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10. Kapitel.

Landola hatte Cortejo mit großer Ungeduld erwartet.

»Nun?« fragte er. »Ich glaubte bereits, daß Ihnen etwas Unangenehmes passiert sei.« – »Das ist auch der Fall«, brummte Cortejo verdrossen. – »Ah, doch!« – »Ja, wenn auch nicht das, was Sie dachten.« – »Ich glaubte gar, man hätte Sie festgehalten.« – »Es wäre auch beinahe geschehen.« – »Alle Teufel!« – »Wenigstens hat man mir damit gedroht.« – »Wer?« – »Dieser Herr Administrator.« – »Ah! Der gräfliche Palast hat einen Administrator?« – »Nicht nur der Palast, sondern unsere ganzen Besitzungen stehen unter seiner Verwaltung.« – »Was ist er? Ein Österreicher?« – »Nein, ein Franzose.« – »Da haben Sie es. Hatte ich nicht recht?« – »Leider.« – »Wie empfing er Sie?« – »Dieser Mensch behandelte mich von oben herab und erkannte meine Papiere gar nicht an.« – »Das wäre stark! Sie sind doch echt und gültig!« – »Echt ja, aber nicht gültig. Es handelt sich hier um einen Ausnahmefall, weil wir Krieg haben. Ich hätte der Unterschrift unseres Residenten bedurft. – »Gehen Sie zum Geschäftsträger!« – »Da war ich schon.« – »Was sagte dieser?« – »Ganz dasselbe.« – »Der Teufel soll ihn holen! Übrigens wollen wir froh sein, daß Sie überhaupt und mit heiler Haut zurückgekehrt sind. Hätte man Sie wirklich festgehalten ... Doch, warum wollte man dies tun?« – »Er nannte meinen Bruder einen Betrüger.« – »Und Sie wurden wohl gar deswegen grob?« fragte Landola, im höchsten Grade erstaunt. – »Allerdings.« – »Welch eine riesige Dummheit!« – »Oh, es war mehr noch als Dummheit! Aber ich war zornig über diesen impertinenten Kerl von Franzosen.« – »Ich sehe nun schon, wie sehr man sich auf Sie verlassen kann. Sie sind imstande, unsere ganze Angelegenheit zu verderben.« – »Ich werde mich beherrschen.« – »Ich hoffe es. Also diese Affäre mit dem Intendanten ist für jetzt hoffnungslos. Was tun wir nun?« – »Es gilt, das Grab zu füllen.« – »Und dann?« – »Dann reisen wir sofort nach dem Kloster della Barbara.« – »Womit füllen wir das Grab?«

Sie befanden sich ganz allein in ihrem Zimmer, dennoch meinte Cortejo in warnendem Ton:

»Nicht so laut! Man könnte uns hören. Natürlich füllen wir es mit einer Leiche.« – »Aber woher sie nehmen?« – »Dummheit! Das versteht sich ja ganz von selbst.« – »Sie meinen, wir erkundigen uns, wo jemand gestorben ist, rauben den Kerl und legen ihn im Erbbegräbnis der Rodrigandas in den leeren Sarg Don Ferdinandos?« – »Das wäre der allergrößte Wahnsinn, den wir uns zuschulden kommen lassen könnten.« – »Wieso?« – »Sie geben zu, daß unsere Feinde uns entschlüpfen können?« – »Ja, obgleich dies ein ganz verteufelter Fall sein würde.« – »Und daß sie dann nach der Hauptstadt kommen würden?« – »Ja.« – »Daß dann ihr erstes sein würde, das Erbbegräbnis zu untersuchen?« – »Ja. Aber das wäre ja für uns sehr günstig.« – »Wieso?« – »Sie würden die Leiche finden, und es wäre dann bewiesen, daß Don Ferdinando wirklich gestorben ist.« – »Ah«, dehnte Cortejo im Ton der Überlegenheit. – »Ja. Oder meinen Sie anders?« – »Ja, sehr anders. Sagen Sie mir doch einmal, mein kluger Señor Sekretario, was man vor allen Dingen mit der Leiche tun würde?« – »Nun, man würde sie natürlich untersuchen.« – »Wer würde diese Untersuchung vornehmen?« – »Ein Arzt, oder mehrere, das versteht sich ja von selbst.« – »Und was würden diese Ärzte sofort bemerken?«

Landola blickte Cortejo fragend an. Er konnte das Richtige nicht gleich finden, darum antwortete er mit zynischem Lachen:

»Nun, sie würden vor allen Dingen finden, daß diese Leiche tot ist.« – »Ja; aber man würde auch finden, wann und woran sie gestorben ist.« – »Alle Teufel! Das ist wahr.« – »Was folgt daraus?« – »Ah! Nun verstehe ich Sie vollständig.« – »Nun?« – »Wir müssen eine Leiche haben, die ungefähr um dieselbe Zeit begraben wurde, in der man Don Ferdinando beerdigte.« – »Und wo finden wir die?« – »Auf dem Gottesacker natürlich.« – »Ja. Sie muß gesucht und am Abend ausgegraben werden.« – »Wir brauchen ja nur die Inschriften der Leichensteine zu lesen, um die richtige Jahreszahl zu finden.« – »Endlich haben Sie die Hand auf dem Knopf.« – »Aber die Kleider?« – »Oh, die machen mir keine Sorge. Ich habe unterwegs den Schiffsarzt befragt, der ein guter Chemiker ist.« – »Donnerwetter! Das war gefährlich! Er hätte, wenn er halbwegs scharfsinnig war, Ihre Absicht erraten können.« – »Denken Sie, daß ich so unvorsichtig bin?« – »Daß Sie es einigermaßen sind, haben Sie bewiesen, indem Sie dem Administrator zürnten, weil er Ihren Bruder einen Betrüger nannte, wobei er übrigens meine volle Zustimmung hat.« – »Das war die Übereilung des Zorns. Der Arzt aber hat nicht das mindeste geahnt. Er hat mir ganz unbefangen mehrere Mittel genannt, die festesten Kleiderstoffe so in Zunder zu verwandeln, daß sie bei der geringsten Berührung vom Leib fallen.« – »Aber doch so, daß man sie nicht für verkohlt, sondern für verfault, für verwest halten kann?« – »Ja.« – »Ohne daß man Verdacht zu schöpfen vermag?« – »Ohne alle Möglichkeit des Verdachtes.« – »Hm, das wäre vorteilhaft. Aber woher eine Kleidung nehmen?« – »Vom ersten, besten Schneider oder Altkleiderhändler.« – »Aber sie müßte derjenigen, in der der Don begraben wurde, ganz ähnlich sein.« – »Das wird der Fall sein. Mein Bruder hat mir damals die ganze Leichenfeierlichkeit und natürlich auch den Anzug des Scheintoten sehr ausführlich und genau beschrieben, so daß ich in dieser Beziehung sicherlich keinen Fehler begehe.« – »Dies wäre gar nicht notwendig. Sie vergessen, daß man mir die Leiche auf das Schiff gebracht hat.« – »Ah, so.« – »In derselben Kleidung, in der sie begraben worden war.« – »Das ist richtig.« – »Und daß ich mich dieser Kleidung noch ganz genau erinnere.« – »Nun, so brauchen wir nur zu memorieren, und Sie sind zugegen, wenn ich ein Gewand kaufe.« – »Natürlich. Nun aber noch eins, und zwar die Hauptsache. Wir graben eine Leiche aus. Wird man das am anderen Tag nicht bemerken?« – »Wir nehmen uns möglichst in acht.« – »Eine ganz verdammte Geschichte!« – »Sie sind selbst schuld daran.« – »Ich? Wieso?« – »Sie und mein Bruder, dieser dumme Mensch! Hätte er diesen Don Ferdinando wirklich sterben lassen, und wären Sie auf seinen Vorschlag, den Scheintoten auf Ihr Schiff zu nehmen, nicht eingegangen, so befänden wir uns nicht in der gegenwärtigen, unangenehmen Lage, diesen gewaltigen Fehler wiedergutzumachen. Sie sehen doch ein, daß ich recht habe?« – »Leider. Aber wie verschaffen wir uns das Nötige, Hacken, Schaufeln, Laternen, Bretter und eine Leiter?« – »Laternen müssen wir uns allerdings kaufen. Das andere ist vielleicht auf dem Gottesacker zu haben. Die Totengräber haben gewöhnlich ein Gelaß, worin sich diese Gegenstände befinden.« – »So müssen wir uns baldigst überzeugen.« – »Wir werden sogleich gehen. Aber vorher ist noch etwas sehr Wichtiges zu erörtern. Wir brauchen eine Person, die Wache steht, damit wir nicht gestört werden oder bei Gefahr zur rechten Zeit fliehen können.« – »Diese Person ist bereits gefunden.« – »Wer ist sie?« – »Mein Bruder.« – »Ah, der! Wird er sich bereden lassen, es zu tun?« – »Ganz gewiß.« – »Welche Gründe geben wir an? Denn die Wahrheit können wir ihm doch unmöglich sagen.« – »Das fällt mir gar nicht ein. Überlassen Sie das mir! Er haßt mich, und auf diesen Haß gründe ich die Fabel, die ich ihm erzählen werde und die ihn ganz sicher bewegen wird, sich uns bei diesem Unternehmen anzuschließen.« – »Wo befindet er sich?« – »Er schläft unten im Hof auf den Steinen. Lassen wir ihn schlafen. Sind Sie bereit?« – »Ja, gehen wir.«

Sie verließen das Gasthaus und schritten durch die Straßen, in denen infolge der Anwesenheit des Militärs ein ungewöhnlich reges Leben herrschte. Doch zeigten die Soldaten nicht etwa jene sicheren Mienen, wie man sie bei Siegern zu sehen gewohnt ist. Man ahnte in den niederen Kreisen, was man in den höheren bereits wußte, nämlich, daß das glanzvolle Spiel zu Ende sei, bei dem es dem Kaiser der großen Nation nicht gelungen war, sich Ruhm und Ehre zu holen.

Nach kurzem Fragen fanden die beiden den Weg zu dem betreffenden Kirchhof, der offen stand.

Es war jetzt gegen Mittag. Die Sonne stand hoch, und die Wärme ihrer Strahlen machte, daß keine Besucher sich an dem einsamen Ort befanden. Die beiden Männer traten ein und konnten ihre Beobachtungen ganz ungestört vornehmen.

Zunächst suchten sie das Erbbegräbnis der Rodriganda, das sie auch unschwer fanden. Es war mit einem eisernen Tor verschlossen.

»Werden wir es öffnen können?« fragte Landola. – »Wir müssen uns Werkzeuge verschaffen«, meinte Cortejo. – »Aber woher?« – »Das lassen Sie meine Sorge sein.« – »Von einem Schlosser etwa? Er darf keinen Dietrich hergeben.« – »Sie vergessen, das wir uns in Mexiko befinden. Mit Geld will ich da noch ganz andere Dinge fertigbringen.«

Nun schritten sie zwischen den Gräbern dahin, um die Inschriften zu lesen. An der Mauer zogen sich kleine Gebäude dahin, eins an dem anderen liegend.

»Auch das müssen Erbbegräbnisse sein«, meinte Landola. – »Natürlich«, antwortete Cortejo. – »Donnerwetter! Da kommt mir ein Gedanke!«– »Ah, Sie haben einmal einen Gedanken?« fragte Cortejo unter einem sarkastischen Lachen. – »Lachen Sie nur! Dieser Gedanke ist doch gut!« – »So lassen Sie ihn hören!« – »Wie nun, wenn wir weder Hacke noch Schaufel brauchten?« – »Das wäre allerdings vorteilhaft.« – »Wenn es gar nicht nötig wäre, ein Grab zu öffnen?« – »Wieso?« – »Welch eine Ersparnis an Zeit und Mühe! Sehen Sie diese große Reihe von Erbbegräbnissen.« – Ah, ich errate, was Sie meinen. Der Gedanke ist allerdings gut.« – »Es muß sich bei einer solchen Anzahl von Grüften doch jedenfalls eine Leiche finden, die das erforderliche Alter hat.« – »Man sollte es wenigstens meinen.« – »Lassen Sie uns sehen! Diese unheimlichen Schlafzimmer sind meist nur mit Gittertüren verschlossen, durch die man sehen kann. Vielleicht gewahren wir eine Inschrift, die uns als Wegweiser dienen kann.«

Sie schritten nun an den Begräbnissen hin, um nach Inschriften zu suchen. Nach einiger Zeit blieb Cortejo vor einer der Gittertüren stehen und sagte:

»Lesen Sie, Señor Sekretario.« – »Wo?« – »Da drin an der hinteren Wand.«

Landola trat herzu, blickte durch das Gitter und sah verschiedene Steine mit Inschriften, deren Zahl bewies, daß die Gruft ziemlich gefüllt sein müsse.

»Sie meinen die oberste Inschrift?« fragte er. – »Ja.« – »Hm. Der Tote ist Bankier gewesen, wie hier steht.« – »Das ist nicht die Hauptsache.« – »Sechsundfünfzig Jahre alt.« – »Das paßt.« – »Vor achtzehn Jahren gestorben.« – »Das paßt ebensogut, vielleicht noch besser. Was meinen Sie?« – »Hm. Sie haben recht. Wie aber den richtigen Sarg finden?« – »Vergleichen Sie die anderen Inschriften.« – »In welcher Beziehung?« – »Bezüglich der Todestage.«

Landola folgte der Aufforderung und meinte dann:

»Ich verstehe Sie. Dieser Bankier ist die letzte Leiche, die hier beigesetzt wurde.« – »Was folgt daraus?« – »Daß sein Sarg wohl am besten erhalten ist.« – »Und daß dieser Sarg sehr leicht zu finden sein wird. Die Hauptfrage aber muß ich doch vorher an Sie stellen.« – »Fragen Sie!« – »Werden Sie da unten Ihre Kaltblütigkeit bewahren?« – »Donnerwetter! Meinen Sie etwa, daß ich mich fürchte?« – »Hm. Es ist ein Unterschied, einem Lebenden mit der Waffe in der Faust entgegenzutreten oder des Nachts in ein Begräbnis hinabzusteigen.« – »Pah!« – »Einen Sarg zu öffnen!« – »Abermals pah!« – »Einer Leiche in das Gesicht zu sehen!« – »Kleinigkeit.« – »Und nun gar diese Leiche anzurühren, um sie zu entkleiden und ihr ein anderes Gewand anzulegen.« – »Hole Sie der Teufel! Mir ist es sehr egal, wem ich den Rock aus- und anziehe, einem Lebenden oder einem Toten. Sehen Sie zu, daß Sie nicht vor Angst davonlaufen!« – »Meiner bin ich vollständig sicher. Aber Ihr Bruder?« – »Der bekommt die Leiche gar nicht zu sehen. Er steht am Tor Wache und darf nicht wissen, was wir mit dem Toten machen.« – »Er muß aber doch erfahren, was wir hier wollen.« – »Nur so viel, wie unumgänglich notwendig ist.« – »So haben wir also gefunden, was wir suchten. Kommen Sie nun, um uns noch nach einer Leiter umzusehen!«

Sie fanden das Gesuchte in einem Winkel des Kirchhofes, wo der Totengräber seine Werkzeuge aufzubewahren pflegte. Nun war der Zweck ihres Kirchhofbesuches erfüllt, und sie begaben sich nach der Stadt zurück, wo sie einen Kleiderhändler aufsuchten, bei dem sie alles fanden, was sie wünschten.


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