Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Kapitel.

Kurt hatte ganz recht. Wie schon erwähnt, waren Cortejo und Landola mit dem Jäger Grandeprise zusammengetroffen. Dort erkundigten sie sich nach dem nächsten aufwärts gehenden Zug. Der Beamte, an den die Frage gestellt wurde, war ganz zufälligerweise der Zugführer selbst. Er betrachtete sich die drei Männer, zuckte die Achseln und antwortete:

»Der nächste Zug wird in zehn Minuten abgelassen. Wollen Sie mit?« – »Ja«, antwortete Cortejo. – »Tut mir leid! Sie werden sich wohl eine andere Gelegenheit suchen müssen.« – »Warum?« – »Wir transportieren jetzt nur Militär und solche Personen, die sich als zu uns oder der Regierung gehörig legitimieren können.« – »Unangenehm! Im höchsten Grad unangenehm«, meinte Cortejo. – »Ah, Sie haben Eile?« – »Sehr große sogar!« – »Und sind nicht im Besitz einer entsprechenden Legitimation, meine Herren?« – »Leider nein. Wir haben nur unsere Privatpässe.« – »Hm! Was für Landsleute sind Sie?« – »Wir beide sind Spanier, und dieser Señor ist ein amerikanischer Jäger.« – »Das ist allerdings sehr schlimm für Sie. Spanier dürfen wir leider nicht befördern, und Amerikaner noch weniger.«

Da langte Grandeprise in die Tasche, zog eine Brieftasche hervor und sagte:

»Señor, ich bin im Besitz einer Legitimation.« – »So? Wirklich? Ist sie gut?« – »Ich hoffe es, Señor.« – »So zeigen Sie einmal her.«

Der Jäger nahm eine Zwanzigdollarnote hervor, gab sie ihm und fragte:

»Gibt es vielleicht eine bessere Passierkarte als diese da?«

Der Beamte nickte mit dem Kopf, lächelte freundlich und antwortete:

»Es läßt sich allerdings nichts dagegen einwenden. Sie ist so gut, daß ich nur wünschen kann, daß die beiden anderen Herren sich auch im Besitz solcher Legitimationen befinden.«

Da zog Cortejo zwei Hundertfrankennoten hervor.

»So erlauben Sie«, sagte er, »daß ich mich und diesen Herren legitimiere.«

Der Mann griff zu und meinte:

»Dies Paßkarten sind allerdings gültig, doch muß man dennoch vorsichtig sein. Sind Sie im Besitz einer spanischen Legitimation?« – »Ja.« – »Wie heißen Sie?« – »Ich bin Don Antonio Veridante, Advokat aus Barcelona.« – »Und der andere Herr?« – »Ist mein Sekretario.« – »Können Sie das beweisen?« – »Durch meine Pässe.« – »Zeigen Sie!«

Cortejo gab dem Beamten die Papiere, und der Franzose betrachtete sie genau, obgleich er wohl kein Wort Spanisch verstand. Er erblickte den angegebenen Namen und die Unterschrift nebst Stempel der Behörde; daher war er überzeugt, daß die Papiere in Ordnung seien.

»Es ist gut«, sagte er. »Es stimmt alles, und Sie können mitfahren, allerdings nur in meinem Kupee. Aber dann müßten Sie sofort einsteigen, denn die Zeit drängt.« – »Wir sind bereit«, versicherte Cortejo froh, daß es so gekommen war. – »So kommen Sie!«

Er öffnete sein Kupee und schob sie hinein. Hier befanden sie sich zunächst noch einige Minuten lang unter sich allein.

»Welch ein Glück!« meinte Landola. »Es sah erst ganz so aus, als ob wir sitzen bleiben sollten.« – »Pah«, antwortete der Jäger. »Diese Herren Franzosen haben ein großes Maul, aber auch ein weites Gewissen.« – »Eigentlich war es ein Wagnis«, bemerkte Cortejo. – »Ein Wagnis?« sagte Grandeprise. »Man wagt niemals etwas, wenn man zwanzig Dollar zum Fenster hinauswirft.«

Cortejo begriff den Sinn dieser Worte. Er zog abermals eine Hundertfrankennote heraus und reichte sie ihm hin.

»Hier, nehmen Sie Ersatz«, sagte er. »Sie haben das Geld ja in meinem Interesse ausgegeben.« – »Vielleicht ebenso in dem meinigen«, antwortete Grandeprise. »Aber es fällt mir nicht ein, Sie durch Zurückweisung von lumpigen zwanzig Dollar zu beleidigen. Ich danke!«

Jetzt gab die Lokomotive das Zeichen, der Zugführer beantwortete dasselbe und stieg dann ein. Der Wagen setzte sich in Bewegung.

In Lomaldo angekommen, wurden die Wagen bereits erwartet. Der Bahnhof hatte ein höchst militärisches Aussehen. Er stand voller französischer Soldaten, die per Bahn an die See transportiert werden sollten, um nach der Heimat eingeschifft zu werden. Die angekommenen Wagen wurden mit den bereits wartenden zusammengekoppelt, sie füllten sich schnell mit den über die Rückkehr erfreuten Passagieren, dann setzte sich der Zug nach Verakruz zurück in Bewegung.

Im Anschluß an den Zug stand in Lomaldo die nach der Hauptstadt Mexiko gehende Diligence bereit. Die drei Reisenden lösten sich Billetts. Cortejo und Landola stiegen in das Innere des Wagens; Grandeprise aber liebte die Luft und die freie Aussicht; er erklomm das Verdeck und machte es sich da so bequem wie möglich.

Dies gab den beiden anderen Zeit und Gelegenheit, unbemerkt und ungehört von ihm miteinander zu verhandeln. Als der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte, fragte Cortejo:

»Also dieser Kerl ist ein Stiefbruder von Ihnen?« – »Leider ja«, antwortete Landola. – »Und er sucht Sie? Er gibt sich große Mühe, Sie zu finden?« – »Allerdings.« – »Warum?« – »Pah! Lassen wir das! Familiensachen!« brummte Landola verdrießlich. – »An denen Sie Schuld tragen?« – »Ich sagte dies bereits.« – »So vermute ich, daß er die Absicht hat, sich zu rächen.« – »Ganz meine Ansicht.« – »Welch ein Glück für Sie, daß Sie verkleidet sind. Er hätte Sie erkannt, und wer weiß, was dann geschehen wäre.« – »Geschehen? Pah! Es ist mir allerdings lieb, daß er keine Ahnung davon hat, daß ich der Gesuchte bin, aber ich bin doch keineswegs der Mann, ihn zu fürchten. Wer mit mir anbindet, den weiß ich zu bedienen, mag er ein Fremder oder mein Bruder sein.« – »Was beabsichtigen Sie, mit ihm zu tun?« – »Er will mir an die Haut, gut, so gehe ich ihm an das Fell. Zunächst können wir ihn außerordentlich gut gebrauchen; sobald dies später nicht mehr der Fall ist, lassen wir ihn abfallen.« – »Schön! Glauben Sie an seine Erzählung von dem Pater Hilario?« – »Unbedingt Ich glaube nicht, daß er jemals eine Unwahrheit sagt.« – »So würden wir also bei diesem Pater meinen Bruder oder wenigstens eine Spur von ihm finden?« – »Sicher. Darum gilt es, unsere Angelegenheiten in der Residenz so schnell wie möglich zu betreiben und uns dann schleunigst nach dem Kloster della Barbara in Santa Jaga zu begeben.« – »Unsere Angelegenheiten in der Hauptstadt? Hm? Was verstehen Sie unter denselben?« – »Nun, weiter nichts als diese verfluchte Erbbegräbnisgeschichte.« – »Darin könnten Sie sich irren.« – »Wieso?« – »Ich habe in Mexiko noch viel mehr zu tun.« – »Möchte wissen«, meinte Landola im Tone des Zweifels. – »Nun, die Güter der Rodriganda haben jetzt ja keinen Herrn.« – »Oh, die werden schon einen haben.« – »Sie vergessen, daß Graf Ferdinando scheinbar gestorben ist.« – »Das weiß ich.« – »Und daß mein Bruder, der Verwalter sämtlicher Besitzungen, des Landes verwiesen ist.« – »Auch das habe ich nicht vergessen.« – »Also befinden sich diese Besitzungen gegenwärtig ohne Herrn.« – »Sie werden erst recht einen haben.« – »Wen?« – »Die Regierung.« – »Sie meinen, daß sie konfisziert worden sind?« – »Nein, denn Graf Alfonzo, der eigentliche Besitzer, ist ja nicht des Landes verwiesen worden. Er besitzt noch alle seine Rechte.« – »So denken Sie, daß die Regierung die Verwaltung übernommen hat?« – »Ja, gerade das denke ich.« – »Ich bezweifle es.« – »Aus welchem Grund?« – »Hm! Welche Regierung ist es, von der Sie sprechen?« – »Die Kaiserliche.« – »Das ist gar keine Regierung. Kaiser Max ist in Kost und Logis bei Napoleon; er genießt das Gnadenbrot bei den Franzosen. Er darf nicht das Geringste unternehmen ohne die Erlaubnis oder die Einwilligung des Marschalls Bazaine.« – »Nun gut, so verstehe ich unter Regierung das französische Gouvernement.« – »Und dieses soll die Besitzungen der Rodriganda in Verwaltung genommen haben?« – »Jedenfalls.« – »Diese Herren Franzosen haben keine Zeit dazu!« – »Diese Herren Franzosen haben stets Zeit, wenn es gilt, Geld zu nehmen. Meinen Sie das nicht auch?« – »Sie denken, daß in dieser Angelegenheit Geld zu machen sei?« – »Natürlich. Ihr Bruder hat sich Geld gemacht; die Franzosen werden nicht dümmer sein als er.« – »Ich denke, daß sie diese Angelegenheit vollständig geriert haben werden. Mein Bruder hat seine Unterbeamten, die während seiner Abwesenheit die Verwaltung fortgeführt haben werden.« – »Welche während seiner Abwesenheit sich die Beutel gefüllt haben werden, wollen Sie wohl sagen.« – »Oho! Jede einzelne Besitzung, jede einzelne Hazienda hat ihren Verwalter.« – »So ist jede einzelne Besitzung und Hazienda von ihrem Verwalter ausgesogen worden; das ist noch schlimmer!« – »Wollen es abwarten!« – »Weiter können wir eben in unserer Lage nichts tun.« – »O doch! Habe ich nicht meine Bescheinigung in der Tasche, daß ich als Agent des Grafen Alfonzo den Auftrag habe, die Ordnung dieser Angelegenheiten zu übernehmen?« – »Allerdings. Nur fragt es sich, ob diese Bescheinigung auch genugsam respektiert werden wird.« – »Wer könnte mir hinderlich sein?« – »Dieser oder jener. Wir werden sehen.« – »Möglicherweise haben Sie recht. Auf alle Fälle aber werde ich, sobald wir nach Mexiko kommen, mich nach dem Palast Rodriganda verfügen, um zu rekognoszieren.« – »Nicht um zu rekognoszieren, sondern um sich in Gefahr zu begeben.« – »Keineswegs. Ich habe gute Papiere und bin unkenntlich.« – »Nun, tun Sie, was Sie wollen. Mir aber werden Sie gestatten, an einem sicheren Ort auf Sie zu warten, während Sie sich im Palast Rodriganda befinden.«

So geschah es.


 << zurück weiter >>