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37. Kapitel.

Unterdessen war Gasparino Cortejo zu seiner Freundin gegangen. Clarissa Margony bewohnte ein allerliebstes kleines Logis im Haus eines Produktenhändlers. Sie schien den Kommenden erwartet zu haben, denn sie kam ihm bis an die Treppe entgegen, wo sich beide mehr als herzlich umarmten.

»Endlich, endlich, mein teurer Gasparino!« sagte sie, als er bei ihr im Zimmer stand. »Du hast mich lange warten lassen. Ah, und was bringst du denn da?« – »Ein Maskenanzug!«

Sie klatschte in die großen Hände und untersuchte das Paket.

»Oh, wie herrlich!« rief sie. »Ein Mexikaner! Welch eine Überraschung. Nun will auch ich eilen, daß ich fertig werde mit meinem Anzug.« – »Ah, du hast auch eine Maske?« – »Ja«, jubelte sie. »Ich ahnte, daß du zu deiner Clarissa kommen würdest, um sie zum Karneval zu führen, darum habe ich mir den Anzug einer Griechin besorgt.«

Er machte ein langes Gesicht.

»Alle Teufel, seid ihr Frauenzimmer gescheite Geschöpfe!« lachte er gezwungen. »Also geahnt hat es dir, daß ich komme? Schön; bis hierher wird sich deine Ahnung erfüllen, weiter aber nicht. Ich kann leider nicht daran denken, dich auszuführen, weil ich gezwungen bin, mit dem Herzog zu gehen.« – »Lüge nicht, Gasparino! Der Herzog wird sich hüten, mit dir zur Maskerade zu gehen.« – »Ah, du glaubst es nicht? Nun wohl, du wirst es dennoch glauben, denn er wird kommen, um mich abzuholen.«

Sie erschrak.

»Hierher?« fragte sie. – »Ja.« – »Wann?« – »In dreiviertel Stunden.« – »Du scherzt! Du willst mich nur in Verlegenheit bringen.« – »Ich versichere dir, daß er kommen wird, und zwar als Perser gekleidet«, sagte er in ernstem Ton. – »Dein Herzog? Zu mir? Heilige Madonna!«

Eilig verschwand sie im Kabinett, aus dem sie nach einer Viertelstunde in ihrer besten Kleidung zurückkehrte. Cortejo hatte inzwischen sein Gewand bereits angelegt und fragte sie jetzt:

»Nun, wie gefalle ich dir?« – »Ausgezeichnet. Und ich dir?« – »Wie immer!« – »Aber es ist doch nicht hübsch, daß du ohne mich gehst«, schmollte sie.

Cortejo erwiderte mit einschmeichelnder Stimme:

»Zanke nicht, Clarissa! Du weißt ja, daß ich dich liebhabe, und du weißt auch, daß wir beide nichts besitzen und doch nach oben trachten. Ich habe dem Herzog gesagt, daß dein Name Margony ist. Er darf nicht erfahren, daß du von Adel bist und die Rodrigandas unter deine Verwandten zählst. Sei freundlich mit ihm, aber gib ihm keine Veranlassung, zärtlich gegen dich zu sein. Du weißt, daß ich sehr eifersüchtig bin.« – »Oh, trage keine Sorge, ich liebe nur dich allein.« – »Ich hoffe es. Dieser Herzog schenkt mir sein Vertrauen, und dieses Vertrauen soll mir die Stufe zu Reichtum und Ehre sein. Du siehst also ein, daß ich seinen Wunsch erfüllen und mit ihm gehen muß, obgleich ich mich in deiner Gesellschaft unendlich glücklicher fühlen würde.« – »Ja, ich sehe es ein«, versetzte sie. »So gehe denn mit ihm, aber komme am Abend wieder.« – Ich werde versuchen, es möglich zu machen, obgleich der Herzog am Abend Gesellschaft bei sich sieht und ich also bei ihm fast unentbehrlich bin. Komme ich nicht so entschuldige mich.«

Das war eine Lüge, die Clarissa aber glaubte. Sie hatten übrigens keine Zeit zu weiteren Auseinandersetzungen, denn es klopfte, und auf ihren Ruf trat ein prächtiger Perser herein, der eine feine Samtlarve vor dem Gesicht trug. Er blieb an der Tür stehen und betrachtete das Mädchen mit wohlgefälligen Blicken.

»Hallo, Gasparino, du hast keinen üblen Geschmack!« rief er erstaunt und trat auf Clarissa zu, um ihr die Hand zu küssen, doch schon im nächsten Augenblick war sie in das Kabinett geeilt und verschloß die Tür desselben hinter sich.

»Ah, diese Hexe! Fort ist sie!« lachte der Herzog.

Dann versuchte er, die Tür zu öffnen, und als ihm dies nicht gelang, befahl er dem Haushofmeister.

»Rufe sie!« – »Es hilft nichts, sie wird nicht kommen!«

Cortejo rief und klopfte, es erfolgte jedoch keine Antwort.

»Da haben Sie es«, meinte er trocken. – »Schlaukopf!« rief der andere. »Du hast ihr Verhaltungsmaßregeln erteilt, aber das schadet nichts.«

Diese wegwerfenden Worte, die jedenfalls nicht geeignet waren, ihm ihre Sympathie zu erringen, waren so laut gesprochen, daß Clarissa sie hören mußte. Dann fragte der Herzog leise:

»Du hast ihr doch nicht gesagt, wer ich bin?« – »Nein«, log der Haushofmeister. – »Gut! Bist du fertig?« – »Ja, bis auf die Larve.« – »So lege sie an und komm!«

Die Männer verließen das Haus und warfen sich unten in das Gewühl der Masken. Der reiche Anzug des Herzogs erregte die allgemeine Aufmerksamkeit, doch hätte niemand unter demselben einen so hohen Würdenträger vermutet, denn er benahm und gab sich ganz so wie der ungebildetste Wasserträger oder Melonenhändler. Er machte selbst die rohesten Scherze mit, sprang in die geöffneten Türen der Häuser, drang in die Wohnräume, die zu dieser Zeit jeder Maske offenstehen, und brachte Aufruhr und Verwirrung überall dahin, wo er erschien.

So kamen sie durch verschiedene Straßen und Gassen über die Brücke hinüber, wo sie ihre überlustigen Streiche fortsetzten. Da blieb der Herzog plötzlich stehen und blickte nach einem Balkon empor.

»Donnerwetter!« raunte er Cortejo zu. »Blicke einmal da hinauf nach dem kleinen Balkon. Da ist ein wirkliches Madonnenangesicht, so hold, so rein, so ernst. Die müßte man kennenlernen. Schau, jetzt sieht sie uns!«

Es war die Gouvernante des Bankiers Salmonno. Der Herzog warf ihr eine Kußhand hinauf. Sie bemerkte es und erglühte. Er trug eine Kleidung im Wert von Tausenden, er war kein gewöhnlicher Mann, das sah sie, und welches Mädchenherz schlägt nicht höher, wenn es das Auge eines bevorzugten Mannes bewundernd auf sich gerichtet sieht. Halb bewußt und halb unbewußt nahm sie die seidene Schleife von ihrem Busen und warf sie ihm hinab. Sie flatterte in unregelmäßigen Kreisen hernieder, doch gelang es dem Herzog, sie zu erhaschen. Er küßte sie und steckte sie an seine Brust. Die Gouvernante errötete bis zum Nacken hinab und zog sich beschämt vom Balkon zurück.

»Alle Wetter«, rief der Herzog. »Sie ist unwiderstehlich. Höre, Cortejo, du wirst dich nach ihr erkundigen, bald, noch heute! Ich muß wissen, ob es möglich ist, diese Katze zu kaufen oder wegzufangen.« – »Dann muß ich freilich um Urlaub bitten!« entgegnete der Haushofmeister, dem es sehr gelegen war, von seinem Herrn fortzukommen. Auf diese Weise wurde es ihm ja möglich, seinem Vergnügen auf eigene Faust und ohne lästige Beaufsichtigung nachzugehen. – »Du sollst den Urlaub gleich jetzt haben«, antwortete der Herzog, »und so lange du willst. Aber ich verlange, daß du mir einen sicheren Bescheid bringst.«

Sie trennten sich darauf. Cortejo wartete, bis der Perser in der Ferne verschwunden war und ging dann seine eigenen Wege. Er kam nach einiger Zeit vor die Kirche Nuestra Señora del Pilár, die berühmteste Saragossas, in der sich auf einer Jaspissäule ein wundertätiges Marienbild befindet, das von der katholischen Kirche zu den größten Heiligtümern gezählt wird.

Vor dieser Kirche ging es lebhaft zu, am lautesten aber um eine Gruppe von Zigeunern, die sich da niedergelassen hatte, um dem andrängenden Publikum zu weissagen. Er trat näher, um zu sehen, ob es echte Zigeuner seien oder ob sich eine Gesellschaft lustiger Leute nur den Spaß gemacht habe, sich als Gitanos zu verkleiden. Es gelang ihm, sich durch das Gedränge hindurchzuschieben.

»Ah!« entfuhr ihm da ein Ausruf höchster Verwunderung. »Welch eine Schönheit!« – »Nicht wahr?« stimmte ein Domino bei, der neben ihm stand und seinen Ausruf vernommen hatte. »Ein solches Kind bekommt man nicht allzuoft zu sehen, Señor. Meint Ihr nicht auch?« – »Ich bin vollständig mit Euch einverstanden«, antwortete Cortejo, dessen Augen mit fast trunkener Bewunderung an dem Wesen hingen, das ihm seinen Ausruf entlockt hatte.

Es war dies ein Zigeunermädchen von einer Schönheit, wie er sie noch niemals gesehen hatte. Sie trug über dem schneeweißen Hemd nichts als ein vorne offenes, leichtes, mit Goldschnüren besetztes Jäckchen und einen roten Rock, der ein paar entzückend kleine Füßchen sehen ließ. Das volle, schwere, rabenschwarze Haar hing in vier langen, schweren Flechten fast bis zur Erde herab und war mit silbernen Münzen geschmückt und mit schimmernden Ketten durchflochten. Alles drängte zu ihr, um sich aus den Linien der Hand wahrsagen zu lassen. Um die anderen Glieder der Truppe kümmerte sich fast niemand.

Cortejos Herz klopfte fast hörbar. Was war Clarissa gegen diese Zigeunerin! Er mußte sie unter allen Umständen näher kennenlernen. Er wartete einen Augenblick ab, wo sie nicht in Anspruch genommen war, und trat zu ihr.

»Wie ist dein Name, schöne Zingarita?« fragte er.

Zingarita ist der Zärtlichkeitsname für eine Zigeunerin.

Sie blickte zu ihm auf, sah forschend in seine Augen und erwiderte:

»Man nennt mich Zarba, Señor.« – »Wohlan, willst du mir wahrsagen, Zarba?« – »Reicht mir Eure Hand!«

Er gab ihr ein Goldstück, das er zu diesem Zweck bereitgehalten hatte, und sagte leise:

»Nicht hier, mein schönes Kind. Ich muß länger mit dir sprechen.«

Sie betrachtete die reiche Gabe mit freudeglänzenden Augen und antwortete ebenso leise wie er:

»Warum, Señor?« – »Weil ich dich liebe!« – »Ihr liebt mich, die arme Gitana, die arme Zingarita? Señor, das glaube ich nicht!« – »Oh, glaube es doch, du süßes Mädchen, und sage mir, wo ich dich treffen kann!« – »Wann?« – »Heute!« – »Heute! Da wird es erst sehr spät möglich sein!« – »Ich komme, wohin und wann du willst!«

Ihr Gesicht glänzte in unschuldiger, heller Freude darüber, daß sie von einem so vornehmen Señor geliebt werde. Sie war eine Tochter des Südens, sie war das Kind eines verachteten Stammes; sie beschloß, diesem Abenteuer zu folgen. Darum ergriff sie seine Hand, um die Umstehenden glauben zu machen, daß sie ihm weissage, flüsterte ihm aber leise zu:

»Kennt Ihr die Straße nach Hueska, Señor?« – »Ja.« – »Dort rechts von der Straße, am Fluß Gallego und hart an der Stadtmauer, haben wir unser Lager aufgeschlagen.« – »Ich werde es finden.« – »Nein, das sollt Ihr nicht. Es soll niemand wissen, daß ich Euch treffe. Weiter aufwärts am Fluß stehen fünf Silberpappeln eng beisammen.« – »Diese kenne ich.« – »Dort sollt Ihr mich erwarten.« – »Wann?« – »Gerade eine Stunde nach Mitternacht. Nun geht, man beobachtet uns.« – »Wirst du mir auch Wort halten, Zarba?«

Sie blickte mit einem aufrichtigen Aufschlag ihrer Augen zu ihm empor und antwortete:

»Ich sage Euch die Wahrheit. Und Ihr, Señor?« – »Ich schwöre dir, daß ich sicher kommen werde.«

Sie gab seine Hand frei, und er ging zur Seite, indem er mit Entzücken noch eine Zeitlang die gewandten, graziösen Bewegungen ihres bildschönen Körpers beobachtete. Endlich entfernte er sich, um sich von dem tollen Wirbel der Masken mit fortreißen zu lassen.

Dabei gelangte er wieder in die Gegend, in der das Haus des Bankiers Salmonno lag. Er blieb stehen und überflog die Fronten desselben mit forschenden Blicken, konnte aber keine Spur von der Gesuchten bemerken. Der Balkon, auf dem die Gouvernante gestanden hatte, war verschlossen und das daneben befindliche Fenster verhängt.

Da trat ein junger Mann aus dem Eingang. Er trug die Kleidung gewöhnlicher Arbeiter und hatte ein Paket Briefe in der Hand. Sofort war Gasparino Cortejo an seiner Seite und fragte in höflichem Ton:

»Verzeihung, Señor! Seid Ihr vielleicht im Geschäfts des Bankiers Salmonno angestellt?« – »Ja, ich bin Austräger«, sagte der Mann in bescheidenem Ton. – »Habt Ihr vielleicht fünf Minuten Zeit, um in der nächsten Venta ein Glas Wein mit mir zu trinken?« – »Oh, ein Glas Wein schlägt man niemandem ab, nur muß man wissen, welchen Zweck die Gabe hat.« – »Der Zweck ist sehr einfach, ich beabsichtigte, mich bei Euch nach etwas zu erkundigen.« – »Ihr sollt Auskunft haben, Señor. Wenn meine Briefe etwas später zur Post kommen, so ist es mir gleich. Dieser Knicker von Prinzipal hat uns heute zum Karneval keine Stunde freigegeben.« – »So gebt Euch selber wenigstens eine Viertelstunde frei«, lachte Cortejo und führte den Mann nach der nächsten Weinschänke, wo er sich eine Flasche Wein mit zwei Gläsern geben ließ. Nachdem er eingeschenkt und angestoßen hatte, begann er, ohne seine Maske abzunehmen:

»Euer Prinzipal scheint eine Art von Geizhals oder Filz zu sein, da er Euch selbst am heutigen Tag keine freie Stunde gönnt!« – »Das ist er allerdings, Señor.« – »Ist er denn so arm, daß er es braucht?« – »Im Gegenteil, der besitzt Millionen.« – »Er ist alt?« – »Nicht übermäßig.« – »Und verheiratet?« – »Witwer.« – »Hat er Kinder?« – »Er hatte zwei, einen Knaben und ein Mädchen, das letztere ist aber vor kurzer Zeit gestorben.« – »Jener Knabe wird von dem Filz eine sehr nachahmungswürdige Erziehung erhalten.« – »Oh, er bekümmert sich nicht um denselben, das tut die alte Magd nebst dem Erzieher und der Erzieherin.« – »Ah, so hat Euer Prinzipal einen Gouverneur und eine Gouvernante?« – »Ja. Es sind zwei Deutsche.« – »Warum stellt er Deutsche an?« – »Er steht mit Deutschland in einer regen Geschäftsverbindung und wünschte deshalb, seinen Kindern, besonders aber dem Sohn, die deutsche Sprache lehren zu lassen. Oh, er ist zu schlau und berechnet alles!« – »Wie heißt dieser Gouverneur?« – »Señor Sternau. Er ist ein guter, stiller Mann, der sehr wenig redet. Wenn er aber redet, so haben seine Worte Hand und Fuß, und darum hat der Prinzipal großen Respekt vor ihm.« – »Und die Gouvernante?« – »Sie heißt Señorita Wilhelmi. Auch sie ist still und zurückgezogen. Man sieht sie wenig, aber man hat sie lieb, denn sie hat für jeden einen freundlichen Blick, was man in diesem Haus sonst nicht gewöhnt ist. Schade, daß sie nicht mehr lange bleiben kann!« – »Sie geht fort?« – »Voraussichtlich.« – »Warum?« – »Weil die Tochter gestorben ist, die ihr übergeben war. Für den Sohn ist der Erzieher genug.« – »Wann geht sie fort?« – »Ich habe noch nicht gehört, daß davon bereits die Rede gewesen ist. Sie hat vierteljährige Kündigung und darf eigentlich noch fünf Monate bleiben. Wenigstens hat sie das Gehalt für diese Zeit zu beanspruchen, wenn Salmonno verlangt, daß sie sein Haus verläßt.« – »Habt Ihr vielleicht davon gehört, daß sie sich um eine Stelle bereits beworben hat?« – »Nein. Ich glaube nicht, daß dies geschehen ist, aber wenn sie es doch getan hätte, so würden wir wohl nichts davon erfahren, sie ist nicht gewohnt, mit Fremden darüber zu sprechen.« – »Hat sie keinen Señor, der sie liebt und sich ihrer annehmen könnte?« – »Einen Señor? Señorita Wilhelmi einen Anbeter!« lachte der Mann. »Das fällt ihr gar nicht ein. Sie hat das Haus wohl kaum ein einziges Mal verlassen, um am Fluß spazierenzugehen.« – »Ah, da läßt es sich leicht denken, wie es steht«, sagte Cortejo schlau. »Sie wird dem Erzieher ihr Herz geschenkt haben. Habe ich recht?« – »Nicht ganz, Señor. Man spricht zwar davon, daß Señor Sternau ein Auge auf sie geworfen hat, aber sie mag nichts von ihm wissen, das merkt man an ihrem ganzen Verhalten.« – »Das sind die sämtlichen Mitglieder des Haushalts des Bankiers?« – »Ja.« – »Wie lebt Salmonno? Verschwenderisch und flott oder einfach und zurückgezogen?« – »Das letztere.« – »Und glaubt Ihr, daß in seinen Büchern Ordnung und Solidität zu finden ist?« – »Das versteht sich. Er ist in solchen Sachen sehr oft zu streng. Aber, Señor, warum fragt Ihr nach diesen Dingen? Wollt Ihr vielleicht in geschäftliche Beziehung zu Salmonno treten?« – »Hm, ich will Euch gestehen, daß das wirklich meine Absicht ist. Ich habe da eine unerwartete Erbschaft gemacht und weiß nicht, was ich sogleich mit der Summe anfangen soll. Da hat man mir geraten, sie gegen die gewöhnlichen Zinsen einem Bankier in Verwahrung zu geben. Und nun erkundige ich mich nach den Verhältnissen der hiesigen Häuser, um zu sehen, wem ich mein Vertrauen schenken kann. Das ist der Sachverhalt, der mich veranlaßte, Euch beschwerlich zu fallen.«

Der ehrliche Mann glaubte jedes Wort.

»Oh, wenn es das ist«, sagte er, »so könnt Ihr unserem Herrn jede Summe getrost übergeben. Sie steht bei ihm wenigstens ebenso sicher wie bei jedem anderen, das könnt Ihr mir getrost glauben.« – »Ihr macht mir wirklich Vertrauen! Ich werde mir es heute noch überlegen und danke Euch für die Bereitwilligkeit, mit der Ihr mir Auskunft erteilt habt.« – »Dankt nicht, Señor! Ihr habt meine geringe Mühe und Zeitversäumnis reichlich bezahlt.«

Nachdem noch einige höfliche Redensarten gewechselt worden waren, trennten sich die Männer. Der Austräger ging mit seinen Briefen zur Post, und Cortejo trat wieder hinaus auf die Straße.

Es fiel ihm gar nicht ein, nun sogleich den Herzog aufzusuchen und ihm mitzuteilen, was er in Erfahrung gebracht. Hatte er doch die Absicht aus seiner Neuigkeit so viel Kapital und Vorteil wie nur möglich zu schlagen, und nahm sich vor, sich heute gar nicht im Palast sehen zu lassen. So trieb er sich denn während des Tages und des Abends in den Straßen und Weinstuben der Stadt umher, bis es Mitternacht wurde und er es an der Zeit hielt, sich nach der Straße von Hueska zu begeben, wo er die schöne Zigeunerin keinen Augenblick auf sich warten lassen mochte.

Saragossa liegt am Ebro, und bei der Stadt fließt von Norden der Gallego in diesen Fluß.

Gegen die Ufer dieses Zuflusses hin mußte sich Cortejo wenden. Er gewahrte bald ein helloderndes Feuer und wußte, daß dort das Lager der Gitanos zu suchen sei. Er ging, ohne sich von ihnen bemerken zu lassen, am Gallego aufwärts und gewahrte nach einer nicht zu langen Strecke die Silberpappeln, bei denen er die Zingarita treffen sollte.

Sie war noch nicht da, und er wartete.

Seine Geduld wurde nicht auf eine harte Probe gestellt. Sie erschien bald. Sie trug dasselbe Gewand, in dem er sie heute gesehen hatte, doch hatte sie der nächtlichen Kälte wegen ein altes Tuch darüber genommen.

»Guten Abend, Señor! Seid Ihr es?« grüßte sie. – »Ja, Zarba, ich bin es«, antwortete er.

Er reichte ihr seine Hand und fühlte nun in derselben ein kleines Händchen, das demjenigen eines Kindes glich. Es zitterte in der seinen.

»Hast du Angst vor mir?« fragte er. – »Warum denkt Ihr das?« – »Du zitterst. Ist es die Kälte?« – »Nein. Ich habe noch niemals mit einem Señor des Abends allein gesprochen.« – »Und nun hast du Sorge? Fürchte dich nicht! Ich habe dich sehr lieb, und wen man liebhat zu dem ist man ja nur gut und freundlich. Wissen die Deinen, wo du bist?« – »Nein. Sie denken, ich schlafe abseits vom Lager.« – »Werden sie dich nicht suchen?« – »Nein. Sie liegen um das Feuer und schlafen.« – »So laß uns hier niedersetzen und plaudern. Komm!«

Er setzte sich nieder, und sie nahm langsam an seiner Seite Platz, aber mit einer solchen Scheu, wie etwa ein Kanarienvogel sich auf den entgegengestreckten Finger seines Herrn setzt. Als er jetzt abermals ihr Händchen ergriff, fühlte er, daß sie zusammenzuckte. Ja, sie glich wirklich dem Vogel, der zwischen Angst und Vertrauen schwebt und unsicher ist, was er tun und wagen darf.

»Warum bangst du?« fragte er zärtlich. »Willst du mir dein Händchen nicht lassen, Zarba?« – »Oh, Señor, was kann es Euch helfen?« – »Das weißt du nicht und begreifst es nicht?« – »Nein.« – »Hast du denn noch keinen Mann liebgehabt? So, daß du glaubtest, ohne ihn nicht leben zu können?« – »Niemals.« – »Ist dies wahr?« – »Ich belüge Euch nicht!« – »So versuche es einmal, ob du vielleicht mich lieben kannst.« – »Daß ich ohne Euch gar nicht leben mag?« – »Ja.« – »Oh, Señor, ich habe Euer Angesicht noch gar nicht gesehen, aber ich merke, daß ich Euch gut bin.« – »So siehe es dir einmal an!«

Cortejo hatte die Maske noch immer vor dem Gesicht. Jetzt nahm er sie ab und näherte seinen Kopf dem ihrigen, so daß sie ihn beim Schein des Mondviertels genau genug sehen und betrachten konnte.

»Gefalle ich dir?« fragte er scherzend. – »Ja«, antwortete sie ernsthaft. – »Aber gewiß noch lange nicht so sehr wie du mir. Ich möchte den Arm um dich legen, dich an mein Herz nehmen und gar nie wieder davon lassen. Darf ich, meine liebe Zarba?«

Er legte den Arm um ihre Taille und zog sie an sich, bog sich zu ihr herab, hob ihr Köpfchen empor und blickte ihr lange, lange magnetisierend in die dunklen Augen. Ihr Busen wallte, und ihr Atem ging hörbar unter unbeschreiblichen Empfindungen, die sie bisher noch nie gekannt hatte.

Da bog er sich noch weiter herab und preßte seinen Mund zu einem langen und glühenden Kuß auf ihre Lippen. Sie litt es, ja, er fühlte bald einen leisen, leisen Gegendruck, während aus ihrem Mund sich ein tiefer Seufzer stahl. Sie fühlte da, daß sie ihn liebe, daß er von jetzt an ihr Herr und Gebieter sei.

»Oh, Señor, ich träume!« flüsterte sie leise. – »Nein, es ist Wirklichkeit. Wünschst du nicht, daß es immer so bleiben möge, Zarba?« – »Ja«, hauchte sie verschämt. – »Nun, das kommt nur auf dich an. Wenn du tust, um was ich dich bitte, so werden wir immer so glücklich sein.« – »Was soll ich tun, Señor?« – »Das laß uns überlegen! Wie lange seid ihr bereits in Saragossa?« – »Eine Woche.« – »Und wie lange werdet ihr hier bleiben?« – »Abermals eine Woche.« – »Wieviel Familien seid ihr?« – »Vier Familien und zwanzig Personen.« – »Hast du den Vater dabei?« – »Ja.« – »Und die Mutter?« – »Ja.« – »Auch andere Verwandte?« – »Nein.« – »Wie heißt dein Vater?« – »Jarko.« – »Und deine Mutter?« – »Kaschima.« – »Haben dich beide lieb?« – »Oh, sehr! Und auch der Stamm und alle Gitanos Spaniens haben mich lieb, denn ich werde einst ihre Königin sein.« – »Alle Teufel!« meinte Cortejo überrascht. »Gibt es bei euch auch Könige?« – »Nein, sondern nur Königinnen.« – »Wer ist die jetzige?« – »Kaschima, meine Mutter.« – »Aber ihr seid ja arm!« – »Ihr denkt, man kann nicht zugleich arm und auch Königin sein? Oh, Señor, Ihr kennt die Gitanos nicht! Sie scheinen arm und sind reich, sie scheinen verachtet und sind stolz. Es besitzt gar mancher Fürst nicht die ungeheure Macht, die unsere Königin über den Stamm ausübt.« – »Welches sind die Gebräuche, wenn eine neue Königin antritt?« – »Das darf ich nicht sagen, Señor.« – »So? Na, da muß ich mich zufriedengeben mit dem Glück, daß ich eine Prinzessin hier in meinen Armen halte, eine Prinzessin, die ich unendlich liebhabe und die auch mich ein wenig liebt. Nicht?« – »Oh, nicht ein wenig, sondern sehr!« antwortete sie. – »Darfst du vor deinem Vater und deiner Mutter mich liebhaben, Zarba?« – »Nein. Ich soll nur einem Gitano angehören, keinem anderen.« – »Oh weh, das ist traurig! Wirst du ihnen gehorchen?«

Zarba senkte den Kopf und antwortete nicht. Es war zum ersten Mal, daß ein solcher Zwiespalt ihr Herz zerriß. Cortejo begriff recht gut, daß ihre Liebe jetzt noch zu jung sei, um ein allzu hartes Opfer von ihr zu erwarten, daher drang er für jetzt nicht weiter in sie, sondern fragte:

»Darf ich dich in dieser Woche wiedersehen?« – Ja«, antwortete sie. – »Wann und wo?« – »Wann und wo Ihr es wünscht.« – »Darfst du denn von den Deinen gehen und kommen, wann und wie es dir beliebt?« – »Es wird niemand zanken oder mir etwas sagen. Es beleidigt oder kränkt mich keiner.« – »So versprich mir, eine Bitte zu erfüllen!« – »Welche?« – »Versprich es mir vorher.« – »Ich werde sie erfüllen.« – »Gut. Komm, wenn die Dämmerung angebrochen ist, an die lange Gartenmauer, die zu dem großen Haus in der Strada Domenica gehört. In dieser Mauer befindet sich ein kleines Pförtchen, dahinter stehe ich. Du klopfst, und ich werde dir öffnen.«

Sie nickte mit dem Kopf und fragte:

»Werde ich das Pförtchen auch leicht finden?« – »Sehr leicht. Und du wirst also ganz gewiß kommen?« – »Ganz gewiß.« – »Ich danke dir. Oh, wie glücklich werde ich sein, dich wiederzusehen!«

Er drückte sie wieder an sich, und so saßen sie noch eine geraume Zeit, und als er dann endlich zur Heimkehr aufbrach, begleitete sie ihn bis an das Tor der Festungsmauer, wo er zärtlichen Abschied von ihr nahm. Zu Hause angelangt, legte er sich sofort zur Ruhe und hätte wohl den ganzen Vormittag verschlafen, wenn ihn nicht ein Diener geweckt hätte, der ihm meldete, daß Serenissimus ihn zu sprechen wünsche. Er erhob sich vom Lager, um Toilette zu machen.


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