Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Siebentes Kapitel

Der Kaiser stieg in den Garten hinab und begab sich durch die Blumenanlagen neben dem Schloß nach der großen schattigen Kastanienallee.

In dem grünen Helldunkel dieser alten Bäume erblickte man nicht weit vom Eingang Ihre Majestät, die Kaiserin Eugenie in einem kurz aufgeschürzten Kostüm von 136 weißem Pikee mit kleinen blauen Veilchen durchwebt. Die Kaiserin trug auf dem einfach frisierten, rötlichblonden Haar einen breitrandigen Hut von florentinischem Strohgeflecht mit violetten Bandschleifen garniert. Sie stützte sich leicht auf einen hohen, schlanken Stock von spanischem Rohr mit fein geschnitzter Elfenbeinkrücke und unterhielt sich lebhaft mit zwei Herren, welche zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken neben ihr hergingen, während die Damen vom Dienst, die Gräfin von Poèze, die Gräfin von Lourmel und die Vorleserin Ihrer Majestät, Fräulein von Marion, in der Entfernung weniger Schritte nachfolgten.

Zur Rechten der Kaiserin ging der Vicomte von Laguerronnière, der Gesandte Frankreichs am belgischen Hof in Brüssel, ein großer Mann von sechs- bis siebenundfünfzig Jahren, breit und etwas schwerfällig von Gestalt, aber elegant und hofmännisch gewandt in seinen Bewegungen und in dem bewegten und ausdrucksvollen Mienenspiel seines bleichen, geistig belebten Gesichts mit den scharfblickenden, etwas unruhigen Augen.

Herr von Laguerronnière trug einen schwarzen Morgenanzug mit der Rosette der Kommandeure der Ehrenlegion im Knopfloch. Er hörte aufmerksam der Kaiserin zu, welche lebhaft und eifrig zu ihm sprach.

An der anderen Seite Ihrer Majestät ging der Abbé Bauer, dieser so schnell zu hohem Ansehen emporgestiegene Geistliche, welcher, von jüdischen Eltern zu Wien geboren, sich konvertiert hatte und, von der römischen Hierarchie auffallend begünstigt, seine ganze feine und scharfe Intelligenz und seine unermüdliche Tätigkeit der Sache der katholischen Kirche und insbesondere derjenigen der päpstlichen Herrschaft widmete.

Der Abbé Bauer trug die einfache geistliche Tracht, welche sich seiner schlanken und geschmeidigen Gestalt in natürlicher Eleganz anschmiegte. Die Haltung des Abbé zeigte die Ehrerbietung des Hofmannes seiner Souveränin gegenüber, aber zugleich auch die Würde des Priesters, welcher alle Dinge der Welt, so sehr er auch ihre Berechtigung erkennen mag, dennoch tief unter sich stehend betrachtet. Sein Gesicht zeigte den scharfen Schnitt und die 137 kalte und klare Intelligenz der orientalischen Rasse. Seine dunklen, etwas kleinen und feurigen Augen schlug er nicht nach der Art so mancher Mitglieder des geistlichen Standes zu Boden, sondern blickte mit ihnen frei umher und richtete sie forschend und scharf beobachtend auf diejenigen, mit denen er sprach und die oft durch den eigentümlich durchdringenden Blick dieser Augen verwirrt wurden.

Als Napoleon III. an dem Eingang der Allee erschien, eilte die Kaiserin mit schnellen Schritten ihrem Gemahl entgegen, welcher bei ihrer Annäherung den Arm des Generals Favé losließ und artig die Hand Ihrer Majestät an seine Lippen führte, während der Vicomte von Laguerronnière und der Abbé Bauer sich ehrerbietig zu den Damen der Kaiserin zurückzogen.

»Sie sehen vortrefflich aus, mein teurer Louis,« rief die Kaiserin, »ich freue mich täglich, daß die Besorgnisse, mit denen ich von meiner Reise hierher zurückgekehrt bin, so unbegründet waren und daß ich mich täglich mehr von Ihrer fortschreitenden Genesung überzeugen kann. Lassen Sie uns nur noch recht lange hier in dieser schönen Einsamkeit von St. Cloud bleiben, dessen Luft ja auch unserem armen kleinen Louis so gut tut, und recht spät erst nach jenem traurigen Paris zurückkehren, wo man nur ärgerliche Dinge zu hören hat und wo die Politik den ganzen Tag vom Morgen bis zum Abend ausfüllt.«

»Nun, die Politik«, sagte der Kaiser lächelnd, »weiß ihren Weg auch nach St. Cloud zu finden und scheint auch meine liebenswürdige Gemahlin nicht freizugeben, denn ich finde sie in Gesellschaft einer wahren Inkarnation des politischen Treibens in der Presse und Diplomatie«, fügte er hinzu, indem sein Blick zu dem Vicomte von Laguerronnière hinüberstreifte.

»Herr von Laguerronnière«, sagte die Kaiserin, »versteht, so sehr er Politiker ist, auch über andere Gegenstände sehr liebenswürdig zu sprechen – aber es ist wahr, ich habe ein wenig Politik mit ihm gesprochen, denn leider«, fuhr sie fort, indem eine unmutige Erregung in ihrer Stimme widerklang, »leider gönnt man mir nicht einmal die stille Zurückgezogenheit in dieser ländlichen Einsamkeit, die Verfolgungen unserer Feinde suchen mich auch hier auf.«

138 »Wie das?« fragte der Kaiser im strengen Ton, »wer könnte es gewagt haben, Ihre Ruhe und Heiterkeit zu stören?«

»Meine gute Marion«, erwiderte Eugenie, »hat mir heute morgen einen Artikel übersetzt, welchen die Times über mich veröffentlicht hat und welcher voll ist von dem gehässigsten Angriffen gegen mich und gegen den schädlichen und verderblichen Einfluß, den ich auf die Politik Frankreichs ausüben soll. Eure Majestät wissen selbst,« fuhr sie fort, »wie wenig es meiner Neigung entspricht, mich in Dinge zu mischen, die nicht in der Sphäre der Frauen liegen, und wie fern ich von jedem Versuch bin, einen Einfluß auf die Regierung ausüben zu wollen.«

Ein leichtes Lächeln zuckte über die Lippen des Kaisers, er fuhr mit der Hand über seinen Schnurrbart und sagte:

»Sie sollten sich um so etwas nicht kümmern, am allerwenigsten sich darüber erzürnen und erregen. Wer auf einer solchen Höhe steht wie wir, muß sich gefallen lassen, von der Welt kritisiert zu werden, und Neid und Mißgunst, diese Kardinaleigenschaften des menschlichen Geschlechts, sorgen dafür, daß diese Kritik nicht immer freundlich und wohlwollend ausfällt.«

»Es ist mir gewiß ganz gleichgültig,« rief die Kaiserin, indem sie ihren schlanken Hals zurückbog, »was jener Zeitungsschreiber über mich urteilt, aber es empört mich, wenn Personen, die zu meiner Welt gehören, die unserem Hofe nahe stehen, die Presse benutzen, um ihrer Feindschaft gegen mich Ausdruck zu geben und die öffentliche Meinung gegen mich aufzuregen – denn das schadet nicht nur mir, das schadet auch Ihnen, das schadet dem Ansehen Frankreichs, das schadet vor allem unserem Sohn und seiner Zukunft.«

»Und warum?« fragte der Kaiser immer noch im heiteren Ton, während sich jedoch ein leichter Ausdruck von Unbehagen und Verstimmung auf seinem Gesicht zeigte, »warum setzen Sie solche Quellen und solche Ansichten bei einem unbedeutenden Artikel dieses großen englischen Journals voraus, das so vieles sagt, was der Hauch der schnell dahineilenden Zeit ebenso rasch wieder verweht, und was kaum einige Tage im Gedächtnis der Menschen haftet?«

139 »Weil ich«, rief die Kaiserin mit zornbebenden Lippen, »in den Ausdrücken und Wendungen ganz genau die Gesinnungen und Worte der Personen wiedererkenne, welche mich immer und überall mit ihrem Haß verfolgen, und welche durch die regelmäßige Wiederholung ihrer Angriffe dafür sorgen, daß dieselben in der öffentlichen Meinung nicht vergessen werden. Ich habe die Wendungen wiedererkannt, welche unserem teuren Vetter, dem Prinzen Napoleon,« sagte sie mit bitterer Ironie »so geläufig sind, und welche nur noch in etwas gröberer und boshafterer Weise auch diese Madame Ratazzi zu wiederholen nicht müde wird – diese Madame Ratazzi, welche sich eine Prinzessin Buonaparte nennt und doch nicht aufhört, Frankreich zu schaden wo sie nur immer kann. Sie sollten wahrlich«, rief sie mit einem zornigen Blick auf ihren Gemahl, »von dem Beispiel Ihres Oheims lernen, Ordnung unter denjenigen zu halten, die zu Ihrer Familie gehören – oder die sich herausnehmen, sich zu derselben zu rechnen.«

»Ich glaube«, erwiderte der Kaiser kalt und ruhig, »Sie legen jenem Artikel der Times zuviel Wichtigkeit bei; ich werde denselben lesen und werde Sie dann gewiß überzeugen, daß er ohne Bedeutung ist – Fräulein Marion täte übrigens viel besser, Ihnen solche Dinge nicht mitzuteilen, die Sie unnütz aufregen – und doch nicht zu ändern sind. Doch«, fuhr er abbrechend wieder in dem vorigen heiteren Ton fort, »Sie haben mir vorher gesagt, daß Sie mit Herrn von Laguerronnière von Politik gesprochen hätten – darf ich fragen, was Sie verhandelten, denn ich möchte die Meinung eines so bewährten Mannes nicht verlieren, man kann immer von ihm lernen.«

Die Kaiserin wandte sich um und rief mit einem anmutigen Wink ihrer Hand die Herren heran, welche sie vorher auf der Promenade begleitet hatten.

Herr von Laguerronnière und der Abbé Bauer näherten sich schnell und verbeugten sich ehrerbietig vor dem Kaiser.

»Guten Tag, mein lieber Vicomte«, sagte Napoleon, indem er Herrn von Laguerronnière die Hand reichte und zugleich durch eine freundliche Neigung des Kopfes den Abbé begrüßte.

140 »Ich freue mich, Sie hier – durch einen Zufall«, fügte er mit etwas scharfer Betonung hinzu, »bei der Kaiserin zu sehen.«

»Eure Majestät waren beschäftigt, wie man mir sagte, deshalb wollte ich zuvor Ihrer Majestät, der Kaiserin, meinen Respekt bezeigen«, erwiderte Herr von Laguerronnière. »Ich war gekommen, um Ihnen mitzuteilen, Sire, daß der Senat die Grundzüge der neuen Verfassung angenommen und daß dieselben morgen schon durch Herrn Rouher Eurer Majestät überreicht werden sollen. Ich kann Sie zugleich versichern, Sire, daß der Eindruck derselben auf die öffentliche Meinung ein ganz ausgezeichnet guter ist, trotz der Versuche, welche die unversöhnliche Opposition macht, um diesen günstigen Eindruck abzuschwächen.«

»Ich zweifle nicht daran,« sagte der Kaiser, »und Sie verstehen es ja noch,« fügte er mit verbindlichem Ton hinzu, »die öffentliche Meinung zu belauschen – sie haben ja nun, diese guten Pariser, wonach sie sich so lange gesehnt, wonach sie so lange geschrien haben. Eine Zeitlang werden sie ja wohl zufrieden sein und in Europa wird man sehen, daß das Kaiserreich auch ohne die Gewalt absoluter Autokratie bestehen kann, und daß ich nicht nötig habe, um meinen Thron zu erhalten, Europa in Krieg und Verwirrung zu stürzen.«

Er warf einen raschen Seitenblick auf die Kaiserin, welche mit ihrem Stock einige flüchtige Linien in den gelben Kies des Weges zeichnete und die Worte ihres Gemahls völlig überhört zu haben schien.

»Den Kaiser wird es gewiß interessieren,« sagte sie dann, »den Gegenstand unseres Gesprächs kennen zu lernen, bei welchem ich, wie ich bekennen muß, mich in Opposition gegen den Herrn Vicomte von Laguerronnière befand, dagegen aber die Befriedigung hatte, vom Abbé Bauer unterstützt zu werden.«

»Sire,« sagte der Vicomte von Laguerronnière, – »Ihre Majestät die Kaiserin erzeigte uns die Ehre, mit uns über das vatikanische Konzil und die möglichen Beschlüsse desselben mit ihren Folgen sich zu unterhalten.«

»Ah,« sagte der Kaiser, indem er etwas erstaunt aufblickte, »das ist allerdings ein sehr weiter und 141 unerschöpflicher Gegenstand der Konversation, um so mehr, als er eine Reihe von Hypothesen und Konjekturen in sich schließt –«

»Das Konzil ist keine Hypothese,« sagte die Kaiserin, »es ist fest beschlossen, und alle Macht des Unglaubens und der Ketzerei wird die Ausführung dieses großen Gedankens des Heiligen Vaters nicht mehr hindern. Ich bin darüber glücklich und war nur erstaunt, bei Herrn von Laguerronnière, der mir doch sonst als guter Katholik bekannt ist und der Absolution der Kirche zuweilen dringend bedarf,« fügte sie mit einem schalkhaften Lächeln hinzu –, »nicht meine Auffassung über diesen Gegenstand geteilt zu finden.«

»Nicht?« fragte der Kaiser, indem er ernst wurde und den Blick fragend auf den Vicomte richtete, »und was haben Sie gegen das Konzil?«

Er reichte der Kaiserin den Arm und schritt langsam die große Alle hinunter.

Der Vicomte ging an der Seite des Kaisers, der Abbé schritt neben der Kaiserin her. Die Damen und der Oberst Favé folgten.

»Ich habe nichts gegen das Konzil als solches,« sagte der Vicomte von Laguerronnière, die Frage des Kaisers beantwortend, »wenn sich seine Arbeiten darauf richten würden, zwischen den einzelnen Richtungen in der Kirche zu vermitteln und Mißbräuche abzustellen, welche sich eingeschlichen haben. Aber leider«, fuhr er fort, »wird nach dem, was man darüber hört, die eigentliche Tendenz des Konzils eine ganz andere sein. Es scheint, daß die Ratgeber Seiner Heiligkeit die scharfe Konzentration der römischen Hierarchie besonders den staatlichen Autoritäten gegenüber zum Zweck der Tätigkeit des Konzils machen wollen, daß dies Konzil gewissermaßen ein für allemal die Autorität aller Konzilien begraben und den Papst zum einzigen und unfehlbaren Herrn der Kirche nicht bloß in bezug auf die Disziplin, sondern auch in bezug auf die Glaubensfragen machen wolle, und hierin, Sire, sehe ich eine schwere Gefahr, welche nicht bloß auf dem kirchlichen Gebiet, sondern auch auf dem politischen verhängnisvoll werden kann, indem durch ein solches Vorgehen des Papsttums Italien 142 und Preußen notwendig von neuem zueinander geführt und aneinander gekettet werden müssen, und dies, Sire, ich wiederhole es, ist eine große Gefahr für Frankreich.«

»Frankreich hat keine Gefahr zu fürchten«, rief die Kaiserin, stolz den Kopf emporwerfend.

»Davon, Madame, ist jeder Franzose überzeugt,« sprach der Vicomte von Laguerronnière, sich gegen die Kaiserin verneigend, »indes, wenn man die Gefahren nicht fürchtet, darf man dennoch die Augen nicht vor denselben verschließen, und wenn Frankreich je dahin kommen sollte, ernst und fest gegen Preußen auftreten zu müssen, so ist es von der höchsten Wichtigkeit, in einem solchen Augenblick Italiens sicher zu sein, damit nicht durch einen Handstreich gegen Rom unsere dortige moralische und militärische Position zusammenbreche, während wir gezwungen sind, unsere Kräfte an den Ostgrenzen zu konzentrieren.«

»Wenn es dahin kommen sollte,« rief die Kaiserin mit flammenden Augen, »so wird Roms Macht, je höher dieselbe steht, ein um so mächtigerer Bundesgenosse für uns sein. Die katholische Kirche, welche empfinden muß, daß die preußische Herrschaft in Deutschland eine furchtbare Drohung für sie ist, wird dann fest organisiert und durchdrungen von dem Willen ihres Oberhirten Preußen isolieren und der katholischen Bevölkerung des Südens es klar zum Bewußtsein bringen, daß sie nur durch uns Rettung ihrer politischen wie ihrer religiösen Selbständigkeit finden könne.«

Der Kaiser hatte den Kopf etwas vornüber geneigt und gab durch keine Miene zu erkennen, daß er an dem neben ihm geführten Gespräch irgendwelchen Anteil nehme.

»Der Herr Vicomte von Laguerronnière,« sagte der Abbé Bauer mit seiner klaren Stimme, deren Modulation er mit seltener oratorischer Meisterschaft zu beherrschen verstand, »der Herr Vicomte von Laguerronnière legt der Frage, über welche Ihre Majestät die Kaiserin uns die Ehre erzeigte, sich mit uns zu unterhalten, wie ich glaube, eine zu große Bedeutung bei. Es handelt sich bei dem Konzil ja wesentlich darum, Dogmen und Glaubensgrundsätze, welche tatsächlich bereits anerkannt feststehen, auch von 143 dem versammelten ökumenischen Konzil annehmen und verkündigen zu lassen, damit bei keinem katholischen Christen irgendwelcher Zweifel oder irgendwelche Unklarheit über die dogmatischen Glaubenssätze der Kirche bestehen könne. Von der feindlichen Stellung gegen die staatliche Autorität ist ja dabei gar keine Rede, es müßte denn von den weltlichen Mächten selbst eine solche Gegnerschaft provoziert werden –«

»Was nicht ausbleiben kann,« fiel der Vicomte von Laguerronnière ein, »ebensowenig wird es fehlen können, daß die Bischöfe ihre Selbständigkeit gegen den Eingriff in ihre Rechte verteidigen, der in der Unfehlbarkeitslehre des Papstes liegt.«

»Die Bischöfe«, sagte der Abbé Bauer mit scharfer Betonung, »sind Diener des Papstes und haben ihm gegenüber keine Selbständigkeit in Anspruch zu nehmen –«

»Die französischen Bischöfe«, erwiderte Herr von Laguerronnière lebhaft, »haben eine solche Auffassung niemals anerkannt, und ich glaube auch, daß die Bischöfe in Deutschland, die Nachfolger der alten Kurfürsten, sich nicht so leicht werden zu willenlosen Dienern der römischen Kurie herabdrücken lassen.«

»Berühren wir nicht die Theologie,« sagte der Kaiser lächelnd, »es ist gefährlich, mit dem Abbé auf diesem Gebiet zu streiten. Lassen wir das Konzil zusammentreten und sich mit den kirchlichen Dingen beschäftigen, entschlüpfen wir dem Abbé auf das diplomatische Gebiet, auf dem wir ein wenig zu Hause sind. Les extrêmes se touchent,« sagte er mit einem schnellen Seitenblick auf die Kaiserin, »während Sie sich hier mit dem Heiligen Vater auf dem Konzil beschäftigten, habe ich über die Ungläubigen im Orient nachgedacht. Der Kaiser von Österreich und auch der König von Preußen, wie ich höre, oder wenigstens der Kronprinz, werden der Einladung des Vizekönigs von Ägypten zur Eröffnung des Suezkanals folgen. Es wäre sehr wünschenswert, daß Frankreich dort ebenfalls vertreten sei, und doch – Nélaton und Fauvel wollen, trotzdem ich mich immer kräftiger fühle, mir die Reise dorthin nicht gestatten.« –

Er schwieg einen Augenblick. Die Augen der Kaiserin leuchteten in plötzlicher Erregung auf.

144 »Ich bedauere das,« sagte Napoleon, »es wird manches Schöne und Interessante dort zu sehen sein. Ich hätte nicht ungern einmal den Orient besucht, vor allem aber bedauere ich, daß Frankreich dort nicht vertreten ist, und ich hätte fast die Freundlichkeit der Kaiserin in Anspruch genommen, wenn ich nicht fürchten müßte, daß die so weite beschwerliche Reise –«

»Sie wissen,« rief die Kaiserin lebhaft, »daß ich keine Mühen und Beschwerden kenne, wenn das Interesse Frankreichs in Frage kommt.«

»Sie würden sich entschließen können?« fragte Napoleon im zögernden Ton, »bedenken Sie die weite Entfernung, die Seereise, das fremde Klima und – dann«, fuhr er in zögerndem Nachsinnen fort, »würde es sich nicht vermeiden lassen, auf der Hinreise einen Besuch in Konstantinopel zu machen, die Rücksicht auf den Sultan erfordert das –«

»Oh, das ist ja allerliebst!« rief die Kaiserin mit glückstrahlendem Gesicht – »eine Reise wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, – ich bitte Sie, Louis, halten Sie diesen Gedanken fest, die Mühe und Anstrengungen kommen ja gar nicht in Frage. Es würde mir eine große Freude sein, die Wunder des Orients kennen zu lernen – und ich glaube,« fügte sie hinzu, den Kopf mit einer leichten, schelmischen Koketterie zu ihrem Gemahl hinwendend, »ich glaube, daß es mir auch gelingen wird, Frankreich würdig und angemessen zu vertreten.«

»Niemand kann daran zweifeln,« sagte Napoleon galant, »wenn Sie sich also entschließen könnten – eine Flotteneskorte würde Sie begleiten, ein Schiff müßte für Sie hergerichtet werden –«

»Welche reizende Aussicht!« rief die Kaiserin. »Wie danke ich Ihnen, Louis, für diesen Gedanken! Es ist also abgemacht, ich übernehme die Mission, ich übernehme es, diese stolzen Mohammedaner, welche die Frauen in vergoldete Kerker einsperren, die Pflichten ritterlicher Galanterie zu lehren – oh, das wird sehr amüsant, sehr pikant werden. Ich verspreche Ihnen, Sie sollen mit mir zufrieden sein, – Sie werden mich aber begleiten, Abbé,« rief sie 145 lebhaft, sich zum Abbé Bauer wendend, »denken Sie, wir werden Jerusalem sehen, wir werden an den heiligen Stätten unsere Andacht verrichten, – Sie wissen ja, Louis, daß ich bei der Geburt unseres Sohnes das Gelübde ablegte, dem Himmel für seine Gnade auf jenem heiligen Boden zu danken, den der Fuß des Erlösers für alle Zeit geweiht hat. Wie glücklich bin ich, daß endlich die langverschobene Erfüllung jenes Gelübdes sich naht!«

»Wenn Eure Majestät«, erwiderte der Abbé ernst und salbungsvoll, »die Gnade haben wollen, mich zur Begleitung zu bestimmen, so wird mich das zu hoher Dankbarkeit verpflichten; denn was kann es für einen Diener der Kirche Schöneres und Erhabeneres geben, als sich an der Stätte des welterlösenden Leidens und Sterbens Christi selbst mit dem Geiste zu durchdringen, der die sündhafte Welt zur Gnade des Himmels zurückführt!«

»Und jene Welt des Orients,« sagte Herr von Laguerronnière, »welche bisher nur die kriegerische Macht Frankreichs gesehen, wird sich überzeugen, daß unsere Nation auch durch Geist und Anmut den Völkern der Erde weit voranleuchtet.«

Die Kaiserin blieb stehen, indem sie mit der Hand den Arm des Kaisers drückte, und wandte sich zu den in einiger Entfernung folgenden Damen zurück, dann, einen Augenblick zögernd, fragte sie:

»Ist es erlaubt, von meiner Mission in das Land der Pyramiden zu sprechen, oder soll dieselbe noch diplomatisches Geheimnis bleiben?«

»Durchaus nicht,« sagte Napoleon; »sobald Sie sich entschlossen haben, diese Mühe und Anstrengung zu übernehmen, müssen wir ja an die Vorbereitungen für die Reise denken, und ich sehe keinen Grund ein, warum dieselbe mit irgendwelchen Geheimnissen umgeben werden soll.«

»Kommen Sie, meine Damen,« rief die Kaiserin in fröhlichem Ton, »wir werden ernste Konseilsitzungen halten müssen,« fuhr sie fort, als die Gräfinnen von Poèze und Lourmel und Fräulein Marion schnell herantraten, – »ich werde nach dem Orient, nach Konstantinopel, nach Ägypten gehen, – das ist ein Feldzug auf dem Gebiet der Toilette, 146 für welchen wir all unseren Geist, alle unsere Kombinationsgabe aufbieten müssen, um der Welt zu zeigen, daß unser Geschmack und unsere Erfindungskraft sich nicht nur auf die Salons und die Promenaden von Paris beschränken, sondern daß wir unsere Toiletten auch dem Meere und dem Sand der Wüste anzupassen verstehen. Ich bitte Sie, Fräulein Marion, sich aus des Kaisers Bibliothek alles geben zu lassen, was sich auf den Orient und Ägypten bezieht. Wir müssen das studieren, ich muß mich über die Geschichte und Sitten jener Länder informieren, das wird uns Gedanken geben, um schöne, angemessene und bedeutungsvolle Kostüme zu schaffen. Lassen Sie uns sogleich ans Werk gehen,« rief sie, »denn dies Werk ist von großem Umfang und von großer Bedeutung. Ich bitte Sie, mich zu entschuldigen,« sagte sie, sich zum Kaiser wendend, »Sie werden mir später meine diplomatischen Instruktionen geben – erlauben Sie mir jetzt, für das Arsenal meiner Waffen zu sorgen –«

»Die stärker und siegreicher sind als meine Chassepots und Mitrailleusen,« sagte Napoleon, indem er seiner Gemahlin die Hand küßte und sich dann artig gegen die Damen verneigte, welche der Kaiserin folgten, die rasch nach dem Schlosse zurückschritt.

»Es wird mich in hohem Grade interessieren,« sagte der Kaiser, in verbindlichem Ton zum Abbé Bauer sich wendend, »Ihre Meinung über das Konzil und seine Wirkungen zu hören. Ich würde Sie bitten, sowie ich einen Augenblick ruhiger Muße habe, sich mit mir darüber eingehender zu unterhalten.«

Der Abbé Bauer verneigte sich und blieb zurück, während der Kaiser seinen Arm in den des Vicomte von Laguerronnière legte und langsam seinen Spaziergang in der Allee fortsetzte, – dann schritt er dem Schloß zu – der General Favé ging in der Allee auf und nieder, die Rückkehr des Kaisers erwartend.

»Glauben Sie,« fragte Napoleon in heiterem Ton, indem er, auf den Arm des Vicomte gestützt, weiterging, »daß die Pariser sich ein wenig mit der Reise der Kaiserin nach dem Orient beschäftigen werden?«

»Sie werden sich mit nichts anderem beschäftigen, 147 Sire,« erwiderte Herr von Laguerronnière, »die Feuilletons werden die Details der Reise Ihrer Majestät schildern, und die politische Welt wird sich in Kombinationen über die politische Bedeutung eines so außergewöhnlichen Ereignisses ergehen, wie es die persönliche Erscheinung einer christlichen Souveränin am Hofe des Sultans und des Vizekönigs von Ägypten ist.«

»Tant mieux, tant mieux,« sagte Napoleon, »je mehr man davon spricht, um so weniger wird man Zeit finden, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, welche der Dunkelheit und des Schweigens bedürfen, um zu günstigem Resultat durchgeführt zu werden. Es ist mir lieb, hier mit Ihnen, mein lieber Vicomte, mich in der freien Natur unterhalten zu können, wo es keine Wände gibt und keine Türen, hinter denen ein unberufenes Ohr sich aufhalten könnte.«

Mit höchster Spannung blickte der Vicomte in das Gesicht des Kaisers, welcher ganz ernst geworden war und in sinnenden Gedanken vor sich hinblickte.

»Das Projekt,« sagte Napoleon, nachdem er einige Augenblicke schweigend weitergegangen war, – »das Projekt, durch den Vertrag der Ostbahn mit den belgischen Bahnen diese Verkehrsstraße von uns abhängig zu machen, ist gescheitert.«

»Leider, Sire,« sagte Herr von Laguerronnière, »Eure Majestät wissen, daß ich es nicht an Eifer habe fehlen lassen; aber jener maßgebende und schwerwiegende Einfluß, welcher sich am Hof in Brüssel geltend machte, machte es unmöglich, mit Nachdruck in dieser Sache aufzutreten, was ja Eure Majestät selbst bei den damaligen politischen Verhältnissen nicht wünschten.«

»Gewiß nicht,« erwiderte der Kaiser mit einem schmerzlichen Seufzer, »die ganze Kombination, welche damals die Grundlage meiner Politik bildete, als ich Sie nach Brüssel schickte, ist ja zusammengebrochen, und diese spanische Revolution, – von welcher ich noch immer nicht weiß, wie sie mit den Fäden der Berliner Politik zusammenhängt, hat alle meine Pläne zerstört.«

»Die Frage der Eisenbahnverträge«, fuhr er fort, »hätte einen guten, nationalen und populären Kriegsgrund 148 gegeben – doch da wir allein sind, da Österreich fortwährend zaudert und Italien fast feindlich steht, so wäre es nicht möglich, diese Sache auf die Spitze zu treiben.«

»Ich verstehe das vollkommen,« erwiderte Herr von Laguerronnière, »Eure Majestät wissen, wie dringend ich stets davor gewarnt habe, einen Konflikt mit Preußen hervorzurufen, bevor wir vollkommen vorbereitet sind und ganz sichere und feste Allianzen haben – namentlich auch in Deutschland selbst – ich lege auf die letzte Frage ganz besonderen Wert und habe gerade in dieser Beziehung früher die hannöversche Frage eingehend beobachtet und verfolgt, welche für uns noch einmal von großer Bedeutung werden kann, wenn sie richtig behandelt wird und wenn besonders jene eigentliche Eroberungsidee bei einem Konflikt mit Preußen ausgeschlossen wird.«

»Mein Gott,« sagte der Kaiser achselzuckend, »Sie wissen, wie sehr ich diesen Gedanken teile, aber Sie wissen auch, wie schwer dieser französische Chauvinismus zu vernünftigen Anschauungen zu bringen ist. – Was die hannöversche Frage betrifft,« fuhr er dann fort, »so ist der König Georg in diesem Augenblick im Begriff, einen großen Fehler wieder gutzumachen, den er begangen hat, als er durch unvorsichtige Telegramme und Korrespondenzen der preußischen Regierung die Gelegenheit bot, sein Vermögen zu konfiszieren; er hat in Wien eine Bank gegründet, welche ihm die verlorenen Mittel wieder einbringen soll und ihn dann vielleicht in den Stand setzen wird, auf diese materiellen Mittel gestützt, einen ernsten Anteil an den Ereignissen zu nehmen – doch das sind Dinge, die erst in Frage kommen werden, wenn es wirklich zu einer kriegerischen Entscheidung der Differenzen kommen sollte, welche ich, aufrichtig gesagt, immer lieber vermeiden möchte, wüßte ich nur irgendeinen Weg, um ohne einen solchen Konflikt Frankreich Ersatz zu schaffen für die Einbuße an Macht und Ansehen, welche wir durch diese unglückliche Schlacht bei Sadowa erlitten haben, und welche sich bei jeder politischen Kombination, die ich ersinne und auszuführen suche, immer von neuem geltend macht. Ich habe nun,« fuhr er fort, »während ich hier wegen meiner Krankheit etwas zurückgezogen und einsam leben 149 mußte, eine Idee hin und her erwogen, deren Ausführung, wie mir scheint, sehr dazu beitragen würde, auch ohne Eroberung den Gebietszuwachs unserer Macht zu erweitern und uns zugleich einen verstärkten Schutz zu geben gegen aggressive Tendenzen der immer stärker heranwachsenden Militärmacht. Und zur Ausführung dieser Idee, mein lieber Vicomte, nehme ich Ihren Scharfsinn, Ihre Geschicklichkeit und Ihre Hingebung in Anspruch.«

»Ich erwarte Eurer Majestät Befehle«, sagte Herr von Laguerronnière, »und werde meine ganze Kraft daransetzen, dies auszuführen.«

»Ich habe wohl früher daran gedacht,« sprach der Kaiser weiter, »bei irgendeiner Gelegenheit diesen künstlich geschaffenen belgischen Staat von der Karte Europas verschwinden zu lassen, – würde man in Berlin auf meine Ideen eingehen, so ließe sich das sehr leicht machen – es würde vielleicht ein großes Geschrei geben, – aber ich glaube, niemand in der Welt würde wagen, Frankreich und Preußen, wenn sie verbündet mit der Hand am Schwert dastehen, ernsten Widerstand entgegenzusetzen, und würde England sich vielleicht zu solcher Kühnheit emporraffen, – nun, seit der Schlacht von Trafalgar ist die Entwicklung der englischen Marine mehr und mehr in Stillstand geraten, während wir eminente Fortschritte gemacht haben, – eine siegreiche Seeschlacht,« fuhr er, seinen Gedanken folgend, fort, »und Frankreich wäre die erste Macht auf beiden Hemisphären. Doch«, sagte er dann seufzend, »diese glänzende und schöne Perspektive ist eine Unmöglichkeit, da man mich in Berlin nicht versteht – oder nicht verstehen will. Und ohne Preußen würde eine Erwerbung Belgiens nur durch einen welterschütternden Krieg möglich sein. Aber«, sagte er dann, »wir können durch einen geschickten diplomatischen Feldzug fast ebensoviel erreichen, als durch gewonnene Schlachten, wenn es uns gelingt, diese beiden kleinen Grenzstaaten Belgien und Holland durch Verträge mit Frankreich zu verbinden, welche, ohne ihre Neutralität zu verletzen, sie an die französischen Interessen knüpfen und im Falle einer militärischen Katastrophe auf unsere Seite stellen.«

150 »Eine solche Stellung Belgiens und Hollands«, sagte Herr von Laguerronnière, »würde für Frankreich gewiß von unberechenbarem Vorteil sein, indes,« fügte er lächelnd hinzu, »ob sich dieselbe mit ihrer Selbständigkeit, mit ihrer Neutralität vereinigen läßt – in den Augen der übrigen Mächte, darüber namentlich, Sire, möchte ich doch einige Zweifel hegen.«

Napoleon warf einen scharfen Seitenblick auf den Vicomte und sprach dann mit einem leichten Anklang von Ironie in seinem Ton:

»Mein Freund, der Graf Bismarck hat uns ja ein vortreffliches Beispiel in dieser Beziehung gegeben. Der Prager Frieden gibt den süddeutschen Staaten die Garantien ihrer vollen und absoluten Selbständigkeit und bestimmt sogar, daß dieselben zu einem besonderen Bunde zusammenzutreten das Recht haben sollen. Das ist eine ganz ähnliche Stellung, wie sie Belgien und Holland durch die europäischen Verträge gegeben worden ist. Dessenungeachtet hat man es von Berlin aus verstanden, die deutschen Südstaaten dahin zu bringen, daß sie von dem Recht ihrer Selbständigkeit nur so weit Gebrauch gemacht haben, mit Preußen militärische Verträge und Zollkonventionen zu schließen, durch welche sie tatsächlich dem Norddeutschen Bunde angehören. Warum sollten wir von dem großen Staatsmann in Berlin nicht lernen? Warum sollten wir nicht dieselben Grundsätze zur Anwendung bringen, welche er den Süddeutschen gegenüber bereits ausgeführt hat? Denken Sie sich,« fuhr er fort, »daß wir mit Belgien und Holland derartige Handels- und Zollverträge abgeschlossen hätten, welche ihre materiellen Interessen ausschließlich mit denjenigen Frankreichs verbinden, daß wir eine Militärkonvention herstellten, welche im Falle großer kriegerischer Verwickelungen in Europa die strategischen Positionen in beiden Ländern uns anvertraute, wogegen wir die Garantien für die Selbständigkeit der Länder – und für ihre Dynastien übernehmen – ich glaube, das würde im Fall eines Krieges so viel wert sein als zwei große Armeen. Und sollte es«, fuhr er fort, »den Regierungen und den Bevölkerungen jener Länder nicht 151 einleuchten, daß Frankreich, welches gewaffnet an ihren Grenzen steht, eine festere Garantie ihrer Existenz und Selbständigkeit bieten kann als ein Blatt Papier, welches zwar die Unterschriften der europäischen Mächte trägt, für welche aber kaum eine derselben wirklich handelnd eintreten würde? Hat man doch die deutsche Bundesakte, diesen feierlichsten aller von Europa garantierten Verträge, zerreißen lassen – wie würde man sich wegen Belgiens und Hollands, deren Existenz eigentlich nur auf einem Kompromiß beruht, echauffieren? Wenn aber Frankreich diese Garantien übernimmt, Frankreich, das zugleich im anderen Falle der gefährlichste Feind werden könnte, dann ist ihre Existenz gesichert, und nach meinem Gefühl liegt es in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse, sich diese Garantien durch Verträge im angedeuteten Sinn zu verschaffen.«

»Ich bewundere die tiefen und wohlberechneten Kombinationen Eurer Majestät,« erwiderte der Vicomte ernst – »aber ich sehe kaum, wie bei dem überall wachen Mißtrauen, bei der durch die orleanistischen Beziehungen genährten übelwollenden Stimmung des belgischen Hofes die Ausführung möglich sein soll.«

»Das kommt darauf an,« erwiderte der Kaiser, »wie den betreffenden Staatsmännern und den Bevölkerungen der Gedanke klargemacht wird, auf welchem meine Kombination beruht. Ich habe die Ausführung derselben einen diplomatischen Feldzug genannt, und ich glaube, die Leitung dieses Feldzuges keinen geschickteren Händen anvertrauen zu können als den Ihrigen, mein lieber Vicomte.«

»Eurer Majestät Vertrauen ehrt mich hoch,« sagte Herr von Laguerronnière, »aber es legt mir zugleich eine schwere Verantwortung auf, welche mich mit tiefer Besorgnis erfüllt, denn die Aufgabe, welche Eure Majestät mir stellen, ist wahrlich keine leichte.«

»Jedes schwierige Unternehmen kann scheitern,« sagte der Kaiser, »und Sie wissen,« fügte er lächelnd hinzu, »daß es nicht zu den Gewohnheiten des Kaiserreichs gehört, unglücklichen Generalen und Diplomaten den Kopf vor die Füße zu legen. Übernehmen Sie immer die Verantwortung und seien Sie überzeugt, daß, wie auch das Resultat 152 sei, Ihr Eifer und Ihre Geschicklichkeit immer meine Anerkennung finden werden. In Holland«, fuhr er fort, finden meine Gedanken Verständnis. Dort fürchtet man die drohend heranwachsende Macht Deutschlands und wird gern suchen einen festen Rückhalt gegen dieselbe zu gewinnen. Ich glaube, es kann nicht so überaus schwer sein, eine ähnliche Stimmung in Belgien zu schaffen, – gelegentliche Indiskretionen in der Presse über preußische Verhandlungen werden dabei sehr wirksam sein. Und Sie wissen ja,« sagte er mit seinem Lächeln, »wie man solche Indiskretionen begehen lassen kann.«

»Eure Majestät müssen mir erlauben,« sagte der Vicomte, »die ganze Sache zu durchdenken und mir einen Operationsplan festzustellen, – ist der Fürst La Tour d'Auvergne«, fuhr er fort, »von Eurer Majestät Intentionen genau unterrichtet und hat er vielleicht einen bestimmten Plan zur Ausführung derselben gefaßt?«

Napoleon zuckte die Achseln.

»Der Fürst La Tour d'Auvergne«, sagte er im Ton feiner Ironie, »ist in diesem Augenblick sehr eingehend damit beschäftigt, nachzuweisen, daß seine Familie von den alten Lauragais abstammt, und daß er mit dem premier grenadier de France dieselben Ahnherren hat – was wollen Sie, mein lieber Vicomte,« fuhr er heiter fort, »Sie sind ein alter und vertrauter Freund, Ihnen kann ich es wohl sagen, ich bin jetzt gezwungen, ein wenig mit der auswärtigen Politik mir selbst zu schaffen zu machen, – Sie wissen, ich werde jetzt konstitutioneller Kaiser, ich werde Minister haben, welche mit den Kammern und ihren Majoritäten rechnen müssen. Das alles verträgt sich nicht mit einer wohldurchdachten und planmäßigen Diplomatie, deren erste Lebensbedingung das Geheimnis und die dunkle Verborgenheit ist. Lassen Sie mein auswärtiges Ministerium seine offiziellen Beziehungen unterhalten, damit ich in meinen Thronreden der Welt verkünden kann, daß ich zu allen Mächten Europas in den innigsten Beziehungen des tiefsten Friedens stehe – kommen dann die Ereignisse, so wird es Sache des konstitutionellen Apparats sein, dieselben mit vortrefflichen Reden in die Welt einzuführen – 153 vorbereiten müssen wir sie aber in stiller Verborgenheit.«

»Ich verstehe Eure Majestät vollkommen,« sagte Herr von Laguerronnière, »und werde die Ehre haben, nur Ihnen selbst über meine Tätigkeit zu berichten.«

»Ich bin überzeugt,« erwiderte Napoleon, »daß diese Tätigkeit bald den vollständigsten Erfolg haben wird, und daß ich Ihnen abermals für einen wichtigen und bedeutungsvollen Dienst zu danken haben werde.«

Sie waren fast am Ende der Kastanienallee angekommen, als am Eingang eines der schattigen Seitenwege der kaiserliche Prinz mit dem Prinzen von Asturien in Begleitung des Generals Frossard erschien.

Der kaiserliche Prinz trug einen leichten Zivilanzug von dunklem Sommerstoff. Sein längliches, etwas mageres Gesicht war noch bleich von der längeren Krankheit, die er überstanden hatte, zeigte aber doch bereits wieder einen kräftigen frischen und heiteren Ausdruck, und aus seinen großen, hellblickenden Augen strahlte fröhliche Lebenslust.

Der Prinz von Asturien, welcher damals zwölf Jahre alt war, erschien, auch abgesehen von dem Altersunterschied, bei weitem kleiner, zarter und schwächer als der kaiserliche Prinz. Er trug einen Anzug von schwarzem Sammet und einen Hut von gleichem Stoff, unter welchem das zierliche feine Gesicht mit den dunklen, etwas traurigen, schwermütig blickenden Augen noch zarter und bleicher erschien.

Der kaiserliche Prinz eilte in schnellem Lauf auf seinen Vater zu und küßte ihm voll Ehrerbietung und herzlicher Liebe die Hand.

Der General Frossard, eine magere, nervige Gestalt von strenger militärischer Haltung und ernsten und kalten Zügen, blieb in einiger Entfernung stehen, während der Prinz von Asturien langsam und mit weit über seine Jahre hinausgehendem Anstand dem kaiserlichen Prinzen folgte.

Der Kaiser hatte sich zu seinem Sohne herabgebeugt, ihn zärtlich auf die Wange geküßt und ging dann einige Schritte dem Prinzen von Asturien entgegen, indem er den Hut abnahm und dem schnell herantretenden Prinzen die Hand reichte.

154 »Ich habe mit meinem lieben Alphons meine Eisenbahn fahren lassen, Papa«, rief der kaiserliche Prinz vergnügt. »Ich verstehe schon sehr gut die Lokomotive zu führen und habe es Alphons gezeigt, wie er es machen muß. Bald wird er es auch können und dann werden wir darüber nachsinnen, wie man die Maschinerie verbessern kann, um Unglücksfälle zu verhüten. Ich habe eine Idee dazu, ich werde sie dir einmal zeigen, Papa, – sie ist gar nicht so unklug, ich muß nur noch darüber nachdenken – nicht wahr, mein General?« rief er, sich zu dem General Frossard wendend.

»In der Tat, Sire,« sagte der General, »der Prinz hat es sich sehr eifrig angelegen sein lassen, die Zusammensetzungen und Bewegungen der Lokomotive zu studieren. Und ich glaube, er wäre schon imstande,« fügte er lächelnd hinzu, »einen großen Zug zu führen.«

»Das ist brav von dir,« sagte Napoleon, seinem Sohn auf die Schulter klopfend, welcher inzwischen Herrn von Laguerronnière mit einer gewissen kindlichen Bescheidenheit begrüßt hatte, »es gibt nichts, was du dir nicht zu lernen vorsetzen mußt. Und die Behandlung der Lokomotive«, sagte er lächelnd, sich zu Herrn von Laguerronnière wendend, »ist eine vortreffliche Vorschule für die Regierung des Staats, auf deren Rädern die menschliche Gesellschaft so stolz und so sicher dahinfährt – und doch kann eine falsche Handhabe, ein im Wege liegendes Steinchen sie urplötzlich zertrümmern und in den Abgrund stürzen.«

»Wie geht es der Königin?« sagte er, sich zum Prinzen von Asturien wendend.

»Meine Mutter hat viel geweint,« erwiderte der Knabe ernst mit trauriger Stimme, – »es ist jetzt fast ein Jahr, daß wir vor den treulosen Freunden aus Spanien fliehen mußten – und die Königin kann das noch immer nicht vergessen – sie hat doch die Spanier so sehr geliebt und wollte sie alle so glücklich machen. Oh, warum war ich kein Mann,« sagte er, indem eine zarte Röte über sein Gesicht flog und ein brennendes Feuer aus seinen Augen leuchtete – »warum konnte ich nicht an die Spitze unserer Soldaten gegen die Verräter marschieren, um meine Mutter zu 155 verteidigen – aber ich werde groß werden, ich werde ein Mann werden und ein Schwert führen können, und dann –«

Er vollendete nicht, wie erschrocken über den unwillkürlichen Ausbruch seiner Gefühle zuckte er zusammen und blickte mit leichter Verlegenheit den Kaiser an.

»Ja, die Zeit wird kommen,« rief der kaiserliche Prinz lebhaft, »in der das Unrecht bestraft wird und in der mein lieber Alphons König von Spanien sein und im Eskorial residieren wird. Wir haben das schon alles überlegt,« fuhr er in kindlich naiver Lebhaftigkeit fort, »wir werden ein Bündnis schließen, Spanien und Frankreich werden einig sein, alles Unrecht in der Welt bekämpfen und die Religion und die heilige Kirche beschützen und dem heiligen Vater wieder zu seinem Recht verhelfen, der so gut ist und der mir ein schönes gesegnetes Kruzifix geschickt hat, vor dem ich alle Tage bete, daß Gott mich groß und stark werden lasse, um einst würdig zu sein meiner Nation und meines Namens.«

»Doch das ist noch sehr fern,« sagte er, plötzlich abbrechend, indem eine dunkle Röte sein Gesicht bedeckte und er sich zärtlich an den Kaiser schmiegte, – »sehr fern. Ich werde Gott bitten, daß es sehr fern sei«, fügte er leise hinzu, indem er mit liebevollem Blick, als wolle er wegen seiner Worte um Verzeihung bitten, zu seinem Vater hinaufsah.

Der Kaiser streichelte sanft mit der Hand die Wange des kaiserlichen Prinzen.

»Die Zukunft steht in der Hand des Himmels,« sagte er, »möchten glückliche Sterne die deinige erleuchten.«

Er blickte einige Sekunden schweigend mit weitgeöffneten Augen in die tiefen Schatten der Bäume hinaus. Dann streifte sein Blick von dem Prinzen von Asturien, diesem purpurgeborenen, verbannten Kinde, zu seinem Sohn hinüber. Er drückte den kaiserlichen Prinzen wie schützend an sich und seufzte tief.

Ein Lakai war, vom Schloß kommend, zum General Favé getreten und hatte mit demselben einige Worte gewechselt.

Der General näherte sich dem Kaiser und sagte:

»Der Graf von Gurowsky, welchem Eure Majestät um diese Stunde Audienz gegeben, erwartet Ihre Befehle.«

156 »Ah,« sagte der Kaiser, indem er seinen Sohn aus seinen Armen ließ, »ich erinnere mich, ich will den Grafen empfangen. Auf Wiedersehen, Monseigneur«, sprach er, dem Prinzen von Asturien die Hand reichend. »Ich hoffe, Sie sind frei, Herr Vicomte,« fuhr er fort, sich zu Herrn von Laguerronnière wendend, »ich bitte Sie, sich heute in der reinen Luft von St. Cloud zu erholen und werde das Vergnügen haben, Sie beim Diner zu sehen.«

»Darf ich dem Herrn Vicomte noch eine Fahrt auf meiner Eisenbahn zeigen,« rief der kaiserliche Prinz, »wenn er mit mir gehen will – und – wenn es erlaubt ist?« fügte er mit einem schüchternen, fragenden Blick auf den General Frossard hinzu.

»Wenn der General glaubt,« sagte der Kaiser lächelnd, »daß du vor einem Senator und Gesandten bestehen kannst und wenn es dem Vicomte Vergnügen macht –«

Herr von Laguerronnière verneigte sich, und der Kaiser grüßte freundlich mit der Hand, nahm den Arm des Generals Favé und schritt dem Schlosse zu, während die beiden Prinzen sich mit dem General und dem Vicomte nach dem Seitenwege wandten, der zu der kleinen Eisenbahn führte, welche in großem Kreise den Park von St. Cloud durchschnitt und mit ihren kleinen Tunnels und Viadukten zur Belehrung und Unterhaltung des kaiserlichen Prinzen diente.

 


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