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5. Kapitel.

Landola hatte nicht geahnt, daß der gute Peters einen solchen instinktiven Scharfsinn besitzen könne, sonst hätte er sich anders benommen.

Als sie in die Kajüte traten, saß Wagner bei einem Glas Wein. Er empfing sie mit freundlicher Miene und sagte:

»Noch einmal willkommen an Bord, Señores! Lassen Sie uns zunächst die unliebsamen Formalitäten erledigen. Ich habe es Ihnen nicht eigens sagen lassen, aber ich denke, daß Sie Ihre Papiere bei sich haben.« – »Wir haben daran gedacht, Señor Capitano«, meinte Cortejo, indem er die beiden Pässe hervorzog.

Wagner nahm sie, ging sie durch und gab sie wieder zurück.

»Eigentlich bin ich angehalten, die Legitimationen unter Verschluß zu nehmen«, sagte er. »Aber ich glaube, heute nicht so penibel sein zu brauchen. Hier nehmen Sie und setzen Sie sich nieder!«

Die beiden Männer nahmen mit einer Verbeugung Platz. Es entspann sich ein Gespräch, das, wie es zwischen Leuten, die sich zum ersten Male sehen, herzugehen pflegt, zunächst einen langsamen Gang hatte, dann aber, als der Koch das Abendmahl schickte und der Wein seine erheiternde Wirkung ausübte, animierter wurde.

Sowohl Cortejo als auch Landola sehnten den Augenblick herbei, da der Kapitän das Gespräch auf Rodriganda bringen werde. Er kam lange nicht, aber endlich doch.

»Sie sagten, als ich Sie empfing, Don Antonio, daß Sie der Sachwalter des Grafen Rodriganda seien«, begann Wagner. »Habe ich so recht verstanden?« – »Sie haben richtig verstanden, Señor«, antwortete der Gefragte. – »Sie kennen also die Familie des Grafen Rodriganda?« – »Sehr gut.« – »Ich habe Veranlassung, einiges Interesse an dieser Familie zu nehmen. Können Sie mir sagen, aus welchen Gliedern dieselbe jetzt besteht?« – »Ich gebe Ihnen mit großem Vergnügen Auskunft. Es sind heute leider nur noch zwei Glieder zu nennen.« – »Ah! Nicht mehr?« – »Nein, wie ich mit ›leider‹ bemerkte.« – »Wer sind diese Glieder?« – »Graf Alfonzo, der sich jetzt in Madrid aufhält, und Condesa Rosa, die in Deutschland lebt.« – »In Deutschland? Wo da?« – »Auf Schloß Rheinswalden bei Mainz.« – »Wie kommt es, daß sie nach Deutschland gegangen ist?« – »Sie ist einer Liebe dorthin gefolgt.« – »Ah! Sie ist dort verheiratet?« – »Ja.« – »Mit wem?« – »Mit einem Arzt namens Sternau.« – »Eine Mesalliance also.«

Cortejo zuckte die Achsel.

»Hm, es fragt sich, was man unter Mesalliance versteht. Die Kenntnisse und der Ruf dieses Arztes wiegen einen Fürstentitel auf.« – »So kennen Sie diesen Sternau?« fragte Wagner erfreut. – »Ja.« – »Ich habe von ihm gehört. Können Sie ihn mir beschreiben?« – »Gewiß. Er ist ein langer, breiter, athletisch gebauter, aber schöner Mann, ein wahrer Riese. Dabei besitzt er das Herz und Gemüt eines Kindes.« – »Das stimmt. Wo lernten Sie ihn kennen?« – »In Rodriganda.« – »Er war dort?« – »Ja. Er operierte den Grafen Emanuel von einem ebenso schweren wie schmerzhaften Leiden.« »So lernte er wohl damals die Condesa kennen?« – »Ja.« – »Und auch Sie kannten den Grafen Emanuel?« – »Schon seit längerer Zeit.« – »Ich denke, sein Sachwalter war damals ein gewisser Cortejo?«

Cortejo zog eine Miene, als ob er einen sehr verhaßten oder verachteten Namen gehört habe, und antwortete:

»Ja, Cortejo hatte die laufenden Geschäfte zu besorgen, die Kleinigkeiten, sozusagen. Bei wichtigeren Veranlassungen aber hatte ich die Ehre, den Grafen bei mir in Barcelona zu empfangen.« – »Ach so also! Sie kannten Cortejo ganz genau?« – »Sehr genau, genauer als mir lieb war und ist.« – »Das klingt ja recht unsympathisch!« – »Soll es auch sein.« – »Sie hatten ihn nicht lieb?« – »Ganz und gar nicht. Ich will nicht sagen, daß ich ihn haßte, aber ich verachtete ihn.« – »Warum?« – »Warum? Lassen sich Gefühle erklären? – »Wohl schwerlich, aber Veranlassungen gibt es doch.« – »Das war hier allerdings der Fall. Ich hielt und halte diesen Cortejo zu jeder Schandtat fähig.«

Der Kapitän nickte.

»Das habe ich auch gehört«, sagte er. – »Wirklich? Wo?« – »Das erzähle ich Ihnen später. Erlauben Sie mir vorher erst noch einige Fragen.« – »Mit dem größten Vergnügen.« – »Hat nicht dieser Cortejo einen Bruder?« – »Ja.« – »In Mexiko.« – »Allerdings. Der eine heißt Gasparino und der andere Pablo.« – »Was für ein Kerl ist dieser Pablo Cortejo?« – »Ein abenteuernder Schurke.« – »Wirklich?« – »Ganz gewiß. Ich reise ja gerade seinetwegen nach Mexiko.« – »Ah! Das ist mir hochinteressant!« – »Wirklich? Ich komme nämlich, ihm ein klein wenig auf die schmutzigen Finger zu sehen.« – »Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu! Waren Sie in Rodriganda, als Graf Emanuel starb?« – »Ja. Ich habe ihn mit beigesetzt.« – »Er soll keines natürlichen Todes gestorben sein?« – »Nein. Er litt an einer Art unerklärlichen Wahnsinns. In einem Anfall desselben entwich er und stürzte sich in einen Abgrund. Natürlich war er sofort tot.« – »Zerschmettert sogar.« – »Ja.« – »Man scheint damals so allerlei gemunkelt zu haben.«

Cortejo schüttelte höchst unbefangen den Kopf und antwortete:

»Gemunkelt? O nein. Laut gesprochen hat man sogar!« – »Wer?« – »Doktor Sternau zum Beispiel. Das war der Grund, weshalb ich diesen Mann so lieb gewann.« – »Ah, gesprochen hat er? Darf ich fragen was?« – »Natürlich! Er erklärte öffentlich, daß die aufgefundene Leiche nicht diejenige des Grafen sei.« – »Was sagen Sie dazu?« – »Ich gebe ihm recht.« – »Aus welchem Grund?« – »Ich habe nur den einen Grund, daß Sternau ein großer Arzt und ein außerordentlicher Mann war. Die Aussage seiner Kollegen hat für mich kein Gewicht. Sie waren sämtlich obskure Mediziner, auf deren Ansichten ich nichts gebe.« – »Hatte diese Aussage Sternaus Erfolg?« – »Leider keinen. Die aufgefundene Leiche wurde als Graf Emanuel de Rodriganda beerdigt.« – »Er ist es doch wohl auch gewesen?« – »Es gibt Leute, die dies bezweifeln.« – »So sollte der eigentliche Graf noch leben?« – »Ja.« – »Aber wo?« – »Das ist ja eben das Geheimnis. Ich habe von meinem Leben nicht sehr viele Jahre mehr zu erwarten, aber die Hälfte würde ich hingeben, wenn ich dieses Rätsel lösen könnte!«

Der Kapitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann nickte er langsam mit dem Kopf und sagte in seiner bedächtigen Weise:

»Es ist doch eigentümlich, daß Condesa Rosa ebenso wahnsinnig wurde wie ihr Vater.« – »Vielleicht liegt das Übel in der Familie«, meinte Landola, zum ersten Male das Wort ergreifend. – »O nein«, entgegnete Cortejo. »Ich kannte die Grafen, und meine Vorfahren kannten die Ahnen derselben. Es ist nie ein Fall von Wahnsinn vorgekommen. Man sprach von Gift.« – »Ah! Wirklich?« fragte der Kapitän. – »Ja.« – »Wer sollte wohl ... hm!« – »Ich traue diesem Cortejo nicht.« – »Ist er denn ein so großer Bösewicht?« – »Ich sagte bereits, daß ich ihn zu allem fähig halte.« – »Sodann starb der mexikanische Graf so plötzlich.« – »Ja«, meinte Cortejo, »man sagte wohl, der Schlag hab ihn getroffen. Ich habe keine Lust, es zu glauben.« – »Warum nicht?« – »Es läßt sich das schwer sagen, Señor. Man macht zwar seine Kombinationen, behält sie aber für sich.« – »Sie sind ein vorsichtiger Mann. Aber wie verträgt es sich mit dieser Vorsicht, gewisse Verdachte auszusprechen und doch der Sachwalter des Grafen Alfonzo zu sein?«

Cortejo lächelte verständnisinnig und antwortete:

»Sie meinen, daß Graf Alfonzo mit diesem Verdacht in Beziehung zu bringen sei?« – »Vielleicht.« – »Sie mögen richtig vermuten. Aber ich will Ihnen Ihre Frage beantworten. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, die Geheimnisse des Schlosses Rodriganda zu ergründen und kann sie nur lösen, wenn ich mit dem Schloß in Beziehung bleibe, deshalb bin ich willig gewesen, der Sachwalter des jungen Grafen zu sein, wie ich derjenige des guten Grafen Emanuel war.«

Der Kapitän rückte unruhig auf seinem Sessel hin und her. Dem guten, aufrichtigen Mann drückte das, was er wußte, fast das Herz ab. Aber er beherrschte sich noch und fragte nur:

»Gibt es dieser Geheimnisse so viele?« – »Gewiß. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe nennen!« – »Wirklich?« – »Ja. Da ist zum Beispiel die Zigeunerin Zarba.« – »Kennen Sie auch diese?« – »Oh, sehr gut. Ich kannte sie bereits als Mädchen.« – »Sie soll sehr schön gewesen sein.« – »Man sagt sogar, daß sie Cortejos Geliebte gewesen sei.« – »Davon weiß ich nichts«, meinte der Kapitän. –

Aber Cortejo fuhr fort, den Kapitän noch sorgloser machend: »Ein ferneres Geheimnis ist der Husarenleutnant Alfred de Lautreville.« – »Hatte er nicht einen anderen Namen?« – »Ja. Er nannte sich auch Mariano.« – »Inwiefern ist dieser ein Rätsel?« – »Infolge seiner Ähnlichkeit mit Graf Emanuel.« – »Ah! Während Graf Alfonzo Cortejo auffallend ähnlich sieht?« – »Ja.« – »Wie wäre dies Rätsel zu lösen?« fragte der Kapitän. – »Hm. Ich glaube, der Lösung auf der Spur zu sein.« – »Wirklich?« – »Ja. Meiner Ansicht nach liegt sie in Mexiko.« – »Inwiefern?« – »Weil da die meisten der Beteiligten verschwunden sind.« – »Das ist wahr. Aber es lebt vielleicht keiner mehr von ihnen.« – »Das ist möglich. Aber sollte nicht diese oder jene Person eine mündliche oder schriftliche Überlieferung überkommen haben?«

Da konnte sich der Kapitän denn doch nicht mehr halten.

»Sie glauben, daß es solche Überlieferungen gibt?« fragte er. – »Ja.« – »Und Personen, die sie besitzen?« – »Ja.« – »Sie suchen solche Papiere?« – »Ja doch! Ich würde viel dafür bieten, um eine einzige zu treffen.« – »Nun, so will ich Ihnen sagen, daß Sie heute am Ziel sind.«

Cortejo machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Verstehe ich recht?« fragte er. – »Ja. Sie sind am Ziel. Sie haben eine solche Person gefunden.« – »In wem?« – »In mir.« – »In Ihnen?« rief der Heuchler mit gut gespielter Freude. »Wäre das möglich? Ich bewunderte allerdings schon Ihre außerordentliche Kenntnis der Verhältnisse von Rodriganda.« – »Sagen Sie mir aufrichtig«, meinte der Kapitän, »Sie sind ein Freund des Grafen Emanuel gewesen?« – »Ja. Ich glaube, er lebt noch, aber sein Bruder, Don Ferdinando ist ermordet worden. Sternau, Mariano und andere sind verschwunden; vielleicht sind sie ermordet. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, Licht in diese Sache zu bringen. Ich will wissen, ob Alfonzo der richtige Graf ist. Ich muß das erfahren, und wenn ich Zeit meines Lebens suchen sollte. Und wehe den Schuldigen, wenn ich endlich Klarheit erlange! Ich zerschmettere und zermalme sie mit dem unnachsichtigsten Paragraphen des Gesetzes!«

Er hatte sich erhoben und mit so vortrefflich imitierter Begeisterung gesprochen, daß der Kapitän sich vollständig hingerissen fühlte. Auch er sprang auf, streckte Cortejo beide Hände entgegen und rief:

»Wohlan, so will ich aufrichtig mit Ihnen sein! Wissen Sie, wer der Eigentümer dieses Dampfers ist?« – »Nein.« – »Ich werde es Ihnen sagen.« – »Oh, bitte.« – »Graf Ferdinando de Rodriganda.« – »Unmöglich!« – »Warum unmöglich?« – »Der Graf ist ja tot!« – »Nein, er lebt!« – »Was sagen Sie? Er lebt? Graf Ferdinando lebt?« – »Ja.« – »Ist's wahr? Können Sie es beschwören?« – »Ja, mit allen Eiden der Welt.« – »Um Gottes willen, sagen Sie, wo er ist! Schnell, schnell!«

Frage und Antwort zwischen beiden Männern war Schlag auf Schlag gekommen. Wagner war begeistert, und Cortejo spielte seine Rolle vortrefflich.

»Nur Geduld!« sagte der Kapitän, obgleich er selbst vor Ungeduld verging. »Ich habe Ihnen noch ganz andere Dinge zu sagen. Wissen Sie, wer außer dem Grafen noch lebt?« – »Nein. Reden Sie!« – »Sternau.« – »Gott! Wäre dies wahr!« – »Ja. Und Mariano auch.« – »Sie scherzen, Señor Capitano!« – »Nein. Ich würde mir in so ernster Angelegenheit niemals einen Scherz erlauben.« – »So dürfte ich also hoffen, die zu finden, welche ich suche?« – »Ja, sie leben. Ich habe mit ihnen gesprochen und habe mit ihnen zusammen gelebt, monatelang.« – »Wo?« – »Auf den Planken dieses Dampfers!« – »Wäre es die Möglichkeit?« – »Es ist die Wirklichkeit.« – »So erzählen Sie, Señor. Erzählen Sie! Oder vielmehr, erlauben Sie mir zu fragen, und haben Sie die Güte, mir zu antworten.« – »Herzlich gern. Fragen Sie!« – »Ich kenne die Schicksale Sternaus bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland. Warum ging er nach Mexiko?« – »Um einen gewissen Landola zu suchen. Der Name wird Ihnen unbekannt sein. Nicht wahr?« – »Allerdings. Wer war dieser Mann?« – »Er hieß Henrico Landola, Seekapitän. Eigentlich aber war er der berüchtigte Grandeprise, Kapitän des Seeräuberschiffes ›Le Lion‹, von dem Sie vielleicht gehört haben werden.« – »Oh, viel, sehr viel!« rief Cortejo.

Der Kapitän hatte keine Ahnung, daß der Korsar an seinem Tisch neben ihm saß und mit Cortejo einen Blick wechselte. Er fuhrt fort:

»Die eigentlichen Macher sind die beiden Cortejos ...« – »Ganz so, wie ich dachte.« – »Ihr Komplize und vornehmster Helfershelfer aber ist dieser verdammte Landola, den ich zu Brei zermalmen würde, wenn ich einmal das große Glück hätte, ihn in meine Hände zu bekommen.« – »Es gehört ihm auch nichts Besseres«, fiel Landola ein.

Der Kapitän fuhr fort:

»Kennen Sie vielleicht eine gewisse Schwester Clarissa, die sich zuweilen in Rodriganda aufhält?« – »Ja«, antwortete Cortejo. – »Nun, sie war die Geliebte von Gasparino Cortejo.« – »Was Sie sagen!« – »Ja. Sie gebar ihm einen Sohn.« – »Sollte man das denken!« – »Oh, man sollte noch vieles andere nicht denken! Die Eltern wollten diesen Sohn zum Grafen von Rodriganda machen, darum verwechselten sie ihn mit dem echten Sohn Don Emanuels.« – »Es ist kaum zu glauben!« – »Aber doch wahr.« – »Wie ging die Verwechslung vor sich?« – »Der kleine Rodriganda sollte zu seinem Oheim nach Mexiko geschafft werden. Er wurde aber gegen den kleinen Cortejo umgetauscht und einem Briganten übergeben, der ihn töten sollte. Der Räuber aber war mitleidiger als Cortejo. Er ließ das Kind leben und gut erziehen. Es wurde Mariano genannt und kam später als Husarenleutnant de Lautreville nach Rodriganda.«

Das war alles so wahr und klar, daß Cortejo am liebsten einen fürchterlichen Fluch ausgestoßen hätte; er beherrschte sich aber und rief:

»Santa Madonna! So ist dieser Mariano der echte Rodriganda?« – »Ja.« – »Und Alfonzo der falsche?« – »Ja.« – »Das kann bewiesen werden?« – »Zur völligsten Evidenz!« – »Welch ein Glück! Was geschah mit dem falschen Rodriganda?« – »Er wurde von Don Ferdinando erzogen, ohne daß dieser ahnte, daß er eine Schlange an seinem Busen trage.« – »Welch ein Verhängnis!« – »Als der falsche Alfonzo groß war, rief man ihn nach Rodriganda und machte seinen Vater verrückt, ebenso wie seine Schwester Rosa. Sternau heilte letztere; sie wurde seine Frau. Graf Emanuel starb scheinbar; aber die Zigeunerin Zarba wird ihn versteckt haben, so daß er sich wiederfindet.« – »Das gebe Gott!« sagte Cortejo. Im Innern aber dachte er: »Hole der Teufel diese Zarba mitsamt dem Grafen!«

Der Kapitän fuhr fort:

»Mariano sollte auf die Seite geräumt werden, wurde aber gerettet und kam mit Sternau nach Mexiko. Vorher aber war bereits ein zweites Verbrechen begangen worden; nämlich Graf Ferdinando starb.« – »Ah! Jetzt kommt es!« – »Er hatte Gift bekommen und war nicht tot, sondern nur starrkrämpfig. Er hörte und sah alles. Er wurde begraben, aber wieder aus dem Sarg genommen und in einem Korb nach der Küste geschafft, wo ihn Landola an Bord nahm und nach Harrar als Sklave verkaufte.« – »Welch eine Teufelei! Wie erging es ihm dort?« – »Sehr schlimm, bis er einen Menschen traf, der ihn kannte.«

Da wurde Cortejo doppelt aufmerksam. Er fragte schnell:

»Er hat in Harrar einen Bekannten getroffen? In diesem Land, das sonst keines Europäers Fuß betritt?« – Ja.« – »Wer war dieser Mann?« – »Ein gewisser Bernardo Mendosa, Gärtner aus Manresa, der sehr oft in Rodriganda gewesen war.«

Die beiden Männer erbleichten unter der Schminke, doch ließ Cortejo sich nichts merken; er fragte:

»Wie kam denn dieser Mann nach Harrar?« – »So wie der Graf. Er hatte Geheimnisse Cortejos erlauscht und wurde von diesem Landola übergeben, der ihn in Ostafrika verkaufte.« – »Wie wunderbar sind die Wege der Vorsehung!« sagte Cortejo, indem er die Hände faltete. – »Oh, es kommt noch wunderbarer!« – »Das ist fast unmöglich!« – »Sie werden es gleich hören. Eines Tages brachte ein Händler eine schöne, weiße Sklavin. Sie gefiel dem Sultan von Harrar, und er wollte sie kaufen. Da sie aber die Sprache des Landes nicht verstand und einer weißen Nation angehörte, so wurde der Graf geholt. Man wollte sehen, ob er ihre Sprache verstehe, damit er den Dolmetscher machen könne.« – »Verstand er sie?« fragte Cortejo, vor Neugierde fast zitternd.

Auch Landola konnte eine Bewegung der Ungeduld nicht verbergen.

»Ja; er verstand sie nur zu gut«, antwortete der Kapitän. »Er fragte, sie antwortete und nannte ihn sogar beim Namen.« – »Welch ein Wunder!« rief Cortejo. – Ja, ein Wunder möchte man es nennen, denn diese Sklavin war ... ach, raten Sie doch einmal, Señores!« – »Dies zu erraten, ist vollständig unmöglich!« – »Nun, da Sie die Verhältnisse der Rodrigandas so gut kennen, ist Ihnen auch eine Hazienda bekannt, die den Namen del Erina führt.« – Ja«, antwortete Cortejo. – »Kennen Sie den Namen des Besitzers?« – »Er heißt, glaube ich, Pedro Arbellez.« – »Ja. Dieser Arbellez hat eine Tochter ...« – »Señorita Emma?« – »Ja. Auch diese kennen Sie? Nun, sie war jene Sklavin.«

Da fuhr Cortejo empor und starrte den Sprecher an.

»Emma Arbellez?« fragte er. – »Ja.« – »Das ist die reinste Unmöglichkeit, denn dieses Mädchen wurde ...«

Fast hätte er sich verraten. Nur ein vom Kapitän unbemerkter Fußtritt brachte ihn wieder zu sich. Glücklicherweise fiel Wagner rasch ein:

»Sie glauben es nicht?« – »Nein.« – »Nun, das kann ich Ihnen allerdings nicht übelnehmen, denn Sie wissen noch nicht, wie die Señorita dorthin gekommen ist.« – »Ich bin außerordentlich begierig, es zu erfahren.« – »Nun, so hören Sie.«

Wagner erzählte nun den beiden den ganzen Vorgang, der dem Leser bereits bekannt ist.

Als Wagner bei der glücklichen Auffindung der einsamen Insel angelangt war, da rief Landola:

»Alle Teufel! Da sind Sie ein ganzer Seemann.« – »Warum?« – »Aus den Angaben eines Mädchens, das auf einem elenden Floß umhergetrieben wurde, die Lage eines kleinen Inselchens im großen Weltmeer zu bestimmen, das ist viel, das ist sogar stark!!« – »Nein, das ist unmöglich«, antwortete Wagner. »Die Ehre gebührt Sternau, der ohne Instrumente die Höhe und Breite der Insel bestimmt hatte. Emma hatte sich die Grade zufälligerweise gemerkt.« – »Ach so!« meinte Landola. »Aber doch immerhin ein Meisterstück von diesem Sternau.« – »Das ist wahr. Wir kamen nach Ostindien, wo wir von einem kleinen Teil des Schatzes, den der Graf dem Sultan geraubt hatte, den Dampfer kauften. Einen anderen Teil des Schatzes verwandte der Graf zum Ankauf englischer Staatspapiere, und nur die wertvolleren Steine behielt er für sich. Wir dampften ab, fanden die Insel, nahmen die Unglücklichen auf und gingen nach Mexiko.« – »Warum dahin?« – »Weil die Mehrzahl der Betreffenden dort ihre Interessen zunächst zu verfolgen hatten, und weil sich da diejenigen befanden, die von unserer Rache getroffen werden sollten.« – »Wo landeten Sie?« – »In Guaymas. Hier erhielt ich Ordre, um Kap Hoorn zu gehen und in Verakruz einzutreffen, um Sternau und die anderen in ihre Heimat zu bringen.« – »Wann werden sie in Verakruz erscheinen?« – »Es ist kein Zeitpunkt festgestellt.« – »So müssen Sie warten?« – »Ich werde einen Boten nach Mexiko schicken. Im Palais des Grafen Rodriganda wird Don Ferdinando schon zu finden sein.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Wo nicht, so sende ich nach der Hacienda del Erina. Dort erfahre ich Sicheres. Nun, Señores, bin ich fertig. Ich habe mich kurz gefaßt und könnte Ihnen weit mehr erzählen. Doch meine Zeit ist zu Ende.«

Der Kapitän blickte auf die Uhr und erhob sich.

»Wir danken Ihnen von Herzen!« meinte Cortejo. »Das Gehörte hat auf mich einen so tiefen Eindruck gemacht, daß ich mich fast nicht zu fassen weiß. Gönnen Sie uns Zeit, diesen Eindruck sich vertiefen zu lassen, dann werden wir Ihnen mitteilen, was wir zu tun gedenken.« – »Recht so, Señores! Suchen Sie Ihre Kojen auf und beschlafen Sie das Gehörte. Morgen können wir weiter darüber reden. Bis dahin aber gute Nacht!« – »Gute Nacht, Señor!«

Cortejo und Landola entfernten sich. In ihrer Kajüte angekommen, besprachen sie aufgeregt die Mitteilungen, die ihnen gemacht worden waren. Der erste klare Gedanke, den es gab, wurde von Cortejo ausgesprochen, indem er sagte:

»Also die Schätze des Sultans hat der Graf.« – »Millionen!« fügte Landola hinzu. – »Wo er sie haben mag?« – »Hm, ja! Ob bei sich, ob hier auf dem Schiff?« – »Man muß dies vom Kapitän zu erfahren suchen.« – »Aber um Gottes willen mit Vorsicht.« – »Das versteht sich von selbst!«


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