Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Neunzehntes Kapitel

Der Graf Franz von Spangendorf war raschen und elastischen Schrittes nach seiner Wohnung zurückgekehrt.

Wohl hatte das Gespräch mit dem Kardinal ihn tief bewegt, wohl fühlte er sich stolz erhoben in dem Bewußtsein, dem hohen römischen Kirchenfürsten gegenüber im Namen seines Vaterlandes gesprochen zu haben, und in der Hoffnung, daß seine Worte an der Stelle, wo die Entscheidung und das Schicksal der Kirche lag, Gehör und Beachtung finden konnten. Aber alle diese Gedanken traten bald zurück vor dem Gefühle des Glücks, das sein ganzes Wesen erfüllte bei dem Gedanken, seine geliebte Lorenza wiederzusehen, ihr selbst zu verkünden, daß sie nunmehr für alle Zukunft ihm gehören solle, und mit ihr die Pläne für diese selige, lichtvolle Zukunft zu verabreden.

Als er an dem Madonnenbild vorüberschritt, waren die Pifferari nicht mehr da und der Platz mit dem mit Blumen und Lampen geschmückten Bilde war leer; er warf einen raschen Blick nach demselben, grüßte es mit leichter Neigung des Kopfes und richtete sein Auge mit dem Ausdruck dankerfüllten Gebets zum dunklen Himmel, von welchem die Sterne so licht und klar funkelten, wie die tausendfach schimmernden Hoffnungen, die sein Herz in sich schloß.

Er trat in seine einfache, aber mit geschmackvoller Eleganz ausgestattete Wohnung und rief seinem Diener, um schnell die Uniform mit einem einfachen Anzug zu vertauschen.

»Es ist ein Mann hier gewesen,« sagte der Diener, »welcher dem Grafen eine dringende Botschaft zu bringen hatte, und als er längere Zeit vergeblich gewartet, dieses Papier hinterlassen.«

347 Verwundert ergriff der Graf einen zusammengefalteten Zettel, welchen sein Diener ihm reichte, schlug das Papier auseinander und näherte sich einer der auf dem Tische brennenden Kerzen, um dessen Inhalt zu lesen. Auf dem Blatt groben grauen Papiers standen in einer schwerfälligen und ungeübten Handschrift die Worte:

»Graf Francesco wird dringend ersucht, den Besuch, welchen er heute abend machen will, zu unterlassen und die, welche er zu sehen wünscht, in seiner Wohnung zu erwarten.«

Der Graf ließ die Hand mit dem Papier langsam niedersinken und starrte betroffen vor sich nieder.

»Wie sah der Mann aus, der dies brachte?« fragte er.

»Es war ein alter Mann«, erwiderte der Diener, »mit grauem Bart und grauem Haar, mit schönem Gesicht und klaren, dunklen Augen.«

»Er ist es,« flüsterte Graf Franz, – »es ist Pietro, – aber was kann geschehen sein? Warum soll ich nicht zu ihr kommen? Sie wird mich hier aufsuchen, – was kann das bedeuten? Nur ein außergewöhnliches Ereignis kann sie, die so zurückhaltend ist, zu einem solchen Schritt veranlassen, – doch«, rief er dann strahlenden Auges, »sie wird kommen, und wenn sie kommen kann, so lebt sie, so ist sie wohl, – es kann kein ernstes Unglück sein, – kein Unglück für meine Liebe, – wenn sie zu mir kommt, werde ich sie sehen.«

Er breitete entzückt die Arme aus, als wolle er das geliebte Bild umfangen, das seine Seele erfüllte.

Dann versank er wieder in tiefes Sinnen und schritt schnell und unruhig im Zimmer auf und nieder, während der Diener, als er keine weiteren Befehle erhielt, sich der Tür näherte.

Ein lauter, kräftiger Schritt ertönte draußen, – nach einem kurzen Schlag trat ein Unteroffizier der päpstlichen Zuaven in ordonnanzmäßigem Anzuge und dienstlicher Haltung in das Zimmer.

Fragend blickte der junge Mann ihn an.

»Ich habe dem Herrn Grafen den Befehl zu bringen, sogleich in der Kaserne zu erscheinen.«

»Mein Gott, jetzt,« rief der Graf in lebhafter Verwirrung, »wie ungelegen, – jetzt, wo ich sie erwarte!« fügte 348 er leise hinzu. »Und was ist es,« sagte er, sich zu dem Unteroffizier wendend, »kennen Sie die Veranlassung dieses Befehls?«

»Zu Befehl, Herr Graf,« erwiderte dieser, »es handelt sich darum, mit einer Abteilung von dreißig Mann einen Polizeikommissär zu begleiten, der den Auftrag hat, einen gefährlichen Verbrecher zu verhaften. Der Herr Oberst hat sogleich den Herrn Grafen dazu bestimmt, und ich glaube,« fügte er mit einer gewissen ehrerbietigen Vertraulichkeit hinzu, »daß dies Kommando aus besonderem Vertrauen dem Herrn Grafen übergeben worden ist, da es sich wohl um eine sehr wichtige Sache handeln muß. Die Abteilung hat bereits den Befehl zum Antreten mit scharfen Patronen erhalten.«

Der Graf stand einen Augenblick unschlüssig da.

»Es ist unvermeidlich«, sagte er mit tiefem Seufzer, indem er den Degen wieder umgürtete, den er bei seiner Rückkehr abgelegt hatte.

»Es wird«, sagte er dann im Ton einer gewissen leichten Verlegenheit, indem er sich zu seinem Diener wendete, – »eine Dame hierherkommen, die ich erwarte und die mir eine Mitteilung zu machen hat. Du wirst sie mit aller Ehrerbietung empfangen und sie bitten, mich hier zu erwarten, da ich durch den Dienst gezwungen worden sei, auf einige Zeit auszugehen; sage ihr, daß ich hoffe, sehr bald zurückzukehren, und«, fügte er, an der Tür sich noch einmal umwendend, hinzu, »bitte sie in meinem Namen, mich jedenfalls zu erwarten.«

Schnell schritt er auf die Straße hinaus, während der Sergeant ihm folgte.

*

Pietro Barghili war nach seinem Hause zurückgekehrt und hatte dort Lorenza und Barbarino in traulicher Unterhaltung miteinander gefunden, – Lorenza ruhig und lächelnd, Barbarino glühend und flammend von Glück und liebevoller Begeisterung.

Dann hatte sich Lorenza in ihr Zimmer zurückgezogen, um ihre Vorbereitungen zur Abreise mit Barbarino zu 349 treffen, – um, wie sie mit einem eigentümlichen Blick auf den jungen Mann hinzufügte, sich durch eine kurze Ruhe für die Nachtreise zu stärken.

Barbarino hatte lange mit Pietro über die Zukunft seiner Tochter gesprochen und dem Alten das Versprechen gegeben, in kürzester Zeit sich nach einer andern Gegend Italiens zu begeben und dort eine ruhige und sichere Existenz zu gründen.

Zuweilen hatte er einen beobachtenden Blick auf die Straße hinausgeworfen; da er dort außer vorübergehenden Bettlern und Kindern nichts Außergewöhnliches bemerkte, so war schließlich auch zuletzt seine Besorgnis geschwunden, daß er am Morgen beobachtet worden sei, und er gab sich mit dem ganzen Aufschwung seiner jugendlichen und leidenschaftlichen Natur den Gefühlen des Glücks hin, endlich seine Geliebte von Rom fortführen zu können und von den Qualen unaufhörlicher eifersüchtiger Unruhe befreit zu werden.

So war der Abend herangekommen. Lorenza war wieder erschienen, strahlend von Schönheit, Mut und Hoffnung, in ein leichtes, eng anschließendes Gewand gekleidet, auf dem Kopf einen breiten roten Schleier, wie ihn die Albaneserinnen tragen, der nach dem Rücken herunterfiel und bei rauher Witterung über Hals und Brust zusammengezogen werden kann.

Das junge Mädchen sah wunderbar reizend in dieser Tracht aus, als sie mit heiterem Lächeln und strahlendem Blick in das Zimmer trat, um aus den Vorräten des Hauses ein Nachtmahl zusammenzustellen, – das letzte, bevor sie die Heimat verließ.

Mit einem Aufschrei des Entzückens eilte Barbarino auf sie zu und drückte sie einen Augenblick in seine Arme, folgte dann voll Liebe und Bewunderung ihren anmutigen Bewegungen, während der alte Pietro ernst dasaß und von Zeit zu Zeit einen sorgenvollen, fast finstern Blick auf seine Tochter richtete.

Man hatte schweigend gegessen, Lorenza hatte mit einem kräftigen Zug ein Glas des dunklen, feurigen Weines geleert und stand dann auf, indem sie sagte:

350 »Es ist Zeit, aufzubrechen. Ich gehe, die wenigen Sachen zu holen, welcher ich bedarf, und in einem letzten Gebet die Madonna anzurufen, daß sie mir Kraft gebe zu dem ernsten Schritt, der über mein künftiges Leben entscheiden soll.«

Sie verließ das Zimmer und zog sich in ihre Kammer zurück, während Barbarino das große Dolchmesser, das er abgelegt hatte, in seinen Gürtel steckte und den Mantel um seine Schulter schlug.

Lorenza blieb einen Augenblick vor dem Madonnenbild in ihrem Zimmer stehen, faltete die Hände und bewegte einige Sekunden lang betend die Lippen. Dann trat sie zu dem Fenster, das auf die Veranda hinausführte und welches fast bis zur Höhe der niedrigen Gartenmauer hinabreichte, sie öffnete leise den nur angelehnten Fensterflügel, schwang sich leicht und gewandt auf die Brüstung, indem sie flüsterte:

»Gott und alle seine heiligen Engel mögen mich begleiten.«

In diesem Augenblick hörte man von der Straße her Tritte von mehreren Männern, einzelne Worte klangen herauf und Lorenza glaubte im schwachen Licht der Sterne eine Gestalt zu erkennen, welche sich über die Gartenmauer erhob.

Sie sprang erschrocken in das Zimmer zurück und blieb hochklopfenden Herzens in der Mitte desselben stehen, indem ihre verworrenen Gedanken vergebens versuchten, sich diese außergewöhnliche Erscheinung zu erklären, und indem sie in höchster Seelenangst die kurze Zeit berechnete, welche ihr zur Ausführung ihrer Flucht blieb, und mit Schaudern daran dachte, daß sie, wenn diese Zeit nicht benutzt werden könnte, für immer um das Glück ihres Lebens betrogen und der dunklen, verzweiflungsvollen Zukunft verfallen sei.

Ein scheuer, angstvoller Blick durch das Fenster hin zeigte ihr nun in der Tat die Umrisse einer dunklen Gestalt, welche sich geräuschlos über die Mauer schwang und unmittelbar neben derselben unbeweglich stehenblieb.

Während sie noch ratlos und unschlüssig dastand, wurde die Tür des Wohnzimmers aufgerissen, Pietro erschien 351 in höchster Aufregung, Barbarino in das Zimmer seiner Tochter hineinziehend.

»Das Haus ist umstellt,« sagte er atemlos mit kaum hörbarer Stimme, »an Entkommen ist nicht zu denken. Es gibt nur ein Mittel der Rettung. Hier,« sagte er, indem er Barbarino in den schmalen Raum hineindrängte, welcher zwischen dem Bett seiner Tochter und der Wand sich befand, »hier drücke dich zusammen und laß keinen Laut, keinen Atemzug vernehmen.«

Barbarino verschwand hinter dem Bett.

»Und du, Lorenza, lege dich schleunigst nieder und stelle dich schlafend.«

Zitternd vor Angst gehorchte das junge Mädchen dem Befehl ihres Vaters, warf ihr Gewand auf einen Stuhl, riß den Schleier vom Haupt und legte sich nieder, die Decke des Bettes hoch hinaufziehend und den Kopf mit geschlossenen Augen zitternd in die Kissen drückend.

Pietro kehrte in das Wohnzimmer zurück und schloß geräuschlos die Tür hinter sich. Kaum hatte er sich an den Tisch, auf welchem noch die Reste des Nachtmahls standen, niedergesetzt, als starke Schritte auf dem Flur des Hauses ertönten und ein kräftiger Schlag gegen die äußere Tür geführt wurde.

Pietro stand auf und öffnete mit ruhiger, unbefangener Miene.

Zwei Kommissäre der Polizei, deren Gesichtszüge eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einem der Abbates, welche Barbarino in die Aula gefolgt waren und mit dem Bettler von der Piazza di San Pietro zeigten, traten in das Zimmer. Ihnen folgte ganz bestürzt, bleich und zitternd der Graf Franz von Spangendorf. Im Hintergrund auf dem dunklen Flur sah man Gewehrläufe blitzen.

Mit dem Ausdruck tiefen Erstaunens, aber anscheinend vollkommen ruhig, fragte Pietro Barghili, indem er bis in die Mitte des Zimmers zurücktrat:

»Was suchen die Herren in der Wohnung eines armen Mannes, der nie etwas gegen die Gesetze getan und sich im Dienst der Kunst seinen Lebensunterhalt erwirbt?«

»Dieser ist es nicht,« sagte einer der Beamten, »und 352 doch hat der Kapuziner dieses Haus betreten und dasselbe bis jetzt nicht wieder verlassen.«

»Ein Kapuziner«, sagte Pietro Barghili ruhig. »Es ist allerdings ein ehrwürdiger Bruder Kapuziner hier gewesen, um eine Gabe zu erbitten, ich habe ihm Speise und Trank gereicht, – aber in der Dunkelheit des Abends hat er mein Hans wieder verlassen und ich weiß nicht, wohin er sich gewendet. Herr Graf, Sie hier?« fragte er erstaunt und freudig zugleich, den Grafen von Spangendorf erkennend, der in den Lichtkreis des hellen Zimmers trat. »Oh, das ist ein Glück,« fuhr er, zu den beiden Beamten gewendet, fort, »dieser Herr hier, ein edler Kavalier und Offizier Seiner Heiligkeit, welche Gott segnen und erhalten möge, kann bezeugen, daß Pietro Barghili ein ehrlicher Mann ist, unfähig, etwas zu tun, das gegen die Ordnung und das Gesetz verstößt!«

»Ich kenne diesen Mann,« sagte der Graf, der seine Blicke wie suchend im Zimmer umherschweifen ließ, – »ich kenne ihn als einen treuen und ergebenen Diener der Kirche und der Regierung Seiner Heiligkeit, und ich bin überzeugt, es muß ein Mißverständnis vorliegen, ich glaube nicht, daß dies Haus die Zuflucht eines Verbrechers sein kann.«

Der Beamte verneigte sich artig gegen den Grafen.

»Wir müssen unsere Pflicht erfüllen«, sagte er in höflichem, aber bestimmtem Ton, »und das Haus durchsuchen, denn wir haben fast die Gewißheit, daß derjenige, dessen Spur wir verfolgen, dasselbe nicht wieder verlassen hat. Sind alle Zugänge besetzt?«

»Das Hans ist umstellt,« erwiderte der Graf, indem sein ängstlich fragender Blick auf Pietro Barghili ruhte, dessen schönes, ehrwürdiges Gesicht keine Spur von Unruhe oder Erregung zeigte.

Zugleich erschienen zwei Soldaten an der Tür, welche nach der Veranda hinführte.

»Mein Haus«, sagte Pietro Barghili, »steht den Dienern Seiner Heiligkeit stets offen, Sie werden selbst sehen, daß hier in diesem Zimmer nichts verborgen sein kann.«

353 Es war in der Tat unmöglich, daß in dem so einfach ausgestatteten Wohnzimmer ein Mensch sich hätte verbergen können.

»Hier ist mein Schlafzimmer«, sagte Pietro, die eine der Seitentüren öffnend und mit der Lampe, welche er vom Tisch nahm, in das kleine Gemach hineinleuchtend.

Nach wenigen Augenblicken kehrten die Beamten aus demselben zurück.

Graf Franz stand zitternd, die Hand auf den Tisch gestützt, da. Seine Augen richteten sich starr auf die fest verschlossene Tür, welche nach dem Schlafzimmer Lorenzas führte.

»Und sie ist bei mir«, flüsterte er mit gepreßter Stimme, »und erwartet mich in Angst und Unruhe, – was wird sie denken? Welch ein trauriges, verhängnisvolles Zusammentreffen!«

»Und hier?« fragte der Polizeibeamte, auf die zweite Tür deutend.

»Es ist das Schlafzimmer meiner Tochter,« sagte Pietro, »sie ist ermüdet und hat sich früh zur Ruhe begeben. Ich bitte die Herren, ein wenig Rücksicht auf das arme Kind zu nehmen.«

Er öffnete die Tür und hob die Lampe empor, deren Strahl das Innere des Zimmers beleuchtete.

Man sah Lorenza auf ihrem Bette liegend, das Gesicht in die Kissen gedrückt, den Körper bewegt von tiefen, starken Atemzügen.

Die Beamtem blickten forschend in dem Raum umher, er schien keinen Platz für einen Versteck zu bieten.

Graf Franz hatte sich langsam der Tür genähert. Er warf einen Blick in das kleine Gemach, sah das junge Mädchen auf ihrem Bett liegen und rief im Ton schmerzlichen Erschreckens:

»Lorenza! Mein Gott, Lorenza! Sie ist hier! Sie schläft!«

Die Beamten blickten erstaunt auf den jungen Mann, der, die Hände vorgestreckt, die Augen groß und starr geöffnet, einige Schritte vor dem Bett dastand.

Beim Ton seiner Stimme war Lorenza zusammengefahren. Mit einer raschen Bewegung jähen Schrecks fuhr s354 ie empor, starrte den jungen Mann wie eine plötzlich vor ihr auftauchende Vision an. Sie sah ihren Vater, die Beamten, wie sie mit forschenden Blicken das Zimmer durchmusterten. Sie hörte unmittelbar neben sich die Atemzüge Barbarinos, der hinter ihrem Bett zusammengekauert sich verborgen hielt. Eine Wolke verhüllte ihren Blick, eine unsägliche Angst schnürte ihr Herz zusammen, die Arme weit ausbreitend rief sie mit dem Ton verzweifelter Todesangst.

»Francesco! Mein Francesco! Rette mich! Schütze mich! Nimm mich mit dir!«

»Lorenza,« rief der Graf, indem er zu ihr hinstürzte, »ich will dich schützen und retten. Du wirst diese Rätsel lösen, du kannst nicht schuldig sein. Meine Herren,« sagte er, indem er Lorenzas Hand in der seinigen hielt, »ich kenne dieses Mädchen, ich liebe sie, sie ist die Reinheit und Wahrheit selbst. Sie suchen hier vergeblich. Dieser Raum kann nicht das Asyl des Verbrechers sein.«

Unsicher und betroffen blickten die Beamten auf diese so unerwartete Szene.

Der Graf beugte sich über das Lager des jungen Mädchens, die auf die Kissen zurückgesunken war, und drückte sie innig in seine Arme. Plötzlich fuhr er empor, aschfahle Blässe bedeckte sein Gesicht, er hatte den keuchenden Atemzug Barbarinos gehört, er hatte aus dem dunklen Raum hinter dem Bett hervor seine von Leidenschaft und Wut funkelnden Augen gesehen, – starr wie eine Bildsäule stand er da, die großen, geöffneten Augen unbeweglich auf den engen und dunklen Versteck gerichtet, während Lorenza mit einem schmerzlichen Aufschrei ihr Gesicht mit den Händen bedeckte.

Die Beamten, denen keine Nuance dieser Szene entgangen war, sprangen fast in demselben Augenblick herbei und tauchten ihre Blicke in den schmalen Raum hinter dem Bett.

»Ah!« rief der erste derselben, »wir wußten es doch, daß er das Haus nicht verlassen hatte und daß er hier sein mußte.«

In raschem Sprung richtete sich Barbarino empor. Seine Augen funkelten in wildem Leuchten wie die eines 355 Raubtieres, seine Züge waren verzerrt von Haß und leidenschaftlichem Zorn und mit heiserer Stimme rief er:

»Ja, ich bin hier, ich habe mich verborgen, weil mir meine Freiheit lieb ist und weil ich nicht auf falschen Verdacht hin mich habe einsperren lassen wollen. Ich weiß nicht, was die Herren von mir wollen, man wird nichts an mir finden. Aber mag man mich in den Kerker werfen, mir ist alles gleich, Leben oder Tod, Freiheit oder Gefangenschaft, ich habe doch alles verloren, was mein Leben an Glück und Hoffnung besaß, – alles verloren durch den Verrat dieses falschen Herzens, dieser schwarzen Seele, die von der Madonna die Schönheit, den Blick der Reinheit und Tugend entlehnt hat, um Menschenherzen zu betrügen und ins Verderben zu stürzen. Fluch dir, du Verworfene!« rief er, die geballten Hände gegen Lorenza erhebend, »Fluch dir, die du mir Liebe heucheltest, die du versprachst, mir zu folgen und meines Lebens Licht und Glück zu sein, die du jetzt, da die Gefahr über meinem Haupte schwebt, jenen verhaßten Fremden um Hilfe anrufst!«

Die Beamten traten heran, um Barbarino hinter dem Bett hervorzuführen.

Graf Franz stand wie vernichtet mit schlaff herabhängenden Armen da.

»Und ich wollte ihr«, sagte er mit tonloser Stimme, »die Nachricht unseres Glückes, unserer Vereinigung bringen, und sie, o mein Gott!« rief er in fast schluchzendem Ton, »sie hat mir verboten, zu ihr zu kommen, – sie ließ mich ihren Besuch erwarten, während sie hier mit diesem –«

»Francesco! Mein Francesco!« rief Lorenza, aus ihrer Betäubung emporfahrend und sich im Bett aufrichtend, »glaube mir, o glaube mir, ich will dir alles erklären, ich bin das Opfer unglücklicher, entsetzlicher Verhältnisse. Aber ich liebe dich, ich liebe dich allein. Ich war im Begriff zu fliehen, zu dir zu kommen, wie ich dir versprochen, um deinen Schutz anzurufen, um dein zu sein für immer. Glaube mir, mein Francesco, ich liebe dich, nur dich allein! Beim Heil meiner Seele, bei der gebenedeiten Madonna,« rief sie, die Hand nach dem Muttergottesbilde ausstreckend, »ich liebe dich, ich liebe dich!«

356 Barbarino bog sich zitternd zusammen, das Weiß seiner Augen färbte sich mit rötlichem, blutigem Schimmer.

»Bei der Madonna,« rief er mit rauher, keuchender Stimme, »bei der heiligen Mutter Gottes, welche diese Verworfene zum Zeugen ihres Meineids anruft, – sie soll niemand mehr betrügen, sie soll zur Hölle fahren, der sie entstiegen ist!«

Im Nu hatte er sein Messer aus dem Gürtel gerissen und es so mächtig und gewaltig zwischen die Schultern Lorenzas gestoßen, welche sich zu dem Grafen Franz hinüberbeugte, daß es bis zum Heft eindrang und die Spitze aus der Brust des jungen Mädchens herausfuhr.

In einem Augenblick war das Bett mit Blut überschwemmt. Mit einem dumpfen, röchelnden Seufzer sank Lorenza in die Kissen zurück, ihre auf den Grafen Franz gerichteten Augen starrten gebrochen, der zu dem Bild der Madonna erhobene Arm fiel langsam und schwer herab.

Pietro Barghili stürzte sich mit einem gellenden Aufschrei auf seine Tochter, er richtete ihren leblosen Körper in seinen Armen empor und hielt seine Wange an ihre bleichen Lippen, um zu fühlen, ob noch ein Hauch des Atems aus demselben hervordringe.

»Du suchst umsonst nach einem Hauch des Lebens,« sagte Barbarino mit kaltem, höhnischem Lachen, – »auch dich wird der Lohn deines Verrats ereilen, denn auch du bist ein Verräter.«

Die Soldaten aus dem Vorzimmer waren auf einen Wink des Polizeibeamten herangetreten und näherten sich Barbarino mit vorgestrecktem Bajonett.

»Es bedarf der Waffen nicht,« sagte dieser ruhig, »ich habe diejenige, welche mich betrogen hat, bestraft, – ich werde die Folgen meiner Tat zu tragen wissen.«

Er trat hinter dem Bett hervor und zu den Soldaten hin, welche ihn sogleich in ihre Mitte nahmen. Düster blickte er zu Boden, ohne weiter seine Umgebung und die furchtbare Szene in dem kleinen Zimmer zu beachten.

Graf Franz hatte während dieser Augenblicke unbeweglich dagestanden. Leichenblässe bedeckte sein Gesicht, mit tiefem Entsetzen starrte er die mit Blut übergossene Gestalt 357 des jungen Mädchens an, die ihr Vater noch immer in seinen Armen hielt, als sähe er einen ihm völlig fremden Anblick vor sich, – er hatte die Hände vor der Brust gefaltet und schien mit seinen gegeneinander ringenden und sich verwirrenden Gedanken beschäftigt, – ein Zug banger, verzweiflungsvoller Frage lag um seinen zuckenden Mund.

Lorenza richtete noch einmal mühsam den Kopf empor. Noch einmal belebte sich ihr gebrochenes Auge und mit einem wunderbar durchdringenden Blick sah sie den Grafen an.

Ihre bleichen Lippen bewegten sich leise.

»Ich liebe dich!« hauchte sie mit sanft verklärtem Lächeln, – die erstarrenden Finger ihrer Hand mit den in Blut getauchten Spitzen erhoben sich noch einmal gegen das Bild der Madonna, – dann wurde ihr Blick wieder gläsern und starr, – sie zuckte zusammen und streckte sich dann mit tiefem, lang ausgehauchtem Atemzug aus, indem ihr Haupt schwer auf den Arm ihres Vaters niedersank, der sie langsam auf die Kissen legte.

Graf Franz erwachte aus seiner träumenden Erstarrung, – mit einem Sprunge war er an dem Bette, – er sank auf die Knie nieder und drückte die kalte, leblose und blutbefleckte Hand der Toten an seine Lippen.

»Wo ist Licht, – wo ist Wahrheit?« rief er mit schneidender Stimme in deutscher Sprache, – »mein Glaube und meine Liebe hat sich zum fremden Lande gewendet, – meine Liebe ist gestorben, – und mein Glaube – –«

Er richtete das brennende, tränenlose Auge auf diese blutige Gestalt, auf dieses bleiche, stumme Antlitz, welchem der Tod bereits sein furchtbares Siegel aufgedrückt hatte.

Ernst und schweigend standen die Beamten und die Soldaten da. Barbarino blickte nicht auf. Kalte, starre Ruhe lag auf seinen Zügen, – er schien kaum zu beachten, was um ihn her vorging.

Pietro näherte sich dem Grafen und berührte mit der Hand seine Schulter.

»Glauben Sie,« sagte er, – »glauben Sie, Graf Francesco, dem letzten Worte der Sterbenden, – sie hat Sie geliebt, – nur Sie geliebt, sie war im Begriff, zu Ihnen 358 zu fliehen, – als das unglückselige Verhängnis über sie, – über uns alle hereinbrach.«

Barbarino warf einen Blick voll glühenden Hasses auf Pietro, dann sah er mit dem Ausdruck triumphierender Rache die Leiche Lorenzas an und versank dann wieder in seine kalte Ruhe.

»Wir begreifen, wir achten den Schmerz, der Sie bewegen muß, Herr Graf, wenn Sie dieser armen Ermordeten näher gestanden haben,« sagte der Polizeibeamte, – »aber wir müssen unsere Pflicht tun und Sie bitten, die Gefangenen zu eskortieren. – Ihr werdet uns folgen,« fuhr er fort, sich an Pietro wendend, – »man hat den Verbrecher bei Euch versteckt gefunden, – Ihr werdet Euch zu verantworten haben.«

Pietro trat schweigend zu den Soldaten.

Der Graf stand auf. Schweigend beugte er sich über den Leichnam Lorenzas, drückte sanft ihre noch offenstehenden, gebrochenen Augen zu und machte dann das Zeichen des Kreuzes über ihrem Haupt.

Er befahl zwei Soldaten, das Haus und die Tote zu bewachen, – dann ließ er seine Abteilung antreten, und mit Pietro und Barbarino in ihrer Mitte marschierten die Soldaten gleichmäßigen Schrittes die Straße hinab.

Graf Franz sah sich noch einmal um und ging dann in düsterem Schweigen, wie mechanisch der Gewohnheit des Dienstes folgend, an der Seite des Zuges hin.

Die Polizeibeamten folgten.

»Die Eiche kann keine Wurzel schlagen in der glühenden Heimat der Myrten und Orangen,« flüsterte der Graf leise, – o meine Heimat, mein Vaterland, – warum habe ich dich verlassen, um hier meine Liebe und meine Hoffnung zu verlieren!«

Der Zug wendete sich nach der Seite der Via della Longara und bald lag die Via del Moro still und schweigend da, – aus den benachbarten Häusern spähten einzelne ängstlich neugierige Gesichter hervor, beim Anblick der Wachtposten vor dem Hause sich schnell wieder zurückziehend.

In dem kleinen Zimmer aber lag starr und kalt die blutige Leiche des jungen Mädchens, dessen Herz noch vor 359 kurzer Zeit so angstvoll bangend einer glückseligen Zukunftshoffnung entgegengeschlagen hatte.

*

Um dieselbe Zeit, zu welcher der Graf Spangendorf sich nach der Via del Moro begeben hatte, war ein in einen einfachen schwarzen Zivilanzug gekleideter Mann in dem Albergo di Europa erschienen, hatte Signor Franceschini hereinrufen lassen, demselben einige Worte zugeflüstert und dann nach der Wohnung des Mister Brooklane gefragt, zu welcher Signor Franceschini ihn mit höflichster Dienstfertigkeit hinaufführte.

Der Fremde klopfte an die ihm bezeichnete Tür und trat auf ein von innen heraus ertönendes »Come in!« in den Salon, in welchem Mister Brooklane ruhig vor einem großen, durch eine Lampe mit blauem Schirm beleuchteten und mit Büchern, Mappen und Albums bedeckten Tische saß.

Der alte englische Gentleman trug die sorgfältige und elegante Toilette, in welcher er an der Table d'hote erschienen war, und war beschäftigt, verschiedene an ihn eingegangene Briefe zu lesen, deren Enveloppes teils auf dem Tische, teils auf dem Boden neben ihm lagen, und welche er, nachdem er sie durchgesehen, sorgfältig übereinanderlegte. Er richtete langsam den Kopf in die Höhe und blickte durch seine Lorgnette mit grauen Gläsern auf den Eintretenden hin. Er schien ein wenig überrascht, eine ihm ganz fremde Persönlichkeit vor sich zu sehen, erhob sich mit kalter, würdevoller Höflichkeit und trat dem Fremden entgegen, der sich dem Lichtkreis der Lampe genähert hatte und mit einem schnellen, scharfen Blick die auf dem Tisch befindlichen Gegenstände umfaßte.

»Verzeihen Sie die Störung,« sagte er, »die ich Ihnen verursache, – ich bin ein Beamter der Polizei Seiner Heiligkeit und habe allen Fremden gegenüber eine kleine Formalität zu erfüllen.«

Mister Brooklane deutete ohne eine Spur von Erstaunen oder Bewegung auf seinem Gesicht auf einen Sessel und nahm wieder vor seinem Tische Platz, indem er einen 360 Briefbeschwerer von Bronze auf die von ihm durchgelesenen und übereinandergelegten Briefe stellte.

Der Polizeibeamte folgte jeder Bewegung mit scharfer Aufmerksamkeit und fuhr immer mit der größten Höflichkeit fort:

»In diesen unruhigen Zeiten, in welchen so viele zweifelhafte Persönlichkeiten in verbrecherischer Absicht sich hier einzuschleichen suchen, ist eine sehr genaue, scharfe Fremdenkontrolle dringend geboten. Uns ist deshalb der Befehl gegeben, uns über die Identität und Beschäftigung der hier anwesenden Fremden auf das eingehendste zu vergewissern, wobei wir denselben«, fügte er mit artiger Verbeugung hinzu, »das aufrichtige Bedauern über diese durch die Verhältnisse gebotene Belästigung auszusprechen haben.«

»Ich habe«, erwiderte Mister Brooklane in einem stark fremdländisch akzentuierten Italienisch, »bei meiner Ankunft die erforderlichen Meldungen vollziehen lassen, und ich glaubte, daß damit alles in Ordnung sei. Jedoch bin ich gern bereit,« fügte er immer höflich, aber mit einem leisen Anklang von Ungeduld in der Stimme hinzu, »alle noch für notwendig erachteten Erläuterungen zu geben.«

»Ihre Beschäftigung?« fragte der Beamte, indem er ein Notizbuch hervorzog und öffnete, als wolle er die betreffenden Angaben notieren.

»Meine Beschäftigung?« erwiderte Mister Brooklane achselzuckend, »nun, sie ist sehr einfach. Ich bedarf eines milden Klimas für meine Gesundheit, und ich liebe die Kunst und die Altertümer, das ist der Grund meines Aufenthalts in Rom, – das ist meine Beschäftigung.«

Der Beamte neigte den Kopf, anscheinend mit dieser Antwort durchaus zufriedengestellt.

»Und die Identität Ihrer Person, mein Herr?« fragte er dann. »Ich bitte nochmals um Verzeihung, es ist eine allgemeine, durch die Verhältnisse gebotene Maßregel.«

Mister Brooklane öffnete ein auf dem Tische liegendes Portefeuille, zog aus demselben einen großen, zusammengefalteten Paß und reichte denselben dem Beamten hin.

361 Dieser warf einen flüchtigen Blick darauf und sagte, indem er das Papier zusammenfaltete und Mister Brooklane zurückreichte:

»Vollkommen in Ordnung, mein Herr. Es sind indessen Fälle vorgekommen, daß sehr gefährliche Persönlichkeiten mit sehr richtigen Pässen ausgestattet waren, und wir haben daher die bestimmte Anweisung erhalten, uns noch auf andere Weise von der Identität der Fremden zu überzeugen. Es ist, wie gesagt, eine reine Formalität, eine Briefenveloppe oder ein gleichgültiger Brief würde bei Ihnen vollkommen genügen.«

»Ich bin glücklicherweise gerade in der Lage,« sagte Mister Brooklane nunmehr mit etwas scharf gereiztem Ton, »Ihnen in dieser Beziehung den gewünschten Nachweis geben zu können. Hier, mein Herr, lesen Sie, es sind keine Geheimnisse darin enthalten«, und indem er den Briefbeschwerer zur Seite stellte, reichte er dem Beamten die sämtlichen von ihm durchgesehenen und geordneten Briefe.

Dieser nahm dieselben und durchflog ihren Inhalt. Er schien nichts seiner Aufmerksamkeit Würdiges darin zu entdecken.

Mister Brooklane saß ruhig auf seinem Stuhl und schien mit Ungeduld das Ende dieses Besuchs zu erwarten, der ihn in seiner Beschäftigung gestört hatte.

Der Beamte stand auf und bog sich zu dem Tisch hinüber, um das Briefpacket vor dessen Eigentümer niederzulegen. Bei dieser etwas schnellen Bewegung erfaßte seine Hand, wie durch eine ungeschickte Wendung, die Schnur der Lorgnette, deren graue Gläser die Augen des Engländers bedeckten. Das Glas fiel herab und mit einer Bitte um Entschuldigung bog sich der Beamte zurück und blickte forschend und scharf in die Augen des zornig aufspringenden alten Herrn, welche ihm einen Augenblick mit einem vielfarbigen glänzenden Strahl entgegenblitzten und sich dann schnell wieder unter den herabsinkenden Lidern verbargen, während Mister Brooklane in heftigem Ton sagte:

»Nehmen Sie sich in acht, mein Herr, Sie hätten mich verletzen können.«

362 »Er ist es!« flüsterte der Beamte vor sich hin, indem ein Schimmer freudigen Triumphs sein Gesicht erleuchtete.

Dann wiederholte er mit kaltem, ruhigem Ton seine Bitte um Entschuldigung und sprach, indem er die Hand in die Brusttasche seines Rockes senkte:

»Ich bedaure, mein Herr, Ihnen noch mehr Ungelegenheiten machen zu müssen. Die Briefe, welche Sie mir zu zeigen die Güte hatten, sind zu allgemeinen Inhalts, um mir den vollkommenen Beweis über die Identität Ihrer Person zu geben. Ich muß Sie bitten, mich zu meinem Chef zu begleiten, derselbe wird gewiß durch wenige Fragen schnell diese belästigende Nachforschung beendigen können und mich der peinlichen Lage überheben, Ihnen beschwerlich zu fallen.«

»Ich weiß nicht, mein Herr,« rief Mister Brooklane, »mit welchem Recht Sie es wagen wollen, einen Engländer, der einen richtigen Paß bei sich führt, verhaften zu wollen.«

»Verhaften?« rief der Beamte. »Oh, ich bitte, mein Herr, es handelt sich nicht um eine Verhaftung, es handelt sich nur um die Einladung zu einer Unterhaltung mit dem Chef der Polizei Seiner Heiligkeit.«

»Und ich werde dieser Einladung nicht Folge leisten,« rief Mister Brooklane heftig, »ich befehle Ihnen, mein Zimmer zu verlassen und das Recht eines freien Bürgers einer fremden Nation zu respektieren.«

Rasch trat der Beamte zum Fenster, öffnete einen Flügel desselben und ließ einen leichten Zungenschlag ertönen.

Man hörte das Heranfahren eines Wagens und mehrere Schritte auf der Straße.

»Sie werden sich«, sagte der Polizeibeamte, »bei Ihrer Weigerung, meiner Aufforderung zu folgen, unangenehme Maßregeln, zu denen ich dann genötigt sein würde, selbst zuzuschreiben haben.«

Er hatte, während er das Fenster öffnete, seine Hand aus der Tasche seines Rockes hervorgezogen.

Mister Brooklane, welcher mit einigen gleichmäßigen Schritten ihm nähergetreten war, sprang nun mit einem Satz kräftig und elastisch wie der eines Tigers, der seine Beute 363 erfaßt, auf ihn zu. Mit eisernem Griff umfaßte er das Handgelenk seines rechten Arms, indem er zugleich mit der andern Hand seinen Hals so fest einschloß, daß der so urplötzlich und unvermutet Angegriffene nur einen leisen, stöhnenden Ton hervorzubringen vermochte und wie betäubt das Haupt rückwärts sinken ließ, indem er die Augen schloß.

In demselben Augenblick senkte sich die Hand Mister Brooklanes in die Brusttasche des Beamten, zog aus derselben einen kleinen sechsläufigen Revolver hervor und drückte den des Atems und fast der Besinnung Beraubten in einen tiefen Lehnstuhl nieder, während er zugleich den Revolver spannte und den Lauf fast unmittelbar vor das Gesicht des in zuckender Bewegung Wiederaufatmenden hielt.

»Du bist des Todes,« rief Mister Brooklane mit gedämpfter Stimme in reinem Italienisch, »wenn du einen Laut von dir gibst!«

Der Beamte, dessen Blut aus seinem Kopf, wohin es durch den eisernen Druck gedrängt war, zurückzufließen begann, ließ seine Augen, wie aus einem Traum erwachend, im Zimmer umherschweifen. Dann schienen seine Sinne sich völlig wieder zu sammeln, und er machte eine Bewegung, als wolle er sich erheben, um sich auf den Engländer zu stürzen.

Dieser näherte die Läufe des Revolvers noch etwas mehr dem Gesicht seines Gegners, indem zugleich die Blicke seiner flammensprühenden Augen fest auf dessen Händen ruhten.

»Keine Bewegung,« sagte er, »wenn dir dein Leben lieb ist! Wenn du mich erkannt hast, so weißt du, daß ich keine Scheu und Furcht kenne, und daß bei der ersten Bewegung und beim ersten Ton dein Leben unrettbar verloren ist. Ist es die Sache wert, welcher du dienst, dich ihr zu opfern und dich dem sichern Verderben zu weihen, um einen Mann zu fangen, der sein Leben an die Befreiung seines wie deines Vaterlandes gesetzt hat und den«, fügte er mit unendlich hoheitsvoller Verachtung hinzu, »noch kein Kerker festzuhalten, noch keine Kette zu fesseln vermochte?«

Der Beamte neigte den Kopf auf die Brust und senkte den Blick vor diesem flammenden, funkensprühenden Auge, 364 das noch mehr mit dem Ausdruck der Trauer als des Zornes auf ihm ruhte, und dessen jugendliches Feuer wunderbar abstach gegen das Gesicht mit dem fast weißen Haar und Bart, aus welchem es hervorblickte.

»Ich könnte dir sagen,« fuhr Mister Brooklane fort, »rufe deine Schergen herbei, aber bevor sie erscheinen, wirst du eine Leiche sein, und du kannst mit der Gewißheit sterben, daß, wenn sie mich heute in ihren Kerker führen, ich morgen wieder frei sein werde wie die Luft, welche über die Wellen des Meeres und über die Berge unseres Vaterlandes dahinstreicht, – ich könnte dir sagen, kehre zurück mit den Dienern der heuchlerischen Priestertyrannei, – laß mich unaufgehalten und ungehindert meinen Weg verfolgen und nimm hier die Mittel, um dich freizumachen von den Fesseln eines elenden, fluchwürdigen Dienstes.«

Er öffnete, ohne den Revolver von dem Gesicht des Beamten zu entfernen, eine auf seinem Tisch stehende Kassette und ließ die hochaufgehäuften Goldstücke, die sie enthielt, in dem Licht der Lampe flimmern.

»Aber«, fuhr er dann fort, »ich will dir weder das eine noch das andere sagen, – du bist Italiener, deine Wiege hat auf dem heiligen Boden dieses Landes gestanden, welches hochgesegnet und begnadigt ist vor allen anderen Ländern der Welt, welches, jetzt erwacht, die schimpflichen Fesseln langer Erniedrigung abschüttelt, welches sich anschickt, auch diese letzte Zwingburg der Tyrannei zu brechen, in welcher ein heuchlerischer Götzendienst die freien Geister knechten möchte. Es ist unmöglich, daß dein Blut, welches die Sonne Italiens erwärmt hat, nicht schneller zu deinem Herzen strömen sollte bei dem Gedanken an die Freiheit, an die herrliche Größe deines Vaterlandes. Was bietet dir die Tyrannei der Priester? Was kann sie dir bieten, das höher, herrlicher und schöner wäre, als der Blick auf ein freies und einiges Italien, das die Erinnerungen einer großen, erhabenen Vergangenheit mit den strahlendsten Hoffnungen der Zukunft verbindet? Ich spreche zu dir im Namen des Vaterlandes, – ich habe ein Recht dazu, denn mein ganzes Leben war seinem Dienst geweiht, und ich rufe dich im Namen des Vaterlandes, in die Reihen der 365 Kämpfer für seine Freiheit und für seine Größe zu treten, in diese Reihen, in welchen seine edelsten und besten Söhne stehen, des Vaterlandes,« fügte er mit einem Blick voll dunkelglühenden Feuers hinzu, »das furchtbar und unerbittlich zu strafen, aber auch königlich zu belohnen weiß. Du weißt, wer ich bin,« fuhr er fort, »hast du vernommen und klar erfaßt, was ich dir gesagt?«

Der Beamte neigte das Haupt und richtete dann einen Blick voll ängstlicher, scheuer Bewunderung auf die hochaufgerichtete Gestalt des Sprechenden, welche kaum noch eine Ähnlichkeit mit der früheren Erscheinung zeigte.

»Ich wußte es,« sagte dieser, indem ein Schimmer freudiger Verklärung auf seinem Gesicht erschien, »daß die Stimme des mahnenden Vaterlandes zu einem italienischen Herzen dringen muß, daß die Stimme des Bruders, die im Namen der gemeinsamen Mutter sich erhebt, von dem Bruder nicht ungehört bleiben kann. Willst du«, fuhr er mit feierlichem Ton fort, »den Dienst der Tyrannen, der Feinde Italiens verlassen? Willst du zu uns kommen, wo dich brüderlich geöffnete Arme erwarten, zu uns, die wir Tod und Rache den Feinden, aber Treue und aufopfernde Liebe den Brüdern und Freunden bringen?«

»Ich will es«, sagte der Beamte, indem er die Hände auf die Brust legte und mit bewegten Blicken zu dem vor ihm Stehenden aufsah, der noch immer den Revolver gegen ihn erhoben hatte.

»Dein Name?« fragte dieser.

»Niccolo Costanzi«, erwiderte der Polizeibeamte.

»So nehme ich dich auf«, sagte Mister Brooklane mit feierlicher Würde, »in die Gesellschaft der Rächer des geknechteten Vaterlandes, deren Führer und Meister ich bin. Schwöre mir bei dem Vaterlande und seiner Freiheit und bei deinem Leben, das von nun an dem Kampf für das Vaterland und die Freiheit gehört, daß du jedem Befehl, der dir zugehen wird, unbedingt ohne Zögern und ohne Achtung irgendwelcher Gefahr Folge leisten wirst.«

»Ich schwöre es«, sagte Niccolo Costanzi, indem er die Hand auf das Herz legte.

366 »Und vergiß nicht, daß jede Verletzung deines Schwurs mit dem Tode bestraft wird, mit dem Tode, der dich sicher und unabwendbar ereilen würde und zögest du über die Fernen des Meeres hin, und flüchtetest du dich an den Altar von Sankt Peter, der Arm der Rache würde dich unerbittlich ereilen. Wirst du aber treu befunden, so ist die Hand deiner Brüder mächtig genug, dich aus dem Verlies des tiefsten Kerkers hervorzuziehen und selbst auf dem Schafott das gezückte Beil des Henkers über deinem Haupte aufzuhalten.«

Niccolo Costanzi erhob sich. Er ergriff die Hand Mister Brooklanes und führte sie, ehe dieser es verhindern konnte, an seine Lippen.

»Ich danke dir, Meister,« sprach er in demütigem Ton, »du hast mich befreit und zu neuem Leben erweckt.«

»Wer dem Dienst des Vaterlandes sich weiht, wird zur Freiheit neu geboren«, sagte Mister Brooklane sanft. »Das ist die heilige Macht der großen Sache, für welche ich kämpfe, eine erlösende Macht, größer als die Schlüsselgewalt, welche der tyrannische Priester im Vatikan sich anmaßt. Und kraft dieser Gewalt weihe ich dich zum Diener der Rache und dereinst zum Diener der Herrlichkeit des gerechten und wiedererstandenen Vaterlandes.«

»Und was soll ich tun, mein Meister?« fragte Niccolo Costanzi.

»Du bleibst hier in deiner Stellung,« erwiderte Mister Brooklane, »die Befehle zu empfangen, die dir zugehen unter dem Losungswort: ›Tod den Priestern und Tyrannen!‹ – wer dir dies Wort sagt, ist ein Bote der großen Gesellschaft der Rache, und den Auftrag, den er dir bringt, hast du zu erfüllen, mag er ein Fürst, ein Priester oder ein armer Bettler sein. Du wirst vielleicht«, fuhr er fort, »zu großen Dingen ausersehen werden; mein Blick, der sich selten täuscht, erkennt die Fähigkeit in dir, wichtige Dienste zu leisten. Halte dich bereit und erwarte, was man dir entbieten wird. Hier,« sagte er dann, indem er aus der vorhin geöffneten Kassette mit vollen Händen eine große seidene Börse mit Goldstücken anfüllte, »nimm dies. Nicht als Lohn,« fügte er hinzu, als Niccolo Costanzi eine zögernde, 367 ablehnende Bewegung machte, »sondern um die Mittel zum Handeln in Händen zu haben, wenn es not tut, und solltest du künftig mehr bedürfen, so wird es dir auf demselben Wege zugehen, auf welchem du deine Aufträge erhalten wirst. Fürs erste«, sprach er weiter, »wirst du deinen Bericht erstatten, daß du meine Papiere in voller Ordnung gefunden und nichts Verdächtiges bei mir bemerkt habest.«

»Ich bitte dich, mein Meister«, sagte Niccolo Costanzi, »dann auch dies Hotel und Rom so schnell als möglich zu verlassen. Man könnte Zweifel hegen, man könnte andere Maßregeln treffen.«

»Fürchte nichts,« sagte Mister Brooklane, »ich werde morgen Rom verlassen haben. Der Zweck meines Aufenthalts ist hier ohnehin verfehlt. Vielleicht ist es gut so, vielleicht will das Schicksal auf größere und würdigere Weise mein Vaterland zur Freiheit führen, – weißt Du,« sprach er weiter, »ob noch andere Nachforschungen stattgefunden haben?«

»Man hat einen Kapuziner verfolgt,« erwiderte Niccolo Costanzi, »welcher in der Aula verdächtige Beobachtungen anstellte.«

»Wenn man ihn gefangen hat,« rief Mister Brooklane schnell, »so muß er von heut in acht Tagen frei sein, bei deinem Leben. Dies ist der erste Befehl, den ich dir erteile. Sorge dafür, daß er pünktlich erfüllt wird. Ich erwarte von dir denselben Eifer, als ob die Erfüllung meines Willens von mir allein abhinge, und vergiß nicht, daß jedes Zögern, jede Lässigkeit bemerkt und bestraft wird.«

Er füllte eine zweite große Börse mit Gold und reichte sie dem Beamten mit den Worten:

»Schone nichts, weder Geld noch Blut, wenn es sein muß. In acht Tagen muß derjenige, den man im Gewande eines Kapuziners in der Aula gesehen, frei sein.«

Niccolo Costanzi verneigte sich tief.

Mister Brooklane erhob die Hand, berührte leicht mit den Fingern das Haupt Niccolos und sprach:

»Sei gesegnet mit dem Segen unseres Vaterlandes. Dieser Segen stärke dich zum heiligen Dienst der Freiheit.«

Er reichte mit einer Bewegung voll edler Würde dem Beamten seinen Revolver; dieser steckte denselben in seine 368 Tasche und verließ, sich nochmals tief verneigend, das Zimmer.

Wenige Augenblicke später hörte man das Rollen eines Wagens, welcher sich vom Hotel entfernte.

Mister Brooklane zog sich in das kleine, hinter seinem Schlafzimmer gelegene Kabinett zurück, öffnete eine dort auf dem Tische liegende Mappe mit einem kleinen Schlüssel, den er an seiner Uhrkette trug, nahm einige Papiere, auf welchen Zeichnungen und Notizen sich befanden, heraus und warf dieselben in das Feuer des Kamins, aufmerksam zusehend, bis sie vollständig zu Asche verkohlt waren.

»Es war ein großer, ungeheurer Plan,« sagte er, auf die weiße, im Kamin emporwirbelnde Asche blickend, »aber er war gefährlich, schwer und unsicher. Mögen sie ruhig tagen, diese Tyrannen des Geistes aus allen Ländern der Erde, mögen sie ruhig die Ketten schmieden, mit denen sie von neuem die lebendige, zur Freiheit geborene Menschheit zu fesseln gedenken. Ich werde hingehen, um andere Flammen zu entzünden, welche in furchtbarem Ausbruch weithin das Gebäude der Tyrannei in Trümmer sprengen sollen und in deren leuchtendem Glanz das freie Italien seinen siegreichen Fuß auf das Kapitol setzen wird.«

Er kehrte in seinen Salon zurück, setzte seinen Hut auf und verließ, ruhig und heiter die Treppe hinabsteigend, das Hotel, wie er es oft zu den Abendspaziergängen durch die Straßen Roms zu tun gewohnt war.

 


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