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43. Kapitel.

Sternau öffnete und zog die Tür dann wieder hinter sich zu. Das Zimmer war leer, aber aus dem nebenanliegenden hörte er eine halblaute, leidende Stimme fragen:

»Bist du es, Zarba?«

Er antwortete nicht, aber er trat näher. Er hätte nicht ein Wort über seine Lippen bringen können, so bewegt war er. Die Gouvernante saß am Fenster, noch immer so schön, ja noch schöner als früher, aber ihre Schönheit war eine andere, eine leidende, eine rührende geworden. Ihr Auge zeigte noch die Spur von Tränen, die sie soeben in der Stille vergossen hatte. Sie sah so müde, so teilnahmslos aus, sie blickte nicht einmal nach dem Eingang, obgleich sie das Geräusch des Nähertretenden gehört haben mußte.

»Fräulein Wilhelmi!«

Endlich brachte er diesen leisen Ruf über seine Lippen. Sie fuhr zusammen, wandte ihm das Gesicht zu und erblickte ihn. Ein tiefer Schreck durchzuckte ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt.

»O mein Gott!« schluchzte sie. »Sie sind es, Herr Sternau?«

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und wandte sich ab. Er sah die Tränen zwischen ihren schlanken Fingern hervorquellen und faßte sich, trat näher und zog die Hände von ihrem Gesicht fort.

»Verzeihen Sie mir«, bat er mit zitternder Stimme, »daß ich Sie überrasche. Ich wollte Sie schon längst besuchen, aber man ließ mich nicht zu Ihnen.« – »Gehen Sie, gehen Sie wieder«, bat sie. – »Sie weisen mich fort?« fragte er. »Hassen Sie mich denn so sehr?« – »Hassen?« fragte sie. »O nein. Sie sind so gut, so stolz, so stark und rein. Ich bin es nicht wert, daß Sie sich in meiner Nähe befinden.«

Da zog ihn seine tiefe Bewegung vor ihr auf die Knie nieder. Er legte seine Stirn in ihre Hände und weinte lange, lange Zeit. Als er dann das Gesicht wieder zu ihr erhob, war es zwar von dieser Tränenflut benetzt, aber aus seinem Auge glänzte ein Strahl unendlicher Liebe.

»Zürnen Sie mir, daß ich Sie aufsuche?« fragte er. – »Nein, o nein. Aber es wird das letzte Mal sein, daß Sie bei mir sind.« – »Warum?« – »Weil ich Ihnen mitteilen muß, daß Sie recht gehabt haben in allem, was Sie mir sagten und wovor Sie mich warnten.« – »Ja, ich hatte recht in allem, aber auch darin, daß die Liebe nimmer aufhören kann.« – »Sie wird aufhören.« – »Nie! Ich fühle es in dieser Stunde.«

Mit diesen Worten erhob er sich wieder von dem Boden und legte den Arm um sie, zog sie an sich und legte seinen Mund auf ihre Lippen. Sie ließ es geschehen, ja, er fühlte sogar, daß sie den Druck seiner Lippen erwiderte, daß sie ihm zeigen wollte, daß ihr Herz sich ihm nun zugewandt habe, dann aber riß sie sich aus seinen Armen los und sagte:

»Das war unser Abschied, unser Abschied für immer. Leben Sie wohl!«

Doch er zog sie wieder an sich, drückte sie an seine Brust und stammelte: »Nein, das war kein Abschied, sondern das war der Anfang unseres Glücks.« – »Unmöglich!« rief sie abwehrend. – »Warum unmöglich?« fragte er. »Hassen Sie mich noch?« – »Hassen? O nein, nein!« – »Aber Sie lieben mich auch nicht? O bitte, sagen Sie mir es doch!«

Da leuchtete es in ihrem Angesicht, und sie antwortete:

»Ich liebe Sie, ja, ich liebe Sie! Ich liebte Sie bereits, seit ich Sie zum ersten Mal sah, ich habe das zu spät erkannt, o Gott, zu spät, zu spät!« – »Nein, nicht zu spät«, sagt er. »Um glücklich zu sein, ist es immer noch Zeit genug.« – »Bei mir nicht«, flüsterte sie, »denn ich bin des Glückes unwürdig geworden.« – »Sie täuschen sich«, versicherte er, sie immer inniger an sich ziehend. »Sie täuschen sich!« – »Ich täusche mich nicht«, antwortete sie. »Aber Sie wissen nicht alles.« – »O doch, ich weiß alles«, sagte er. – »Alles?« fragte sie, vor unendlicher Scham erglühend. – »Ja.« – »Wer hat es Ihnen gesagt?« – »Zarba.« – »Mein Gott!«

Sie wandte sich unter einer neuen Tränenflut von ihm ab; er aber zog sie an sich und küßte ihr die Tränen von den Wimpern.

»Darf ich sprechen?« fragte er. – »Sprechen Sie«, antwortete sie. »Es wird mein Todesurteil sein.« – »Nein. Ich würde Sie begnadigen, selbst wenn Sie schuldig wären, aber Sie sind unschuldig. Der einzige Vorwurf, der Sie treffen könnte, ist der, daß Sie mir nicht vertrauten. Nun es aber einmal geschehen ist, so soll das meiner Liebe keinen Eintrag tun. Sagen Sie mir, wollen Sie mein Weib, mein liebes Weibchen werden und mich in die Heimat begleiten?« – »Oh, wie gern, wie so gern, wenn es ginge! Aber es ist unmöglich; es ist unmöglich, denn Sie – wissen ganz gewiß noch nicht alles!« – »Ich weiß alles.«

Sie antwortete nicht. Ein tiefer Seufzer erklang durch die Stille, dann lag sie besinnungslos in seinen Armen. Die auf sie mit aller Gewalt eindrängende Scham hatte zur Ohnmacht geführt. Er aber hielt sie fest an sein Herz gedrückt und küßte sie immer und immer wieder auf den Mund, bis sie die Augen aufschlug und nun, einem unwiderstehlichen Impuls folgend, die Arme um ihn schlang.

»Ist es denn wahr, ist es denn möglich?« fragte sie mit bebender Stimme. – »Ja. Ich liebe dich noch wie vorher.« – »Und verstößt mich nicht?« – »Nein.« – »Und wirst mich niemals das entgelten lassen, wofür ich doch nichts kann?« – »Niemals.« – »Und mein – mein – mein Kind nicht hassen um seines Vaters willen?« – »Nein. Ich werde sein Vater sein, ich werde stets so sein, als ob du dieses unglückliche Haus niemals betreten hättest. Willst du unter diesen Bedingungen die Meine werden?« – »Ja.«

Dieses Ja erklang im lauten Jubel. Sie warf sich stürmisch an seine Brust, und wenn ja noch ein zweifelnder Gedanke bisher in seinem Herzen festgesessen hätte, so mußte er weichen vor der Fülle des Glücks, das ihm hier aus den Augen und dem Angesicht der Geliebten entgegenleuchtete.

»Wirst du auch sofort dieses Haus mit mir verlassen?« fragte er. – »Sofort!« – »Und erlauben, die Angelegenheit mit dem Herzog in Ordnung zu bringen?« – »Ja, Geliebter!«

Während dieser stürmischen Unterredung fand eine zweite statt, die allerdings nicht so glücklich endete. Zarba nämlich hatte, als sie von Sternau verlassen worden war, die Heimkehr des Haushofmeisters bemerkt und sich sofort zu ihm begeben.

»So früh heute?« empfing er sie mürrisch. »Schläft die Wilhelmi bereits?« – »Nein, aber sie bedarf meiner nicht. Komm, setz dich!«

Sie zog ihn neben sich auf das Sofa nieder und legte den Arm mit verstellter Zärtlichkeit um ihn. Sie sah wohl, wie er leise von ihr fortzurücken suchte, aber sie tat als ob sie es gar nicht bemerke, und sagte:

»Ich habe mit dir zu sprechen, und zwar über die Gouvernante.« – »Was geht die uns jetzt an!« meinte er. – »Sehr viel! Da sie jetzt wieder genügend hergestellt ist, so bedarf sie auch keiner Pflege mehr.« – »Hm, das ist allerdings wahr«, meinte Cortejo mit gespannter Miene. – »Und sie wird nun den Unterricht wieder beginnen?« – »Ich weiß es nicht. Ich muß erst hören, was der Herzog beschlossen hat.« – »Und ich?« – »Es ist, wie du bereits sagtest: Du bist dann entbehrlich geworden.« – »So werde ich wohl entlassen?« – »Wahrscheinlich.« – »Ist dies nicht zu umgehen? Du weißt ja, wie vorteilhaft es ist, daß ich hier im Palais wohne.« – »Es wird sich wohl schwerlich ein Grund für dein ferneres Verbleiben finden lassen. Wenn du das Palais verlassen hast, werde ich dich bei den Deinen besuchen.« – »Du denkst, daß ich zu ihnen zurückkehren soll?« – »Natürlich!« – »Und mit ihnen gehen, wenn sie weiterziehen?« – »Ganz wie es dir beliebt.« – »Es wird mir nicht belieben.« – »Du scherzt, Kleine!« – »Hast du mir nicht gesagt, daß ich dein Weib werden soll?« – »Allerdings.« – »Nun, wann wird dies geschehen?« – »Wenn die Verhältnisse günstig sind. Vielleicht in einem Jahr, das habe ich dir ja bereits öfter gesagt.« – »Du irrst, wenn du nur nach deinen Ansichten gehst. Nach eurer christlichen Anschauung bin ich allerdings nicht dein Weib, denn wir sind nicht getraut worden, nach den Gebräuchen der Gitanos aber bin ich es, denn ...« Zarba näherte ihren Mund seinem Ohr und flüsterte ein Wort hinein.

Er fuhr zurück.

»Alle Teufel, steht es so?« fragte er. – »Ja, es steht so«, sagte sie ruhig. »Du siehst also, daß ich dich gar nicht verlassen kann!« – »Nicht? Hm!«

Er lachte kurz und höhnisch auf. Er war der Zigeunerin nun überdrüssig geworden und sah jetzt eine gute Gelegenheit, sie loszuwerden.

»Du scherzt wohl?« fragte er also ironisch. – »Es ist Ernst!« – »Pah, denkst du wirklich, daß ich dies glaube?«

In ihrem Angesicht regte sich keine Miene, aber ihr Auge richtete sich stechend auf ihn.

»Was fällt dir ein?« sagte sie. »Willst du mich verleugnen? Ist dies dein wirklicher Entschluß?« – »Ja.« – »Diesen Entschluß hat dir wohl deine Clarissa eingegeben?«

Er stutzte, faßte sich aber sofort und antwortete:

»Was weißt du von ihr?« – »Alles.« – »Oho! Ich will dir allerdings sagen, daß dieses Mädchen meine Geliebte ist.«

Sie lächelte, aber in diesem Lächeln lag das Zähnefletschen einer Tigerin.

»Du kennst mich nicht«, entgegnete sie. – »Nicht? Oh, ich habe mich niemals in dir geirrt!« – »Nun, wofür hältst du mich?« – »Für ein allerliebstes Spielzeug.« – »Eine Zingarita, ein Spielzeug, das man wegwirft!«

Es lag in ihrer Bewegung bei diesen Worten etwas, als ob sie sich wie eine Boa constrictor auf ihn werfen wolle, um ihn zu umschlingen und zu zermalmen, dennoch aber blieb ihr Gesicht ruhig, und ihre Miene war fast freundlich zu nennen. Gerade in dieser Selbstbeherrschung lag der Grund, dieses Mädchen für gefährlich, ja, für fürchterlich zu halten. Er aber übersah das und sagte:

»Eine Zingarita? Pah! Was will das bedeuten? Zigeunerinnen sind Bettelkinder. Geh!« – »Du dauerst mich! Die Zingarita ist die zukünftige Königin des Stammes, ihr ist eine Macht gegeben, von der du gar keine Ahnung hast Wir stammen aus dem fernen Indien, aus welchem wir auszogen, um rund um die Erde zu wandern. Unser Volk scheint untergegangen zu sein, aber es wird einst in alter Herrlichkeit wieder neu erstehen. Eine Zingarita kannst du nicht kaufen, sie verachtet dein Geld, denn ihr stehen Schätze zu Gebote, wie du sie nie gesehen hast und niemals sehen wirst ...« – »Desto besser!« – »Und meine Rache fürchtest du nicht?« – »Deine Rache?« fragte er geringschätzig. »Hältst du mich für ein Kind?«

Jetzt traf ein einziger, blitzschneller Blick ihres Auges das seinige, aber dieser Blick fuhr ihm in die tiefste Seele. Sofort jedoch spielte wieder ein Lächeln um ihre Lippen.

»Ja, du bist ein Kind«, sagte sie, »ein unverständiges, unvorsichtiges Kind. Und mit einem Kind kämpft die Zingarita nicht. Ich werde warten, bis du ein Mann geworden bist und dann werden wir ja sehen, wer stärker und mächtiger ist, du oder ich.« – »Schön«, lachte er; »das wird interessant! Wie lange bleibst du noch hier im Palast?« – »Ich werde ihn bereits morgen früh verlassen.« – »So können wir wohl jetzt schon Abschied nehmen?« – »Ja, wenn wir uns nicht zufälligerweise wiedersehen.« – »So lebe wohl!«

Sie streckte ihm freundlich die Hand entgegen und antwortete: »Lebe wohl, Geliebter!« – »Lebe wohl!«

Zarba ging, und Cortejo glaubte einer Sorge ledig zu sein, denn ihre Rache zu fürchten, das fiel ihm gar nicht ein. Er hielt sie ja für ein Kind, das ihm nicht im mindesten gefährlich sein konnte, und ihre Reden von der Macht und den Reichtümern, die sie besaß, waren seiner Ansicht nach nur leere Phantastereien, die keinen Inhalt hatten. Er wandte sich daher sehr befriedigt seiner Arbeit zu, und indem seine Feder über das Papier glitt, ahnte er nicht, daß er heute in die Seele der Zingarita die Rache in einer Schrift geschrieben hatte, die nie vergehen würde.

*

Die Gouvernante kehrte am anderen Morgen mit Sternau in ihre Heimat zurück. Ihr erstes Kind war ein Sohn, der nachherige Doktor Karl Sternau, der in Rodriganda eine so bedeutende Rolle spielte. Er hatte keine Ahnung davon, daß er der Sohn eines Herzogs sei und war von seinem Pflegevater in all den ritterlichen Künsten und Fertigkeiten geübt worden, durch die er später ein solches Aufsehen erregte.

Zarba kehrte zu den Ihrigen zurück. Auch ihr Kind war ein Sohn, er erhielt den Namen Tombi und ist derselbe geheimnisvolle Gitano, der später in Rheinswalden bei dem Oberförster Rodenstein als Waldhüter auftrat. Er hatte gleichfalls keine Ahnung davon, wer sein Vater war.


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