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14. Kapitel.

Unterdessen war der Jäger Grandeprise um das Gebäude herumgegangen, um die Mauern zu untersuchen. Er sah zu seinem Mißvergnügen, daß von hier aus an eine Befreiung nicht zu denken sei. Da bemerkte er, daß ein Fenster, das mit außerordentlich starken Eisengittern verwahrt war, erleuchtet wurde.

»Ah«, brummte er, »das ist die Zelle, in die man sie steckt. Jetzt weiß ich wenigstens das. Oder steckt man den einen von ihnen noch anderswohin?«

Er wartete noch eine ganze Weile, um zu sehen, ob noch ein zweites Fenster erleuchtet werde. Als dies nicht der Fall war, murmelte er:

»Gut, sie scheinen beisammen zu sein. Jetzt gilt es, zu wissen, wann diejenigen, die sie fingen, sich wieder entfernen.«

Er begab sich wieder nach dem Eingang zurück, wo er sich auf die Lauer legte. Es dauerte nicht lange, so öffnete sich das Tor, und vier Personen traten heraus, um sich zu entfernen.

»Sie sind es. Sie sind fort. Was nun tun und anfangen?« flüsterte er. »Es muß schnell gehandelt werden. Morgen ist es vielleicht zu spät.«

Er schritt nachdenklich die Straße entlang. Plan auf Plan durchkreuzte seinen Kopf, aber keiner erwies sich als ausführbar. Da hörte er klirrende Schritte hinter sich. Ein französischer Offizier, der so spät noch aus einer Tertullia oder Unterhaltung kam, schritt an ihm vorüber.

»Alle Teufel, welch ein Gedanke! Das wäre etwas!« brummte er. »Dieser Mensch schien so ziemlich meine Statur zu besitzen. Allons, nicht lange überlegt, sonst geht die Gelegenheit vorüber!«

Grandeprise, als Präriejäger schnell im Entschluß und in der Ausführung, eilte dem Offizier nach.

»Monsieur, Monsieur!« rief er halblaut. – »Was ist's?« fragte der Mann stehenbleibend. – »Sind Sie vielleicht der Kapitän Mangard de Vautier?«

Grandeprise hatte diese Frage ausgesprochen, um nahe an den Offizier heranzukommen. Dieser antwortete:

»Nein. Ich kenne keinen Kapitän oder Offizier dieses Namens.« – »Nun, ich auch nicht«, meinte der Jäger lachend.

Während dieser Worte faßte er den Offizier mit der Linken bei der Gurgel, die er fest zusammenpreßte, und versetzte ihm mit der Rechten einen Hieb an die Schläfe, jenen Savannenhieb, unter dem der Getroffene stets sofort besinnungslos zusammenstürzt.

»So, da liegt er! Nun aber fort von hier nach einem sicheren Ort.«

Bei diesen für sich hingeflüsterten Worten hob Grandeprise den Offizier auf, warf ihn sich über die Achsel und trug ihn nach einem einsam gelegenen Mauerwinkel, wo er ihn seiner Uniform entkleidete, ihn mit Taschentüchern fesselte und knebelte, um dann die Uniform mit seinem eigenen Anzug zu vertauschen.

»So«, meinte er. »Jetzt bin ich fertig. Jetzt beginnt erst das Wagnis. Gelingt es nicht, so geht es mir traurig.«

Grandeprise steckte seine Waffen zu sich und begab sich, nun seinerseits sporenklirrend, nach dem Gefängnis, an dessen Tür er schellte.

»Wer da?« fragte der innenstehende Posten. – »Ordonnanz des Gouverneurs! Öffnen!« antwortete er.

Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Grandeprise wurde eingelassen. Der Posten trat nahe an ihn heran, und als er beim Schein einer trübe brennenden Laterne die Uniform erkannte, salutierte er vorschriftsmäßig.

»Ist der Inspektor des Gefängnisses noch wach?« fragte der Jäger. – »Nein, Herr Kapitän«, antwortete der Posten. »Er wurde aus dem Schlaf geweckt, als man vor kurzer Zeit zwei Gefangene brachte, ist aber wieder zur Ruhe gegangen.« – »Wer ist an seiner Stelle?« – »Ein Schließer.« – »Parterre?« – »Ja. Jede Fronte hat außerdem ihren Posten.« – »Gut.«

Grandeprise schritt über den Hof hinüber und läutete an der Tür des eigentlichen Gefangenenhauses. Der Schließer öffnete. Grandeprise wußte, daß zur gegenwärtigen Zeit die Franzosen die eigentlichen Meister des Landes waren, deren Wille in vielen Fällen und Beziehungen einen geradezu knechtischen Gehorsam fand. Er gab sich daher die Miene und das Äußere eines Mannes, der nicht im geringsten geneigt ist, mit sich sprechen und handeln zu lassen, und sagte:

»Ist der Inspektor wach?« – »Nein. Soll ich ihn wecken?« fragte der Schließer. – »Nein, ist nicht nötig. Wieviel Mann in der Wachstube?« – »Acht.« – »Bin Ordonnanz des Gouverneurs. Können zwei Mann zum Transport eines Gefangenen für kurze Zeit entbehrt werden?« – »Ja.« – »Schnell holen. Habe nicht viel Zeit.«

Während der Schließer sich entfernte, um diesem kurz und streng gegebenen Befehl Gehorsam zu leisten, betrachtete der kühne, waghalsige Jäger sich den Raum, in dem er sich befand.

Da gab es eine Tafel, auf der die Nummern sämtlicher Insassen des Gefängnisses verzeichnet waren. Dabei las er: Nummer 32 angeblich Advokat Antonio Veridante nebst Sekretario. Er wußte also die Nummer, in der die Gesuchten zu finden seien. Auf einer Schreibtafel lagen verschiedene Formulare, unter denen er auch Quittungsscheine für Entgegennahme von Gefangenen fand. Auch das kam ihm zustatten. Er nahm eiligst eine Feder zur Hand, füllte einen dieser Scheine aus und setzte den ihm bekannten Namen des Gouverneurs darunter, ganz aufs Geratewohl und ohne die Handschrift dieses hohen Beamten zu kennen. Er trocknete die Schrift, faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Tasche. Er war kaum damit fertig, so kam der Schließer mit zwei Mann Soldaten zurück, die scharfgeladene Gewehre trugen.

»Hier, mein Kapitän, sind die Leute«, meldete er. – »Gut. Ist ein Hauptschlüssel vorhanden?« – »Ja. Ich trage ihn bei mir.« – »Er schließt alle Zellen?« – »Alle.« – »Mir folgen! Vorwärts!«

Da Grandeprise von außen das erleuchtete Fenster gesehen hatte, so wußte er, daß die betreffende Zelle im ersten Stockwerk lag. Er stieg also, vom Schließer und den Soldaten gefolgt, die Treppe empor und schritt dann oben den Korridor hinab, bis er vor Nummer 32 stand.

»Öffnen!« befahl er.

Der Schließer gehorchte ohne Widerrede. Der vor der Tür stehende Posten trat zurück, und die Tür ging auf. Bei dem Schein der Laterne, die der Schließer trug, erkannten die beiden Gefangenen einen französischen Offizier, der eintrat.

»Sie sind der Advokat Antonio Veridante?« fragte Grandeprise Cortejo. – »Ja«, antwortete dieser. – »Und dieser Mann ist Ihr Sekretär?« – »Ja.« – »Zeigen Sie her!«

Diese letzten Worte waren an den Schließer gerichtet, dem Grandeprise die Laterne aus der Hand nahm. Er tat so, als ob er den beiden Gefangenen in das Gesicht leuchten wolle, hielt aber die Laterne so, daß sie auch das seinige erkennen konnten. Sie wußten sofort, woran sie waren, obgleich ihnen dieses Wagnis als ein geradezu unerhörtes und unbegreifliches erschien, während Grandeprise doch nur mit der blitzschnellen Energie des Präriemannes einem augenblicklichen Impuls gefolgt war.

»Ja, sie sind es«, sagte er. »Der Gouverneur wurde mit der Nachricht von ihrer Festnahme geweckt. Er will sie augenblicklich sehen, da er weiß, daß sie verdächtig sind, mit Juarez verkehrt zu haben. Sie haben mir zu folgen!«

Und sich an den Schließer wendend, zog er die Quittung hervor und sagte in einem Ton, der keine Entgegnung zuließ:

»Hier die Bescheinigung des Gouverneurs, daß Sie mir die beiden Gefangenen verabfolgt haben. Ich bringe sie in ungefähr einer Stunde wieder. Stellen Sie mir bis dahin eine Quittung aus, daß ich nicht zu warten brauche. Vorwärts!«

Grandeprise schob die Gefangenen zur Tür hinaus und winkte den beiden Soldaten, sie unter ihre Obhut zu nehmen. Der Schließer wagte kein Wort des Einwandes. Er las beim Schein der Laterne die Quittung und hielt es nun für unmöglich, sich zu sträuben.

So ging es fort, zur Treppe hinab, über den Hof hinüber und zum Tor hinaus, das der Posten wieder öffnete. Draußen schlugen die Soldaten von selbst die Richtung ein, die zum Gouverneur führte.

Es war stockdunkel; Straßenlaternen gab es nicht, und so versicherten die Soldaten sich ihrer Gefangenen dadurch, daß sie je einen beim Arm ergriffen. Der Jäger fühlte jetzt sein Herz erleichtert, er wußte nun, daß er gewonnenes Spiel haben werde. Er hatte sich in eine fürchterliche Gefahr begeben gehabt. Was zählen Mut und Scharfsinn, Klugheit und Erfahrung eines Savannenläufers hinter den Riegeln eines Gefängnisses? Jetzt hatte er den freien Himmel wieder über sich, und nun fühlte er sich von jeder Besorgnis frei.

Als sie eine genügende Strecke gegangen waren, zog er sein scharfes Messer heraus. Er hatte gesehen, daß die Fesseln nur aus Riemen bestanden, und fragte jetzt die Soldaten:

»Habt Ihr die Kerle auch sicher?« – »Ja, mein Kapitän«, antwortete der eine. »Wir führen sie ja beim Arm.« – »Aber die Riemen?« – »Sie scheinen fest zu sein.« – »Wollen es lieber untersuchen. Riemen pflegen nachzugeben.«

Grandeprise tat, als ob er die Bande mit den Händen auf ihre Festigkeit prüfen wolle, schnitt sie aber im Gegenteil durch. Die Gefangenen fühlten, daß sie frei seien, ließen sich dies aber durch keine Bewegung merken.

»Es ist gut«, sagte er. »Ich glaube, wir sind nun sicher. Vorwärts wieder!«

Der Weg wurde fortgesetzt, aber bereits bei der nächsten Straßenecke stieß der eine Soldat einen Schrei aus und stürzte zu Boden.

»Was gibt es?« fragte Grandeprise. – »Donnerwetter!« antwortete der Mann. »Mein Kerl hat sich losgerissen und mich zu Boden geworfen.« – »Ah! Wo ist er?« – »Da drüben muß er laufen!« – »Ihm nach!«

Das Gewehr im Arm rannte der Soldat fort. Schießen konnte er nicht, denn die Dunkelheit erlaubte ihm nicht, das Geringste zu erkennen.

»Halte nur den deinen fest!« gebot Grandeprise dem anderen. »Verdammt wäre es, wenn wir ihn nicht wieder bekämen!« – »Keine Sorge, mein Kapitän!« antwortete der Mann im zuversichtlichsten Ton. »Dem soll es nicht gelingen, mir – au, oh, Donnerwetter!« – »Was gibt es?« fragte Grandeprise.

Ebenso wie sein Kamerad am Boden liegend, raffte sich der Soldat empor und antwortete:

»Auch der meinige hat mich niedergeworfen.« – »Alle Teufel! Was für Schufte seid denn ihr Kerle? Laßt euch von diesen Schlingeln zur Erde bringen! Wo ist er denn?« – »Fort«, antwortete der Mann sehr kleinlaut. – »Donner und Doria! Wohin denn?« – »Da vorn scheint er zu rennen!« – »Laufe, sonst mache ich dir Beine! Kriegst du ihn nicht wieder, so soll dich der Teufel holen!«

Der Soldat rannte voller Angst davon.

Seine Schritte waren noch nicht verklungen, so drehte sich der Jäger kurz um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.

»Verdammt klug haben es die Kerle gemacht«, brummte er vergnügt. »Diese Franzosen haben nichts gesehen, ich aber habe es deutlich bemerkt. Sollte mich wundern, wenn sie nicht hier in dieser Gegend zu mir stießen.«

Grandeprise hatte richtig vermutet, denn kaum war er mit diesem Gedanken zu Ende gekommen, so huschten zwei Gestalten zu ihm heran.

»Eingetroffen, Kapitän!« sagte der eine halblaut und lachend. – »Ich auch«, meinte der andere, ebenso lachend.

Es waren keine anderen als Landola und Cortejo.

»Wo sind die Soldaten?« fragte der erstere. – »Weit fort!« antwortete der Gefragte. – »Was für dumme Kerle! Denken die, daß wir vorwärts rennen! Ich habe mich einfach niedergeduckt.« – »Ich ebenso«, sagte Cortejo. »Aber nun erklären Sie uns, wie Sie in diese Uniform kommen!« – »Sehr einfach«, antwortete der Jäger. »Ich schlug einen Offizier nieder und nahm ihm dieselbe ab.« – »Donnerwetter! Welch ein Wagnis!« – »Ein Jäger fragt nach keinem Wagnis, wenn es gilt, seinen Gefährten einen Dienst zu erweisen.« – »Wir sind Ihnen da allerdings sehr großen Dank schuldig. Ein riesiges Wagnis, ein geniales Unternehmen, möchte man sagen! Aber der Offizier, den Sie niederschlugen?« – »Er liegt jedenfalls noch dort. Ich habe ihm einen Knebel gegeben, daß er nicht mucksen kann. Natürlich suche ich ihn jetzt auf und gebe ihm seine Uniform wieder.« – »Sie haben ihm bis dahin Ihre Kleider angezogen?« – »Fiel mir nicht ein. Welch eine Arbeit wäre das gewesen! Ich habe sie einstweilen zu ihm hingelegt und werde sie mir jetzt wiederholen. Kommen Sie!«

Sie schritten der Steile zu, wo Grandeprise den Offizier zurückgelassen hatte.


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