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21. Kapitel.

An der hinteren Mauerecke fanden Landola und Cortejo ein Gesträuch, an das sie ihre Pferde banden, wie der Pater es ihnen angeraten hatte. Dann begab letzterer sich zu dem Fenster und klatschte leise. Bereits nach wenigen Augenblicken erschien Manfredo.

»Folgt mir, Señores!« gebot er. – »Zu Eurem Oheim?« fragte Landola, der hinzugetreten war. – »Ja«, antwortete er. – »Nach seinem Zimmer?« – »Nein, Señores. Noch sind die Leute wach, und man könnte Euch leicht sehen. Mein Oheim ist bereits hinunter, um Euch die Gefangenen zu zeigen. Ich bringe Euch zu ihm.« – »Was aber geschieht mit den Pferden und unseren Sachen?« – »Sie sind für die wenigen Augenblicke in allerbester Sicherheit, dann aber werde ich Euch alles besorgen.«

Dieses Besorgen sollte darin bestehen, daß Manfredo die Pferde verkaufen und das Gepäck als sein Eigentum betrachten wollte.

Manfredo schritt voran über den menschenleeren, stillen Hof, und Landola und Cortejo folgten ihm, auf sein Geheiß ihre Schritte dämpfend. Dann ging es eine dunkle Treppe hinab, wo Manfredo ein Licht hervorzog, um es anzubrennen. Sie kamen durch einige kellerartige Räume und endlich in ein Gemacht, in dem der Pater sie erwartete. Auch er trug ein brennendes Licht in der Hand.

»Eingetroffen?« fragte er mit achtungsvoller Freundlichkeit. – »Wie Ihr seht, ja«, antwortete Cortejo. »Aber sagt, sollen wir etwa in einem solchen Keller unsere Zeit zubringen?« – »Wo denkt Ihr hin! Ich führe Euch nur zu den Gefängnissen. Später erst geht es nach Eurer Wohnung.« – »Ah! Sonst wäre ich auch sofort zurückgegangen!«

Der Pater ignorierte diese Worte und fragte angelegentlich:

»Wart Ihr in der Venta?« – »Ja, Señor.« – »Und traft den Mann?« – »Es war alles so, wie Ihr vorhergesagt hattet.« – »Und wie lief es ab?« – »Besser und lustiger, als wir es uns auch nur denken konnten.«

Sie erzählten Hilario das Vorkommnis unter Lachen, und er konnte sich nicht enthalten, in ihre Lustigkeit einzustimmen. Daß seinem Peiniger ein solcher Streich gespielt worden war, gewährte ihm einesteils die größte Genugtuung und gab ihm gleichzeitig den Stoff in die Hand, diesem Mann mit der nicht zu verachtenden Waffe des lächerlich machenden Witzes entgegenzutreten.

»Ihr habt Eure Sache sehr gut gemacht, Señores«, sagte er. »Nun sollt Ihr aber auch sehen, wie ich die meinige gemacht habe. Kommt!«

Hilario schritt voran, Cortejo und Landola folgten ihm, und der Neffe ging hinter ihnen. Um eine Ecke biegend, zog er jene hülsenartige Rolle aus der Tasche, brannte das eine Ende an, drehte sich gegen sie um und blies in das andere. Im nächsten Augenblick sprang er weit nach vorn, und sein Neffe tat dasselbe nach rückwärts.

Ein Flammenstrahl war Cortejo und Landola entgegengezuckt. Sie hatten rufen wollen, brachten aber kein Wort hervor, denn es umgab sie eine penetrante Luftart, die ihnen sofort den Atem raubte. Einen Augenblick später lagen sie besinnungslos an der Erde.

Als Cortejo wieder erwachte, war ihm der Kopf fürchterlich schwer, so daß er kaum seine Gedanken zu sammeln vermochte. Er tastete um sich her und gewahrte zu seinem Entsetzen, daß er sich in einem steinernen Raum befand, an dessen einer Mauer er mit einer Kette angeschlossen war.

»O Himmel!« rief er unwillkürlich aus. – »Ah, der eine erwacht!« hörte er seitwärts eine dumpfe, männliche Stimme sagen. – »Er redet«, fügte eine weibliche hinzu, die von gegenüber ertönte. – »Wer ist hier?« fragte er. – »Arme Gefangene, so wie du«, antwortete die männliche Stimme. – »Ich hörte zwei Personen sprechen?« – »Ich war es und meine Tochter.« – »Wer bist du?« – »Ein Unglücklicher. Mehr darf ich nicht sagen, da ich dich nicht kenne.«

Cortejo vermochte sich noch nicht in seine Situation zu finden.

»Zum Teufel! Warum bin ich hier?« fragte er. – »Um gefangen zu sein«, lautete die Antwort. – »Gefangen? Ich? Unsinn!« – »Fühle an die Mauer, und fühle deine Ketten!«

Cortejo klirrte mit den Ketten und tastete, soweit diese es ihm zuließen, an der feuchten Wand hin. Er fühlte vor sich einen Wasserkrug und ein Stück trockenen Brotes.

»Heiliger Himmel«!« rief er. »Das kann doch nur ein Scherz sein.« – »Ein Scherz? O nein! Hier unten ist alles bitterer Ernst. Auch wir glaubten an Scherz. Dann hockten wir in einem furchtbaren Loch, bis man uns eine bessere Zelle gab. Vorhin wurden wir aus dieser hierher gebracht, wo es wieder schlechter ist, und unser Peiniger sagte, daß wir Gesellschaft erhalten würden, die uns in große Freude versetzen werde. Die Gesellschaft seid ihr, aber wo bleibt die Freude?« – »Wer ist es, den du euren Peiniger nennst?« fragte Cortejo. – »Der Pater Hilario. Er ist auch der eurige.« – »Der Pater? O nein, er ist mein Freund!« – »Dein Freund? Also auch du hast ihm so vertraut wie wir. Hat er dir nicht giftige Luft in das Gesicht geblasen?« – »Ja.«

Cortejo hatte noch immer nicht die volle Besinnung und Urteilskraft erlangt. Er antwortete wie einer, der langsam aus dem Traum erwacht. Die dumpfe Stimme, die er hörte, klang wie aus einem Grab hervor, und auch ihm war ganz so, als ob er in einem solchen liege.

»Er hatte kein Licht, als er euch brachte«, sagte der andere, »aber ich habe gehört, daß er es war und sein Neffe. Sage uns, wer du bist.« – »Auch ich kann es dir nicht sagen, bevor ich nicht weiß, wer du bist. Du sprichst von noch einem. Wer ist noch da?« – »Einer, der mit dir gebracht und rechter Hand von dir an die Mauer gefesselt wurde.« – »Ah! Sollte es Lan...« – Cortejo besann sich noch zur rechten Zeit und fuhr fort, sich verbessernd: »Sollte es mein Gefährte sein?« – »Er wird es sein. Du bist mit ihm tot, wie wir beide auch. Hier gibt es kein Licht, kein Leben, keine Gnade und kein Erbarmen. Hier ist alles tot, und das einzige Leben, das es noch gibt, das ist ein unstillbares Lechzen nach Rache.« – »Seit wann seid ihr gefangen?« – »Ich weiß es nicht. Hier gibt es keine Sonne und keine Sterne. Hier gibt es keine Unterscheidung zwischen Tag und Nacht, denn hier ist nur Nacht.«

Da richtete Cortejo sich auf, so weit es ging, und rief: »Das gilt wohl euch, aber nicht mir. Ich kann, ich will, und ich darf nicht Gefangener sein!« – »Du Tor! Du bist es ja bereits!« – »Der Pater betrügt mich nicht!« – »Er betrügt alle!« – »So werde ich sehen, ob es wirklich ernst ist.«

Cortejo legte sich in seine Ketten und versuchte, sie zu sprengen; aber es gelang ihm nicht, trotzdem er alle seine Kräfte daransetzte.

»Hölle und Teufel!« rief er keuchend. »Wäre es wahr?« – »Es ist wahr. Täusche dich nicht.« – »So wäre ich gefangen, und die anderen sind frei?« – »Die anderen? Welche anderen meinst du?« – »Er sagte mir, daß er Feinde von mir hier unten habe!« – »Sollte er es dir so gemacht haben wie mir? Auch ich habe Feinde hier unten. Aber glaube nicht, daß sie oder die deinigen frei sind. Wer diese Gewölbe betritt, der sieht das Licht der Sonne niemals wieder. Wer sind deine Feinde?« – »Ich muß über sie schweigen. Wer sind die deinigen?« – »Auch ich darf es dir nicht sagen.« – »Wer verbietet es dir?« – »Ich selbst. Es soll mich niemand kennen.«

Da ging ein langer Seufzer durch den feuchten Raum. Landola begann sich zu regen. Er war vorhin vorangegangen und hatte die tödliche Luft zuerst voll empfangen; darum hatte er auch länger besinnungslos gelegen.

»Oh!« stöhnte er, indem er sich streckte.

Seine Ketten rasselten. Er hörte dies und horchte.

»Oh – oh – oh!« stöhnte er von neuem. »Was – was – was ist das?« fragte er. – »Henrico! Henrico, sind Sie es?« fragte Cortejo. – »Henrico?« fragte Landola müde und gedehnt. »Henrico, ja, so heiße ich. Er – er hat es – aus meiner Hand gelesen.« – »Ah! Bei Gott, er ist es! Henrico, sind Sie es denn wirklich?«

Cortejo nannte absichtlich nur den Vornamen Landolas.

»Henrico?« stöhnte der Gefragte, »wer, wer redet hier? Wo – wo bin ich?« – »Gefangen soll ich sein und gefangen auch Sie. Ich glaube es nicht.« – »Gefan... fangen?« stöhnte es wieder unter Kettengerassel. »Ah, was – wer klirrt hier? Wer hält – hält mich fest?« – »Ketten sind es, Ketten!« – »Ketten? Ketten? Ah! Richtig! Der Pa... Pater wollte uns ja die Gefa... fangenen zeigen, Ster...« – »Still!« fiel Cortejo rasch ein. »Keine Namen nennen.«

Landola konnte sich noch immer nicht aus seiner Betäubung finden. Er wiederholte im Ton eines Menschen, der chloroformiert ward:

»Keinen Namen? Kei... keinen? Warum denn nicht, Cortejo?«

Er hatte diesen Namen nun trotz der eindringlichen Warnungen doch genannt.

»Halt! Still!« rief Cortejo.

Aber von der anderen Seite tönte es rasch herüber:

»Welcher Name war das? Wer ruft mich?«

Da horchte Gasparino auf.

»Dich?« fragte er. »Dich rief keiner.« – »O doch! Es war mein Name.« – »Wie? Du heißt Cortejo?« – »Ja.« – »Wie ist dein Vorname?« – »Es ist doch nun verraten, und so sollst du auch ihn hören. Ich heiße Pablo Cortejo.« – »Gott, Gott!« schrie Gasparino. »Sollte es mehrere dieses Namens geben? Sagtest du nicht, daß deine Tochter hier sei?« – »Ja.« – »Heißt sie Josefa?« – »Ja. Kennst du sie? Kennst du uns?«

Da streckte sich Gasparino gegen seine Fesseln, daß sie klirrten und seine Knochen krachten.

»Hölle, Teufel und Verdammnis!« donnerte er. »So ist es also wahr! Dieser Pater hat mich betrogen. Ich bin gefangen. Gott oder Satan, ganz gleich, wer mir helfen will, aber gib, oh, gib mir Kraft, diese Ketten zu zersprengen!«

Cortejo stemmte sich von neuem gegen die Fesseln, aber vergeblich.

»Strenge dich nicht an, es ist umsonst!« klagte der andere. »Aber sage mir, woher du unseren Namen kennst?« – »Euren Namen? Ach, ich wollte, der Himmel stürzte ein und begrübe dieses Kloster unter seinen Trümmern. Weißt du, wer der ist, der vorhin, aus der Ohnmacht erwachend, deinen Namen nannte?« – »Sage es!« – »Henrico Landola.«

Da klirrten drüben bei dem anderen die Fesseln, zum Zeichen, daß der Schreck ihn bewegt habe.

»Henrico Landola!« schrie er überlaut. – »Ja.« – »Der Seekapitän?« – »Ja«, antwortete Gasparino.

Und zu seiner Rechten ließ sich Landolas Stimme hören:

»Ja, ich bin es! Henrico Lan... Landola, der Kapitän.« – »Ist's möglich. Auch das noch!« rief Pablo, die Ketten vor Grimm aneinanderschlagend. »Und du, wer bist denn du?« – »Ich? Höre und verfluche die Erde und alles, was Leben hat! Mein Name ist der deinige.« – »Der meinige?« – »Ja, denn ich bin Gasparino Cortejo, dein Bruder!«

Zwei laute Schreie erschollen, ein männlicher und ein weiblicher. Dann ward es da drüben still. Pablo und seine Tochter waren in Ohnmacht gesunken. Nur hüben noch rasselten die Ketten.


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