbst habe den Verräter in den Palast des Santo Offizio gehen sehen und weiß, daß er noch gestern eine lange Audienz bei dem Kardinal Monaco gehabt hat. Ihr kennt mich alle, ich beschwöre, was ich sage, bei dem heiligen Namen der Freiheit. Ich frage euch, ob ihr meinen Worten glaubt, ob ihr mein Zeugnis als wahr und gültig annehmen wollt?«

»Wir glauben dem Meister!«

»Sein Wort ist die Wahrheit«, rief Barbarino.

»Sein Wort ist die Wahrheit«, tönte es ringsum aus dem Kreise.

»Nun denn, meine Brüder,« fuhr der Redner fort, »welche Strafe verdient der Verrat an der heiligen Sache der Freiheit der Menschen?«

»Den Tod!« rief Barbarino.

»Den Tod!« ertönte es dumpf und schaurig ringsum.

»Ihr habt es gesagt,« antwortete die Gestalt auf dem Stein, »der Verräter ist dem Tode verfallen, zur Strafe für sein Verbrechen, zur Sicherheit für uns und für das große Ziel, dem wir unser Leben geweiht. Nachdem ihr euer 188 Urteil gesprochen, beauftrage ich hier unsern Bruder Barbarino Falcone mit dessen Vollstreckung.«

Barbarino neigte schweigend das Haupt.

»Und wer ist der Schuldige?« fragte er.

»Wer ist der Schuldige, wer ist der Verräter?« wiederholten die anderen seine Frage.

Der Mann auf dem Stein zog seine Blendlaterne hervor. Indem er sie plötzlich öffnete, fiel ihr greller Schein auf den ihm gegenüber sitzenden Mann, welcher noch tiefer als vorhin in seinen Mantel sich gehüllt hatte, dessen Gesicht in dem zitternden, scharfen Lichtstrahl geisterhaft bleich erschien und dessen Augen starr und angstvoll aus dem hellen Kreise, der sie beleuchtete, ringsumher starrten.

»Luigi Nazarri ist der Verräter, der es gewagt hat, hier unter uns zu erscheinen, um uns alle dem finsteren Kerker der Inquisition und dem Beil des Henkers auszuliefern.«

Wie von einer Feder bewegt, schnellte die zusammengekauerte Gestalt des von der Blendlaterne grell beleuchteten Mannes bei diesen Worten empor. Sein weiter Mantel fiel von den Schultern herab und ließ einen einfachen schwarzen, städtischen Anzug erkennen. Seine Lippen bebten, seine Zuge verzerrten sich konvulsivisch, seine Augen öffneten sich so weit, daß das volle Rund der dunklen Pupille auf der weißen Fläche erschien. Er streckte die Hände wie abwehrend aus und rief mit einer heisern, von Angst und Entsetzen entstellten Stimme:

»Es ist nicht wahr, ich habe euch nicht verraten. Ich verlange Gehör, ich verlange das Recht der Verteidigung.«

»Ihr habt mein Zeugnis gehört und als wahr angenommen«, sagte der Mann auf dem Stein kalt und ruhig. »Ihr habt euer Urteil gesprochen. Barbarino, tue deine Pflicht!«

»Das ist kein Gericht«, rief Luigi Nazarri mit kreischendem Ton. »Ich verlange Gehör, ich verlange Verteidigung. Das ist Mord, niederträchtiger, feiger Mord!«

Und mit einer raschen Bewegung sprang er zur Seite, um sich dem Lichtkreis der noch immer auf ihn gerichteten Laterne zu entziehen. Aber schon hatten zwei der 189 Nächststehenden ihn ergriffen, im nächsten Augenblick rissen sie ihn zu Boden. Der Griff einer eisernen Hand umspannte seinen Hals, so daß der Versuch zu schreien, nur ein dumpfes und kaum hörbares Röcheln ertönen ließ.

Barbarino hatte die lange Dolchklinge aus seinem Stock hervorgezogen, in zwei Schritten war er bei dem Unglücklichen, der, trotz verzweifelter Versuche, sich loszureißen, am Boden festgehalten wurde, während der Strahl der Laterne sein gräßlich entstelltes, schaumbedecktes Gesicht und die fast aus ihren Höhlen hervortretenden Augen beleuchtete.

Einen Augenblick funkelte der Stahl hell auf in dem scharfen Licht, dann senkte er sich, rasch und sicher geführt, in seiner ganzen Länge tief in die Brust des verurteilten Opfers, so daß seine Spitze unter demselben in den steinigen Boden drang.

Aus dem zusammengeschnürten Halse des Getroffenen drang ein furchtbarer, entsetzlicher Ton. Man hörte die zischenden Laute eines Fluches, dann schoß ein Blutstrom aus den geöffneten Lippen hervor. Der Körper bäumte sich trotz der ihn niederhaltenden Männer hoch empor, die Arme richteten sich mit geballten Fäusten aufwärts – noch ein langer, zischender Atemzug – die krampfhaft gezogenen Glieder senkten sich und streckten sich lang auf der Erde aus – es war vorbei. Der Stahl hatte gut und sicher getroffen.

Barbarino zog seinen Dolch aus dem Leichnam, reinigte die Klinge an dem auf der Erde liegenden Mantel des Toten, und trat dann ruhig und kalt zu dem auf dem erhöhten Stein stehenden Mann hin, welcher unbeweglich und schweigend die ganze Szene mitangesehen hatte.

»Das Urteil ist vollstreckt, Meister,« sagte Barbarino, »der Verräter hat seinen Lohn und wird uns nicht mehr schaden.«

Der Mann auf dem Stein schloß seine Laterne und alles versank wieder in Dunkelheit. Die Nächststehenden legten den Leichnam des Verurteilten in eine Ecke der Höhle und bedeckten ihn mit seinem Mantel.

Der Mann auf dem Stein sprach mit seiner ruhigen Stimme:

»Nachdem nun, meine Brüder, die Gefahr des Verrats beseitigt ist und der Verräter geendet hat, wie alle 190 Verräter unserer heiligen Sache endigen mögen, will ich euch mitteilen, weshalb ich euch hier zu dieser nächtlichen Stunde zusammenberufen. Tretet näher zu mir heran, damit auch der Hauch des Windes nicht vernehme, was ich euch zu sagen habe.«

Die dunklen Gestalten traten ganz nahe zu dem Sprechenden, und ihre Augen blitzten durch die Finsternis in Spannung und Erregung.

»Ihr wißt alle,« sprach der, welchen die anderen als ihren Meister bezeichneten, »daß in kurzem der Papst hier um seinen Thron alle Kirchenfürsten und Bischöfe der ganzen Welt versammeln wird, um mit diesen obersten Helfershelfern der geistlichen und weltlichen Tyrannei neue Mittel zu ersinnen, durch welche die Freiheit gebrochen, die Geister geknechtet und die Völker in Dummheit und Sklaverei erhalten werden sollen. Damit,« fuhr er in dumpfem Ton fort, »ist die ganze Maschine, durch welche die Päpste so lange alle Völker der Erde in Nacht und Dunkel zu erhalten bemüht waren, in unsere Hände gegeben. Wenn es gelingen kann, mit einem Schlage alle diese Führer und Leiter jener über den Erdkreis verbreiteten geistigen Polizeigewalt, welche sich die Kirche Gottes nennt, zu vernichten, so wird diese Gewalt zerstört sein. Die kleinen Priester, ohne Leitung, befreit von der Furcht, werden machtlos sein wie einzelne Maschen eines Netzes, dessen verbindenden Knoten man zerschnitten, und die Völker werden, befreit von den irreleitenden und verdunkelnden Einflüssen, schnell den Weg zur geistigen Freiheit zu finden wissen.«

Er hielt einen Augenblick an.

»Aber wie?« hörte man fragen. »Es sind ihrer zu viele, unsere Dolche werden nicht ausreichen.«

»Hört an,« sprach der Mann auf dem Stein weiter, »hört an, was ich ersonnen: Für die Versammlung des Konzils ist die Aula im Vatikan bestimmt, weil der Papst,« fuhr er in höhnischem Lachen fort, »glaubt, daß die Ausströmung des Grabes St. Peters die versammelten Prälaten mit guten Gedanken zur Knechtung und Verfinsterung der Geister erfüllen wird. In dieser Aula werden also alle, Erzbischöfe und Bischöfe, versammelt sein, und wenige 191 Fässer Pulver werden genügen, um diese ganze Gesellschaft mit einem Schlage in Atome zu zersprengen. Die Herren werden sich nicht beklagen können, die Kirche hat so viele Ketzer langsam verbrannt und zu Tode gemartert, daß dieses schnelle und einfache Verfahren nur als eine sehr milde und nachsichtige Vergeltung erscheint, welches eigentlich kaum mit unserem Ziele der Rache für tausendjährige Folter des freien Menschengeistes zusammenstimmt. Hört nun weiter,« fuhr er dann fort, nachdem die unruhige Bewegung, welche seine Worte unter den Versammelten hervorgerufen, sich gelegt, »es kommt vor allem darauf an, von welcher Stelle unter der Aula die Sprengung am wirksamsten erfolgen kann und wie es möglich gemacht werde, die Pulvervorräte unbemerkt in die Gewölbe zu schaffen. Die Aula soll jetzt für die Beratung des Konzils instand gesetzt werden, und es werden in der nächsten Zeit Arbeiter aller Art in derselben tätig sein. Es ist nun eure Aufgabe, euch als Maurer und als Bauhandwerker Beschäftigung bei diesen Arbeiten und dadurch ungehinderten Zutritt in die Aula zu allen Zeiten zu verschaffen. Diejenigen von euch, welche dazu keine Gelegenheit finden sollten, würden als Mönche der verschiedenen Orden, am besten als Kapuziner, versuchen, in die Aula zu gelangen, was während der Arbeiten nicht so sehr schwer sein kann; sie werden durch das Mönchsgewand gedeckt und unter dem Vorwand, sich an der Stätte des künftigen Konzils zu erbauen, sich so viel und so lange als möglich dort aufhalten und genaue Vermessungen aller Bauverhältnisse in der Aula vornehmen, zugleich auch erforschen, wie und an welcher Stelle man am leichtesten unbemerkt einen Zugang zu den Gewölben öffnen könnte. Zugleich werden sie die Abdrücke von den Schlössern der Türen nehmen und sich genau über den Weg versichern, auf dem es möglich sein könnte, nachts in die Aula zu gelangen: auch müssen sie erforschen, ob und wie viele Wachen dort aufgestellt werden. Alle diese Beobachtungen müssen so schnell als möglich genau und richtig gemacht werden. Sobald die Arbeiten einige Zeit gedauert haben, werde ich euch wieder zusammenrufen, um eure Berichte zu empfangen. Ich werde euch dann weitere Anweisungen erteilen 192 über das, was geschehen muß, um diese giftigen Wucherpflanzen der Kirche, welche wir bisher in ihren weitverzweigten Auswüchsen bekämpft haben, mit ihren tiefsten und festesten Wurzeln auszureißen. Ihr habt mich verstanden?«

»Vollkommen, Meister«, erwiderten alle.

»So denkt darüber nach,« sagte der Mann auf dem Stein »wie jeder von euch am besten seine Aufgabe erfüllen könne. Ich kann euch keine näheren Anweisungen geben. Ihr seid gewandt und ergeben. Ihr wißt, um was es sich handelt, und werdet die Wege zu finden wissen, auf welchen ihr das große Ziel am besten fördern könnt. Jetzt kein Wort weiter, wir müssen auseinandergehen. Es ist möglich, daß die Verräterei dieses Elenden uns die Polizei auf die Fersen gebracht hat. Wir dürfen hier nicht wieder zusammenkommen, wir werden auf der Straße einige der Unseren in Gendarmerieuniform verkleidet finden, sie werden euch ein Zeichen geben; – wenn eine Gefahr droht, so geht unter ihrem Schutz als ihre Arrestanten, so werdet ihr sicher nach der Stadt zurückkommen. Die Leiche des Verräters laßt hier liegen; wenn sie uns hier suchen sollten, so werden sie sehen, welcher Lohn des Verrats wartet. Und wenn sie ihn nicht finden,« sagte er mit grimmigem Ton, »so sei er den Raben verfallen. Jetzt schnell fort.«

Er zog noch einmal seine Blendlaterne hervor und beleuchtete die Stelle, an welcher in der Mauer die zum Herabsteigen bestimmten Einschnitte befindlich waren.

Die Versammelten stiegen einer nach dem anderen mit behender Geschicklichkeit hinauf.

»Ich gehe nach der Campagna,« sagte Barbarino zu Pietro, »und eher sollen sie des flüchtigen Windes Spur entdecken, als Barbarino Falcone einfangen. Lebt wohl, Pietro, tausend Grüße meiner Lorenza. In wenigen Tagen sollt ihr von mir hören. Ich denke meinen Weg in die Aula sicher zu finden.«

Er drückte Pietro Barghili die Hand, ließ ihn voransteigen und folgte ihm dann auf dem beschwerlichen Treppenwege, der aus der Höhle hinausführte.

Unmittelbar darauf verlöschte das Licht der Blendlaterne und auch derjenige, welcher diese düstere und 193 geheimnisvolle Versammlung geleitet hatte, stieg auf demselben Weg aus der Tiefe hervor.

Nach wenigen Augenblicken waren alle diese dunklen Gestalten in der Finsternis der Nacht verschwunden, und vom hohen Himmel herab blickten die Sterne in die Tiefe der Höhle, in deren Ecke starr und unbeweglich der Leichnam des Verurteilten lag.

Der Mann, welchen die Verschworenen als ihren Meister anerkannt hatten, schritt langsam an den Riesenmauern der Thermen des Caracalla entlang der Straße der Porta San Sebastiano zu.

Tief in seinen Mantel gehüllt hatte er einige Schritte auf dieser Straße gemacht, als eine Kalesche mit geschlossenem Verdeck, von zwei starken Pferden gezogen, langsam auf dem Wege nach der Stadt hin heranfuhr. Der Kutscher, in der Phantasielivrée der Wagenverleiher, hielt ohne einen merkbaren Ruck die Pferde an, der Mann im Mantel öffnete ebenso leise und unbemerkt den Schlag und verschwand im Innern des Wagens. Schnell trieb der Kutscher die Pferde an und nach kurzer Fahrt hielt der Wagen vor dem Albergo di Europa auf der Piazza di Spagna.

Der Portier eilte, den Schlag zu öffnen, – Signor Franzeschini kam selbst diensteifrig unter das von hellem Gaslicht beleuchtete Portal.

Aus dem Wagen stieg ein Mann, der dem Anschein nach etwa sechzig bis fünfundsechzig Jahre alt sein mochte. Sein gesund aussehendes, weiß und rotes Gesicht mit langer, gerader, scharf geschnittener Nase und feinem, weich gezeichnetem frischem Munde war umgeben von einem zur Seite herabhängenden grauen Backenbart. Dieser Mann trug ein äußerst sauberes und elegantes Kostüm von sogenannter Pfeffer- und Salzfarbe, ein Zylinderhut von feinem weißem Filz bedeckte seinen Kopf, und unter dem Rande dieses Hutes blickten geistvolle und scharf beobachtende, aber zugleich vornehm abwehrende und kalt phlegmatische Augen hervor.

Er ging langsam, aber mit kräftig elastischem Schritt dem Hotel zu.

»Morgen, zwei Stunden vor dem Diner«, sagte er in fremdländischem, etwas gutturalem Akzent dem Portier, 194 der diesen Befehl dem Kutscher wiederholte, und trat in das Tor des Hotels.

Mit leichtem Kopfnicken grüßte er den sich tief verneigenden Signor Franzeschini.

»Mylord haben Befehle?« fragte der dienstfertige Hotelier, indem er den Fremden bis zur Treppe in den ersten Stock begleitete, in ziemlich schlechtem Englisch.

»Meinen Tee und geröstete Toasts, wie gewöhnlich«, erwiderte dieser in jenem kurzen, kalten Ton der vornehmen Engländer.

Er stieg die Treppe hinauf und trat in eine Tür auf dem Korridor des ersten Stocks, welche ein alter Diener in schwarzem Frack und weißer Krawatte, der vor derselben wartend gesessen hatte, schnell aufstehend öffnete.

 


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