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7. Kapitel.

Kurz nach dem Steamer des Kapitän Wagner war ein anderer Dampfer im Hafen erschienen, der aber in einiger Entfernung von dem ersteren Anker warf.

Wagner hatte seine Formalitäten jetzt erledigt und seine Befehle erteilt; er beabsichtigte an das Land zu gehen, um sich trotz des dort herrschenden Fiebers die Stadt zu besehen. Er befahl das kleine Gig, und als dasselbe klar war, begab er sich nach dem Fallreep. Es traf sich, daß er an Peters vorüber mußte. Er blieb, fast unwillkürlich, einen Augenblick bei dem Matrosen stehen und fragte:

»Nicht wahr, du hattest dich geirrt?« – »Nein, Kapt'n.« – »In den beiden Fremden?« – »Nein.«

Das frappierte den Kapitän.

»Nicht?« fragte er, ein wenig überrascht. – »Ich hatte recht, Kapt'n. Der eine war ein Seemann, und sie beide waren Schwindler.« – »Das würdest du schwerlich beweisen können.« – »Ich kann es beweisen,« meinte Peters phlegmatisch. – »Wieso?« – »Wer einen falschen Namen trägt, ist der nicht ein Schwindler?« – »Allerdings. Aber war denn das hier der Fall?« – »Ja.« – »Ihre Pässe waren in Ordnung.« – »Das mag sein. Aber wenn sie glaubten allein zu sein, so nannten sie sich bei ganz anderen Namen.« – »Hast du diese gehört?« – »Mehrere Male und ganz deutlich.« – »Wie hießen sie?« – »Der Advokat wurde von dem anderen Señor Cortejo genannt, und er selbst nannte den, der seinen Sekretär vorstellen sollte, entweder Kapitän oder Señor Landola.«

Wagner fuhr zurück, als hätte er einen Faustschlag vor die Brust erhalten.

»Ist das wahr?« fragte er fast schreiend. – »Ja, Kapt'n!« – »Du hast es deutlich gehört?« – »So deutlich, als ob Sie es selbst jetzt vor meinen Ohren sagten.« – »Kerl, warum hast du mir es nicht sofort gemeldet?« – »Ich habe diese Menschen zweimal gemeldet, Kapt'n, aber dann verboten Sie mir, wieder von ihnen zu sprechen. Ich kenne meine Pflicht.« – »Verdammt!«

Der Kapitän bog deckwärts um und ging einige Male mit großen Schritten auf und ab.

»Ah! Jetzt wird mir vieles klar!« brummte er. »Darum wußten sie so viel von Rodriganda. Ich habe mich da fürchterlich tölpelhaft benommen und mich von ihnen ausholen lassen wie ein Schuljunge. Das muß ausgebessert werden. Peters!«

Der Gerufene eilte schnell herbei.

»Kapt'n!« sagte er, an den Hut greifend. – »Leg rasch die gute Jacke an, du gehst mit mir ans Land. Würdest du diese beiden sofort wiedererkennen?« – »Ja.« – »Auch von weitem?« – »Zehn Meilen weit, wenn nämlich keine Mauer dazwischen ist.« – »So eile! Wir müssen sie wiederfinden, und zwar um jeden Preis.«

Peters, ganz entzückt über die außerordentliche Ehre, mit dem Kapitän gehen zu können, sprang in höchster Eile davon und kehrte bereits nach wenigen Augenblicken im feinsten Putz zurück.

Sie stiegen in das Gig und gingen an das Land. Beim Landen fiel der Blick des Kapitäns auf eine große, weite Einfriedung, innerhalb welcher Grab an Grab sich aneinanderreihte.

»Das ist der Kirchhof der Franzosen«, sagte er, »welche unter dem hiesigen Gluthimmel dem fürchterlichen Fieber erliegen. Diese leichtsinnigen Kerle nennen ihn nichts anders als ›jardin d'acclimatation‹, den Akklimatisierungsgarten.« – »Wer da liegt, der ist akklimatisiert«, brummte Peters.

Jetzt hielten die beiden nun eine Suche durch die Stadt. Alle Straßen wurden mehrere Male durchlaufen, und in jedem öffentlichen Haus kehrten sie ein. Am Zollamt hörten sie, daß ein Don Antonio Veridante hier gewesen sei, um sein Gepäck visitieren zu lassen.

So traten sie bereits zum zweiten Male in eine Restauration ein, wo sie vorher, ohne sich niederzulassen, nur die Gäste gemustert hatten. Jetzt war der Kapitän einigermaßen müde.

»Hier ruhen wir uns ein Weilchen aus«, sagte er und steuerte dabei mit breiten Schritten auf das einzige Tischchen zu, das noch leer stand.

Dort angekommen, wäre er beinahe erschrocken zurückgefahren. An dem Nachbartischchen saßen zwei Männer, ein jüngerer, der ein hochelegantes und männliches Aussehen hatte, und ein älterer, vor dem Wagner ebenso – sehr erschrocken war. Dieser Mann trug die gewöhnliche Tracht eines Jägers, hatte aber eine Nase von solchen Dimensionen, daß man ganz wohl erschrecken konnte, wenn man ihm unvorbereitet zu nahe kam.

Dieser Mann hatte gesehen, daß Wagner sich frappiert gefühlt hatte. Er spitzte den Mund, spuckte einen dicken Strahl braunen Tabaksaftes aus, nahm einen riesenhaften Schluck aus seinem Glas und sagte dann:

»Fürchtet euch nicht, Señor, sie tut Euch nichts. Das ist eine wahre Seele von einer Nase.«

Wagner lachte und antwortete:

»So darf ich also ohne Besorgnis hier Platz nehmen?« – »In Gottes Namen. Ansteckend ist sie nicht«

Das Äußere des jungen Mannes war so vornehm, daß Wagner sich unwillkürlich verbeugte und kurz sagte:

»Seekapitän Wagner.«

Der andere erwiderte die Verbeugung und sagte:

»Premierleutnant Helmers.«

Da verbeugte sich auch sein Nachbar und sagte:

»Dragonerkapitän Geierschnabel.«

Wagner wußte nicht, ob das Ernst oder Scherz sein sollte, er hatte auch nicht Zeit, darüber nachzudenken; sein Blick war auf den Oberleutnant gerichtet. Diesem mußte das auffallen, und darum fragte er mit einem höflichen Lächeln:

»Wir haben uns wohl bereits einmal gesehen?« – »Wohl schwerlich, Señor. Es beschäftigt mich aber eine außerordentliche Ähnlichkeit, die Sie mit einem Kameraden von mir haben.« – »Also auch einem Seemann.« – »Ja. Vater und Sohn können sich nicht ähnlicher sehen. Und eigentümlicherweise führt mein Freund auch Ihren Namen.« – »Helmers?« – »Ja.«

Kurts Gesicht nahm sofort den Ausdruck der größten Spannung an.

»Woher ist er?« – »Aus Rheinswalden bei Mainz.«

Bis hierher war die Unterhaltung in spanischer Sprache geführt worden, aber die Freude ebensowohl wie der Schmerz bedienen sich nur der Muttersprache. Kurt sprang empor und rief deutsch:

»Mein Vater, das ist mein Vater! Gott, welch ein Glück!« – »Sie sind ein Deutscher?« fragte Wagner, nun seinerseits erstaunt, indem er sich augenblicklich auch der deutschen Sprache bediente. – »Ja, freilich bin ich ein Deutscher. Oh, Kapitän, Sie nannten meinen Vater Ihren Kameraden. Wo haben Sie ihn gesehen, wo verließen Sie ihn, wo befindet er sich?« – »Erlauben Sie vorher eine Frage, Herr Leutnant.« – »Gewiß, ich stehe zu Ihrer Verfügung.« – »Seit wann ist Ihr Herr Vater abwesend?« – »Oh, er war verschollen, wohl an die zwanzig Jahre.« – »So ist es wahr, Sie sind sein Sohn.« – »Sie wissen, daß er noch lebt?« – »Ja, sehr genau.« – »Wo?« – »Hier in Mexiko. Ich traf vorhin mit meinem Dampfer ein, um ihn und seine Gefährten nach der Heimat zu bringen.« – »Seine Gefährten? Wer ist das?« – »Oh, ich weiß gar nicht, wie viele mit hinübergehen werden, wenn auch nicht für immer, aber doch zu einem Besuch.«

Geierschnabel rieb sich seine Nase mit solcher Vehemenz, daß es schien, als ob er sie sich mit aller Gewalt abbrechen wolle. Kurts Gesicht glänzte vor Entzücken. Er streckte dem Kapitän beide Hände entgegen und sagte:

»Herr Kapitän, ich hielt meinen Vater seit einer so langen Reihe von Jahren für verloren. Ich zog jetzt aus, ihn zu suchen. Vor einer Stunde warfen wir hier Anker, und nun sagen Sie mir, daß der Vater lebt. Hier meine Hände! Ich bitte, lassen Sie sich umarmen, als ob Sie der wiedergefundene Vater seien. Ich kann meinem Herzen jetzt unmöglich Gewalt antun.«

Er hatte die Augen voller Tränen; dem Kapitän ging es ebenso. Diese beiden Männer hatten sich nie gesehen, aber sie lagen Brust an Brust und umarmten sich mit einer solchen Herzlichkeit, die nur ein Ausfluß des innigsten Verwandtschaftsgefühls zu sein pflegt.

Auch Geierschnabel schob seine Flasche und sein Glas beiseite, streckte die Arme aus, spuckte sein Primchen fort und rief:

»Heißgeliebter Seekapitän, sinken Sie auch an diese meine Brust! Meine Freude ist so groß, daß ich sie nur in glühenden Küssen auszudrücken vermag. Worte kann mein Schnabel nicht mehr finden.«

Der brave Jäger hatte das allerdings in seiner Freude sehr ernsthaft gemeint, aber Wagner fuhr doch schnell zurück.

»Danke, danke«, sagte er eilig. »Bin unendlich verbunden.« – »So mag wenigstens Ihr hochgeehrter Matrose den Ausdruck meiner überströmenden Gefühle entgegennehmen.«

Peters streckte erschrocken alle zehn Finger von sich und rief:

»Danke ebenfalls. Sehr viel Ehre! Nehmen Sie es als geschehen an. Ich schmatze nie!« – »Verdammt!« zürnte der Jäger. »Daran ist nur diese meine Nase schuld! Ich werde sie kupieren lassen!«

Trotz der soeben zum Ausdruck gekommenen Gemütserregung ertönte doch ein herzliches Gelächter, in welches die anderen Gäste, mochten sie nun die Worte verstanden haben oder nicht, im Chor mit einstimmten. Die Gestikulationen wenigstens waren verstanden oder begriffen worden.

Als die Helden dieses kleinen Intermezzos wieder Platz genommen hatten, bat Kurt:

»Herr Kapitän, bitte um Auskunft, um recht schnelle und ausführliche Auskunft über meinen Vater.« – »Die sollen Sie haben, mein Liebster, nur ersuche ich um ein wenig Geduld.« – »Geduld? Geduld, in einer solchen Angelegenheit? Wollen Sie wirklich so grausam sein?« – »Verzeihung! Ich trat hier herein, nur um einen einzigen Schluck zu trinken und dann meine Jagd fortzusetzen. Ich suche nämlich zwei Verbrecher, um sie auf der Stelle arretieren zu lassen ...« – »Verbrecher? Was haben sie getan?« – »Sie haben ... ah, Sie sind ja der Sohn eines der Beteiligten. Sie müssen diese Halunken auch kennen, wenigstens von ihnen gehört haben. Wissen Sie, wen ich suche und verfolge?« – »Ihre letzte Bemerkung macht mich ganz begierig, es zu hören.« – »Die beiden Kerle heißen nämlich Landola und Gasparino Cortejo.«

Kurt erbleichte, aber nicht vor Schreck, sondern vor freudiger Überraschung.

»Landola und Gasparino Cortejo! Diese Männer suchen Sie?« – »Ja.« – »Hier drüben, hier in Mexiko, hier in Verakruz?« – »Ja.« – »Befinden sie sich denn hier?« – »Ja. Ich weiß es ganz genau. Herr Leutnant, Sie haben den größten Dummkopf vor sich, den die Erde trägt. Seit Rio de Janeiro habe ich diese beiden Schurken bei mir an Deck gehabt, ohne es zu ahnen. Dieser einfache Matrose hatte Verdacht und machte mich aufmerksam auf sie, ich aber schenkte ihm keinen Glauben. Erst als sie mein Schiff verlassen hatten, erfuhr ihr ihre Namen. Nun renne ich durch alle Kneipen und Straßen, ohne sie zu finden.«

Kurt hatte ihm mit allergrößter Spannung zugehört. Jetzt fiel er ein:

»Sie sind überzeugt, daß es die beiden wirklich sind?« – »Ja. Sie sind es. Ich will es mit tausend Eiden besiegeln!« – »So sind sie herübergekommen, um einen für uns fürchterlichen Schaden anzurichten, um einen Streich auszuführen, den wir mit Todesverachtung unmöglich zu machen suchen müssen. – Sie haben recht, da ist es nicht Zeit, zu berichten und zu erzählen. Diese beiden Kerle müssen unser werden. Wie waren sie gekleidet?«

Der Kapitän gab eine genaue Beschreibung ihrer äußeren Erscheinung.

»Dies genügt einstweilen«, meinte Kurt. »Alles andere für später. Sie haben die ganze Stadt durchsucht?« – »Ja, aber nichts gefunden.« – »Auch auf dem Bahnhof?«

Der gute Kapitän machte ein etwas verlegenes Gesicht und antwortete:

»Auf dem Bahnhof? Sakkerment, an den habe ich gar nicht gedacht.« – »Nicht?« fragte Kurt erstaunt. »Ich meine, daß der Bahnhof doch der erste Ort gewesen wäre, wo man sich erkundigen mußte.«

Um seinen offenbaren Fehler einigermaßen zu entschuldigen, meinte Wagner:

»Zunächst habe ich, wie ich bereits sagte, an den Bahnhof gar nicht gedacht. Wer erinnert sich gleich daran, daß es hier eine Eisenbahn gibt, also ein Verkehrsmittel, von dem sonst in derartigen tropischen Landstrichen gar keine Rede ist. Und sodann ist doch auch schwerlich anzunehmen, daß zwei Reisende einige Viertelstunden, nachdem sie das Schiff verlassen haben, bereits ihren Weg in das Innere des Landes fortsetzen.«

Kurt schüttelte bedenklich den Kopf.

»Gründe dazu hatten die beiden genug«, meinte er. »Zunächst liegt einem jeden Fremden daran, die tiefliegende und gefährliche Fiebergegend zu verlassen, und sodann hatten Sie ja mit ihnen über alle Verhältnisse der Familie Rodriganda gesprochen. Nicht?« – »Allerdings, Herr Leutnant.« – »Sie haben gesagt, daß die von der Insel Zurückgekehrten nach Mexiko gekommen seien, um ihre Feinde aufzusuchen und der gerechten Bestrafung zu überliefern?« – »Ja.« – »Auch daß die Genannten sich bereits monatelang in Mexiko befinden?« – »Auch das habe ich gesagt.« – »Nun, ist das nicht genug, um Cortejo und Landola zur allergrößten Eile zu bewegen?«

Der Kapitän konnte nicht anders, er mußte dies zugeben.

»Und wer solche Eile hat, bedient sich natürlich nicht eines Reitpferdes oder der Diligence«, fuhrt Kurt fort, »sondern der Eisenbahn, nämlich falls eine solche vorhanden ist. Das werden Sie einsehen, Herr Kapitän!« – »Donnerwetter!« meinte dieser. »Da habe ich einen derben Pudel geschossen.« – »Möglich, sogar wahrscheinlich. Aber wir dürfen unsere Zeit nicht mit unnützen Reden versäumen, sondern wir haben es jedenfalls noch eiliger als die beiden Männer, die wir suchen. Lassen Sie uns also sofort nach dem Bahnhof aufbrechen. Die notwendigen Mitteilungen können wir uns ja später immer noch machen.«

Sie bezahlten, was sie genossen hatten, und brachen auf.


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