Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Kaiser Napoleon hatte seine Sommerresidenz in St. Cloud bezogen und die Pariser Journale, die der Opposition voran, hatten begonnen, sich sehr eingehend mit dem Gesundheitszustand des Kaisers zu beschäftigen, den sie als äußerst gefährlich darstellten.

Die guten Pariser, welche den Kaiser nicht sehen konnten, der sich in die Schatten der alten Bäume von St. Cloud zurückgezogen hatte, und welche gerade keine anderen Sensationsereignisse zu besprechen hatten, folgten der angegebenen Richtung, und alle Welt beschäftigte sich mit pathologischen Erörterungen über den Zustand des Kaisers, welche oft auf einen wissenschaftlichen Mediziner einen äußerst komischen Eindruck hätten machen müssen, deren Resultat aber doch das war, daß Seine Majestät Napoleon III. sich äußerst schlecht befinde, daß nach allen medizinischen Erfahrungen seine völlige Wiedergenesung fast unmöglich sei und daß deshalb Frankreich allen Grund habe, sich auf große Ereignisse vorzubereiten und Vorsorge zu treffen 115 für den Fall, daß die Zügel der Regierung den Händen des Kaisers entfallen sollten, der sie bisher so fest und vorsichtig zugleich geführt hatte.

Man sprach davon, daß der kaiserliche Prinz schon mit seinem vierzehnten Jahre für majorenn erklärt werden solle – man sprach davon, daß der Prinz Napoleon an die Spitze eines Ministeriums treten werde, das erforderlichenfalls sich zugleich als Regentschaft konstituieren könne, – man sprach auch von einem ganz neuen Regentschaftsgesetz – kurz, von allen möglichen Dingen, die sämtlich von der gewissen Voraussetzung ausgingen, daß das Befinden des Kaisers ungemein schlecht und seine völlige Wiederherstellung fast unmöglich sei.

Die einen bauten auf diese Voraussetzung Pläne großer Veränderungen, Pläne des Umsturzes der ganzen bestehenden Gesellschaft, während die anderen, und namentlich die ruhigen Bürger von Paris, mit Schauder der Möglichkeit entgegensahen, daß das Abtreten des Kaisers von der Bühne des Lebens und der Politik jene trüben und gefährlichen Elemente wieder zur Geltung kommen lassen könnte, welche von ihm mit kräftiger Hand niedergeworfen und bis jetzt niedergehalten waren. Mit eifriger Lebhaftigkeit riß man sich abends auf den dichtgefüllten Boulevards um die Nummern der Journale, vergebens offizielle Bulletins über das Befinden des Kaisers suchend und die mehr oder weniger mysteriösen Mitteilungen kommentierend, welche die Blätter der verschiedenen Farben über diesen das allgemeine Interesse in hohem Grade beschäftigenden Gegenstand brachten.

Während auf diese Weise sich ganz Paris und nach Paris ganz Frankreich, nach Frankreich endlich ganz Europa über des Kaisers Gesundheitszustand in Mutmaßungen ergingen, welche zugleich von der Börsenspekulation à la hausse und à la baisse benutzt wurden, befand sich Seine Majestät Napoleon III. an einem schönen, sonnigen Vormittage des 2. September in seinem auf den reservierten Garten des Schlosses von St. Cloud hinausgehenden Zimmer.

Der Kaiser trug ein Morgenkostüm von gleichfarbigem dunklen Sommerstoff. Er lag, den Kopf bequem auf ein länglich rundes Kissen gestützt, auf seiner Chaiselongue und 116 rauchte eine seiner dunklen Zigarren von den feinsten Deckblättern der Havanna. Die Haltung des Kaisers schien anzudeuten, daß er die liegende Stellung auf seinem Ruhebett mehr aus behaglicher Bequemlichkeit als aus leidender Schwäche gewählt hatte. Auch sein Gesicht, obgleich ein wenig bleich, zeigte den Ausdruck ruhiger Heiterkeit und die Enden seines Schnurrbarts waren mit genauer Regelmäßigkeit zu gerade abstehenden, feinen Spitzen gedreht, ein Beweis, daß der Kaiser sich ebenso körperlich wohl als in guter Laune befand.

In einiger Entfernung von ihm saß an einem kleinen Tisch sein Kabinettschef, der Staatsrat Conti, welcher seit einiger Zeit zum römischen Fürsten ernannt war und den Titel Prinz von Conti führte, wodurch einer der vornehmsten und ältesten Namen der legitimen Monarchie zum großen Verdruß des Faubourg St. Germain wieder erstanden war.

Herr Conti hatte dem Kaiser die laufenden Sachen, welche zum Ressort des kaiserlichen Kabinetts gehörten, vorgetragen und mit immer gleichmäßiger Ruhe und ohne daß der regelmäßige Ausdruck seines geistvollen, kalten und fast strengen Gesichts sich jemals veränderte, die Entscheidung notiert, welche der Kaiser in kurzen, meist sehr treffenden und präzisen Worten darauf erteilte.

Dann hatte er aus einem Paket Zeitungen, die er von Paris mitgebracht, dem Kaiser alle die merkwürdigen, oft fast phantastischen Artikel, einen nach dem andern vorgelesen, welche sich mit seinem Gesundheitszustande beschäftigten, woran sich Betrachtungen, Vermutungen und Wünsche aller möglichen Art knüpften.

Napoleon hatte die Vorlesung aller dieser Artikel mit dem Ausdruck höchster Zufriedenheit angehört. Zuweilen blies er lächelnd kunstvolle blaue Ringe des feinen, aromatischen Dampfes seiner Zigarre in die Luft; zuweilen öffneten sich seine leichtgeschlossenen Augen zu einem heiteren, fast schalkhaften Blick, und einige Male hatte er sogar zum großen Erstaunen des Staatsrats Conti hell und fröhlich aufgelacht.

Herr Conti hatte seine Lektüre beendet, faltete das letzte Zeitungsblatt zusammen und legte es vor sich hin zu 117 den übrigen, indem er ruhig und erwartungsvoll zu dem Kaiser hinüberblickte.

»Ich danke Ihnen sehr, mein lieber Herr Conti,« sagte der Kaiser, »daß Sie mir diese Kollektion von medizinischen Gutachten mitgebracht haben, Nelaton sollte sie studieren, das würde ihm vielleicht von großem Nutzen sein in der Behandlung meiner Krankheit. Wenn das noch einige Zeit so fortgeht und die Blätter sich derartig mit den Details meiner Person beschäftigen, so werde ich bei den Parisern in kurzer Zeit so populär werden, wie Mademoiselle Hortense Schneider, die Großherzogin von Gerolstein.«

»Ich glaube nicht, Sire,« sagte Herr Conti ernst, »daß die Popularität der Großherzogin von Gerolstein diejenige sei, welche für den Kaiser der Franzosen, für den Beherrscher des ersten Reichs Europas zweckmäßig und angemessen sein kann.«

Der Kaiser tat einige lange Züge aus seiner Zigarre, ohne auf Herrn Contis Bemerkung zu antworten.

»Es würde mich gar nicht wundern,« sagte er dann, still vor sich hinlächelnd, »wenn man in nächster Zeit meine anatomische Konstitution in Wachs bossierte und an allen Schaufenstern von Paris ausstellte, da könnten dann die Pariser mit diesen so lehrreichen Zeitungsartikeln in der Hand ihre Studien gleich durch den Augenschein betreiben.«

»Ich bin ein wenig erstaunt,« sagte Herr Conti, »daß Eure Majestät diese Sache so leicht nehmen. Ich wollte gerade darauf aufmerksam machen, wie nötig es sei, diesen beunruhigenden Gerüchten über Ihre Gesundheit ein Ende zu machen – sie erschüttern das Vertrauen in die Stabilität der Regierung und bestärken die Hoffnungen der Feinde des Kaiserreichs. Mir scheint es durchaus nötig, daß den Blättern ernstlich verboten würde, sich mit allen diesen medizinischen Hypothesen zu beschäftigen, daß diesem Treiben durch die Veröffentlichung amtlicher Mitteilungen über Eurer Majestät Gesundheit ein Ende gemacht werde, auch das Ausland und die fremden Höfe müssen durch diese alarmierenden Gerüchte beunruhigt werden, und auch dort werden die Gegner Frankreichs, durch solche Nachrichten ermutigt, höher ihr Haupt erheben.«

118 Der Kaiser richtete sich ein wenig empor, stützte sich auf den Ellenbogen und blickte aus seinen großen, geöffneten Augen wie erstaunt, aber immer heiter und ruhig zu Herrn Conti hin.

»Ich bin verwundert, wie ich Ihnen gestehen muß, mein lieber Freund,« sagte er, »daß Sie daran denken können, diese angenehmen und nützlichen Nebelwolken zerstreuen zu wollen, hinter denen ich mich so behaglich fühle und welche mir so ausgezeichnete Dienste leisten.«

»Daß Eure Majestät sich behaglich fühlen«, erwiderte Herr Conti mit einem leichten Anklang von Verstimmung, »bemerke ich zu meiner großen persönlichen Freude. Worin aber die Dienste bestehen sollten, welche Ihnen durch die falschen Nachrichten über Ihren lebensgefährlichen Krankheitszustand geleistet würden, vermag ich nicht einzusehen. Die Opposition wird kühner, die Freunde und ergebenen Diener Eurer Majestät werden unsicher und mutlos, und allem Parteiehrgeiz wird das Feld geöffnet. Es scheint doch sogar, als ob Prinz Napoleon, dessen ungeheuerliche Rede im Senat Eurer Majestät ja bekannt ist, die Gelegenheit habe benützen wollen, um sich der öffentlichen Meinung als Minister, als Regent – ja vielleicht als noch mehr zu empfehlen, und das Journal des Debats, diese Fahne der unversöhnlichsten, wenn auch vorsichtigsten Gegner des Kaiserreichs, überschüttet den Prinzen mit reichem Lob für seine Angriffe gegen das Ministerium.«

Immer heiterer, immer lächelnder blickte der Kaiser vor sich hin.

»Mein guter Vetter Napoleon«, sagte er dann, – »hat zuweilen Anwandlungen von politischem Ehrgeiz, die ihn dann ein buntes Gemisch von geistvollen, aber unklaren Ideen und von exzentrischen Tollheiten durcheinander sprechen lassen – man hat mir«, fuhr er nach einigen Augenblicken fort, »eine allerliebste Anekdote erzählt. Ich glaube, daß sie wahr ist, aber wenn sie es nicht wäre, verdiente sie es zu sein: Der Prinz Napoleon dinierte vor einigen Tagen bei Emile de Girardin. Die Konversation, welche sehr zwanglos geführt wurde, kam auch auf die Politik und die Möglichkeiten der Zukunft, und plötzlich richtete der Prinz 119 an Girardin die Frage: ›Wenn der Zufall – wenn irgendwelche Ereignisse mich zum Kaiser machen würden, was ich durchaus nicht wünsche und nicht erstrebe, was würden Sie tun?‹ Und Emile de Girardin antwortete schnell, ohne sich zu besinnen: ›Ich würde mich auf den nächsten Eisenbahnzug setzen und das Ende Ihrer Regierung in Baden-Baden abwarten.‹ – Nicht wahr, das ist sehr hübsch,« sagte der Kaiser, herzlich lachend, während auch über die ernsten Züge des Staatsrats Conti ein leichtes Lächeln glitt – »die Anekdote bildet eine vortreffliche Ergänzung«, fuhr der Kaiser dann ernster fort, »zu den Reden des Prinzen im Senat – und sie ist doch so gut und so pikant, daß ich Sie bitten möchte, für ihre möglichst weite Verbreitung durch die Presse Sorge zu tragen.«

Der Staatsrat machte mit seinem Crayon eine kurze Notiz auf den Rand des vor ihm liegenden Zeitungsblattes.

»Das wird sehr leicht sein,« sagte er, »ein gutes Wort macht stets die Runde durch alle Pariser Journale. Aber mit diesem Bonmot wird man keinen ernsten Schwierigkeiten entgegentreten und, Sire,« fügte er hinzu, indem er den Kaiser scharf anblickte – »wenn die Anekdote vielleicht nur ben trovato wäre – wenn Emile de Girardin sie dementierte –«

»Emile de Girardin«, fiel der Kaiser schnell ein, »dementiert keine geistreichen und pikanten Bemerkungen, die man ihm zuschreibt – selbst wenn er sie nicht gemacht hat. Lassen Sie die Sache immerhin die Runde machen, wenn sie in dem Munde aller Blätter sein wird, so wird niemand mehr an eine ernste politische Rolle des Prinzen Napoleon denken.

Nun aber in allem Ernst gesprochen,« fuhr er fort, indem er sich aus seiner liegenden Stellung aufrichtete und, den Arm auf die Seitenlehne gestützt, auf seiner Chaiselongue sitzenblieb, – »in allem Ernst gesprochen, ich sehe in der Tat nicht ein, wie Sie etwas Bedenkliches in dieser so lebhaften Teilnahme der öffentlichen Meinung für meinen Gesundheitszustand finden können. Wäre ich wirklich krank, wäre mein Zustand wirklich bedenklich – so wäre das etwas anderes – ich befinde mich aber gerade in diesem 120 Augenblick ziemlich wohl, ich bin von körperlichen Schmerzen frei, und mein Geist ist imstande, klar und kräftig zu arbeiten. Was kann es da für eine Gefahr haben, wenn die Pariser mich für todkrank halten? Sollten meine Gegner in Voraussetzung meiner Schwäche irgend etwas Ernstes zu unternehmen wagen, so werden sie«, fügte er mit dem Ausdruck stolzer Energie hinzu, »zu ihrem Erstaunen und Schrecken empfinden, daß ich noch im Besitz meiner Kraft bin.«

»Eure Majestät lieben sonst«, sagte der Staatsrat Conti, »die gewaltsamen Mittel nicht. Warum sollte denn hier zunächst die Opposition wachgerufen und durch die Voraussetzungen Ihrer Krankheit zu lebhafter Tätigkeit aufgeregt werden, um nachher mit gewaltsamen Mitteln niedergeschlagen werden zu müssen?«

Der Kaiser blickte schweigend zu Boden.

»Vielleicht«, sagte er halbleise, »würde auf diese Weise manche Maske fallen und manche Stellung klar werden – man würde diejenigen erkennen, welche es treu mit dem Kaiserreich meinen. Doch«, sagte er dann, indem er leicht den Kopf schüttelte, »dies ist kein Gesichtspunkt, der mich bestimmt. Aber sprechen wir ein wenig von der allgemeinen Lage der Dinge nach innen und nach außen. Ich bin wirklich nicht recht klar darüber, was man tun soll. Alle meine Pläne für die auswärtige Politik sind gescheitert: In Spanien ist eine Regierung, die mir mehr feindlich als freundlich gesinnt ist, und welche ich wenigstens nicht in den Kreis meiner Berechnung hineinziehen kann. Wie ich mit Österreich daran bin, weiß ich nicht, und Sie erinnern sich, daß der Herzog von Gramont, als er im Mai dieses Jahres hier war, mir gesagt hat, daß Österreichs Mitwirkung bei irgendwelcher Aktion vor dem nächsten Frühjahr unmöglich sei. Was bleibt mir zu tun, als abzuwarten und zu versuchen, mich mit Rußland so gut als möglich zu stellen, und die warme Liebe zwischen den beiden verwandten Souveränen an der Spree und an der Newa soviel als möglich erkalten zu lassen!«

»Ganz gewiß«, sagte Conti, zustimmend den Kopf neigend, »ist diese vorsichtig abwartende und vorbereitende Politik in der jetzigen Lage Europas die richtige.«

121 »Und wenn ich nach innen sehe,« fuhr der Kaiser fort, »da ist selbst unter meinen besten Freunden eine Partei, welche mich zur Einführung eines liberalen konstitutionellen Regierungssystems drängt. Man will mir diesen Emile Ollivier zum Minister geben, vielleicht ist das ganz richtig, doch muß auch das vorbereitet werden, und zwar vorsichtig und klug vorbereitet werden. Emile Ollivier ist heute noch eine politische Persönlichkeit, er hat die 116 des tiers-parti hinter sich, – noch ist er nicht brauchbar für ein Kabinett. Wenn man liberale Reformen machen will, so muß man die Person, in deren Hände man die Regierung legt, vollständig in der Hand haben. Emile Ollivier muß isoliert werden, er muß mit seiner eigenen Partei zum Bruch gebracht sein, wenn er mir nützlich werden soll. Er muß fühlen und empfinden, daß er nirgends eine Stütze mehr hat, als in dem Kaiserreich und meinem Willen, dann allein wird er geeignet sein, die Zwecke zu erreichen, zu deren Erfüllung ich ihn benutzen möchte – nämlich mit einer konstitutionellen Regierung Etalage zu machen und dabei doch die scharf konzentrierten Fäden der persönlichen Regierung selbst in der Hand zu behalten, ohne welche die Franzosen überhaupt nicht zu regieren sind. Aber auch dazu bedarf ich Zeit, – viel Zeit vielleicht.«

»Ich bin auch in diesem Punkt«, sagte der Staatsrat Conti, »mit Eurer Majestät vollkommen einverstanden.«

»Nun aber«, sprach der Kaiser weiter, indem ein listig blinzelnder Blick aus den Winkeln seines Auges auf seinen Kabinettschef hinüberstreifte, »wissen Sie selbst, mein lieber Staatsrat, wie wenig die Franzosen geneigt sind, zu warten, wie sehr sie stets nach irgendeinem Ereignis verlangen, das ihnen Gelegenheit gibt, zu sprechen, zu diskutieren, sich ein wenig zu streiten. Wenn ich nun warten muß,« fuhr er fort, »meine guten Franzosen aber keine Neigung zum Warten haben, so muß ich ihnen doch wohl einen annehmbaren Grund geben, der ihnen die Untätigkeit in der inneren und äußeren Politik erklärt, und ihnen zugleich Gelegenheit zur Konversation und zu politischen Konjunkturen gibt – könnte ich da einen besseren Grund finden«, sagte er, sich lächelnd die Hände reibend, »als meine Krankheit? Wenn 122 ich so krank bin, wie die Pariser sich erzählen, so kann ich doch unmöglich Politik machen weder nach außen noch nach innen, und man wird mir wohl ohne Vorwurf die Zeit zum Abwarten lassen müssen, um so mehr, da man ja die schönste Gelegenheit hat, sich in Vermutungen und Plänen für den Fall meines Todes zu ergehen, welche zugleich auch für mich ungemein lehrreich sind, da sie mich erkennen lassen, was in einem solchen Fall von den verschiedenen Seiten wohl geschehen möchte. Seien sie überzeugt, mein lieber Staatsrat, daß ich schon wieder gesund werden will, wenn der Augenblick gekommen sein wird, in welchem ich einen Entschluß zu fassen die Möglichkeit haben werde.«

Ganz erstaunt sah der Staatsrat Conti den Kaiser an.

»Ich kann der Anschauung Eurer Majestät«, sagte er, »nicht vollständig widersprechen, indes scheint mir das Mittel, das Sie anwenden, Sire, ein wenig gewagt, vielleicht zu gewagt, um eine notwendig gewordene zeitweilige Untätigkeit zu maskieren. Es hätten sich ja vielleicht harmlosere Gegenstände finden lassen, die öffentliche Meinung zu beschäftigen, als die fortwährende Diskussion der ernstesten und verhängnisvollsten Katastrophe, welche das Kaiserreich in diesem Augenblick treffen könnte – zudem«, fuhr er fort, »wird auch dieses Mittel nicht mehr ausreichen, denn man beginnt sich bereits mit den politischen Fragen wieder zu beschäftigen, und gerade die Annahme einer schweren Krankheit Eurer Majestät wird eine neue Waffe in den Händen der Gegner des persönlichen Regiments werden.« –

»Sie bringt aber auch denjenigen,« fiel der Kaiser ein, »welche Ordnung, Ruhe und gesicherten Besitz verlangen und zugleich die Macht und Größe Frankreichs im Herzen tragen, recht klar vor Augen, was sie an mir haben, und wie sehr ihr Interesse erfordert, mich und meine Regierung zu stützen. Doch seien Sie ruhig,« sprach er abbrechend weiter, »dieser Gegenstand, welcher Sie so beunruhigt und welcher mich, wie ich wohl sagen kann, so sehr amüsiert hat, soll bald von der Tagesordnung verschwinden. Ich werde allmählich wieder gesund werden und mich meinen getreuen Parisern zeigen. Leider,« sagte er seufzend, indem plötzlich ein schmerzlicher Ausdruck seine Züge verdüsterte, »leider muß, wie 123 meine Krankheit übertrieben wurde, auch meine Genesung halb fingiert sein, denn so ganz erholen kann ich mich doch noch immer nicht, und es wird mir fast unmöglich sein, nach Chalons zu gehen. Ich habe bereits meine Dispositionen getroffen, daß das Lager daselbst stillschweigend und ohne Aufsehen wieder aufgehoben werde. Darum aber soll es den Parisern doch nicht an Gegenständen der Konversation fehlen – und zwar an einem der Gegenstände, der sie nach allen Richtungen hin lebhaft beschäftigen wird, der pikant sein soll und zugleich der nationalen Eitelkeit nicht wenig schmeicheln wird.«

Conti blickte den Kaiser fragend an.

»Spricht man in Paris«, fragte Napoleon, »von der Einweihung des Suezkanals und von den Einladungen, welche der Vizekönig von Ägypten zu der Feierlichkeit an alle Souveräne erlassen hat?«

»Wenig oder gar nicht, Sire,« erwiderte der Staatsrat, »soviel ich gehört habe. Die Sache ist doch in der Tat von zu untergeordnetem Interesse, wenn alle Gedanken von der Krankheit Eurer Majestät und von den Konsequenzen erfüllt sind, welche dieselbe haben könnte.«

»Es wäre aber immerhin gut,« sagte Napoleon, »wenn man darüber sprechen würde, denn die Sache kann doch sehr interessant und politisch wichtig werden, die persönliche Begegnung von Souveränen –«

»Wird wenig Teilnahme erregen, wenn man weiß, daß Eure Majestät nicht in der Lage sind, dort hinzureisen, und daß also die übrigen Souveräne, welche dort erscheinen möchten, höchstens Verabredungen treffen könnten, bei denen die Interessen Frankreichs nicht in Betracht gezogen werden möchten.«

»Warum nicht?« sagte der Kaiser. »Mir wird allerdings meine Gesundheit schwerlich erlauben, dorthin zu gehen, um aus der alten ägyptischen Weisheit«, fügte er lächelnd hinzu, »neue Lehren für meine Regierung zu schöpfen – auch möchte ich, wenn ich gesund wäre, Frankreich gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht verlassen – les absents ont tort – sagt unser altes Sprichwort mit Recht. Aber,« fuhr er dann fort, »wenn ich auch 124 selbst an den Nil zu reisen verhindert bin, so scheint mir doch die Sache zu wichtig und bedeutungsvoll, als daß Frankreich dabei unvertreten sein könnte.«

»Eurer Majestät Botschafter«, – sagte Herr Conti, der noch immer den Übergang des Kaisers auf dieses Geschäftsthema nicht recht zu begreifen schien, – »wird, wenn andere Mächte durch ihre Souveräne selbst vertreten sind, schwerlich imstande sein, den Rang, der Frankreich gebührt, genügend zu behaupten.«

»Mein Botschafter,« sagte der Kaiser, – »daran allerdings ist nicht zu denken. Aber warum ein Botschafter? Wenn die Kaiserin nach Kairo ginge –«

Der Staatsrat Conti machte eine rasche Bewegung auf seinem Stuhl. Ein eigentümlicher, verständnisvoller Blick leuchtete in seinen Augen auf.

»Die Kaiserin!« rief er, – »in der Tat, wenn Ihre Majestät sich entschließen würde –«

»Glauben Sie nicht,« fragte Napoleon, »daß die Kaiserin Frankreich würdig vertreten könne?«

»So würdig als nur irgend möglich,« erwiderte der Staatsrat lebhaft, »ja, glänzender vielleicht als Eure Majestät selbst. Denn wenn auch der Kaiser von Österreich und der König von Preußen wirklich nach Ägypten gingen, wie man vor einiger Zeit verkündigte, so würde Ihre Majestät ohne alle Diskussion schon als Dame den ersten Rang behaupten und den Mittelpunkt der fürstlichen Versammlung bilden.«

»Nicht wahr,« sagte der Kaiser in heiterem Ton, indem er sich vergnügt die Hände rieb, als freue er sich, daß sein Gedanke von dem Staatsrat richtig verstanden sei, »nicht wahr, die Idee ist gut? Und glauben Sie nicht,« fuhr er fort, »daß eine Reise der Kaiserin nach Ägypten ganz Paris und ein wenig auch die ganze Welt beschäftigen wird? Denken Sie an alle Details der Reise, an die Toilettenfragen und alles, was damit zusammenhängt.«

»Vortrefflich, vortrefflich!« rief Conti, »das ist ein reicher und stets neuer Stoff, der sich nicht so schnell erschöpft – wenn Ihre Majestät die Kaiserin sich entschließen kann, eine so weite und anstrengende Reise zu unternehmen.«

125 »Ich zweifle nicht daran,« sagte der Kaiser mit einem eigentümlichen Lächeln, »die Nerven der Damen sind sehr stark für gewisse Dinge, und eine Reise nach dem Land der Pyramiden, bei der man noch Konstantinopel, den Sultan, die märchenhaften Geheimnisse des Serails besuchen kann, bei der eine Pilgerfahrt nach Jerusalem sich darbietet, das alles sind Dinge, welche die Nerven der zartesten Dame sofort unzerstörbar, zäh und kräftig machen können. Außerdem«, fuhr er ernster fort, »hat die Sache noch in anderer Beziehung ihre Vorzüge. Es wird sehr nützlich sein, wenn ich die Reformen, welche in der inneren Regierung Frankreichs nötig werden könnten, in tiefer Ruhe und ganz allein vorbereiten kann, während aller Blicke sich in die weite Ferne richten. Auch die Verhältnisse im Orient«, fuhr er, mehr zu sich selbst als zu Conti sprechend, fort, »müssen ein wenig geleitet und gelenkt werden, und zwar so, daß ich nicht unmittelbar persönlich engagiert werde. Der Konflikt zwischen dem Sultan und dem Vizekönig ist ein Funke, den man nicht völlig erlöschen lassen darf. Unter gewissen Voraussetzungen«, sagte er mit starren, weitgeöffneten Augen vor sich hinblickend, »kann ein Brand im Orient Rußland gebieterisch verhindern, seine Kräfte nach anderer Seite hin zu gebrauchen, und dort liegt auch der Punkt, in welchem es allein möglich ist, wenn es sein muß, die Interessen Frankreichs mit denen Rußlands zu vereinigen, und in Petersburg unsererseits mehr zu bieten, als man in Berlin geben kann.«

Er versank einige Augenblicke in ein schweigendes Nachdenken.

»Doch das sind Gesichtspunkte,« sagte er dann, »die man später in Betracht ziehen muß. Fürs erste also«, fuhr er wieder ganz heiter fort, »hoffe ich die Bedenken und Besorgnisse, welche Sie mir vorher aussprachen, vollkommen zu beseitigen, wenn ich Sie bitte, dafür Sorge zu tragen, daß von nun an täglich kurze Notizen in den Regierungsblättern erscheinen, welche mein Befinden immer besser und besser darstellen. Ich werde in kurzer Zeit dann selbst nach Paris kommen, die Pariser werden mich sehen und ihre pathologische Teilnahme an meinem Gesundheitszustand wird 126 aufhören. Zu gleicher Zeit muß eine kurze Andeutung über die Möglichkeit einer Reise der Kaiserin nach Ägypten der öffentlichen Meinung gegeben werden. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß dieselbe sich dieses Gegenstandes schnell bemächtigen und sich nach kurzer Zeit mit demselben ausschließlich beschäftigen wird.«

»Zuverlässig, Sire,« rief Herr Conti, indem er mit zufriedener Zustimmung mehrere Male den Kopf neigte, – »zuverlässig wird dies sogleich ein Gegenstand ausschließlichen Interesses für die Pariser werden, und ich muß Eurer Majestät aufrichtig gestehen, daß ich damit viel zufriedener bin. Denn trotz allem, was Sie die Gnade hatten, mir zu sagen, vermag ich doch mein Bedenken nicht zu unterdrücken über die Konsequenzen und Konjekturen, die man an Eurer Majestät Krankheit knüpft.«

Bevor der Kaiser antwortete, meldete der Kammerdiener den Prinzen Napoleon.

Der Kaiser winkte zustimmend mit der Hand, trat dann zu Conti heran und sagte, indem er ihm freundlich lächelnd auf die Schulter klopfte:

»So lassen Sie mich denn gesund werden, aber überstürzen Sie meine Rekonvaleszenz nicht, damit wir keinen Rückfall nötig haben.«

Conti, der sich ebenfalls erhoben hatte, packte seine Papiere und Zeitungen zusammen, ergriff ehrerbietig die Hand des Kaisers, die dieser ihm mit freundlicher Herzlichkeit reichte und verließ das Kabinett.

Fast unmittelbar darauf trat der Prinz Napoleon ein. Er trug einen schwarzen Überrock, die große Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch, einen hohen schwarzen Zylinderhut in der Hand. Sein Kopf, der mit dem kurzen Halse fast unmittelbar auf den Schultern ruhte, zeigte in dem scharf antiken Schnitt seiner Züge, der hochgewölbten Stirn, dem stark vorspringenden Kinn, dem kurzen, schwarzen Haar eine frappierende Ähnlichkeit mit Napoleon I., seinem Oheim, und auch die kurzgedrungene, volle Gestalt sowie die schön geformten Hände erinnerten an den siegreichen Cäsar, der der Familie des korsischen Advokaten den Weg zu dem ersten Thron der Welt gebahnt hatte; nur das unstet blickende 127 Auge, der finstere, dabei unruhige und fast hämische Zug, welcher um die Lippen des Prinzen zuckte, die Hast in seinen Bewegungen taten dieser Ähnlichkeit Eintrag und verzerrten sie zuweilen bis zur Karikatur.

Heute strahlte das Gesicht des Prinzen von freudiger und stolzer Befriedigung, aus seinen Augen leuchtete siegesgewisse Zuversicht, und mit größerer Herzlichkeit als sonst eilte er zu dem Kaiser hin, der ihm freundlich die Hand entgegenstreckte.

»Ich bin glücklich,« rief der Prinz lebhaft, »dich so wohl zu finden; obgleich ich dich erst neulich gesehen habe und besser unterrichtet bin, so kann ich doch nicht leugnen, daß alle diese fortwährend in den Zeitungen wiederholten Mitteilungen über deinen gefährlichen Krankheitszustand etwas Beunruhigendes haben, so daß ich an jedem Morgen, wenn ich die alarmierenden Notizen lese, mich der Furcht nicht erwehren kann, es könne doch etwas daran wahr sein.«

»Ich habe soeben angeordnet,« erwiderte der Kaiser, indem er sich wieder auf seine Chaiselongue niederließ, »daß man mich auch in der Presse so gesund werden lassen soll, wie ich es, Gott sei Dank, in der Tat bin. Du hast einen großen Erfolg gehabt,« sagte er dann, indem er auf einen Lehnstuhl an seiner Seite deutete, in den sich der Prinz mit einer raschen Bewegung niedersinken ließ und zugleich den Mund einen Augenblick mit der Hand bedeckte, um ein krampfhaftes, nervöses Gähnen, das ihn von Zeit zu Zeit befiel, zu verdecken – »du hast einen großen Erfolg gehabt mit deiner Rede im Senat, und die Artikel über diesen Gegenstand verdrängen in den Journalen fast die Exposés über meinen Krankheitszustand.«

»Nicht ich habe diesen Erfolg gehabt,« rief der Prinz Napoleon lebhaft, »sondern die Sache, über die ich gesprochen. Die allgemeine Meinung«, fuhr er fort, »verlangt nach einer freien, nach einer konstitutionellen Regierungsform, und der Erfolg, den meine Rede gehabt hat, liegt nur darin, daß das einmal klar und bestimmt ausgesprochen worden, was so viele denken und in sich tragen, ohne daß sie es wagen, es laut in Worte zu kleiden, und darin,« fuhr er fort, »daß gerade ich es war, der diesen Gedanken 128 ausgesprochen hat, ich, dein Vetter, ein Prinz deines Hauses – daß man also glaubt, die Gedanken, denen ich Ausdruck gab, seien von dir gebilligt und Frankreich werde in kurzem in einer liberalen Verfassung die Garantie seiner Freiheit erhalten.«

Ein eigentümliches Lächeln flog einen Augenblick über das Gesicht des Kaisers, er beugte den Kopf herab, als wolle er den Ausdruck seines Gesichts dem scharfen, forschenden Blick seines Vetters entziehen, und sagte dann:

»Du bist in deiner Rede etwas tief in die Details eingegangen – es wäre vielleicht besser gewesen, wenn du das vermieden und dich mehr auf das Aussprechen allgemeiner Prinzipien beschränkt hättest.«

»Und warum das?« fragte der Prinz, indem er den Kopf zurückwarf und die Augenbrauen zusammenzog, »warum das? Wer Prinzipien aufstellt, hat zugleich die Pflicht, darzulegen, wie er sich deren Ausführung denkt, denn ohne eine solche Darlegung bleibt die Aufstellung allgemeiner Grundsätze nur zu leicht auf das Gebiet der leeren Phrase beschränkt. Mit Phrasen ist das französische Volk heute nicht mehr zufrieden,« fügte er mit einer gewissen Schärfe im Ton hinzu, »Phrasen hat man schon zu lange gehört, ohne daß etwas Tatsächliches darauf gefolgt wäre.«

Der Kaiser schwieg einige Sekunden.

»Du hast vorhin selbst gesagt,« sprach er dann, »daß deine Rede eine ganz besondere Wirkung hervorgebracht habe, weil sie gerade von dir gehalten sei und weil man meine Zustimmung zu deinen Äußerungen voraussetzen zu dürfen glaubte. Gerade deshalb wäre es vielleicht besser gewesen, wenn du dich auf allgemeine Grundsätze beschränkt hättest, denn in bezug auf diese stimme ich allerdings, wie du weißt, vollkommen mit dir überein. Was die Ausführung betrifft, so ist da noch sehr viel zu überlegen. Ich kann nichts tun, ohne meine Ratgeber zu hören, ohne nötigenfalls andere Ratgeber gefunden zu haben, und wenn die öffentliche Meinung durch deine Rede auch in betreff der Details in der Durchführung der künftigen Reform bereits voreingenommen ist, so wird dadurch mir und meiner Regierung bis zu einem gewissen Punkte die Freiheit des Handelns erschwert.«

129 »Wenn man zur Durchführung eines großen Grundsatzes, wie derjenige der konstitutionellen Freiheit, entschlossen ist,« rief der Prinz, in dem sich seine Augenbrauen zu einer finsteren Falte über seiner Nasenwurzel zusammenzogen, »dann kann man über die Ausführung kaum verschiedener Ansicht sein. Diese Ausführung muß eine ehrliche, vollständige und schnelle sein, wenn sie überhaupt irgend welchen Wert haben soll. Es gibt heutzutage fast keine Regierung, welche die konstitutionelle Freiheit nicht als ihr leitendes Prinzip aufstellt. Es gibt aber allerdings«, fuhr er mit einem kurzen, höhnischen Lachen fort, »eine Art der Ausführung dieses Prinzips, welche dasselbe vollständig in sein Gegenteil verkehrt.«

»Eben deshalb,« sagte der Kaiser vollkommen ruhig, »weil, wie du mit Recht sagtest, die Ausführung allein das Wesen konstitutioneller Reformen bedingt, muß dieselbe um so ruhiger und objektiver beraten werden, und um so mehr wäre es besser gewesen, wenn die öffentliche Meinung nicht in betreff gewisser Punkte schon präokkupiert worden wäre. Es ist dies um so bedenklicher in einem Augenblick, in welchem alle Welt glaubte, daß ich sehr gefährlich krank sei, und in welchem man an manchen Orten bereits die Durchführung jener Reformen in die Zeit nach meinem Tode zu verlegen geneigt wäre.«

Der Prinz bedeckte abermals einen Augenblick seinen Mund mit der Hand.

»Wenn dies der Fall gewesen sein mag,« sagte er dann, »so wird man deine Wiedergenesung um so freudiger begrüßen, wenn du zur Feier derselben den Franzosen das gewährst, wonach sie so lange sich sehnten –«

»Doch müssen dazu«, fiel der Kaiser mit einer gewissen Strenge in seiner Stimme ein, »die Erwartungen nicht auf ein Mehr gerichtet werden, als ich zu erfüllen imstande bin.«

Eine dunkle Röte stieg in dem gelblich-blassen Gesicht des Prinzen auf. Seine Lippen bebten leicht, und aus seinen Blicken schoß ein Strahl jenes unruhigen, zitternden Feuers, das seiner Erscheinung so oft etwas Unheimliches und Beunruhigendes gab.

130 »Auf mehr, als du zu gewähren imstande bist,« rief er, »das verstehe ich nicht! Würdest du denn in den Punkten, die ich in meiner Rede berührt habe, ein solches Mehr finden können?«

»Ich habe dir bereits bemerkt,« erwiderte der Kaiser immer in demselben Ton und derselben gleichmäßigen ruhigen Haltung, »daß die Ausführung konstitutioneller Reformen in das bisher einheitliche und persönliche, konzentrierte Regierungssystem eine Sache von großer Wichtigkeit ist, die eingehende Beratungen mit meinen Ministern – vielleicht längere Verhandlungen mit denjenigen nötig macht, die ich an deren Stelle setzen will. Ich kann deshalb nicht sagen, daß das, was deine Rede in Aussicht stellte, zuviel ist – aber es könnte zuviel sein, es könnte mehr sein, als der Rat erfahrener und erprobter Freunde mir zu gewähren empfehlen möchte – und dann würde ich mich in einer peinlichen Lage befinden, in einer noch peinlicheren aber vielleicht diejenigen, in deren Hand ich die künftige Reform legen möchte – sie würden statt einer freudigen, dankbaren Zustimmung sich dem Mißvergnügen unerfüllter Erwartungen gegenüber befinden.«

»Aber um Gottes willen,« rief der Prinz, »der Begriff einer konstitutionellen Regierung ist doch ein sehr klarer und bestimmter, und von denjenigen Punkten, von welchen ich gesprochen habe, läßt sich doch nicht so leicht einer beseitigen, wenn überhaupt vom verfassungsmäßigen Staatsleben die Rede sein soll.«

Der Kaiser ließ langsam die Spitzen seines Schnurrbarts durch die Finger gleiten.

»Ich bin im Augenblick nicht vorbereitet,« antwortete er, »in eine Diskussion über einzelne Punkte einzutreten. Indes scheint mir, daß durch die Ausführung deiner Rede die Erwartung erregt worden ist, als gehöre in das Programm einer künftigen reformatorischen Regierung auch die Teilnahme der konstitutionellen Faktoren an der auswärtigen Politik und der Entscheidung über Krieg und Frieden und – – –«

»Ist«, rief Prinz Napoleon heftig, »ein konstitutionelles Staatsleben ohne eine solche Mitwirkung denkbar? Soll 131 die Vertretung des Volks nur tagen, um für das innere Leben der Nation Gesetze zu machen, welche am Ende tüchtige Juristen eines absoluten Regiments ebensogut zustande bringen würden? Soll dieser Vertretung jeder Einfluß entzogen werden auf diese hochwichtigen Beziehungen zu anderen Nationen? Soll das Volk gezwungen werden, die ungeheuren Opfer und Lasten großer Kriege zu tragen, ohne zu wissen, warum dieselben geführt werden, ohne die Möglichkeit, zu deren Verhinderung seine Stimme zu erheben?«

»Ich glaube, das sind Theorien«, sagte der Kaiser mit seiner unzerstörbaren Ruhe, indem seine Stimme fast den Ton phlegmatischer Gleichgültigkeit annahm. »Eine Diplomatie, welche an einer Mitwirkung konstitutioneller Versammlungen gebunden ist, gleicht einem an seiner Stange gefesselten Adler, der sich nicht zu freier Höhe und zu kühnem Fluge aufschwingen kann –«

»Der aber auch gesichert ist«, fiel der Prinz ein, »vor tollkühnen Unternehmungen, bei denen er zugrunde geht –«

»Eine solche Diplomatie«, fuhr der Kaiser, den Ausruf des Prinzen überhörend, fort, »muß untätig und erfolglos werden, wie uns das Beispiel Englands deutlich vor Augen führt, dessen Einfluß in Europa fast schon auf Null herabgesunken ist. – Glaubst du, daß unser Oheim«, sprach er dann, den Blick auf seinen Vetter richtend, »seine glänzenden Siege erfochten hätte, wenn er zu seinen Kriegen vorher die Erlaubnis der Kammer hätte nachsuchen müssen?«

»Gewiß aber hätte er«, rief der Prinz, »auch jene gigantischen Fehler des Feldzugs nach Rußland nicht begehen können, sein Thron wäre nicht zusammengebrochen und du hättest nicht nötig gehabt, denselben mit so vieler Mühe wieder aufzurichten.«

»Der Kaiser hätte seinen Thron erhalten,« erwiderte Napoleon, »wenn er im Unglück seinem alten System treu geblieben wäre. Indem er im Augenblick der Gefahr den Konstitutionalismus wieder ins Leben rief, band er sich die Hände und wurde, wie einst Simson, verräterischerweise seinen Feinden ausgeliefert. Nein, nein, mein Freund,« fuhr er in einem gutmütigen, aber überlegenen Ton fort, 132 wie etwa ein erfahrener Mann ein Kind belehrt, »über Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege, über die Finanzen und Steuern mögen die konstitutionellen Versammlungen debattieren und Reden halten, die auswärtige Politik und das Recht über Krieg und Frieden gebe ich nicht aus den Händen – das muß ihnen entzogen bleiben, wenn nicht Frankreich unter den Mächten Europas wieder so tief herabsinken will, als dies unter dem traurigen Kammerregiment Louis Philipps der Fall war.«

»Nun,« rief der Prinz flammenden Blicks, »bisher haben ja die Kammern wahrlich keinen Einfluß auf deine Politik und deine Kriege gehabt, und man kann wahrlich eben nicht sagen,« fügte er mit bitterem Hohn hinzu, »daß Frankreich an Achtung und Furcht bei den europäischen Mächten gewonnen habe. Hätte die öffentliche Meinung durch das Organ der Volksvertreter Gelegenheit gehabt, sich bei der übereifrigen Tätigkeit gegen Mexiko und bei der verhängnisvollen Untätigkeit im Jahre 1866 geltend zu machen, so stände Frankreich, scheint mir, heute auf einer stolzeren Höhe, als dies jetzt leider der Fall ist.«

»Hat die auswärtige Politik Fehler gemacht,« erwiderte der Kaiser kurz und fest, »so wird sie dieselben zu verbessern wissen. Dies aber würde ihr niemals gelingen, wenn sie in der Ausführung ihrer Pläne, in der Wahl der Mittel und Gelegenheiten an die indiskrete und von ephemeren Parteirücksichten geleitete Mitwirkung der Kammern gebunden wäre.«

»So soll also«, rief der Prinz aufspringend, »diese ganze konstitutionelle Reform nur ein Spielwerk, nur eine Komödie sein? So willst du mich desavouieren, während ich nach deinen früheren Äußerungen hoffen durfte, daß du einen großen Teil dieses reformatorischen Werkes in meine Hände legen würdest, daß ich, – was das Recht meines Namens und meines Blutes ist, endlich berufen sein würde, an der Entwicklung der Geschicke meiner Nation mitzuwirken?

»Du brauchst harte Ausdrücke«, sagte der Kaiser, »und gehst von Voraussetzungen aus, welche mir nicht in den Sinn gekommen sind.«

133 »Ich gehe von der Voraussetzung aus,« sagte der Prinz, dessen ganze Gestalt vor Erregung zitterte, während er nur mühsam einen heftigen Ausbruch des in ihm kochenden Zorns zurückhielt, »ich gehe von der Voraussetzung aus, daß du noch länger gar nichts tun wirst, und das, was endlich geschehen möchte, nur ein verstümmeltes Zerrbild politischer Freiheit sein wird. Unter dieser Voraussetzung ist mein Auftreten, meine Rede im Senat nur ein leeres Strohfeuer. Und doch«, rief er, heftig mit dem Fuß auftretend, »hat dieses Feuer schon gezündet, genug hat es überall die Geister entflammt, und man hat mich heute um die Erlaubnis gebeten, meine Rede in fünfmalhunderttausend Exemplaren drucken und verbreiten zu lassen.«

»Das würde mir nicht angemessen erscheinen,« sagte der Kaiser, »dadurch würde nur noch mehr die öffentliche Meinung voreingenommen, noch mehr der so notwendigen ruhigen Erwägung und der Entwicklung der Sache vorgegriffen.«

»Gut denn,« rief der Prinz, indem er mit einer ungestümen Bewegung den Hut ergriff, den er auf einen Tisch neben sich gestellt hatte, »gut denn, desavouiere mich! Tu, was du willst, aber verlange nicht, daß ich mich ferner um diese nebelhafte Politik kümmern soll, in welcher der Kompaß eines gesunden Menschenverstandes keinen Weg mehr finden kann. Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubnis,« sprach er mit rauher Stimme, indem er sich gerade aufgerichtet vor den Kaiser hinstellte, »auf Reisen zu gehen. Ich werde mich auf meine Jacht zurückziehen und etwas in die See fahren, dort kann wenigstens ein festgeführtes Steuer den Kurs halten, hier auf dem Meer der Politik ist das nicht möglich. Hier muß das Schiff, das unser aller Zukunft trägt, endlich an den Klippen zerschellen.«

»Mein Kind,« sagte der Kaiser sanft, indem er die Hand auf die Schulter des Prinzen legte, »du hast wieder einmal deine böse und unartige Laune. Aber reise immerhin, es wird dir gut tun, es wird dich abkühlen, es wird dir die Muße zu ruhigem Nachdenken geben und du wirst einsehen, daß ich recht habe. Kreuze im Kanal, wenn du willst, aber entferne dich nicht zu weit, ich könnte deiner 134 bedürfen, und ich glaube, wir werden uns doch noch über die Reformen verständigen, über welche du jetzt so abweichende Ansichten hast.«

Er blickte mit groß geöffneten Augen dem Prinzen liebevoll in das Gesicht.

»Leb wohl,« rief der Prinz, »ich wollte, mein Verstand könnte ebenso mit dir übereinstimmen, wie mein Herz dir in Liebe und Ergebenheit gehört.«

Er öffnete die Arme, drückte den Kaiser einen Augenblick an seine Brust und ging dann schnell hinaus.

Der Kaiser sah dem Prinzen lange nach.

»Er ist eine ungestüme, unregelmäßige und unlenksame Natur, vielleicht sollte ich strenger gegen ihn sein, – aber – er ist von rein napoleonischem Blut – das entwaffnet mich,« sprach er mit einem leisen Seufzer, »und dann leistet er mir bisweilen gute Dienste, durch ihn kann ich meine Ballons d'essay aufsteigen lassen. Diesmal tut er mir fast leid – aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Warum ist er weiter gegangen, als ich ihm erlaubt habe – ich will in dem Senatkonsult im allgemeinen reformatorische Prinzipien aufstellen, mir aber die Hand in betreff der Ausführung völlig frei halten. Die kleine Reise kompromittiert ihn nicht, und wenn es zweckmäßig sein sollte, kann ich ihm ja immer noch eine Rolle bei der Ausführung meiner Reformen reservieren. Ich würde ihn mehr noch an den Geschäften teilnehmen lassen, aber«, fuhr er fort, indem sein Gesicht sich verdüsterte, »das ist nicht ohne Gefahr; er ist mir ergeben, aber wenn er einen Teil der Regierungsfäden in Händen hielte, wenn er eine ernsthafte Partei um sich versammelte, so habe ich keine Garantie, daß er nicht eines Tages, wenn ich nicht mehr da bin, für sein Blut den Vorrang in Anspruch nimmt vor dem meines Sohnes. Und das darf nicht sein – ich habe diesen Thron aufgerichtet, das zweite Kaiserreich ist mein, und es soll das Erbe meines Sohnes bleiben. In meiner Familie soll es keine Orleans geben. Doch nun«, sprach er nach einigen Augenblicken ganz heiter, »will ich ein wenig diese ägyptische Angelegenheit vorbereiten, damit die Pariser sich, statt von meinen Rheumatismen und Neuralgien, eine 135 Zeitlang von den Pyramiden, Obelisken und Sphinxen unterhalten – die Sphinxe,« sagte er vergnügt vor sich hinlächelnd, »welche einst die Erfinder der Rätsel waren, die man den Völkern zu raten gibt, und damit zugleich das Geheimnis lehrten, wie man regieren müsse.«

Er bewegte die Glocke und fragte den eintretenden Kammerdiener:

»Ist die Kaiserin in ihrem Zimmer?«

»Ihre Majestät«, erwiderte der Kammerdiener, »promeniert in der Kastanienallee.«

»Wer ist bei ihr?« fragte der Kaiser.

»Die Damen vom Dienst und der Vicomte von Laguerronnière.«

»Der Vicomte von Laguerronnière?« fragte der Kaiser betroffen.

»Der Herr Vicomte wollte sich bei Eurer Majestät melden,« sagte der Kammerdiener, »als er aber hörte, daß der Staatsrat Conti noch da sei, hatte er zunächst gebeten, Ihrer Majestät der Kaiserin seinen Respekt bezeigen zu dürfen.«

»Rufen Sie den General Favé«, sagte der Kaiser.

Einige Augenblicke darauf trat der diensttuende Adjutant, Brigadegeneral Favé, ein kleiner, beweglicher Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und kleinem schwarzen Schnurrbart, ein.

Der Kaiser ergriff einen leichten Sommerhut, gab dem General den Arm und schritt der Tür zu, um sich in den Garten zu begeben.

 


 << zurück weiter >>