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22. Kapitel.

Oft scheint es fast, als ob die Vorsehung sich entschlossen habe, den Frevler entkommen zu lassen und die wohlberechtigten Pläne des Guten für immer zuschanden zu machen.

Aber Gottes Wege sind nicht unsere Wege.

Nachdem Kurt Helmers seine Besuche in Mexiko gemacht hatte, setzte er sich zu Pferde und verließ in Begleitung des Matrosen Peters die Hauptstadt. Sie erreichten nach einem raschen Ritt das Städtchen, in dem sie Geierschnabel und Grandeprise trafen; dann ging die Reise weiter.

Kurt war mit guten Karten versehen und besaß in den beiden Jägern zwei Führer, wie es keine besseren geben konnte.

Cortejo und Landola hatten als Verfolgte nicht die offene Straße eingeschlagen, sondern sich als Führer einen Mestizen gemietet und kamen infolge der schlechten Seiten- und Gebirgswege nur langsam vorwärts. Kurt ritt die Straße und konnte daher Strecken zurücklegen, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach vor den beiden Verbrechern in Santa Jaga ankommen mußte.

Darauf rechnete er auch bestimmt. Aber diese Berechnung sollte sich leider als trügerisch erweisen.

Es war am zweiten Abend, als er in der Stadt Zimapan ankam. Hier traf er auf Truppen. Die Stadt war von Franzosen besetzt, die sich vorbereiteten, unter ihrem Befehlshaber, einem General, sich nach Querétaro zu konzentrieren, um von da aus über Mexiko den Einschiffungshafen Verakruz zu erreichen. Im Norden der Stadt standen die Kaiserlichen unter dem ebenso bekannten wie berüchtigten General Marquez bereit, nach dem Abzug der Franzosen die Stadt zu besetzen. Doch war die Disziplin so locker, daß Scharen von ihnen sich in die Stadt begaben, um des Abends ein wenig mit ihren französischen Waffenbrüdern zu fraternisieren.

Durch dieses Gewühl hindurch mußte sich Kurt mit seinen Begleitern Bahn brechen. Am liebsten hätte er sich für diese Nacht draußen im Freien ein Lager gesucht, aber die beiden Jäger rieten davon ab. Sie wären doch zwischen die aufgelösten Truppen, bei denen auf rechte Manneszucht nicht zu rechnen war, geraten, und dabei vielleicht Unbilden ausgesetzt gewesen, die sie in der Stadt umgehen konnten.

Aber diese Aussage erwies sich als irrig. Die Stadt glich nicht einem Ameisenhaufen, sondern vielmehr einem Mehlwürmertopf, in dem es von Käfern, Würmern, Larven und Milben »wimmelte und kribbelte«. Von Venta zu Venta, von Posada zu Posada und zuletzt gar von Haus zu Haus suchend, fanden sie nicht das kleinste Örtchen, wo sie auf eine Stunde der Ruhe hätten rechnen können. Und deren bedurften sie doch ebensosehr, wie ihre Pferde des Futters und des Wassers.

Glücklicherweise erfuhren sie von einer alten »zahmen« Indianerin, die in einem zerrissenen und schmutzigen Hemd vor einer zerfallenen Hütte hockte, daß draußen vor der Stadt ein Bach fließe, an dessen Ufern Gras in Menge zu finden sei. Sie beschlossen also, an diesem Wasser zu biwakieren.

Leider war hier fast kein Plätzchen zu haben. Die französische Reiterei hatte sich hier festgesetzt, und so mußte Kurt froh sein, endlich ein kleines Stückchen Erde zu erobern, das zwei Schritte breit an den Bach stieß, so daß seine Tiere wenigstens zu saufen vermochten. Vor und hinter und neben der kleinen Truppe brannten Wachtfeuer, von denen sie hell beleuchtet wurden, so daß ihre Gesichtszüge ganz deutlich zu erkennen waren.

Dies störte nicht nur ihre Behaglichkeit und Ruhe, sondern es zog auch die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sie und sollte ihnen sehr verhängnisvoll werden.

Gerade vor ihnen lag eine Gruppe von vielleicht dreißig Kavalleristen im Gras. Die Leute schmauchten den starken mexikanischen Tabak und unterhielten sich von den Taten, die sie zum Ruhm Frankreichs hier in diesem Land »begangen und verschuldet« hatten. Ein ziemlich alter Sergeantmajor befand sich bei ihnen, der der Unterhaltung mit großer Würde präsidierte.

Eben war eine Gesprächspause eingetreten, als Kurt mit seinen drei Leuten herbeikam und sich in der Nähe niederließ. Ein Murren erhob sich unter den Franzosen.

»Was wollen diese Leute hier?« fragte einer. »Haben sie ein Recht hierzusein?« – »Dulden wir Zivilisten unter uns?« fragte ein zweiter. – »Mexikanische Landstreicher gehören nicht in die Nähe der Söhne unseres schönen Frankreichs«, meinte ein dritter.

Und ein vierter wandte sich direkt an den Feldwebel und sagte:

»Sergeantmajor, dulden wir das?«

Der Alte strich seinen Schnauzbart eine ganze Weile lang und erwiderte:

»Nötig haben wir es wahrscheinlich nicht!« – »Nun, so ist es Ihre Pflicht, uns von diesen Leuten zu befreien.«

Als der Alte zögerte, meinte ein junger Kerl zu ihm:

»Oder fürchten Sie sich vor diesem Zivil?«

Da warf der Feldwebel dem Sprecher einen Blick zu, der wenigstens zerschmetternd oder zermalmend wirken sollte, und sagte:

»Laffe! Als du noch keine Hosen trugst, trug ich bereits die Muskete. Ich werde euch zeigen, wie schnell dieses Zivil vor mir die Flucht ergreifen wird.«

Er schritt auf die vier Männer zu. Kurt lag im Gras und hatte sich eine Zigarre angesteckt; die anderen drei lagen mehr am Rand des Baches und beaufsichtigten ihre Pferde.

»Was wollt Ihr hier? Auf und fort!«

Diese Worte donnerte der Alte Kurt entgegen, indem er den Arm gebieterisch ausstreckte. Kurt regte sich nicht einmal.

»Habt Ihr gehört? Augenblicklich fort«, wiederholte der Alte.

Auch jetzt gab Kurt noch keine Antwort.

»Ah! Ihr wollt Euch widersetzen?« fragte der tapfere Reitersmann. »Gut, meine Leute werden Euch fortbringen.«

Kurt sah, daß er sich anschickte, Leute herbeizurufen. Das hätte eine Szene gegeben. Darum sagte er ruhig:

»Sergeantmajor, wo haben Sie für diese Nacht Ihr Quartier?«

Das empörte den Alten noch mehr. Er antwortete laut, so daß man es weithin hören konnte:

»Was? Er fragt mich nach meinem Quartier? Welches Recht hat Er dazu? Und weiß Er nicht, daß man sich erhebt, wenn man mit einem Helden Seiner Majestät des Kaisers spricht?« – »Gut, ich werde aufstehen, doch auf Ihre Verantwortung hin«, meinte Kurt leichthin. »Ich bemerke aber, daß ich dies nur aus Rücksicht auf Frieden tue, und wiederhole meine Frage, wo Sie heute abend Ihr Quartier haben.« – »Er hat sich darum nicht zu bekümmern!« – »O doch! Hat Ihre Truppe den Befehl, sich heute hier zu lagern, und ist Ihrer Abteilung vom Kommandanten diese Stelle angewiesen worden, so weiche ich gern; haben Sie aber Ihr Quartier in der Stadt, so habe ich dasselbe Recht wie Sie und bleibe.«

Der Alte sah den jungen Mann erstaunt an.

»Wer ist Er?« fragte er. »Er tut ja gerade so, als ob Er auch gedient habe und vom Reglement etwas verstehe.«

Es hatte sich um die beiden und die drei anderen Zivilisten ein weiter Kreis von Soldaten gebildet, die neugierig zuhörten.

»Können Sie lesen, Sergeantmajor?« fragte Kurt. – »Mille tonnerres!« fluchte der Alte. »Tausend Donner. Wie kann er es wagen, daran zu zweifeln?«

Kurt antwortete ruhig:

»Weil ich viel Sergeantmajors kennengelernt habe, die nicht lesen konnten. Obgleich ich nach Ihrem Kommandeur verlangen könnte, will ich mich doch herablassen, Ihnen Rede zu stehen. Hier, Kamerad, lesen Sie!«

Er zog von seinen Pässen denjenigen hervor, der in französischer Sprache abgefaßt war, und gab denselben dem Sergeanten hin.

»Wird auch viel Gescheites sein«, brummte der Alte.

Er trat näher an das Feuer, um besser lesen zu können. Kaum aber war er fertig, so kam er zurück, machte in kerzengerader Haltung sein Honneur und sagte im respektvollsten Ton:

»Verzeihung, mein Leutnant! Das konnte ich nicht wissen!« – »So hätten Sie vorher sich ordnungsmäßig erkundigen sollen. Wo haben Sie Ihr Quartier?« – »In der Stadt.« – »So bleibe ich also hier. Treten Sie ab!«

Der Alte drehte sich stramm um und marschierte nach seinem Platz zurück, wo er sich kleinmütig niederließ. Rund um ihn herum begann ein Flüstern:

»Warum ging er nicht?« fragte einer. – »Weil wir kein Recht haben, ihn fortzuweisen.« – »Sie gaben ihm das Honneur!« – »Donnerwetter! Er ist ein Offizier, und ich habe ihn Er genannt und so angedonnert. Ein Glück, daß wir morgen abmarschieren.« – »Ist er ein Franzose?« – »Nein, ein Deutscher.« – »A bah! Was für ein Deutscher?« – »Ein Preuße!« – »Hole sie alle der Teufel! Welchen Grad hat er?« – »Premierleutnant.« – »Bloß? Pah!« – »Sapperlot! Aber bei den Gardehusaren! Und beim Generalstab ist er auch! Bei dieser Jugend!«

Das flößte Respekt ein; aber man ärgerte sich doch, daß ein alter Sergeantmajor von einem Zivilisten abgewiesen wurde. Das Ereignis sprach sich von Gruppe zu Gruppe; die Kinder des französischen Ruhmes ereiferten sich darüber, und es entrierte sich eine Art von Wallfahrt nach dem Ort, wo der Deutsche lag, und nach der Gruppe, in deren Mitte der Sergeantmajor saß.

Unter anderem kam auch ein leichter Reiter herbei, der mit im Norden des Landes gefochten hatte. Er erkundigte sich nach dem Ereignis und betrachtete sich die Reisenden.

»Sacrebleu!« meinte er überrascht. »Den sollte ich kennen!« – »Den Offizier?« fragte der Sergeantmajor. – »Nein, den anderen.« – »Welchen?« – »Den mit der großen Nase!« – »Wirklich?« – »Bei Gott, ich kenne ihn. Ich will mich erschießen lassen, wenn ich ihm nicht gegenübergestanden habe. Ich sah von seinen Kugeln viele unserer Braven fallen. Es war im Gefecht bei Cena Sonores.«

Diese Worte brachten eine ungeheure Wirkung hervor.

»Was? Er ist ein Feind?« fragte der Alte. – »Ja. Er war bei Juarez; er ist ein amerikanischer Jäger und wird Geierschnabel genannt.« – »Dann ist er ein Spion!« rief einer halblaut. – »Bist du deiner Sache gewiß?« fragte der Alte. – »Ganz und gar. Aber ich werde gehen, um Mallou und Rénard zu holen. Sie haben an meiner Seite gefochten und werden ihn wiedererkennen.« – »Gehe, mein Sohn! Mir geht ein Licht auf. Ein deutscher Offizier in Zivil mit einem Spion des Juarez und noch zwei anderen, die wohl auch Spione sind, das wäre ein Fang, wie er nicht besser gemacht werden könnte.« – »Dann würden wir diesem Deutschen zeigen, daß er doch vom Wasser fort muß. Aber wohin! Hahaha!« – »Still, Jungens«, befahl der Alte. »Diese Personen dürfen nicht ahnen, was hier vorgeht, sonst könnten sie doch suchen, uns zu entkommen, und das wäre jammerschade!« – »Uns entkommen?« fragte der Junge, der vorhin so voreilig gewesen war. »Dies ist ja ganz und gar unmöglich. Wir sind ja da!« – »Halte den Mund, Knabe!« entgegnete der Alte. »Lerne erst die Jäger kennen, dann wirst du erfahren, was so ein Kerl zu bedeuten hat. Wenn Juarez dieses Land wieder erobern sollte, so hat er es nur der Disziplin, der Ausdauer und der eisernen Tapferkeit und Bravour dieser amerikanischen Jäger zu verdanken.«

In diesem Augenblick kehrte der Soldat mit seinen zwei Kameraden zurück und sagte:

»Hier sind Rénard und Mallou. Sie mögen sehen, ob ich recht habe oder nicht.« – »Ja, Jungens«, meinte der Alte, »seht euch doch einmal den Kerl da drüben an, der die lange Nase hat. Der da, euer Kamerad, meint, daß euch diese Nase bereits bekannt sei.«

Die beiden Soldaten folgten dieser Aufforderung. Kaum hatten sie Geierschnabel erblickt, so meinte Rénard:

»Sacrebleu! Den Kerl kenne ich!« – »Und ich auch!« fügte Mallou hinzu. – »Wirklich?« fragte der Alte, der sehr gespannt aussah. – »Ja«, antwortete Rénard. »Er hat uns in der Bataille von Cena Sonores gegenübergestanden.« – »Es ist Geierschnabel, der berühmte amerikanische Jäger«, erklärte Mallou. »Er gehört zu den Truppen des Juarez, und wir drei haben mit eigenen Augen viele von den Unsrigen von seinen Kugeln fallen sehen.« – »Was? Wirklich? Ihr kennt ihn also genau?« fragte der Sergeantmajor, der es für angezeigt hielt, in einem solchen Fall, der jedenfalls ein sehr wichtiger war, so sicher wie möglich zu gehen. – »Natürlich, natürlich ist er es! Man kann sich ja gar nicht irren. Wer dieses Gesicht gesehen hat, für den ist eine Täuschung geradezu unmöglich, mein Sergeantmajor.« – »Hm«, brummte der Alte. »Das kann diesen Leuten verdammt gefährlich werden. Kennt Ihr vielleicht noch einen anderen von ihnen?« – »Nein.« – »Na, das tut auch weiter nichts zur Sache. Nun aber ist es unsere Pflicht, uns dieser Leute zu versichern. Aber das muß mit Vorsicht geschehen, da der eine von ihnen ein Offizier ist. Man muß dem General Meldung machen. Das werde ich besorgen, und ihr drei geht mit. Ihr anderen laßt euch einstweilen nicht das mindeste merken, habt aber ein scharfes Auge auf sie. Sollten sie sich entfernen wollen, so haltet ihr sie zurück, und zwar mit Gewalt, wenn es notwendig sein sollte.«

Er entfernte sich mit den drei Soldaten, die als Zeugen dienen sollten, und es trat nun eine Pause der Spannung ein, während welcher Kurt nicht das mindeste ahnte von dem, was ihm und den Seinigen bevorstand.


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