Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Das ziemlich einförmige und ruhige Leben auf dem Schloß zu Rensenheim am Rhein war durch die Ankunft des jungen Grafen Franz Spangendorf aus Rom unterbrochen worden, der nach kurzer vorhergegangener Anzeige im Kreise seiner Familie eingetroffen war, und dessen Anwesenheit nicht nur das Interesse an dem lang entbehrten Sohn und Bruder erregte, sondern auch Kunde brachte aus dem Mittelpunkt der katholischen Welt, die für diese ganze so gläubige und kirchlich gesinnte Familie den Gegenstand ehrfurchtsvoller Neugierde bildete.

Sie alle wurden nicht müde, den Erzählungen des Grafen Franz zu lauschen: vom Heiligen Vater, dessen Angesicht er selbst gesehen, von allen Kardinälen und hohen Würdenträgern der Kirche, von den großen Festen im Dom St. Peters und dann wieder von den unerschöpflichen Kunstschätzen der ewigen Stadt und von dem farbenreichen, glühenden Leben des Volks, welches das Glück hatte, auf den Trümmern einer gewaltigen Vergangenheit unmittelbar unter der Herrschaft des obersten Priesters der alleinseligmachenden Kirche zu leben.

224 Und der junge Graf sprach von dem allem mit so warmer Beredtsamkeit, mit so eingehendem Verständnis und zugleich mit so tiefgläubigem Gefühl, daß aus seinen Worten ein weihrauchduftender Hauch jenes wunderbaren, großartigen Lebens in das stille Schloß am Rhein zu strömen schien.

Gräfin Gabriele hing mit entzückten, schwärmerischen Blicken an den Lippen ihres Bruders, wenn derselbe von dem milden, leuchtenden Antlitz des Heiligen Vaters sprach, wenn er erzählte von dem gewaltigen Eindruck, den die Erscheinung des ehrwürdigen Greises machte in dem Augenblick da er, von weißen Gewändern umflossen, von der Sedia gestatoria herab dem knienden Volk seinen Segen erteilte, von der großen Messe am Altar St. Peters und von den wunderbaren Klängen der Gesänge in der Sixtinischen Kapelle.

Weit vorgebeugt in atemloser Spannung saß das junge Mädchen da, ihre Umgebung schien vor ihr zu verschwinden und ihre brennenden Blicke schienen alle diese schimmernden Bilder einer fremden Welt vor sich zu sehen, einer Welt, welche ihre gläubige Seele als den irdischen Vorhof des himmlischen Glückes betrachtete.

Auch Fräulein Josephine wurde nicht müde, ihren Vetter von Rom erzählen zu hören. Aber es waren weniger die Prälaten und die Kirchenfeste, welche ihr Interesse erregten, sie wußte, sobald sich eine Gelegenheit darbot, das Gespräch auf das Volksleben, auf den Karneval, auf das Pferderennen und auch auf die Briganten zu bringen, von welchen man so viele schauerlich romantische Geschichten las, Geschichten, die an dem behaglichen Kaminfeuer des wohnlichen Zimmers im sicheren und ruhigen Schloß die Phantasie so angenehm erregten.

So war seit der Ankunft des Grafen Franz das Leben im Schlosse Rensenheim zwar äußerlich ebenso ruhig und still wie sonst, aber innerlich bewegter und angeregter dahingeflossen.

Der junge Zuavenoffizier schien freundlich und wohltätig berührt durch die Umgebung der alten Heimat, durch die herzliche Liebe, welche ihm von allen Gliedern der 225 Familie entgegengetragen wurde, aber dennoch war in seinem ganzen Wesen eine innere unruhige Bewegung erkennbar. Es schien, als sei seine Seele belastet von irgendeinem Druck; oft versank er plötzlich nach einer Schilderung voll beredter Lebhaftigkeit in ein starres Schweigen und blickte vor sich hin, als folgten seine Gedanken fernen Bildern, oft sah man ihn einsam die Alleen des weiten Parks durchstreifen, aber auf alle Fragen seiner Mutter, welche mit sorgenvoller Liebe ihn beobachtete, hatte er bisher stets nur ausweichende Antworten gegeben und sein zerstreutes und unruhiges Wesen zu verbergen gesucht.

Sein Bruder kam oft herüber, beide jungen Leute hatten die innigste brüderliche Liebe füreinander, aber sie kamen sich nicht näher, sie verstanden sich nicht. Der lebensfrische, heitere Husarenoffizier und der schwärmerische, von der geheimnisvollen Zauberluft Roms durchhauchte Soldat des Papstes hatten keine Berührungspunkte miteinander. Die Welt des einen lag außerhalb derjenigen des anderen, und wenn beide Brüder allein waren, so versiegte bald der Gesprächsstoff, da der eine kein Interesse für das hatte, was das Leben des anderen erfüllte.

Auch Herr von Rothenstein war gekommen, und zwischen ihm und dem Grafen Franz hatte eine innige, freundliche Annäherung stattgefunden. Der einsame junge Mann, welcher mit dem schmerzlichen Gefühl der Heimatlosigkeit durch die Welt gegangen war, dessen innerliche Wärme während seines Jugendlebens tief in seiner Brust verschlossen geblieben war, fühlte sich mächtig hingezogen zu dem Grafen Franz, den zwar eine glückliche Heimat und liebevolle Herzen umgeben hatten, der sich aber selbst vereinsamt hatte, um sich einer Sache zu widmen, die sein glaubenvolles Herz für die höchste und heiligste der Welt hielt, und dann lag auch in dem Antlitz des Grafen Franz eine so wunderbare, weniger körperliche als geistige Ähnlichkeit mit seiner Schwester Gabriele. Der Schnitt der Gesichter war verschieden, dennoch war es dasselbe Lächeln, welches zuweilen um die Lippen der beiden Geschwister schwebte; es war derselbe tiefe, halb fragende, halb verklärte Blick, welcher aus den blauen Augen Gabrielens und 226 unter den dunklen Brauen des Grafen Franz hervorzitterte. Es lag die gleiche Modulation im Tonfall der Stimme, so daß trotz der äußeren Verschiedenheit doch jeder die beiden als Geschwister oder nahe Verwandte hätte erkennen müssen.

Grund genug, daß der Leutnant von Rothenstein sich besonders zu dem jungen Zuavenoffizier hingezogen fühlte, dessen Blick und Worte ihn fortwährend an diejenige erinnerten, welcher die ganze, lange zurückgedrängte Liebeswärme seines Herzens entgegenströmte.

Der Kaplan Haug ging ruhig, leise und unscheinbar, wie immer seinen Weg.

Er hatte mehrfach versucht, sich dem Grafen Franz zu nähern und, heraustretend aus seiner gewöhnlichen, halb demütig bescheidenen, halb überlegen abwehrenden Zurückhaltung, ihn in ein eingehenderes Gespräch zu ziehen, auch hatte er es öfter einzurichten gewußt, daß er dem jungen Grafen bei seinen Spaziergängen im Park begegnete, und jedesmal hatte er ihn dann nach einer ehrerbietig vertraulichen Begrüßung angeredet und eine Unterhaltung mit ihm über die Verhältnisse in Rom, über die Lage des Papstes sowie über die Zustände der Kirche überhaupt begonnen, wobei er stets weniger eigene Ansichten aussprach, als die Meinungen des päpstlichen Offiziers zu vernehmen trachtete.

Trotz aller dieser Annäherungen war es ihm aber nicht gelungen, den jungen Grafen zu vertrauensvollem Heraustreten aus sich selbst zu bringen. Er beobachtete gegen den Kaplan die in der Familie dem Hausgeistlichen gegenüber hergebrachte und ihm von Jugend auf gewohnte achtungsvolle Rücksicht, aber in seiner Haltung lag doch zugleich jene vornehm abweisende Kälte, welche in Rom dem zahlreichen niederen Klerus gegenüber von den höheren Klassen der Gesellschaft und selbst von der hohen Geistlichkeit festgehalten wird. Nur mit einsilbigen, kurzen Worten beantwortete er die Fragen und Anreden des Kaplans, und wo er es, ohne auffällig zu sein, konnte, wich er seiner Begegnung aus.

Auch schien ihm die Person des Pater Haug nicht sympathisch zu sein, – oft ruhte, von dem scharf beobachtenden Geistlichen wohl bemerkt, sein Blick mit einem 227 widerwillig forschenden Ausdruck auf den scharfen und harten Zügen des Kaplans, als suche er sich Rechenschaft darüber zu geben, warum dies Gesicht ihn so kalt und antipathisch berührte.

Da war eines Tages eine große Bewegung im Schlosse zu Rensenheim entstanden.

Der Erzbischof von Köln hatte, auf einer Reise durch seine Diözese begriffen, den ihm persönlich bekannten und von ihm hochgeschätzten Grafen Spangendorf seinen Besuch auf einen Tag angekündigt, und diese Nachricht hatte alle Bewohner des Schlosses und des Dorfes in eine fieberhafte Unruhe versetzt. Im Schlosse wurden die Zimmer für den hochverehrten Gast hergerichtet und mit allem Luxus und Komfort versehen, den man nur irgend herstellen konnte, – nicht weil der in seinem persönlichen Leben fast aszetisch einfache Kirchenfürst dessen bedurfte, – sondern um ihm die Ehrerbietung und liebevolle Aufmerksamkeit zu beweisen, die man ihm entgegentrug, und im Dorfe bereitete man Girlanden, Embleme und Fahnen vor, um die Häuser bei dem Einzuge des kirchlichen Oberhirten festlich zu schmücken.

Der Kaplan hatte mit großer, gegen seine Gewohnheit lebhaft ausgesprochener Freude die Nachricht von dem Besuche des Erzbischofs vernommen, – Graf Franz war ernster und stiller noch als sonst geworden und auch Gräfin Gabriele ging in sich selbst versunken träumerisch einher, während der Graf und die Gräfin Spangendorf, unterstützt von dem Fräulein Josephine von Altheim, die Vorbereitungen zum festlichen Empfange anordneten und überwachten.

Am Tage vor der Ankunft des Erzbischofs war Gabriele allein in ihrem Zimmer, dessen Fenster von den Bäumen des Parkes beschattet wurden, deren Zweige sich jetzt fast blätterlos zum Himmel emporstreckten und von den schwarzen Krähen zum Nachtquartier benützt wurden.

Dies Zimmer entsprach in seiner ganzen Einrichtung der Erscheinung des jungen Mädchens. Zwar zeigte es die Zierlichkeit und Eleganz der Wohnung einer vornehmen Dame, aber auch wieder die Einfachheit ländlicher Verhältnisse, und ließ überall den von heiterer Welt und 228 Lebenslust abgewendeten Sinn seiner Bewohnerin erkennen. An den mit weißer Ölfarbe gestrichenen Wänden sah man einige vortreffliche Kupferstiche von Bildern der großen italienischen Meister, – ein mit hellgrauem Stoff überzogener Divan stand in der Nähe des Fensters, umgeben von einigen kleinen, niedrigen Lehnstühlen, – in einiger Entfernung ein Schreibtisch, von Blumen umgeben, – ein Zeichentisch im vollen Licht des Fensters trug alle Gerätschaften für Kreidezeichnung und Aquarellmalerei; auf demselben sah man ein Landschaftsbild mit geschickter Hand sauber entworfen, aber noch unvollendet, – es stellte jenen freien runden Platz im Park vor mit dem Gebüsch von weißen und roten Rosen – der weite Ausblick auf den Rhein hin war vortrefflich im sinkenden Abendlicht wiedergegeben, – aber auf dem Piedestal, das sich zwischen den Rosengebüschen erhob, stand nicht der kleine, schalkhaft zielende Liebesgott mit dem gespannten Bogen, sondern ein Bild der Mater dolorosa mit dem Schwert im Herzen und mit weißen Rosen bekränzt, und zu den Füßen der Mutter Gottes kniete, nur leicht erst in den Umrissen angedeutet, eine weibliche Gestalt in einen weiten Schleier gehüllt und das Haupt in die Hände gestützt.

An der entgegengesetzten Wand stand ein Betpult von altem Eichenholz, der Schemel, mit schwarzem Sammet überzogen und über demselben ein großes, schön gearbeitetes Kruzifix von Ebenholz und Elfenbein.

Gräfin Gabriele in einem einfachen Kleide von lichtgrauer Seide stand vor dem Zeichentisch und blickte, in tiefe Gedanken versunken, auf das unvollendete Aquarellbild. Ihr schönes, kindlich reines Gesicht war bleich und zitterte vor innerer Bewegung, ihr Auge schimmerte bald in süßer Träumerei, bald starrte es düster und traurig auf die Zeichnung.

»Ich habe ihm die weiße Rose gegeben,« sagte sie leise, indem sie die Hand auf das Herz legte, »und doch zitterte meine Hand nach der purpurnen Blüte hin, diesem Bilde meines warm sich öffnenden Herzens! – Mein Gott,« – sprach sie schmerzlich, nachdem sie wieder längere Zeit in starrem Schweigen dagestanden hatte, – »ich war so klar 229 über mich selbst, – über meinen Beruf und meine Zukunft, meine Seele war so erfüllt von dem stillen Glück, mein Leben dem Himmel zu weihen – und nun? – Verwirrung und Unruhe erfüllen mich, und wenn auch klar vor mir steht, was ich tun soll, so kann ich doch nicht die Wünsche des zuckenden Herzens beherrschen. – Ich habe«, rief sie dann, in schneller, entschlossener Bewegung von dem Bilde zurücktretend, – »ich habe das alles zu lange in mich verschlossen, meine Kraft ist zu schwach, um den Kampf zwischen der irdischen Natur und der heiligen Begeisterung meines Glaubens zu ertragen, – ich muß da Hilfe suchen, woher alle Hilfe kommt, in dem tröstenden, leitenden und stärkenden Wort der Kirche.«

Sie zog eine neben der Tür hängende Klingelschnur.

»Ich lasse den Pater Haug bitten, zu mir zu kommen«, sagte sie der Kammerjungfer.

Es war durchaus nichts Auffallendes, daß die Damen den Kaplan zu sich beschieden, der der Beichtvater und geistliche Ratgeber der Familie war, und kurze Zeit darauf trat der Pater Haug in das Zimmer der jungen Gräfin.

Er schloß langsam die Tür hinter sich und ging dann leisen, fast unhörbaren Schrittes bis in die Mitte des Zimmers, wo Gabriele ihn mit niedergeschlagenen Augen in einer gewissen Verlegenheit erwartete.

»Ich bin mit Freude Ihrem Rufe gefolgt,« sagte der Pater mit leisem, aber scharf akzentuiertem Ton, – »mit um so größerer Freude, als Sie lange meinen Rat und Zuspruch nicht begehrten, – ja, wie es mir hat scheinen wollen, das Gespräch mit mir zu vermeiden suchten.«

»Ich bin unruhig und in innerem Zwiespalt mit mir selber gewesen,« erwiderte Gabriele, indem ein flüchtiges Rot über ihr bleiches Gesicht zog, – »ich habe lange gekämpft, um zu Ruhe und Klarheit zu kommen –«

»Kann das bekümmerte und geängstigte Menschenherz jemals Ruhe und Klarheit finden,« fiel der Pater mit dem Ausdruck sanften und liebevollen Vorwurfs ein, – »ohne die leitende Hand und das erleuchtende Wort der Kirche?«

»Verzeihung, ehrwürdiger Vater,« sagte Gabriele, »daß ich versucht habe, aus eigener Kraft Herrin der 230 widerstreitenden Gefühle meines Herzens zu werden, – ich habe empfunden, wie schwach diese eigene Kraft ist, und komme zu Ihnen, um Führung und Licht zu suchen.«

»Die Gnade Gottes wird mir beistehen,« erwiderte der Kaplan mit einem fromm demütigen Augenaufschlag, »Ihre zagende Seele zu kräftigen. – Sagen Sie mir, was Sie bewegt hat.«

Gabriele zögerte einen Augenblick.

Dann ging sie zu ihrem Betpult und ließ sich auf dem Sammetkissen vor demselben in die Knie sinken.

»Dem Priester will ich mein Herz öffnen,« sagte sie leise, »der schon oft in mein Inneres geblickt und mir Rat und Trost gegeben.«

Ein Blitz freudiger Genugtuung leuchtete in dem Blick des Kaplans auf. Er zog einen Sessel dicht neben das Betpult, setzte sich in denselben und beugte sich ganz nahe zu der knienden Gräfin hinab.

»Und welche Zweifel bewegen dein Herz, meine Tochter?« fragte er mit leiser Stimme, seinen Mund fast unmittelbar dem Ohr des jungen Mädchens nähernd, – »im Namen dessen, der alle Gewalt hat, zu binden und zu lösen, frage ich dich, – in seinem Namen werde ich dir die leitende Hand reichen.«

»Sie wissen, ehrwürdiger Vater,« sagte Gabriele, ohne den auf die gefalteten Hände herabgesenkten Kopf zu erheben, »daß ich fest und freudig entschlossen war, mein Leben dem Dienste Gottes und der heiligen Jungfrau zu widmen, – nicht als ein trauriges Opfer der Entsagung, sondern in freiem Entschluß.«

»Ich weiß es, meine Tochter, – meine geliebte Schwester im Glauben,« sagte der Kaplan, indem er mit einem langen Atemzug den Duft des reichen, glänzenden Haares Gabrielens einsog, dessen Flechten fast sein Gesicht berührten, – »ich weiß es, – und ich bin glücklich, daß es mir vergönnt war, diesen Entschluß zu kräftigen und zu befestigen, und deine reine, jungfräuliche Seele, unberührt von der Welt und ihrem niedrigen Treiben, dem Himmel zuzuführen.«

»Mein Entschluß wankt,« fuhr die Gräfin fort, – »ich bin unklar und unsicher,« sagte sie mit lauterer Stimme, 231 in welcher ein gewisser zorniger Unwillen widerklang, – »ich fühle mich vom Himmel, zu dem mein ganzes Wesen sich emporschwang, zur Erde herabgezogen, – denn, – ehrwürdiger Vater,« fuhr sie stockend und schweratmend fort, – »mein Herz, – mein schwaches Herz ist erfüllt von einer irdischen Liebe.«

Der Pater fuhr zusammen, – seine Hand legte sich wie unwillkürlich auf seine Brust, als wolle er den Schlag seines Herzens zurückdrängen, seine Blicke streiften mit düsterem Feuer über die schlanke und geschmeidige Gestalt des in sich zusammengesunkenen Mädchens hin, und nach einem kurzen Schweigen sagte er mit ruhigem Ton:

»Jedes staubgeborene Menschenherz ist der Versuchung ausgesetzt, und die Krone des Sieges strahlt um so heller, je schwerer der Kampf war, durch den sie errungen wurde, – wer ist der Gegenstand dieser Liebe, – dieser Liebe, – die keine Sünde ist für ein Herz, das der Welt und ihren Pflichten gehören will, – die aber in deine Seele gesenkt ist von dem Versucher, der unserem Heiland die Reiche der Welt zeigte, und der auch dich abwendig machte von dem hohen und heiligen Beruf, zu welchem du ausersehen bist? – Wessen Bild lebt in deinem Herzen, das bisher nur ein Gefäß gotterleuchteter und heiliger Begeisterung war?« fragte er leiser, indem er seine Hand auf die weichen, gefalteten Finger Gabrielens legte.

»Der Freund meines Bruders,« sprach Gabriele, mit gewaltiger Anstrengung ihre Stimme zu festem und klarem Ton zwingend, – »der Leutnant von Rothenstein.«

Sie senkte den Kopf noch tiefer herab, so daß ihre Stirn die Hand des Paters berührte.

»Und hat er, den der Versucher dir auf dem so reinen und klaren Wege deines Lebens entgegengeführt, – hat er dir von seiner Liebe gesprochen, – hat er es versucht, dich von deinem Wege zum Himmel wieder zur Erde herabzuziehen«? fragte der Kaplan.

»Nicht mit deutlichen Worten,« erwiderte Gabriele kaum hörbar, »aber ich habe es wohl verstanden, was er mir sagen wollte mit seinen Blicken, – mit seinen Andeutungen, – oh,« sagte sie mit tiefinnigem, schmerzlichem Ton, – »er liebt mich, – ich weiß es wohl, – ich fühle es.«

232 Sie schwieg, indem ihre ganze Gestalt erbebte, – ein schwerer Atemzug rang sich aus ihrer wogenden Brust empor und eine Träne rann langsam aus ihrem Auge nieder.

»Und du, – meine geliebte Schwester,« sagte der Pater, seine Worte unmittelbar in ihr Ohr hauchend, – »du hast seiner Liebe Hoffnung gegeben?«

»Mein Herz flog ihm entgegen,« sagte Gabriele traurig, – »aber«, fuhr sie fort, indem sie den Kopf erhob und zum ersten Male aus ihren großen glänzenden Augen den Blick des Paters frei und fest erwiderte, – »dennoch habe ich ihn zurückgewiesen, – für immer zurückgewiesen, – er hat mich auch verstanden, – ich habe ihm keine Hoffnung gelassen, wie ich die irdischen Hoffnungen meines Herzens für immer zerstört habe.«

Der Pater atmete erleichtert tief auf.

»Du hast dir ein herrliches und großes Verdienst erworben, meine geliebte Schwester im Glauben,« sagte er, ihre sanften, zitternden Finger innig drückend, indem er mit der anderen Hand über ihr Haar hinfuhr, – »du hast das geopfert, was die Welt für das höchste irdische Glück hält, um dich ganz dem Dienste des Himmels zu weihen, – das ist ein großes Verdienst und wird dir dereinst angerechnet werden. – Aber«, fuhr er fort, – »wenn es ein Verdienst ist, was du getan, so war es dennoch auch deine Pflicht, zu handeln, wie du gehandelt hast. Ich habe dir schon früher gesagt, – es gibt eine Tugend für diese irdische Welt, – es ist die Tugend der gewöhnlichen Seelen, welche hier auf Erden noch nicht die Kraft finden, sich loszulösen aus der Einengung der fesselnden und zum Staub herabziehenden Materie des Körpers, – dann aber gibt es eine andere, höhere Tugend der Auserwählten, welche schon hienieden dem Einfluß der Materie des Körpers sich zu entziehen vermögen, deren Geist die Herrschaft gewinnt über das Fleisch – und du, meine geliebte Schwester, gehörst zu den Auserwählten, – deine Seele ist rein und empfänglich für das Glück und die selige Freude, hier auf Erden schon dem Himmel zu dienen, um am Ende ihrer irdischen Laufbahn sogleich in den Kreis der Auserkorenen 233 überzugehen, die den Thron des Ewigen als die Diener seiner Allmacht und die Boten seines Willens umstehen.«

Gabriele löste ihre Hände aus der des Paters, hob ihren Kopf empor und richtete ihre glänzenden Blicke aufwärts, als blicke sie zu dem Kreise der Cherubim empor, die zu den Seiten des flammenden Stuhles Gottes ihre heiligen Lobgesänge durch die Sphären des Weltalls ertönen lassen.

»Und wirst du die Kraft haben, meine geliebte Schwester,« fuhr der Kaplan fort, – »auch ferneren Versuchungen zu widerstehen und deine Seele rein und jungfräulich zu erhalten für den Dienst des Himmels? – denn der jungfräulichen Seele offenbaren sich allein die heiligen Mysterien des überirdischen Reiches Gottes, – jene Geheimnisse voll Glück, voll schimmernden Lichtes, voll glühenden, seligen Entzückens, – die sich der gewöhnlichen Menge der nicht auserwählten Menschen erst dann erschließen, wenn sie des Körpers lähmende Hülle abgestreift haben, und wenn die reinigende Kraft des ewigen Feuers ihre Seelen geläutert hat; – wirst du die Kraft haben, festzuhalten an deinem himmlischen Beruf, – auch wenn die Lockung des vergänglichen Erdenglücks abermals an dich herantritt?«

Er legte seinen Arm um ihre Schulter, zog sie nahe an sich heran, drückte seine andere Hand auf ihr Haupt und bog dasselbe leicht zurück, so daß ihr bleiches, von leichter Röte überhauchtes Gesicht frei vor seinem Blick dalag.

»Antworte mir,« sagte er dann mit einer Stimme, die nur mühsam aus seiner Brust hervorzudringen schien, während seine Lippen bebten und seine Blicke mit faszinierender Gewalt sich in ihre Augen bohrten, – »antworte mir, – ich frage dich im Namen deines himmlischen Bräutigams, der mit inbrünstiger Liebe seine Arme öffnet, um dich zu umfangen in unvergänglicher und ewig reiner Liebesseligkeit.«

Er hob seine Hand von ihrem Haupte empor und richtete seine Fingerspitzen gegen ihre Stirn.

Das junge Mädchen zitterte stärker, – ein halb scheuer, halb schwärmerisch begeisterter Blick richtete sich auf den Pater, sie vermochte diesen Blick weder niederzuschlagen 234 noch abzuwenden, – seine funkelnden Augen zogen ihn übermächtig in sich hinein.

»Ich werde stark sein, ehrwürdiger Vater,« sagte sie, – »ich werde freudig und fest jeder Versuchung widerstehen, welches irdische Glück könnte mir Ersatz bieten für die selige Wonne, mich ganz dem reinen, süßen Beruf des himmlischen Dienstes hinzugeben! – Ich werde stark sein; schon fühle ich, daß alle Zweifel und alle Unruhe von mir gewichen sind.«

»Ich danke Gott, daß er mir die Kraft gab, dein schwankendes Herz zu stärken«, sagte der Pater, immer den Blick fest auf die Augen Gabrielens geheftet, immer die Fingerspitzen gegen ihre Stirn gestreckt.

»Ich nehme dein Versprechen an,« sprach er dann, indem er seine Arme öffnete und sich noch näher zu ihr beugte, – »ich nehme es an als Diener dessen, dem du dich verlobt hast, und weihe deine Lippen in seinem Namen mit dem bräutlichen Kusse, der dich scheiden soll für immer von allen irdischen Wünschen und von aller irdischen Liebe.«

Er schlang seine Arme um ihre Schultern, zog sie zu sich heran, und nachdem er einen Augenblick ihren frischen duftigen Atem eingesogen hatte, drückte er seinen Mund auf ihre Lippen, die sie ihm, ohne sich zu bewegen, ohne zu zögern, mit einem glücklichen Lächeln darbot.

Er hielt sie einige Augenblicke fest umschlossen, – obgleich er ihren Mund nur leicht berührte, brannten seine Lippen wie glühendes Feuer auf den ihrigen.

Sie zuckte zusammen, – eine dunkle Röte flammte in ihrem Gesicht auf, – schnell zog sie sich zurück, wendete sich zur Seite und senkte das Haupt auf ihre über den Betpult gefalteten Hände nieder.

Ein schwerer Atemzug drang aus der Brust des Kaplans, – er faltete seine Hände vor der Brust und ließ langsam, wie in stillem Gebet, den Kopf herabsinken.

Man hörte in dem stillen Gemach nur die tiefen Atemzüge des jungen Mädchens, das in inbrünstigem Flehen leise die Lippen bewegte, – und des Priesters, der Gott zu danken schien, daß er eine Seele der irdischen Welt entzogen und dem Dienste des Himmels gerettet habe.

235 Die Türe wurde rasch aufgemacht und in dem hellen Rahmen ihrer Öffnung erschien wie ein lichter Gegensatz zu dem dunklen, ernsten Bilde, welches das Innere des Zimmers darbot, die in frische, heitere Farben gekleidete Gestalt und das lachende, fröhliche Gesicht Fräulein Josephinens.

»Gabriele,« rief sie mit ihrer hellen Stimme, – »komm herab, es ist Besuch da, – wie –«

Sie hielt plötzlich inne, als sie ihre Cousine vor dem Betpult knien und den Kaplan neben ihr sitzen sah. Ihre Züge wurden ernst und mit leiser Stimme sagte sie:

»Ich bitte um Verzeihung, – ich habe gestört, – ich wußte nicht –« Sie machte eine Bewegung, um sich zurückzuziehen.

Der Pater erhob sich.

»Bleiben Sie, Fräulein Josephine,« sagte er, – »ich habe getan, was mir oblag, – »Gräfin Gabriele hatte das Bedürfnis geistlichen Rates und Trostes, – ich habe ihr denselben gegeben, – und ich glaube, daß die unruhigen Zweifel ihres Herzens gelöst sind, – unsere Unterredung ist zu Ende.«

Gabriele hatte sich ebenfalls erhoben, – von ihrem Gesicht strahlte ruhige Heiterkeit, – aus ihren Augen leuchtete feste, mutige Entschlossenheit.

»Ich bin bereit,« sagte sie sanft, – »wer ist gekommen?«

»Dein Bruder und der Leutnant von Rothenstein,« erwiderte Fräulein Josephine, indem sie von der Schwelle in das Zimmer hereintrat, – »deine Mutter ist beschäftigt und hat uns aufgetragen, die Herren zu empfangen.«

»Ich komme«, sagte Gabriele, indem sie einen schnellen Blick über ihre Gestalt hinabwarf und eine verschobene Schleife ihres Kleides ordnete.

Der Pater richtete seine Augen mit einem scharfen, halb fragenden, halb drohenden Blick auf das junge Mädchen, – sie erwiderte denselben mit einem ruhigen Lächeln und legte eine Sekunde wie beteuernd die Hand auf die Brust.

Der Kaplan machte, leicht die Hand gegen sie erhebend, das Zeichen des Kreuzes und grüßend das Haupt neigend schritt er aus dem Zimmer.

236 Gräfin Gabriele legte ihre Hand in den Arm ihrer Cousine und tat einen Schritt, um dem Geistlichen zu folgen.

»Willst du nicht ein lichtes Band anlegen oder eine Schleife in dein Haar stecken?« fragte Fräulein Josephine, – »du siehst ja fast nonnenhaft aus in diesem gleichförmigen Grau.«

Langsam schüttelte Gabriele den Kopf. – »Laß mich, wie ich bin,« sagte sie, – »die hellen Farben machen mich unruhig, – du weißt es, – diese Farben sind das Bild des Kampfes zwischen dem reinen weißen Licht und der Finsternis, – das Grau ist der Frieden, den wir auf Erden erreichen können, – denn bis zum reinen Licht können wir hienieden nicht durchdringen.«

Fräulein Josephine sah sie halb verwundert, halb traurig an.

»Aber die Blumen, die Gott zur Freude der Menschen schuf, tragen diese so hellen und freundlichen Farben«, sagte sie.

»Und die prachtvollsten, glühendsten und schimmerndsten Farben glänzen auf den Kelchen, welche Gift und Tod in sich tragen, – das heilige Symbol der jungfräulichen Reinheit – die Lilie – ist weiß«, erwiderte Gabriele.

Sie zog ihre Freundin sanft zur Türe hin.

Fräulein Josephine schüttelte schweigend den Kopf.

»Armer Rothenstein,« flüsterte sie vor sich hin, indem sie mit Gabrielen über den Korridor der Treppe zuschritt, – »in diesem Herzen wird kaum die purpurne Rosenblüte der Liebe sich jemals erschließen.«

Sie seufzte wehmütig, – beide Mädchen stiegen leichten, elastischen Schrittes die Treppe hinab, ein liebliches Bild der Jugend, Schönheit und Anmut.

Als sie in den Salon traten, fanden sie dort den Grafen Xaver und den Leutnant von Rothenstein – Graf Franz, der in der letzten Zeit immer gedrückter und unruhiger erschien, war auf einem Spaziergang im Park begriffen.

Die beiden jungen Offiziere, welche still und schweigsam dagesessen hatten, sprangen schnell auf und eilten den Damen entgegen. Graf Xaver umarmte und küßte seine Schwester herzlich und wollte dann dasselbe mit seiner 237 Cousine Josephine tun, die sich rasch abwendete mit einem zornigen Ausruf, welcher mit dem freundlichen Blick, der ihren Vetter traf, nicht ganz harmonierte; Herr von Rothenstein näherte sich der jungen Gräfin mit dem scheuen, fast ängstlich zurückhaltenden Wesen, das er ihr gegenüber seit längerer Zeit stets beobachtete. Er blickte fragend und forschend in ihr Gesicht, – sie schlug die Augen nicht zu ihm auf und erwiderte mit ruhiger Stimme höflich seine Begrüßungsworte.

Dann begann zwischen diesen vier jungen Leuten, welchen das Leben so frisch und fröhlich entgegenzulächeln schien, eine Konversation, die in verschiedenen Anläufen und wiederholten Stockungen sich fortbewegte, wie ein Vogel mit gelähmtem Flügel, der immer und immer versucht, sich emporzuschwingen und immer wieder niedersinkt, jedesmal mehr ermattet von den fruchtlosen Anstrengungen.

Gabriele antwortete stets klar, bestimmt und genau auf jede Bemerkung, die der Leutnant von Rothenstein an sie richtete, – aber kein Wort über die scharfen Grenzen der notwendigen Antwort kam aus ihrem Munde, so daß der junge Offizier mit schmerzlichem Lächeln jedesmal wieder von neuem beginnen mußte, – und jedesmal wurden seine Bemerkungen gleichgültiger, trivialer und matter.

Graf Xaver und Fräulein Josephine, die sonst so heiter und fröhlich waren und von Neckereien und Scherzen übersprudelten, schienen heute auch nichts zu finden, was sie sich hätten sagen oder wodurch sie eine allgemeine Unterhaltung hätten in Gang bringen können, – vielleicht war das, was sie sich hätten sagen mögen, nicht geeignet für andere Ohren, – auch sie schwiegen oft lange, ehe sie durch eine gewaltsam hervorgesuchte Äußerung die Unterhaltung zu fördern suchten.

Endlich war diese peinliche Situation, die sich mit jedem Augenblick verschlimmerte, fast unerträglich geworden.

Graf Xaver sprang mit ungeduldiger Bewegung auf und schlug einen Spaziergang durch den Park vor; der 238 Vorschlag wurde von Fräulein Josephine mit freudiger Zustimmung aufgenommen, – Herr von Rothenstein stand langsam auf und richtete abermals mit schmerzlich fragendem Ausdruck seinen Blick auf Gabriele, – diese errötete leicht in flüchtiger Verlegenheit, dann aber kehrte sogleich wieder die ruhige Sicherheit und Klarheit auf ihr Gesicht zurück.

Die jungen Damen ließen sich ihre Schals und Hüte bringen, und man ging in den Park.

Unmittelbar darauf stieg der Kaplan Haug ebenfalls die Treppe des Schlosses hinab und schritt den Gängen des Parkes zu. Er öffnete, als er aus dem Schlosse getreten war, ein kleines Buch, das er in der Hand trug und schien eifrig lesend des Weges nicht zu achten, den er einschlug.

Bald waren die jungen Leute durch eine kleine Entfernung voneinander getrennt; – wie es ja natürlich war, ging Graf Xaver neben seiner Cousine, während Herr von Rothenstein an der Seite Gabrielens blieb.

Das Gespräch zwischen den beiden letzteren setzte sich ebenso langsam und unterbrochen fort wie vorher im Salon, – der Graf Xaver und Fräulein Josephine dagegen schienen, sobald sie aus der Gehörweite der anderen gekommen waren, die Gabe der Konversation in ausgedehntester Weise wiedergefunden zu haben, – in lebhaftem Gespräch zueinander geneigt schritten sie dahin, und oft schien es, als wollten ihre Häupter sich in traulicher Annäherung berühren.

Bald waren sie wieder auf jenen Platz gekommen, auf welchem noch immer der kleine Amor stand und mit seinem Bogen nach irgendeinem Herzen zielte, um dasselbe mit dem süßen Wahnsinn der Liebe zu erfüllen, – aber die Hecken, die ihn umgaben, trugen keine Rosen mehr, weder weiße noch rote, nur einzelne gelbe, verwelkende Blätter hingen an den starren, dornigen Zweigen.

Der weite Ausblick nach dem Rhein hin war in der Ferne leicht verhüllt durch einen Nebelschleier, der über den Fluten des Stromes lag, und die grüne, schimmernde Rasenfläche davor lag tot und verdorrt da.

Graf Xaver und Fräulein Josephine waren in einer Seitenallee verschwunden.

239 Herr von Rothenstein blieb stehen. Gabriele sah ihn verwundert an, senkte aber schnell wieder das Auge zu Boden vor dem düsteren, schmerzvollen und doch so innigwarmen Blick, den der junge Offizier auf ihr ruhen ließ.

»Gräfin Gabriele,« sagte er mit sanftem, traurigem Ton, – »erinnern Sie sich noch des Tages, an dem wir hier auch nebeneinander standen, – vor dem Bilde dieses Gottes, den die Alten als den Herrn der Welt, als den Meister Jupiters selbst verehrten?«

Gabriele schwieg einen Augenblick. Ihre Brust wogte auf und nieder.

»Ich erinnere mich«, sagte sie, ohne die Augen aufzuschlagen.

»Damals bat ich Sie um eine Rose,« fuhr er immer in demselben traurigen Ton fort, – »ich hoffte auf ein Zeichen der Freude, des Glückes, der Hoffnung, – Sie gaben mir eine weiße Blüte, – die weißen Rosen sind die Blumen der Totenkränze –«

»Aus dem Tode der irdischen Wünsche und Hoffnungen«, sagte sie leise, »erblüht das ewige Leben.«

Er seufzte tief und schmerzlich.

»Heute«, sprach er dann, »tragen diese Zweige auch keine weißen Rosen mehr, – nur die Dornen sind geblieben.«

»Wer die Dornen auf Erden auf sich nimmt,« sagte sie in demselben Tone wie vorher, – »dem werden einst die Rosen des himmlischen Glückes erblühen.«

Wie verzweifelt schüttelte er den Kopf. Rasch trat er einen Schritt näher zu ihr heran, legte leicht seine Hand auf die ihrige und rief in lebhaftem, tiefbewegtem Ton:

»Gräfin Gabriele, ich habe damals eine stumme Frage an Sie gestellt, – haben Sie diese Frage verstanden, und soll jene Blume, die Sie mir gaben und die ich noch heute auf meinem Herzen trage, obwohl sie eine Blume des Todes ist, – soll sie eine Antwort, – eine letzte und entscheidende Antwort sein?«

Sie schlug langsam den Blick zu ihm auf.

Als sie in das so schöne, bleiche, von Liebe und Schmerz zuckend bewegte Gesicht des jungen Mannes sah, glühte 240 ihr Auge einen Augenblick in zitterndem Feuer, – dann richtete sie dasselbe aufwärts nach dem grauverhüllten Himmel und sagte mit lautem, nur kaum merklich erbebendem Tone:

»Ja.«

Er sank wie gebrochen in sich zusammen.

»Sie sprechen ein Todesurteil, Gräfin«, rief er mit dumpfem Ton, »über die ersten Hoffnungen auf Glück und Freude, die mein einsames Leben mir bietet, – die einzigen,« – fügte er bitter hinzu, – »denn nachdem diese gebrochen, werden keine anderen mehr sich erheben.«

Sie atmete tief und schwer. Abermals richtete sie ihr Auge auf sein Gesicht, das den tiefen Seelenschmerz, der ihn quälte, deutlich zeigte, und was er in dem Blick dieses Auges las, mußte ihn mit neuer, freudiger Hoffnung erfüllen, denn mit einer Bewegung voll stürmischen Entzückens ergriff er ihre beiden Hände und rief:

»O nein, – nein, meine tausendmal geliebte Gabriele, – Sie können diese süßen, seligen Hoffnungen nicht zerstören wollen, – Sie können die Liebe meines einsamen Herzens nicht vernichten, – Sie müssen ein Wort des Trostes, – ein Wort des Glückes für mich haben, – lassen Sie dies Wort heraufsteigen zu Ihren Lippen, – Gabriele, wenn Sie dies Wort sprechen, so wird mein Leben, das öde und traurig war, wie diese winterlich starren Zweige, sich mit neuen Rosen ewiger Frühlingsfreude schmücken!«

Er zog ihre Hände an seine Brust und sah flammenden Blickes in ihre Augen.

Sie schwankte zitternd hin und her, – tief errötend schien sie zu ihm hinsinken zu wollen, – da erhob sie ihr Auge zum Himmel, als wolle sie dort Kraft und Beistand suchen, – sie stand mit dem Gesicht nach der weiten Lichtung zugewendet, – und während ihr Blick sich zu derselben herabsenkte, trat in einiger Entfernung von dem runden Platz aus den Seitengebüschen der Kaplan Haug. Seine Gestalt in dem dunklen Kleide zeichnete sich scharf gegen den Hintergrund des vom Rhein aufsteigenden Nebels ab, – er hielt sein Buch in der Hand und schritt langsam durch die Lichtung. In der Mitte derselben stand er einen 241 Augenblick still, sah mit einem langen, starren Blick zu den beiden jungen Leuten hinüber, erhob leicht wie in unwillkürlicher Bewegung die Hand und ging dann, den Kopf wieder auf sein Buch senkend, vorüber, um in den Gebüschen auf der anderen Seite der Lichtung zu verschwinden.

Dies alles währte nur einen Augenblick und blieb Herrn von Rothenstein, der fortwährend in banger Erwartung in das Gesicht Gabrielens blickte, unbemerkt.

Das junge Mädchen erbleichte. In einer raschen, krampfhaften Bewegung zog sie ihre Hände aus denen des Herrn von Rothenstein und trat einige Schritte von ihm zurück. Ihr Gesicht nahm den Ausdruck eines festen, kalten Entschlusses an, der diese so weichen und zarten Züge fast hart erscheinen ließ.

»Herr von Rothenstein,« sagte sie ruhig und bestimmt, – »ich darf, – ich will Ihre Worte nicht anhören, – mein Herz wird Ihnen keine andere Blüte bieten als die weiße Rose schwesterlicher Freundschaft.«

»O Gabriele,« rief er, wie vernichtet von diesen Worten, die er nicht erwartet hatte, – »Gabriele, – ich beschwöre Sie –«

»Lassen Sie mich,« sagte sie, die Hände abwehrend gegen ihn ausstreckend, – »lassen Sie mich, – ich bin nicht frei, – mein Leben, meine Liebe, – meine Seele gehört –«

»Wem?« rief er mit wildem Ton, – »wer hat mir diese Blume geraubt! – Doch«, sagte er dann, die Hand an seine glühende Stirn drückend, – »was frage ich, – habe ich ein Recht, darnach zu fragen?« – Genug, daß meine Hoffnung gestorben ist!«

Sie trat zu ihm hin und wollte sprechen, – Schritte ließen sich von einem der Seitenwege her vernehmen.

Graf Franz trat langsam auf den runden Platz. Aus tiefen Gedanken aufblickend sah er seine Schwester und den jungen Husarenoffizier, – näherte sich denselben schnell und begrüßte Herrn von Rothenstein mit freundschaftlicher Herzlichkeit.

Nach einigen allgemeinen, gleichgültigen Worten, welche dem jungen Mann die Zeit gaben, sich von seiner 242 Verwirrung zu sammeln, wendete man sich zur Rückkehr nach dem Schlosse.

Gabriele stützte sich auf den Arm ihres Bruders, und als gebe ihr die Anwesenheit desselben ihre Sicherheit und Ruhe wieder, verstand sie es, ein Gespräch fortzuführen, an welchem die jungen Leute, welche beide mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt schienen, nur wenig teilnahmen.

Als sie sich dem Schlosse näherten, kamen schnell auf einem anderen Wege Graf Xaver und Fräulein Josephine zu ihnen heran, – und sie sahen nicht trübe und ernst aus, – ihre Konversation stockte nicht, – ihre Blicke leuchteten von Glück und Freude, fröhliches Lachen tönte von ihren Lippen.

Fräulein Josephine hatte ihren Arm in den des Grafen Xaver gelegt, und als sie den anderen sich näherten, zog sie ihre Hand aus derjenigen ihres Vetters zurück.

»Wir hatten euch verloren«, rief Graf Xaver, »und haben euch überall gesucht, – wo habt ihr gesteckt, – bei dem kleinen Amor in den Rosenhecken?« fügte er mit schalkhaftem Lächeln hinzu, während Fräulein Josephine ganz betroffen auf das ernste, bleiche Gesicht Gabrielens und auf die leidenschaftlich bewegten Züge des Herrn von Rothenstein blickte.

Man kehrte in das Schloß zurück und fand im Salon den Grafen und die Gräfin Spangendorf, welche die Gesellschaft bereits zum Diner erwarteten.

Während man in leichter Plauderei erwartete, daß die Türen des Speisesaals sich öffneten, trat der Graf Franz zu seinem Vater heran und sagte mit ernster, fast feierlicher Miene:

»Ich möchte dich heute nachmittag um eine ruhige Stunde Gehör bitten, mein Vater, – ich habe eine ernste Sache mit dir zu besprechen.«

Ein wenig befremdet blickte der Graf auf seinen Sohn und neigte zustimmend den Kopf.

Kaum hatte der junge Mann sich abgewendet, als auch Gabriele ihn in ähnlicher Weise um Gehör bat, da sie noch vor der Ankunft des Erzbischofs eine für sie hochwichtige Sache ihm mitzuteilen wünsche.

243 Der Graf schüttelte den Kopf, und sein so lebensfrisches, heiteres Gesicht wurde ernst und nachdenklich.

Da trat auch sein Sohn Xaver zu ihm heran und sagte mit glückstrahlenden Blicken:

»Ich möchte dich heute nachmittag bitten, Papa, mir eine Stunde zu schenken, – ich habe dir etwas zu sagen, das dir hoffentlich Freude machen wird.«

»Nun«, rief der Graf, – »du kommst wenigstens mit lachendem Munde und nicht so ernst und feierlich wie die anderen.«

»Und ich möchte dir fast jetzt schon mein Geheimnis mitteilen,« sagte Graf Xaver, – »wenn wir nicht alle hungrig wären und ich Furcht hätte, unser Diner zu verzögern.«

Die Türen wurden geöffnet. – Die Gesellschaft trat in den Speisesaal, und man setzte sich zu Tisch.

Das Diner verlief ziemlich still und einsilbig, – der Graf sprach wenig, – er dachte darüber nach, was ihm seine Kinder wohl zu sagen haben könnten, – Gabriele saß fast teilnamlos da und blickte nur zuweilen mit einem eigentümlichen, halb scheuen, halb verständnisvollen Ausdruck zu dem Kaplan hinüber, – Graf Xaver und Josephine waren die einzigen, die den Versuchen der Gräfin, ein Gespräch in Gang zu bringen, entgegenkamen.

Man erhob sich, – der Leutnant von Rothenstein verabschiedete sich bald unter der Angabe, daß er sich ein wenig unwohl fühle, – die Gräfin ging, die letzte Hand an die Vorbereitungen zum Empfang des Erzbischofs zu legen, und der Graf zog sich in sein Zimmer zurück, um nacheinander seine Kinder zu sich zu bescheiden und ihren Mitteilungen das erbetene Gehör zu geben.

Als Gabriele sich nach einer langen Unterredung mit ihrem Vater tränenden Auges auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, trat sie vor das Bild auf ihrem Zeichentisch, – sie ergriff die Stifte, und in kurzer Zeit war die vor dem Bilde der Mutter Gottes kniende Gestalt verändert. Diese Gestalt hatte den Kopf erhoben, von dem der weiße Schleier halb zurückgesunken war, und dieser Kopf zeigte in erkennbarer Ähnlichkeit die eigenen Züge der jungen Gräfin, die 244 zu dem Marienbilde mit schmerzlicher Ergebung aufblickte.

»Ich habe mein Herz in jungfräulicher Reinheit deinem Dienste weihen wollen,« sagte Gabriele leise, indem sie zu dem Bilde niedersah, – »aber ich soll dir nicht dienen, ohne daß auch ich die Schwerter, die deinen Busen durchdringen, in meinem Herzen gefühlt habe. Es tut mir doch so wehe, den Blüten des Lebens zu entsagen!«

Sie drückte die Hände vor die Augen, lehnte sich in ihren Sessel zurück, und langsam rann ein blinkender Tränentropfen nach dem anderen durch ihre schlanken Finger herab.

 


 << zurück weiter >>