Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Fünftes Kapitel

In tiefe Gedanken versunken schritt der junge Graf Spangendorf, nachdem er den Palast del Santo Officio verlassen hatte, durch die lange gerade Via della Longoro an der Porta Septimiana vorbei und wendete sich dann vor der Via della Scala über die Piazza di San Maria in Trastevere nach der nahe am Ufer der Tiber gelegenen kleinen Via del Morohin. Fast am Ende dieser Straße lag ein kleines, unscheinbares Hans, augenscheinlich von armen 96 Leuten bewohnt. In der Mitte derselben befand sich die einfache und ziemlich niedrige Eingangstür, welche das Haus in zwei Hälften teilte, die von verschiedenen Insassen bewohnt zu sein schienen. Die beiden Fenster rechts von der Türe waren halb geöffnet, die Scheiben derselben waren trübe und ein schwaches Licht schien aus denselben hervor, Kinderstimmen, bald lachend, bald weinend, tönten auf die Straße hin – dazwischen eine tiefe Frauenstimme, – es mußte die Wohnung einer jener armen Familien sein, welche so zahlreich zwischen den stolzen Palästen der ewigen Stadt leben und ihre Kinder meist von früher Jugend an zu tätigen und gutgeschulten Mitgliedern der großen, wohlorganisierten Bettlerzunft erziehen.

Die andere Seite des Hauses bot einen wesentlich anderen Anblick dar. Hier befanden sich größere, helle und reine Scheiben in den Fenstern, welche weit geöffnet waren, so daß die zierlichen weißen Vorhänge im lauen Abendwinde sich bewegten. An dieser Seite lag ein von einer niedrigen Mauer eingefaßter Garten, zu welchem man über eine an der Gibelwand des Hauses befindliche kleine Veranda hinabstieg, die mit dichtgeranktem Weinlaub überdacht war. Der Garten war zierlich und sauber gehalten, sorgfältig gepflegte Blumen blühten auf kleinen Beeten, und von der Veranda her zog sich eine lange dunkle Laube von dichten Weinreben an der Seite hin, welche der Straße gegenüberlag. Ein hoher, mächtiger Plantanenbaum verbreitete in der äußersten Ecke des Gartenraums tiefdunklen Schatten über eine einfache hölzerne Bank, die sich an den Fuß seines Stammes lehnte.

Aus den weitgeöffneten Fenstern dieser Seite des Hauses strömte ein helles, weißes Licht auf die dunkle Straße hinaus und man konnte, wenn man auf der anderen Seite der Straße stand und auf die dort liegenden, etwas erhöhten Steine trat, ohne Hindernis das Innere des Zimmers übersehen.

Der viereckige Raum war sehr einfach, aber mit einer gewissen zierlichen und geschmackvollen Sauberkeit eingerichtet.

Graue Tapeten bekleideten die Wände, – den Fenstern gegenüber befanden sich zwei mit dunkeln Teppichportieren 97 verhängte Türen – in der Mitte hing über einem runden Tisch eine hübsch gearbeitete Bronzelampe herab, welche das Zimmer mit ihrem hellen, weißen Licht erfüllte.

Auf dem mit einem glänzend weißen Leinentuche bedeckten Tische stand das einfache Abendessen, mit welchem sich die so mäßigen Italiener begnügen – Früchte der Jahreszeit, Trauben, Feigen und Pfirsiche, daneben eine Schüssel mit Fritto, – in Eiern gebackenen Fischen, – wie es in den Straßen auf großen Kupferkesseln immer frisch angefertigt wird, – dann Brot und Peccorino, der Schafkäse der Umgegend.

Aber dies Abendessen, so einfach es war, zeugte dennoch nicht nur von einer sorgenfreien Wohlhabenheit der Bewohner dieses Raumes, sondern die Art, wie es auf dem Tische arrangiert war, bewies auch einen gewissen Schönheitssinn, ein Streben, auch den natürlichen und notwendigen Bedürfnissen des Lebens eine anmutige Erscheinung zu geben. Die Früchte waren auf einer hohen Schale hübsch geordnet und von grünen Weinblättern umgeben, und der Wein von Orvieto funkelte in einer Karaffe von weißem Glase, frische Blumen in einer Terrakottavase von antiker Form schmückten den Tisch mit ihren bunten, im Lampenlicht schimmernden Farben, – das Ganze bot ein anmutiges, freundliches Bild dar, das sich durch die beiden Personen, welche einander gegenüber an dem Tische saßen, zu einem interessanten Genrebild vervollständigte.

Die eine dieser Personen war ein Mann von etwa sechzig Jahren, hoch, kräftig und schlank gewachsen. Der Kopf dieses Mannes war von einer auffallenden und regelmäßigen Schönheit. Das weißgraue Haar fiel in vollen Locken an der freien, breiten Stirn herab, die Züge hatten den Schnitt der Antike, ein grauer, kurzer, leichtgekräuselter Bart umgab den Mund und das runde, etwas hervorspringende Kinn; – in den dunkeln Augen brannte noch das Feuer der Jugend, und die schöngeschwungenen dunkeln Augenbrauen waren noch fast ganz schwarz, – es war ein Kopf, wie man sie auf den alten geschnittenen Steinen und auf den Münzen aus der Zeit der Weltherrlichkeit Roms sieht, ein Kopf, bei dessen Anblick man an die ernste Würde 98 eines Cato, an die stolze Hoheit eines Jupiterbildes erinnert wurde. Dieser Mann trug ein weites, graues Wams, das, durch einen Gürtel um die Hüften zusammengehalten, an die alte Toga erinnerte, ein leichtes Tuch von dunkelroter Seide um den Hals geschlungen und bis zu den Knien heraufreichende Gamaschenschuhe.

Er sprach mit großem Appetit dem Fritto und dem Peccorino zu, indem er zugleich von Zeit zu Zeit aus einem hohen, kelchartigen Glase einen kleinen Schluck des Orvietoweins trank.

Alle seine Bewegungen waren dabei so abgerundet, so voll Adel und Würde, als ob er an der Tafel eines Fürsten in der höchsten und vornehmsten Gesellschaft sich befände.

Dieser Mann war der allen Künstlern in Rom wohlbekannte Pietro Barghili, ein durch die Schönheit seiner Gestalt und seines Kopfes berühmtes und vielgesuchtes Modell. Er wurde oft schon lange vorher von den italienischen und fremden Malern bestellt und hoch bezahlt. Er verstand es mehr noch als alle seine anderen Berufsgenossen, sich in Stellung und Haltung den Ideen der Künstler anzupassen und in Attitüden voll natürlichen Adels und ungesuchter Würde seine bedeutende und imposante natürliche Erscheinung zur Geltung zu bringen, und fast auf keinem bedeutenden Bilde, das aus den römischen Ateliers hervorging, fehlte die edle Gestalt Pietro Barghilis.

Ihm gegenüber saß seine Tochter Lorenza, ein junges Mädchen von sechzehn Jahren und in ihrer Art eine ebenso schöne Erscheinung als ihr Vater. Ihr etwas bleiches Gesicht war von einer fast idealen Regelmäßigkeit, die großen, mandelförmig geschnittenen Augen hatten jenes eigentümliche brennende Schwarz, das man nur bei den Bewohnern des Südens findet. Auf ihrer Haut lag jener unbeschreibliche Schmelz der in der Sonne gereiften Pfirsiche, das reiche ebenholzschwarze Haar lag in einfachen, breiten Flechten um ihre reine Stirn, mit einer silbernen Nadel zusammengehalten.

Sie hatte das große Busentuch abgelegt, und das Mieder von bunter Seide, das ihre zarte Gestalt umschloß, ließ den schlanken, von einer Perlenschnur umwundenen 99 Hals frei. Sie hatte die Arme auf den Tisch gestützt und pflückte langsam mit ihren zarten, wunderbar schöngeformten, aber etwas bräunlichen Händen von einer großen Traube eine Beere nach der anderen, um deren süßen Saft mit ihren frischen Lippen aufzusaugen.

Trotz der jugendlichen, fast noch kindlichen Erscheinung des jungen Mädchens zeigten ihre Züge nicht die Heiterkeit ihres Alters, ein gewisser düsterer Hauch schien über sie ausgebreitet zu sein, und es wäre schwer zu bestimmen gewesen, ob in dem Blick ihrer dunklen Augen mehr melancholischer Ernst oder apathische Gleichgültigkeit lag.

Eine Zeitlang hatten Vater und Tochter schweigend einander gegenüber gesessen, dann lehnte sich Pietro Barghili, nachdem er die Schüssel mit Fritto fast ganz verzehrt und noch einen Schluck Orvietowein getrunken hatte, in seinen Sessel zurück und sprach mit einer Stimme und in einem Ton, die mit seiner edlen, würdevollen Erscheinung nicht ganz im Einklang standen:

»Die Stunde, zu welcher der Graf Francesco zu kommen pflegt, ist vorüber. Erwartest du ihn heute?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte das junge Mädchen, indem sie ruhig fortfuhr, eine Beere nach der anderen zu essen. »Er pflegt ja sonst jeden Abend zu kommen und hat mir nicht gesagt, daß er heute zurückgehalten werde – mir wäre es aber in der Tat lieb,« fügte sie hinzu, indem sie die Lippen mit einem Tropfen Wein benetzte, »wenn er nicht käme – denn ich muß dir aufrichtig sagen, daß mich dies Spiel ermüdet. Er tut mir oft leid – er ist gut, er hat ein warmes und treues Herz, er liebt mich, und ich darf ihn ja doch nicht wieder lieben. Er wird einst unglücklich sein. Das alles wird ein böses Ende nehmen. Es wäre schon besser, ihm alles zu sagen, für mich und für ihn und für uns alle.«

Der Vater sah sie mit strengem Blick an.

»Du bist töricht«, sagte er kurz und kalt, »und darfst solche Gedanken nicht in dir aufkommen lassen. Welches Unrecht tust du ihm? Er liebt dich, das ist wahr, er will dich zu seiner Gemahlin machen, wenn er die Zustimmung seiner Familie dazu erlangt haben wird. Er verlangt nichts 100 weiter von dir, als daß du mit ihm plauderst, ihm vorsingst und dir Mühe gibst, ein wenig Deutsch zu lernen. Was ist dabei Schlimmes? Du betrügst ihn nicht –«

»Ich betrüge ihn,« fiel das junge Mädchen ein, »ich betrüge ihn, weil ich ihm seine Hoffnungen lasse, seine Träume für die Zukunft nicht zerstöre, und doch hat Barbarino mein Wort, daß ich die Seine werde, doch bin ich ihm verlobt und habe ihm Treue geschworen.«

»Barbarino,« sagte ihr Vater nachdenklich, »vielleicht wäre es besser, wir wären nie mit ihm in Verbindung getreten – wenn man hätte wissen können – doch man darf mit ihm nicht brechen – er ist gefährlich, seine Macht ist groß, und wenn es ihm gelingt, sich einen festen Besitz zu schaffen, so kann er dir immerhin ein sicheres und freundliches Los bieten – wenn du ihn nun einmal liebst.«

Lorenza sah mit einem eigentümlichen halb verwunderten, halb fragenden Blick zu ihrem Vater hinüber.

»Doch«, fuhr dieser fort, »hängt diese Zukunft ja heute noch von so vielen unberechenbaren Möglichkeiten ab. Wenn Barbarino bei seinen kühnen, gefahrvollen Unternehmungen fällt, wenn er gefangen werden sollte, wenn er –«

Er vollendete nicht und blickte düster vor sich nieder, während seine Tochter leise zusammenschauerte.

»Der Graf Francesco«, sprach der Alte weiter, »sorgt für dich, du hast nicht mehr nötig, allen diesen Malern bald als Venus, bald als Madonna Modell zu stehen – und wenn Barbarino ein Unglück trifft – der Graf Francesco ist ein vornehmer Herr aus einer großen Familie in Deutschland, und wenn du seine Gemahlin würdest – –« er richtete den Kopf empor, seine Augen schienen in die Ferne zu blicken und seine Haltung wurde so stolz und würdevoll, als sähe er seine Tochter als große Dame von ehrerbietigen Huldigungen umgeben.

Von der Straße her ertönte, von einer gedämpften Stimme gesungen, das in seiner einfachen melancholischen Melodie bei dem römischen Volk so beliebte Ritornell:

»Fiore dell' uva
E s' angela tu sei famo la prova
In paradiso andiamo tutte e due.«

101 Lorenza fuhr zusammen – traurig blickte sie durch das Fenster in die Dunkelheit hinaus.

»Das ist der Graf Francesco,« rief Pietro Barghili, aus seinem träumenden Sinnen emporfahrend, »du mußt ihm antworten – das macht ihm Freude, das ist sein Lieblingsgesang.«

Lorenza seufzte tief auf. Dann sang sie mit einer klaren, ansprechenden Altstimme, aber mit einem Ausdrucke, der wenig zu den Worten paßte und die melancholische eintönige Melodie fast klagend erklingen ließ:

»Se il Papa mi donasse tutta Roma
E mi dicesse: lascia andar chi t' ama –
Jo gli direi: dinò sacra corona!«

Kaum hatte sie geendet, so hörte man einen raschen, leichten Tritt über die Straße herübereilen. Einen Augenblick erschien im Rahmen des geöffneten Fensters das freudig bewegte Gesicht des Grafen Spangendorf, welcher mit leuchtenden Blicken das von dem weißen Glanz der Lampe bestrahlte Bild im Zimmer umfaßte. Dann hörte man das Schloß der Tür klinken, und unmittelbar darauf trat der junge Zuavenoffizier in das Zimmer.

Der Alte erhob sich mit einer gewissen achtungsvollen Würde, fast so, wie ein römischer Fürst einen Fremden von Distinktion begrüßen würde, während Lorenza ihre Augen mit demselben halb traurigen, halb apathischen Ausdruck auf den jungen Mann richtete und ihm mit einem ruhigen, freundlichen Lächeln die Hand entgegenstreckte.

»Guten Abend, Lorenza, meine süße Blume, meine Liebe, meine Freude, mein Stern, meine Hoffnung!« rief der Graf Spangendorf, indem er zu dem jungen Mädchen hineilte und sein Lippen glühend und inbrünstig auf ihre Hand drückte, – »der Dienst hat mich länger aufgehalten als sonst, aber wenn es auch spät ist, so konnte ich es mir doch nicht versagen, noch hierherzueilen, um mir einen freundlichen Gruß von dir zu holen und dein Bild lebendig und frisch in die Träume meines Schlummers hinüberzunehmen. – Guten Abend, Vater Pietro,« sagte er dann, herzlich die Hand des Alten schüttelnd, »habt Ihr noch etwas übrig für mich – eine Traube, ein Glas Orvieto genügt 102 mir, und mehr als alles erquickt und stärkt mich das Lächeln meiner angebeteten Lorenza.«

Der Alte holte ein drittes Kelchglas von einem Wandgestell und füllte es bis zum Rande mit dem funkelnden Wein aus der Karaffe.

Lorenza nahm eine dunkle große Traube und reichte sie dem jungen Mann. Sie lächelte ihn dabei an, aber es war ein Lächeln, das über ihr Gesicht glitt wie ein vereinzelter Sonnenstrahl über den trüben, grauen Himmel eines Regentages.

Graf Spangendorf nahm den Kelch, den der Alte gefüllt hatte, hob ihn empor und sagte, indem er über den im Licht funkelnden Wein nach dem jungen Mädchen hinblickte:

»Ich trinke, wie es Sitte ist in meiner Heimat, auf dein Wohl, meine holde Blume, – auf die Hoffnung, – auf die Zukunft, – auf unser Glück!«

Mit einem langen Zuge leerte er das Glas bis auf den Grund, immer den warmen, tiefen und innigen Blick auf die schöne Lorenza gerichtet.

Diese neigte langsam den Kopf, wie zum Dank für den Wunsch, mit welchem er sein Glas geleert hatte, und wieder erschien jenes traurige, matte Lächeln auf ihren feinen, frischen Lippen.

»Hoffnung – Zukunft – Glück,« sagte sie mit leiser Stimme, – »das sind schöne Dinge, aber sie sind so zerbrechlich wie das Glas, aus welchem sie getrunken, Herr Graf, – sie sind schön wie die Morgensonne, die doch so bald herabsinkt zur dunkeln Nacht, – freundlich und hold wie die Blumen, – die am nächsten Tage verwelkt im Staube liegen und zertreten werden!«

»Warum so traurige Bilder und Gedanken?« rief der junge Mann im heitern, zuversichtlichen Ton. »Die Hoffnung ist ein heller Stern am dunkeln Himmel unseres Lebens, und ob auch die Wolken darüberhinziehen und zuweilen unseren Blick verhüllen, er bricht doch wieder siegreich hervor – und unser Glück, meine geliebte Lorenza, soll sein wie ein festgepflanzter Baum; ob auch die eine oder die andere Blüte zur Erde fällt, er soll immer neue Knospen treiben, unser Leben zu bekränzen.«

Die schöne Lorenza antwortete nicht, aber ein leichter 103 Seufzer, der ihre Brust hob, schien anzudeuten, daß sie die freudige Zuversicht des Grafen nicht teilte.

»Und gerade heute,« rief Graf Spangendorf, indem er von der Traube, die Lorenza ihm gereicht, eine Beere an der Stelle abpflückte, welche die Hand des jungen Mädchens berührt hatte, »gerade heute erfüllt mich die Hoffnung, die Zuversicht des Glücks mehr als je, denn bald, bald, meine süße Geliebte, wird unsere Zukunft entschieden sein, bald werden wir uns für immer vereinigen können, um uns nimmer wieder zu trennen.«

Der alte Pietro blickte scharf und forschend nach dem jungen Mädchen hin, während Lorenza langsam mit verwundertem Ausdruck ihre Augen zu ihm aufschlug.

»Ich werde in kurzer Zeit«, sagte der Graf, »nach Deutschland und nach meiner Heimat reisen – notwendige Geschäfte – Familienangelegenheiten«, fügte er hinzu, indem er mit leichter Verlegenheit den Blick niederschlug, »rufen mich dorthin – ich habe meinen Urlaub erhalten, ich werde dein Bild mitnehmen – dies Bild, das ich habe malen lassen und das so wunderbar treu deine lieben Züge, deine sanften Augen wiedergibt; mein Vater, meine Mutter, die so gut für mich sind, werden dies Bild sehen, ich werde ihnen von dir erzählen, und die Liebe wird meinen Worten Kraft geben – meine Eltern werden mir ihren Segen nicht versagen. – Ich bin nicht reich,« fuhr er mit treuherzigem Ton fort, »der große Besitz meiner Familie gehört einst meinem Bruder, aber mein Vater liebt mich – mein Bruder ist zugleich der treueste Freund meiner Jugend gewesen, wir werden immer genug haben, um auch äußerlich unser Glück zu begründen. Und dann,« rief er mit strahlenden Blicken, indem er mit seinen beiden Händen die Hand des jungen Mädchens ergriff, »dann werden wir glücklich sein, dann wird der Himmel für uns auf die Erde niedersteigen, dann:

In paradiso andiamo tutte e due.«

Die Hand Lorenzas, welche er mit festem Druck gefaßt hielt, zitterte leise. Sie machte eine Bewegung, um dieselbe zurückzuziehen, und sagte mit gepreßter Stimme, indem sie die Augen vor seinem Blick niederschlug:

104 »Und Sie glauben, Herr Graf, daß Ihre Eltern einwilligen werden, daß sie mir, dem armen Mädchen des Volks, erlauben werden – ihren Namen zu tragen, – daß sie mich, die unbekannte Fremde, in ihre Familie aufnehmen werden?«

»Ich glaube es,« rief Graf Spangendorf lebhaft, – »ich bin dessen gewiß – ich fühle tief im Herzen eine Zukunft von Glück und Licht – warum sollte der Himmel, warum sollte die heilige Mutter Gottes, zu der ich so oft inbrünstig gebetet habe, uns das Glück des Lebens versagen, uns, die wir doch nichts Böses getan haben?«

Lorenza zuckte zusammen. Mit einer raschen Bewegung zog sie ihre Hand zurück und fragte:

»Sie denken bald abzureisen, Herr Graf?«

»Sobald mein Urlaub ausgefertigt ist«, erwiderte der junge Offizier. »Das wird vielleicht in acht Tagen geschehen sein. Doch,« fuhr er dann in trübem Ton fort, indem sein Blick wehmütig und fast vorwurfsvoll auf ihrem Gesicht ruhte – »warum, meine süße Lorenza, nennst du mich Herr Graf? Warum erinnerst du mich an die Schranke, welche die Verhältnisse der Welt zwischen uns gezogen haben und welche doch für unsere Herzen nicht da ist? Bin ich denn für dich noch immer ein Fremder – warum nennst du mich nicht immer Francesco, wie ich dich so oft gebeten habe? denn für dich bin ich ja nur Francesco und nichts weiter – dein Francesco, der dir gehört mit aller Ergebenheit, mit aller Treue, mit aller Liebe seines Herzens. Ich bitte dich,« sagte er in innigem Ton, »nenne mich nur einmal deinen Francesco. Alle Musik der Welt kann keine schönere Harmonie schaffen, als der Klang dieses Wortes aus deinem Munde.«

Lorenza warf einen scheuen Blick nach ihrem Vater hinüber und bedeckte dann mit der Hand ihre Augen.

»Herr Graf,« sagte der alte Pietro Barghili, »lassen Sie meiner Tochter ihre Weise, sie ist aufgewachsen in dem Kreise des Volks, sie vermag nur schwer den Gedanken zu fassen, daß Sie, Herr Graf, der hochgeborene Kavalier, dem das Leben sich so reich und glänzend öffnet, sie zu sich emporheben könnten. Sie fürchtet, daß der goldene 105 Hoffnungstraum dieses Glückes wieder verfliegen könnte, darum scheut sie sich, diesem Traum sich hinzugeben, um sich das Erwachen nicht zu schwer und zu schmerzlich zu machen. Lassen Sie ihr diese Scheu, – wenn Sie den Segen Ihrer Eltern mitbringen werden, wenn Sie einst vor dem Altar sich die Hände zum ewigen Bunde gereicht haben – dann wird ihr Herz sich frei erschließen, und um so schöner, je mehr sie sich jetzt schüchtern in sich selbst zurückzieht.«

Der Graf sah mit einem Blick voll Liebe und Anbetung das junge Mädchen an, das noch immer ihre Augen mit der Hand bedeckte. Dann bog er sich zu ihr hinüber, nahm ihr sanft die Hand vom Gesicht, richtete ihren Kopf empor und sagte:

»Dann aber – dann, meine süße Lorenza, wirst du an die Hoffnung und das Glück glauben, dann wirst du zu mir sagen: ›Mein Francesco?‹«

Er zog leise ihr Haupt zu sich hinüber und drückte seine Lippen auf die schwarzen, glänzenden Flechten ihres Haares.

»Versprich mir das,« sagte er in flüsterndem Tone, »versprich mir, daß du dann sagen willst: ›Mein Francesco.‹^«

Lorenza ließ einen Augenblick ihr Haupt an seiner Schulter ruhen, während der Alte einen unruhigen Blick durch das Fenster hinauswarf.

»Sage mir, wie du mich nennen wirst«, bat der Graf, seine Lippen dem Ohr des jungen Mädchens nähernd.

»Ich werde sagen,« flüsterte sie in kaum hörbarem Ton – »ich werde sagen«, wiederholte sie, indem ein Zittern durch ihren Körper lief – »mein –«

Als sie eben die Lippen öffnete, um den Namen Francesco auszusprechen, ertönte von der Straße her in einiger Entfernung von dem Hause ein kurzes, eigentümlich moduliertes Pfeifen.

Lorenza zuckte heftig zusammen und fuhr in jähem Schreck empor, schnell rückte sie vom Grafen fort und sprach mit unsicherer Stimme, indem sie die Blicke auf den Boden heftete, als wäre ihr der Anblick des jungen Mannes peinlich:

»Dann – später – ich werde mich daran gewöhnen, jetzt nicht. – Ich kann es nicht.«

106 Graf Spangendorf sah sie wehmütig, aber mit dem Ausdruck tiefer Liebe an.

»Ich werde warten,« sagte er sanft, – »hoffentlich nicht lange mehr warten – und während ich warte, werde ich wenigstens tausend und tausendmal sagen: Meine Lorenza! Meine liebe, meine teure, meine angebetete Lorenza!«

Ein leises Rauschen wie von einem starken Windhauch ließ sich in dem Weinlaub hören, das die Veranda nach dem Garten hin umrankte.

»Verzeihen Sie, Herr Graf,« sagte der alte Pietro, »Sie sind heute später als sonst gekommen, die Stunde ist weit vorgeschritten – böse Nachrede ist leicht hervorgerufen –«

»Ihr habt recht,« sagte Graf Spangendorf, indem er aufstand, »ich gehe, um morgen früh wiederzukommen. Ich habe ja nur noch wenige Tage das Glück, meine Lorenza zu sehen, bevor ich mich auf so lange von ihr trennen werde – das wird eine schwere, traurige Zeit sein,« sagte er seufzend – »und doch wieder eine schöne Zeit, denn ich werde ja daran arbeiten, unser Glück zu begründen, um später immer diese lieben Züge, diese süßen Augen zu sehen und immer von diesen Lippen meinen Namen zu hören, den sie jetzt noch auszusprechen sich scheuen. Auf Wiedersehen, meine Geliebte,« sagte er, ihr die Hand reichend, »auf Wiedersehen. Wirst du an mich denken, von mir träumen?«

Lorenza legte mit einer kalten, fast starren Bewegung ihre Hand in die seine; ohne die Augen aufzuschlagen, ohne die Lippen zu bewegen, neigte sie langsam den Kopf, ohne daß man hätte erkennen können, ob diese Bewegung ein Gruß des Abschieds oder eine Bejahung seiner Frage sein sollte.

Graf Spangendorf hob ihre Hand empor, drückte inbrünstig seine Lippen auf dieselbe, grüßte dann freundlich und herzlich den alten Pietro und ging, sich an der Tür noch einmal umblickend, hinaus.

Bald hörte man seinen leichten, elastischen Schritt draußen auf der Straße, wie er sich nach der Piazza Santa Maria in Trastevere entfernte.

107 Aufmerksam folgte der alte Pietro dem Klang dieser immer weiterhin verhallenden Schritte, während Lorenza, auf den Stuhl gelehnt, bleich und unbeweglich dasaß.

Dann stand der Alte auf, verschloß die Fenster und zog die dichten, weißen Vorhänge von innen vor dieselben. Nachdem er dies getan und sich sorgfältig überzeugt hatte, daß in den Vorhängen keine Spalte offen geblieben, durch welche man von draußen in das Zimmer hätte hineinsehen können, spitzte er ein wenig die Lippen und ließ ganz leise denselben Pfiff ertönen, welchen man vorher von der Straße herauf gehört hatte.

Unmittelbar darauf hörte man einige rasche Schritte auf der Veranda des Gartens, und durch die geöffnete Tür trat in den Lichtkreis des Zimmers eine hohe und schlanke Gestalt in der Tracht der Arbeiter aus der Umgegend von Rom.

Der Eintretende mochte vier- bis fünfundzwanzig Jahre alt sein. Seine nervige, im schönsten Ebenmaß gewachsene Gestalt war von einem blauen, faltigen Kittel umhüllt, welchen über den Hüften ein schwarzer Ledergürtel zusammenhielt; über den blauen Beinkleidern umschloß seine Oberschenkel ein mit der haarigen Seite nach außen gekehrtes Ziegenfell, während hohe Gamaschenschuhe bis zu den Knien hinaufreichten. Unter dem großen, schwarzen Hut, mit roter Binde umwunden, quollen volle rabenschwarze Locken hervor. Sein Gesicht war von klassischer Schönheit, gebräunt von Luft und Sonne, aber zart und fast weiblich weich im Schnitt seiner Züge. Ein kurzer, schwarzer Bart umgab das Kinn und den Mund mit den frischen, roten Lippen und den elfenbeinweißen Zähnen, dessen Linien von festem, entschlossenem Mut zeugten; die großen Augen, deren blauschwarze Pupille aus dem perlmutterweißen Grunde unter den langen, weit überhängenden Wimpern hervorblitzten, blickten voll scharfer Beobachtung und feiner, listiger Intelligenz umher, zugleich lag aber in ihrem Blick ein Ausdruck so wilder Leidenschaft, daß sie fast an die Augen eines Raubtieres erinnerten und mit den edlen, weichen und sanften Zügen seines Gesichts in scharfem Widerspruch standen.

108 Die Kleidung dieses Mannes, obgleich in Stoff und Schnitt der aller Arbeiter der ländlichen Umgebung von Rom völlig gleich, zeigte doch in der Art, wie er sie trug, wie er die Falten und den Gürtel geordnet und den dunkelblauen Mantel über die Schultern geworfen, eine gewisse kokette Eleganz.

Er trug einen einfachen Knotenstock in der Hand, eine Tasche von Ziegenfell an einem über die Brust laufenden Riemen an der Seite.

Einen Augenblick blieb dieser Mann in der Tür stehen und ließ seinen dunkelglühenden Blick mit düsterem Ausdruck über das Zimmer gleiten.

Pietro Barghili erhob sich, trat ihm entgegen und reichte ihm die Hand, welche der Angekommene flüchtig drückte, während Lorenza langsam die Augen aufschlug und den jungen Mann in der Tracht der Landarbeiter mit einem Blick voll Scheu und Verwirrung ansah.

Dieser ging an Pietro vorbei, trat mit einem raschen Schritt zu Lorenza hin und ergriff ihre Hand, die sie ihm entgegenstreckte; er drückte diese Hand an seine Lippen, deren glühende Berührung das junge Mädchen zusammenzucken ließ, – dann schleuderte er mit einer wilden Bewegung die Hand zurück, daß sie schwer in den Schoß Lorenzas fiel.

»Auf dieser Hand haben die Lippen des Fremden geruht,« rief er, die spitzen, weißen Zähne zusammenpressend, – »des Fremden, der verdammt sein möge, der es wagt, seine Augen zu meiner Liebe, zu meiner Lorenza zu erheben, – und der im Solde des Vatikanes steht!«

»Du bist verstimmt, Barbarino,« sagte Pietro ruhig, während Lorenza, zitternd vor dem heftigen Ausbruch des jungen Mannes, den Kopf auf die Brust sinken ließ, – »hast du Unglück gehabt, – ist dir ein Anschlag mißlungen? Warum ergrimmst du heute so sehr über den Besuch dieses deutschen Grafen, – kommt er doch mit deiner Einwilligung hieher, – hast du uns doch selbst geraten, ihn nicht zurückzuweisen, als er Lorenza bei einem deutschen Maler als Modell der Madonna gesehen und sich uns näherte, – 109 und ist dir Lorenza nicht sicher? – Wahrlich, von ihm hast du nichts bei ihr zu befürchten.«

»Ja, ja,« sprach Barbarino finster, – »ja, – es ist wahr, – ich habe seine Besuche erlaubt, – sie sind nützlich, – Euer Haus ist vor jeder Überwachung sicher, wenn ein päpstlicher Offizier, ein vornehmer Herr, ein eifriger Streiter für die Kirche darin verkehrt, – Lorenza ist geschützt vor allen Nachstellungen und Zudringlichkeiten, wenn man sie für seine Geliebte hält, – aber,« rief er in heftiger Aufwallung, indem er die geballte Faust erhob, – »aber daß man sie dafür hält, – daß er es wagen darf, seine Blicke liebeglühend auf diese Züge, auf diese Augen zu richten – die mein sind, – die mein allein sein sollen, die ich neidisch verhüllen möchte selbst vor dem Strahl der Sonne und dem Licht der Sterne, – der Gedanke läßt mein Blut oft siedend aufwallen, daß meine Augen sich in roter Wolke verschleiern und meine Hand nach dem Dolche zuckt, um ihn in das Herz dieses kecken Fremden zu stoßen!«

»Des kecken Fremden?« sagte Pietro, indem er lächelnd die Achseln zuckte, – »nun, das ist er wahrlich nicht, – er blickt zu Lorenza empor wie zu einem Heiligenbilde, – er will sie zu seiner Gemahlin machen, – kann das dich kränken, dich beleidigen, dir Argwohn einflößen? – wenn du dein Ziel erreicht hast, – wenn du genug erworben, um dir einen festen Besitz zu gründen, – so wird Lorenza eines Tages mit dir verschwunden sein, – er wird um sie weinen und du – wirst die stolze Genugtuung haben, daß dein Weib um deinetwillen die Bewerbung eines vornehmen und reichen Herrn zurückgewiesen hat.«

Noch einen Augenblick stand Barbarino in düsterem Sinnen da. Dann hob er seinen Blick langsam zu Lorenza empor, die ihn scheu und bittend ansah, – allmählich verschwand der Ausdruck zorniger Erbitterung von seinen edlen, reinen Zügen, dieselben wurden immer weicher und milder, und eine leidenschaftlich flammende und zugleich tiefe und innige Glut ergoß sich aus seinen dunklen Augen.

»Verzeih meine Heftigkeit,« sagte er, zu dem jungen Mädchen sich herabbeugend, »sie mag dir ein Beweis meiner Liebe sein, ich weiß ja, daß dich kein Vorwurf trifft, – ich 110 weiß, daß du mir gehörst und daß niemand dich mir rauben kann, – niemand, solange mein Arm den Dolch zu führen die Kraft hat.«

Er breitete seine Arme aus, schlang sie um die zarten Schultern Lorenzas und hob das Mädchen von dem Stuhle empor. Dann sah er einen Augenblick glühenden Blickes in ihre Augen und sprach leise, indem sein Atem wie ein Feuerstrom über ihr Gesicht hinzog:

»Diese Lippen sind mein, – mein allein, – sie öffnen sich nur mir zum Liebeskuß voll berauschender Wonne!«

Er drückte seinen Mund in flammender Leidenschaft auf den ihren und preßte ihren zitternden Körper fest an seine Brust.

Dann ließ er sie wieder in ihren Stuhl zurücksinken, – von neuem erschien jener Ausdruck wilden Grimmes in seinem Gesicht.

»Oder sind auch diese Lippen nicht mehr mein allein?« rief er mit heiserer Stimme, – »sind auch sie entweiht durch die Berührung dieses Fremden, – dieses Schergen der Tyrannei?« – –

Angstvoll blickte Lorenza zu ihm empor. Bittend faltete sie die Hände.

»Ich schwöre dir!« – rief sie, – »ich schwöre dir bei der heiligen Madonna –«

»Barbarino,« sagte der alte Pietro ernst mit seiner ruhigen, hoheitsvollen Würde, – »der Graf Francesco ist niemals hier gewesen, wenn ich nicht auch zugegen war, – du kränkst Lorenza unnütz durch deinen Verdacht, – deinen Vorwurf – und ich muß es wiederholen«, – fuhr er fort, »daß du selbst die Besuche des Grafen erlaubt, – ja, daß du sogar gewünscht hast, daß er oft hierherkäme –«

»Ja – ja –« sprach Barbarino leise, – »es ist wahr, – und gerade jetzt muß ich mehr als je wünschen, daß man ihn oft hier sehe, – daß seine Gegenwart mir in diesem Hause ein unverletzliches Asyl schaffe, – von dem der Argwohn der Polizei fernbleibt –

– Verzeih' mir, Lorenza,« sagte er dann, indem er sich zu den Füßen des jungen Mädchens auf die Knie niedersinken ließ und seine Lippen auf ihre Hand drückte, – 111 »verzeih' mir, – ich vertraue dir und glaube an dich – an dich, an deine Liebe und Treue!

Sieh hier,« fuhr er fort, während Lorenza leicht aufseufzend ihre Blicke unter den dunkeln Schleiern ihrer langen Wimpern verbarg, – »sieh hier, was ich dir gebracht!«

Er öffnete die Ledertasche, welche an seiner Seite hing und zog aus derselben ein prachtvolles Kreuz, aus großen Rubinen gebildet, hervor, – dazu ein Armband, mit Perlen und Diamanten reich besetzt, und einen Ring mit einem großen Solitär, dessen Feuer in allen Farben des Regenbogens leuchtete.

Dies alles legte er in den Schoß Lorenzas, die bei dem Anblick dieser herrlichen Geschmeide unwillkürlich in einen Ruf des Entzückens ausbrach.

»Wie schön, – wie wunderbar schön!« rief sie, – indem sie das Kreuz emporhob und den dunklen Glanz der Rubinen im Licht der Lampe spielen ließ, – dann ließ sie mit einer Bewegung plötzlichen Schreckens das Kreuz fallen, bedeckte die Augen mit der Hand und rief, indem ein Schauer durch alle ihre Glieder zitterte:

»Es ist rot – rot wie Blut – und Blut trieft von diesen Steinen, – der Racheschrei, der aus diesem Blut zum Himmel aufsteigt, wird mir zum Fluch werden, – wird mich verderben. Nimm das alles hin und laß mir die freundlichen, unschuldigen Blumen zum Schmuck, – die Blumen, aus denen das reine Auge Gottes widerstrahlt und die nicht wie diese Steine, diese Kinder der finsteren Tiefen der Erde, die Menschen bezaubern, einander zu morden.«

»Sei ruhig, meine Lorenza,« sagte Barbarino sanft, – »an diesen Steinen klebt kein Blut, – wenigstens kein Blut, das meine Hand vergossen; – was ich in deine Hände lege, ist rein und frei vom Fluche der Rachegeister.«

Er blickte noch einige Sekunden in ihre Augen, die immer traurig blieben und mit ängstlicher Scheu vom Glanz der schimmernden Edelsteine sich abwendeten, dann stand er auf, füllte ein Kelchglas mit Orvietowein und leerte es mit einem schnellen, durstigen Zug.

»Ich kann leider nicht lange hier bleiben,« sagte er, das Glas wieder auf den Tisch stellend, – »ich habe eine 112 Zusammenkunft mit einigen Freunden verabredet und muß morgen in der Frühe wieder in der Campagna sein – ihr müßt mich begleiten, Pietro«, fügte er in bestimmtem, fast befehlendem Ton hinzu.

»So spät?« fragte der Alte mit unruhigem Blicke, – »was hast du vor?«

Barbarino machte in schneller Bewegung ein Zeichen mit den Fingern, die er einen Augenblick gegen die Stirn erhob und dann auf sein Herz legte.

Der Alte schien die Bedeutung dieses Zeichens zu verstehen – er stand auf und nahm seinen spitzen, grauen Hut, steckte ein großes Dolchmesser in lederner Scheide in sein Wams und sprach ruhig:

»Wenn du es wünschest, will ich mit dir gehen, – vielleicht bist du sicherer in meiner Gesellschaft, – man kennt mich hier – auf allen Gemälden unserer Meister sieht man den Kopf Pietro Barghilis, und jedermann weiß,« fügte er mit einem Lächeln voll spöttischer Ironie hinzu, »daß ich ein sehr ergebener und andächtiger Untertan des Heiligen Vaters bin.«

»Lebe wohl, meine Lorenza,« sagte Barbarino, indem er sich zu dem jungen Mädchen herabbeugte und sie mit inniger Zärtlichkeit in seine Arme schloß, – »lebe wohl, – bald, schneller vielleicht, als ich bisher gehofft, wird die Zeit kommen, in welcher ich nicht nur in flüchtigen Augenblicken des Glückes dich sehen kann, die Zeit, in der all dies Trugspiel, all diese Heimlichkeit aufhört, in der deine Liebe mich belohnen soll für alle Mühe und Arbeit, – und auch entsühnen von aller Schuld, die ich auf mich geladen.«

Er drückte seine Lippen in langem Kusse auf ihren Mund, – dann richtete er sich auf, warf den braunen Mantel über seine Schulter und näherte sich der Tür.

»Bist du unbewaffnet?« fragte Pietro, – »ist es nicht unvorsichtig, dich so hinauszuwagen, – soll ich dir einen von meinen Dolchen geben?«

Barbarino faßte seinen Knotenstock an dem einen Ende an, und indem er mit der anderen Hand die Mitte desselben festhielt, zog er mit einem kräftigen Ruck eine fast zwei Fuß lange dreieckige Dolchklinge hervor.

113 »Das wird genügen«, sagte er mit einem Lächeln, das seine spitzen, glänzenden Zähne unter den dunkelroten Lippen hervorschimmern ließ.

Pietro neigte den Kopf, – noch einmal winkte Barbarino Lorenza seinen Abschiedgruß zu, – dann stieß er die glänzende Klinge wieder in den Knotenstock und verließ mit dem Alten das Haus.

Als sie allein war, warf Lorenza mit einer Gebärde des Abscheus die funkelnden Edelsteine, die noch immer in ihrem Schoße lagen, auf den Tisch, und ohne sich die Mühe zu nehmen, diese so wertvollen Schmucksachen zu verschließen oder zu verbergen, ging sie durch die eine der Seitentüren in ihr kleines Schlafzimmer, dessen Fenster neben der Veranda sich nach dem Garten hin öffnete und von Weinlaub fast verhüllt war.

Sie zündete eine kleine Lampe an, welche den bescheidenen, aber sauber und zierlich ausgestatteten Raum nur matt erleuchtete, und warf sich vor einem an der Wand neben ihrem Bett befindlichen Madonnenbild auf die Knie nieder, indem heiße Tränenströme aus ihren Augen hervorbrachen.

»O du heilige Mutter Gottes!« rief sie im Tone schmerzvollen Jammers, – »ende – ende diese Pein, die mein Herz verzehrt und meine Seele vernichtet, laß mich klar werden über mich selbst und zeige mir den Weg, der mich hinausführt aus diesem Leben voll Trug und Lüge zum Heil und zum Frieden! –

Ich habe ihn geliebt,« flüsterte sie leise, – »mein junges Herz flog ihm entgegen, dem kühnen, stolzen Sohn meines Landes, – aber«, rief sie dann, die Hände vor dem heiligen Bilde ringend, »seine Hände sind befleckt mit Blut, – mit dem Blute Unschuldiger, – und voll Entsetzen schaudere ich vor seiner Berührung zurück, – seit ich weiß, wer er ist und wodurch er das Glück unserer Zukunft gründen will, – dies Glück, das mir einst so süß – so verlockend erschien! –

Und er,« – sagte sie dann, den Kopf auf die gefalteten Hände stützend, – »er, der sanfte, fromme Fremde, – der mich so treu, so innig liebt, – der mir ein Los voll 114 Ehre und Glanz bietet, – liebe ich ihn? – ich weiß es nicht, – aber ich weiß, daß es ihm das Herz brechen wird, wenn er mich verliert, und daß ich lieber sterben, – o tausendmal lieber sterben möchte, – als ihm wehe zu tun.«

Leise rannen die Tränen über ihre Hände, lange blieb sie in stilles Gebet versunken auf den Knien vor dem Madonnenbilde liegen, – endlich erhob sie sich – aber von ihren Zügen war der Ausdruck des Grames nicht verschwunden, der wie ein grauer Schleier dieselben bedeckte, – die Madonna hatte ihr keine Antwort auf die bange Frage ihrer Seele gegeben.

Still und wie mechanisch entkleidete sie sich, löschte die Lampe aus und legte sich auf ihr Lager, – der Nachtwind rauschte in dem Weinlaub vor dem Fenster, und von fernher klangen die verworrenen Töne aus den belebteren Teilen der ewigen Stadt herüber.

 


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