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23. Kapitel.

Es mochte ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als ein Capitain de cavalerie – Rittmeister – in Begleitung von Bewaffneten erschien. Der Sergeantmajor befand sich als Führer bei ihm; die anderen aber waren von dem General als Zeugen zurückbehalten worden.

Während seine Begleitung sich einige Schritte zurück aufstellte, trat der Rittmeister direkt zu Kurt, der sich, wißbegierig, was der Mann von ihm wolle, aus dem Gras erhob. Der Offizier betrachtete sich den Deutschen einige Augenblicke lang stillschweigend und fragte dann:

»Monsieur, es scheint, Sie sind kein Einwohner dieser Stadt?« – »Allerdings«, antwortete Kurt in höflichem Ton. – »Sie befinden sich auf Reisen?« – »Ja.« – »Woher kommen Sie?« – Jetzt zunächst aus der Hauptstadt.« – »Und vorher, also überhaupt?« – »Aus Deutschland.«

Der Offizier kniff die Augen zusammen und meinte gedehnt:

»Aus Deutschland? Ah! Sie meinen wohl Österreich?« – »Nein, sondern Preußen.« – »Preußen? Hm! Glauben Sie, daß dies hier gut für Sie sein wird?«

Kurt warf dem Mann einen erstaunten Blick zu und antwortete:

»Gestatten Sie, Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Frage nicht begreife und auch nicht verstehe!«

Der Rittmeister warf den Arm in einer Weise in die Luft, daß damit gerade das Gegenteil von Vertrauen und Achtung ausgedrückt wurde, und sagte dann:

»Sie werden das wohl bald verstehen und begreifen. Für jetzt aber muß ich Sie bitten, mir zu sagen, wohin Ihre Reise gerichtet ist.« – »Zunächst nach Santa Jaga.« – »Zunächst also? Und dann?« – »Nach der Hacienda del Erina.« – »Ah, ich erinnere mich dieses Namens. Dies ist dieselbe Hazienda, die sich so ausgezeichnet als Etappenstation eignet?« – »Ich weiß das nicht, denn ich bin noch niemals dort gewesen.« – »Welchen Zweck verfolgen Sie bei dieser Reise?« – »Er ist rein privater Natur.« – »Darf ich fragen, welcher Art diese Natur ist?« – »Ich gedenke, Verwandte oder Freunde dort zu treffen oder wenigstens etwas über sie zu vernehmen.« – »Einen anderen Zweck verfolgen Sie nicht?« – »Nein.« – »Diese Personen, die ich hier bei Ihnen sehe, werden Sie begleiten?« – »Ja.« – »Es sind Diener von Ihnen?« – »Dieser Ausdruck wird nicht ganz bezeichnend sein.« – »Also Freunde?« – »Ich möchte sie allerdings beinahe so nennen.« – »Ah! Hm! Freunde! Ist nicht einer dabei, der Geierschnabel heißt?« – »Ja.« – »So möchte ich Sie ersuchen, mir zum kommandierenden General zu folgen.«

Kurt blickte befremdet auf.

»Was hat dies zu bedeuten?« fragte er. – »Ich bin nicht befugt, mich darüber zu äußern.« – »Soll ich Ihnen etwa in der Eigenschaft eines Arrestanten folgen?« – »Ich möchte mich dieses Ausdrucks allerdings nicht bedienen. Der General sandte mich, Sie und Ihre Begleiter zu ihm zu holen.« – »Augenblicklich?« – »Ja.« – »Und wenn ich mich weigere?« – »Ich will nicht befürchten, daß Sie dies tun werden.« – »Und wenn ich es dennoch tue?« – »Ich muß Sie bringen. Folgen Sie mir nicht freiwillig, so werde ich allerdings zur Anwendung von Gewalt gezwungen sein.« – »Also bin ich doch arretiert!« – »Es steht Ihnen frei, es zu nennen, wie es Ihnen beliebt, nur ersuche ich Sie dringend, von allem Widerstand abzusehen. Blicken Sie sich gefälligst um. Das ganze Feld wimmelt von unseren Soldaten. Es ist ganz unmöglich zu entkommen.«

Kurt warf einen schnellen Blick umher. Seine Begleiter hatten sich auch vom Boden erhoben. Sie standen neben den Pferden, den Zügel in der Linken und die Rechte im Sattel, also bereit, aufzuspringen und davonzujagen.

Kurt aber schüttelte verächtlich den Kopf und sagte mit Nachdruck:

»Nicht entkommen? Monsieur, wenn es eine Wette gälte, so wollte ich sicher sein zu gewinnen. Läge es in meiner Absicht, zu fliehen, so würde niemand imstande sein, uns aufzuhalten. Aber ich habe ein reines Gewissen, ich bin mir nicht bewußt, etwas Unrechtes getan zu haben, und so verzichte ich auf jeden Entweichungsversuch. Wir stehen zu Diensten, Herr Rittmeister!« – »Gut! Folgen Sie mir!«

Der Offizier war mit seinen Begleitern zu Fuß gekommen.

»Dürfen wir aufsteigen?« fragte Kurt unter einem leisen Lächeln. – »Nein!« antwortete der Gefragte schnell. Sie nahmen also ihre Pferde am Zügel und folgten, bewacht von den Soldaten, dem Rittmeister.

»Verdammt! Was werden wir sollen?« flüsterte Geierschnabel dem Jäger Grandeprise zu, indem er sein Primchen ausspuckte und ein neues von riesigen Dimensionen in den Mund schob. – »Wer weiß es!« antwortete der Gefragte. »Vielleicht hat man uns gar in dem Verdacht, Spione zu sein!« – »Das wäre ja eine ganz verteufelte Christbescherung! Ich hörte, daß der Kerl meinen Namen nannte.« – »Ich hörte es auch.« – »Was geht dem General mein Name an?« – »Wir werden es jedenfalls sehr bald erfahren.« – »Nun, da genießen wir wenigstens das große Glück, mit einem französischen General reden zu können. Hol ihn der Teufel!«

Der Weg führte sie durch zahlreiche Militärgruppen nach der Stadt zurück bis vor das Gebäude, in dem der Kommandierende sein Quartier aufgeschlagen hatte. Sie wurden sofort zu ihm geführt. Es befanden sich mehrere Offiziere bei ihm, die die Eintretenden mit finster forschenden Blicken musterten. Der Rittmeister blieb mit seinen Leuten an der Tür stehen, um die Arrestanten genau im Auge zu behalten.

Der General wandte sich zunächst an Geierschnabel, dessen ungewöhnliche Physiognomie er einige Augenblicke mit sichtlicher Belustigung musterte. Dann fragte er:

»Ihr Name?«

Geierschnabel nickte ihm außerordentlich freundlich zu und antwortete:

»Ja, mein Name!«

Der General machte eine Miene des Erstaunens und wiederholte:

»Ihr Name?«

Sein Ton war jetzt bedeutend strenger als vorher, aber der Jäger schien dies gar nicht zu bemerken. Er schmunzelte den General abermals höchst vertraulich an und antwortete kopfnickend:

»Freilich, freilich! Mein Name!« – »Mann, was fällt Ihnen ein. Ihren Namen will ich wissen!« rief der Offizier erzürnt. – »Ah! Wissen wollten Sie ihn? Ja, das konnte ich doch nicht erraten. Sie sagen: ›Ihr Name!‹ Ich habe gedacht, er gefällt Ihnen so ausnehmend. Nun erfahre ich aber, daß Sie ihn noch gar nicht wissen.« – »Sind Sie des Teufels? Es versteht sich doch ganz von selbst, daß ich wissen will, wie Sie heißen!« – »Ganz von selbst? O nein! Wenn jemand zu mir sagt: ›Hochgeehrtester Señor, wollen Sie die Gewogenheit haben, mir zu sagen, wie Ihr geehrtester Name lautet?‹, so weiß ich, was er will; aber wenn einer bloß sagt: ›Ihr Name!‹, so kann ich nur vermuten, daß er in Beziehung meines Namens irgendeine Absicht verfolgt; welche, das weiß der Teufel!«

Der General wußte nicht, was er denken sollte. Hatte er hier einen äußerst frechen oder geistig beschränkten Menschen vor sich? Er hielt noch an sich und sagte:

»Nun, also jetzt wissen Sie, daß ich Ihren Namen hören will.« – »Den richtigen oder den anderen?« – »Den richtigen.« – »Den richtigen? Hm! Das wird schwer halten!« meinte Geierschnabel höchst nachdenklich.

Der General runzelte die Stirn.

»Wieso?« fragte sie. »Sie haben wohl Ursache, sich des richtigen gar nicht zu bedienen? Sie tragen falsche Namen? Das ist sehr verdächtig!« – »Schwerlich!« antwortete Geierschnabel leichthin. »Aber man hat mich so lange Zeit nicht bei meinem richtigen Namen genannt, daß ich ihn fast ganz vergessen habe.« – »Nun, so besinnen Sie sich! Wie lautet er?« – »Hm! Ich glaube, ich heiße William Saunders.« – »Woher?« – »Woher ich so heiße?« – »Nein, sondern woher Sie sind!« fuhr ihn der General an. – »Aus den Vereinigten Staaten.« – »Und wie heißt der andere Name?« – »Geierschnabel.« – »Ah! Ein nom de guerre, wie ihn die Verbrecher untereinander zu führen pflegen. Wer hat Sie so genannt?« – »Meine Kameraden.« – »Ich dachte es mir! Diese Kameraden waren wohl Bewohner der hintersten Quartiere?« – »Der hintersten Quartiere?« fragte Geierschnabel erstaunt. »Diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört. Was hat er zu bedeuten?« – »Ich meine, daß es Menschen waren, die das Licht des Tages zu scheuen hatten.« – »Ah! Sie meinen wohl Spitzbuben und Konsorten?« – »Ja«, nickte der General. – »Pfui Teufel! Pchtichchchch!«

Dabei spuckte er so nahe am Kopf des Offiziers vorüber, daß dieser erschrocken zur Seite sprang und mehr erstaunt als zornig ausrief:

»Mensch, was fällt Ihnen ein! Wissen Sie, vor wem Sie stehen?« – »Ja«, nickte Geierschnabel ganz gemütlich. – »So betragen Sie sich auch danach. Also wer waren Ihre Komplizen?« – »Komplizen? Ich will geteert und gefedert werden, wenn ich dieses Wort verstehe! Meinen Sie etwa meine Kameraden?« – »Ja.« – »Die mir den Namen gegeben haben?« – »Ja.« – »Nun, das waren wackere Jungen, tüchtige Kerle, denen es ganz egal war, ob sie mit einem General sprachen. Jäger waren es, Trapper, Squatter und Indianer. Sie müssen nämlich wissen, daß es in der Savanne fast keinen Jäger gibt, der nicht einen Beinamen hat. Der eine erhält ihn infolge irgendeines Vorzuges, der andere infolge eines Fehlers. Mein größter Vorzug ist nun meine Nase. Ist es da zu verwundern, daß mich die verteufelten Kerle Geiernase oder Geierschnabel genannt haben?«

Der General wußte noch immer nicht, wie er diesen eigentümlichen Menschen zu taxieren habe. Er ging zur Hauptsache über, indem er fragte:

»Also ein Präriejäger sind Sie?« – »Ja.« – »Haben Sie sich stets bloß mit der Jagd beschäftigt?« – »Nicht ganz allein.« – »Womit noch?« – »Ich habe nebenbei auch noch gegessen, getrunken, geschlafen, die Hosen ausgebessert, Tabak gekaut und verschiedenes andere mehr.« – »Mille tonnerres! Wollen Sie sich etwa einen Spaß mit mir machen?« – »Nein.« – »Das will ich Ihnen auch geraten haben. Kennen Sie Juarez?« – »Ja. Sehr gut sogar.« – »Persönlich?« – »Natürlich!« – »Haben Sie unter ihm gefochten?« – »Nein, sondern geschossen.« – »Das ist gleich. Sie haben uns gegenübergestanden?« – »Den Franzosen? Ja. Ich Ihnen und Sie mir.« – »Sie haben Franzosen getötet?« – »Das ist möglich. Während des Gefechts kann man nicht hinter jeder Kugel herlaufen, um zu sehen, ob sie trifft.« – »Waren Sie im Gefecht von Cena Sonores?« – »Ja.« – »Kennen Sie diese Männer?«

Der General zeigte auf drei Soldaten, die als Zeugen warteten. Geierschnabel sah sie an und antwortete:

»Ja, die kenne ich.« – »Woher?« – »Ich habe sie vorhin auf dem Feld draußen gesehen.« – »Vorher nicht?« – »Kann mich nicht besinnen! Ist mir auch ganz egal.« – »Diese drei Männer haben Sie bei Cena Sonores gesehen.« – »Das ist möglich.« – »Sie behaupten, daß Ihre Kugeln sehr gut getroffen haben!« – »So? Das freut mich. Für einen alten Jäger ist es verdammt ärgerlich, zu erfahren, daß er nur ins Blaue geschossen hat.« – »Scherzen Sie nicht«, rief der General in erstem Ton. »Es handelt sich hier um Leben und Tod!«

Geierschnabel machte ein erstauntes Gesicht und fragte:

»Um Leben und Tod? Wieso denn?« – »Sehen Sie das nicht selbst ein?« – »Nein.« – »Dann sind Sie wegen Ihres mangelhaften Fassungsvermögens zu bedauern. Sie sind überführt, Franzosen erschossen zu haben.« – »Ich hoffe es!« – »Sie sind also Mörder.« – »Mörder?« fragte Geierschnabel rasch. – »Ja. Und mit Mördern pflegt man kurzen Prozeß zu machen.« – »Ja, man gibt ihnen eine Kugel oder den Strick«, nickte Geierschnabel. »Aber wer will mir nachweisen, daß ich ein Mörder bin?« – »Es ist bereits nachgewiesen.« – »Oho! Ich bin Kombattant, aber kein Mörder. Jetzt geht mir ein Licht auf. Diese drei Kerle haben mich im Gefecht gesehen, hier wiedererkannt und angezeigt.« – »So ist es. Ein kaiserliches Dekret befiehlt, jeden Empörer zu erschießen.« – »Empörer? Pchtichch!«

Er spuckte gerade an dem General vorüber nach dem Tisch, wo der braune Saft ein brennendes Wachslicht auslöschte.

»Ich, ein Empörer?« wiederholte er. »Herr General, wollen Sie die Güte haben, dieses Schriftstück zu lesen?«

Er zog einige Dokumente aus der Tasche und reichte eins davon dem Offizier. Dieser las es und sagte dann:

»Ah! Sie wären also Dragonerkapitän der Vereinigten Staaten?« – »Ja. Das kann man nämlich werden, trotzdem man eine lange Nase hat.«

Der General tat, als habe er diese letztere Bemerkung gar nicht vernommen und sagte:

»Das kann Sie doch nicht retten. Sie haben sich einer mexikanischen Bande beigesellt.« – »Ist das Heer des Juarez eine Bande? Hier! Ich bitte, auch dieses zu lesen!«

Er gab ein zweites Schriftstück hin, und der General nahm Einsicht davon, meinte aber achselzuckend:

»Ihr von Juarez ausgefertigtes Patent als Kapitän der freiwilligen Jäger.« – »Ja freilich. Ich traf mit Juarez zusammen; er konnte mich brauchen, und da sein Weg zufälligerweise auch der meinige war, schloß ich mich ihm an und erhielt den Befehl über eine Jägerkompagnie.« – »Sie sind also Deserteur?« – »Wer sagt das?« – »Ich! Sie haben unter Juarez gefochten, trotzdem Sie Offizier der Vereinigten Staaten sind.« – »Das nennen Sie Deserteur? Selbst wenn ich desertiere, ist dies nur Sache des Präsidenten, aber nicht eines Franzosen. Ich habe unbestimmten Urlaub und vom Präsidenten die Erlaubnis, unter Juarez zu fechten. Ich bin weder Deserteur noch Mörder.« – »Befleißigen Sie sich eines anderen Tones! Selbst wenn ich das Bisherige fallenlasse, so bleibt doch der Umstand, daß Sie als Kombattant des Juarez hier mitten in unserem Lager betroffen wurden. Sie werden wissen, was das zu bedeuten hat.« – »Kriegsgefangenschaft etwa?« – »O nein! Etwas viel Schlimmeres. Sie haben sich hier eingeschlichen. Sie sind ein Spion!« – »Oho!« rief da Geierschnabel. »Ich bin nicht mehr Kombattant. Hier ist der Beweis!«

Er gab ein drittes Papier hin.

»Das ist allerdings die Zufertigung Ihres Abschiedes von Seiten des Juarez«, sagte der General, als er es gelesen hatte; »aber das kann nichts ändern. Sie sind im Lager betroffen worden, Sie sind ein Spion!« – »So muß ein jeder Fremde, der zufälligerweise an einen Ort kommt, wo sich französische Truppen befinden, ein Spion sein!« – »Ihr Argument ist kein geistreiches. Ich habe übrigens weder Zeit noch Lust, mich mit Ihnen weiter zu unterhalten. Das bereits angezogene kaiserliche Dekret sagt, daß ein jeder, der den Truppen des Kaisers gegenübersteht, nämlich mit den Waffen in der Hand, ein Rebell und ein Räuber ist und als solcher behandelt, das heißt, erschossen werden soll. Ihr Urteil ist gesprochen.«

Da richtete sich die Gestalt des Jägers stolz in die Höhe. »General«, sagte er. »Sie sind Untertan des Kaisers von Frankreich, der den Erzherzog Max von Österreich als Kaiser von Mexiko anerkennt; für Sie mag also das, was Max oder Napoleon dekretieren, Geltung haben. Ich aber bin Untertan der Vereinigten Staaten, deren Präsident einen Kaiser von Mexiko nie anerkannt hat; was also der Erzherzog von Österreich dekretiert, ist meinem Präsidenten und auch mir ganz egal.« – »Es wird sich zeigen, daß es Ihnen nicht ganz und gar egal zu sein braucht. Sie befinden sich innerhalb unseres Machtbereiches und werden nach den Gesetzen behandelt, die hier Geltung haben.« – »Man versuche es! Ich protestiere gegen jede Gewalt. Mein Präsident wird sich und mir Genugtuung zu verschaffen wissen.« – »Pah! Der Präsident von Krämern«, rief der General verächtlich. – »Pchtichchchchch!« spie Geierschnabel einen Strahl aus, der über das ganze Zimmer hinüber und gegen die Wand spritzte. »Krämer?« rief er. »General, sagen Sie mir doch, weshalb die Franzosen jetzt aus Mexiko gehen? Dieser Präsident der Krämer hat Napoleon mitgeteilt, daß er keinen Franzosen mehr in Mexiko dulde, und Ihr großer Kaiser läßt Sie abmarschieren. Diese Krämer müssen also doch Kerle sein, die nicht auf den Kopf gefallen sind und die man in Paris zu respektieren gezwungen ist.«

So hatte noch niemand gewagt, mit dem General zu sprechen. Auf seine Büchse gestützt, stand Geierschnabel in stolzer, selbstbewußter Haltung da, als ob er der Kommandierende, der General aber der Arretierte sei. Dieser letztere hätte den mutigen Jäger am liebsten sofort erschießen lassen, aber er kannte gar wohl die Macht der von diesem vorgebrachten Argumente. Er befleißigte sich daher eines hochstolzen, eisigen Tones und sagte:

»Ich habe mich herabgelassen, Ihren Fall direkt zu untersuchen. Sie haben nun zu schweigen und das Weitere zu gewärtigen.« – »Bin neugierig darauf, meinte Geierschnabel.

Der General wandte sich zu Grandeprise:

»Wie heißen Sie?« – »Grandeprise.« – »Woher?« – »Aus New Orleans.« – »Also auch Untertan der Vereinigten Staaten?« – »Ja, ursprünglich, dann nicht mehr, jetzt aber wieder.« – »Wie habe ich das zu verstehen?« – »Ich bin Jäger und wohnte am texanischen Ufer des Rio Grande.« – »Kämpften Sie unter Juarez?« – »Nein.« – »Was tun Sie hier?« – »Ich bin von dem Herrn Leutnant Helmers engagiert.« – »Und Sie?« fragte der Franzose den Seemann Peters. – »Ich bin Matrose, heiße Peters und habe einen Privatauftrag in Mexiko auszurichten. Hier meine Legitimation.«

Das war eine ebenso kurze wie exakte Auskunft. Der General las die Legitimation und fragte:

»Aber Sie sind wohl auch von diesem Herrn engagiert?« – »Ja.« – »Trotz Ihres privaten Auftrages?« – »Ja. Unsere privaten Absichten sind zufälligerweise ganz dieselben.« – »So werde ich wohl hier darüber Aufklärung erlangen.« Bei diesen Worten wandte er sich Kurt zu. Dieser hatte bisher ganz ruhig dagestanden und gar nicht getan, als ob das Gesprochene ihn berühre. Jetzt wurde er gefragt: »Sie heißen?« – »Hier meine Legitimation!« sagte Kurt mit scharfer Kürze.

Er gab seine Dokumente ab. Der General las, behielt sie in der Hand und betrachtete den jungen Mann eine Weile mit neugierigen Blicken. Dann fragte er:

»Sie heißen also Kurt Helmers?« – »Ja.« – »Sind Oberleutnant der Gardehusaren in Berlin?« – »Ja.« – »Kommandiert zum Stab des jetzt so berühmten Moltke?«

Bei dieser letzten Frage zuckte ein höhnisches Lächeln um seinen Mund. Kurt antwortete in aller Ruhe:

»Warum diese Frage, General? Sie haben meine Legitimation gelesen; meine Personalien sind Ihnen also bekannt. Eine jede Wiederholung ist unnötig.« – »Ah, Sie sprechen ja höchst peremptorisch«, lachte der General. »Dieser Ton scheint den Herren Preußen zur zweiten Natur geworden zu sein; bei mir aber verfängt er nicht. Ich spreche meine Fragen aus, weil ich Ihren Dokumenten nicht gut glauben kann. Ein Offizier, wie Sie sein wollen, und – Spion.«

Kurts Wangen färbten sich, aber er behielt seine Ruhe doch noch bei.

»General«, sagte er, »Sie sprachen da ein Wort aus, das Ihnen nur die Wahl läßt, mir entweder zu beweisen, daß Sie recht haben, oder mir Genugtuung zu geben.« – »Ah, nicht so stolz, mein junger Leutnant. Sagen Sie mir doch gefälligst, woher Sie jetzt kommen?« – »Aus Mexiko.« – »Haben Sie dort Deutsche besucht?« – »Ja.« – »Wen?« – »Den Geschäftsträger Preußens.« – »Ah! Wohl gar in amtlicher Eigenschaft?« – »Nein.« – »Wie sonst?« – »Privatim, natürlich.« – »Und wohin wollten Sie von hier aus?« – »Nach Santa Jaga und der Hacienda del Erina.« – »Sacre! Nach dieser berühmten oder vielmehr berüchtigten Hazienda. Wissen Sie vielleicht, daß sie sich jetzt in den Händen des Juarez befindet?« – »Ja.« – »Das genügt. Sie kommen aus der Hauptstadt und wollen zu Juarez.« – »Ich komme aus der Hauptstadt und will in privater Angelegenheit nach Santa Jaga«, antwortete Kurt. »Später gehe ich wohl nach der Hazienda. Wer aber hat gesagt, daß ich zu Juarez will?« – »Das steht zu erwarten.« – »Vermutung also! Ich hoffe nicht, daß eine bloße und noch dazu unbegründete Vermutung hinreichend ist, einen Offizier und Ehrenmann zu beleidigen und ihn in Arrest zu nehmen.« – »Ich werde Beweise finden«, sagte der General. »Man suche die Leute aus.« – »Ich protestiere gegen seine solche Behandlung«, rief Kurt empört. – »Ihr Protest gilt nichts. Ich habe befohlen, und man wird gehorchen.«

Die Mantelsäcke der vier Reisenden wurden geholt, und sodann durchsuchte man sogar die Taschen der letzteren. So sehr Kurt gegen eine solche Behandlung protestierte, es half ihm nichts.

»Selbst wenn Sie kein Spion sind«, sagte der General, »und selbst wenn ich diesen Geierschnabel begnadigen wollte, müßte ich Sie in Gewahrsam halten.« – »Warum?« fragte Kurt. – »Meinen Sie, daß ich Sie zu Juarez gehen lasse, damit er erfahre, was bei uns vorgeht? Rittmeister, weisen Sie diesen vier Männern ihr Logis an. Das übrige wird sich finden.«

Es folgte nun eine sehr heftige Szene. Die vier Reisenden mußten alles von sich legen, was nicht ganz und gar unentbehrlich war, und dann wurden sie in einen Raum eingeschlossen, aus dem kein Entrinnen möglich war. Der französische General hatte sich viel sagen lassen müssen, ohne sich direkt zu revanchieren; aber jetzt begann dafür seine Rache.

Am anderen Tag wurde Kurt mit seinen Begleitern mitgeschleppt. Er hoffte auf rasche Erledigung dieser Angelegenheit – umsonst. Er meldete sich; er verlangte eine Untersuchung – kein Mensch hörte ihn. Er wurde weitergeschleppt, bis er sich wieder in Verakruz befand. Erst als der letzte französische Soldat auf dem letzten französischen Schiff den Hafen verlassen hatte, sahen die vier ihre Freiheit wieder und erhielten das zurück, was ihnen konfisziert worden war.

Man kann sich denken, welcher Grimm sich der vier Männer bemächtigt hatte. Sie beschlossen zwar, sich sofort an die Vertreter ihrer Regierungen zu wenden, aber was sie verloren hatten, das blieb doch unwiderbringlich – die kostbare Zeit, die nicht zurückzurufen war.

Sie sagten sich mit wirklicher Wut im Herzen, daß Cortejo und Landola ihnen entgangen seien. Was konnte seit jenem Tag alles vorgekommen und geschehen sein! Sie tauschten ihre abgematteten Pferde gegen bessere um und flogen nach der Gegend zurück, die zu verlassen man sie so schmählich gezwungen hatte.


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