Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Einundzwanzigstes Kapitel

Mehr als ein halbes Jahr war vergangen, seit der Graf Franz von Spangendorf alle Hoffnungen und Träume seiner Liebe an der Leiche Lorenzas hatte versinken sehen. Er hatte das unglückliche junge Mädchen mit allen Feierlichkeiten der Kirche bestatten lassen. Auf ihrem Grabe erhob sich ein einfaches Denkmal von weißem Marmor mit der goldenen Anfangschiffre ihres Namens, umrankt von Immergrün und Efeu. Und er war auch der einzige, welcher der Armen, deren Leben in seiner Blüte geknickt war, die letzte Liebespflicht hatte erfüllen können.

Pietro Barghili und Barbarino waren in strenge Haft genommen und einige Male verhört worden, dann aber waren sie beide auf unerklärliche Weise eines Tages aus ihren Zellen verschwunden gewesen und trotz aller Nachforschungen der römischen Polizei war es nicht gelungen, eine Spur von ihnen aufzufinden.

Graf Franz selbst war, mit aller Artigkeit zwar, die man dem fremden Kavalier, der im Dienst des Heiligen Vaters stand, schuldete, über seine Beziehungen zu Pietro Barghili und Lorenza vernommen worden, und obwohl man sich mit der völlig wahrheitsgemäßen Auskunft, die er darüber gab, zufrieden erklärte, so hatte er doch bemerkt, daß ihn von jener Zeit an eine gewisse Kälte umgab, daß die dem Vatikan näherstehenden Personen sich von ihm zurückzogen und daß er der Gegenstand einer vorsichtigen, aber scharfen Überwachung war.

Tief erschüttert durch das Ende aller seiner Liebesträume und Hoffnungen und schwer gekränkt durch das Mißtrauen, welchem er, der so begeisterte Diener der päpstlichen Sache, ausgesetzt war, hatte er seinen Abschied gefordert, um in sein Vaterland und in seine Heimat zurückzukehren und dort Trost für alle Schmerzen zu suchen, welche die letzte Zeit ihm gebracht hatte.

Er hatte seinen Abschied bereitwilligst und in auszeichnender und anerkennender Form erhalten und war dann nach Deutschland abgereist, ebenso reich an Schmerzen und 395 Enttäuschungen, als er einst voll Begeisterung und Hoffnung nach Italien gekommen war.

Mit liebevollem Arm hatte ihn die Heimat umfangen. All die Seinigen kannten seinen Kummer, und jeder suchte auf seine Weise ihn mit dem Leben wieder auszusöhnen und ihm die Hoffnung auf künftiges Glück wiederzugeben.

Graf Xaver und Fräulein Josephine verbargen fast scheu ihre Liebe, um in dem armen Bruder keine schmerzlichen Erinnerungen an seinen Verlust wachzurufen.

Der Graf Spangendorf suchte, ohne jemals der Vergangenheit zu erwähnen, seinen Sohn für die Verwaltung seiner Besitzung zu interessieren und durch regelmäßige Beschäftigung seinen Gram zu zerstreuen. Und die Gräfin, welche, so sehr sie an dem Leid des jungen Mannes Anteil nahm, dennoch über die Katastrophe, die den Roman seines Herzens beendet hatte, eigentlich nicht unzufrieden war, tat alles mögliche, um die geselligen Beziehungen des Hauses mit der Stadt und Umgegend zu pflegen und den Grafen Franz mit den jungen Damen des rheinischen Adels in Berührung zu bringen, in der stillen Hoffnung, daß sein Herz sich einer neuen Liebe erschließen und auf diese Weise Ersatz für seine verlorenen Träume finden würde, die sie eigentlich doch immer als eine Verirrung angesehen hatte.

Gabriele, sonst so scheu und zurückhaltend, war von allen am meisten dem unglücklichen Bruder nahegetreten. Es war natürlich, daß Graf Franz in seiner schmerzvollen Gemütsstimmung, in all den Zweifeln, welche an seinem Herzen nagten, zu der Schwester, welche von so ähnlichen Gefühlen bewegt war, sich am meisten hingezogen fühlte. Und oft sah man die beiden jungen Leute, in lange, ernste und innige Gespräche vertieft, den Park durchstreifen.

Graf Franz wurde nicht müde, dem so freundlich und ruhig zuhörenden jungen Mädchen immer und immer wieder von seiner Liebe und von den Schmerzen um seinen Verlust zu erzählen, und wenn er so alle Tiefen seines kummervollen Herzens erschlossen hatte, dann sagte er wohl, sanft die Hand seiner Schwester drückend:

»Wie bist du glücklich, mein Kind, daß du das alles nicht kennst und es auch in der glückseligen Stille deines 396 künftigen Lebens im Dienst der Kirche nicht kennen lernen wirst!«

Dann hatte Gabriele mit flüchtigem Erröten das Haupt geneigt, ein schmerzlicher Seufzer hatte ihre Brust bewegt, aber ihr Mund war stumm geblieben. Sie hatte nicht den Mut und die Kraft gefunden, dem Bruder zu sagen, daß auch in ihrem Herzen die rote Rose der Liebe erblüht war und daß sie diese Blüte gebrochen habe zum Opfer auf dem Altar Gottes, daß aber die Wunde ihres Herzens noch blute und daß aus diesem Blut immer neue Blüten emporsproßten, die sie immer wieder mit neuem Schmerz brechen müßte.

Graf Franz war der einzige in ihrer Familie, welcher den Entschluß des jungen Mädchens, sich dem Kloster zu widmen, billigte und sie in demselben bestärkte, und mehr und mehr wurde auch in ihm der Entschluß reif, seinerseits der Welt, die ihm so viele Schmerzen bereitet hatte, zu entsagen und in dem priesterlichen Dienst des Himmels die Lösung aller der Zweifel zu suchen, welche an der Sache in ihm aufgestiegen waren, der er früher mit ganzer Seele sich hingegeben hatte. Die Worte, welche einst der Erzbischof von Köln zu ihm gesprochen, als er voll Glück und Freude dem Ziel seiner Wünsche nahe stand, klangen jetzt in der gramvollen Einsamkeit seiner Seele um so mächtiger in ihm wieder. Der Glaube an das Fundament seiner Kirche stand fest und unerschütterlich wie ein Felsen in seinem Innern, aber der Schimmer, welcher, von dem apostolischen Stuhl in Rom ausstrahlend, ihn einst mit Begeisterung erfüllte, hatte seine Macht verloren, und wie er sein Leben hatte einsetzen wollen mit dem Schwert in der Hand, diesen Thron zu verteidigen, so erfüllte ihn jetzt der Gedanke mit heiliger Freude, in dem Geisteskampf dafür zu arbeiten, und immer erhabener, immer heiliger den Bau aufführen zu helfen, welcher die Gläubigen in seinem Vaterlande nach ihrer Art und Sitte zum Dienste Gottes in seinen Hallen vereinigen sollte.

Er hatte seinen Gedanken seinem Vater mitgeteilt und bei diesem keinen Widerspruch gefunden.

Der Graf Spangendorf, welcher fortwährend den Entschluß Gabrielens zu bekämpfen suchte, hatte gegen die 397 Absicht seines Sohnes nichts einzuwenden. War es doch seit unvordenklichen Zeiten in den alten Familien des rheinischen Adels vorgekommen, ja in einigen derselben fast zur Sitte geworden, daß die jüngeren Söhne sich dem geistlichen Stande widmeten. Und dieser Stand, welcher das junge Mädchen für immer von der Welt trennte, um sie in untätige Einsamkeit zu verschließen, öffnete ja dem jungen Manne aus großer Familie ein reiches Feld segensvoller Wirksamkeit, ja ein Feld des hochstrebenden Ehrgeizes.

Und auch von diesem Ehrgeiz waren die Gedanken des jungen Grafen nicht frei. Er träumte davon, einst als Bischof den Platz einzunehmen, den schon mehrere seiner Vorfahren errungen und ruhmvoll behauptet hatten, und dann zu einem begeisterten Führer der Kirche seines Vaterlandes zu werden.

Der Pater Dominikus hatte sich kalt und still zurück gehalten. Mit scharfem Blick hatte er erkannt, daß Graf Franz Gabriele von ihren Anschauungen und Plänen nicht abwendete, und er hatte daher den innigen Verkehr zwischen den beiden Geschwistern immer noch mehr befördert. Er hatte Gabriele bei jeder Gelegenheit auf ihren Bruder hingewiesen und hatte es auch mehrfach versucht, sich dem Grafen Franz in freundlicher, tröstender und teilnehmender Weise zu nähern.

Der junge Graf aber hatte mit aller ehrerbietigen Rücksicht, welche er dem geistlichen Berater seines elterlichen Hauses schuldete, dennoch jede weitere Annäherung abgelehnt – kein sympathischer Zug führte ihn zu dem Pater hin, dessen Wesen, dessen Sprache und Blick ihn an Rom erinnerte, und ihm hier in der Heimat, auf dem vaterländischen Boden, unter dem Schatten der alten Eichen Deutschlands, fremdartig entgegentrat und die Bilder seiner so traurig beendeten Vergangenheit wieder in ihm wachriefen.

Auch Gabriele hielt sich mit einer gewissen Scheu von dem Pater fern, und selten nur fand er Gelegenheit, mit ihr über den Zustand ihres Herzens zu sprechen. Des Leutnants von Rothenstein erwähnte sie nie, und wenn der Pater vorsichtig diesen Gegenstand berührte, so brach sie 398 schnell ab mit den Worten: »Die Vergangenheit ist tot für mich, meine Zukunft gehört Gott.«

Der Pater ging dann auch seinerseits sogleich von der Sache ab – der junge Mann war fort, – alles war aus zwischen ihm und Gabriele, und er fand diese, obgleich sie sich viel in Gesellschaften bewegte und schweigend und gehorsam alle Pflichten der Welt erfüllte, dennoch stets in ruhiger und unabänderlicher Entschlossenheit bei ihrem Vorsatze beharrend – er wartete also ruhig das Jahr ab, welches der Erzbischof für die Selbstprüfung des jungen Mädchens bestimmt hatte, und täglich wurde er sicherer und gewisser, daß diese junge Seele nicht wieder in den Kreis der Welt werde zurückgezogen werden.

Graf Xaver und Fräulein Josephine hatten im Anfang des Maimonats ihre Hochzeit gefeiert. Der Graf hatte mit seiner jungen Frau eine kurze Hochzeitsreise gemacht, und dann hatte das junge Paar sich in Düsseldorf niedergelassen, während demselben zugleich in einem Seitenflügel des Schlosses von Rensenheim eine Wohnung eingerichtet war.

So war der Juli des Jahres 1870 herangekommen. An die Stelle des regen, geselligen Lebens. welches den Winter und Frühling hindurch in Rensenheim geherrscht hatte, war eine ruhige Stille getreten.

In der schwülen Sommerhitze blieben die Bewohner der umliegenden Güter in ihren Häusern und schattigen Gärten, auch die Bekannten aus der Stadt scheuten den heißen und staubigen Weg oder waren in die Bäder gegangen, und die Familie des Grafen Spangendorf lebte still und fast ganz einsam.

Näher und näher rückte der Zeitpunkt, an welchem das vom Erzbischof vorgeschriebene Prüfungsjahr beendet sein würde, und Gabriele war mit ruhiger Festigkeit bei ihrem Entschluß geblieben, – trotz der ernsten und dringenden Bitten ihres Vaters, trotz der etwas kühleren Vorstellungen ihrer Mutter, welche sie mit demütiger Ehrerbietung anhörte, blieb sie dabei, daß das geistige Leben ihr Beruf sei und daß sie der Stimme Gottes, welche in ihrem Herzen spräche, ungehorsam sein würde, wenn sie sich jenem Beruf entzöge.

399 Auch die junge Gräfin Josephine, welche während der Sommermonate beständig in Rensenheim wohnte, während Graf Xaver, so oft es der Dienst irgend erlaubte, am Abend herauskam, hatte vergebens versucht, den Entschluß ihrer Freundin zu erschüttern. All ihre Bitten, all ihre heiteren Scherze, durch welche sie die Lust am Leben und an der Welt in ihrer Freundin wieder anzufachen suchte, waren vergeblich geblieben, und mit stets sich gleichbleibender, ruhiger Freundlichkeit hatte Gabriele sie gebeten, den Gegenstand nicht weiter zu berühren, da ihr Wille unabänderlich sei.

An einem schwülen Nachmittage saß die Familie unter jenem alten Lindenbaum, welcher seine breite Krone inmitten des freien Platzes vor der Gartenseite des Schlosses ausbreitete, die Damen mit leichten weiblichen Arbeiten beschäftigt, der Graf Spangendorf bequem zurücklehnend in dem großen Lehnstuhl von Rohrgeflecht und von Zeit zu Zeit ein großes Kelchglas von der duftigen Erdbeerbowle leerend, welche in einem mit Eis gefüllten Untersatz auf dem Tisch stand.

Graf Franz saß neben seinem Vater, beschäftigt, die neu angekommene Kölnische Zeitung zu lesen.

Die drückende Julihitze lag schwer und schwül auch auf dieser kühlen und schattigen Stelle. Aber es war nicht der Druck der Hitze allein, welcher die Unterhaltung, so oft sie aufgenommen wurde, wieder stocken ließ und auf alle diese Gesichter einen Hauch trüber Niedergeschlagenheit senkte.

Der Graf blickte von Zeit zu Zeit ernst nach dem bleichen Gesicht seiner Tochter hinüber, die er ansah wie eine Sterbende, für welche die Tage, die sie noch im Kreise der Ihrigen zu leben hatte, gezählt waren. Und ähnliche Gefühle bewegten auch die Herzen der beiden anderen Damen, welche Gabriele unausgesetzt mit der zartesten Aufmerksamkeit umgaben, wie man es bei einem Kranken tut, dessen Auflösung man herannahen sieht, und dem man die letzten Augenblicke seines Lebens noch mit allem Reiz liebevoller Teilnahme verschönern möchte.

»Das Konzil naht sich seinem Ende!« rief Graf Franz, indem er lebhaft das Blatt, in welchem er gelesen, auf den 400 Tisch warf. »Die Majorität für das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit ist gesichert, und alle Vorstellungen der deutschen Bischöfe sowie der französischen scheinen vergeblich zu sein. Das Dogma soll in nächster Zeit proklamiert werden.«

Graf Spangendorf schüttelte ernst den Kopf.

»Das ist ein verhängnisvoller, beklagenswerter Schritt,« sagte er, »die Welt ist in diesem Augenblick in anderer Richtung beschäftigt, alle Blicke sind nach Paris und Ems gerichtet, wo in diesem Augenblick an seidenem Faden das zweischneidige Schwert des Krieges über die Welt herabhängt, und kaum hat jemand Zeit, sich mit diesem neuen Dogma zu beschäftigen, das man von Rom aus in die Welt zu setzen sich anschickt. Die Kriegsgefahr wird vorübergehen, wie ich glaube,« fuhr er fort, »es ist ja unmöglich, daß zwei große Nationen sich um eine an sich so wenig bedeutungsvolle Frage in blutigen Kämpfen zerfleischen sollten. Aber die Folgen jenes römischen Dogmas, welches jetzt fast unbeachtet und unbemerkt geschaffen wird, werden noch lange, lange hin das Leben der Völker erschüttern. Es ist traurig, sehr traurig, daß der Heilige Vater von Personen beraten ist, welche in starrer, abgeschlossener Einseitigkeit unsere Zeit nicht verstehen. Er hat die Vorstellungen der Bischöfe, welche innerhalb der Völker und ihres geistigen Lebens stehen, nicht beachtet und unternimmt es, heute, im neunzehnten Jahrhundert, etwas auszuführen, was selbst Gregor VII. nicht zu beginnen wagte und was durch das ganze Mittelalter hin den Widerspruch der Bischöfe und der katholischen Welt hervorgerufen haben würde.«

»Vielleicht«, sagte Graf Franz, »ist es gut, daß es so gekommen ist. Wenn die deutschen Bischöfe, namentlich gestützt auf die Hingebung und Verehrung ihrer Diözesen, von neuem dem Heiligen Vater die Unmöglichkeit der Durchführung des neuen Dogmas darlegen werden, wenn sie die Proklamierung desselben ablehnen, so wird vielleicht gerade dies dazu beitragen, die Herrschaft, welche die italienische Kurie über die ganze Kirche an sich reißen möchte, zu brechen und endlich den Heiligen Vater wieder in unmittelbare Beziehung zu den Bischöfen zu setzen. Es treten«, 401 rief er lebhaft, »in dieser Zeit neue und große Aufgaben an das deutsche Priestertum heran, und heiliger und höher scheint mir heute dieser Beruf zu sein als je.«

Graf Spangendorf sah seinen Sohn ernst und traurig an.

»Ich glaube nicht an eine solche Wendung«, sagte er. »Wenigstens wird sie vielleicht erst eintreten können, nachdem große und schwere, das Leben der Kirche in seinem innersten Wesen erschütternde Kämpfe durchgefochten sind. Die Fäden, mit welchem Rom die ganze Welt durchzogen hat, sind zu zahlreich und zu fest, als daß selbst die Bischöfe imstande wären, sie so schnell zu zerschneiden. Der Heilige Vater ist zu sehr umgeben von denjenigen Elementen, welche keine freie und selbständige Entwicklung der Kirche wollen, und alle diejenigen, welche der Kirche selbst feindlich sind, werden die Gelegenheit benutzen, um die Fundamente des kirchlichen Lebens überhaupt anzugreifen. Ja,« fuhr er fort, »wenn wir einen obersten Bischof in Deutschland hätten, der die katholische Welt um sich sammelte und an deren Spitze im Namen des ganzen Deutschlands ein mächtiges Wort sprechen könnte – wenn wir ein Deutsches Reich, einen Deutschen Kaiser hätten, der einem solchen Bischof zur Seite stände – dann –«

Rasche, sporenklirrende Schritte erschallten vom Altan des Hauses her. Schnell eilte Graf Xaver die Stufen hinab und näherte sich mit lebhaft bewegtem Gesicht der Gruppe unter dem Lindenbaum.

Gräfin Josephine sprang mit einem leichten Aufschrei der Freude empor und eilte ihrem Gemahl entgegen, der sie flüchtig und weniger zärtlich als sonst in seine Arme schloß und lebhaft zu seinem Vater herantrat.

»Der Krieg ist beschlossen!« rief er, ohne die Seinigen zu begrüßen. »Der König ist von Ems abgereist und hat den französischen Botschafter nicht mehr empfangen. Alles ist zur Mobilmachung bereit. Die Order kann jeden Augenblick ankommen. Diesmal ist es wirklich Ernst,« sagte er, mit freudigem Klang in der Stimme, »diesmal wird der Übermut der Franzosen, der uns so lange bedroht und beunruhigt hat, endlich einmal gründlich bestraft werden!«

Sein vor Freude und Stolz leuchtender Blick traf seine 402 junge Frau, welche zitternd dastand und sich mit der Hand auf einen Sessel stützte, während ihr sonst so heiteres, fröhliches Gesicht schmerzlich und angstvoll sich verzog und ihre weitgeöffneten Augen sich mit Tränen füllten.

Rasch trat der junge Mann zu ihr hin, schloß sie in seine Arme und legte ihren Kopf an seine Brust.

»Verzeihe,« sagte er mit sanfter Stimme, »daß mich die Nachricht freudig bewegt. Ich bin nun einmal Soldat, und der Krieg ist ja mein Beruf. Und dann regt sich auch deutsches Blut in mir und wallt auf, um die Anmaßung Frankreichs zurückzuweisen. Sei ganz ruhig – man sagt ja, der Tod werfe einen Schatten vor sich her, dessen kühle Berührung man lange vorher empfindet – ich fühle nichts davon. Eine innere Stimme sagt mir, daß ich gesund und fröhlich zu dir wiederkehren werde.«

Die Gräfin Josephine hob ihren Kopf empor und trat einen Schritt von ihrem Gemahl zurück. Der Ausdruck unruhiger Angst war von ihrem Gesicht verschwunden. Mit blitzenden Augen schaute sie auf den mutigen und siegesfreudigen Offizier hin und rief:

»Ich bin nicht schwach! Da ich eine Soldatenfrau geworden bin, muß ich mich auch in das Los des Krieges finden. Du wirst mich deiner würdig finden, und kein Seufzer, keine Klage soll dir den Abschied schwer machen, wenn du zu ruhmvollem Kampf ausziehst.«

Graf Xaver ergriff die Hände seiner Frau, drückte sie innig an seine Lippen und blickte sie mit so begeisterter, schwärmerischer Liebe an, wie sie kaum noch je aus seinen Augen ihr entgegengeflammt hatte.

»Bist du deiner Nachrichten ganz gewiß?« fragte Graf Spangendorf, der sinnend und tiefernst vor sich niedergeblickt hatte.

Graf Xaver zog ein Extrablatt aus seiner Uniform und reichte es seinem Vater.

»Es ist kein Zweifel mehr,« sagte er, »die heute abend erscheinende Kölnische Zeitung wird wohl schon Näheres und wahrscheinlich den Befehl der Mobilmachung bringen.«

»So naht denn die große Stunde der Entscheidung«, sagte der Graf ernst und feierlich, »und entweder wird 403 unser armes deutsches Vaterland von neuem in Schmach und Ohnmacht versinken, oder es wird sich leuchtend erheben zu nie geahnter Größe und Herrlichkeit. Und dann,« fügte er hinzu, den Blick sinnend in die Ferne gerichtet, »dann, wenn das Schwert Deutschland erkämpft haben wird unter den Mächten Europas, dann vielleicht wird auch einst auf dem Boden des einigen und freien Vaterlandes sich das Kreuz seiner Kirche erheben können.«

Gabriele, welche bis jetzt ernst und schweigend dagesessen hatte, erhob sich mit einer Bewegung voll selbständiger, würdevoller Entschlossenheit, welche kaum an die sonstige, fast ängstliche Schüchternheit des jungen Mädchens erinnerte, und sprach, indem ein Strahl lichter Begeisterung in ihren Augen glänzte:

»Ihr habt mich alle in eurer Liebe und in eurer treuen Sorge um mein Glück zurückhalten wollen von dem heiligen Beruf, zu dem meine Seele sich hinwendet, ihr habt mir gesagt, daß ich in der Einsamkeit des Klosters, in beschaulicher Untätigkeit die Pflichten versäumen möchte, welche ich der Welt und meiner Familie schuldig bin – nun«, rief sie, »in diesem Augenblick hat sich mein Blick erleuchtet, um zu erkennen, was ich tun muß, um dem heiligen Drang zu folgen, der mich erfüllt, und auch allen Pflichten gerecht zu werden, welche die Welt an mich stellen kann! Ich werde den barmherzigen Schwestern in den Krieg folgen, dies soll mein Noviziat sein. In der Erfüllung tätiger Liebespflichten will ich mich vorbereiten für den späteren Dienst des Himmels, – dagegen, mein Vater, kannst du nichts einwenden, dazu mußt du mir aus vollem, freiem Herzen deinen Segen geben.«

»Aber, mein Kind,« rief die Gräfin Spangendorf erschrocken, »bedenke deine zarte Gesundheit, du bist an keine Strapazen gewöhnt, bedenke die Mühe, die Gefahren!«

»Wenn mein Bruder hinauszieht,« rief Gabriele, »wenn er seine Familie verläßt und dem Tode trotzt, um für die Ehre des Vaterlandes zu kämpfen, sollte ich dann Mühen und Anstrengungen scheuen, um die Leiden der Krieger meines Vaterlandes, der Kameraden meines Bruders zu erleichtern? Habe ich recht, mein Vater?« fragte 404 sie, vor den Grafen hintretend, »ist mein Entschluß gut und würdig, deiner Tochter würdig, einer Gräfin Spangendorf?«

Der Graf sah das junge Mädchen, das hochaufgerichtet vor ihm stand, einen Augenblick schweigend an. Sein Auge wurde feucht, aber stolz und freudig ruhte sein Blick auf seiner Tochter.

»Ich halte dich nicht, mein Kind,« sagte er, ihr die Hand reichend, »und wenn es wirklich zum Kriege kommt, woran ich kaum noch zweifle, so mag dein schöner Beruf, Leiden zu lindern, dir wieder Lust und Mut geben, auch später in der Welt zu bleiben und Glück und Freude zu verbreiten.«

Graf Franz hatte stumm vor sich niedergeblickt, als Gabriele sich, dankend für die Worte ihres Vaters, auf dessen Hand niederbeugte, dann sagte er:

»Wenn sogar meine Schwester, dies zarte Kind, ihren Teil an dem großen Kampf des Vaterlandes in Anspruch nimmt, so kann ich wahrlich nicht in untätiger Ruhe daheim bleiben, und wäre mein Vorsatz bereits ausgeführt, hätte ich die Weihe empfangen, so würde es mir eine hohe Freude sein, hinauszuziehen, um als Priester die Kämpfenden zu ermutigen, die Sterbenden zu trösten. Aber«, rief er heftig und den Kopf schüttelnd wie ein edles Roß, das den Zügel zurückwirft, »untätig bleiben kann ich nicht, wenn mein Vaterland in die Schranken tritt, – man wird Männer genug brauchen, sei es in den Reihen der Kämpfenden, sei es beim Schutz und bei der Pflege der Verwundeten und Kranken, ein Platz wird sich finden für mich, an dem ich meinem Vaterlande dienen kann!«

Traurig blickte Josephine zu Boden.

»Alles zieht hinaus im heiligen Dienst des Vaterlandes,« sagte sie, »und ich allein soll in banger Sorge und Unruhe zu Hause bleiben?«

»Dein Platz ist im Hause«, sagte Graf Xaver, indem er den Arm um die Schulter seiner Gemahlin legte und sie sanft an sich zog.

»Du wirst das Haus hüten und alles vorbereiten,« fügte er heiter hinzu, »für die Rückkehr, für die siegreiche 405 Rückkehr deines Mannes, die ja nicht zu lange wird auf sich warten lassen.«

Einen Augenblick zuckte Josephine schmerzlich zusammen. Ihr Blick verdunkelte sich unter einem Tränenschleier, aber bald hatte sie diese Anwandlung von Schwäche überwunden, und ein heiteres Lächeln erschien wieder auf ihren Zügen, frohe Zuversicht strahlte wieder aus ihren Augen. –

Nun begann eine rege Zeit im Schlosse zu Rensenheim. Der nächste Tag schon brachte den Mobilmachungsbefehl für das elfte Husarenregiment, und die Zeit bis zum Ausrücken desselben wurde mit Vorbereitungen für die Feldausrüstung des Grafen Xaver zugebracht, wobei seine junge Frau die innere Bangigkeit ihres Herzens durch die Tätigkeit zu übertäuben suchte, um ihren Gemahl für alle Wechselfälle des Feldzuges mit den notwendigen Gegenständen auszustatten, eine Tätigkeit, die oft vergeblich war, da von all den vielen Gegenständen, die sie als unerläßlich hielt und herbeibrachte, nur ein kleiner Teil wirklich Aufnahme in dem so wenig umfangreichen Feldkoffer finden konnte.

Gabriele hatte mit Leichtigkeit bereitwillige Aufnahme bei den barmherzigen Schwestern gefunden, welche in Düsseldorf sich organisierten, um sich im Gefolge der Armee dem so segensvollen Liebeswerk der Pflege der Verwundeten zu widmen, und auch ihre Ausstattung, welche in allem so sehr von der bisherigen Toilette des jungen Mädchens abwich, nahm Zeit und Arbeit in Anspruch.

Die Gräfin Spangendorf seufzte oft traurig auf, wenn sie diese Kleider von grobem Wollenstoff ansah, welche die zarte Gestalt Gabrielens einhüllen sollten, und wenn sie an alle die Mühen und Gefahren dachte, welche ihre Tochter erwarteten. Aber als eine Dame von streng kirchlicher Gesinnung wagte sie es nicht, dem frommen Entschluß ihrer Tochter entgegenzutreten, und nur mit leisen und gelegentlichen Andeutungen machte sie dieselbe auf die Größe der Aufgabe die sie sich gestellt, aufmerksam, und sprach einen Zweifel darüber aus, ob auch ihre Kraft dazu ausreichen würde.

Aber Gabriele hatte alle solche Zweifel jedesmal auf das bestimmteste und mit dem gläubigsten Vertrauen auf 406 die Allmacht Gottes, welche auch in dem Schwachen mächtig sei, zurückgewiesen, so daß die Gräfin nichts mehr sagte und alles, wie sie stets in stiller Seelenruhe zu tun gewohnt war, der Vorsehung anheimstellte.

Graf Franz hatte sich dem nächsten Komitee des Johanniterordens angeschlossen und seine Dienste für dessen frommes und mühsames Werk angeboten und rüstete sich ebenfalls zum Auszug.

Abermals nach wenigen Tagen hatten die beiden Söhne das Schloß von Rensenheim verlassen. Und der Augenblick war nahe, in welchem Gabriele, das zarte und schwache Kind, ebenfalls hinausziehen sollte in die Wechselfälle und Gefahren eines blutigen Krieges.

Der Pater Dominikus war still einhergegangen, schweigsamer noch als sonst, schien er tief in ernste Gedanken versunken, wie sie die so ernste Zeit wohl rechtfertigen konnte. Als er den Entschluß Gabrielens erfuhr, den deutschen Heeren als barmherzige Schwester zu folgen, war er einen Augenblick wie in plötzlichem Schreck zusammengefahren. Dann aber faltete er die Hände, senkte den Kopf auf die Brust und sprach mit ruhigen, sanften Worten die volle Billigung dieses Entschlusses aus. Er war dann zweimal auf kurze Zeit abwesend gewesen, worauf man in diesen bewegten Stunden kaum geachtet hatte, und dann trat er eines Tages vor den Grafen Spangendorf hin mit der Erklärung, daß er entschlossen sei, in dieser Zeit, in welcher jeder nach seinen Kräften sich dem Dienst des Vaterlandes widme, nicht in untätiger Ruhe zu Hause zu bleiben, daß er sich von seinen Oberen die Erlaubnis geholt habe, die Armee als Priester zu begleiten, und daß er den Auftrag erhalten habe, die barmherzigen Schwestern, denen Gabriele sich angeschlossen, zu führen.

Diese Erklärung erregte große Freude bei dem Grafen und der Gräfin Spangendorf, welche in der Begleitung des ihrer Familie so lange nahestehenden Hausgeistlichen einen kräftigen Schutz für ihre Tochter erblickten.

Mit Gabriele selbst hatte der Pater nur wenige Worte gewechselt.

Das junge Mädchen war still und in sich gekehrt, dabei 407 von einer so willenskräftigen Selbständigkeit wie nie zuvor. Sie suchte den geistlichen Zuspruch nicht, und der Pater Dominikus fand keine Gelegenheit, sich ihr zu nähern.

Am Morgen des Tages der Abreise war Gabriele schon früh aufgestanden – auch ihr Bruder Franz hatte das Elternhaus verlassen und war zum Hauptquartier nach Mainz abgegangen.

Die meisten der männlichen Domestiken waren einberufen worden, nur einige alte Diener waren im Schloß zurückgeblieben und tiefe, friedliche Stille ruhte über dem weiten Gebäude und dem schattigen Park, während die Welt draußen sich anschickte, mit dem Blut von Hunderttausenden den Boden zu düngen.

Die Morgensonne hatte die Kelche der Blumen auf dem Parterre vor dem Hause geöffnet; noch hingen einzelne Tautropfen an den kleinen Blütenblättern, und im bunten, heitern Leben umschwärmten die Schmetterlinge und Käfer die duftenden Beete, während die Stimmen der Vögel die tiefen Schatten des Parks erfüllten.

Gabriele, in das ernste Gewand der barmherzigen Schwestern gekleidet, trat allein auf die Rampe des Schlosses hinaus. Ihr Auge öffnete sich weit vor dem freundlichen, lebensvollen Bilde, das sich vor ihr ausbreitete und das sie von ihrer Kindheit an so oft vor sich gesehen hatte, dessen lieblichen, heimisch wohltuenden Eindruck sie aber nie in dem Maße empfunden hatte wie heute, wo sie sich anschickte, diese so reizvolle, friedliche Stille zu verlassen, um in eine Welt voll Entbehrung, Mühe und Arbeit hinauszugehen, ungewiß, ob sie die liebe Heimat ihrer Kindheit je wieder sehen würde, ob nicht auch diese blühende und duftende Stätte friedlichen Glücks berührt werden würde von dem Fuß des zerstörend und verwüstend dahinschreitenden Krieges.

Einen Augenblick stand sie in gedankenvoller Betrachtung da, dann stieg sie die Stufen hinab und schritt langsam über den Platz hin, nach den schattigen Gängen des Parkes, als wolle sie von jeder Blume, von jedem Baume noch einmal Abschied nehmen, bevor sie das Haus verließ.

Den Blick zur Erde gesenkt, schritt sie weiter und weiter in den Alleen durch den Park hin, so leise, so zart 408 über den Boden dahinschwebend, daß kaum die Vögel auf den nächsten Zweigen sich in ihrem fröhlichen Morgengesang stören ließen, wenn sie an ihnen vorbeiging. War es Zufall oder hatte sie absichtlich, trotz ihrer zu Boden gesenkten Blicke, den Weg gewählt, welcher nach dem runden Platz führte, auf dem noch immer mit seinem weißen Schild der kleine Amor stand, und auf welchem wieder die Rosen erblüht waren, in duftiger Fülle den marmornen Liebesgott umringend? Sie stand hoch aufatmend still vor dem Steinbilde, mit einem tiefen Seufzer schlug sie die Augen empor und ließ die Blicke über diesen Blütenflor hingleiten. Ihr bleiches Gesicht färbte sich mit der zarten Farbe der roten Rose der Liebe, wie in fern hinziehende Gedanken versunken stand sie da, mit zitternden Lippen flüsterte sie kaum hörbar vor sich hin:

»Ritter, treue Schwesterliebe
Widmet Euch dies Herz.
Fordert keine andre Liebe,
Denn es macht mir Schmerz –

keine andere Liebe!« rief sie schmerzvoll, indem sie ihr Auge strahlend zum Himmel aufschlug. »Oh, du weißt es, heilige Mutter Gottes, wie ich gekämpft und gerungen habe, um mich deines reinen Dienstes wert zu machen. Warum will sie nicht weichen, diese andere Liebe, aus meinem Herzen – diese andere Liebe, die ich so oft schon glaubte überwunden zu haben, und die immer wieder von neuem aus den innersten Wurzeln meines Herzens emportreibt?«

Sie versank in tiefes Schweigen, ihre zum Himmel aufgeschlagenen Augen senkten sich und blickten düster auf den Boden.

»Und er ist hingegangen,« sagte sie, »ohne noch einmal Abschied zu nehmen, ohne noch einmal zu fragen. Kann in seinem Herzen ein wirklich tiefes und wahres Gefühl je gelebt haben? – wenn er noch einmal gekommen wäre, wenn er noch einmal gefragt hätte – oh, mein Gott!« rief sie, auf die Knie sinkend und die Hände vor der Brust haltend, »stehe mir bei, du heilige Jungfrau, und beschütze mich, beschütze mich vor meinem eigenen Herzen – mit seinen Wünschen und seiner Sehnsucht!«

409 Lange lag sie auf ihren Knien, schwere Atemzüge drangen aus ihrer Brust, einzelne Worte entrangen sich leise ihren Lippen. Der leichte Hauch des Morgenwindes strich über die duftenden Blüten dahin und neigte ihre Häupter zu dem jungen Mädchen herab, das in seiner dunklen Ordenstracht zu den Füßen des Liebesgottes kniete in inbrünstigem Gebet um Befreiung von dem Gefühl, welches die Herzen der Menschen durch alle Jahrhunderte hindurch bewegt, und welches schon die Alten diesen kleinen Gott als den Herrn der Götter und Menschen verehren ließ.

Gabriele stand auf, fromme Begeisterung leuchtete aus ihren Augen, die sie wieder zum Himmel emporhob.

»Ich danke dir, heilige Jungfrau,« rief sie, »du hast mir die Kraft, den Mut und die Klarheit wiedergegeben. Nicht zerstören, nicht verbannen will ich die Liebe meines Herzens, sie war ja rein wie das Morgenlicht, das diese Blumen bestrahlt, aber ich will sie groß werden lassen und weit, sie soll alle Leidenden, alle Gebeugten und Trauernden umfassen und in der Erinnerung an den, den ich nie wiedersehen werde, will ich Trost, Hilfe und Beistand allen denen bringen, die mühselig und beladen sind, nach dem Beispiel des göttlichen Weltheilands. Diese Erinnerung an meine Liebe«, sagte sie, mit kindlichem Lächeln die Hände auf die Brust drückend, »wirst du nicht verdammen, sie wird sich mit deinem heiligen Dienst vereinen und mich stärken in der Erfüllung meines Berufes.«

Sie beugte sich über die Hecke und brach eine halberschlossene rote Rose.

»Verzeihe,« sagte sie, das Haupt über die frische, taufeuchte Blüte neigend, »daß ich dich, du arme Blume, dem frischen Leben im Kreise deiner Schwestern entreiße – aber du wirst länger leben als sie, du wirst mit mir gehen und mich begleiten als ein letzter Gruß der Heimat und der Vergangenheit.«

Die Rose in der Hand kehrte sie zum Schloß zurück und stieg, von niemandem bemerkt, in ihr Zimmer hinauf. Sie öffnete eine Kassette, welche ihre Schmucksachen enthielt, und nahm aus derselben nach einigem Suchen ein großes Medaillon von schwarzemailliertem Gold und einer 410 Perle in der Mitte. Sie schloß die Blüte in dies Medaillon ein und zog ein schwarzes Band durch dessen Ring.

»Außen die Perle, die Tränen bedeutet, innen die gebrochene Blüte,« sagte sie leise, »das ist das Bild meines Lebens.«

Sie legte das Band um den Hals und ließ das Medaillon in ihr schwarzes Kleid hinabgleiten, dann umfaßte sie dies stille, freundliche Zimmer, an welches sich alle Erinnerungen ihres jungen Lebens knüpften, mit einem letzten Blick und stieg hinab zu ihren Eltern.

Die Zeit der Abreise war da, und sie hörte den Wagen im Hof vorfahren.

Ernst und schweigend fuhr man nach Düsseldorf.

Die Straßen der Stadt boten bereits ein lebendiges, bewegtes, kriegerisches Bild. Die deutschen Heersäulen begannen, sich nach Westen zu wälzen. Der Pater Dominikus und eine Oberin der barmherzigen Schwestern mit ihrer Abteilung empfingen den Grafen Spangendorf und die Damen am Bahnhof. Noch ein kurzer Abschied und Gabriele stieg mit ihren neuen Gefährtinnen in das Coupé. Der Pater Dominikus begleitete sie, und ein Blick freudigen Triumphes leuchtete einen Augenblick in seinen schwarzen dunklen Augen auf, als Gabriele noch einmal aus dem Waggon gegrüßt hatte und dann von dem langsam abrollenden Zug fortgeführt wurde, getrennt von der Welt, der sie angehörte, und von der Heimat, die sie bisher behütet und beschützt hatte.

 


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