Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Achtzehntes Kapitel

Beglückten Herzens, voll Freude und Hoffnung war Graf Spangendorf nach seinem Aufenthalt in Deutschland wieder über die Alpen nach dem schönen Italien gezogen, um der Erfüllung seines Lieblingswunsches entgegenzueilen und diejenige unauflöslich an sein Leben zu knüpfen, der er sein Herz mit aller Glut und Leidenschaft einer ersten reinen und begeisterungsvollen Liebe geschenkt hatte.

So glücklich ihn aber auch die Erfüllung seiner süßesten Liebesträume machte, so kehrte er doch auf der andern Seite mit wunderbar gemischten Gefühlen nach Rom zurück. Er war hingezogen in die alte Heimat mit der Begeisterung für die die Welt durchdringende Allgewalt der römischen Kirche im Herzen; er hatte sich berauscht an der Quelle glaubensvoller Schwärmerei, welche in so reichem, schäumendem Strom aus dem Felsen Petri hervordringt. Mit stolzem Selbstgefühl hatte es ihn erfüllt, daß ein hoher Fürst der Kirche ihn für würdig befunden hatte, ein Werkzeug zu sein in dem Kampf für die weltumfassende Herrschaft des Statthalters Christi auf Erden, – aber der Flug seiner Begeisterung war zu Boden gesunken, sein Stolz hatte sich gebeugt, als er das Wehen des göttlichen Geistes durch das Wehen der deutschen Eichen empfunden hatte, als der so hoch erleuchtete, so fest in seinem Glauben, so klar in seiner Einsicht dastehende Erzbischof von Köln ihm des großen, ruhmreichen Vaterlandes eigenartiges und urkräftiges Bild vor Augen gestellt hatte. Er war auf seiner Durchreise über Mainz gekommen und hatte dort eine Audienz bei dem Bischof von Ketteler gehabt, diesem alten westfälischen Edelmann, der aus innerem Drang und Beruf die militärische Laufbahn mit dem opfer- und mühevollen Priesterstande vertauscht hatte und tief durchdrungen war von hoher Liebe und Begeisterung für den Glanz und die Macht der römisch-katholischen Kirche. Aber auch dieser ergebene Diener des Heiligen Stuhls hatte ihm gesprochen von der Eigenart der deutschen Nation. Auch aus seinen Worten war die Hingebung für die einige und allumfassende Kirche 327 so anders hervorgeklungen, als er es in Rom von den Lippen der feinen und geschmeidigen italienischen Prälaten zu hören gewohnt war.

Der deutsche Freiherr auf dem bischöflichen Stuhl, welchen einst die Kur-Erzkanzler des deutschen Reichs einnahmen, hatte noch kräftiger und noch markiger die Selbständigkeit des kirchlichen Lebens der deutschen Nation gegenüber der römischen Kurie betont, als der ruhige und kältere Erzbischof von Köln, und in der Brust des jungen Grafen war das warme Gefühl der Angehörigkeit an seine Nation, der stolze, unabhängige Sinn des alten deutschen Edelmannes lebendig erwacht. Jede Faser seines Lebens zog ihn hin zu den alten Kirchenfürsten seiner Heimat und ließ ihn tief empfinden, daß das italienische Priestertum, welches den päpstlichen Stuhl umgab, seiner innersten Natur etwas Fremdes sei, aber in der freudigen Glückseligkeit, mit welcher die Aussicht auf das Wiedersehen seiner Geliebten sein ganzes Wesen erfüllte, löste sich auch dieser Zwiespalt in harmonische Hoffnung auf.

Er glaubte dazu beitragen zu können, daß man in Rom die Verhältnisse der deutschen Kirche richtiger und klarer beurteile, und er fühlte sich stolz in dem Gedanken, daß er, der unbedeutende junge Mensch, dazu mitwirken könne, den vollständigen Einklang herzustellen zwischen dem Glaubensleben seines Vaterlandes und dem herrschenden Mittelpunkt der Kirche.

So war er voll Glück, Hoffnung und Zuversicht in Rom angekommen. Er hatte unmittelbar nach seiner Ankunft an Lorenza geschrieben und ihr seinen Besuch zur gewohnten Abendstunde angekündigt, um zunächst mit ihr und ihrem Vater zu überlegen, in welcher Form und Weise das bisher so sorgsam gehütete Geheimnis seiner Liebe der Welt bekanntgemacht werden sollte.

Dann hatte er sich dienstlich gemeldet und unmittelbar darauf dem Kardinal Monaco seine Ankunft angezeigt, auch von demselben die Einladung erhalten, ihn zu einer späten Nachmittagstunde zu besuchen.

Der junge Mann hatte seine, nach so langer Abwesenheit ihm ungewohnte Uniform angelegt und begab sich zur festgesetzten Zeit nach dem Palazzo di Santo Ufficio.

328 Bereits waren die eigentümlichen Verkündiger der Weihnachtszeit von den Abruzzen nach Rom herabgestiegen. Die Pifferari, welche wie die Hirten von Bethlehem die Himmelsbotschaft der Geburt des Heilandes begrüßen und vor den Bildern der heiligen Jungfrau an den Ecken der Straßen ihren eintönigen, von der Piffera und der Zampogna begleiteten Gesang ertönen ließen.

Als der Graf Franz in tiefen Gedanken, alle Eindrücke, die er in Deutschland empfangen, wieder lebendig in seiner Seele heraufrufend, an dem alten Zirkus des Nero vorbeischritt, stand vor einem kleinen mit Lampen und Blumen geschmückten Marienbilde ein alter Mann in dunkelblauem Kragenmantel, den spitzen Hut in das scharfverwitterte, graubärtige Gesicht gedrückt, und neben ihm ein Knabe von vierzehn bis fünfzehn Jahren mit glänzendschwarzen Augen, mit schwarzem, lockigem Haar und mit dunkelgebräuntem Gesicht von klassischem Schnitt. Sie sangen jenes uralte Weihnachtslied, dessen gleichmäßige Melodie am Schluß jeder Strophe mit einem langsamen Adagio endigt, das dann wieder ein lauter, jubelnder Ton der Piffera abschließt.

Graf Franz blieb einen Augenblick stehen, sein in tiefstem Nachdenken zu Boden gesenkter Blick erhob sich zu der eigentümlich pittoresken Gruppe unter dem Madonnenbilde, welches von einigen Vorübergehenden umgeben war.

Vom dunklen Abendhimmel herab funkelten die ewigen Sterne, welche in ruhiger und unveränderter Gleichmäßigkeit bereits die alten unbeugsamen Herrscher Roms auf dem Forum Romanum gesehen, welche dann herabgeblickt hatten auf das goldene Haus des Nero, auf die Trümmer des unter dem letzten Romulus zusammenbrechenden Weltkaisertums, – welche ebenso ruhig und gleichmäßig die Macht und Hoheit des christlichen Oberpriesters auf dieser Stätte hatten erstehen sehen, auf welcher einst die ersten Märtyrer des Christentums in qualvollem Tode gestorben waren, und welche jetzt wieder mit unverändertem goldenen Schimmer niederglänzten auf die Residenz des Nachfolgers Gregor VII. und Leo X., dessen Thron von allen Seiten her bedroht war durch mächtige, siegreiche und unversöhnliche Feinde.

329 Unten schimmerten die farbigen Lampen und die frischen Blumensträuße zu den Füßen des einfachen Bildes derjenigen, die den Heiland der Welt geboren, deren Name in der ganzen Christenheit gesegnet wird, welche die Schwerter des Todes in ihrem Busen und die Krone der Verklärung auf ihrem Haupte trägt.

Und vor diesem Bilde standen die Hirten, einfache Kinder der Natur in unserem Jahrhundert der Wissenschaft und Aufklärung und kaum unterschieden von jenen, welche einst in der ersten Weihnachtsnacht das neu erstandene Licht der Welt mit ihrem einfachen Gesang begrüßten, der seit zweitausend Jahren mächtig und gewaltig durch alle Länder der Erde tönt:

»Venite tutti quanti voi pastori,
Venite a visitare nostro Signore«,

sang der Alte mit seiner tiefen Stimme in der uralten, einfachen und fast naiven Melodie, während der Knabe mit einem leisen Ton der Piffera den Gesang begleitete.

Einen Augenblick blieb Graf Franz schweigend bei diesem Anblick stehen, unwillkürlich faltete er die Hände und wiederholte mit leisem Ton die Worte des Gesanges: »Venite tutti quanti voi pastori, venite a visitare nostro Signore«, den Blick von dem Madonnenbilde zu dem dunklen Sternenhimmel erhebend.

»Es ist wunderbar,« sagte er, »daß hier aus dem Munde der armen Söhne der Berge mir dasselbe Wort entgegenschallt, das der Heilige Vater von seinem apostolischen Stuhl in diesem Augenblick durch die Welt ertönen läßt: – ›kommt herbei, all ihr Hirten, unsern Herrn zu begrüßen‹. Auch der oberste Regent und Fürst der Kirche ruft die Hirten der Völker herbei, um sich vor dem Herrn zu beugen, seinen heiligen Geist zu empfangen und ihn wieder hinauszutragen in die fernen Länder. Wenn aus dem Munde des Höchsten auf Erden«, sagte er, indem begeisterte Freudigkeit von seinem Gesicht strahlte, »dasselbe Wort ertönt, das die Demütigen, Armen und Einfältigen auf den Lippen tragen, dann muß ja der Segen Gottes nahe sein, dann muß ja aus der Versammlung der Hirten, der Herde Christi das Wort des Heils über die Welt hin klingen: ›Ehre sei Gott 330 in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!‹«

Die Strophe war beendet. Der Knabe mit den glänzend schwarzen Augen sah den jungen Zuavenoffizier, welcher stehengeblieben war und dem Gesang lauschte. Rasch, in demütiger Haltung näherte er sich ihm und streckte mit bittendem Blick ihm seinen Hut entgegen.

Graf Franz warf ein Geldstück in denselben.

Der Knabe hob die Münze in den Lichtkreis der unter dem Madonnenbilde brennenden Lampe empor, zeigte sie ganz erstaunt und verwundert dem Alten, und unter den lauten Segenswünschen der Hirten, in welche sich einige Evvivas der Umstehenden für den großmütigen jungen Kavalier mischten, eilte Graf Franz mit schnellen Schritten davon, trat in den Palast di Santo Ufficio und wurde nach seiner Meldung aus dem Vorzimmer unmittelbar in das Kabinett des Kardinals geführt.

Der Kardinal erhob sich beim Eintritt des jungen Mannes, ging demselben einige Schritte entgegen und reichte ihm mit einer Bewegung voll väterlicher Würde und weltmännischer Höflichkeit die Hand, auf welche Graf Franz sich niederbeugte, um seine Lippen auf den geweihten Ring zu drücken.

»Sie sind aus Deutschland zurückgekehrt, Herr Graf,« sagte der Kardinal mit seiner sanften, geschmeidigen Stimme, indem er seinen Blick unter den tief herabgesenkten Augenlidern hervor über die schlanke, kräftige Gestalt des jungen Mannes hingleiten ließ, »ich freue mich, Sie wiederzusehen und bin gespannt darauf, was Sie mir aus Ihrem Vaterlande zu erzählen haben. Sie erinnern sich unseres Gesprächs vor Ihrer Abreise,« fügte er in leichtem Konversationston, aber mit einem schnellen, scharfen, forschenden Blick hinzu, indem er sich in seinen Lehnsessel niederließ, der im Schatten eines hohen Lichtschirms stand, welcher den sechsarmigen silbernen Leuchter auf dem Tisch umgab; zugleich bezeichnete er dem Grafen mit der Hand ein in einiger Entfernung stehendes Taburett.

»Ich habe,« sagte Graf Franz, »keines von den Worten vergessen, welche Eure Eminenz an mich zu richten die 331 Gnade hatten, und ich habe diese Worte in mir getragen, während ich in meinem Vaterlande die dortigen Zustände mit meinem allerdings so wenig geübten und so wenig erleuchteten Blick zu beobachten Gelegenheit hatte.«

»Und«, sagte der Kardinal gespannt, »was haben Sie dort gesehen? Ist es wirklich wahr, wie man hier zuweilen erzählt, daß das Gift des ketzerischen Protestantismus mit seiner Selbstvergötterung der kritisch-menschlichen Vernunft dort immer mehr um sich greift? Ist es wahr, daß die Reinheit des katholischen Glaubens dort immer mehr aus den Seelen der Menschen verschwindet?«

»Nein, Eminenz,« erwiderte Graf Spangendorf mit festem und entschiedenem Ton, »das ist nicht wahr, und wer Eurer Eminenz das berichtet hat, kennt die Verhältnisse in Deutschland nicht. In den Gegenden meines Vaterlandes, welche dem katholischen Glauben treu geblieben sind, ist derselbe tiefer, reiner und inniger vielleicht, als in irgendwelchen andern Ländern, und gerade die kritisierende und negierende Richtung der Zeit hat bei allen denen, welche in dem positiven Christentum Kraft und Tröstung suchen, noch mehr dazu beigetragen, den katholischen Glauben zu stärken und zu befestigen. Ja, vielleicht,« fuhr er fort, während der Kardinal, leicht die übereinandergekreuzten Finger bewegend, seinen Kopf gegen die hohe Lehne seines Sessels stützte und aufmerksam jedes Wort verfolgte, – »ja vielleicht wird gerade das Anstürmen gegen alles positive Christentum der katholischen Kirche auch in protestantischen Gegenden noch größere Verbreitung schaffen. In meiner unmittelbaren Heimat wenigstens, Eminenz,« fuhr er fort, »in meiner Familie und in all den Kreisen, mit welchen ich in Berührung getreten bin, habe ich ein gläubiges Festhalten an den Heilswahrheiten der Kirche gefunden und klares Bewußtsein, auf dem Boden der kirchlichen Gemeinschaft den Angriffen des verneinenden Geistes Widerstand zu leisten. Das deutsche katholische Volk steht fest und treu zu seinem Bischof.«

Der Kardinal schwieg einen Augenblick. Seine Augenlider sanken so tief herab, daß seine Augen fast geschlossen schienen und sein Blick vollständig verhüllt war.

332 »Und die Bischöfe?« fragte er mit leiser Stimme, »haben Sie einen derselben gesehen, haben Sie Gelegenheit gehabt, zu beobachten, in welcher Weise ihr hochwichtiges und heiliges Amt wirksam wird für die festgeschlossene Macht der um den Mittelpunkt des römischen Stuhls geeinigten Kirche?«

»Ich habe Gelegenheit gehabt,« erwiderte Graf Franz, »zweien der erleuchtetsten Prälaten meines Vaterlandes näher zu treten, und beide haben mich gewürdigt, mit mir über die Lage der Kirche in unserer Zeit zu sprechen. Auch ich habe Gelegenheit gehabt, zu beobachten, in welcher Weise die hochwürdigsten Oberhirten der Kirche durch ihre Geistlichen die Gläubigen ihrer Diözesen leiten, und ich kann Eure Eminenz versichern, daß die ganze katholische Kirche Deutschlands von der tiefsten, innigsten und gläubigsten Verehrung für den Heiligen Vater erfüllt ist, daß alle deutschen Katholiken mit tiefster Inbrunst für den Sieg des Papstes über alle seine Feinde beten, für die Erhaltung seiner weltlichen Herrschaft in dem Gebiete des Erbteils Petri und für die Wiederaufrichtung seines geistlichen Regiments über die ganze Christenheit. Aber –«, fügte er etwas zögernd hinzu.

»Aber?« fragte der Kardinal schnell.

»Eure Eminenz«, erwiderte Graf Spangendorf, »haben mir befohlen, Beobachtungen zu sammeln über das kirchliche Leben in meinem Vaterlande und meine Eindrücke Ihnen offen und frei mitzuteilen. Ich habe beobachtet,« fuhr er fort, »beobachtet mit dem Blick des Verstandes und dem Gefühle des Herzens, und ich bitte Eure Eminenz, mir zu verzeihen, wenn ich Ihnen Eindrücke wiedergeben muß, welche nicht ganz den Anschauungen entsprechen, die ich hier am Sitze des Mittelpunktes der Kirche in mir aufgenommen habe.«

»Sprechen Sie, Herr Graf,« sagte der Kardinal im Ton ruhiger, freundlicher Höflichkeit, »die unmittelbaren Eindrücke unbefangener Beobachter haben für die richtige Beurteilung der Verhältnisse einen hohen Wert.«

»Eminenz,« sagte Graf Franz, indem sein Gesicht sich mit dem Ausdruck innerer Erregung belebte, »ich habe es 333 während meines Aufenthalts in Deutschland tief empfunden, worüber ich hier nicht so klar gedacht, daß unsere große, heilige Kirche aus lebendigen, selbständigen Gliedern sich zusammensetzt, welche zwar durch das erlösende Blut Christi und durch den heiligen Geist Gottes miteinander verbunden sind, welche aber ihre besonderen und eigenen Lebensbedingungen haben, unter denen dieser Geist mächtig ist. Diese Glieder, Eminenz, sind die verschiedenen Völker der Erde, welche in ihrem öffentlichen und Privatleben oft so unähnlich untereinander sich entwickelt haben, und auch das Leben der Kirche in diesen verschiedenen Völkern, wenn es auch innerlich eins und von demselben Geist durchdrungen ist, muß sich dennoch in seiner äußeren Form und Erscheinung den Eigentümlichkeiten der nationalen Entwickelung und den Notwendigkeiten des öffentlichen Staatslebens anpassen.«

Er schwieg einen Augenblick und der Kardinal, welcher unbeweglich und ohne daß sich ein Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte, zugehört hatte, forderte ihn durch eine leise Bewegung des Kopfes auf, fortzufahren.

»Der bindende Mittelpunkt, Eminenz,« sprach der junge Mann weiter, indem mehr und mehr die anfängliche Befangenheit aus seiner Stimme verschwand, »von welchem aus der Geist gleichen Glaubens die Kirche in allen ihren Gliedern durchdringt, das ist der Heilige Vater, und seiner priesterlichen Oberhoheit beugen sich die Völker. Aber, Eminenz, die unmittelbaren Organe, durch welche der heilige Statthalter Christi die Kirche regiert, gehören alle der italienischen Nation an, dieser Nation, unter welcher ich lebe, welche ich liebe und hochachte, aber welche ein Verständnis für die besonderen Lebensbedingungen anderer Völker nicht haben kann.«

»Die Kirche«, sagte der Kardinal mit völlig ruhiger und gleichmäßiger Stimme, »hat niemals einen Unterschied zwischen den Nationen gemacht. Zum heiligen Kollegium gehören Prälaten aus allen Nationen.«

»Gewiß, Eminenz,« sagte Graf Franz rasch, »aber für diese hohen Kirchenfürsten ist der Purpur mehr eine weltliche Auszeichnung, an dem unmittelbaren Regiment der Kirche nehmen sie nicht teil. Dies bleibt der Kurie 334 vorbehalten, welche den Heiligen Vater umgibt und welche wesentlich und fast ausschließlich italienisch ist. Diejenigen, welche das eigene organische Leben der Völker zu vertreten haben, – der Kurie gegenüber zu vertreten haben –«

Der Kardinal zuckte zusammen. Ein schneller, scharfer Blick schoß unter seinen Lidern hervor zu dem jungen Mann hinüber, dann senkte er das Auge wieder auf seine in dem Schoß gefalteten Hände und hörte mit schweigender Aufmerksamkeit den weiteren Worten des Grafen zu.

»Diejenigen,« wiederholte dieser mit fester Betonung, »welche die nationale Lebensentwickelung der Völker der italienischen Kurie gegenüber zu vertreten haben, sind die Bischöfe, welche mitten in ihren Diözesen stehen, aus der Nation hervorwachsen und von ihrem Blut durchströmt sind. Sie fühlen, wie die Nationen fühlen, sie verstehen die eigentümliche Regung des Volksgeistes in unmittelbarer Berührung mit demselben, sie verstehen auch die Notwendigkeiten des öffentlichen Staatslebens, mit dem sie in Berührung treten, und sie können diese Notwendigkeiten mit der inneren freien Kirche in Einklang bringen. Wenn die Kirche«, fuhr er im Ton tiefer Überzeugung fort, »aus allen gegenwärtigen Schwierigkeiten siegreich hervorgehen soll, wenn ihre Macht sich wieder ausbreiten soll über die Geister der ganzen Welt, dann, Eminenz, muß die selbständige und freie Stellung der nationalen Bischöfe nicht nur erhalten, sondern gestärkt und ausgebildet werden, sie müssen die freien Vertreter des im Heiligen Vater lebendigen Geistes der Kirche, aber nicht die Diener der römischen – der italienischen Kurie sein. Und fast,« fuhr er fort, während der Kardinal nachdenklich den Kopf auf die Brust sinken ließ, »fast muß ich fürchten, daß die Absicht besteht, sie dazu zu machen, und, Eminenz, nach innigster Überzeugung kann ich nur die Besorgnis aussprechen, daß ein solcher Schritt große Gefahren nach sich ziehen möchte, daß er das Gefühl der Völker verletzen, das Mißtrauen der Regierungen wachrufen und statt zur Stärkung und Belebung der Kirche, zu deren Gefährdung und Zersetzung führen würde.«

Der Kardinal saß noch einige Augenblicke schweigend da. Die so warmen, lebendigen, überzeugungsvollen Worte 335 dieses gläubigen, für seine Kirche so begeisterten jungen Mannes schienen einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht zu haben.

»Und glauben Sie,« fragte er dann, indem er seinen Blick mit wohlwollender Teilnahme auf dem Grafen ruhen ließ, – »glauben Sie, daß die Anschauungen, welche Sie mir soeben ausgesprochen haben, von Ihren Landsleuten geteilt werden, daß sie allgemein in Deutschland sind?«

»Ich glaube es, Eminenz,« erwiderte Graf Franz mit voller Stimme, »ich glaube es und ich habe diesem Eindruck hier Worte gegeben, – nicht aus unberufener Vermessenheit, sondern weil Eure Eminenz mir befohlen haben, auszusprechen, was ich gesehen und empfunden, was ich beobachtet habe auf dem Boden des Vaterlandes, umweht von seiner Luft, aufblickend zu den Gipfeln seiner Bäume und zu seinem Himmel, – ich habe es gefühlt, mächtiger und klarer, als meine Worte es auszudrücken vermögen, daß das Leben des Glaubens sich nach dem Herzschlag der Völker gestalten muß, daß das Gebet nur dann in seiner wahren, warmen und seiner vollen Kraft zu Gott emporsteigen kann, wenn das gebeugte Knie sich auf den heiligen Boden stützt, auf welchem unsere Wiege stand und welcher einst den Staub unseres irdischen Leibes wieder empfangen wird. Der Heilige Geist, Eminenz,« fuhr er strahlenden Auges fort, »ergoß sich als ein einiger und unteilbarer über die Apostel, und dennoch redeten sie – ein Zeichen voll hoher Bedeutung – in den Zungen der verschiedenen Völker, weil nur in ihrer besonderen und eigentümlichen Sprache und Redeweise die ewigen Wahrheiten des Heiligen Geistes verständlich zu den Völkern dringen konnten.«

»Haben Sie«, fragte der Kardinal, »die Eindrücke, welche Sie mir aussprechen, auch bei den Unterredungen mit den Erzbischöfen empfangen, denen Sie zu begegnen Gelegenheit gehabt haben?«

Graf Franz zögerte einen Augenblick.

»Diese Eindrücke, Eminenz,« erwiderte er, »sind durch meine Gespräche mit den hochwürdigsten Prälaten, die mich ihrer Unterhaltung würdigten, nicht abgeschwächt, 336 sondern vielmehr bestärkt worden. Ich habe während meiner Unterredungen mit ihnen nur noch lebhafter und inniger empfunden, wie tief und warm das Wort eines Bischofs zu Herzen dringt, wenn dieser Bischof zugleich versteht und mitempfindet, was das nationale Gefühl höher aufwallen läßt.«

Der Kardinal erhob sich.

»Ich danke Ihnen, Herr Graf,« sagte er in verbindlichem Ton, »daß Sie die Bitte, welche ich Ihnen ausgesprochen hatte, mit so viel Eifer und scharfer Beobachtung zu erfüllen bestrebt gewesen sind. Ich werde diesen Dienst nicht vergessen, und wenn Sie jemals meiner Unterstützung bedürfen, so rechnen Sie auf mich.«

»Eure Eminenz können überzeugt sein,« sagte der Graf, »daß ich, weit entfernt, die unbedingte Richtigkeit meiner Beobachtungen behaupten zu wollen, dennoch in dem, was ich Ihnen gesagt, nur meine innigste und feste Überzeugung ausgesprochen habe.«

»Eine Überzeugung,« erwiderte der Kardinal, »welche kennen zu lernen für mich von großem Wert war. Ich setze voraus,« fügte er hinzu, »daß der Inhalt unserer Unterredung lediglich zwischen uns bleibt.«

Graf Franz legte die Hand beteuernd auf die Brust und sagte mit offenem Blick und freiem Ton:

»Eure Eminenz werden sich überzeugen, daß Ihr Vertrauen keinem Unwürdigen geschenkt worden ist.«

Der Kardinal erhob die Hand, machte in anmutiger Bewegung das Zeichen des Kreuzes und erwiderte mit leichtem Kopfnicken die tiefe Verbeugung des jungen Grafen, welcher vorwärts schreitend sich zur Tür zurückzog und das Kabinett verließ.

»Es ist eine schwere und ernste, folgenreiche Entscheidung, vor der wir stehen«, sagte der Kardinal vor sich hin, nachdem der junge Offizier sein Kabinet verlassen hatte. »Und wenn,« fuhr er fort, »der Schritt, durch welchen die einheitliche Nationalität der Kirche über die ganze Welt wiederhergestellt werden soll, wenn die Verkündigung der dogmatischen Unfehlbarkeit des Papstes auf Widerstand stößt, so könnte leicht eine bedenkliche Zersetzung der Kirche die Folge der Maßregel sein, welche zu ihrer größeren 337 Einheit führen soll. Ich glaube,« fuhr er fort, indem er aufstand und langsam durch das Gemach schritt, »daß dieser junge Mann richtig beobachtet hat, und wenn er, der gläubige und begeisterungsvolle Streiter für den Papst und die Kirche, so empfindet, so muß eine solche Empfindung allgemein sein in seinem Lande. Auch aus Frankreich lauten die Nachrichten nicht günstig, auch dort regt sich der Sinn der Selbständigkeit unter den Bischöfen, und dieser brütende Cäsar hat ja immer schon in seinem geheimnisvoll arbeitenden Gehirn die Idee der anglikanischen Kirche getragen. Man muß vorsichtig sein, – um nicht alles zu gefährden, indem man alles gewinnen will.«

Einer der im Vorzimmer des Kardinals wartenden Geistlichen meldete den Pater Bekx, und unmittelbar hinter dem meldenden Geistlichen, ohne die Antwort des Kardinals zu erwarten, trat der General der Gesellschaft Jesu in seiner einfachen, schwarzen Ordenstracht in das Kabinett. Er begrüßte den Kardinal mit einer tiefen Verbeugung, welche dieser durch eine leichte Neigung des Kopfes erwiderte.

In dem so gleichmäßig ruhigen Gesicht des Generals und in seinen gewöhnlich so kalt und scharf blickenden Augen lag eine so deutlich erkennbare Unruhe und Aufregung, daß der Kardinal ihn ganz betroffen anblickte und, indem er ihn einlud, in einem Lehnstuhl an seiner Seite Platz zu nehmen, mit dem Ausdruck einer gewissen Spannung fragte:

»Was ist vorgefallen, ehrwürdiger Bruder, was hat die überlegene Ruhe Ihres Geistes und Ihrer Seele so in Bewegung gesetzt?«

»Ich habe böse Nachrichten erhalten, Eminenz,« erwiderte der Pater, »es regt sich in ganz Italien wieder jene weitverzweigte und unermüdlich arbeitende Partei, welche mit höllischer Wachsamkeit den Moment erspäht, in welchem sie ihren letzten Schlag wagen und das Patrimoninm Petri dem Heiligen Stuhl entreißen kann.«

Der Kardinal zuckte lächelnd die Achseln.

»Das ist nichts Neues, leider nichts Neues, ehrwürdiger Vater. Die verderbliche Tätigkeit dieser Partei wird ja 338 scharf beobachtet und ihre Agitationen können zu keinem Resultat führen, solange die Hand Frankreichs schützend, aber freilich«, fügte er seufzend hinzu, »mit schwer lastendem Druck auf Rom ruht.«

»Freilich, Eminenz, freilich,« sagte der Pater Bekx, »aber gerade auch von Frankreich her kommen böse Nachrichten. Der Kaiser wird schwächer und schwächer und hört immer mehr auf den verderblichen Rat derjenigen, welche ihn zu liberalen Reformen drängen möchten, und ich sehe den Augenblick kommen, wo er sich mit den Männern umgeben wird, welche nicht nur durch ihre konstitutionellen Experimente die innere Kraft Frankreichs lähmen werden, sondern welche auch mit den liberalen Parteien in Italien und in Preußen in inniger Verbindung stehen und die Politik des Kaisers zu einer Versöhnung mit Preußen, zu einer definitiven Verständigung mit diesem aufrührerischen Königreich Italien führen werden, wenn Männer wie Ollivier, wie der Graf Daru die Minister des in immer tiefere Schwäche versinkenden Kaisers sind. Dann werden die Agitationen der italienischen Revolution gegen Rom ernster und gefährlicher werden, dann wird der Augenblick nahen, in welchem Frankreich auch seine Hand von Rom abziehen wird.«

»Vergessen Sie nicht, ehrwürdiger Bruder,« sagte der Kardinal ruhig, »daß in Frankreich eine zwar zarte, aber mächtige Hand uns gehört, welche, je älter und schwächer der Kaiser wird, um so mehr Macht auf die französische Politik gewinnen muß, und daß diese Hand stark und geschickt genug sein wird, um auch einen so schwachen Menschen wie diesen Ollivier zu leiten.«

»Möglich, Eminenz,« sagte der Pater Bekx, – »immerhin ist es aber doch bedenklich, das Lebensinteresse der Kirche, ihre äußere Sicherheit und Selbständigkeit in eine einzige Hand, in die Hand einer Frau zu legen, welche unsicher und wechselnd ist, wie der Hauch des Zufalls. Den Gefahren, die ich kommen sehe, muß schnell begegnet werden. Die Verkündigung der dogmatischen Unfehlbarkeit des Papstes muß durch das Konzil erfolgen, um die schon zu sehr gelockerte Disziplin des Kirchenregiments wiederherzustellen und der 339 Kirche den Angriffen ihrer zahlreichen Gegner gegenüber die eigene Kraft wiederzugeben, welche heute fast ausschließlich nur noch in dem Orden der Gesellschaft Jesu besteht, an dessen Spitze mich trotz meiner Unwürdigkeit die Gnade und Erbarmung Gottes gestellt hat. Die Bischöfe in den einzelnen Ländern«, fuhr er fort, »beginnen mehr und mehr ihre Selbständigkeit zu fühlen, und das ist heute um so gefährlicher, als der Zug nationaler Bildung durch die Völker geht und von den weltlichen Mächten früher oder später immer bestimmter oder direkter auf die Herstellung national abgesonderter Kirchen hingearbeitet wird, wie das schon in den früheren Zeiten des Mittelalters geschah, bevor die Weisheit und Kraft erleuchteter Päpste alle solche Regungen niederwarf.«

Der Kardinal saß in tiefem Sinnen da.

»Sie haben recht, ehrwürdiger Bruder, die Gefahr ist groß, daß dies kirchliche Leben der einzelnen Länder von dem so bedrohten und in seiner unmittelbaren Macht geschwächten Mittelpunkt in Rom sich loslösen möchte. Aber ich bin«, fuhr er fort, »nicht ohne Zweifel darüber, ob ein plötzliches und rücksichtsloses Anziehen der Zügel, wie dies durch die Verkündigung der dogmatischen päpstlichen Unfehlbarkeit geschehen würde, seinen Zweck erfüllen möchte. Der nationale Geist ist bereits mächtig geworden in den Völkern, in Frankreich wie in Deutschland, und auch die Bischöfe sind von demselben erfüllt, – vielleicht«, sagte er, »finden sie darin einen Vorwand für die Neigung zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit, welche stets den Episkopat erfüllt hat. Und namentlich«, fuhr er fort, »scheinen mir die deutschen Bischöfe ganz besonders abgeneigt zu sein, den Einfluß Roms auf die Verwaltung ihrer Diözesen noch durch ein so mächtiges Herrschaftsmittel verstärken zu wollen, als es in der Unfehlbarkeit des Heiligen Vaters liegt.«

Der Pater ließ seinen klaren, durchdringenden Blick einige Sekunden auf den feinen Zügen des Kardinals ruhen.

»Eure Eminenz«, sagte er sodann, »haben soeben den Grafen Spangendorf gesprochen, diesen jungen Offizier der päpstlichen Zuaven, welcher unmittelbar aus Deutschland zurückkommt?«

340 Der Kardinal neigte bejahend den Kopf, indem er ein wenig verwundert den Pater ansah.

»Ich bin dem jungen Mann«, sagte dieser, »beim Eintritt in das Palais begegnet und wundere mich nicht, Eure Eminenz ein wenig unter dem Eindruck der Mitteilungen zu finden, welche er Ihnen gemacht hat.«

»Ich habe mich«, sagte der Kardinal, »mit dem jungen Grafen, den ich als eines der gläubigsten und begeistertsten Mitglieder der heiligen Kirche kenne, über die Zustände in Deutschland besprochen, die er genau und richtig zu beurteilen weiß, und ich muß allerdings gestehen, daß die Mitteilungen, die er mir gemacht hat, ernstliche und bedenkliche Zweifel in mir wachgerufen haben, ob ein rücksichtsloses Vorgehen der Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit zweckmäßig und durch die Klugheit geboten sei.«

»Der Graf Spangendorf,« sagte der Pater Bekx im Ton ruhiger und kalter Überlegenheit, »hat in Deutschland wesentlich unter dem Einfluß der Eindrücke gestanden, die er aus seinen Unterredungen mit deutschen Prälaten geschöpft hat, und in jenen Bischöfen regt sich von neuem der Geist des Widerstandes gegen das heilige Kirchenregiment, welcher einst die geistlichen Kurfürsten erfüllte. Der Glaube der deutschen Bischöfe ist rein, treu und ohne Vorwurf, aber sie sind nicht durchdrungen von der Überzeugung der Notwendigkeit einer unbedingten und absoluten Einheit in dem Regiment und der Disziplin der Kirche. Sie vermögen sich nicht genügend loszulösen von dem nationalen Boden, aus dem sie hervorgewachsen sind. Der Gedanke einer national abgegliederten Kirche reizt ihren Stolz, sie wollen sich als die Gleichen dem ersten unter ihnen zur Seite stellen und den Papst nicht als Herrn über sich erkennen. Nicht die liberale Strömung der Geister,« fuhr er mit einer schärferen Betonung fort, »nicht die Eifersucht und das Mißtrauen der weltlichen Mächte bedrohen die katholische Kirche, deren Kraft in ihrer Einheit liegt, – ihr schlimmster Feind ist das Streben der Bischöfe nach selbständiger Gewalt und Unabhängigkeit. Dies Streben, das so oft niedergebeugt worden ist und sich immer wieder von neuem erhebt, dies Streben, das den verderblichen Keim der Zersetzung der 341 Kirche in sich trägt, muß für immer gebrochen, zerstört und ausgerottet werden, indem die absolute Unfehlbarkeit der päpstlichen Aussprüche zum Dogma erhoben wird, damit jeder, sei er Laie oder Prälat, dem Fluche verfällt, wenn er dieser Unfehlbarkeit sich nicht unterwirft. Dieser Graf Spangendorf,« fuhr der Pater fort, während der Kardinal nachdenklich die Stirn in seine weiße Hand stützte, »dieser Graf Spangendorf ist angehaucht von dem Geist nationaler Unabhängigkeit, und wenn das bei ihm schon möglich gewesen ist, bei ihm, der hier in Rom erfüllt worden ist von der Begeisterung für die einheitliche Herrschaft der Kirche, was soll erst mit den Bevölkerungen geschehen, für welche der Heilige Vater ein abstrakter Begriff ist und welche als sichtbare Vertreter der Kirche nur ihre Bischöfe kennen? Glauben Sie mir, Eminenz,« fuhr er fort, »der ganze Schwerpunkt der Zeitfrage liegt darin, die Bischöfe zu unterwerfen, ihre Neigung zur Selbständigkeit zu brechen und wieder dahinzugelangen, daß der von dem Mittelpunkt ausströmende Wille auch an den äußersten Enden der Peripherie unmittelbar und ohne Abschwächung zur Tat wird.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, ehrwürdiger Bruder,« erwiderte der Kardinal, »ich bin ganz überzeugt, daß dies der Zustand ist, in welchem allein die Kirche siegreich aus dem Kampf dieser Tage hervorgehen kann. Allein,« fuhr er fort, »wenn auch unsere Herzen von glaubensvoller Begeisterung erfüllt sein mögen, so muß doch unser Verstand darüber nachdenken, auf welche Weise am besten das notwendige Ziel der Einheit der Kirche erreicht werden könne. »Klug wie die Schlangen« ist die Vorschrift, der auch wir folgen müssen, und wenn wir erkennen, daß der Weg, den wir verfolgen, schwer zum Ziele führt und durch fast unüberwindliche Schwierigkeiten versperrt ist, so gebietet die Klugheit, von ihm uns abzuwenden und auf andere Weise die Erreichung unserer Ziele zu erstreben. Sie geben mir zu, daß die Bischöfe nicht leicht sich der absoluten Herrschaft der päpstlichen Unfehlbarkeit unterwerfen werden, – das ist eine gefährliche Klippe, – die katholische Kirche hat, wenn sie einig gewesen ist, den weltlichen Mächten gegenüber stets den Sieg davongetragen, aber ein von den 342 Bischöfen geleitetes Schisma ist ihr stets gefährlich gewesen. Wenn nun aber gar die weltlichen Mächte diese Gelegenheit benützen, um mit den Bischöfen gemeinsam uns entgegenzutreten? Sie wissen, daß bereits der Fürst Hohenlohe, in einem traurigen Irrtum befangen, ein Zirkular an die katholischen Mächte gerichtet hat, um sie zum gemeinsamen Auftreten gegen das Dogma der Unfehlbarkeit zu veranlassen. Sie wissen, wie ich,« fuhr er fort, »daß hier auf der preußischen Botschaft derselbe Gedanke gehegt wird und daß man das Berliner Kabinett zu bestimmen sucht, eine bestimmte Stellung in der Sache zu nehmen –«

»Wenn dies geschähe,« fiel der Pater Bekx ein, »so wäre es meiner Überzeugung nach eine unendlich glückliche Fügung –«

»Eine glückliche Fügung?« fragte der Kardinal befremdet.

»Ja, Eminenz,« erwiderte der Pater, »nach meiner Überzeugung wäre nichts erwünschter, als wenn in diesem Augenblick die weltlichen Mächte sich in die innere Entwickelung der Kirche zu mischen unternehmen und dem Beschluß des Konzils vorzugreifen versuchten. Ein solches Vorgehen«, fuhr er fort, »würde am allerschnellsten und sichersten die Einigkeit in der Kirche wiederherstellen und überall würden die Bischöfe durch ein vorzeitiges Eingreifen der weltlichen Mächte in die inneren Fragen der Kirche zum festen Anschluß an den Mittelpunkt in Rom gedrängt werden, ein Konflikt mit den weltlichen Mächten, wenn er jetzt ausbräche, würde die ganze katholische Kirche einig finden, – wenn dagegen das Konzil einmal gesprochen hat, wenn auf seinen Beratungen vielleicht abweichende Ansichten der nationalen Bischöfe zutage getreten sind, und wenn dann in den einzelnen verschiedenen Gebieten über bestimmt vorliegende konkrete Fälle Differenzen mit der Staatsgewalt entstehen, so liegt die Möglichkeit viel näher, daß dann die Bischöfe einzeln ihren Frieden zu schließen versuchen. Es ist gefährlich,« sagte er, leicht die Hand erhebend, »die Finger in siedendes Wasser zu stecken; läßt man dasselbe abkühlen und den Bodensatz ausscheiden, so kann man es leichter behandeln. Würden die Regierungen tun, was Fürst Hohenlohe will und wozu Graf Arnim die preußische Regierung 343 bestimmen möchte, so würde heute der Geist einheitlicher Opposition in die Kirche gebracht und die ganze katholische Welt würde uns gehören. Aber ich fürchte,« sprach er düster, »daß jener kaltblütige und scharf berechnende Mann in Berlin sich nicht wird zu einem solchen Vorgehen bestimmen lassen. Er wird abwarten, bis seine Zeit gekommen ist, er wird keinen Konflikt mit der römischen Kirche hervorrufen, solange er den großen Entscheidungskampf mit Frankreich nicht ausgefochten hat, und deshalb –«

»Deshalb?« fragte der Kardinal.

»Deshalb«, fuhr der Pater Bekx fort, »müssen wir mit der größten Entschiedenheit und Schnelligkeit die päpstliche Unfehlbarkeit durch das Konzil feststellen lassen. Wir müssen durch alle der Kirche zu Gebote stehenden Machtmittel den Widerstand der auf ihre Selbständigkeit eifersüchtigen Bischöfe brechen, die Möglichkeit nationaler Abgliederung für immer ausschließen, und zugleich«, fuhr er in etwas leiserem Ton fort, indem er sich zu dem Kardinal hinüberneigte, als fürchte er, daß seine Worte durch die marmornen Wände dringen könnten, »alles aufbieten, um Frankreich zu dem seit Jahren schon immer wieder und wieder vertagten Kampf gegen dies neue, vom Geist des Protestantismus emporgetragene deutsche Kaisertum zu drängen –«

»Und wenn Frankreich in diesem Krieg geschlagen würde? fragte der Kardinal, – »wir wären verloren!«

»Es ist nicht Frankreich allein,« sagte der Pater Bekx »welches Preußen gegenübertreten würde, – Österreich, – trotz des verderblichen Geistes, welcher unter diesem protestantischen Reichskanzler auch dort eingedrungen ist, würde die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen können, auch seinerseits seine alte historische Stellung wiederzuerobern. In Deutschland selbst würden die nicht vernarbten Wunden von 1866 wieder aufbrechen. Und«, fügte er hinzu, »auch am Hofe des Königs Viktor Emanuel ist die größte Neigung vorhanden, in ein Bündnis gegen Preußen einzutreten.«

Der Kardinal nickte bestätigend mit dem Kopf.

»Einer solchen Koalition gegenüber«, fuhr der Pater fort, »kann dies halbfertige Deutsche Reich nicht widerstehen, 344 und neben dem ephemeren Erfolg von 1866 wird es jetzt gelingen müssen, den verwegenen Stolz der preußischen Macht zu brechen und die maßgebende Obergewalt der katholischen Mächte in Europa wiederherzustellen. Wenn dies geschehen ist, und wenn dann zugleich die Unfehlbarkeitsautorität des päpstlichen Worts die Bischöfe und die katholische Welt beherrscht und leitet, – dann, Eminenz, wird der endliche Sieg unserer Sache erfochten sein, dann wird Rom von neuem unbestritten auch das neunzehnte Jahrhundert beherrschen, wie es die zwei Jahrtausende zuvor beherrscht hat.«

»Ein schöner, ein herrlicher Blick in die Zukunft«, sagte der Kardinal. »Aber wann,« fügte er dann seufzend hinzu, »wann?«

»Wann?« rief der Pater Bekx, indem seine trockenen, kalten Gesichtszüge sich feurig belebten und seine klaren, ruhigen Augen leuchtend aufblitzten, »wenn alle diejenigen, welche berufen sind, an dem Regiment der Kirche teilzunehmen, wenn alle diese sich erfüllen und durchdringen mit dem unerschütterlich festen Glauben, der die Berge versetzt und den Fuß sicher auf des Meeres bewegte Wellen setzen läßt, wenn diese alle sich durchdringen mit der hohen Begeisterung und dem Kampfesmut der heiligen Märtyrer, und wenn sie zugleich die Waffen des Geistes und der Klugheit, welche der Heilige Geist ihrem Gebet nicht versagen wird, zu führen verstehen, dann ist der Sieg sicher und gewiß. Das Schwert der Gewalt wird zusammenbrechen vor diesem heiligen Zeichen,« fügte er hinzu, indem er das goldene Kreuz an seinem Halse mit dem Finger berührte, »in hoc signo vincemusad majorem Dei gloriam!«

Der Kardinal ließ den Kopf auf die Brust sinken.

»Wenn Sie, ehrwürdiger Bruder,« sagte er, »von dieser gläubigen Siegeszuversicht durchdrungen sind, so müssen wir alle mit frohem Mut in den Kampf gehen, denn Sie gebieten über die große Armee der streitenden Kirche, und diese Armee, welche zurückgedrängt, aber noch nicht geschlagen worden ist –«

»Welche aber«, sagte der Pater Bekx ernst und mit scharfer Betonung, »schon verleugnet und verlassen worden 345 ist, verlassen von demjenigen, welcher die Kirche auf Erden zu vertreten hat, für dessen Herrschaft sie in allen Zonen der Erde streitet, – und daß Ähnliches nicht abermals geschehe, das ist die erste und wichtigste Bedingung des Sieges. Es muß alles geschehen, Eminenz,« fuhr er fort, »daß das Feuer glaubensvoller Begeisterung in dem Herzen des Heiligen Vaters nicht erlösche, daß Kleinmut und weltliche Rücksichten nicht in ihm mächtig werden, daß er den großen Kampf aufnimmt und durchführt mit der Zuversicht, welche dem Stellvertreter des göttlichen Siegers über die Welt gebührt, aber auch mit der Begeisterung und Selbstverleugnung der Märtyrer, welche wissen, daß ihre Krone nicht von dieser Welt ist. Und diese heilige Begeisterung im Herzen des Papstes zu nähren, zu stärken und zu erhalten, das ist die heilige Pflicht aller derer, welche dem erhabenen Lenker und Regenten unserer Kirche nahe stehen. Jeder von diesen trägt seine Verantwortung an dem Ausgang des großen Kampfes, um so höhere Verantwortung, je höher seine Stellung ist.«

Der Sekretär des Kardinals trat ein und überreichte demselben einen Brief mit artiger Neigung des Hauptes gegen den Pater Bekx.

Der Kardinal öffnete die Enveloppe und durchflog den Inhalt. Sein Gesicht wurde bleich, starr blickte sein Auge auf den Pater.

»Entsetzlich!« rief er, »welch ein furchtbarer, verbrecherischer Plan! Und welch eine Fügung der göttlichen Gnade, daß derselbe entdeckt ist und vereitelt werden kann!«

Er reichte den Brief dem Pater, welcher denselben durchflog und dann strahlenden Blickes ausrief:

»Ja, es ist eine Fügung Gottes, daß die verbrecherische Bosheit der Feinde der Kirche sich so klar und deutlich enthüllt. Wenn in der Seele des Heiligen Vaters ein Zweifel sich regen sollte, wenn der Kleinmut ihm nahetreten möchte, – so ist das eine Mahnung zum mutigen Beharren auf der Bahn des Kampfes, welche die Bahn des Sieges sein wird.«

Er stand auf.

»Ich verlasse Eure Eminenz, um nach dem Vatikan zu gehen.«

346 Er verneigte sich ehrerbietig vor dem Kardinal und verließ festen und sicheren Schrittes und hochgehobenen Hauptes das Kabinet.

 


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